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Was Sie immer wollten. Nur besser. - Heimat.de

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Springen wir ins Jahr 1994, als Claudia Stein zur Staatskapelle kam.<br />

Wie kam es dazu und was haben <strong>Sie</strong> hier vorgefun<strong>de</strong>n?<br />

clauDia Stein: ich war 23, hatte gera<strong>de</strong> mein aufbaustudium<br />

angefangen, und es war eines meiner ersten Probespiele.<br />

als ich das dann gewonnen hatte, habe ich erstmal meinen<br />

ehemaligen lehrer angerufen und gefragt: »Herr Haupt,<br />

ich habe das Probespiel gewonnen – bin ich <strong>de</strong>nn wirklich<br />

so gut?« Die Staatskapelle Berlin und Daniel Barenboim –<br />

dass ich da mitspielen durfte, war schon eine ganz große<br />

nummer.<br />

Uns ist aufgefallen, dass die Staatskapelle schon vor <strong>de</strong>r Wen<strong>de</strong> viel<br />

unterwegs war auf <strong>de</strong>r ganzen Welt. Dann haben <strong>Sie</strong>, Herr Barenboim,<br />

angefangen und erstmal eine Zeit lang keine Reisen mit <strong>de</strong>m<br />

Orchester gemacht. Gab es dafür einen bestimmten Grund?<br />

Daniel BarenBoim: es brauchte ein bisschen Zeit, um uns kennen<br />

zu lernen und zueinan<strong>de</strong>r zu fin<strong>de</strong>n. menschlich viel<br />

mehr als musikalisch. man darf nicht vergessen, dass <strong>de</strong>r<br />

Westen und die Vereinigten Staaten im Kalten Krieg sagten,<br />

<strong>de</strong>r Kommunismus sei schrecklich, weil man keine Freiheit<br />

habe und nicht reisen könne. aber das war bei weitem nicht<br />

das Schlimmste. natürlich ist es viel angenehmer, wenn<br />

man in Sibirien lebt und es sind –25°C im Winter, nach<br />

griechenland in <strong>de</strong>n Urlaub fahren zu können. aber das<br />

Schlimmste war, wie das System das persönliche leben <strong>de</strong>r<br />

menschen beeinflusst hat: die Furcht, dass das, was man zu<br />

Hause erzählt, an<strong>de</strong>re hören könnten … Und die Tatsache,<br />

dass man für eine vermeintlich naive information ein Krankenhausbett<br />

für die kranke mutter bekam. alle diese Dinge,<br />

die unter <strong>de</strong>r oberfläche waren, waren mir nicht fremd,<br />

und ich habe sie gespürt. Und zusätzlich (das war für mich<br />

beson<strong>de</strong>rs interessant, ich war ja gleichzeitig Chef in Chicago,<br />

also im mittleren Westen <strong>de</strong>r USa) habe ich gesehen,<br />

dass die menschen hier, nach 40 Jahren DDr, <strong>de</strong>n menschlichen<br />

aspekt von Demokratie <strong>besser</strong> verstan<strong>de</strong>n hatten als<br />

die amerikaner in midwest. <strong>Sie</strong> sind Sklaven einer gesellschaft<br />

und einer mentalität, die besagt: »ich kann alles<br />

haben, was ich will.« ich war manchmal total verloren, weil<br />

ich nach zwei monaten in Berlin nach Chicago geflogen bin<br />

und dort eine mentalität vorfand, die gera<strong>de</strong>zu unverständlich<br />

für mich war. Bei allem, was man auch kritisieren<br />

kann – es war eine große Kraft, die aus <strong>de</strong>r Staatskapelle<br />

kam.<br />

SuSanne Schergaut: Wenn ich das ergänzen darf: Da war<br />

ein absoluter Wille: Wir <strong>wollten</strong> etwas Tolles machen. Da<br />

wur<strong>de</strong> nicht um fünf minuten gefeilscht. all diese »tariflichen«<br />

