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Buchrezensionen<br />

Buchrezensionen<br />

Nachfolgend haben wir Buchbesprechungen zu den Themenkreisen von<br />

Ökologie über Arbeit, Wohnen, Kultur, Ökonomie, Beschäftigungsförderung,<br />

Wirtschaften, bis hin zur Sozialpolitik zusammengestellt. Intention<br />

der Buchvorstellungen ist einen – wenn auch nicht all umfassenden<br />

– Überblick der letzten zwei Jahre zum Thema Nachhaltigkeit zu geben.<br />

Neben Bernd Hüttner, Jochen Knoblauch, Burghard Flieger und Peter<br />

Streiff gilt hier unseren besonderen Dank der Zukunkftbibliothek der<br />

Robert-Jungk-Stiftung in Salzburg für zur Verfügungstellung von Buchrezensionen.<br />

Die Sortierung erfolgt nach folgenden Schlagwörten; Allgemein,<br />

Alternative Ökonomie, Arbeit, Feministische Sicht, Landwirtschaft, Ökologie,<br />

Regionale Ökonomie und Beschäftigungsförderung, Sozialpoltik.<br />

Innerhalb jeder Rubrik erfolgt die Sortierung alphabetisch nach AutorIn<br />

bzw. HerausausgeberIn.<br />

ALLGEMEIN<br />

Martin Bernhofer (Hg.):<br />

Fragen an das 21. Jahrhundert<br />

Zurückgehend auf eine Sendereihe des<br />

Österreichischen Rundfunks präsentiert der<br />

Wissenschaftsredakteur Martin Bernhofer<br />

als Herausgeber der vorliegenden Anthologie<br />

die Reflexionen, Beobachtungen, Bestandsaufnahmen<br />

und nicht zuletzt auch<br />

Visionen namhafter Autorinnen und Autoren.<br />

In Form von Essays erschliesst sich dem<br />

Leser der Diskurs über das, was uns in absehbarer<br />

Zukunft beschäftigen wird. Gefragt<br />

war nicht die grosse Utopie, sondern<br />

„die genaue, anwendbare Beobachtung und<br />

Reflexion darüber, wie das Bekannte an der<br />

Schwelle zum 21. Jahrhundert in das Absehbare<br />

kippen könnte“.<br />

Mosaikhaft ohne den Anspruch auch nur<br />

annähernd eine Gesamtschau der enthaltenen<br />

Beiträge zu geben, seien stellvertretend<br />

für viele beachtenswerte Gedanken einige<br />

exemplarisch herausgegriffen.<br />

In insgesamt zehn Kapiteln kommt die Genund<br />

Hirnforschung ebenso zur Sprache wie<br />

die Zukunft der Buchkultur, das Reisen oder<br />

der Orientierungsnotstand und die Überinformation<br />

so wie die Zukunft der Universität<br />

oder die Weltinnenpolitik<br />

Der erste Ab- schnitt trägt den bezeichnenden<br />

Titel „Der Mensch eine Naturkatastrophe?“<br />

Für den Politikwissenschaftler<br />

Wolfgang Sofsky widerspräche<br />

es jeder historischen Erfahrung,<br />

zu glauben, dass das Ärgste, das Unvorstellbare,<br />

in Zukunft nicht erneut übertroffen<br />

werden könnte’ Allein der notwendige<br />

globale Waffenstillstand ist seiner<br />

Ansicht noch wiederum nicht ohne<br />

gigantischen Militär- und Polizeiapparat<br />

zu haben. Der Evolutionsbiologe Franz<br />

M. Wuketits schlägt vor, nicht so sehr an<br />

der Utopie der Neuen Menschen“ herumzubasteln,<br />

sondern uns selbst besser<br />

kennenzulernen, unsere Möglichkeiten<br />

wahrzunehmen und im Rahmen dieser<br />

Möglichkeiten zu handeln.<br />

Um nicht zum harmlosen Ritual von<br />

Klatsch und Tratsch in der lokalen Nachbarschaft<br />

zu werden, muss Demokratie, so<br />

der Politologe Anton Pelinka „steuernd und<br />

gegensteuernd in das integrierte Gebilde<br />

von Kapital, Technologie und Information“<br />

eingebunden werden. Wouter von Dieren<br />

hält die Ideologie der freien Marktwirtschaft<br />

für die grösste Gefahr für eine sichere Zukunft.<br />

Neben der Entstehung der Krypto-<br />

Wirtschaft (mafios organisierte Geschäfte)<br />

und in Folge von Krypto-Staaten sieht das<br />

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Mitglied des Club of Rome aber auch<br />

neue Ansätze einer regionalen Renaissance“<br />

eine Ebene, wo lokale Politiker<br />

und Behörden mit ihren Mitbürgern eine<br />

neue, eine eigene Zukunft zu gestalten<br />

versuchen.<br />

Bernhofer, Martin: Fragen an das 21.<br />

Jahrhundert. Wien: Zsolnoy, 2000, 358<br />

Seiten, ISBN 3552049630, 39,80 DM<br />

Pro Zukunft, Nr. 2, 2000<br />

Adelheid Biesecker u.a. (Hg.):<br />

Vorsorgendes Wirtschaften<br />

Vorsorgendes Wirtschaften sucht nach Gestaltungsprinzipien<br />

für eine Ökonomie, die<br />

die Entwicklung und Erhaltung von Gutem<br />

Leben, sowohl der Menschen als auch der<br />

natürlichen Mitwelt, ermöglicht und fördert.<br />

Das Besondere daran ist, dass Vorsorgendes<br />

Wirtschaften die Versorgungswirtschaft<br />

ebenso in die neu zu denkende und zu gestaltende<br />

Ökonomie einbezieht wie die Produktivität<br />

der Natur, dass es deren „Reproduktion“<br />

mit der „Produktion“ der Erwerbsökonomie<br />

bewusst verknüpft.<br />

Neben der Ausrichtung allen Wirtschaftens<br />

am Guten Leben werden zwei weitere<br />

Handlungsprinzipien des Vorsorgenden<br />

Wirtschaftens entwickelt: Kooperation und<br />

Vorsorge. Methodisch genau und sachlich<br />

fundiert leiten die AutorInnen diese Prinzipien<br />

her und setzen sie in Beziehung: zu<br />

anderen Theorien des Nachhaltigen Wirtschaftens<br />

ebenso wie zu solchen der Feministischen<br />

Ökonomie (ganz nebenbei und<br />

sehr nützlich findet sich hier eine konzentrierte<br />

Darstellung dieser Konzepte), vor allem<br />

aber zur Praxis.<br />

Um diese geht es im zweiten Teil des Bandes:<br />

Wo finden sich heute schon Orte, an<br />

denen kooperativ für ein Gutes Leben vorgesorgt<br />

wird - und was lässt sich von diesen<br />

lernen? Wie beschreiben ExpertInnen<br />

möglichst Vorsorgendes Wirtschaften in<br />

definierten Feldern der täglichen Ökonomie<br />

- von der Landwirtschaft über Bauen, Wohnen,<br />

Gesundheitsversorgung bis hin zu<br />

Bankwesen und Politik?<br />

Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem, was<br />

zur breiten praktischen Umsetzung des<br />

Konzeptes noch fehlt: andere ökonomische<br />

Spielregeln als die heutigen, ein „Weiter“denken<br />

altvertrauter Begriffe: sei es die Zeit,<br />

die Auffassung von Produktivität und Effektivität,<br />

die Mobilität, das Soziale und die<br />

Politik, die Kunst ... und die klare Benennung<br />

noch offener Fragen.<br />

A. Biesecker, M. Mathes, S. Schön, B.<br />

Scurrell (Hg.): Vorsorgendes Wirtschaften.<br />

Auf dem Weg zu einer Ökonomie des<br />

Guten Lebens. Bielefeld: Kleine-Verlag,<br />

2000, ISBN 3893703438, 286 S.<br />

Howken, Lovins:<br />

Ökokapitalismus<br />

Wenn die Ressourcen dieser Erde immer<br />

knapper, der Verbrauch aber weiter steigen<br />

wird, darf die Wirtschaft ihr Augenmerk<br />

zukünftig nicht länger auf menschliche Produktivität<br />

richten, sondern (muss) die Ressourcenproduktivität<br />

drastisch erhöht werden“<br />

- so die Autoren des neuen Buches<br />

Ökokapitalismus’. Diese neue, zukunftsfähige<br />

Marktwirtschaft soll dann soziale,<br />

ökonomische und ökologische Aspekte vereinigen<br />

und die klassische Industriegesellschaft<br />

ablösen. Ökologie wird nicht mehr<br />

als Wirtschaftshemmnis, sondern als wichtiger<br />

Wettbewerbsfaktor gesehen. Etwas<br />

weitschweifig, aber dennoch interessant,<br />

konkretisieren die Autoren, welche Auswirkungen<br />

der umgesetzte Ökokapitalismus<br />

auf verschiedene Industriezweige haben<br />

kann und schon hat. Ausführlich werden<br />

auch Möglichkeiten zur Ressourcensteigerung<br />

und die Umstrukturierung der lndustriegesellschaft<br />

noch biologisch fundierten<br />

Kriterien besprochen. Wenn dies gelingt,<br />

soll bei radikal reduziertem Verbrauch von<br />

Naturkapital dennoch die Lebensqualität<br />

beibehalten werden, Unsere Konsumgesellschaft<br />

soll zu einer umweltorientierten<br />

Dienstleistungsgesellschaft umgewandelt<br />

werden, die hauptsächlich von Investitionen<br />

in ökologisch nutzbringende Bereiche<br />

getragen wird.<br />

Die abschließende Betrachtung der aktuellen<br />

Diskussionslage in verschiedenen Wirtschaftskreisen<br />

zeigt, dass sich die Meinung<br />

nachhaltiges Wirtschaften ist erfolgreiches<br />

Wirtschaften“ immer mehr manifestiert.<br />

Howken, Paul, Lovins, Amory u. Hunter:<br />

Ökokapitalismus. Die industrielle Revolution<br />

des 21. Jahrhunderts. Wohlstand<br />

im Einklang mit der Natur, München:<br />

Riemann-Verlag., 2000, 511 S.,<br />

ISBN 3570500101<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

(aus: Zukünfte, Sommer 2000)<br />

Lester R. Brown u.a.:<br />

Vital Signs – Zeichen der Zeit<br />

2000/2001<br />

Dank der Initiative der Heinrich-Böll-Stifung<br />

(Berlin) liegt „Vital Signs“, seit 1992<br />

vom Worldwatch Institute in Washington<br />

herausgegeben, erstmals auch in deutscher<br />

Sprache vor. Es ist dies ein wichtiger Impuls<br />

für die sachkundige Auseinandersetzung<br />

mit weltweiten Trendentwicklungen,<br />

denn nirgends sonst findet man wirtschafts-<br />

, umwelt- und gesellschaftsrelevante Daten<br />

derart aktuell, übersichtlich und kompakt<br />

aufbereitet wie in dieser Reihe.<br />

Teil 1 informiert in neun Kapiteln (Lebensmittel,<br />

Landwirtschaft, Energieversorgung,<br />

Klima, Wirtschaft, Verkehrswesen, Kommunikation,<br />

Soziale Entwicklung, und Militär)<br />

über 34 Schlüsselfaktoren der Weltentwicklung,<br />

wobei neben vielen Defiziten<br />

auch Positives zur Sprache kommt.<br />

So ist, wie Lester Brown einleitend feststellt,<br />

in einer Zeit beschleunigten Wandels, das<br />

Volumen der Weltwirtschaft in den vergangen<br />

fünfzig Jahren um das Sechsfache gewachsen<br />

– angetrieben von einem rasant<br />

steigenden Verbrauch fossiler Brennstoffe,<br />

der in den letzten dreißig Jahren den CO 2 -<br />

Ausstoß um nicht weniger als 16 Prozent<br />

ansteigen ließ und nachweislich katastrophalen<br />

Folgen (Sturmschäden, Bränden,<br />

Überflutungen) zur Folge hatte. Dass hingegen<br />

allein im Jahr 1999 die Kohlenproduktion<br />

um weltweit 3 Prozent sank und<br />

die Stromerzeugung aus Windenergie um<br />

39 Prozent zunahm, kann als ermutigendes<br />

Zeichen registriert werden. Deutschland<br />

nimmt übrigens in diesem Sektor, gefolgt<br />

von den USA, die Spitzenstellung ein; die<br />

höchsten Zuwachstaten verzeichnet gegenwärtig<br />

Spanien.<br />

Uneinheitliches ist über den Nahrungsmittelsektor<br />

zu berichten. So steigt bei einem<br />

Bevölkerungszuwachs von 77 Millionen<br />

allein im Jahr 1999 die Produktion von<br />

Fleisch weiter an, während bei Getreide ein<br />

Pro-Kopf-Rückgang von 2 Prozent zu verzeichnen<br />

ist. Global nimmt andererseits der<br />

Trend zu Ökolandbau mit einer Gesamtfläche<br />

von 7 Millionen ha weiter zu. In<br />

punkto Wirtschaft zählt (zumindest finanziell)<br />

die Tourismusbranche mit gegenwär-<br />

tig 12 Prozent des Gesamtaufkommens<br />

neben dem E-Commerce-Sektor mit insgesamt<br />

111 Mrd. $ zu den großen Gewinnern.<br />

Düster nehmen sich zentrale gesellschaftliche<br />

Trends aus: Die Zahl der<br />

Todesopfer durch Aids, TBC, Tabakkonsum<br />

nimmt ebenso zu wie die Summe<br />

kriegerischer Konflikte.<br />

Die „Specials“ des zweiten Teils zu den<br />

Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft<br />

(insgesamt 16 Trends) runden den<br />

Band ab. Er ist unverzichtbar für alle, die<br />

sich über aktuelle Zukunftsentwicklungen<br />

informieren wollen.<br />

Lester R. Brown, Michael Renner, Brian<br />

Halweil : Vital Signs – Zeichen der Zeit<br />

2000/2001: Schlüsselindikatoren der<br />

Weltentwicklung. Schwalbach: Wochenschau-Verlag,<br />

2000. 182 S.,<br />

ISBN 38979200521, 38 DM<br />

Walter Spielmann (Pro Zukunft 4/00, Nr. 363)<br />

Herman E. Daly:<br />

Wirtschaft jenseits von Wachstum<br />

Herman E. Daly bemüht sich seit Jahren<br />

darum, die „Grundlagen einer Wirtschaft<br />

jenseits von Wachstum zu entwickeln. Die<br />

breite Diskussion seiner ebenso umfassenden<br />

wie fundierten Arbeit „Beyond Growth.<br />

The Economics of Sustainable Development“,<br />

die seit kurzem auch in deutscher<br />

Sprache vorliegt, könnte mit dazu beitragen,<br />

den Kollisionskurs mit Planet Erde in<br />

Richtung einer lebensbewahrenden Ökonomie<br />

zu korrigieren<br />

Voraussetzung für das Gelingen dieses<br />

ebenso ehrgeizigen wie schwierigen Unterfangens<br />

ist für Daly – von 1986-1994 selbst<br />

Mitglied der Weltbank – die Abkehr von<br />

der vorherrschenden Illusion eines ökonomischen<br />

Imperialismus zugunsten der Erkenntnis,<br />

dass „das Teilsystem Wirtschaft<br />

nicht über jenes Maß hinauswachsen darf,<br />

innerhalb dessen es vom umfassenden Ökosystem<br />

permanent aufrechterhalten oder getragen<br />

werden kann“. In Anbetracht der<br />

Tatsache, dass die BürgerInnen der USA –<br />

etwa 6 Prozent der Weltbevölkerung – an<br />

die 30 Prozent der global verfügbaren Ressourcen<br />

für sich beanspruchen, wird deutlich,<br />

dass bei dem unabdingbaren Paradigmenwechsel<br />

von quantitativem Wachstum<br />

hin zu qualitativer Entwicklung vor die<br />

Wohlstandsregionen des Nordens in die<br />

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Pflicht zu nehmen sind.<br />

Indem Daly eines der Postulate der traditionellen<br />

Ökonomie, Jeramy Benthams<br />

Maxime von der „Erreichung des größten<br />

Glücks für die größte Anzahl“ als nicht<br />

nur unmöglich, sondern darüber hinaus<br />

als unlogisch entlarvt, legt er den Weg<br />

frei für eine schöpfungsorientierte Wirtschaft,<br />

deren Ziel „ausreichend Glück für<br />

die größte (weil im voraus nicht bestimmbare)<br />

Anzahl“ ist. .Auf der Strecke bleibt<br />

folgerichtig auch die Doktrin des „Freien<br />

Marktes“, dem in Anbetracht des ungehinderten<br />

Stroms von Arbeitskraft und<br />

Kapital die Segnungen der „Unsichtbaren<br />

Hand“ längst abhanden gekommen<br />

sind. Soll es gelingen, nicht nur für uns,<br />

sondern auch für nachkommende Generationen<br />

einen lebenswerten Planeten zu<br />

erhalten, dann bedarf es – so des Autors<br />

Resümee – einer dreifachen Grenzziehung:<br />

Wir benötigen Grenzen des<br />

Wachstums (im Sinne des Verbrauchs pro<br />

Erdenbürger), Grenzen der Bevölkerungszahl<br />

und vor allem auch Grenzen<br />

der Ungleichheit. Dalys Vorschlag, die<br />

Einkommensdifferenz von garantiertem<br />

Mindest- und Höchsteinkommen mit<br />

dem Faktor 10 zu begrenzen, ist vorerst<br />

freilich ein Tabuthema, das in der medial<br />

inszenierten Politik der „Neuen Mitte“<br />

kaum noch diskutiert wird.<br />

Herman E. Daly: Wirtschaft jenseits von<br />

Wachstum. Die Volkswirtschaftslehre<br />

nachhaltiger Entwicklung. Salzburg: A.<br />

Pustet, 1999. 290 S. ISBN 3702503757<br />

49,50 DM<br />

Walter Spielmann (in: Pro Zukunft 1/99, Nr.1)<br />

Max Deml / Jörg Weber:<br />

„Grünes Geld“. Jahrbuch für<br />

ethisch-ökologische Geldanlagen<br />

Auf über 300 Seiten findet die Leserin bzw.<br />

der Leser einen vergleichsweise umfassenden<br />

Überblick über fast alle Möglichkeiten<br />

des Öko-Investments. Dies gilt unter anderem<br />

für die vielen einzelnen „Öko-“Aktien<br />

wie „Tomra Systems“ oder „SolarWord<br />

AG“. Daneben werden Themen wie „Öko-<br />

Rating“, der Natur-Aktien-Index (NAX),<br />

der 1999 lancierte Dow Jones Sustainability<br />

Global Index oder die „Graugrüne Liste“<br />

dargestellt. Neu sind die Kapitel über<br />

Pensionskassen und vor allem die zahlrei-<br />

chen Internetadressen, die dem Öko-Investment-Interessierten<br />

zusätzliche<br />

Informationsmöglichkeiten bieten. Auch<br />

die drei deutschen „Alternativbanken“ –<br />

die Ökobank, die GLS Gemeinschaftsbank<br />

und die Umweltbank AG –<br />

werden mit ihren verschiedenen Angeboten<br />

kurz skizziert. Die aktuellen Probleme<br />

der Ökobank waren zum Zeitpunkt<br />

der Fertigstellung des Manuskripts<br />

allerdings noch nicht bekannt. Insofern<br />

ist auch der Anspruch der Aktualität der<br />

Veröffentlichung mit Vorsicht zu<br />

geniessen. Das Buch erleichtert zwar die<br />

begrenzten Möglichkeiten des einzelnen,<br />

sich einen Überblick zu verschaffen. Ein<br />

Rezeptbuch zur privaten Geldanlage – so<br />

betonen die Autoren zurecht – ist es aber<br />

nicht. Der etwas kläglich wirkende Hinweis<br />

auf Branchenanalysen vergangener Jahre im<br />

Informationsdienst ÖKO-INVEST unterstreicht<br />

zusätzlich, wie schwierig es offensichtlich<br />

ist, in allen Bereichen Aktualität<br />

zu erzielen.<br />

Zusammenfassend lässt sich festhalten:<br />

„Grünes Geld“ gibt einen guten Überblick<br />

über ethisch-ökologische Geldanlagen im<br />

Sinne einer erläuternden Aufzählung, was<br />

alles existiert. Für eine praktische Entscheidung,<br />

sein Geld anzulegen, fehlen dem<br />

Buch allerdings die Tiefe und die Aktualität.<br />

Problematischer ist jedoch: Eine politischökonomische<br />

Auseinandersetzung mit der<br />

Thematik wird nicht geführt. Entsprechend<br />

enthält die Veröffentlichung keinen fundierten<br />

Artikel, der den gegenwärtigen Stand<br />

der Diskussion widerspiegelt oder gar weitertreibt.<br />

Bei einem „Jahrbuch“ stellt dies<br />

ein in zukünftigen Ausgaben zu behebendes<br />

grundlegendes Manko dar, das durch<br />

die Fleissarbeit der Autoren (umfassende<br />

Zusammenstellung) nicht wettgemacht wird.<br />

Max Deml / Jörg Weber: „Grünes Geld“.<br />

Jahrbuch für ethisch-ökologische Geldanlagen<br />

2000/2001, München 2000 (ISBN<br />

3-925646-60-4 / ALTOP Verlag), DM 39.<br />

Burghard Flieger<br />

Georg Dybe Holger Rogall (Hg.):<br />

Die ökonomische Säule<br />

der Nachhaltigkeit<br />

In den insgesamt 10 Beiträgen dieses Bandes<br />

werden gesamtwirtschaftliche, regionale<br />

und betriebliche Aspekte einer nachhal-<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

tigen Entwicklung beschrieben. Einer Zusammenfassung<br />

der unterschiedlichen Definitionen<br />

bzw. Strengegrade von Nachhaltigkeit<br />

sowie ihrer drei Säulen (ökologische,<br />

soziale und ökonomische N.) einschließlich<br />

von Indikatorensystemen und der zur<br />

Zielerreichung diskutierten Steuerungsansätze<br />

folgen Ausführungen zu<br />

den „Greening-Perspektiven“ des deutschen<br />

Innovationssystems (u.a. am Beispiel<br />

der Brennstoffzelle) sowie zu den<br />

Herausforderungen an das Umweltrecht<br />

im Zuge des Paradigmenwechsels vom<br />

Leitgedanken der Gefahrenabwehr hin<br />

zum Nachhaltigkeitsprinzip.<br />

Im zweiten Abschnitt werden die Chancen<br />

regionaler Unternehmensnetzwerke für eine<br />

nachhaltige Entwicklung, Ansätze regionalen<br />

Stoffstrommanagements unter besonderer<br />

Berücksichtigung von Verwertungsoptimierungen<br />

im Bereich des Abfalls sowie<br />

konkrete Beispiele der Regionalplanung<br />

anhand zweier europäischer Metropolen –<br />

Paris mit dem Schwerpunkt Raumordnung<br />

und Berlin mit dem Schwerpunkt Stadtteilentwicklung<br />

– erörtert.<br />

Der dritte, unternehmensspezifischen Fragestellungen<br />

gewidmete Abschnitt thematisiert<br />

schließlich Vorschläge, wie in Betrieben<br />

Nachhaltigkeit konkret verankert werden<br />

kann. Beate Zimpelmann, Mitarbeiterin<br />

der Investitionsbank des Landes Berlin,<br />

kommt zum Schluss, dass betrieblicher Umweltschutz<br />

nur eine Chance habe, wenn er<br />

mit anderen betrieblichen Aufgaben (Qualitätssicherung,<br />

Produktentwicklung, Markterschließung,<br />

Kooperationen) verknüpft<br />

werde. Anja Grothe-Senf. Professorin für<br />

Umweltökonomie an der FH für Wirtschaft<br />

Berlin, zeigt Instrumente zur Umsetzung<br />

des Nachhaltigkeitsprinzips in Unternehmen<br />

unter Einbindung aller betrieblichen<br />

Akteure auf, wobei sie insbesondere auf positive<br />

Erfahrungen mit Zukunftswerkstätten<br />

sowie der am Wuppertal-Institut entwickelten<br />

COMPASS-Methodik verweist. Die realen<br />

Probleme nachhaltiger Produktionsweisen<br />

werden schließlich am Beispiel der<br />

Berliner Textilbranche (von der Herstellung<br />

der Synthesefasern über ihre Veredelung<br />

und Verarbeitung bis hin zum Recycling)<br />

aufgezeigt.<br />

Georg Dbye, Holger Rogall (Hg.): Die<br />

ökonomische Säule der Nachhaltigkeit.<br />

Annäherungen aus gesamtwirtschaftlicher,<br />

regionaler und betrieblicher Perspektive.<br />

Berlin: Edition Sigma, 2000.<br />

242 S. ISBN 3894047887, 29,80 DM<br />

Hans Holzinger (Pro Zukunft 1/01, Nr. 31)<br />

Peter Holl, Ulrich Pfeiffer:<br />

Urban 21<br />

„Das Ziel urbaner Politik ist es, Städte hervorzubringen,<br />

die wirtschaftlich prosperieren,<br />

kulturell aktiv, sozial gerecht, sauber,<br />

grün und sicher sind und denen alle Bürger<br />

ein glückliches, produktives Leben führen<br />

können!“ (S. 59) Ein hohes Ziel, das die<br />

Autoren dieses Expertenberichts formulieren.<br />

Sie fordern Städte, die ihren Bürgern<br />

Arbeitsplätze, erschwingliche Wohnungen,<br />

Einrichtungen zur Gesundheitsvorsorge,<br />

Ausbildung für alle Kinder, Trinkwasser,<br />

moderne Kanalisation, bequeme und erschwingliche<br />

öffentliche Verkehrsmittel, Natur,<br />

Kultur und öffentliche Sicherheit bieten.<br />

Noch sind wir beileibe nicht soweit. Das<br />

macht auch die vorliegende Abhandlung<br />

deutlich, doch begnügt sie sich nicht damit,<br />

die bekannten Probleme der Städte und<br />

ihres rapiden Wachstums - noch Berechnungen<br />

der UNO wird die Stadtbevölkerung<br />

zwischen 2000 und 2025 von 2,4 Milliarden<br />

(Stand: 1995) auf 5 Milliarden anwachsen<br />

- einmal mehr zu benennen, sondern<br />

wartet mit konkreten und je nach Entwicklungsstadium“<br />

der Städte differenzierten<br />

Handlungsvorschlägen auf.<br />

Der Bericht, der als Grundlage für die während<br />

der EXPO in Hannover stattfindende<br />

Weltkonferenz URBAN 21 diente, setzt<br />

insbesondere auf eine Dezentralisierung der<br />

Aktionsebenen sowie eine aktive Beteiligung<br />

der StadtbewohnerInnen am Aufbau<br />

bzw. Erholt urbaner Lebensqualität („Nachhaltige<br />

urbane Entwicklung als zentrales<br />

politisches Ziel und dezentralisiertes, lokales<br />

Empowerment als Mittel zum Zweck der<br />

Realisierung dieses Zieles“, S. 61). So sollen<br />

die Menschen in den teilweise sehr chaotisch<br />

wachsenden Städten der Länder des<br />

Südens - die Autoren sprechen hier von<br />

„Entwicklungsstädten“ - eingebunden werden<br />

in den Bau von Wohnungen und Infrastrukturen,<br />

die aus der Not geborene Strategie<br />

des Sich-Durchschlagens und das<br />

Überleben in einem weitgehenden informellen<br />

Wirtschaftssektor sollen in die Stadt-<br />

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planung integriert werden. Das Ziel: Mit<br />

