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Rundbrief 01 - November 2011 - Max Weber Stiftung

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interView | Die DeutSche geSchichtSwiSSenSchaft muSS internationaler werDen<br />

nen, sich der deutschen Geschichte<br />

zu widmen. Die Diskussionen am<br />

DHI London sind speziell deshalb so<br />

fruchtbar, weil die jungen Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler<br />

mit neuen, oft auch erfrischenden<br />

Fragen herkömmliche Quellengattungen<br />

noch einmal gegen den<br />

Strich lesen. Durch öffentliche<br />

Veranstaltungen, wie den Seminars,<br />

Book Launches und GHIL Debates<br />

gelingt es auch, den einen oder<br />

anderen interessierten Zeitgenossen<br />

ins DHI London zu bringen.<br />

Was würden Sie sagen, sind die<br />

Vorzüge des Wissenschaftssystems<br />

in Großbritannien verglichen mit<br />

Deutschland?<br />

» Zu den Vorzügen zähle ich die<br />

höhere internationale Kapazität<br />

und die bessere Organisation des<br />

Studienverlaufs, die die Studierenden<br />

zu einer höheren Mitarbeit<br />

animiert und zur Internationalisierung<br />

zwingt. Davon kann und<br />

muss Deutschland mittelfristig<br />

mehr profitieren, weil wir uns<br />

nicht weiter in dem Ausmaß auf<br />

die deutsche Geschichte konzentrieren<br />

können. Wir müssen viele<br />

ähnliche Ansätze übernehmen und<br />

die angelsächsischen Diskussionen<br />

stärker verfolgen.<br />

Ein weiterer Vorteil des angelsächsischen<br />

Systems sind die<br />

abgeschliffeneren Statusdifferenzen<br />

durch den informelleren Umgang<br />

unter Kollegen. Der Zugang von<br />

Professor zu Studierenden, Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern ist<br />

oft unkomplizierter. Ich nehme den<br />

Wunsch mit, die stark förmlichen<br />

Regelungen im Sinne einer informelleren<br />

Kommunikationsstruktur<br />

abzubauen. Hier können wir uns<br />

von England noch beeindrucken<br />

lassen. Ansonsten sollte man auch<br />

in Deutschland dem Austausch zwischen<br />

Studierenden und Lehrenden,<br />

etwa durch individuellere Betreuung,<br />

stärkere Beachtung schenken.<br />

In ihrer Funktion als Gastprofessor<br />

lehren sie auch an der LSE und unterrichten<br />

in ihrem Seminar die Geschichte<br />

des Wohlfahrtsstaates in Europa seit<br />

1945. Wie waren ihre Erfahrungen und<br />

wie unterscheiden sich ihre deutschen<br />

Lehrerfahrungen von ihren britischen?<br />

» Das Interesse der Studierenden war<br />

sehr hoch. Einige Studenten verfügten<br />

über hohe Teilkompetenzen<br />

hinsichtlich einzelner Länder und<br />

Themenbereiche, wobei zweifelsohne<br />

die Kenntnis des angelsächsischen<br />

Umfeldes am größten war. Dennoch<br />

ergab sich im Seminar eine äußerst<br />

internationale Diskussion.<br />

Durch die regulierte Aufnahme hat<br />

Großbritannien kleinere Seminare,<br />

wodurch die Studierenden meist<br />

hoch motiviert und bereit sind, mehr<br />

‚workload‘ abzudienen als es in<br />

Deutschland der Fall ist. Es entsteht<br />

hier aber gelegentlich das Problem<br />

einer Überbelastung, weil trotz gut<br />

organisierter Studienverlaufspläne die<br />

Studierenden in sehr intensive Lernphasen<br />

hineingedrängt werden, in denen<br />

kaum Zeit für eigene Überlegungen<br />

bleibt. Ähnlich wie im deutschen<br />

Bachelor- und Mastersystem kommen<br />

auch hier Studierende mit oft sehr<br />

unterschiedlichen Fachkompetenzen<br />

zusammen und leider ist das, was wir<br />

als methodisches Minimum definieren<br />

können, nicht immer vorhanden.<br />

Die Bologna-Hochschulreform stützte<br />

sich bei der Einführung der BA- und<br />

MA-Studiengänge auf das positive<br />

Vorbild Großbritanniens. Nachdem Sie<br />

beide Systeme kennengelernt haben, was<br />

denken Sie unterscheidet den deutschen<br />

BA/MA vom englischen?<br />

» Wir reden über zwei verschiedene<br />

Dinge, wenn wir über die deutschen<br />

und die englischen Studiengänge<br />

sprechen. Im Kern verbergen sich<br />

dahinter sehr unterschiedliche Lösungen<br />

von BAs und MAs, wobei in<br />

Deutschland im Rahmen der relativ<br />

traditionell angelegten Studienverlaufspläne<br />

oft, so meine Erfahrung, die<br />

neue Terminologie dem alten System<br />

einfach übergestülpt wurde. Damit ist<br />

der Kernbereich relativ unverändert<br />

erhalten geblieben. In Großbritannien<br />

besteht dagegen eine hohe Varianz der<br />

Studienpläne von Department zu Department.<br />

In Deutschland muss man<br />

darauf hoffen, dass die von allen Seiten<br />

gewünschte Internationalisierung<br />

des Studiums tatsächlich in der Praxis<br />

irgendwann ankommen wird und dass<br />

der Reformprozess in den jeweiligen<br />

Bundesländern zu einer höheren<br />

Bereitschaft führt, sich untereinander<br />

abzustimmen. Das ist innerhalb der<br />

Bundesrepublik schon schwierig, und<br />

folglich dürfte die Hoffnung vermessen<br />

sein, es in einem großflächigen Rahmen<br />

wie Europa überhaupt anzustreben.<br />

Was man tun kann, ist die Hürden<br />

im internationalen akademischen<br />

Austausch zu beseitigen, bzw. sie so<br />

niederzubauen, dass das Wechseln von<br />

Studierenden und Lehrenden gefördert<br />

wird. Das ist ja zugleich ein Anliegen<br />

dieser Gastprofessur. Wobei wir uns<br />

in Deutschland mehr darum bemühen<br />

müssen, englische Kommilitoninnen<br />

und Kommilitonen in die Bundesrepublik<br />

zu holen. Hier sehe ich ein<br />

dringendes Anliegen.<br />

Das Gespräch führten Angela Schattner<br />

und Katharina Grimm, Deutsches<br />

Historisches Institut London<br />

18 DGIA | <strong>01</strong>/2<strong>01</strong>1<br />

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