Dinge haben wir insgesamt ziemlich lax behan<strong>de</strong>lt.<br />

es ging <strong>immer</strong> um die Sache – wir <strong>wollten</strong> gemeinsam<br />

etwas großes aufbauen.<br />

axel Wilczok: Das ist schon <strong>immer</strong> das Beson<strong>de</strong>re an diesem<br />

orchester gewesen, so habe ich es damals erlebt und so<br />

ist es noch <strong>immer</strong>. <strong>Was</strong> es auch untereinan<strong>de</strong>r alles geben<br />

mag – wenn es um die Sache geht, dann spielen wir zusammen.<br />

Das fin<strong>de</strong> ich sehr schön hier.<br />

Daniel BarenBoim: Ja, das ist sehr ungewöhnlich. Und es hat<br />

nichts mit ost und West zu tun. in meinem leben – und<br />

ich hatte das glück, tolle orchester auf <strong>de</strong>r ganzen Welt zu<br />

dirigieren – habe ich selten so etwas gefühlt. Wenn alles<br />

gut läuft, wenn alle konzentriert sind, gibt es im ganzen<br />

orchester dieselbe art, über musik zu <strong>de</strong>nken.<br />

Wie hat es <strong>de</strong>nn ein Kollege von einem an<strong>de</strong>ren Berliner Orchester,<br />

<strong>de</strong>n Philharmonikern, wahrgenommen, was hier geschieht?<br />

Wolfram BranDl: gleich zu anfang hatten wir die Bruckner-<br />

Sinfonien …<br />

Daniel BarenBoim: Wann haben <strong>Sie</strong> <strong>de</strong>nn die Kapelle zum<br />

ersten mal gehört?<br />

Wolfram BranDl: Das war anfang 2000, als ich bei <strong>de</strong>n Philharmonikern<br />

war. aber als ich erstmals hier gespielt habe,<br />

ist mir sofort aufgefallen, dass es einen enormen Willen<br />

gibt, diesen Teamgeist zu haben und unglaublich schnell<br />

das aufzufassen und umzusetzen, was von vorne kommt.<br />

ich bin, wie gesagt, aus einem an<strong>de</strong>ren Berliner orchester<br />

gekommen, das auch eine Qualität hat, aber auch <strong>immer</strong><br />

<strong>de</strong>n luxus einer weit größeren Probenanzahl. Die Staatskapelle<br />

hat diesen luxus längst nicht so, aber es ist einfach<br />

bestechend, wie schnell und wendig hier agiert und<br />

reagiert wird. als wir in luzern <strong>de</strong>n 1. akt Walküre konzertant<br />

gemacht haben, war das für mich einfach glück pur.<br />

ich hatte auch davor schon Wagner gespielt, aber so eben<br />

nicht, das war absolut wun<strong>de</strong>rvoll.<br />

Daniel BarenBoim: ich sage das wirklich ohne je<strong>de</strong> Selbstdarstellung<br />

o<strong>de</strong>r arroganz, aber ich glaube, das kommt auch<br />

daher, dass dieses orchester so lange mit einem Dirigenten<br />

gearbeitet hat. Das ergebnis hat eine musikalische Strenge,<br />

die es sonst nicht gibt. man kann ja nicht nur mit enthusiasmus<br />

und Begabung musizieren, son<strong>de</strong>rn es muss auch<br />

eine gewisse Strenge da sein. in <strong>de</strong>r musik schaffen wir<br />

etwas, mit <strong>de</strong>m wohl je<strong>de</strong>r auf seine Weise mehr o<strong>de</strong>r weniger<br />

Schwierigkeiten hat, nämlich lei<strong>de</strong>nschaft und Strenge<br />

zu vereinen. Wenn man in einer lei<strong>de</strong>nschaftlichen Situation<br />

ist, sei es im Privatleben o<strong>de</strong>r woan<strong>de</strong>rs, verliert man<br />

die Strenge. Und in <strong>de</strong>r musik müssen <strong>Sie</strong> bei<strong>de</strong>s die ganze<br />

Zeit über haben. Und je mehr lei<strong>de</strong>nschaft es gibt, <strong>de</strong>sto<br />

mehr Strenge muss dazu kommen.<br />

clauDia Stein: ich bin ja in Dres<strong>de</strong>n aufgewachsen bin, wo<br />

es ein orchester gibt, das auch seit 100 o<strong>de</strong>r 200 Jahren<br />

»konserviert«, wie man etwas spielt, und womit sich das<br />

orchester i<strong>de</strong>ntifiziert. ich habe dort <strong>de</strong>n Rosenkavalier aus<br />

<strong>de</strong>n noten <strong>de</strong>r Uraufführung gespielt, und <strong>de</strong>r Kollege<br />

neben mir sagte: »Hier fehlt schon <strong>de</strong>r Takt an <strong>de</strong>r ecke,<br />

<strong>de</strong>n spielen wir <strong>immer</strong> auswendig.« Das ist so ein geist,<br />