geringen Mitteln viel erreichen“ (S. 422).<br />

Selbstverständlich erfordern Entwicklungsstädte<br />

auch andere Verkehrslösungen als<br />

„reife Städte“ (so werden die kaum mehr<br />

wachsenden Städte der OECD-Länder bezeichnet).<br />

Werden für die einen Busse<br />

und Fahrräder empfohlen, die sich alle<br />

leisten können, sollen sich in den anderen<br />

ein modernes integriertes ÖV-System<br />

und „Ökoautos“ ergänzen. Insbesondere<br />

wird auch für eine politische Dezentralisierung<br />

einschließlich der Ausweitung<br />

der Steuerhoheit der Städte plädiert.<br />

Der Bericht, in den Erfahrungen von<br />

Expertinnen aus unterschiedlichen Ländern<br />

eingegangen sind - die Initiative zur<br />

URBAN 21 war von Deutschland mit den<br />

Partnerländern Brasilien, Südafrika und<br />

dem Stadtstaat Singapur ausgegangen -,<br />

macht deutlich, dass es keine Patentlösungen<br />

geben kann, Städte und urbanes<br />

Leben aber weltweit - und so auch in den<br />

Ländern des Südens - zum Motor von<br />

zivilgesellschaftlicher Entwicklung werden<br />

können. Den Optimismus schöpfen<br />

die Autoren dabei aus der Geschichte der<br />

europäischen und nordamerikanischen<br />

Städte, die zu impulsiven Zentren des<br />

Wohlstands geworden sind, ohne freilich<br />

deren aktuelle Probleme zu leugnen.<br />

Peter Holl, Ulrich Pfeiffer: Urban 21. Der<br />

Expertenbericht zur Zukunft der Städte.<br />

Stuttgart: DVA, 2000, 453 S., ISBN<br />

3421054223, 49,80 DM<br />

Hans Holzinger (Zukünfte Nr. 33, Herbst<br />

2000)<br />

Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.):<br />

Jenseits des Wachstums<br />

Auch die neue rot-grüne Regierung in der<br />

BRD setzt auf Wachstum, dabei spielten<br />

aber Elemente einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik<br />

eine größere Rolle als dies<br />

bisher der Fall war, so die Überzeugung von<br />

Ralf Fücks vom Vorstand der Heinrich-Böll-<br />

Stiftung. Der vorliegende Band möchte somit<br />

„Raum für eine moderne Wachstumsdebatte“<br />

schaffen. Einer Kritik des bisherigen<br />

Wachstumsmodells (Wouter van Dieren,<br />

Herman Daly, Elmar Altvater, Gerhard<br />

Maier-Rigaud ) folgen Perspektiven „nachhaltigen<br />

Wachstums“, etwa durch Gestaltung<br />

der Globalisierung (Ernst U. v. Weiz-<br />

säcker, Klaus Töpfer), die Entwicklung<br />

einer anderen Konsumkultur (Lisbeth<br />

Bakker, Gerhard Scherhorn, Uta von<br />

Wintersfeld u.a.), aber auch durch praktische<br />

Wege wie den Umstieg auf eine<br />

„Pflanzenchemie“ (Hermann Fischer).<br />

Kontrovers diskutiert werden die Chancen<br />

und Versprechungen durch mehr<br />

„Ökoeffizienz“. Da der alte Ausweg, „den<br />

Verteilungskonflikt durch exzessive Steigerung<br />

des Sozialprodukts zu dämpfen“<br />

(Fücks), nicht mehr offen stehe, werden<br />

auch Fragen der Umverteilung von Arbeit<br />

und Einkommen angesprochen<br />

(Adelheid Bisecker).<br />

Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Jenseits des<br />

Wachstums. Politische Ökologie; 66. 82<br />

S., 19,80 DM<br />

Hans Holzinger (in: Pro Zukunft 4/2000,<br />

Nr. 406)<br />

Jan Jakubowicz:<br />

Genussund Nachhaltigkeit<br />

Die Bücher über Nachhaltigkeit füllen mittlerweile<br />

ganze Umweltbibliotheken. Das<br />

vorliegende unterscheidet sich von der<br />

Mehrzahl dieser durch seine faszinierende<br />

Konkretheit. Und dabei gelingt es dem Autor,<br />

Handlungsmöglichkeiten für mehr<br />

Nachhaltigkeit aufzuzeigen, ohne auf die<br />

Moraldrüse zu drücken. Vielmehr macht das<br />

Buch Lust auf eine andere Art zu leben. Dan<br />

Jakubowicz – er ist Mitglied der Gruppe<br />

SOL (Verein „Menschen für Solidarität,<br />

Ökologie und Lebensstil“, ehemals Friends<br />

of the Earth Österreich) und hat an der Studie<br />

„Sustainable Europe“ mitgearbeitet –<br />

verfällt auch nicht der Gefahr, Veränderung<br />

auf den individuellen Wandel von Lebensweisen<br />

zu reduzieren, sondern sieht auch die<br />

Notwendigkeit politischer Reformen. Er<br />

macht auch klar, dass neue Lebensstile und<br />

ökologisches Verhalten eine angemessene<br />

Verteilung des Reichtums erfordert. Wer an<br />

der Armutsgrenze lebt, kann nicht von Zeitwohlstand<br />

und Weniger-Konsumieren träumen.<br />

Doch – und das macht das Buch auch deutlich<br />

– die Mehrheit der Menschen in den<br />

Wohlstandsländern lebt in noch nie da gewesenem<br />

materiellen Reichtum. Dass dieser<br />

nicht nachhaltig sein kann und wie er<br />

mit der Armut in den Ländern der Dritten<br />

Welt zu tun hat, zeigt Jakubowicz an zahl-<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

reichen Beispielen unseres alltäglichen<br />

Lebens. Zwei Nachhaltigkeitsgrößen dienen<br />

ihm dabei als Richtschnur: Der vom<br />

weltweit verfügbaren fruchtbaren Boden<br />

auf die derzeitige Weltbevölkerung hochgerechnete,<br />

jedem Menschen zustehende<br />

Umweltraum von 1500 Quadratmetern<br />

jährlich bzw. 4 Quadratmetern pro<br />

Tag (Ackerland und Weideflächen). Und<br />

zweitens das jedem Menschen zustehende<br />

CO 2 -Budget, das der Ökologe mit 2<br />

kg pro Tag veranschlagt (entspricht der<br />

laut Forschung verkraftbaren<br />

Durchschnittserwärmung der Erde um 0,01<br />

Grad C pro Jahr). Anhand der Bereiche Ernährung,<br />

Kleidung, Wohnen und Urlaub<br />

sowie Konsum und Arbeit zeigt Jakubowicz<br />

nun, wie wir über unsere Verhältnisse leben<br />

und wie wir unter Zugewinn an Lebensqualität<br />

Veränderungsschritte in Richtung<br />

Nachhaltigkeit setzen können. Er kommt<br />

dabei auch zu überraschenden Ergebnissen,<br />

etwa dass der Verkehr in unseren Nahrungsmitteln<br />

überschätzt und jener, den wir für<br />

das Einkaufen aufwenden, unterschätzt wird.<br />

Die Grundaussage des Autors, die er sehr<br />

anschaulich auch immer wieder mit Zahlen<br />

belegt, lautet: „Weniger ist oft mehr.“<br />

Weniger, dafür aber besseres Fleisch essen;<br />

weniger, aber qualitativere Kleidungsstükke<br />

besitzen (durch die Futtermittelimporte<br />

für unsere Mastviehhaltung sowie durch<br />

unseren exzessiven Baumwollverbrauch<br />

nehmen wir den Ländern des Südens fruchtbaren<br />

Umweltraum weg); weniger arbeiten<br />

und dafür auch weniger Konsumwaren erwerben<br />

(analog dem „Negawatt“-Prinzip im<br />

Energiebereich spricht der Autor von „Negaschillingen“<br />

– Geld, das ich nicht ausgebe,<br />

brauche ich auch nicht zu verdienen).<br />

Überlegtes Kaufen, Dinge selber reparieren,<br />

einem Tauschkreis beitreten, Freizeit als<br />

Muße begreifen, anders Wohnen (“Wohnprojekte<br />

als wohldosierte Gemeinsamkeit“)<br />

und schließlich anders Reisen – all dies sind<br />

für Jakubowicz Wege zu mehr Nachhaltigkeit.<br />

Diese führten schließlich auch zu mehr<br />

sozialen Kontakten, was wiederum Ersatzbefriedigungen<br />

durch Konsum erübrige:<br />

„Mit einem Satz: besser leben – besser: leben!“<br />

Bleibt nur hinzuzufügen: Ein Buch,<br />

das sich lohnt, gelesen zu werden.<br />

Der Autor freut sich über Leserrückmeldungen.<br />

Der Verein „Menschen für Soli-<br />

darität, Ökologie und Lebensstil“ (SOL)<br />

kann direkt (A-7411 Markt Allhau 5, Tel/<br />

Fax 0043/3356-265) oder auch über die<br />

Homepage: http://www.webseite.at/sol „besucht“<br />

werden.<br />

Jan Jakubowicz: Genuss und Nachhaltigkeit.<br />

Handbuch zur Veränderung des<br />

persönlichen Lebensstils. Wien: Promedia,<br />

1999, 158 Seiten,<br />

ISBN 3853711510, 26 DM<br />

Hans Holzinger (Pro Zukunft 4/99,<br />

Nr. 403)<br />

Reimut Jochimsen (Hg.):<br />

Globaler Wettbewerb und weltwirtschaftliche<br />

Ordnungspolitik<br />

Ist der vielstrapazierte Begriff „Globalisierung“<br />

nicht realistischerweise auf eine<br />

„OECD-isierung“ zu reduzieren, wie der<br />

deutsche Bundespräsident Rau in seinem<br />

Vorwort bemerkt? Durch das gesamte Buch<br />

zieht sich der ideologische Konflikt von<br />

Sozialdemokraten und ihnen nahestehenden<br />

Reformern, die darum ringen, die unaufhaltbar<br />

scheinende neoliberale Wirtschaftsexpansion<br />

in den Griff zu bekommen.<br />

Rau zitiert dabei den Herausgeber<br />

Jochimsen, der vor einem Rückfall vom liberalen<br />

Welthandel in den Protektionismus<br />

warnt. Wilhelm Hankel, ein auch von Regierungen<br />

und Zentralbanken der „Dritten<br />

Welt“ konsultierter Experte für Währungsund<br />

Entwicklungspolitik, spekuliert mit einem<br />

„monetären Völkerrecht“. Es soll mit<br />

reformiertem Internationalen Währungsfond<br />

(IMF) und Weltbank den zu harten<br />

Goldstandard und das zu weiche Bretton-<br />

Woods-System ablösen um „eine kontrollierte<br />

Strukturhilfefazilität für die armen<br />

Nach- und Aufholländer der Dritten und<br />

ehemals Zweiten, post-kommunistischen<br />

Welt zur Verfügung“ zu stellen (S. 148).<br />

Dies könnte seiner Vorstellung nach die<br />

Basis für ein „geordnetes Weltwährungssystem“<br />

sein. Dass dies durch eine runderneuerte<br />

Weltwirtschaftsordnung unter der<br />

Führung der WTO – die aus den Fehlern<br />

des MAI gelernt hätte – ergänzt werden<br />

müsste, ist die Überzeugung u.a. von Dieter<br />

Bender. Er unterstellt WTO-Kritikern des<br />

„Nordens“ Angst vor der Bedrohung ihres<br />

Wohlstandes und behauptet, dass durch die<br />

Globalisierung für die ärmeren Länder entwicklungsfördernde<br />

Potenziale entstehen<br />

9 �


� 10<br />

würden. Können dadurch die „local<br />

looser“ den „global playern“, mit denen<br />

sich Ewald Nowotny, Vizepräsident der<br />

Europäischen Entwicklungsbank, auseinandersetzt,<br />

ohne Machtgefälle entgegentreten?<br />

So hilfreich Modelle wie die<br />

„Agenda 21“ bzw. dezentral selbstorganisierte<br />

Projekte der „Bürgergesellschaft“<br />

(das Thema von Warnfried Dettling) im<br />

begrenzten Rahmen auch sind – können<br />

sie gegenüber einer ungezügelten Expansions-<br />

und Konzentrationseuphorie bestehen?<br />

Die prominente Gewerkschaftlerin<br />

Ursula Engelen-Kefer pocht zurecht<br />

eine Umsetzung der Forderungen der UN-<br />

Konferenz für soziale Entwicklung (Kopenhagen<br />

1995), eine Stärkung der Internationalen<br />

Arbeitsorganisation (ILO) und<br />

eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik.<br />

(Vor kurzem ging in Genf die Überprüfungskonferenz<br />

„Kopenhagen +5“ ohne<br />

befriedigende Ergebnisse zu Ende. Die<br />

Weiterarbeit geschieht künftig in der UN-<br />

Sozialkommission. Einen Hoffnungsschimmer<br />

bedeuten die Vorschläge der ILO zur<br />

Verteidigung und Durchsetzung der sozialen<br />

Rechte und Mindeststandards – nicht<br />

nur – für Arbeitnehmer.)<br />

Eines steht fest: Mit neuen Strategien und<br />

Zielen aktivierte Gewerkschaften und außerinstitutionelle<br />

Bürgerbewegungen müssen<br />

den mühsam kaschierten Hypothesen etablierter<br />

Experten ihre fundierten Analysen<br />

und Gegenkonzepte überzeugend und wirksam<br />

präsentieren.<br />

Reimut Jochimsen (Hg.): Globaler Wettbewerb<br />

und weltwirtschaftliche Ordnungspolitik.<br />

Bonn: Dietz, 2000, 293 S.,<br />

ISBN 3801202895, 24,80 DM<br />

Matthias Reichl (Pro Zukunft 3/00, Nr. 259)<br />

Alain Lipietz:<br />

Die große Transformation<br />

des 21. Jahrhunderts<br />

“Unsere Lebensweise, unsere Art und Weise<br />

zu produzieren, zu konsumieren und uns<br />

zu zerstreuen, formt beständig unsere Umwelt<br />

neu.“ Politische Ökologie sei daher<br />

eine Gesellschaftswissenschaft, ökologische<br />

Politik zunächst einmal eine Gesellschaftspolitik:<br />

Eine Politik für das ´bessere<br />

Leben´“. (S.9) Damit bestimmt Alain Lipietz<br />

seinen Zugang zu umweltpolitischem Handeln,<br />

ohne dabei die Brücken zu denen ab-<br />

zubrechen, die vom Eigenrecht der Natur<br />

und aller ihrer Lebewesen (“tiefe<br />

Ökologie“) ausgehen. Der Mitbegründer<br />

der französischen Grünen beruft sich<br />

zugleich auf eine Bestimmung von nachhaltiger<br />

Entwicklung, die nicht nur auf<br />

kommende Generationen gerichtet ist,<br />

sondern auch auf die Ärmsten in der heutigen<br />

Welt. Er spricht daher von einem<br />

„ökologisch-solidarischen Entwicklungsmodell“,<br />

das der von Rawls begründeten<br />

„Minimalgerechtigkeit“ verpflichtet ist.<br />

Da das „materielle Bruttoglück“ pro Kopf<br />

der westlichen Welt nachhaltig jedoch<br />

nicht verallgemeinerungsfähig ist, fordert<br />

der Autor ein differenziertes Vorgehen.<br />

Er setzt auf marktwirtschaftliche<br />

Instrumente, etwa Verschmutzungsabgaben<br />

und -lizenzen sowie Energiesteuern, die zu<br />

besseren Technologien führen, ebenso aber<br />

auf eine „kulturelle Revolution“, durch die<br />

nichtökologische Praktiken delegtimiert<br />

sowie neue „Wohlverhaltensregeln“ und<br />

„Selbstbeschränkungsabmachungen“ im<br />

Rahmen der Zivilgesellschaft etabliert werden<br />

(vgl. S. 70). Durch die Abkehr vom<br />

Konsumismus und den Wandel der Arbeit<br />

hin zu sinnvollen Tätigkeiten (soziale und<br />

kulturelle Arbeit, Ausweitung des Dritten<br />

Sektors - „Arbeit der Gemeinschaft durch<br />

die Gemeinschaft für die Gemeinschaft“, S.<br />

66 - würde ökologisches Wirtschaften greifen,<br />

eine Perspektive, die freilich mit<br />

„Lohnzettelgewerkschaften“ (S. 58) nicht<br />

zu machen sei.<br />

Für die Völker des Südens, die für Lipietz<br />

die Hauptleidtragenden sowohl lokaler<br />

Umweltkrisen (z.B. Smog in den Metropolen,<br />

Degradation fruchtbarer Böden) wie<br />

auch der planetarischen Klimaveränderungen<br />

(Überschwemmungen, Trockenperioden,<br />

Meeresspiegelanstieg) sein werden,<br />

verlangt der Ökologe Zugang zu den „saubersten<br />

Technologien“ (etwa im Rahmen<br />

internationaler Vereinbarungen, z. B. durch<br />

Handel mit Emissionsquoten), weiters die<br />

Einstellung der Subventionierung ökologisch<br />

zerstörerischer Großprojekte sowie<br />

ein Ende des Bemühens, „die EntscheidungsträgerInnen<br />

des Südens zu korrumpieren,<br />

um sie zur Wahl der allergefährlichsten<br />

Entwicklungsmodelle [nämlich,<br />

der unseren] zu verführen“ (S. 124).<br />

Alain Lipietz: Die große Transformation<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

des 21. Jahrhunderts. Ein Entwurf der<br />

politischen Ökologie. Münster: Westfälisches<br />

Dampfboot, 2000, 184 S.,<br />

ISBN 3896914707, 29,80 DM<br />

Hans Holzinger (Pro Zukunft 1/01, Nr. 12)<br />

Lothar Mayer:<br />

Ausstieg aus dem Crash<br />

Anders als frühere Versorgungswirtschaften<br />

verbrauche der Industriekapitalismus in –<br />

evolutionsbiologisch gesehen – rasantem<br />

Tempo die Ressourcen der Erde, um sich<br />

„auf ein maximales Expansionstempo<br />

hoch zu peitschen, bevor er in sich zusammenbricht“<br />

(S. 53). So die am Syntropiegesetz<br />

der Thermodynamik orientierte<br />

Ausgangsthese des Autors. Als<br />

„Triebwerk der Wachstumsspirale“ sieht<br />

der Kritiker des kapitalistischen Wirtschaftssystems<br />

(“Ein System siegt sich zu<br />

Tode“, 1992) ein Zusammenwirken der<br />

technischen Ausbeutung der fossilen<br />

Rohstoffe mit dem Prinzip der Geldakkumulation,<br />

welches unabhängig von den<br />

menschlichen Grundbedürfnissen auf permanente<br />

Expansion dränge. Möglich sei<br />

dies jedoch nur durch die fortwährende Ausweitung<br />

der Konsumsphäre, in der die basalen<br />

Versorgungserfordernisse (“needs“)<br />

von den scheinbar unbegrenzten Luxuswünschen<br />

(“wants“) abgelöst wurden.<br />

Diese Wachstumsspirale könne auch durch<br />

Reformen wie eine Ökologisierung des<br />

Steuersystems – so Mayer – nicht unterbrochen<br />

werden, da Effizienzgewinne immer<br />

wieder durch Konsumsteigerungen aufgehoben<br />

würden. Folgerichtig fordert er daher<br />

eine „ressourcenbegrenzte Wirtschaft“<br />

und schlägt hierfür nach oben limitierte C0 2 -<br />

Budgets als eine Art Zusatzwährung für jeden<br />

Erdenbürger vor. Neben dem Kaufpreis<br />

sollten alle Produkte und Dienstleistungen<br />

auch ihre C0 2 -Bilanz ausweisen. An der<br />

Kasse wird dann nicht nur der Geldpreis<br />

bezahlt, sondern auch der C0 2 -Wert vom<br />

persönlichen C0 2 -Budget des Käufers etwa<br />

über eine Chipkarte abgebucht. (C0 2 ist für<br />

Mayer nicht nur wegen der Kliamrelevanz<br />

ein geeigneter Indikator, sondern auch weil<br />

fossile Energie gegenwärtig die Basis der<br />

In-Wertsetzung von Natur darstellt, wiewohl<br />

hier etwa Atomenergie unberücksichtigt<br />

bleibt. Als Zielwert nennt Mayer etwa 2000<br />

kg C0 2 pro Jahr und Einwohner – der BRD-<br />

Bürger verbraucht derzeit etwa 12.000<br />

kg!.<br />

Der Vorschlag des Autors ist konsequent,<br />

weil er den Gerechtigkeitsaspekt ins Zentrum<br />

rückt: „Eine humane, sozial gerechte<br />

Gesellschaft ist nicht möglich, wenn die<br />

nicht sättigbaren Bedürfnisse mit den sättigbaren<br />

Bedürfnissen um die begrenzten<br />

Ressourcen konkurrieren“ (S. 82). Während<br />

der eine Teil der Menschheit im Überfluss<br />

lebt (der Autor spricht von der „Konsumentenklasse“),<br />

fehlt es vielen am Notwendigsten.<br />

Geld und Markt versagen hier als<br />

Steuerungsmedium. Sie sind aber auch<br />

blind hinsichtlich der Begrenztheit des<br />

„Umweltraums“. Doch – und dies ist der<br />

Pferdefuß – ist schwer vorstellbar, wie das<br />

Konzept einer „C0 2 -Währung“ politisch<br />

umgesetzt werden soll, fällt es doch schon<br />

schwer, Ökosteuern zu erlassen. Dennoch:<br />

Mayers Buch macht deutlich, dass Umweltpolitik<br />

– tatsächlich ernstgemeint – nur über<br />

völkerrechtlich verbindliche Kontingentierungen<br />

und eine „Grundbedürfnisstrategie“<br />

(S. 194) zu machen sein wird. Die Ausführungen<br />

regen zudem an, neben der ökologischen<br />

auch die kulturelle Sackgasse unseres<br />

Wohlstandsverständnisses zu erkennen<br />

(so zählte für mich das Kapitel über den<br />

„Konsum des Überflüssigen“ mit treffenden<br />

Seitenhieben gegen die künstlichen<br />

Traum- und Erlebniswelten zu den spannendsten!).<br />

Lothar Mayer: Ausstieg aus dem Crash.<br />

Entwurf einer Ökonomie jenseits von<br />

Wachstum und Umweltzerstörung. Oberursel:<br />

Publik-Forum-Verlag, 1999, 384 S.,<br />

39 DM<br />

Hans Holzinger (Pro Zukunft 4/99, Nr. 401)<br />

Gerd Michelsen (Hg.):<br />

Sustainable University<br />

Hochschulen fungieren als Orte der Wissensproduktion,<br />

Ausbildungs- und nicht<br />

zuletzt als Sozialisationsinstanzen für viele<br />

Menschen. Während meist „über die Welt<br />

da draußen“ reflektiert wird, sind Publikationen<br />

über eigene Aktivitäten selten. Hier<br />

nun liegt eine Ausnahme vor: der Untertitel<br />

der Publikation verdeutlicht das Anliegen<br />

des Sammelbandes aus der Universität<br />

Lüneburg: „Auf dem Weg zu einem universitären<br />

Agendaprozess“.<br />

Hintergrund der Einzelbeiträge ist ein von<br />

11 �


� 12<br />

der DBU finanziertes Vorhaben, indessen<br />

Teilprojekten es um die Themen<br />

Öko-Audit und Zertifizierung, Energetische<br />

Optimierung der Hochschule,<br />

Lebenswelt Hochschule, Nachhaltigkeit<br />

und Kunst, Lehre und Interdisziplinrarität,<br />

und um Information, Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Transfer geht. Konkretisiert<br />

