Winter 2011 - Christusgemeinde Freiburg
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Und diese wohlig-bergende Gegenwelt zur<br />
kapitalistisch-kalten funktioniert tatsächlich.<br />
Das heißt: Eigentlich funktioniert<br />
sie schon längst nicht mehr. Denn die angestrebte<br />
Gegenwelt Familie ist auch ein<br />
bloßes Spiegelbild der Gesellschaft geworden:<br />
Hier wie dort gibt es Mächtige und<br />
Schwache; hier wie dort geht es um<br />
Leistung und Gegenleistung. Das bedeutet<br />
freilich ebenso: Hier wie dort gibt es solche,<br />
die „ausbrechen“ und sich nicht anpassen<br />
lassen wollen. Sie scheren sich nicht darum,<br />
was von ihnen erwartet wird. Nehmen<br />
den Schmerz einer Scheidung in Kauf.<br />
Entscheiden sich bewusst für ein Leben<br />
als Alleinerziehende. Oder erkennen in der<br />
Familie eine Möglichkeit, Solidarität im<br />
Kleinen einzuüben; hier das Zusammenleben<br />
von Geschlechtern und Generationen<br />
neu auszuprobieren; im Alltag Partnerschaft<br />
und Entfaltung des Einzelnen miteinander<br />
zu verbinden; und nicht zuletzt<br />
für das eigene Leben Wertvolle an Kinder<br />
weiterzugeben – und von ihnen fürs eigene<br />
Leben zu lernen.<br />
Gerade junge Leute suchen heute in einer<br />
eigenen Familie jene Geborgenheit, die sie<br />
in ihrer Herkunftsfamilie oft vermissten.<br />
Sie erhoffen sich jenes Selbstwertbewusstsein,<br />
das ihnen die Leistungsgesellschaft<br />
verweigert. Solche Träume sind Sprengsätze.<br />
Für die Familie: Weil das Überfrachten mit<br />
derlei Kuschel- und Selbstverwirklichungserwartungen<br />
ihr auf Dauer die Luft<br />
abschnürt, wenn sie sich nicht erfüllen. Für<br />
die bestehende Ordnung: Weil es für sie<br />
gefährlich wird, wenn sich die Träume von<br />
Entfaltung und Solidarität und Verantwortung<br />
als durchaus verwirklichbar erweisen.<br />
Mithin ist die Familie in erster Linie ein<br />
Ort von Widersprüchen. Sie ist Sonntagsfamilie<br />
unterm Weihnachtsbaum – und<br />
Ausländer-, Flüchtlingsfamilie ohne<br />
Aussicht auf Arbeit, Wohnung, Anerkennung.<br />
Sie ist die „heilige Familie“ – und die<br />
Familie der auf Hartz IV Angewiesenen.<br />
Sie ist der Ort für Kinderreichtum (der oft<br />
Armut mit sich bringt) – und der Ort<br />
der demütigenden Gewalt gegen Kinder.<br />
Oder, wie es Martin Luther ausdrückt:<br />
„Die Familie ist die Quelle des Segens und<br />
des Unsegens der Völker.“ Und deshalb<br />
ist sie so wichtig: Weil Familie lebt, was ist,<br />
und (mitunter) ahnen lässt, was sein könnte.<br />
Dass es anders sein könnte, als es ist.<br />
Gerhard M. Kirk