<strong>de</strong>r auch hier ist in <strong>de</strong>r Kapelle, und noch dazu ein Dirigent,<br />

<strong>de</strong>r das pflegt – und mit ihm zusammen gibt es dann<br />

dieses ergebnis.<br />

Daniel BarenBoim: Das spürt man auch bei neu dazu kommen<strong>de</strong>n<br />

Kollegen. Herr Brandl ist erster Konzertmeister<br />

und natürlich ein hoch gebil<strong>de</strong>ter musiker, aber auch in<br />

<strong>de</strong>n »kleineren Stimmen« ist <strong>de</strong>r geist <strong>de</strong>s orchesters so<br />

stark entwickelt, dass jemand, <strong>de</strong>r neu hinzukommt und<br />

kein gefühl für so einen geist hatte, sehr schnell spürt, auf<br />

was es bei diesem orchester ankommt.<br />

axel Wilczok: Wir haben einfach diesen ungeheuren enthusiasmus.<br />

Wir können auch von alleine mit großer Spannung<br />

spielen, wenn’s sein muss. aber was ich beobachte,<br />

was mir bei vielen an<strong>de</strong>ren orchestern und Dirigenten, die<br />

wir ja auch kennen, fehlt, ist eine eigene Handschrift. Und<br />

Daniel Barenboim ist jemand, <strong>de</strong>r auf so viele Dinge achtet,<br />

<strong>de</strong>r das orchester richtig erzieht. es passt zusammen, wie<br />

wir spielen und was er klanglich will. man muss ja auch<br />

erklären, wie man’s macht, das sind ganz praktische Dinge:<br />

Wie lange halte ich <strong>de</strong>n Ton, welches Vibrato mache ich …<br />

clauDia Stein: Für mich kommt von noch eine an<strong>de</strong>re eigenschaft<br />

hinzu: ein orchester ist ja eigentlich ein anachronismus,<br />

da sitzen lauter bestens ausgebil<strong>de</strong>te individualisten,<br />

die ihr leben lang allein gespielt haben in so einem riesi-<br />

gen la<strong>de</strong>n und müssen sich einordnen. Da muss auch ein<br />

Tutti-Cellist, <strong>de</strong>r phantastisch spielt, wirklich mitspielen.<br />

Diese Bereitschaft, sich einzuordnen und auf die gefor<strong>de</strong>rte<br />

art das Beste zu geben, ist sehr hoch bei uns.<br />

Daniel BarenBoim: es ist eine perfekte Balance zwischen individualismus<br />

und Kollektivität.<br />

axel Wilczok: Das ist die große Kunst – unsere und die <strong>de</strong>s<br />

Dirigenten. etwas genau festzulegen und dann <strong>de</strong>m einen<br />

o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Freiräume zu geben …<br />

clauDia Stein: man ordnet sich ja auch nicht einfach je<strong>de</strong>m<br />

unter …<br />

Eine beson<strong>de</strong>re Rolle spielte ja die systematische Erarbeitung von<br />

Werkzyklen.<br />

Daniel BarenBoim: Ja, <strong>de</strong>r erste große Zyklus, <strong>de</strong>n wir gespielt<br />

haben, umfasste sämtliche opern von Wagner und lief über<br />

einen Zeitraum von zehn Jahren. Sinfonisch haben wir uns<br />

erst einmal die Sinfonien von Beethoven erarbeitet, dann<br />

die von Brahms und Schumann, gefolgt von <strong>de</strong>n Werken<br />

Schönbergs und zeitgenössischer musik. Hier haben wir<br />

Schwerpunkte auf Boulez, Birtwistle und Carter gelegt. Da<br />

stand ich vor <strong>de</strong>r Frage: <strong>Was</strong> mache ich mit einem Klang,<br />

<strong>de</strong>n es schon anfang <strong>de</strong>r 30er Jahre gab, in Bezug auf musik,<br />

die 1980 o<strong>de</strong>r 1990 geschrieben wur<strong>de</strong>? ich habe ganz bewusst<br />

überlegt, wie wir es schaffen, diesen hervorragen<strong>de</strong>n<br />

apparat für Carter, Boulez und Birtwistle zu nutzen. meine<br />

größte Freu<strong>de</strong> ist, dass es uns gelungen ist, diese musik<br />

auch mit diesem orchester möglich zu machen. es ist nicht<br />

8 GESPRäCH<br />

GESPRäCH<br />

9<br />

foto: thomaS Bartilla

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