werden die konzeptionellen Darlegungen<br />

durch direkten Bezug auf die<br />

erfolgten oder vorgesehenen Umsetzungsschritte<br />

an der Uni Lüneburg.<br />

Ergänzt werden die Beiträge durch die<br />

Hochschul-Charta „Copernicus“ und<br />

eine Liste der Signataren und Mitglieder<br />

dieses Netzwerkes europäischer Hochschulen.<br />

Während weltweit einige Hochschulen<br />

schon früh ihre eigene Ökologisierung<br />

anstrebten, beginnt das Leitbild<br />

Nachhaltigkeit erst langsam Einzug in<br />

deutsche Hochschulen zu finden.<br />

Umso verdienstvoller ist es, diese meist<br />

anregenden und motivierenden Beiträge in<br />

einem Band veröffentlicht zu hoben. Mit<br />

diesem Band startet übrigens die Veröffentlichungsreihe<br />

„Innovation in den Hochschulen:<br />

Nachhaltige Entwicklung“. Auf eine<br />

wichtige Website sei hier noch verwiesen:<br />

www.eco.compus.net. Eine sehr empfehlenswerte<br />

Publikation!<br />

Gerd Michelsen (Hg.): Sustainable<br />

University. Frankfurt/M.: VAS, 2000,<br />

252 S. 25 DM<br />

Edgar Göll (Zukünfte, Nr. 33, Herbst 2000)<br />

Edgar Morin, Anne B. Kern:<br />

Heimatland Erde<br />

Für einen ehemaligen Kommunisten und<br />

nach wie vor linken, französischen Intellektuellen<br />

scheint es ungewöhnlich, ein<br />

grundlegendes Werk zur Situation unserer<br />

Erde unter den Begriff „Heimatland“ zu<br />

stellen. Heimatlose, fanatische Linke könnten<br />

daraus einen bedenklichen Rechtsruck<br />

herauslesen. Dabei macht es sich Morin –<br />

im Dialog mit der Publizistin Kern – nicht<br />

leicht, um seine Abkehr vom proletarischen<br />

hin zum planetarischen Internationalismus<br />

zu erklären. Seinen Aufruf, die abendländische<br />

Philosophie grundlegend zu überdenken,<br />

begründet er wie folgt: „Wenn wir<br />

eine Zivilisationskrise haben, dann liegt das<br />

daran, dass die grundlegenden Probleme im<br />

allgemeinen als individuelle Probleme be-<br />

trachtet und von der Politik ausgespart<br />

werden, weil man ihre wechselseitige Abhängigkeit<br />

von den kollektiven Problemen<br />

der Allgemeinheit nicht erkennt. Die<br />

Politik der Zivilisation zielt darauf ab,<br />

den Menschen wieder in das Zentrum<br />

der Politik zu rücken, wieder mehr die<br />

Lebensqualität anstelle des Wohlstandes<br />

zu fördern. Eine Politik der Zivilisation<br />

müsste auf zwei essentiellen Achsen beruhen:<br />

der Humanisierung der Städte und<br />

dem Kampf gegen die Entvölkerung der<br />

Landgebiete...“<br />

Morins Stärke liegt in der Analyse des Zustandes<br />

unseres Planeten wenn er diagnostiziert:<br />

„Eine Zunahme der Unsicherheit<br />

in allen Bereichen, die Unmöglichkeit einer<br />

gesicherten Futurologie, eine extreme<br />

Vielfalt möglicher Zukunftsszenarien“,<br />

weiters den „Abbau von Regulierungen“<br />

sowie tödliche Gefahren<br />

für die Gesamtheit der Menschheit (Kernwaffen,<br />

Bedrohung der Biosphäre) und<br />

gleichzeitige Chancen, die Menschheit<br />

durch das Bewusstsein um die Gefahr vor<br />

der Gefahr zu bewahren“ (S. 109). Im<br />

Vorwort antwortet er auf seine Kritiker,<br />

die ihm entweder Pessimismus (z.B. im<br />

Kapitel „Evangelium des Untergangs“)<br />

oder naiven Optimismus angesichts der<br />

Hoffnung vorwerfen, dass die Erde doch<br />

noch zivilisierbar – etwa durch eine „Ökologie<br />

der Politik“ – wäre. Morin sieht<br />

gerade im Dialog zwischen diesen Extremen<br />

die Chance, „Hoffnung in die<br />

Verzweiflung zu bringen“.<br />

Offenbar aus Angst, schwer realisierbare Patentrezepte<br />

anzubieten, hält er ich bei den Konkretisierungen<br />

indes merklich zurück.<br />

Edgar Morin, Anne B. Kern: Heimatland<br />

Erde. Versuche einer planetarischen Politik.<br />

Hg. v. Wilfried Graf u.a. Wien: Promedia,<br />

1999, 206 S., ISBN 3853711391,<br />

34 DM<br />

Matthias Reichl (Pro Zukunft 1/00, Nr. 28)<br />

P.M.; Subcoma:<br />

Nachhaltig vorsorgen<br />

für das Leben nach der Wirtschaft<br />

Was bedeutet Subcoma? Subsistenz / Community<br />

/ A-Patriachat. Jene Stützpfeiler einer<br />

neuen nachhaltigen Wirtschaft, über die<br />

es sich gilt Gedanken zu machen, bevor das<br />

Klima kippt und die Wirtschaft crasht. Lasst<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

uns eine neue Welt basteln! Es ist nur<br />

eine Frage der Zeit, wann alles den Bach<br />

runtergeht, nutzen wir die Zeit uns darauf<br />

vorzubereiten, damit wir im Fall der<br />

Fälle nicht nur dumm rumstehen, außerdem<br />

könnten wir mit einem klaren Ziel<br />

den Crash beschleunigen. Step by step<br />

geht es im ersten Kapitel darum, was wir<br />

nicht wollen. Statistiken und Zahlenwerke<br />

belegen, warum wir diese Welt<br />

nicht wollen: ob Hunger, Umweltschädigungen,<br />

Geldverteilung, Arbeitsunfälle<br />

und Energieverbrauch, Stundenlöhne<br />

oder Tropenwälder, die Zahlen liegen<br />

seit zig Jahren auf den Tisch und<br />

sind für alle einsehbar.<br />

Daneben gehören zu dem „Wovon wollen<br />

wir weg” natürlich auch Analysen unseres<br />

Wirtschafts- und Sozialsystems: Französische<br />

Revolution; Arbeit, Krieg und Patriarchats-Kritik<br />

sind die Hauptthemen,<br />

die gelöst werden sollten. Die Maßnahmen<br />

diesmal müssen allerdings radikaler<br />

und nachhaltiger sein, denn die Arbeitskämpfe<br />

der letzten 40-50 Jahre<br />

brachten vielleicht für einige mehr Lohn,<br />

dafür aber für andere weniger Arbeit um<br />

sich die angebotenen Wünsche zu erfüllen.<br />

Das Internet erfüllt heute alle Wünsche<br />

ganz schnell, aber es handelt sich<br />

eben nur um elektronischen Ramsch. Es<br />

wurde für Geld gestreikt aber nicht für<br />

nachhaltiges Leben.<br />

Folglich wäre die nächste Frage: Wie kommen<br />

wir weg davon? Neben der zerstörerischen<br />

Arbeitsmaschine gibt es eben noch<br />

die „totalitäre Finanzmaschine” (S.34), die<br />

es zu stürzen gilt. Dieses Kapitel ist in vier<br />

Unterkapitel gegliedert, a) Regulationsvorschläge.<br />

Hier geht es um Minimallohn, Arbeitszeitmodelle,<br />

Währungspolitik, Tauschsysteme<br />

usw. Wie tauglich sind diese Reformversuche,<br />

die meist teure sind, und einer<br />

umfangreichen Regulation bedarf. b)<br />

Autonomievorschläge. „Träumen und Rechnen<br />

müssen zusammengehen” (S.53) so einer<br />

der Kernsätze, unter denen Schlagwörter<br />

wie Subsistenzperspektive und verschiedene<br />

Modelle von Kommunen abgehandelt<br />

werden. c) Wie stehen unsere Chancen?<br />

Hier werden Ansätze im gesellschaftlichen<br />

Bereich zu Veränderung nachgegangen.<br />

Neue Genossenschaftsbewegungen, militante<br />

NGOs, Alternative Zentren etc. mit der<br />

Quintessenz: „Bisher ist noch kein gesellschaftliches<br />

System an seinen Widersprüchen<br />

zu Grunde gegangen. Im Gegenteil.”<br />

(S. 82), und d) Subcoma. Hier<br />

fließen p.m.‘s Vorschläge ein, wie der<br />

„arbeitsfreie Mittwoch”, oder die Forderung<br />

nach „70 Milliarden [Schweizer<br />

Franken] für den LMO-Umbau der<br />

Schweiz” (S. 99) usw, incl. dem<br />

Saucengummelitag. „Wir sind der Crash<br />

– sorgen wir dafür, dass wir der letzte<br />

Crash sind.” denn „...die Arbeitsmaschine<br />

von ihrem Ende her denken, ist eine<br />

Voraussetzung dafür, um ihr Ende zu organisieren.”<br />

(S. 107).<br />

Im letzten Kapitel überbringt p.m. „Ideen<br />

für Zürich danach”, also eine entsprechende<br />

Umgestaltung seiner Heimatstadt, als<br />

Denkanstoß an die geneigt Leserschaft das<br />

selbe für ihre Städte (z.B.) in Angriff zu<br />

nehmen. Wie wäre es also mit einer lokalen<br />

Subcoma-Initiative?<br />

“Wichtig ist, dass die von der Arbeitsmaschine<br />

vorgegebenen Denkschemata durchbrochen<br />

und eine ganz andere Welt zuerst<br />

denkbar, dann realisierbar gemacht wird.”<br />

(S. 180)<br />

Wir brauchen mehr Ungeduld, was die Umsetzung<br />

angeht, und mehr Gelassenheit, was<br />

die Zukunft für uns bereit hält.<br />

P.M.; Subcoma – Nachhaltig vorsorgen<br />

für das Leben nach der Wirtschaft.<br />

P.M.s hilfsreiches Haushaltsbuch.<br />

Paranoia City Verlag Zürich 2000 / 192<br />

Seiten / 24 DM<br />

Jochen Knoblauch (Contraste, Nr 201,<br />

Juni 2001 – gekürzt)<br />

R.-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen,<br />

Hans Holzinger (Hg.):<br />

Nachhaltig – aber wie?<br />

Nachhaltigkeit bedeutet die Wahl von Lebens-<br />

und Wirtschaftsweisen, die von allen<br />

ErdenbürgerInnen beansprucht werden können<br />

ohne das globale Ökosystem zu zerstören,<br />

und die sicherstellen, dass auch spätere<br />

Generationen noch über intakte Lebensgrundlagen<br />

verfügen. Nachhaltigkeit erfordert<br />

daher ein ganzheitliches Verständnis<br />

von Umsteuerung, das ökologische, wirtschaftliche,<br />

soziale, politische und kulturelle<br />

Aspekte umfasst und das bei Veränderungen<br />

in unseren Wohlstandsländern ansetzt.<br />

Vierzehn namhafte AutorInnen stel-<br />

13 �


� 14<br />

len sich in diesem Band auf unterschiedliche<br />

Weise dieser Herausforderung in<br />

Beiträgen, die im Rahmen von Veranstaltungen<br />

der Robert-Jungk-Bibliothek<br />

für Zukunftsfragen in Salzburg entstanden<br />

sind.<br />

Thematisiert werden eine verbesserte Ökoeffizienz<br />

(Ernst U. v. Weizsäcker) ebenso<br />

wie lebendige Beziehungen zwischen den<br />

Menschen und gegenüber der Natur (Dorothee<br />

Sölle, Thea Bauriedl), nachhaltige Wirtschaftsstrukturen,<br />

die auch einen Nord-Süd-<br />

Ausgleich mit einschließen (Joachim H.<br />

Spangenberg, Peter Spiegel) nicht weniger<br />

wie neue Lebens- und Konsumstile (Wolfgang<br />

Sachs, Marianne Gronemeyer) sowie<br />

Perspektiven zukunftsfähiger Arbeits- und<br />

Sozialmodelle (Erich Kitzmüller, Ingrid<br />

Kurz-Scherf).<br />

Sieben die Texte beschließenden Interviews<br />

u.a. mit dem Leiter des Worldwatch-Instituts<br />

Lester Brown, dem Begründer des<br />

Alternativen Nobelpreises Jakob von<br />

Uexküll, dem Politökonomen Elmar Altvater<br />

und dem Eurosolar-Präsidenten<br />

Hermann Scheer thematisieren nochmals<br />

unterschiedliche Aspekte nachhaltiger<br />

Entwicklung.<br />

Wiewohl mehrheitlich von Wissenschaftler-<br />

Innen verfasst, haben die Beiträge essayistischen<br />

Charakter, die auch Lesevergnügen<br />

bereiten wollen. Der Band ist eine Art Lesebuch,<br />

das zum Immer-Wiederlesen einlädt.<br />

Das Buch kann direkt bei der Robert-Jungk-<br />

Bibliothek für Zukunftsfragen – JBZ (Imbergstr.<br />

2, 5020 Salzburg, Tel. 0662/873206,<br />

Fax DW 14, E-Mail: jungk-bibliothek<br />

@salzburg.at) sowie über den Buchhandel<br />

bezogen werden.<br />

Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen<br />

/ Hans Holzinger (Hg.): Nachhaltig<br />

– aber wie? Wege zur Zukunftsfähigkeit.<br />

Salzburg: JBZ-Verlag Neuaufl. 2001.<br />

206 Seiten, ISBN 3950118101, 20 DM<br />

Holger Rogall:<br />

Bausteine einer zukunftsfähigen<br />

Umwelt- und Wirtschaftspolitik<br />

Dass wir in der Zukunft nicht in der gleichen<br />

Weise wirtschaften können, wie wir<br />

es bisher getan haben, steht für Rogall, den<br />

Autor des Buches „Bausteine einer zukunftsfähigen<br />

Umwelt- und Wirtschaftspo-<br />

litik“ außer Frage. Das Buch ist ein allgemein<br />

verständliches Werk, das sich von anderen<br />

Umweltökonomie-Lehrbüchern insbesondere<br />

dadurch unterscheidet, dass es<br />

ohne die Darstellung mathematischer Gleichungen<br />

oder Graphen auskommt. Theoretische<br />

Hintergründe der Umweltökonomie<br />

werden nur peripher behandelt, im Vordergrund<br />

steht die praktische Anwendbarkeit<br />

und Umsetzung umweltökonomischer<br />

Erkenntnisse. Mit dem Werk sollen,die Voraussetzungen<br />

für ein erfolgreiches Umweltmanagement<br />

gelegt werden.’ (S. 24)<br />

Zweck des Werkes ist die praxisorientierte<br />

Einführung in die Neue Umweltökonomie<br />

und Ökologische Ökonomie“. Rogall erläutert<br />

zuerst die neoklassische Umweltökonomie,<br />

die das partielle Marktversagen analysiert,<br />

das durch die Externalisierung der<br />

Umweltkosten, die Nutzung der Umweltgüter<br />

als öffentliche Güter u.a. verursacht<br />

wird. Aus neoklassischer Sicht sollen Umweltschäden<br />

so lange verringert werden,<br />

bis die dazu aufzuwendenden<br />

Vermeidungskosten gleich den Umweltschadenskosten<br />

sind. Rogall geht davon<br />

aus, dass das Konstrukt der neoklassischen<br />

Umweltökonomie allein keine<br />

ausreichenden wissenschaftlichen Grundlagen<br />

für eine zukunftsfähige Umweltund<br />

Wirtschaftspolitik legen kann. Vielmehr<br />

sei es erforderlich, Aspekte einer<br />

nachhaltigen Entwicklung in die ökonomische<br />

Betrachtungsweise zu integrieren, wie<br />

es die Wissenschaft der „Ökologischen<br />

Ökonomie“ tut. Rogall entwickelt die neoklassische<br />

Umweltökonomie weiter zu einer<br />

„Neuen Umweltökonomie“ durch die<br />

Integration der zentralen Erkenntnisse der<br />

Ökologischen Ökonomie.<br />

Die Neue Umweltökonomie soll die Diskussion<br />

über umweltpolitische Instrumente<br />

weiterführen, diese auf das Konzept der<br />

Nachhaltigen Entwicklung ausrichten und<br />

dabei den drei Strategiepfaden Effizienz-,<br />

Suffizienz- und Substitutionsstrategie folgen.<br />

Dass dies kein Selbstläufer“ werden<br />

wird, betont der Autor. Ganz im Gegenteil,<br />

die Einleitung einer Nachhaltigen Entwicklung<br />

mit dem „ökologischen Umbau der<br />

Industriegesellschaft“ erfordert einen grundlegenden<br />

Paradigmenwandel.<br />

Ein wesentliches Charakteristikum der<br />

Neuen Umweltökonomie ist der trans-<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

disziplinäre Ansatz, mit welchem Schnittstellen<br />

zu anderen umweltrelevanten Fachdisziplinen<br />

erschlossen werden. Von diesen<br />

weiteren relevanten Fachdisziplinen haben<br />

insbesondere das Umweltrecht (mit einem<br />

gesonderten Beitrag von Stefan Klinski)<br />

und die Umweltpolitik mit einer ausführlichen<br />

Analyse der Akteure einer Nachhaltigen<br />

Umweltpolitik Einzug in dieses Werk<br />

gefunden. Anhand der Handlungsfelder<br />

Energie, Abfall, Verkehr, Ökodesign und<br />

Wirtschaftspolitik zeigt Rogoll abschließend,<br />

welche konkreten Beiträge die Erkenntnisse<br />

der Neuen Umweltökonomie zu<br />

einer zukunftsfähigen Entwicklung leisten<br />

können.<br />

Rogall operationalisiert den Nachhaltigkeitsbegriff<br />

und veranschaulicht die Bedingungen<br />

und Voraussetzungen für eine zukunftsfähige<br />

Entwicklung. Hiermit könnte<br />

er die Aufklärung darüber vorantreiben,<br />

welche Schritte hin zur Schaffung „geeigneter<br />

Rahmenbedingungen“ für eine zukunftsfähige<br />

Entwicklung geschaffen<br />

werden können.<br />

Dieses Einführungsbuch dürfte insbesondere<br />

ökonomisch Interessierten zahlreiche<br />

Informationen, Argumente und Anregungen<br />

zur zukunftsfähigen Gestaltung<br />

von Wirtschaft und Gesellschaft an die<br />

Hand geben: sehr empfehlenswert.<br />

Holger Rogall: Bausteine einer zukunftsfähigen<br />

Umwelt- und Wirtschaftspolitik.<br />

Berlin: Duncker & Humblot, 2000, 565<br />

S., ISBN 3428102134, 68 DM<br />

Richard Hamisch (Zukünfte, Nr. 34, Winter<br />

2000/2001)<br />

G. Schönborn, A. Steinert (Hg.):<br />

Sustainability Agenda<br />

Der Luchterhand-Verlag legt eine neue Buchreihe<br />

auf mit dem Titel „Kohtes Klewes bei<br />

Luchterhand“ - als einer der ersten Bände<br />

erscheint die „Sustainability Agenda“, Das<br />

Buch vereint eine Reihe von Texten und viel<br />

Neues zum Thema nachhaltige Entwicklung<br />

aus Sicht der Wirtschaft - und speziell<br />

aus Sicht der Unternehmenskommunikation.<br />

Prominente Gastautoren, Interview<br />

und Gesprächspartner haben zum Entstehen<br />

des Buches beigetragen: Tell Münzing<br />

und Peter Zollinger von der britischen<br />

Beratungsorganisation SustainAbility Ltd.<br />

erläutern den konstruktiven Umgang mit<br />

kritischen Anspruchsgruppen. Prof. Stefan<br />

Schaltegger von der Universität Lüneburg<br />

beschreibt die Börsenrelevonz nachhaltig<br />

wirtschaftender Unternehmen. Volkmar<br />

Lübke - ehemals beim Institut für Markt<br />

Umwelt Gesellschaft (IMUG) und heute bei<br />

der Verbraucher Initiative - stellt die Frage<br />

noch den sozialen Nachhaltigkeitsindikatoren<br />

bei Unternehmen. Shell-Aufsichtsrat<br />

Prof. Fritz Vahrenholt erklärt erstmals, warum<br />

er den Vorstandssitz des Unternehmens<br />

niederlegte. Umweltberichtsexperte Dr.<br />

Klaus Fichter wägt zwischen Umwelt- und<br />

Nachhaltigkeitsberichten ab.<br />

Gregor Schönborn, Andreas Steinert<br />

(Hg.): Sustainability Agenda – Nachhaltigkeitskommunikation<br />

für Unternehmen<br />

und Institutionen, Neuwied und<br />

Kriftel: Luchterhand, 2001, 98 S., ISBN<br />

3472045752, 38 DM<br />

(aus: Zukünfte Nr 34, Winter 2000/2001)<br />

Udo E. Simonis (Hg.):<br />

Ökonomie + Ökologie<br />

Welche Chance einer nachhaltigen Entwicklung<br />

hat die Wirtschaft als offenes Subsystem<br />

des Ökosystems wenn dieses ohne<br />

Unterlass von der „leeren zu einer vollen<br />

Welt“ umgestaltet wird? Wie (über)voll ist<br />

sie jetzt schon? Diese Fragen stellt der Berliner<br />

Ökonom und Umweltexperte Udo<br />

Ernst Simonis anhand eines Schaubilds des<br />

US-amerikanischen Wirtschaftswissenschafters<br />

und alternativen Nobelpreisträgers<br />

Hermann E. Daly (S. 8f.). Die hier versammelten<br />

Arbeiten aus den Jahren 1995-99 -<br />

teils in Englisch, Italienisch und Spanisch<br />

(leider ohne deutsche Zusammenfassung) -<br />

für das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung<br />

(WZB) illustrieren des Herausgebers<br />

beeindruckende Überzeugungsarbeit.<br />

Der Kampf für eine nachhaltige, regenerative<br />

Nutzung unseres Ökosystems sei<br />

noch nicht verloren, ist Simonis zuversichtlich.<br />

Er zeigt etwa am Beispiel des Protokolls<br />

zur UN-Klimakonferenz 1997 in<br />

Kyoto auf, mit welchen Methoden und<br />

Techniken die gesteckten Ziele einer Emissionsreduzierung<br />

erreicht werden könnten.<br />

Ein anderer Beitrag beschäftigt sich mit<br />

praktikablen Voraussetzungen für einen<br />

Handel mit Emissionszertifikaten zwischen<br />

Nord und Süd, der kein billiger Kuhhandel<br />

15 �


� 16<br />

sein sollte. Im Blick auf die derzeit vorherrschenden<br />

fiskalischen Restriktionen<br />

in der Entwicklungszusammenarbeit erscheinen<br />

Simonis’ Erwartungen in eine<br />

praktizierte Solidarität der reichen Länder<br />

des Nordens allzu zuversichtlich. Die<br />

Reichen sollten „den Entwicklungsländern<br />

die diesen durch Klimaschutz entstehenden<br />

Kosten ersetzen...“ (S. 174).<br />

Die Finanzierung müsste eigentlich aus<br />

der „Globalen Umweltfazilität“ (GEF)<br />

kommen. Muss daher ein auf globaler<br />

Ebene ein „institutionelles Lernen in der<br />

Weltumweltpolitik“ vorausgehen, der<br />

Umweltökonom gemeinsam mit Frank<br />

Biermann am Beispiel der Ozonpolitik<br />

darlegt? Unter Kontrolle der Vertragsstaatenkonferenz<br />

– so einer der Vorschläge -<br />

sollte ein „Multilateraler Fonds“ auf dem<br />

Weg über UNDP, UNEP, UNIDO und<br />

Weltbank Länderprogramme zum Abbau<br />

ozonschädigender Substanzen in Entwicklungsländern<br />

initiieren und organisieren<br />

(S. 105).<br />

Große Hoffnungen setzt Simonis in seinem<br />

letzten Beitrag in ein „Projekt 2000: -<br />

eine Weltorganisation für Umwelt und<br />

Entwicklung“ (S. 197ff.), das durch den<br />

Zusammenschluss des Umweltprogramms<br />

der UNO (UNEP) und der<br />

UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung<br />

(CSD) synergetische Effekte<br />

erzielen sollte. Simonis stellt sich auch<br />

den Forderung einiger Experten nach<br />

„Supranationalen Umweltbehörden, einem<br />

Internationalen Umweltgerichtshof und<br />

handelsbeschränkenden Maßnahmen“. „Ein<br />

Grundproblem aller multinationalen Finanzierungsmaßnahmen“,<br />

so seine Einschätzung,<br />

„bleibt weiterhin, dass es keine bindenden,<br />

durchsetzbaren Verpflichtungen<br />

gibt. Debt-for-nature-Tauschgeschäfte hatten,<br />

soweit von Nichtregierungsorganisationen<br />

durchgeführt, mangels ausreichender<br />

Eigenmittel nur marginale Bedeutung<br />

... In der CSD wurden vor allem zwei Arten<br />

automatischer Finanzierungsquellen debattiert,<br />

die beide mit internationalen Transaktionen<br />

zu tun haben: eine internationale<br />

Luftverkehrssteuer und eine Devisenumsatzsteuer...“<br />

(S. 210). Simonis’ Wunsch,<br />

dass diese Weltorganisation noch vor dem<br />

Ende dieses Jahres Realität werde, erscheint<br />

angesichts der ökonomisch-politischen<br />

Weltlage und der ausstehenden Reform<br />

der UNO leider kaum realistisch.<br />

Udo Simonis (Hg.): Ökonomie + Ökologie.<br />

Hg. v. Udo Ernst Simonis. Berlin:<br />

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung<br />

(WZB), 2000. 236 S.<br />

Matthias Reichl (Pro Zukunft 3/00, Nr.264)<br />

Ernst Ulrich v. Weizsäcker u.a.:<br />

Das Jahrhundert der Umwelt<br />

Waren die bisherigen Weltausstellungen,<br />

deren erste 1851 in London ihre Pforten öffnete,<br />

vor allem darauf ausgerichtet, als industrielle<br />

Leistungsschau der Superlative<br />

die Beherrschung der Natur vor Augen zu<br />

führen, so stehen nächstes Jahr in Hannover,<br />

der ersten in Deutschland stattfindenden<br />

Großveranstaltung dieser Art, Mensch<br />

und Natur im Zentrum. Ein Themenpark<br />

wird sich den Grundbedürfnissen des Menschen,<br />

insbesondere den Bereichen Ernährung,<br />

Gesundheit, Energie, Mobilität sowie<br />

Wissen (Information/Kommunikation) widmen,<br />

und dabei vor allem Beispiele und Perspektiven<br />

einer global nachhaltigen Entwicklung<br />

thematisieren. Die „Expo 2000“<br />

als Pforte zum Jahrhundert der Umwelt?<br />

Ernst U.v.Weizsäcker, Leiter des renommierten<br />

„Wuppertal-Instituts“ und seit kurzem<br />

auch Mitglied des Deutschen Bundestages<br />

(SPD), ist davon überzeugt. „Ein großer<br />

Zorn über den hochtechnisierten Raubbau<br />

des 20. Jahrhunderts und seine Antriebskräfte<br />

dürfte zu einer tiefgreifenden<br />

Diskreditierung der Ökonomie und Wirtschaftspolitik<br />

heutiger Prägung führen.“<br />

(S.21)<br />

Dass Wirtschaft und Umwelt zum Vorteil<br />

beider Seiten versöhnbar sind, dies ist indes<br />

weit mehr als graue Theorie. An zahlreichen<br />

Beispielen – von Kleinprojekten<br />

wie dem (so gut wie) abwasserfreien Haus<br />

oder dem von dem Solararchitekten in Freiburg/Br.<br />

realisierten „Plusenergiehaus“ über<br />

innovative Formen der kommunalen Energieversorgung<br />

(bei RWE) oder Wassersanierung<br />

(Berlin) bis hin zur Umsetzung der<br />

„energieökologischen Modellstadt“ Ostritz<br />

– werden eindrucksvoll und allgemein verständlich<br />

Projekte realisierter Öko-Effizienz<br />

beschrieben. Dem Umbau der (materialintensiven)<br />

Konsum- zur „ressourcenschonenden<br />

Dienstleistungsgesellschaft, „grünen“<br />

Aktien sowie einigen erfolgreichen<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

Wegbereitern des „Umwelt-Jahrhunderts“<br />

sind weitere Ausführungen v.<br />

Weizsäckers gewidmet.<br />

Von gleichfalls hohem Niveau sind die weiteren<br />

vier Beiträge in diesem Band. Katsuo<br />

Seiki, dem jüngst verstorbenen Mitglied der<br />

„Global Scenario Group“, ist ein richtungsweisender<br />

Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte<br />

zu danken. Er beschreibt sechs Szenarien<br />

globaler Entwicklung, die von den<br />

Faktoren Bevölkerung / Wirtschaft / Umwelt<br />

/ Gerechtigkeit / Technische Entwicklung<br />

und Konflikte determiniert werden,<br />

skizziert Schwerpunkt der (staatlichen) japanischen<br />

Zukunftsplanung und plädiert für<br />

einen globalen „Technologiepakt“ um dem<br />

Ziel „Nachhaltige Weltgesellschaft“ zu realisieren.<br />

„Vier Pfade in die Zukunft der Niederlande“,<br />

jeweils gestützt auf konkretes<br />

Datenmaterial, steuert der Umweltökonom<br />

Harmen Verbruggen bei, wobei er – ein<br />

spannendes Detail unter vielen – in den<br />

beiden Szenarien „starker Nachhaltigkeit“<br />

von 20,3 (!) Stunden bezahlter Wochenarbeitszeit<br />

– derzeit in den Niederlanden<br />

durchschnittlich 27,5 – ausgeht.<br />

Martin Khor, Direktor des „Third World<br />

Network“ in Penang/Malaysia, ist mit einem<br />

ebenso mutig-vehementen wie faktenreichen<br />

Beitrag über die mächtigen Gewinner<br />

der Globalisierung (WTO, Weltbank<br />

und OECD) vertreten und fordert eine Stärkung<br />

der UNO auf dem Weg zu einer<br />

„durchsetzungsfähigen und demokratischen<br />

Weltregierung“.<br />

Wirtschafts- und sozialgeschichtlich grundierte<br />

Überlegungen zur Selbstbestimmung<br />

in Lateinamerika von Henri Acselrad beschließen<br />

den Band.<br />

Ernst Ulrich v. Weizsäcker u.a.: Das Jahrhundert<br />

der Umwelt. Vision: Öko-effizient<br />

leben und arbeiten. Frankfurt.: Campus,<br />

1999. 235 S.,<br />

ISBN 3593360349, 36 DM<br />

Walter Spielmann (Pro Zukunft 3/99, Nr.238)<br />

Ruth Amsler u.a. (Hg.):<br />

Zukunfts-Perspektiven.<br />

Widerspruch Heft 40<br />

Der „Terror der Ökonomie“ und die Globalisierungsfolgen,<br />

weltweite Ungleichheit<br />

und zunehmende Verarmung, soziale Spaltung<br />

und Naturzerstörung, aber auch die<br />

heterogene Anti-Globalisierungsbewegung<br />

haben in den letzten Jahren neue Kontroversen<br />

über Alternativen zur Politik<br />

des Kapitals und über linke Perspektiven<br />

ausgelöst. Mit Heft 40 liegen Beiträge<br />

aus thematisch unterschiedlichen Sachgebieten<br />

vor - Entwicklungsanalysen,<br />

Forschungsnotizen, Skizzen alternativer<br />

Konzepte und Reformperspektiven.<br />

Arnold Künzli plädiert einleitend für eine<br />

Rückbesinnung auf Freiheit, Gleichheit,<br />

Brüderlichkeit/Schwesterlichkeit, auf die<br />

Tradition des sozialen Ethos. Die Zukunft<br />

der radikaldemokratischen Linke liegt in der<br />

politischen Demokratie und in der Wirtschaftsdemokratie.<br />

Zugleich geht es im<br />

Weltkapitalismus, so Elmar Altvater, um<br />

Massnahmen gegen die „financial repression“<br />

des internationalen Währungs- und<br />

Finanzsystems durch Regulation und Reform<br />

der internationalen Finanzmärkte. Ob<br />

mit dem Modernisierungskurs a la Blair/<br />

Schröder der notwendige Umbau des europäischen<br />

Wohlfahrtsstaates, der dem Kapitalismusmodell<br />

der USA weit überlegen ist,<br />

gelingt, ist für Michael R. Krätke bei aller<br />

Skepsis noch offen,<br />

In Jeremy Rifkins neuem Buch „The Age<br />

of Access“ vermisst Andre Gorz Widerstandsformen<br />

gegen die totalitäre Kontrolle<br />

der Informations- und Wissensgesellschaft<br />

über mehr und mehr Menschen, über<br />

die Freizeit- und Kulturindustrie. Der „Hyperkapitalismus“<br />

beschleunigt die Ökonomisierung<br />

des Sozialen und setzt auf unbezahlte<br />

Arbeit, auf Freiwilligenarbeit. Es ist<br />

nach Mascha Madörin höchste Zeit, die<br />

Debatte über Care Economy aufzunehmen.<br />

Carola Möller geht es ebenso aus feministischer<br />

Sicht um die Frage nach neuen Wertmaßstäben<br />

in der Solidarischen Ökonomie,<br />

nach bedürfnisorientierter Neugestaltung<br />

von Arbeit. Chancen zur Bewältigung gesellschaftlicher<br />

Benachteiligung durch kollektive<br />

Selbsthilfe sieht Burghard Flieger<br />

in Sozialgenossenschaften. Dieser Aktualität<br />

des Genossenschaftsgedankens völlig<br />

entgegengesetzt ist, wie Heiner Busch ausführt,<br />

das sicherheitsstaatliche Konzept<br />

„community policing“, die Verpolizeilichung<br />

zum Beispiel der Asyl- und Ausländerpolitik<br />

sowie der Sozialarbeit.<br />

In der Politische Ökologie wird intensiv<br />

über Zukunftsfähigkeit diskutiert. Mosshen<br />

Massarrat skizziert sein neues Konzept:<br />

17 �


� 18<br />

Chancengleichheit als Universalethik der<br />

globalen integrativen Nachhaltigkeit. Der<br />

Ausstieg der US-Regierung aus dem<br />

Klima-Protokoll von Kyoto Ende März bedeutet<br />

eine energiepolitische Herausforderung<br />

für Europa. Die Energiewende hat jetzt<br />

für Michael Müller erste Priorität in der<br />

ökologischen Modernisierung. Allerdings ist<br />

dabei, so Willi Brüggen, von der Ökosteuer<br />

Abschied zu nehmen und neu über den Zusammenhang<br />

von Natur, Arbeit und Energie<br />

nachzudenken. Alternative Modelle von<br />

partizipatorischer Planung und von der Sozialisierung<br />

des Marktes, über die Meinhard<br />

Creydt aus dem angelsächsischen Kontext<br />

berichtet, bereichern die Debatte über ökosoziale<br />

Politik.<br />

Nach den Jahren hoher Arbeitslosigkeit in<br />

der Schweiz ist jetzt in der Gewerkschaftspolitik,<br />

so Andreas Rieger in seiner Bilanz,<br />

Offensive angesagt, programmatische Neuausrichtung,<br />

eine Zukunftsdebatte. In Anbetracht<br />

der Globalisierung insistiert Dan<br />

Gallin dabei auf eine Reform der Organisationsstruktur<br />

und fordert einen neuen Internationalismus<br />

der Gewerkschaften.<br />

Ruth Amsler u.a. (Hg.): Zukunfts-Perspektiven.<br />

Zürich: Widerspruch, Heft<br />

40, 2001, 208 S., www.widerspruch.ch<br />

ALTERNATIVE ÖKONOMIE<br />

BAG Lebensmittelkooperativen (Hg.):<br />

Das Food-Coop Handbuch<br />

Endlich ist es erschienen, das lange angekündigte<br />

Handbuch von und für Food<br />

Coops; herausgegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

der Lebensmittelkooperativen.<br />

Erstellt wurde das Handbuch, das<br />

sich als Leitfaden vor allem bei der Neugründung<br />

von Einkaufsgemeinschaften für<br />

ökologische und/oder regionale Lebensmittel<br />

versteht, von Coop-AktivistInnen, die<br />

viel Praxiserfahrungen einfliessen lassen.<br />

Aber auch bestehende Food Coops dürften<br />

noch etliche Tipps und Anregungen zu Bestell-<br />

und Abrechnungssystemen oder anderen<br />

praktischen Themen entdecken. Neben<br />

der Vorstellung verschiedener Coop-<br />

Modelle geht es um Gründung, Ladenräume<br />

und -gestaltung, Warenbezug und -abgabe.<br />

Weiter werden rechtliche und finanzielle<br />

Fragen relativ ausführlich angespro-<br />

chen, ebenso die (Nicht-)Kommunikation<br />

unter den Coop-Mitgliedern. Das<br />

Handbuch reizt alle, die mehr und<br />

genaueres über Food Coops, ihre Geschichte<br />

und ihre Probleme erfahren wollen,<br />

zum Schmökern.<br />

In zwei Schlusskapiteln wird versucht, Food<br />

Coops und (ökologische) Landwirtschaft in<br />

ihrem Verhältnis zur Gesellschaft politisch<br />

einzuordnen. Der Teil über die Entwicklung<br />

von Grossstrukturen und die Ent-Regionalisierung<br />

in Öko-Landwirtschaft und Vermarktung<br />

ist ganz gut gelungen. Er zeigt,<br />

dass Food Coops eine sehr kleine Möglichkeit<br />

sind, den Kontakt zwischen ErzeugerInnen<br />

und KonsumentInnen zu bewahren<br />

und zu erweitern. Der Trend geht freilich<br />

in die andere Richtung: Der neue ,,Öko-<br />

Konsument“ will ,,ideologiefrei“ konsumieren,<br />

eben nicht saisonal oder regional,<br />

Hauptsache es ist ,,Öko“. Die öko-landwirtschaftlichen<br />

Anbauverbände machen diesen<br />

Trend mit, bzw. erzeugen ihn auch. In der<br />

Folge bleiben kleine und bäuerliche Bio-<br />

ErzeugerInenn auf der Strecke.<br />

Das Kapitel zur Agenda 21 und zum Nachhaltigkeitsdiskurs<br />

kann nur als peinlich bis<br />

naiv bezeichnet werden. Zuerst wird ausführlich<br />

die offizielle Sicht der Nachhaltigkeit<br />

referiert, um dann einige sehr laue<br />

Kritikpunkte anzuführen. Vermutlich ist<br />

die Literatur zur Kritik der Nachhaltigkeit<br />

den Handbuch-AutorInnen unbekannt.<br />

Das ist schade, denn mit Texten von Jörg<br />

Bergstedt, Ulrich Höpke, Christoph Gesang<br />

oder von AutorInnen aus dem Spektrum<br />

des BUKO liegen Arbeiten vor, die<br />

Nachhaltigkeit als auf Integration und<br />

Zerstörung sozialer Bewegungen angelegten<br />

Herrschaftsdiskurs analysieren und<br />

dies auch anhand von Landwirtschaft<br />

und Regionalentwicklung nachweisen.<br />

Die Unkenntnis zeigt sich dann auch in<br />

den Literaturtipps, wo Titel, die aus der<br />

Sicht der bäuerlichen Landwirtschaft argumentieren<br />

oder Nachhaltigkeit nicht<br />

nur ,,kritisch begleiten“ wollen, sondern<br />

grundsätzlich ablehnen, fast völlig fehlen.<br />

Hier wäre der vielzitierte Blick über<br />

den Tellerrand wirklich angebracht gewesen,<br />

hätten dadurch doch weitergehende<br />

Perspektivfragen aufgeworfen und<br />

diskutierbar gemacht werden können.<br />

Nachhaltigkeit und Lokale Agenda 21<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

können für Food Coops, wenn sie den<br />

Gedanken, aus denen sie einmal entstanden<br />

sind, treu bleiben wollen, kein Bezugspunkt<br />

sein, an den mensch positiv<br />

anschliessen kann.<br />

Bundesarbeitsgemeinschaft der Lebensmittelkooperativen<br />

(Hg.): Das Food-Coop<br />

Handbuch. Gemeinsam ökologisch handeln;<br />

Bochum 2000, 112 S., ISBN 3-00-<br />

005371-9 (Einzelbestellungen gegen 20<br />

DM Vorkasse bei MAUS, Postfach 1818,<br />

36228 Bad Hersfeld)<br />

Bernd Hüttner (aus: Contraste, Mai 2000)<br />

DGB-Bundesjugendschule (Hg.):<br />

Kapitalismus ohne Alternativen?<br />

Der Titel des neuen Buches aus der Reihe<br />

der AG SPAK-Materialien soll andeuten,<br />

dass die Herausgeber sich „nicht mit der<br />

affirmativen Alternativlosigkeit der Globalisierung<br />

abfinden“ wollen, wie dem/der geneigten<br />

LeserIn im Klappentext angekündigt<br />

wird. Kommt außerdem hinzu, dass vor<br />

„einer uneingeschränkten Intensivierung<br />

des Laissez-faire-Kapitalismus“ ausgerechnet<br />

George Soros, einer der größten Finanzspekulanten,<br />

zitiert wird, der dadurch „die<br />

Zukunft unserer offenen Gesellschaft gefährdet“<br />

sieht, dann kann man einigermaßen<br />

neugierig sein. Die Neugierde wird<br />

vorerst bestärkt durch die Tatsache, dass<br />

sich zwischen den selben Buchdeckeln<br />

verschiedene AutorInnen sowohl aus gewerkschaftlichen,<br />

feministischen als auch<br />

alternativ-ökonomischen Zusammenhängen<br />

versammelt haben. Die Besonderheit<br />

dieses Zusammenkommens rührt<br />

von einer gelungenen Initiative des Theorie-Arbeitskreises<br />

Alternative Ökonomie<br />

(TAK AÖ) her, der sich zu seinem alljährlich<br />

stattfindenden Sommerseminar<br />

sowohl inhaltlich als auch räumlich mit<br />

der DGB-Bundesjugendschule in Oberursel<br />

zusammengetan hatte. Sowohl 1998<br />

als auch letztes Jahr trafen verschiedene<br />

Gruppen und Individuen aufeinander,<br />

deren Verschiedenheit und politisch-sozialer<br />

Background nicht zu übersehen<br />

war, und die dies dennoch allseits als Chance<br />

begriffen haben.<br />

Genug der Vorrede, nun zum Inhalt des Buches:<br />

Zu Anfang beleuchtet Elmar Altvater<br />

den entfesselten Weltmarkt und zeigt sehr<br />

deutlich auf, dass eine zunehmende „Entgrenzung<br />

der Staatenwelt“ stattfindet und das<br />

die der globalisierten Wirtschaft ausgelieferten<br />

Staaten „beschäftigungspolitisch gar<br />

nichts mehr bewirken können.“ Altvater hält<br />

das Zusammengehen von gewerkschaftlichen<br />

und alternativ-ökonomischen Ansätzen<br />

für äußerst relevant und empfiehlt, die Finanzspekulation<br />

zu kontrollieren sowie Netzwerke<br />

auch zwischen Umweltbewegung und<br />

Gewerkschaften zu bilden.<br />

Ulrich Enkelmann, IG-Metall-Vorstand und<br />

Leiter der Abteilung Wirtschaft, Technologie<br />

und Umwelt, formuliert acht Thesen,<br />

wie die<br />

Handlungsmöglichkeiten von Gewerkschaften<br />

in diesem globalen Prozeß vergrößert<br />

werden können. Konkrete Zusammenarbeit<br />

und Weiterbildung zwischen Gewerkschaften<br />

in verschiedenen Ländern erwähnt<br />

er ebenso wie die Forderung nach der Einrichtung<br />

von Weltbetriebsräten bei deutschen<br />

„global players“.<br />

Außerordentlich lesenswert ist der Beitrag<br />

von Christa Wichterich, die eine strategische<br />

Rolle der Frauen in der Globalisierung<br />

feststellen muß. Sie kombiniert deutliche<br />

Zahlen mit harten Analysen: So basiert der<br />

„Standortvorteil, den die neuen Billiglohnländer<br />

ausspielen, zu 75 Prozent auf jungen,<br />

flexiblen und duldsamen Frauen.“ Sie<br />

macht deutlich, dass „zwar mehr Frauen<br />

eine Beschäftigung finden, aber keine<br />

Existenzsicherung.“<br />

Gisela Notz nimmt diese Fragestellung auf<br />

und weist auf notwendige Alternativen hin.<br />

Zunächst plädiert sie für eine Neudefinition<br />

des traditionellen Arbeitsbegriffs und schlägt<br />

vor, was gesellschaftlich notwendige und<br />

nützliche Arbeit sein kann: „Arbeit in allen<br />

Bereichen sollte wieder als Ort der Kommunikation<br />

und Kooperation, der Solidarisierung<br />

von Menschen verstanden werden<br />

und nicht als Ort des gegenseitigen Austricksens<br />

und Kaltstellens.“ Nur folgerichtig,<br />

dass sie einer radikalen Arbeitszeitverkürzung<br />

im Bereich der sinnvollen Vollerwerbsarbeit<br />

das Wort redet und eine<br />

Gleichverteilung der gemeinwesenorientierten<br />

Arbeiten fordert.<br />

Aus alternativ-ökonomischer Sicht könnten<br />

zudem die beiden Beiträge von Rolf<br />

Schwendter etwas weiterführender sein, er<br />

kommt jedoch nur wenig über eine thesen-<br />

19 �


� 20<br />

förmige Zusammenfassung der Seminarbeiträge<br />

und der danach erfolgten Diskussionen<br />

hinaus. Dennoch: Insgesamt und insbesondere<br />

in der Mischung der Herkunft der<br />

AutorInnen eine gelungene Textsammlung,<br />

die zudem mit ausgesuchten Fotos nicht nur<br />

die grauen Zellensondern auch das Auge<br />

anregt. Zur Fortsetzung der Diskussionen<br />

haben TAK AÖ und DGB-Bundesjugendschule<br />

vom 25.-27. August zum nächsten<br />

Kooperationswochenende wieder nach<br />

Oberursel eingeladen.<br />

DGB-Bundesjugendschule (Hg.) in Kooperation<br />

mit dem Theorie-Arbeitskreis<br />

Alternative Ökonomie (TAK AÖ): Kapitalismus<br />

ohne Alternativen?, mit Beiträgen<br />

von Elmar Altvater, Hans-Jürgen<br />

Arlt, Ulrich Eckelmann, Gisela Notz, Rolf<br />

Schwendter, Christa Wichterich u.a.;<br />

Neu-Ulm: AG SPAK Bücher, 1999, 150<br />

S., ISBN 3930830116, 24 DM<br />

Peter Streiff (aus: Neue Hanauer Zeitung,<br />

Nr. 110 Sommer 2000)<br />

Tilo Klöck (Hg.):<br />

Solidarische Ökonomie<br />

und Empowerment<br />

Das offensichtlich definitive Ende der „Vollbeschäftigung“<br />

und die rasch wachsenden<br />

Existenzprobleme vieler Menschen beflügeln<br />

nun auch hierzulande (wieder) die Fantasie<br />

über „alternative“ Formen des Arbeitens<br />

und Wirtschaftens. Kaum noch jemand<br />

will darauf vertrauen, dass der Staat<br />

fürsorglich die Probleme der Menschen<br />

löst.<br />

Die einen setzen darauf, mit „Bürgerarbeit“,<br />

die Belohnung statt Entlohnung verspricht,<br />

die in Not geratenen Menschen bei der Stange<br />

zu halten. Andere hoffen darauf, dass sie<br />

sich in der Not wieder auf den Sinn gegenseitiger<br />

Solidarität besinnen und sich mit<br />

Almosen und der Mühsal des bloßen Überlebens<br />

auf Dauer nicht begnügen wollen.<br />

Ausdruck dieser Hoffnung ist das neue Jahrbuch<br />

Gemeinwesenarbeit mit dem Themenschwerpunkt<br />

„Solidarische Ökonomie und<br />

Empowerment“. Der Herausgeber Tilo<br />

Klöck begründet die Themenwahl damit,<br />

dass die Gemeinwesenarbeit entgegen ihrem<br />

Anspruch, die Lebensbedingungen der<br />

Menschen zu verbessern, heute weitgehend<br />

„auf soziale Arbeit und Reparaturleistungen“<br />

beschränkt worden sei. Und dies, ob-<br />

wohl es im In- und Ausland vielfältige<br />

Modelle und Versuche gäbe, „die eine besondere<br />

Qualität und Beschäftigungswirksamkeit<br />

entfalten und zeigen, dass mehr<br />

geht als man denkt“ (S. 5). Sie seien bisher<br />

von der deutschen Gemeinwesenarbeit<br />

kaum wahrgenommen worden, da diese<br />

trotz des beanspruchten Lebensweltbezugs<br />

und der Betonung von Selbsthilfe blind sei<br />

für die ökonomischen Dimensionen, den Eigensinn<br />

und die Eigendynamik von Armutsbewältigung.<br />

In seinem einleitenden Beitrag gibt Klöck<br />

einen Überblick über die Debatten zu solidarischer<br />

und alternativer Ökonomie, Empowerment,<br />

Gemeinwesenarbeit und zum<br />

Geschlechterverhältnis, die zum Teil in Einzelbeiträgen<br />

des Bandes vertieft werden.<br />

Intensiver geht er auf den sich notwendigerweise<br />

wandelnden Arbeitsbegriff ein und<br />

thematisiert das Verhältnis von Eigenarbeit<br />

und Erwerbsarbeit ebenso wie „informelle“<br />

Tätigkeiten im Rahmen der Schattenwirtschaft.<br />

Mit Recht stellt Klöck eine an den Grenzen<br />

verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen<br />

entlang gehende Zersplitterung der Diskussionen<br />

um solidarische Ökonomie fest<br />

und schlägt u.a. vor, eine interdisziplinär<br />

orientierte Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip<br />

für eine solidarische Ökonomie zu<br />

schaffen, in die einerseits wichtige Kompetenzen<br />

aus der Sozialpädagogik eingehen<br />

könnte, die sich andererseits aber<br />

aus zu enger „Umklammerung durch die<br />

soziale Arbeit“ löst.<br />

Ein entscheidendes Defizit wird in der<br />

mangelnden internationalen Zusammenarbeit<br />

und Vernetzung von Initiativen und<br />

Projekten gesehen, daneben der Darstellung<br />

deutscher Erfahrungen beispielsweise<br />

im Bereich von Sozialgenossenschaften,<br />

sozialer Stadtentwicklung<br />

oder ökonomischer Selbsthilfe<br />

greifen einige Beiträge des Sammelbandes<br />

praktische Erfahrungen aus<br />

anderen europäischen Ländern auf und<br />

vermitteln ein Bild der dortigen Debatte.<br />

Drei Beiträge des Jahrbuchs gehen explizit<br />

auf Bildungsfragen im Zusammenhang mit<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

solidarischer Ökonomie ein. So geht<br />

Icking unter anderem der Frage nach,<br />

wie „biographisches Hintergrundwissen“<br />

in Weiterbildungsprozesse im Rahmen<br />

von öffentlich geförderten<br />

Arbeitsmarktprojekten organisierter<br />

Eigenarbeit oder marktorientierter Projekte<br />

integriert werden kann. Höhn beschreibt<br />

Bildungs- und Beratungseinheiten<br />

für Selbsthilfegruppen in<br />

Niedersachsen, die auch ökonomische<br />

Aktivitäten entfalten.<br />

Der Beitrag von Schulze ist der einzige, der<br />

den europäischen Horizont überschreitet<br />

und einen ersten Eindruck von der Reichhaltigkeit<br />

der Erfahrungen und der Komplexität<br />

der Debatte um solidarische Ökonomie<br />

und die Perspektiven befreiender<br />

Pädagogik (Educacion Popular) vermittelt,<br />

die seit mehr als zwei Jahrzehnten in Lateinamerika<br />

vorliegen. Angesichts der auch vom<br />

Herausgeber betonten Tatsache, dass die<br />

Dritte Welt „auf dem Weg zu uns ist“, wäre<br />

hier eine stärkere Ausweitung des Blicks zu<br />

wünschen.<br />

Insgesamt bietet der Sammelband eine gute<br />

und mit vielen Beispielen unterfütterte Einführung<br />

in das Thema.<br />

Tilo Klöck (Hg.): Solidarische Ökonomie<br />

und Empowerment. Jahrbuch Gemeinwesenarbeit<br />

6 Neu-Ulm: AG SPAK Bücher,<br />

1998, 306 S, ISBN 930830078,<br />

49 DM<br />

Manfred Liebel (in: Sozialextra, Nr.5/1999)<br />

ARBEIT<br />

Willy Bierter, Uta von Winterfeld<br />

(Hg.):<br />

Zukunft der Arbeit – welcher<br />

Arbeit?<br />

Zukunft der Arbeit – welcher Arbeit? enthält<br />

Artikel von fünf Autorinnen und sechs<br />

Autoren. Sie nähern sich der Arbeit unter<br />

verschiedenen, aber doch verwandten Gesichtspunkten.<br />

Zum einen, so Adelheid Biesecker,<br />

sollen die gemeinhin unsichtbaren,<br />

unbezahlten und meist von Frauen verrichteten<br />

Tätigkeiten in ihrer fundamentalen Bedeutung<br />

für kapitalistisches Wirtschaften<br />

registriert, ernstgenommen und honoriert<br />

werden. Zum anderen gelte es gleichzeitig<br />

zu vermeiden, dass ebendiese Arbeiten<br />

kommerzialisiert und so Bestandteil herkömmlichen<br />

Wirtschaftens werden. Weite-<br />

re Beiträge dieses umfangreichen und vielfältigen<br />

Buches thematisieren z.B. Arbeitszeiten<br />

und das Ende des sog. Normalarbeitsverhältnisses<br />

oder gehen auf die heutige<br />

Möglich- und Notwendigkeit von Subsistenz<br />

ein.<br />

Stärken hat das Buch da, wo es Arbeit in<br />

Industriegesellschaften untersucht und, wie<br />

im Beitrag der feministischen Raumplanerin<br />

Ruth Becker, Alternativkonzepte, wie<br />

Eigenarbeit oder Ehrenamtlichkeit, grundsätzlich<br />

kritisiert und als Bestandteil einer<br />

geschlechtsspezifischen Dualwirtschaft analysiert.<br />

Einer Dualwirtschaft, die schlechte<br />

und prekäre Arbeit feminisiert, und ja, wenn<br />

auch in anderer Form, heute auch schon existiert.<br />

Gleichzeitig können einige Beiträge<br />

nicht verbergen, dass sie gerade eine solche<br />

geteilte Wirtschaft als positiv besetzte<br />

Utopie propagieren. In etlichen Aufsätzen<br />

wird so getan, als sei es erst im Zuge der<br />

Nachhaltigkeit zu einer Verbindung zwischen<br />

den Diskursen um ,,Ökologie“ und<br />

denen zu ,,Arbeit“ gekommen. Dies ist historisch<br />

grundfalsch, da schon seit den späten<br />

70er Jahren diese Verbindungen gezogen<br />

wurden, sei es auf dem Kongress ,,Zukunft<br />

der Arbeit“ 1982, sei es in der<br />

Selbstverwaltungsbewegung oder auch in<br />

kleinen Teilen der Gewerkschaften. Die<br />

Propagierung der Neuigkeit ist integraler<br />

Bestandteil des Nachhaltigkeitsdiskurses,<br />

und so wundert es auch nicht, dass das Buch<br />

aus zwei Tagungen des Fachbereichs ,,Neue<br />

Wohlstandsmodelle“ des Wuppertal-Institutes<br />

entstand. Dieser Fachbereich ist für das<br />

philosophische und menschelnde Beiwerk<br />

(,,Leitbilder“, Suffizienz, ...) im Wuppertaler<br />

Nachhaltigkeits-think-tank zuständig,<br />

das mit schönen Worten die ingenieurwissenschaftlich-technokratischen<br />

Konzepte<br />

der ökologischen Modernisierung (,,Effizienz“)<br />

begleiten soll. Trotzdem ist das Buch<br />

auf dem linken Flügel der Nachhaltigkeitsdebatte<br />

positioniert und diskutiert einige interessante<br />

Aspekte, zu denen anderen, etwa<br />

in der Selbstverwaltungs- oder Arbeitslosenbewegung<br />

Zeit und Geld fehlen, sie in ihrem<br />

Sinne weiter zu erforschen und zu debattieren.<br />

Willy Bierter, Uta von Winterfeld (Hg.):<br />

Zukunft der Arbeit – welcher Arbeit?,<br />

Stuttgart: Hirzel, 1998, 312 S.,<br />

ISBN 3777610607, 29,80 DM<br />

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Bernd Hüttner (aus: Alternative<br />

Kommunalpolitik Nr. 4/99)<br />

Werner Fricke (Hg.):<br />

Was die Gesellschaft bewegt<br />

Jahrbuch Arbeit + Technik 1999/2000<br />

Das alle zwei Jahre erscheinende Jahrbuch<br />

hat sich diesmal kein singuläres Schwerpunktthema<br />

ausgewählt, sondern sich mehreren<br />

Facetten der gesellschaftlichen Debatten<br />

gewidmet. Es liefert Konzepte und Reflexionen<br />

zu Gegenwart und Zukunft.’ Die<br />

sechs thematischen Kapitel sind überschrieben<br />

mit „Arbeit’ (neue Beweglichkeit des<br />

Kapitals, neue Selbständigkeit, institutionelle<br />

Reformen, technische Entwicklung),<br />

„Ökonomie und Ökologie“, Bildung und<br />

Kultur’, ,Gewalt in der Gesellschaft* und<br />

„Perspektive Europa“. Gerade das vorletzte<br />

Thema hat traurige Aktualität erlangt.<br />

Hierzu formulieren J.P. Reemtsma subjektive,<br />

und T. Leithäuser sozialpsychologische<br />

Essays, während H. Häußermann über städtische<br />

Zuwanderung reflektiert. Hervorzuheben<br />

ist der Beitrag von B. Wagner, der<br />

ein anschaulich und wohlfundiert ein ganzes<br />

Spektrum an Strategien gegen Rechtsextremismus<br />

in Ostdeutschland darlegt. Zu<br />

den Autoren der 37 Beiträge gehören beispielsweise<br />

noch Zygmunt Bauman (Moderne<br />

und Zeit), Karlheinz Geißler (Zeitvielfalt),<br />

Georg Vobruba, Karin Roth (Integration<br />

der stillen Reserve), Eckard Minx<br />

(Vorausdenken), F. Schmidt-Bleek (Faktor<br />

10), Pierre Bourdieu (Soziales Europa).<br />

Fast alle Beiträge geben einen jeweils<br />

wichtigen Strang der Diskussion über ihr<br />

Thema wieder. Sie enthalten viele interessante<br />

Denkanstöße Abgerundet wird der<br />

Band durch Sammelrezensionen zu den<br />

Themen rotgrüne<br />

Regierungspolitik, dritte“ Wege, Mitbestimmung,<br />

Wandel der Arbeit. Im besten<br />

Sinne ein Jahrbuch: es vermittelt einen hervorragenden<br />

Überblick über strategisch zentrale<br />

Themen dieser turbulenten Zeit und<br />

über sinnvolle und innovative Lösungsansätze.<br />

Besonders hilfreich ist für die Leserinnen<br />

und Leser das Einführungskapitel des<br />

Herausgebers und die Zusammenfassungen<br />

sämtlicher Beiträge.<br />

Werner Fricke (Hg.): Was die Gesellschaft<br />

bewegt -Jahrbuch Arbeit + Technik<br />

1999/2000. Bonn: Dietz, 1999, 451 S.,<br />

ISBN 3801240983, 35 DM<br />

Edgar Göll (Zukünfte Nr. 33, Herbst 2000)<br />

André Gorz:<br />

Arbeit zwischen Misere und Utopie<br />

Die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus,<br />

diagnostiziert der prominente französische<br />

Soziologe André Gorz in seinem jüngsten<br />

Werk, ist ein Triumph des Geldes, „Geld,<br />

das durch den alleinigen Verkauf von Geld<br />

sich selbst einträgt“ (S. 14). In diesem System<br />

werde der Mensch „bis in sein Subjekt-Sein<br />

hinein Cyborg und Produktionsmittel,<br />

also zugleich Kapital, Ware und Arbeit.<br />

Und insoweit seine Fähigkeiten im<br />

Verwertungsprozess des Geldkapitals nicht<br />

gefragt sind, wird er zurückgewiesen, ausgeschlossen,<br />

als nicht existent betrachtet.<br />

Das wertvollste Kapital ist der Mensch nur<br />

dann, wenn er als Kapital funktioniert“ (S.<br />

15).<br />

Gorz indes belässt es nicht bei scharfsichtiger<br />

(an Marx erinnernde) Analyse, sondern<br />

verdeutlicht die inhumanen Folgen der Sozialstaats-Demontage<br />

mit eindrucksvollen<br />

Daten und Fakten: rund 7 Prozent der männlichen<br />

Erwerbsbevölkerung der USA hat<br />

mit der Justiz zu tun, 2 Prozent sitzen im<br />

Gefängnis, während im vielfach euphorischen<br />

gelobten Land des Neoliberalismus<br />

bereits 1994 ein leitender Angestellter im<br />

Durchschnitt 187 (!) Mal so viel wie ein<br />

Arbeiter verdiente (S. 27). Der Autor verweist<br />

auf die „widerstehliche Diktatur der<br />

Finanzmärkte“, berichtet von den dunklen<br />

Schatten des so heftig umworbenen chinesischen<br />

Marktes (Arbeitslosenquoten<br />

von regional bis zu 34 Prozent verzeichnet<br />

die IAO). Bei aktuell 600 – 800 Millionen<br />

Arbeitslosen weltweit müssten bis<br />

2025 1200 Millionen weitere bezahlte<br />

Beschäftigungsverhältnisse geschaffen<br />

werden (S. 38f.) ...<br />

Der Zusammenbruch des Kapitalismus, so<br />

A. Gorz, ist nur zu verhindern, wenn es gelingt,<br />

eine gesamtgesellschaftliche Vision<br />

höheren Allgemeinwohls zu entwickeln.<br />

Und er macht klar, wo dabei im Wesentlichen<br />

anzusetzen ist: „Sich der Globalisierung<br />

zu widersetzen, sie mit nationalen<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

Maßnahmen verhindern zu wollen, bedeutet<br />

unweigerlich die Kapitulation vor<br />

dieser Globalisierung. Es kann nicht darum<br />

gehen, die Globalisierung zu bekämpfen<br />

und zu versuchen, sich ihr zu<br />

entziehen. Vielmehr gilt es auf globaler<br />

Ebene, mit globalen Mitteln für eine andere<br />

Globalisierung zu kämpfen.“ (S. 26)<br />

In diesem Sinn macht Gorz Beispiele der<br />

Andersarbeit v.a. in nationalen Kontexten<br />

(Niederlande, Dänemark) aus. Er berichtet<br />

von den „namenlosen Helden des Prekären“,<br />

von „Pionieren der Wiederaneignung<br />

von Zeit“ (S. 86) und klaren Anzeichen für<br />

einen sich abzeichnenden Wertewandel. So<br />

steht „Arbeit“ nur bei 10 Prozent der Erwerbstätigen<br />

in Deutschland an erster Stelle<br />

(S. 90). Insgesamt diagnostiziert der Verfasser<br />

einen „Rückstand des Politischen“<br />

und benennt drei Bedingungen zukunftstauglicher<br />

Gesellschaftsgestaltung: ausreichendes<br />

(Grund)Einkommen für alle, die<br />

Umverteilung von Arbeit mit kollektiver<br />

und individueller Zeitsouveränität und die<br />

Entfaltung neuer Formen von Gesellschaftlichkeit.<br />

Von vielen wichtigen Beiträgen zu dem<br />

gegenwärtig wohl zentralen Zukunftsthema<br />

einer der wichtigsten: Faktenreich, analytisch<br />

brillant sowie konsequent in den unterbreiteten<br />

„Therapievorschlägen“.<br />

André Gorz: Arbeit zwischen Misere und<br />

Utopie. Frankfurt: Suhrkamp, 1999, 208<br />

S., ISBN 3518410172, 32 DM<br />

Walter Spielmann (Pro Zukunft 1/00, Nr. 2)<br />

Gisela Notz:<br />

Das Ehrenamt – eine Antwort auf<br />

die Krise?<br />

Ehrenamtliche Arbeit hat Konjunktur in der<br />

aktuellen sozialpolitischen Diskussion. Die<br />

soziale Versorgung wird großflächig reprivatisiert,<br />

staatlichen Kürzungen zum Opfer<br />

fallende soziale Einrichtungen werden<br />

der Wohlfahrt überantwortet bzw. der „freiwilligen“<br />

ehrenamtlichen Arbeit und der<br />

Selbsthilfe übergeben. Die Sozialwissenschaftlerin<br />

Gisela Notz beleuchtet diese Entwicklung<br />

im Buch „Die neuen Freiwilligen“<br />

kritisch und formuliert grundlegende Ansätze<br />

für eine Re-Politisierung der sozialen<br />

Frage.<br />

Selbsthilfe, bürgerschaftliches Engagement<br />

oder Gemeinwesenarbeit: Die verschiede-<br />

nen Formen ehrenamtlicher Arbeit gibt<br />

es schon lange, allerdings wirken die<br />

Begriffe etwas angestaubt. Mit dem Slogan<br />

„Bürger für Bürger“ versuchte die<br />

damalige Bundesministerin Claudia Nolte<br />

noch kurz vor der Bundestagswahl eine<br />

Imageverbesserung und richtete eine nationale<br />

Freiwilligenagentur ein. Das Ehrenamt<br />

wurde als „tragende Säule des Sozialstaats“<br />

betrachtet, weshalb es wieder<br />

„in“ sein müsse, freiwillig und ehrenamtlich<br />

zu arbeiten.<br />

Das Ehrenamt als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit?<br />

Können die „neuen Freiwilligen“<br />

die Erwartungen, die an sie gestellt werden,<br />

erfüllen? – Fragen genug, um sowohl die<br />

Geschichte des Ehrenamts als auch die aktuell<br />

diskutierten Modelle zu beleuchten.<br />

Die Autorin Gisela Notz, die seit längerer<br />

Zeit u.a. im Rahmen des Theorie-Arbeitskreises<br />

Alternative Ökonomie (TAKAÖ) aktiv<br />

ist, stellt sowohl die Konzepte von<br />

Jeremy Rifkin vom „Ende der Arbeit und<br />

ihrer Zukunft“ (1995) als auch von Ulrich<br />

Becks „Bürgerarbeit“ im historischen Kontext<br />

vor. Ihre Ausführungen machen deutlich,<br />

dass die gefeierte „neue Freiwilligkeit“<br />

wohl eher alter Wein in neuen Schläuchen<br />

ist: Die früher in Wohltätigkeitsvereinen engagierten<br />

„Damen“ werden heute für ähnliche<br />

Arbeiten, jedoch unter scheinbar attraktiveren<br />

Bezeichnungen geworben. In den<br />

neuen Arbeitsbereichen sollen vorwiegend<br />

von Frauen Reparaturarbeiten für die sozialen,<br />

gesundheitlichen, psychischen, kulturellen<br />

und ökologischen Schäden geleistet<br />

werden, welche die neo-liberale und männerdominierte<br />

Marktwirtschaft produziert.<br />

Kern der neuen Konzepte sei es, so Gisela<br />

Notz, vor allem Frauen wieder in ihre Hausmütter-Rolle<br />

zurückzudrängen. Da 80 Prozent<br />

der ehrenamtlichen und unbezahlten<br />

Arbeit in Deutschland von Frauen geleistet<br />

wird – hingegen ein Ehren-Amt mit ähnlich<br />

hoher Prozentzahl von Männern bekleidet<br />

wird –, bewertet die Autorin die neuen<br />

Freiwilligen-Konzepte als Baustein im Rahmen<br />

des gesellschaftlichen Umbaus und der<br />

Ausgrenzung von immer größer werden<br />

Schichten der Bevölkerung.<br />

Das „Normalarbeitsverhältnis“ müsse dringend<br />

neu definiert werden, fordert die Autorin<br />

und macht damit deutlich, dass es ihr<br />

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nicht um das ehrenamtliche Engagement<br />

von einzelnen Personen geht, sondern um<br />

„eine Re-Politisierung der sozialen Frage“.<br />

Dafür sei eine „Umverteilung von gesellschaftlich<br />

notwendiger und sinnvoller Arbeit<br />

und eine Umverteilung von Verantwortung<br />

auf beide Geschlechter durch Arbeitszeitverkürzung“<br />

sinnvoll. Dann, und mit<br />

deutlicheren Veränderungs-Signalen der<br />

neuen Regierung, könnten die neuen Freiwilligen<br />

sogar „VorreiterInnen für eine eigenständige<br />

Gestaltung neuer Formen von<br />

gegenseitiger Hilfe und zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen in kollektiven Lebensund<br />

Arbeitszusammenhängen“ werden, wie<br />

sich (nicht nur) die Autorin erhofft.<br />

Die mit diesem Band eröffnete „kleine Reihe“<br />

des Verlags „AG SPAK Bücher“ (Arbeitsgemeinschaft<br />

sozialpolitischer Arbeitskreise)<br />

will ein Forum sein für aktuelle Themen,<br />

neue Ideen und ungewöhnliche Sichtweisen.<br />

Dies scheint gelungen zu sein, zumal<br />

sich bisher nur wenige Stimmen kritisch<br />

und auch mit neuen Forschungsergebnissen<br />

zu den Konzepten von Rifkin, Beck<br />

und anderen äußerten. In leicht lesbarer<br />

Form bietet die Autorin sowohl neue Argumentationshilfen<br />

für sozialpolitisch Engagierte<br />

als auch einen übersichtlichen Einstieg<br />

ins Thema. Dem vorliegenden Band<br />

ist zu wünschen, dass er als wichtigen Baustein<br />

in der Diskussion um ehrenamtliche<br />

Arbeit verstanden wird insbesondere aufgrund<br />

der dezidiert frauenpolitischen Sichtweise.<br />

Gisela Notz: Die neuen Freiwilligen. Das<br />

Ehrenamt – eine Antwort auf die Krise?,<br />

Neu Ulm: AG SPAK Bücher 2. akt. Auflage,<br />

80 S., ISBN 3930830094, 12 DM<br />

Peter Streiff (aus: Contraste, Nr. 171)<br />

Sepp Rottmayer:<br />

Selbständigkeit<br />

in der Partnerschaft<br />

Die Monographie von Sepp Rottmayer<br />

„Selbstständigkeit in der Partnerschaft“ ist<br />

kein Krimi, sondern eine minutiös ausgearbeitete<br />

Handlungshilfe für Existenzgünderinnen<br />

und -gründer, die sich für eine<br />

kooperative Unternehmensstruktur interessieren.<br />

Ihnen stellt Rottmayer seinen über<br />

zwanzigjährigen Erfahrungsschatz in sehr<br />

detaillierter Weise zur Verfügung. Manchmal<br />

geht er schon fast zu sehr in Einzelhei-<br />

ten, die er und seine Partner als „Kooperationstüftler“<br />

entwickelt haben. Wer<br />

sich davon nicht abschrecken läßt, hat<br />

die Chance viele Fehler zu vermeiden,<br />

die so manche Gruppe bei ihrem „Hindernislauf<br />

zur Selbstverwaltung“ ausbaden<br />

musste.<br />

Ausgehend von den Entwicklungen der<br />

Ingenieurgruppe München e.G. wird das<br />

Betriebsmodell dieses Unternehmens in<br />

seinen Verästelungen für eine Übertragbarkeit<br />

auf andere Betriebe aufbereitet. Ausgehend<br />

von den Prämissen der Selbständigkeit<br />

und der Partnerschaft zeigt Rottmayer<br />

jeden Schritt auf, den er für eine funktionierende<br />

genossenschaftliche Struktur für<br />

erforderlich hält. Hierzu gehören die Entwicklung<br />

eines gemeinsamen Leitbildes,<br />

die Berücksichtigung zehn zentraler Gestaltungsgrundsätze<br />

und die ausführliche Einarbeitung<br />

aller Modellvorstellungen in die<br />

Satzung.<br />

Im Rahmen der Satzung will der Autor allerdings<br />

zuviel integrieren und damit an Problemen<br />

lösen bzw. vermeiden helfen. Entsprechend<br />

ausführlich werden die Organe<br />

und ihre Entscheidungskompetenzen dargestellt.<br />

Auch die Erläuterung der Verteilungsgrundlagen<br />

lassen an Umfang nicht zu<br />

wünschen übrig. Wird doch auf über 100<br />

Seiten alles vom Verteilungsverfahren über<br />

den Verteilungsschlüssel bis hin zur zugrundegelegten<br />

Leistungsbewertung genau<br />

beschrieben. Die Einarbeitung der entsprechenden<br />

Ergebnisse ins Rechnungswesen<br />

umfasst noch einmal 100 Seiten.<br />

Dem Buch liegt die Überzeugung zugrunde,<br />

(fast) alles regeln zu können und auch zu<br />

müssen. Dabei wird der Satzung als Problemlösung<br />

und selbstgeschaffenes „Gesetzeswerk“<br />

ein zu hoher Stellenwert beigemessen.<br />

Hat doch in der Wirklichkeit vieles<br />

mit Prozessen, Emotionen, Entwicklungsverläufen<br />

zu tun, die sich durch Verträge<br />

nur begrenzt steuern lassen. Im Gegenteil,<br />

oft dürfte der Prozess der Entwicklung<br />

einer solchen Struktur wie sie Rottmayer<br />

darstellt, ein höherer Stellenwert zukommen<br />

als dem eigentlichen Ergebnis. Da<br />

ändert nichts daran, dass der Autor das bisher<br />

umfassendste und wichtigste Grundlagenwerk<br />

vorgelegt zu dem Problem hat,<br />

wie sich qualifizierte Berufsgruppen in Mitarbeiterunternehmen<br />

bzw. Professionsge-<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

nossenschaften organisieren können.<br />

Sepp Rottmayer: Selbständigkeit in der<br />

Partnerschaft. Betriebsmodell für kooperative<br />

Unternehmen, (Bayerischer Raiffeisen-<br />

und Volksbanken Verlag) München<br />

1999, DM 45,00.<br />

Burghard Flieger<br />

Babette Scurrell:<br />

Vielfalt der Arbeit<br />

Der Wandel im Verhältnis von Erwerbs- und<br />

Nicht-Erwerbsarbeit nimmt derzeit einen<br />

prominenten Platz in der sozialwissenschaftlichen<br />

Diskussion ein. Dabei wird viel<br />

von der „neuen, pluralen Tätigkeitsgesellschaft“<br />

(Beck), die primär auf „bürgerschaftlichem<br />

Engagement“ beruhen soll,<br />

geschwärmt. Wie jedoch die steigende Produktivität<br />

der globalen Warenproduktion<br />

mit den Bedingungen der alltäglichen Produktion<br />

des Lebens zusammen hängt, analysiert<br />

dagegen kaum jemand.<br />

Babette Scurrell, Soziologin der Stiftung<br />

Bauhaus Dessau, tut es. In ihrer Schrift über<br />

die „Vielfalt der Arbeit“ setzt sie die<br />

Alimentierung dieses Landes durch den<br />

Weltmarkt nicht wie selbstverständlich voraus,<br />

sondern stellt das Konzept der regionalen<br />

Selbstbestimmung in den Mittelpunkt<br />

ihrer Überlegungen. Als eine der wenigen<br />

TeilnehmerInnen der New Work Debatte<br />

thematisiert Scurrell damit die Nicht-Erwerbsarbeit<br />

als unverzichtbare Versorgungsarbeit.<br />

Die These der Autorin lautet: Die<br />

Umverteilung der Erwerbsarbeit wird nur<br />

möglich, wenn sich eine „Kultur des Verzichts<br />

auf Erwerb(-sarbeit)“ entwickelt und<br />

im Gegenzug „wirkliche Existenzsicherung“<br />

geschaffen wird. Die neue Kultur entsteht<br />

nach Ansicht Scurrells, wenn in sozialen<br />

Experimenten Erwerbsarbeit mit gemeinwesenorientierter<br />

Subsistenz kombiniert<br />

wird. Scurrell hält dabei das Entstehen<br />

selbstbestimmter Regionen sowie den<br />

interregionalen Austausch (als Gegenstück<br />

zur Zwangsabkoppelung vom Weltmarkt<br />

durch De-Industrialisierung) für<br />

unumgänglich auf dem Weg zu einer<br />

sozial gerechten Gestaltung der gesellschaftlich<br />

notwendigen Arbeit.<br />

Die Darstellung einer Reihe von Projekten<br />

skizziert eine erste Vorstellung davon,<br />

wie man sich eine solche neue Kultur<br />

vorzustellen hat. Scurrell recherchier-<br />

te und kommentiert u.a. so unterschiedliche<br />

Projekte wie die Sozialistische Selbsthilfe<br />

Mühlheim, die Lokale Ökonomie<br />

Hamburg, das Grundversorgungs-,<br />

Kommunikations- und Bildungszentrum<br />

Bremen oder das uckermärkische Dorf<br />

Brodowin.<br />

In der Beschreibung dieser sozialen Experimentfelder<br />

liegt denn auch die Stärke<br />

des Buches. Konturen und Probleme der<br />

„neuen Kultur“ sind dagegen nur angerissen.<br />

Unklar bleibt auch, warum die Autorin<br />

ausführlich Engels’ evolutionistischen Arbeitsbegriff<br />

bemüht, anstatt z.B. die sehr viel<br />

klarsichtigere feministische Debatte um die<br />

Zukunft der Arbeit zu platzieren. Eine Lektüre<br />

des Büchleins empfiehlt sich trotzdem,<br />

und zwar vor allem als Anstoß zu einer<br />

längst überfälligen breiten Diskussion über<br />

die Zukunft der Subsistenz in den Ländern<br />

des Nordens.<br />

Babette Scurrell: Vielfalt der Arbeit. Experimente<br />

zur Verknüpfung von Erwerbsund<br />

Versorgungsarbeit, Neu-Ulm:<br />

AG SPAK Bücher, 1999 78 S.,<br />

ISBN 3930830124, 12 DM<br />

Christa Müller<br />

Joachim Sikora:<br />

Vision einer Tätigkeitsgesellschaft<br />

Der Autor – er ist Leiter des herausgebenden<br />

Institutes – schildert zunächst die Umbruchssituation,<br />

in der sich Wirtschaft und<br />

Gesellschaft derzeit befinden, und in der<br />

Folge überblicksartig die notwendigen Paradigmenwechsel<br />

(“Von der Arbeit zur Tätigkeit“,<br />

„Vom Terror der Ökonomie zur<br />

Wirtschaft im Dienste des Menschen“, „Von<br />

der Geld- zur Zeitökonomie“) sowie die unterschiedlichen,<br />

dazugehörigen neuen Denkund<br />

Lösungsansätze vom Ausbau des<br />

Dritten Sektor über Bürgerarbeit und die<br />

Aufwertung der Eigenarbeit (“Triade“<br />

von Erwerbs-, Eigen- und Gemeinwesenarbeit)<br />

bis hin zum Konzept der „Tätigkeitsgesellschaft“<br />

der Katholischen<br />

Arbeiternehmer-Bewegung Westdeutschlands.<br />

Herzstück des auch in elektronischer Aufbereitung<br />

verfügbaren Buches (CD-ROM)<br />

sind die vom Autor so genannten „Dekagramme“<br />

der Tätigkeiten, Einkommen,<br />

Kompetenzen und Zeiten. Sikora beschreibt<br />

darin zehn Arten von Tätigkeiten (von der<br />

25 �


� 26<br />

Erwerbs- über die Eigen- und Familienbis<br />

hin zur Bildungs-, Vermögens- und<br />

Kulturtätigkeit), zehn Arten von Einkünften<br />

(vom Erwerbseinkommen über das<br />

Vermögenseinkommen bis zum indirekten<br />

Einkommen = Eigentätigkeit, aber<br />

auch Bildungsgutscheine, Steuerpunkte<br />

für Ehrenamtliche Arbeit oder<br />

Tauschkreiswährungen werden hier ausgeführt),<br />

zehn Arten von Zeiten (von der<br />

Erwerbs- über die Familien- und Eigenbis<br />

hin zur Bildungs-, Kultur und Sozial-<br />

Jahr-Zeit) sowie zehn Arten von Kompetenzen,<br />

die in der pluralen<br />

Tätigkeitsgesellschaft gefördert und gefordert<br />

werden. Er schildert auch zehn<br />

beispielhafte „neue Berufe“, die diesen<br />

Tätigkeiten zuzuordnen sind (etwa Ethik-<br />

Anlagen-Manager/in im Bereich Vermögenstätigkeit,<br />

KriseninterventionistIn im<br />

Bereich Familientätigkeit usw.) und endet<br />

schließlich – vielleicht in Anspielung<br />

auf die zehn Gebote – mit zehn Empfehlungen<br />

wie „Initiieren Sie kleine soziale<br />

Netze“, „Praktizieren Sie soziale Fairness“,<br />

„Setzen Sie sich für politische Reformen<br />

ein“ oder „Entdecken Sie die<br />

Muße neu“. Das hier skizzierte Bild einer<br />

Tätigkeitsgesellschaft könnte nicht<br />

nur helfen, die Arbeitsmarkt- und Ökokrise<br />

zu entschärfen, sondern auch eine<br />

vielfältigere und befriedigendere Lebenspraxis<br />

eröffnen. Da Geld aber auch zukünftig<br />

ein wichtiges Teilhabe – und<br />

Freiheitsmöglichkeiten schaffendes Medium<br />

sein wird, muss die Tätigkeitsgesellschaft<br />

jedoch einhergehen mit<br />

einer fairen Verteilung aller Arten von<br />

Arbeit und Einkommen – zwischen denen,<br />

die Jobs haben und den Arbeitslosen<br />

ebenso wie zwischen den Geschlechtern.<br />

Die begleitend zum Buch herausgegebene<br />

CD-ROM ist zu beziehen beim Katholisch-<br />

Sozialen-Institut der Erzdiözese Köln.<br />

Joachim Sikora: Vision einer Tätigkeitsgesellschaft.<br />

Neue Tätigkeits- und<br />

Lebensmodelle im 3. Jahrtausend.<br />

Bonn: Katholisch-Soziales Institut,<br />

1999. 141 S., ISBN 3927566217, 20 DM<br />

Hans Holzinger (Pro Zukunft 4/99, Nr.<br />

402)<br />

Johano Strasser:<br />

Wenn der Arbeitsgesellschaft die<br />

Arbeit ausgeht<br />

Wenn von der Zukunft der Arbeit und der<br />

Arbeitsgesellschaft die Rede ist, geht es um<br />

viel mehr als um Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik.<br />

Der Politikwissenschaftler<br />

Johano Strasser sieht in seiner Analyse<br />

das gesamte Institutionensystem der<br />

Demokratie und des Sozialstaats betroffen,<br />

die einst um die Arbeitsgesellschaft herum<br />

errichtet und auf sie zugeschnitten wurden.<br />

Aber auch die sinnstiftende Funktion von<br />

Arbeit als „entscheidende Dimension<br />

menschlichen Daseins“, als „fundamentale<br />

Funktion der Existenz des Menschen“ (Enzyklika<br />

Laborem exercens, 1981) gilt es hier<br />

zu berücksichtigen.<br />

Zunächst beschäftigt sich Strasser mit den<br />

bisher unterbreiteten Vorschlägen von Wissenschaftlern,<br />

Politikern und Publizisten,<br />

wie der Arbeitslosigkeit beizukommen sei.<br />

Der Autor vertritt zu Recht die Auffassung,<br />

das die oft favorisierte Strategie der Wachstumsförderung<br />

das Problem nicht lösen<br />

kann, da heute wirtschaftliches Wachstums<br />

und Rationalisierung in der Regel Hand in<br />

Hand gehen. Von 1970 bis 1995 stieg das<br />

BSP um 63 Prozent pro Kopf der Bevölkerung,<br />

gleichzeitig sank die nachgefragte<br />

Arbeitsmenge um ein Fünftel, weil sich die<br />

Arbeitsproduktivität im selben Zeitraum<br />

mehr als verdoppelte. Auch die vielfach<br />

beschworene Steigerung im Dienstleistungssektor<br />

wird seiner Ansicht nach geringer<br />

ausfallen als vielfach angenommen, weil<br />

die Konsumenten immer mehr von passiven<br />

Käufern zu Mitproduzenten von Waren<br />

und Dienstleistungen werden.<br />

Strasser kommt zu dem Schluss, dass es<br />

Erwerbsarbeit für alle nur geben kann, wenn<br />

eine Verkürzung der Arbeitszeiten gelingt<br />

und diese sozial- und arbeitsrechtlich abgesichert<br />

ist. Einer Verkürzung der Normalarbeitszeit<br />

gibt Strasser jedenfalls den Vorrang<br />

vor einem Ausbau des „Dritten Sektors“<br />

der gemeinnützigen Tätigkeiten. Die<br />

Folge wäre, dass die „Erwerbsarbeit allmählich<br />

an existentieller und lebensprägender<br />

Bedeutung für die Menschen<br />

verliert“ (S. 57). Dem Autor schwebt vor,<br />

die Erwerbsarbeit und die Nichterwerbsarbeit<br />

gerecht zu verteilen. Männer<br />

und Frauen teilen sich die Familienarbeit<br />

partnerschaftlich und alle Bürger<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

kümmern sich in ihrer „freien“ Zeit um<br />

ihre hilfsbedürftigen Nächsten und die<br />

Belange der Gemeinschaft. Der Autor bezeichnet<br />

es als „große historische Chance,<br />

die sich am Ende der alten Arbeitsgesellschaft<br />

ergibt“, die produktiven Energien<br />

wieder in die eigenen Hände zu nehmen,<br />

sich der anonymen Zwänge der alten Arbeitsgesellschaft<br />

und der Abhängigkeit von<br />

Fremdleistung zu entziehen. Und war es<br />

nicht ein uralter Menschheitstraum, vom Joch<br />

der Arbeit befreit zu werden. Warum also<br />

jetzt in Angst und Panik geraten, wenn die<br />

Erfüllung dieses Traums ein Stück näher<br />

rücken und Konturen annehmen könnte?<br />

Johano Strasser: Wenn der Arbeitsgesellschaft<br />

die Arbeit ausgeht. Zürich<br />

Pendo-Verlag, 1999, 142 S.,<br />

ISBN 3858423327, 26 DM<br />

Alfred Auer (Pro Zukunft 12/99, Nr. 135)<br />

Unternehmensgrün (Hg.):<br />

Arbeit – Strategien der<br />

Existenzsicherung<br />

Der Unternehmensverband „Unternehmens<br />

Grün“ will sich trotz der hohen Arbeitslosenzahlen<br />

nicht mit der allgemein verbreiteten<br />

Hoffnungslosigkeit abfinden, sondern<br />

sucht stattdessen Antworten auf Fragen wie<br />

„Gibt es ein Grundrecht auf Arbeit?“, „Ist<br />

Arbeit für alle überhaupt erstrebenswert und<br />

sind auch andere Formen der Existenzsicherung<br />

notwendig?“. Der Herausgeber legt<br />

seine Positionen und Vorschläge zur Steuerreform,<br />

zur Reform der sozialen Sicherungssysteme<br />

sowie zur Arbeitszeitverkürzung<br />

und -flexibilisierung auf den Tisch.<br />

Einen wichtigen Impuls für den Arbeitsmarkt<br />

sieht der Verband in der Ökosteuer.<br />

Gefordert wird eine Wertschöpfungsabgabe,<br />

um die Sozialfinanzierung zumindest teilweise<br />

vom Faktor Arbeit zu entkoppeln und<br />

so eine Verlangsamung des Rationalisierungstempos<br />

und zugleich die Schaffung<br />

neuer Arbeitsplätze zu erreichen. Ein Bürgergeld<br />

soll an die Stelle nahezu aller bisherigen<br />

Sozialleistungen treten und an jeden<br />

Bürger vom Finanzamt ausbezahlt<br />

oder ab einer bestimmten<br />

Mindesteinkommensgrenze mit der Steuerschuld<br />

verrechnet werden. Wolfgang<br />

Klauder, bis Ende 1996 Direktor am Instituts<br />

für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />

der BA für Arbeit, schildert<br />

Lösungsstrategien, die andere Länder<br />

(z.B. Dänemark oder die Niederlande) erfolgreich<br />

gegen die Arbeitslosigkeit gehen.<br />

Die Niederlande etwa steigerten die Erwerbstätigkeit<br />

seit 1983 um über ein Viertel.<br />

Er hält fest, dass alle Länder – zwar unterschiedlich<br />

gewichtet – ihre Erfolge auf<br />

dem Arbeitsmarkt einem Bündel von Bedingungen<br />

und Maßnahmen (geringe staatliche<br />

Regulierung, Teilzeit, Privatisierungen,<br />

moderate Lohnentwicklung, Steuersenkungen,<br />

Umschichtung zu Energiesteuern)<br />

verdanken. Der Autor zitiert zudem<br />

eine Computerstudie des Instituts für Arbeitsmarkt<br />

und Berufsforschung der Bundesanstalt<br />

für Arbeit (IAB) aus dem Jahr<br />

1996, nach der die Beschäftigung um rund<br />

zwei Millionen Arbeitskräfte gesteigert und<br />

die Arbeitslosigkeit halbiert werden könnte.<br />

Um das zu erreichen, wäre v.a. eine Verringerung<br />

der Jahresarbeitszeit erforderlich,<br />

sollte die Erhöhung der Nominallöhne den<br />

Produktivitätsfortschritt dauerhaft nicht<br />

übersteigen und sollte eine moderate, erst<br />

nach kräftigem Beschäftigungszuwachs einsetzende<br />

Konsolidierung des Staatshaushaltes<br />

Platz greifen. Ob es für alle Erwerbswilligen<br />

genug Arbeit gibt, hängt nach seiner<br />

Einschätzung v.a. von der Wirtschaftsund<br />

Finanzpolitik der Regierung, der Lohnund<br />

Arbeitszeitpolitik der Tarifpartner und<br />

der Flexibilisierung der Rahmenbedingungen<br />

ab.<br />

Weitere Beiträge schildern die Folgen der<br />

VW-Tarifpolitik, versuchen eine Neudefinition<br />

von Arbeit und präsentieren in der<br />

Praxis umgesetzte Lösungsansätzen (Initiative:<br />

Unternehmen – Partner der Jugend,<br />

„Arbeit nach Maß“ oder in Berlin die „Stattbauhof<br />

gGmbH). Schließlich beurteilt Alfred<br />

Ritter die Chancen, durch die Ökobranche<br />

neue Arbeitsplätze zu schaffen, eher<br />

pessimistisch. Er hält „wirkliche Kreativität<br />

und Mut bei der Umstrukturierung von<br />

gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere<br />

was die Arbeitswelt und die Wertschätzung<br />

verschiedener Tätigkeiten betrifft“ (S.<br />

119), für den einzig gangbaren Weg aus der<br />

Krise. Jedenfalls, so die Conclusio des<br />

Bandes, bedarf es grundsätzlicherer Strategien<br />

und Maßnahmen, als bisher von<br />

der Politik angeboten.<br />

UnternehmensGrün (Hg.): Arbeit –<br />

Strategien der Existenzsicherung, AG<br />

27 �


� 28<br />

SPAK Bücher und ökom-Verlag, 1999,<br />

132 S., ISBN 393083013, 19,80 DM<br />

Alfred Auer (aus: Pro Zukunft 1/00, Nr. 6)<br />

Isidor Wallimann (Hg.):<br />

Selbstverwaltung<br />

Empirisch abgesicherte Veröffentlichungen<br />

über selbstverwaltete Betriebe sind selten<br />

geworden. Weshalb veranschaulicht der<br />

Aufsatz von Mathias Hasler mit dem Titel<br />

„Selbstverwaltung (K)eine Modeerscheinung?<br />

Immerhin konnten von 373 angeschriebenen<br />

Schweizer Betrieben 220 in die<br />

Auswertung einbezogen werden. Aus deren<br />

Antworten wird deutlich, daß drei Viertel<br />

aller Neugründungen in den Jahren zwischen<br />

1978 und 1988 stattfanden. Danach<br />

erfolgte erst einmal ein sehr auffälliger Rückgang<br />

bei den Gründungen. Ist die Selbstverwaltung<br />

also doch nur ein Eingenerationenphänomen?<br />

Hasler stimmt in die häufig vorkommende<br />

„Schwarz-Weiss-Malerei“ nicht ein. Er läßt<br />

sich weder auf Aussagen wie „Selbstverwaltung<br />

ist die Zukunft“ noch „Sie wird nicht<br />

überleben“ ein. Vielmehr arbeitet er mit dem<br />

empirischen Daten heraus, daß sie wohl eine<br />

Alternative zur herkömmlichen Erwerbswirtschaft<br />

darstellt und noch über eine Reihe<br />

von Weiterentwicklungspotentialen verfügt.<br />

Ähnlich verhält es sich mit den anderen<br />

Aufsätzen. Sie sind sachlich, konkret,<br />

nicht abstrakt wissenschaftlich und vermeiden<br />

die Euphorie aus der Zeit des Gründungsbooms.<br />

Dies gilt auch für Franziska Amstutz mit<br />

dem Beitrag „Selbstverwaltung im Gastgewerbe:<br />

Innerbetriebliche Erfahrungen seit<br />

den 70ger Jahren“. Sie interviewte sechs<br />

Beizen in der Rechtsform der Genossenschaft.<br />

Deutlich wird, daß Gaststätten eine<br />

Domäne der Schweizer Selbstverwaltung<br />

sind, vergleichsweise viele Neugründungen<br />

aufweisen und unter der hohen Fluktuation<br />

der Mitglieder leiden. Ihr Ergebnis: „Im<br />

Gegensatz zu früher, als diffuse Idealvorstellungen<br />

dominierten, wird heute höhere<br />

Professionalität, klarere Strukturierung und<br />

Bereitschaft zu vermehrter Eigenverantwortung<br />

höherer Stellenwert beigemessen.“<br />

Auch die anderen Aufsätze arbeiten bei den<br />

verschieden Problemthemen die idealistischen<br />

Anfänge und die wachsende Prag-<br />

matik bei den Lösungsversuchen heraus.<br />

So verdeutlicht Simone Seiler unter der<br />

Überschrift „Der Lohn in der Selbstverwaltung:<br />

Ist der Einheitslohn passé?“, daß<br />

auch bei der wachsenden Zahl sogenannter<br />

abgestufter Lohnsysteme weiterhin<br />

Elemente des Einheitslohns enthalten<br />

sind. Es werden aber weitere Gerechtigkeitsansprüche<br />

als nur den der Gleichheit<br />

mit einbezogen. Insofern kann betont<br />

werden: Die Aufsätze geben einen<br />

guten Einblick in den Diskussionsstand<br />

der Selbstverwaltung in der Schweiz.<br />

Und vor allem enthalten sie vielfältige<br />

Anregungen auch für die Auseinandersetzung<br />

in Deutschland.<br />

Isidor Wallimann (Hg.): Selbstverwaltung.<br />

Entwicklung und Perspektiven, soziale<br />

Bewegungen, Krisen und soziale<br />

Ökonomie (Edition Heuwinkel) Neu-<br />

Allschwil / Basel 1996, 58 DM<br />

Burghard Flieger<br />

FEMINISTISCHE SICHT<br />

Katrin Andruschow (Hg.):<br />

Ganze Arbeit<br />

In der Debatte, wie die Krise der Arbeitsgesellschaft<br />

bewältigt werden kann, gerät<br />

mehr und mehr die Non-Profit-Ökonomie<br />

ins Blickfeld. Im Zentrum steht meist die<br />

Frage, ob hier neue Arbeitsplätze oder zumindest<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden<br />

werden können. Von einer so verengten<br />

Perspektive grenzt sich dieser Sammelband<br />

ab, indem er nach grundlegend<br />

neuen Konzepten für eine Arbeit der Zukunft<br />

in diesem Sektor fragt. Denn in der<br />

Non-Profit-Ökonomie wird nicht nur bezahlt<br />

und ‘ unbezahlt „ganze Arbeit“ geleistet,<br />

die noch immer unterbewertet ist, sondern<br />

hier sind auch wichtige Mosaiksteine<br />

für eine gesamtgesellschaftliche Neubestimmung<br />

und -gestaltung von Arbeit entwickelt<br />

worden, die das Ganze der gesellschaftlichen<br />

Arbeit berücksichtigen. Damit<br />

-so zeigen die AutorInnen im Detail - sind<br />

in der Non-Profit-Ökonomie zugleich Anstöße<br />

zur Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit<br />

zu finden wie auch Positionen<br />

formuliert worden, wie zukünftig unsere<br />

Lebensgrundlagen gesichert werden<br />

können, wie Lebensqualität gestaltet und<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

ein gleichberechtigtes Miteinander<br />

vorangebracht werden kann. Mit Beiträgen<br />

von Katrin Andruschow, Sigrid<br />

Betzelt, Anneliese Braun, Thomas Gesterkamp,<br />

Hella Hertzfeldt, Mechtild Jansen,<br />

Ute - Uta Meier, Heide Mertens, Gisela<br />

Notz.<br />

Katrin Andruschow (Hg.) Ganze Arbeit.<br />

Feministische Spurensuche in der Non-<br />

Profit-Ökonomie, Berlin: Edition Sigma,<br />

2001, 278 S., ISBN 3894048891, 29,80<br />

DM<br />

Veronika Bennholdt-Thomsen u.a.<br />

(Hg.):<br />

Das Subsistenzhandbuch<br />

“Die Frage, woher das Essen und die anderen<br />

zum Leben notwendigen Dinge kommen,<br />

ist immer auch eine Frage nach gerechteren<br />

und ökologischen Lebens- und<br />

Produktionsbedingungen für alle Menschen<br />

auf dieser Welt.“ (S. 10) So eine der Ausgangsthesen<br />

der Herausgeberinnen dieses<br />

Subsistenzhandbuches. Mit Subsistenz bezeichnen<br />

sie das, „was notwendig ist für ein<br />

zufriedenes und erfülltes Leben, im Gegensatz<br />

zu Gewinnstreben, Konkurrenz, Konsumismus<br />

und Umweltzerstörung.“ (S.12)<br />

Es geht ihnen um eine „Wirtschaft von<br />

unten“, eine „Alltagswirtschaft“, eine „Lebens-<br />

und Überlebensökonomie“ und vor<br />

allem darum, die Reduzierung des Wirtschaftens<br />

allein auf das Kapital-Lohnarbeit-<br />

Verhältnis im Denken wie im Handeln aufzubrechen.<br />

In diesem Sinne ist den Betreiberinnen<br />

eines Instituts für Theorie und<br />

Praxis der Subsistenz (ITPS) auch die herkömmliche<br />

Entwicklungspolitik „nichts anderes<br />

als die Fortsetzung des Kolonialismus<br />

mit anderen Mitteln.“ (S. 15) Sie sprechen<br />

bewusst nicht von einer Utopie (“Sie löst<br />

sich immer erst in der Zukunft ein“), sondern<br />

von „Subsistenzperspektive“, die etwas<br />

sei, „wonach wir sofort handeln können,<br />

sie ist Weg und Ziel zugleich.“ (S. 17)<br />

So wird in den insgesamt 17 vorgestellten<br />

Beispielen – von der Erzeuger-Verbrauchergemeinschaft<br />

eines Biobauernhofes bei<br />

Hamburg bis zu den bewusst auf Selbstversorgung<br />

setzenden Maya-Gemeinden in<br />

Guatemala, von den neuentstehenden<br />

Tauschkreisen in vielen Städten Deutschlands<br />

(hier vorgestellt Beispiele aus Halle<br />

und Vehlitz) bis hin zu einem philippini-<br />

schen Versuch, Palmölmonokulturen<br />

durch Mischkulturanbau zu ersetzen –<br />

nicht nur das Alltagshandeln der Menschen<br />

beschrieben, sondern auch der politische,<br />

kulturelle und ökonomische<br />

Kontext der Projekte.<br />

Dass Subsistenzorientierung nicht ein Zurück<br />

in die pure Selbstversorgung (“Steinzeit“-Argument)<br />

bedeutet, sondern das<br />

Schaffen neuer Freiräume, das Auskommen<br />

mit weniger Geld und das Stiften neuer<br />

Beziehungen, machen u.a. die Berichte über<br />

„Subsistenz in der Stadt“, deutlich, in denen<br />

von selbstorganisierten Mütterzentren<br />

(mittlerweile existieren davon an die 480<br />

in der BRD), dem Leben in einer Wohngemeinschaft,<br />

die sich die Abkehr vom Konsumismus,<br />

eine gemeinsame Ökonomie und<br />

die Auflösung kleinfamiliärer Strukturen<br />

zum Ziel setzt (Kommune Niederkaufungen),<br />

sowie der Revitalisierung einer ehemaligen<br />

SelbstversorgerInnensiedlung in<br />

Erlenfeld bei Kassel erzählt wird.<br />

Das spannende Buch hebt sich auch durch<br />

ein Weiteres von den üblichen sozialwissenschaftlichen<br />

Abhandlungen ab: 12 der<br />

17 BeiträgerInnen sind Frauen.<br />

Veronika Bennholdt-Thomsen u.a. (Hg.):<br />

Das Subsistenzhandbuch. Widerstandskulturen<br />

in Europa, Asien und Lateinamerika.<br />

Wien: Promedia, 1999. 247 S.,<br />

ISBN 385371143X, 34 DM<br />

Hans Holzinger ( Pro Zukunft 4/99, Nr. 404)<br />

Ihrsinn (Hg.):<br />

Von Klassen und Klassen<br />

Ihrsinn, die radikalfeministische Lesbenzeitschrift,<br />

widmet sich nach ihrem Heft<br />

„Von Klassen und Kassen“ (9/1994) unter<br />

dem Titel „schaffe, schaffe“ wieder der Ökonomie<br />

und der Arbeit. Andrea Baier wirft<br />

einen Blick auf das Verhältnis von lesbischer<br />

Existenz und Subsistenz. Baier hängt der<br />

Subsistenztheorie („es kann nicht sein, dass<br />

Gesellschaftlichkeit für Frauen Kinderlosigkeit<br />

voraussetzt“) an und tritt für eine lesbische<br />

Auseinandersetzung mit ihr ein. Ruth<br />

Becker bemerkt, dass fatalerweise Arbeit –<br />

und nicht z.B. Zwangsheterosexualität – die<br />

zentrale Kategorie der „deutschen“ feministischen<br />

Debatte sei. Sie bringt sehr gute<br />

Argumente gegen ein garantiertes Grundeinkommen<br />

und die Eigenarbeitskonzepte<br />

vor. Diese seien eine Diffamie-<br />

29 �


� 30<br />

rung der bezahlten professionellen Arbeit<br />

von Frauen. Ferner würden sie<br />

wiedereinmal die Familie als Ausgangspunkt<br />

gesellschaftlicher Reformen setzen<br />

– was a) wegen der dort herrschenden<br />

Gewaltverhältnisse illusorisch und b) auch<br />

gar nicht wünschenswert sei. Witzigerweise<br />

nähert sich Becker in ihren Forderungen<br />

nach Verbesserungen der Erwerbsarbeitsbedingungen<br />

und der Professionalisierung<br />

von Pflegetätigkeiten genau<br />

wieder jenen sozialistischen Feministinnen<br />

an, die sie zu Beginn ihres Textes noch gegeißelt<br />

hat. Nun denn, es gibt schlimmeres.<br />

Inwieweit neue Modelle von lesbischer Identität<br />

(ohne Familie bzw. zu versorgende Personen,<br />

flexibel, berufsorientiert) und lesbischem<br />

Begehren zum Neoliberalismus und<br />

seiner Flexibilisierung von Leitbildern und<br />

Arbeitsverhältnissen passen, dies untersucht<br />

Iris Nowak in ihrem sehr lesenswerten Beitrag<br />

IHRSINN Nr. 21 (2000), 118 S., 16 DM,<br />

c/o Frauenbuchladen Amazonas, Schmidtstr.<br />

12, 44793 Bochum, im Buchhandel<br />

oder www.homo.de/lesben/ihrsinn).<br />

Bernd Hüttner (aus: Alaska 2000)<br />

Christa Müller:<br />

Von der lokalen Ökonomie<br />

zum globalisierten Dorf<br />

Müller untersucht in ihrer Dissertation die<br />

Transformation der dörflichen lokalen Ökonomie<br />

im nordrhein-westfälischen Borgenteich<br />

in eine weltmarktorientierte, und welche<br />

Auswirkungen und Ursachen dieser Prozess<br />

hatte. Müller ist Anhängerin der Subsistenztheorie,<br />

ihre Doktormutter ist Veronika<br />

Bennholdt-Thomsen, eine der drei bundesdeutschen<br />

Mitbegründerinnen dieses<br />

Ansatzes. Müller dimensioniert zuerst ihren<br />

theoretischen Referenzrahmen, der hier<br />

vor allem auf dem Ansatz von Polanyi zur<br />

Einbettung und Entbettung von Ökonomien<br />

beruht. Sie kommt zum Schluss, dass<br />

auch heutige weltmarktorientierte Ökonomien<br />

nicht entbettet seien, sondern eben in<br />

die jeglicher sozialen Beziehungen enthobene<br />

Warenlogik eingebettet seien. Dann<br />

stellt sie ihr Untersuchungsobjekt vor: Die<br />

Bauern und Bäuerinnen und die Handwerker<br />

in Borgentreich, ihre Produktion, ihren<br />

Konsum und ihr Selbstverständnis. Die genannten<br />

praktizierten, so fand Müller<br />

durch Befragungen und Beobachtungen<br />

heraus, teilweise bis in die beginnenden<br />

70er Jahre hinein eine stark auf soziale<br />

Beziehungen beruhende Moral<br />

Economy. Zwischen ihnen bestand eine<br />

hohe Kooperationsbereitschaft und das<br />

Handeln des/der Einzelnen orientierte sich<br />

am Wohle der Gemeinschaft, das Wirtschaften<br />

fand auch fast ohne Geld statt.<br />

Im dritten Kapitel umreisst Müller die<br />

Veränderungen, die zum Zusammenbruch<br />

der lokalen Ökonomie Borgentreichs führten:<br />

die Agrarpolitik verursacht das Höfesterben,<br />

standardisierte Massenprodukte ruinieren<br />

die teureren Handwerker und importierte<br />

Lebensmittel den dörflichen Einzelhandel.<br />

Die noch vorhandene, in die sozialen<br />

Beziehungen der Wirtschaftenden eingelassene<br />

Subsistenzproduktion verliert<br />

immer mehr an Bedeutung.<br />

Nach dem Niedergang der lokalen Ökonomie<br />

schildert Müller verschiedene Reaktionen<br />

von noch heute existierenden landwirtschaftlichen<br />

Betrieben. Während viele das<br />

„Wachsen oder weichen“ hemmungslos mitmachen,<br />

versuchen wenige neue und andere<br />

Wege zu gehen. Landwirte, die Alternativen<br />

aufgebaut haben und weitersuchen,<br />

knüpfen dabei auch wieder an „alte“, wenn<br />

auch modernisierte und angepasste Formen<br />

von Kooperationen an: Statt im eigenen<br />

Dorf arbeiten sie z.B. mit städtischen VerbraucherInnen<br />

zusammen. Zum Schluss<br />

stellt die Autorin das Konzept der nachhaltigen<br />

Regionalentwicklung und verschiedene<br />

konkrete Projekte aus der Region um<br />

Borgentreich vor. Der Band endet mit einem<br />

Exkurs zu „Sustainability und Wachstum“<br />

in dem Müller auf den Nachhaltigkeitsdiskurs<br />

eingeht.<br />

Das Werk von Müller umreisst ein weites,<br />

fast zu weites Feld: Es reicht von neuerer<br />

sozialökonomischer Theorie bis zu neobäuerlicher<br />

Praxis, vom Landhandwerker<br />

bis zum Weltmarkt, von der Agrarpolitik bis<br />

zu kulturellen Traditionen der Nachkriegszeit.<br />

Die grundsätzliche zu begrüßende Weitläufgkeit<br />

und auch Interdisziplinarität der<br />

Arbeit gerät fast an ihre Grenzen. Die kulturelle<br />

und ökonomische Attraktivität des<br />

neuen, die lokale Ökonomie ablösenden<br />

Modells wird zwar konstatiert, und dies ist<br />

für die manchmal etwas dogmatische Subsistenztheorie<br />

schon ein gewagter Schritt;<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

warum es aber so attraktiv war und ist,<br />

darauf geht Müller nicht ein. Warum<br />

tauschten die Menschen vor allem aus<br />

Lust und Überzeugung und weniger aus<br />

Zwang (den es auch gab), die beengenden<br />

Kontrollmechanismen des Dorfes,<br />

die Abhängigkeit von Verwandten, NachbarInnen<br />

etc., sobald sie die Möglichkeit<br />

dazu hatten, gerne gegen die Abhängigkeit<br />

von Gelderwerb und der Zuteilung<br />

von Gütern durch relativ anonyme Märkte?<br />

Angesichts dessen, dass bei Müller<br />

eine normative Sympathie für die kulturelle<br />

und ökonomische Praxis der (vergangenen)<br />

lokalen Ökonomie besteht,<br />

würde die weitergehende Diskussion dieser<br />

Frage auch politische Anhaltspunkte<br />

für heutige Debatte geben. Dann würde<br />

sich zeigen, dass, wie Müller es auch anführt<br />

(S. 124), die Orientierung an sozialen<br />

Hierarchien eine wichtige Bedingung<br />

für den Erfolg der marktwirtschaftlichen<br />

Logik war, ergo die Verhältnisse im Dorf<br />

eben nicht so egalitär und freundschaftlich<br />

waren, wie es Müller zwischen den<br />

Zeilen immer mal wieder unterstellt. Vor<br />

dem Hintergrund ihres theoretischen<br />

Ansatzes verbleibt sie gegenüber nachhaltiger<br />

Regionalentwicklung, wie der<br />

Nachhaltigkeit allgemein, erstaunlich unkritisch.<br />

Auf die Praxis und den theoretischen<br />

Diskurs zur Regionalentwicklung<br />

der letzten zwei Jahre geht sie nicht ein,<br />

was vermutlich am Zeitpunkt des Abschlusses<br />

der Arbeit liegen dürfte, gibt<br />

dazu dazu also leider keine neuen kritischen<br />

Impulse.<br />

Die Berichte ihrer InterviewpartnerInnen<br />

dienen vor allem der Illustration und der<br />

Untermauerung der theoretischen Aussagen<br />

des Bandes. So entsteht der – vielleicht falsche<br />

– Eindruck, es seien nur die passenden<br />

Zitate ausgewählt worden. Ihre inhaltlichen<br />

Aussagen sind auch für Dörfer in<br />

anderen Regionen Deutschlands zutreffend,<br />

wie der Rezensent anhand der eigenen Erinnerungen<br />

an die von Dorf und elterlicher<br />

Landwirtschaft geprägte Kindheit und aus<br />

Erzählungen anderer bestätigen kann.<br />

Trotz aller Kritik ist das Buch einer der<br />

wenigen zeitgenössischen, wenn auch theoretischen<br />

Beiträge zu lokaler Ökonomie im<br />

Dorf, der von einer sozial-ökologisch motivierten<br />

Kapitalismuskritik ausgeht und ge-<br />

schlechtsspezifischer Arbeitsteilung als<br />

strukturierendem Merkmal grosse Bedeutung<br />

zumisst. Es zeigt eindringlich die Veränderungen<br />

der Lebensverhältnisse auf,<br />

denen das Dorf und der ländliche Raum<br />

unterworfen waren. Nicht zuletzt gibt es den<br />

betroffenen Menschen eine Stimme und<br />

Raum, ihre Erlebnisse und Urteile mitzuteilen.<br />

Christa Müller: Von der lokalen Ökonomie<br />

zum globalisierten Dorf. Bäuerliche<br />

Überlebensstrategien zwischen Weltmarktintegration<br />

und Regionalisierung,<br />

Frankfurt: Campus, 1998, 232 S., ISBN<br />

3593361213, 44DM<br />

Bernd Hüttner (Contraste, Februar 1999)<br />

Bettina Musiolek (Hg.):<br />

Ich bin chic, und Du mußt schuften<br />

Jeans oder T-Shirts haben oft einen wahren<br />

Zickzack-Kurs über den Erdball hinter sich,<br />

bevor sie in unsere Geschäfte kommen.<br />

Doch wer weiß schon, wieviele Hände an<br />

der Produktion beteiligt waren! Verlierer im<br />

globalen Geschäft mit der Mode sind die<br />

Produzentinnen in Ländern wie Taiwan, El<br />

Salvador oder Bulgarien, die unter teilweise<br />

extremen Arbeitsbedingungen besonders<br />

in den Freihandelszonen ausgebeutet werden.<br />

Mit aufwendigen Recherchen vor Ort hat<br />

die Autorin Bettina Musiolek eindrückliche<br />

Berichte und Reportagen zur weltweiten<br />

Textilproduktion und modernen Formen der<br />

Sklavenarbeit zusammengetragen. Das Buch<br />

„ich bin chic und Du mußt schuften“ zeigt<br />

die „Spielregeln“ der Branche und fragt, wie<br />

Frauen als Produzentinnen und als Konsumentinnen<br />

diese mit dem Ziel eines Fairen<br />

Handels gerecht verändern können. Es<br />

schreiben Frauen aus Asien, Afrika, Amerika<br />

und Europa, sie erzählen, wie sie arbeiten,<br />

leben, sich gegenseitig helfen – und wie<br />

sie unsere Kleidung nähen.<br />

„Wollen wir denn wirklich von Sklaverei<br />

profitieren?“ fragt Dorothee Sölle im Vorwort<br />

und weist gleichzeitig den Weg für eine<br />

gemeinsame Veränderung: „Frei werden wir<br />

jedenfalls nur gemeinsam – Süd und Nord,<br />

chicke Damen und schuftende Näherinnen.“<br />

Musiolek, Bettina (Hg.): Ich bin chic, und<br />

Du mußt schuften. Frauenarbeit für den<br />

globalen Modemarkt, Frankfurt: Brandes<br />

& Apsel, 1997. 144 S.,<br />

31 �


� 32<br />

ISBN 3860991493, 19,80 DM<br />

Peter Streiff (Aus: ECOregio, April 1999)<br />

Martina Schäfer, Susanne Schön:<br />

Nachhaltigkeit als Projekt<br />

der Moderne<br />

“Anke F. schaut auf die Uhr...: Schon wieder<br />

13.30 Uhr, ... Vielleicht sollte sie jetzt<br />

doch schnell um die Ecke in den Ökoimbiss<br />

gehen, damit sie rechtzeitig zur Besprechung<br />

wegen des Photovaltaik-Auftrags in Indonesien<br />

wieder zurück ist...“<br />

Derart episch wird der/die Leser/in in das<br />

Ökologische Modernisierungsszenario bzw.<br />

ins Nachhaltigkeitsszenario - Deutschland im<br />

Jahre 2010 - eingeführt. Das dritte Modell<br />

ist jenes der Globalisierung, im Blick auf<br />

Lebensqualität im umfassenden Sinne am<br />

negativsten gezeichnet wird. Die Vorstellungen<br />

der Autorinnen von einer erstrebenswerten<br />

Zukunft repräsentiert in dieser Darstellung<br />

das Nachhaltigkeitsszenario. Dieses<br />

wird in den darauffolgenden Kapiteln<br />

theoretisch entwickelt und diskutiert. Die<br />

Prämisse ist, Ökologie, Ökonomie und das<br />

Geschlechterverhältnis in all seinen sozioökonomischen<br />

und soziokulturellen Dimensionen<br />

in ein vernetztes Ganzes zu bringen.<br />

Schäfer / Schön orientieren sich dabei an<br />

der „Ganzheitlichen Problemlösungsmethodik“<br />

einer Schweizer Forschergruppe,<br />

die folgende fünf Schritte vorsieht: 1. Die<br />

Problemsituationen (Zerstörung der Lebensgrundlagen,<br />

Krise der Arbeitsgesellschaft<br />

etc.) sind mit all ihren Einflussfaktoren zu<br />

beschreiben, und die angestrebten Lösung<br />

zu modellieren. – 2. Ziele und Einflussfaktoren<br />

werden zu einem Gesamtbild verschmolzen.<br />

– 3. Zur Erfassung und Interpretation<br />

der Veränderungsmöglichkeiten<br />

werden Szenarios erarbeitet. – 4. Es sind<br />

die verschiedenen Lenkungsebenen bzw.<br />

Lenkungsmöglichkeiten zu entwickeln: von<br />

den individuellen bis zu den politisch-strukturellen.<br />

– 5. Schließlich sind erst konkrete<br />

Maßnahmen und Strategien zu planen.<br />

(S. 19f.)<br />

Unter diesen Vorzeichen werden die beiden<br />

Problemkreise „Bedürfnisfeld Ernährung“<br />

und „Bedürfnisfeld Wohnen“ betrachtet, um<br />

daraus Konturen zukunftsfähiger Arbeit zu<br />

entwickeln. Demnach sollten „Gleichstellungs-,<br />

Arbeitszeit-, Betriebsverfassungs-,<br />

Grundsicherungs- und Regionalstrukturgesetze“<br />

zur Geltung kommen, deren zentrale<br />

Optionen etwa folgendermaßen zu beschreiben<br />

sind: die 50/50 Quotierung der<br />

Geschlechter ist auf allen Beschäftigungsund<br />

Entscheidungsebenen verwirklicht;<br />

die 30-Stunden-Woche eingeführt (wobei<br />

bezahlte Mehrarbeit überproportional<br />

besteuert und Freistellungen für<br />

Gemeinwesensarbeit und Weiterbildung<br />

gewährleistet werden); für Betriebe, die<br />

besonders arbeitnehmerfreundlich agieren,<br />

gibt es Steuervergünstigungen; im<br />

Bedürfnisfall gibt es eine Grundsicherung<br />

von DM 1.500,- pro Monat. Große Bedeutung<br />

messen die Autorinnen zudem<br />

einer intakten Regionalstruktur (Stichworte:<br />

„regionale Versorgungswirtschaft“;<br />

Unterstützung regionaler Initiativen<br />

und Projekte; Regionalfonds;<br />

regionaler Runder Tisch mit<br />

Gemeinwesenorientierung u.a.m.) bei.<br />

Schäfer / Schön skizzieren nicht nur ihr<br />

Wunschszenario, sondern benennen auch<br />

Probleme und Widersprüchlichkeiten ihres<br />

Modells: Die Optionen seien teilweise nicht<br />

neu, aber konnten bislang nicht durchgesetzt<br />

werden; die zunehmende Individualisierung<br />

könnte der Gemeinschaftsorientierung<br />

im Wege stehen; die angestrebte Hinwendung<br />

zu Natur und ihren (Zeit)Rhythmen<br />

stehe der wachsenden Entfremdung<br />

von der Natur gegenüber, auch scheint die<br />

Stärkung der regionaler Identitäten an der<br />

Ausweitung der Erfahrungswelten zu scheitern.<br />

Dennoch, so die Autorinnen, kann auf<br />

keinen der zu verändernden Bereiche verzichtet<br />

werden, denn aufgrund der strukturellen<br />

Vernetzung aller Lebensbereiche ist<br />

Nachhaltigkeit nur ganz oder gar nicht zu<br />

haben.<br />

Martina Schäfer, Susanne Schön: Nachhaltigkeit<br />

als Projekt der Moderne. Skizzen<br />

und Widersprüche eines zukunftsfähigen<br />

Gesellschaftsmodells. Hg. v. Wissenschaftszentrum<br />

Berlin für Sozialforschung.<br />

Berlin: Edition Sigma, 2000. 259<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

S., ISBN 3894042001, 36 DM<br />

Sigrid Schmid (Pro Zukunft 3/00, Nr.263)<br />

LANDWIRTSCHAFT<br />

Evangelische Kirche (Hg.):<br />

Ernährungssicherung und<br />

Nachhaltige Entwicklung<br />

Nachhaltigkeit der Landwirtschaft bedeutet<br />

Ernährungssicherung. Hierzu ist ein Umdenken<br />

in der landwirtschaftlichen Produktion<br />

weltweit und ein Umsteuern hin zu<br />

standortgerechten, umweltschonenderen<br />

Produktionsmethoden erforderlich. Für die<br />

Landwirtschaft in den Entwicklungsländern<br />

müssen Methoden unterstützt werden, die<br />

ohne hohe Investitionskosten durchgeführt<br />

werden können. Die Landwirtschaft der Industrieländer<br />

muss demgegenüber den Einsatz<br />

von umweltbelastenden Produktionsmitteln<br />

noch stärker reduzieren. Die Ziele<br />

einer nachhaltigen Landwirtschaft stehen<br />

gleichberechtigt, zueinander: Schutz der<br />

Umwelt, Effizienz der Wirtschaft und soziale<br />

Gerechtigkeit. Internationale Agrarabkommen<br />

im Rahmen der Welthandelsorganisation<br />

(WTO) haben weitreichende Auswirkungen<br />

auf die Landwirtschaft in Nord<br />

und Süd. Es ist zu befürchten’ dass die angestrebte<br />

Handelsfreiheit auf Kosten sozialer<br />

und ökologischer Ziele durchgesetzt<br />

wird. Deswegen ist eine grundlegende Reform<br />

der internationalen Agrarabkommen<br />

nötig.<br />

Bezug: EKD, Herrenhäuser Str. 72,<br />

30419 Hannover, Fax: 0511/ 2796-777<br />

(Forum Umwelt & Entwicklung, 3/2000)<br />

Forum Umwelt & Entwicklung (Hg.):<br />

Die Patentierung lebender Materie<br />

Die vorliegende Studie konzentriert sich<br />

jedoch weitgehend auf die Auswirkungen<br />

der zunehmenden Praxis, landwirtschaftliche<br />

Nutzpflanzen dem Patentrecht zu unterwerfen.<br />

Eine wichtige Rolle spielt in diesem<br />

Zusammenhang die Welthandelsorganisation<br />

WTO und ihr Abkommen über handelsbezogene<br />

Aspekte geistiger Eigentumsrechte<br />

(TRIPS), das die Mitgliedsstaaten zu<br />

einem relativ weitgehenden Patentschutz<br />

zwingt. Betroffen hiervon werden in den<br />

nächsten Jahren insbesondere die Bauern<br />

in den Entwicklungsländern sein.<br />

Die 64-seitige Broschüre fasst zunächst essentielle<br />

Bestimmungen des TRIPS-Abkommens<br />

zusammen, indem auf die einzelnen<br />

Teile des Abkommens genauer eingegangen<br />

wird. Das zweite große Kapitel benennt<br />

die Problemfelder, die im Spannungsfeld<br />

ökonomischer Interessen auftreten. Hier<br />

wird vor allem auch auf die konträren Interessenslagen<br />

und Bedürfnisse eingegangen,<br />

die zwischen Industrie- und Entwicklungsländern<br />

bestehen. Im weiteren Verlauf werden<br />

die Handlungsmöglichkeiten der Entwicklungsländer<br />

skizziert, insbesondere mit<br />

Blick auf den Art. 27.3 (b), der die Ausnahmemöglichkeiten<br />

zur Anwendung des Patentschutzes<br />

auf lebende Materie regelt. Das<br />

abschließende Kapitel setzt sich mit den<br />

Voraussetzungen für die Verbesserung der<br />

politischen Handlungsspielraume auseinander.<br />

Bezug : Forum Umwelt & Entwicklung,<br />

Am Michaelshof 810, 53777 Bonn, Tel.:<br />

0228/359704, Fax: 0228-359096, E-Mail.<br />

forumue@compuserve.com, Internet:<br />

www.forumue.de, DM 5 zzgl. VK.<br />

(aus: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung,<br />

4/2000)<br />

Kritische Geographie (Hg.):<br />

Landwirtschaft und Agrarpolitik in<br />

den 90er Jahren<br />

Über 50 Prozent der Ausgaben der Europäischen<br />

Union (EU) gehen als Strukturförderung<br />

und Subventionen in die Landwirtschaft.<br />

Das unterstreicht den hohen Stellenwert<br />

der Agrarpolitik im europäischen<br />

Kontext, der im meist städtisch geprägten<br />

sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Diskurs nur allzu gerne vernachlässigt wird.<br />

Die österreichische Gruppe ,,Kritische Geographie“<br />

will dieses Defizit am Beispiel einer<br />

Bestandsaufnahme der österreichischen<br />

Landwirtschaft mit beseitigen helfen. Mit<br />

seiner kleinräumigen landwirtschaftlichen<br />

Struktur, dem geringen Anteil an Grossbetrieben<br />

und seinem hohen Anteil an ökologischem<br />

Landbau, der 1998 zehn Prozent<br />

der Fläche und über acht Prozent aller Betriebe<br />

ausmachte (zum Vergleich BRD: 2,1<br />

bzw. 1,4 Prozent) könnte sich in diesem<br />

Land eine Alternative zu grossen (industriellen)<br />

Agrarstrukturen herausbilden.<br />

Die gesellschaftliche Modernisierung Ös-<br />

33 �


� 34<br />

terreichs seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

unterwarf gerade auch die Landwirtschaft<br />

und die von ihr lebenden Menschen einem<br />

tiefgreifenden Veränderungsprozess. Nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte<br />

sich dieser Prozess und führte zu einer<br />

,,Deagrarisierung“ des Landes. Die erst<br />

seit den beginnenden 50er Jahren bestimmenden<br />

agrarindustriellen Produktionsformen<br />

wurden von der agrarisch tätigen<br />

Bevölkerung wie von der Gesellschaft<br />

insgesamt widersprüchlich wahrgenommen.<br />

Zum einen wurde der Verlust<br />

an althergebrachten Lebens- und<br />

Wirtschaftsformen und des damit verbundenen<br />

Wissens beklagt, zum anderen<br />

wurden die immensen Produktivitätsgewinne<br />

in der Landwirtschaft in der<br />

Form (relativ) niedriger Lebensmittelpreise<br />

als positiver ,,Wohlstandsgewinn“ begriffen.<br />

Von Seiten der Agrarpolitik wurde diese<br />

Entwicklung ebenso zweischneidig begleitet,<br />

indem Massnahmen zu einer Verzögerung<br />

des Modernisierungsprozesses<br />

(im Sinne einer ,,sozialen Abfederung“) von<br />

politischen Handlungen begleitet wurden,<br />

die die Deagrarisierung und das Höfesterben<br />

noch beschleunigten.<br />

Mit der beginnenden Krise des fordistischen<br />

Entwicklungsmodells Ende der 70er Jahre<br />

und einer zusehends stärkeren Hinterfragung<br />

des Industrialisierungsprozesses und<br />

seiner (negativen) ökologischen Folgen, ergeben<br />

sich neue Perspektiven für die Landwirtschaft.<br />

Neben einer weiteren Modernisierung<br />

im Sinne einer Anpassung an den<br />

Wettbewerb auf dem Weltmarkt, richtet sich<br />

ein wachsender Teil der österreichischen<br />

Landwirtschaft allmählich in eine ökologische<br />

Richtung aus, die versucht, trotzdem<br />

konkurrenzfähig zu sein. Der EU-Beitritt<br />

Österreichs 1995 wirkte dabei als verstärkender<br />

Faktor: Die Losung vom europäischen<br />

,,ökologischen Feinkostladen“, der<br />

mit österreichischen landwirtschaftlichen<br />

Produkten beliefert wird, hat sich seither in<br />

der Agrarpolitik breit gemacht.<br />

Vor dem Hintergrund dieser Makroprozesse<br />

wenden sich die 15 Beiträge vier Hauptthemen<br />

zu: Den ökonomischen und agrarpolitischen<br />

Rahmenbedingungen der Land-<br />

wirtschaft Ende der 90er Jahre und deren<br />

Entwicklung und politischer Regulation<br />

seit dem 19. Jahrhundert. Des weiteren<br />

werden Alternativen (z.B. Biolandbau,<br />

Direktvermarktung, Subsistenz)<br />

vorgestellt und die sehr wichtige Frage<br />

thematisiert, wie die soziale Gruppe der<br />

Bürginnen heute von anderen gesellschaftlichen<br />

Gruppen wahrgenommen<br />

wird. Hervorhebenswert sind hier die<br />

Aufsätze zur Geschichte verschiedener<br />

ideologischer Interpretationsmuster von<br />

„BürgerIn-Sein“ und zum Bild der Landwirtschaft,<br />

wie es sich in Schulbüchern zeigt.<br />

Das sehr interessante Buch versammelt Beiträge<br />

auf der Höhe der Zeit und ist – sieht<br />

mensch vom Spektrum der Agraropposition<br />

um die AbL ab – den allermeisten Publikationen<br />

zum Thema in der Bundesrepublik<br />

weit voraus. Sicher kann etliches aus der<br />

österreichischen Debatte aufgrund der unterschiedlichen<br />

Agrarstruktur nicht auf die<br />

Bundesrepublik übertragen werden kann;<br />

es bleibt aber genug übrig, ,,weltmarktfähiger<br />

Biolandbau“ z.B., mit dem es sich zu<br />

beschäftigen lohnt.<br />

Kritische Geographie (Hg.): Landwirtschaft<br />

und Agrarpolitik in den 90er Jahren.<br />

Österreich zwischen Tradition und<br />

Moderne; Wien: Promedia, 1999, 256 S,<br />

ISBN 3-85371-152-9, 38 DM<br />

Bernd Hüttner (Contraste Februar 2000)<br />

Beate Wörner:<br />

Von Gen-Piraten und Patenten<br />

Wer Pflanzen oder Wirkstoffe daraus zum<br />

Patent anmeldet, hofft auf das große Geld.<br />

Vor allem die Pharmaindustrie und internationale<br />

Saatgutkonzerne profitieren von diesem<br />

Raubgut. Sie streichen riesige Gewinne<br />

aus der Ausbeutung der pflanzengenetischen<br />

Ressourcen und ihrer Vermarktung<br />

ein. So bedroht die Biopiraterie nicht nur<br />

die Artenvielfalt, sie untergräbt auch die<br />

Ernährungssicherheit, treibt Bauern in den<br />

Ruin und plündert das Wissen der „Hüter<br />

des grünen Goldes’, der indigenen Völker,<br />

aus, die seit Jahrhunderten das „grüne Gold“<br />

der genetischen Vielfalt pflegen. Es wird in<br />

diesem Buch verdeutlicht, warum sich Entwicklungsländer<br />

im Rahmen der Welthandelsorganisation<br />

(WTO) gegen die Patentierung<br />

von Pflanzen und Tieren zur Wehr<br />

setzen.<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

<strong>Anzeige</strong><br />

Beate Wörner: Von Gen-Piraten und<br />

Patenten. Brandes & Aspel Verlag,<br />

Frankfurt, 100 S, ISBN 3860992015,<br />

14 DM<br />

(Aus: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung,<br />

4/2000)<br />

ÖKOLOGIE<br />

Günter Altner u.a. (Hg.):<br />

Jahrbuch Ökologie 2001<br />

Das Jahrbuch Ökologie feiert seinen 10.<br />

Geburtstag! Den Herausgebern, dem Verlag<br />

und allen, die zu dem seit Jahren konstant<br />

hohen Niveau dieser Publikation beigetragen<br />

haben, ist zu gratulieren und zu<br />

danken. Denn jeder Herbst bringt uns in die<br />

(angenehme) Verlegenheit, die Wertschätzung<br />

für diese Reihe auf knappem Raum<br />

nachvollziehbar zu begründen. Beginnen<br />

wir also mit einem Pauschallob für die VerfasserInnen<br />

von nicht weniger als 33 Beiträgen.<br />

Bei aller Differenz des Themas ist<br />

ihnen Sachwissen und Engagement ebenso<br />

gemeinsam wie stilistische Klarheit und<br />

Aktualität. Einige ausgewählte Beispiele:<br />

Überaus Heterogenes findet sich im einleitenden<br />

„Perspektiven“-Kapitel: Subjektiv<br />

pointiert berichtet etwa D. Beisel darüber,<br />

„wie der Protest“ (gegen die Umweltzerstörung)<br />

in Deutschland ab 1959 „zur Sprache<br />

kam“, und informiert N. Begich (Alaska)<br />

über das geheimnisumwitterte US-Militärprojekt<br />

HAARP, mit dem durch elektromagnetische<br />

Manipulationen Einfluss auf<br />

Wetter, Natur und Mensch genommen werden<br />

soll.<br />

Die „Schwerpunkte“ sind vier Themenfeldern<br />

gewidmet. Zum einen geht es in drei<br />

Beiträgen um eine Zwischenbilanz der Umweltpolitik<br />

der rot-grünen Bundesregierung,<br />

die, wie M. Jänicke bilanziert, mit Ausnahme<br />

der Energiepolitik ein wenig ehrgeiziges<br />

Programm verfolgt. Selbst mit einem<br />

intendierten Anstieg der Umweltabgaben<br />

von 5,2 Prozent im Jahr 1997 auf 7,3 Prozent<br />

(bis 2003) liegt man doch deutlich hinter<br />

den Niederlanden oder Dänemark (S.<br />

65). Zum anderen wird ausführlich auf die<br />

EU-Osterweiterung eingegangen. Allein die<br />

Kosten für die Sanierung der Umwelt (auf<br />

EU-Niveau), so einer der vielen Befunde,<br />

35 �


� 36<br />

werden auf bis zu 120 Mrd. Euro geschätzt<br />

(S. 89). Dem ehrgeizigen Ziel<br />

„Null-Emission“ als Paradigma industrieller<br />

Produktion für das 21. Jahrhundert<br />

wendet sich ein weiterer Abschnitt zu. R.<br />

Kühr berichtet über den Stand der aktuellen<br />

Entwicklung und erläutert insbesondere<br />

den holistischen Anspruch des<br />

Konzepts, das u.a. durch die Schaffung<br />

neuer Industriecluster darauf abzielt, „alles<br />

zu verwenden“. Informiert wird auch<br />

über den Stand der Entwicklung in Japan<br />

(mit einer Güterproduktion von rund 10,2<br />

t und einem Ressourcenverbrauch von 40<br />

t pro Kopf und Jahr). Dem Thema „Umweltbildung“<br />

widmen sich in der Folge u.a.<br />

W. D. Hasenclever (er wirbt für einen „Ökologischen<br />

Humanismus“ und leistet damit<br />

auch einen Beitrag zur Wertediskussion aus<br />

pädagogischer Sicht). Besonders empfehlenswert<br />

sind zudem die philosophiegeschichtlichen<br />

Überlegungen von G. Széll<br />

über den Zusammenhang von Arbeit, Bildung<br />

und Umwelt. Aus Sicht des „Berufsund<br />

Praxisfeldforschers“ zeigt der Autor,<br />

wie jeweils divergierende Theorien die<br />

(ökologische) Problemwahrnehmung bestimmen<br />

und somit jeweils andere Lösungsvorschläge<br />

zur Folge haben.<br />

Der traditionelle „Disput“ kreist (gar nicht<br />

kontroversiell) um „solare Optionen“. Während<br />

P. Hennicke 10 Thesen für die Umsetzung<br />

des „Faktor-Vier“-Konzepts zur Diskussion<br />

stellt und dieses auch quantifiziert<br />

– erreichbar erscheint etwa die Reduktion<br />

des Kohleverbrauchs von weltweit 2,5 Gigatonnen<br />

(1995) auf 0,3 GT bis 2050 (vgl. S.<br />

188) –, weist H. Scheer nicht zum ersten<br />

Mal darauf hin, dass rund 40 Prozent der in<br />

Deutschland verbrauchten Energie durch<br />

„solares Bauen“ eingespart werden könnte.<br />

„Umweltgeschichtliches“ gibt es diesmal<br />

u. a zur (nicht ganz) rätselhaften Rolle der<br />

USA bei der Klimakonferenz in Kyoto und<br />

zu den viel weniger beachteten (und somit<br />

auch wenig erfolgreichen) Bemühungen um<br />

internationalen Bodenschutz.<br />

Nicht weniger als acht Beiträge verweisen<br />

schließlich auf die Vielfalt umweltbezogenen<br />

Engagements im Alltag und runden<br />

neben Aufsätzen zur Spurensicherung den<br />

Band ab.<br />

Nirgendwo sonst findet man im deutschen<br />

Sprachraum –fokussiert auf den Diskurs in<br />

der BRD – derart viel Ökokompetenz<br />

kompakt und allgemein verständlich vermittelt.<br />

Überzeugen Sie sich selbst.<br />

Günter Altner u.a. (Hg.): Jahrbuch Ökologie<br />

2001. München: C. H. Beck, 2000,<br />

303 S., ISBN 3406459250, 24,90 DM<br />

Walter Spielmann (Pro Zukunft 4/00, Nr. 397)<br />

Eva Heusinger u.a.:<br />

Einkaufen verändert die Welt<br />

Wie wir uns ernähren und welche Lebensmittel<br />

wir einkaufen hat nicht nur Einfluss<br />

auf unsere Gesundheit, sondern auch Auswirkungen<br />

auf Umwelt und Gesellschaft -<br />

bei uns und in der sogenannten „Dritten<br />

Welt“. Denn trotz steigender Sensibilisierung<br />

gegenüber zuviel Chemie in unseren<br />

Lebensmitteln schreitet die Industrialisierung<br />

von Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion<br />

weiter voran. Die Bauern<br />

werden immer weniger: obwohl die Mitgliedsstaaten<br />

der EU – so ist in diesem an<br />

brisanten Fakten reichen Buch nachzulesen<br />

– jährlich mehr als 80 Milliarden Mark für<br />

die Unterstützung der Ernährung ausgeben,<br />

müssen in der selben Zeit rund 300.000<br />

Höfe aufgeben, an die 600.000 landwirtschaftliche<br />

Arbeitplätze gehen damit Jahr<br />

für Jahr verloren. Ernährung ist aber ein<br />

gutes Geschäft für Konzerne – von den Saatgutherstellern<br />

über die Lebensmittelerzeuger<br />

bis hin zu den Supermarktketten.<br />

An konkreten Beispielen werden in diesem<br />

Handbuch die globalen Verstrickungen unserer<br />

Ernährungsweise und unseres Konsumstils<br />

aufgezeigt, ökonomische Verflechtungen<br />

dargestellt, Gewinner und Verlierer<br />

ausgemacht. Die 18 von Wirtschafts- und<br />

ErnährungsexpertInnen verfassten Beiträge<br />

informieren über Entwicklungen im Aground<br />

Lebensmittelbusiness, über Gentechnik<br />

in der Landwirtschaft und die damit verbundenen<br />

(und von den AutorInnen problematisierten)<br />

Versprechungen, den Hunger<br />

in der Welt zu besiegen, über den Verpackungsmüll,<br />

den unsere Lebensweise hinterlässt,<br />

und insbesondere über die Auswirkungen<br />

der globalisierten Ernährungsketten<br />

auf die Länder des Südens. Der Weg von<br />

„Dritte Welt“-Produkten wie Orangensaft<br />

(unser neuer Durstlöscher Nummer eins),<br />

Zucker, Schokolade, Kaffee, Gewürzen oder<br />

den als besonders gesund angepriesenen,<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

aus tropischen Gebieten importierten<br />

Pflanzenfetten (“Brandrodung für Margarine“)<br />

in unsere Supermarktregale wird<br />

kritisch beleuchtet.<br />

Die AutorInnen informieren über Grundsätze<br />

und Tipps zu einer ganzheitlichen Ernährungsökologie<br />

- von biologischer Landwirtschaft<br />

bis fairem Handel. Sie plädieren<br />

aber auch für neue politische Rahmenbedingungen,<br />

um zu einer gesundheits-,<br />

umwelt- und sozialverträglichen Ernährungsweise<br />

zu gelangen. So wird eine<br />

andere Preisgestaltung (Aufschlag der sozialen<br />

und ökologischen Folgekosten auf<br />

den Lebensmittelpreis) ebenso wie eine<br />

entsprechende Reform der europäischen<br />

und nationalen Agrarpolitiken gefordert.<br />

Einkaufen verändert die Welt. Die Auswirkungen<br />

unserer Ernährung auf Umwelt<br />

und Entwicklung. Red. Eva Heusinger<br />

... Stuttgart: Schmetterling, 2000. 125<br />

S., 3896570064, 14,80 DM<br />

Hans Holzinger (Pro Zukunft 4/00, Nr. 408)<br />

Martin Jänicke u.a.:<br />

Lern- und Arbeitsbuch<br />

Umweltpolitik<br />

Umweltschutz ist insbesondere in der Komplexität<br />

moderner Gesellschaften nur als<br />

Querschnittsmaterie zu realisieren. Wie sehr<br />

dabei das Zusammenwirken von Politik,<br />

Recht und Ökonomie – allen voran die Betriebswirtschaftslehre<br />

– gefordert ist, wird<br />

in diesem Band auf exemplarische Weise<br />

deutlich. Zunächst wendet sich Martin<br />

Jänicke – wie auch die Co-Autoren lehrt er<br />

an der FU Berlin – aus Sicht der Umweltpolitik<br />

der vergleichsweise kurzen Geschichte<br />

seiner Disziplin zu, um in der Folge<br />

die Vorzüge der „Policy-Analyse“ bzw.<br />

des „New Public Management“ wider die<br />

oft vereinfachend bemühte „Moral der Politiker“<br />

als primär verantwortliche (und versagende)<br />

Akteure ins Treffen zu führen. Die<br />

Analyse und Bewertung der umweltrelevanten<br />

Politikprozesse mit dem Blick auf<br />

ihre Gruppen, Methoden und Strategien<br />

macht vielmehr deutlich, „dass die Fachverwaltungen<br />

und die Einfluss- und Entscheidungsstrukturen<br />

im Vorfeld der parlamentarischen<br />

Institutionen eine ungleich größere<br />

Bedeutung haben“. Um so mehr gewinnt<br />

(neben allgemeinen rechtlichen Vorgaben)<br />

die flexible, kontrollierte Umsetzung<br />

konkrete Zielvorgaben zur „ökologischen<br />

Modernisierung“ an Bedeutung<br />

und wird auch in diesem Buch anhand<br />

einer Reihe von „best-practice“-Beispielen<br />

vorgestellt. Dass die Globalisierung<br />

„nicht nur Hemmnisse, sondern auch<br />

Chancen für eine „proaktive, innovationsorientierte<br />

Umweltpolitik“ darstellt,<br />

ist ein weiterer zentraler Befund Jänickes.<br />

Umweltrecht – so Philip Kunig im zweiten<br />

Abschnitt – kanalisiert auf verschiedenen<br />

Ebenen (Kommunen, Ländern,<br />

Bund und EU bis hin zur internationalen<br />

Staatengemeinschaft) aber auch zwischen<br />

„Staat“ und „Privat“ (Unternehmen ebenso<br />

wie einzelne Bürger) eine Vielzahl unterschiedlicher<br />

Interessen. Dabei ist aus<br />

Sicht des Juristen einzig von Belang, „in<br />

welchem Ausmaß das vorhandene Recht<br />

geeignet ist, Umweltinteressen zu schützen“,<br />

während Fragen der künftigen Gestaltung<br />

Gegenstand der Rechtssoziologie<br />

seien. Die Entwicklung des Umweltrechts<br />

in Deutschland und seine Handhabung<br />

im zwischenstaatlichen Raum, die Praxis<br />

der Umweltverwaltung, Instrument der<br />

Umweltgestaltung (v.a. Immissions-,<br />

Landschaftsschutz und Abfallrecht) werden<br />

ebenso thematisiert wie Aspekte des<br />

Völkerrechts. Auf der „Suche nach Umweltgerechtigkeit“<br />

bilanziert Kunig<br />

schließlich die Chancen und Grenzen des<br />

Rechts.<br />

Dass die den Unternehmen in der öffentlichen<br />

Umweltdebatte vielfach zugewiesene<br />

Position (“Verschmutzer“, die im Kräftemessen<br />

mit dem Staat als Vertreter des Gemeinwohls<br />

erpresserisch agieren) weder<br />

dem konstruktiven Diskurs noch der Umwelt<br />

dienlich sei, stellt Michael Stitzel aus<br />

Sicht des Betriebswirts wohl zu Recht heraus.<br />

Zugleich räumt er ein, dass ökonomische<br />

Rationalität – verstanden als kurzfristig<br />

orientierte Profitmaximierung – Hintergrund<br />

und Ursache von Umweltbeeinträchtigungen<br />

ist. Dennoch sei eine Politik von Zukkerbrot<br />

(Subventionen) und Peitsche (Abgaben<br />

oder Strafandrohungen) nicht geeignet,<br />

„die Wirtschaft“ für positive Impulse<br />

gegenüber der Umwelt zu gewinnen, an der<br />

diese selbst zunehmend interessiert sei.<br />

Denn immer mehr setzte sich die Einsicht<br />

durch, dass ein Unternehmen nur erfolgreich<br />

ist, wenn es seine Existenz auf Dauer<br />

37 �


� 38<br />

sichert und von allen relevanten Bezugsgruppen<br />

akzeptiert wird.<br />

Die gelungene Integration von drei gleichermaßen<br />

umweltrelevanten Teildisziplinen,<br />

die durchgehend auch für Laien verständliche<br />

Darstellung sowie die überzeugende<br />

didaktische Aufbereitung (mit ausführlichem<br />

Glossar und umfangreichen Literaturhinweisen)<br />

macht dieses Buch in Sachen<br />

Umweltpolitik zu einem Standardwerk.<br />

Jänicke, Martin; Kunig, Philip; Stitzel,<br />

Michael: Lern- und Arbeitsbuch Umweltpolitik.<br />

Politik, Recht und Management<br />

des Umweltschutzes in Staat und<br />

Unternehmen. Bonn: Dietz, 1999 432<br />

S., ISBN 3801202836, 29,80 DM<br />

Walter Spielmann (Pro Zukunft 4/99, Nr. 390)<br />

Hermann Scheer:<br />

Solare Weltwirtschaft<br />

Die sich ständig beschleunigende Moderne<br />

ist für den Präsidenten von „Eurosolar“<br />

und SPD-Abgeordneten zum Deutschen<br />

Bundestag, Hermann Scheer, ein überholtes,<br />

im doppelten Wortsinn fossiles Konstrukt.<br />

Trotzdem deutet gegenwärtig vieles<br />

darauf hin, „dass die globale ‘Entflammung’<br />

fossiler Energien allein zwischen 1990 und<br />

2010 um 50 Prozent steigen wird“ (S. 13).<br />

Lediglich 14 Prozent des statistisch erfassten<br />

Weltenergieverbrauchs werden heute<br />

durch die Verbrennung von Biomasse und<br />

nur 6 Prozent durch Wasserkraft abgedeckt.<br />

Nicht zuletzt befürchtet Scheer, dass durch<br />

die niedrigen Preise fossiler Energie die bereits<br />

existierenden alternativen Ansätze wieder<br />

zurückgedrängt werden. Angesicht dieser<br />

willkürlich herbeigeführten „Sonnenfinsternis“<br />

geht es nun darum, der „Sonnenstrategie“<br />

politisch wie auch wirtschaftlich<br />

zum Durchbruch zu verhelfen..<br />

Zunächst arbeitet Scheer heraus, warum<br />

sich die Weltwirtschaft seit dem späten 18.<br />

Jahrhundert immer stärker von fossilen Ressourcen<br />

abhängig gemacht und dabei u.a.<br />

umfangreiche Transport-, Lager- und Verteilungsinfrastrukturen<br />

aufgebaut hat. Das<br />

Standardargument der Vertreter des industriellen<br />

Komplexes alten Zuschnitts, wonach<br />

nur durch den Einsatz der herkömmlichen<br />

Energieträger die Existenz von Unternehmen<br />

und Volkswirtschaften gesichert<br />

werden könne, widerlegt Scheer mit<br />

dem Hinweis darauf, dass solare Ressour-<br />

cenpotentiale in den Zusammenhang der<br />

gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gestellt<br />

werden müssen und erhebliche Wachstumspotentiale<br />

ausweisen: Der Autor sieht<br />

bei erneuerbaren Energien auch insofern<br />

einen ökonomischen Vorteil, als „ihre Nutzungskette<br />

wesentlich kürzer ist“. Grundsätzlich<br />

geht Scheer davon aus, dass nur in<br />

einer solaren Weltwirtschaft die materiellen<br />

Bedürfnisse aller Menschen befriedigt<br />

werden können. Das bedeutet hinsichtlich<br />

der wirtschaftlicher Handlungsebenen,<br />

dass nur die vorrangige Nutzung<br />

und Vermarktung lokaler solarer Energien<br />

zielführend ist. Die Konturen einer<br />

solaren Weltgesellschaft werden sich jedoch<br />

nur dann abzeichnen, wenn die<br />

Menschen den Weg dorthin konkreter als<br />

bisher erkennen können. Politische Initiativen<br />

müssen v.a. darauf abzielen, die<br />

zahlreichen Subventionen und Steuerfreiheiten<br />

für Fossil- und Atomenergie<br />

zu beenden, um der solaren Option den<br />

Weg zu bahnen. Die Folge wäre „das Leitbild<br />

einer primären Wirtschaft“, die etwa<br />

Land- und Forstwirtschaft nicht mehr als<br />

Restgrößen, sondern „als neue und dauerhafte<br />

Hauptträger für die Volkswirtschaft<br />

insgesamt“ sieht. Daraus ergeben sich mehrere<br />

Schlussfolgerungen sowohl in Richtung<br />

Landwirtschaft (Finanzierungshilfen<br />

statt Subventionen, Stopp der Patentierung<br />

von Genen und Genkette) als auch in Richtung<br />

Arbeitsmarkt. Die Umverteilung der<br />

Arbeitserträge muss über Arbeitszeitverkürzungen<br />

und/oder über staatlich garantierte<br />

Lebensunterhaltszahlungen erfolgen. Nach<br />

Ansicht Scheers wird die „Mobilisierung<br />

der Sonnenarbeit“ die den Menschen verbleibende<br />

Arbeit regional gerechter verteilen.<br />

Die Regionalisierung wirtschaftlicher<br />

Kreisläufe wiederum erleichtert es Regierungen,<br />

„das Steueraufkommen zur Finanzierung<br />

des Bedarfs an öffentlichen Leistungen<br />

verwenden zu können“. (S. 326).<br />

Wohl niemand sonst vertritt die Option einer<br />

solarer Weltwirtschaft so konsequent<br />

und konstruktiv wie Hermann Scheer. Folgerichtig<br />

wurde der „Anwalt der Sonne“ für<br />

sein zukunftsweisendes Engagement mit<br />

einem „Alternativen Nobelpreis“ geehrt.<br />

Anlass zur Gratulation ebenso wie die dringende<br />

Aufforderung, diesen Weg auch im<br />

eigenen Bereich nach Kräften zu unterstüt-<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

zen.<br />

Hermann Scheer: Solare Weltwirtschaft.<br />

Strategie für die ökologische Moderne.<br />

München: Kunstmann, 1999, 340 S.,<br />

ISBN 3888972280, 42 DM<br />

Alfred Auer (Pro Zukunft 4/99, Nr. 388)<br />

Hans G. Schumacher:<br />

Adressbuch Umweltschutz<br />

Neben der Erweiterung, Ergänzung und Verbesserung<br />

der einzelnen Abschnitte wurden<br />

den meisten Adressen die Email- und<br />

Internet-Anschriften angefügt. Neu hinzu<br />

gekommen sind die Anschriften der<br />

National- und Naturparke sowie Biosphärenreservate<br />

in Deutschland sowie Umweltanschriften<br />

aus dem Bereich von UN<br />

und EU. Schulabgänger können sich<br />

über Studienmöglichkeiten an Hoch- und<br />

Fachhochschulen im Natur- und Umweltschutz<br />

durch das „Adressbuch Umweltschutz“<br />

erste Informationen beschaffen,<br />

die durch eine umfangreiche Dokumentation<br />

des Umweltbundesamtes jederzeit<br />

vervollständigt werden können.<br />

Die Mehrzahl der Anschriften im<br />

„Adressbuch Umweltschutz“ ist durch<br />

eine kurze Beschreibung von Zielen, Aufgaben<br />

und Arbeitsschwerpunkten ergänz<br />

worden.<br />

Hans G. Schumacher: Adressbuch Umweltschutz.<br />

Heidelberg: Spektrum Verlag,<br />

ISBN 3827405904, 79 DM<br />

(aus: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung,<br />

3/2000)<br />

REGIONALE ÖKONOMIE UND<br />

BESCHÄFTIGUNGSFÖRDERUNG<br />

Crossover (Hg.):<br />

Regionales Wirtschaften als linke<br />

Reformperspektive<br />

Die Debatten um „Region“ und die um<br />

„Regionalisierung“ hat in den letzten zwei,<br />

drei Jahren einen enormen Aufschwung<br />

genommen. Diese Debatten postulieren eine<br />

gestiegene Bedeutung von regionalen (und<br />

lokalen) Wirtschaftsprozessen in zweierlei<br />

Hinsicht: Zum einen biete die Region ein<br />

Gegengewicht zur Globalisierung und ihren<br />

Folgen, zum anderen gebe es eine wachsende<br />

Relevanz von regionalen und loka-<br />

len Faktoren für global orientierte und<br />

organisierte ökonomische Prozesse.<br />

Die erste Position läuft Gefahr, die Bedeutung<br />

und die Möglichkeiten, die die Regionen<br />

für eine alternative Politik bieten, zu<br />

überschätzen, und/oder sich in einer behaglichen<br />

Nische bequem einzurichten und die<br />

globalen Machtverhältnisse aus dem Blick<br />

zu verlieren. Die zweite sieht die Situation<br />

vielleicht realistischer, stellt sich aber – vereinfacht<br />

ausgedrückt – nicht gegen die Globalisierung,<br />

sondern verursacht an sie anzuschliessen.<br />

Sie zu regulieren und ihre<br />

destruktiven Folgen gestaltend abzufedern,<br />

unter anderem auch auf regionaler<br />

Ebene. Diskursgeschichtlich gesehen<br />

liegt quer zu den beiden genannten Positionen<br />

der inhaltlich-räumliche Bezug,<br />

der in beiden angeführten Sichtweisen<br />

mitschwingt. Hier gibt es zum einen einen<br />

sehr stark von Landwirtschaft, Handwerk<br />

und ländlichem Raum bestimmten,<br />

und einen mehr städtisch-dienstleistungsorientierten<br />

Schwerpunkt (Stichwort:<br />

Stärkung der lokalen Ökonomie).<br />

Diese beiden Stränge nehmen bislang<br />

kaum Bezug aufeinander.<br />

Die neuste Veröffentlichung aus dem von<br />

den jeweiligen linken Flügeln von SPD,<br />

PDS und Grünen gebildeten Crossover-Projektes,<br />

die sich der Regionalwirtschaft widmet,<br />

konnte mit Spannung erwartet werden.<br />

Würden hier Konturen einer neosozialistischen<br />

Land- und Agrarpolitik, einer antietatistischen<br />

Beschäftigungspolitik, einer<br />

die geschlechtsspezifischen Aspekte von<br />

Ökonomie reflektierenden Regionalpolitik<br />

zumindest angedeutet werden? Würden sich<br />

hier Ansätze einer kritischen historischen<br />

Aufarbeitung der Erfahrungen der Alternativökonomiebewegung<br />

und ihrer vielfältigen<br />

Praxisversuche oder eine Reflektion<br />

des Scheiterns des grünen Umbauprogrammes<br />

der 80er Jahre finden? Aber Fehlanzeige:<br />

Die versammelten Radikalreformer-<br />

Innen fragen sich, „wie eine zumeist personalintensive,<br />

überwiegend auf regionale<br />

Kreisläufe orientierte Binnenwirtschaft gefördert<br />

werden“ kann. Bei der Abwägung<br />

der Antwort fliessen vor allem die Erfahrungen<br />

aus dem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor<br />

(ÖBS) und der Debatte<br />

um geplante Märkte und Handlungsmöglichkeiten<br />

des Staates angesichts leerer Kas-<br />

39 �


� 40<br />

sen ein. Heraus kommt dann ein modernisierend-technokratisches<br />

„Clustermanagement“, das Binnenwirtschaft<br />

und Exportökonomie wieder<br />

„verzahnen“ soll. Es soll „ein politisch<br />

induziertes regionalwirtschaftliches<br />

Wachstumsprogramm“ angestossen werden,<br />

das „an die neuen Lenkungs- und<br />

Organisationsstrategien der<br />

Grosskonzerne anknüpft“ (S. 77). Flankiert<br />

wird das vom ÖBS, der – natürlich<br />

– nicht zum neuen Niedriglohnsektor<br />

werden soll, und eine veränderte staatliche<br />

Politik, die personalintensive und<br />

regional orientierte Ökonomien stärker<br />

als bisher fördern soll. Der weltmarktorientierte<br />

Sektor mit seinem immensen<br />

Ressourcenverbrauch und seiner Macht<br />

der Normsetzung für den Rest der Gesellschaft<br />

soll nicht weiter attackiert oder<br />

gar abgebaut werden. Den Crossover-<br />

AutorInnen geht es in erster Linie darum,<br />

dass die dort erwirtschafteten Werte<br />

auch wieder (zurück) in die Region transferiert<br />

werden. Das in dem Band vorliegende<br />

Ergebnis ist auch unter den reduzierten<br />

Ansprüchen, mit denen mensch<br />

an solch ein parteipolitisch gefärbtes Buch<br />

herangehen muss, ernüchternd. Die<br />

Crossover-AutorInnen positionieren sich<br />

klar jenseits des agrarisch-ländlichen Fokus,<br />

er spielt für sie keine Rolle. Damit<br />

zeigt sich einmal mehr die Metropolenzentriertheit<br />

– die ja auch eine Borniertheit<br />

ist – der Linken aller Schattierungen.<br />

Zum anderen, und dies ist weit<br />

schwerwiegender, ist die Crossover-Position<br />

nicht mehr von der zu unterscheiden,<br />

die Bestandteil, wenn nicht Förderer<br />

der regional gestützten Weltmarktorientierung<br />

ist. Dass es vielleicht ohne Wettbewerb,<br />

Konkurrenz und ohne<br />

Exportförderung gehen könnte, dies liegt<br />

jenseits des Horizontes der AutorInnen,<br />

der viele Gemeinsamkeiten mit herrschender<br />

Politik aufweist. Zusammengefasst<br />

erinnert die Crossover-Position an<br />

das Bild, in dem Menschen im Fluss (der<br />

Globalisierung) mitschwimmen, und dabei<br />

vehement betonen, wie sie den Lauf<br />

der Dinge beeinflussen. Verändernder<br />

Einfluss wird aber nur gewonnen, wenn<br />

man sich gegen den Lauf der Dinge stellt.<br />

Crossover (Hg.): Regionales Wirtschaf-<br />

ten als linke Reformperspektive; Verlag<br />

Westfälisches Dampfboot, Münster<br />

2000, 226 S., 29,80 DM<br />

Bernd Hüttner (Contraste, Februar 2000)<br />

Grüne Liga (Hg):<br />

Nachhaltige Regionalent- wicklung<br />

im ländlichen Raum<br />

Mit dieser vom Umweltverband Grüne Liga<br />

herausgegebenen Broschüre liegt eine ausführliche<br />

Dokumentation über Projekte mit<br />

regionalem Ansatz im ländlichen Raum vor.<br />

Geografischer Schwerpunkt sind die ländlichen<br />

Räume der neuen Bundesländer, aus<br />

ihnen werden insgesamt 31 Projekte vorgestellt,<br />

hinzu kommen noch acht aus den<br />

alten Ländern, vor allem aus Bayern. Das<br />

Spektrum der vorgestellten Initiativen ist<br />

sehr breit. Es reicht von Einzelvorhaben<br />

wie etwa Ökodörfer, über Umweltbildungszentren<br />

und Projekte mit sozialem<br />

bzw. arbeitsmarktpolitischem<br />

Schwerpunkt bis hin zu grösseren Programmen<br />

von Gemeinden und Landkreisen<br />

zur Förderung der lokalen und regionalen<br />

Wirtschaft, oder zur Initiierung<br />

von mehr Zusammenarbeit unter verschiedenen<br />

ländlichen AkteurInnen, wie<br />

sie etwa im Rahmen von<br />

Landschaftspflegeverbänden praktiziert<br />

werden.<br />

Die aufgeführten Beispiele enthalten jeweils<br />

eine kurze Beschreibung der jeweiligen Region<br />

(Grösse, EinwohnerInnen, Verteilung<br />

der Erwerbsarbeit bzw. -losigkeit, Stand der<br />

integrativen Entwicklungskonzepte) und<br />

der Projektschwerpunkte incl. der Adressen<br />

der Projektträger. Anschliessend werden die<br />

Projekte bzw. ihre Bestandteile mehr oder<br />

minder ausführlich vorgestellt. Ein Kriterium<br />

für die Aufnahme in die angenehm gestaltete<br />

Dokumentation war der Aufbau und<br />

die Stärkung regionaler Produktions- und<br />

Konsumstrukturen, desweiteren sollte nach<br />

Möglichkeit ein regionales Warenzeichen<br />

vorhanden bzw. in Arbeit sein. So kommt<br />

es, dass die Projekte fast durchgängig ihren<br />

Schwerpunkt in der Landwirtschaft und<br />

den ihr angelagerten Bereichen wie ländliches<br />

Handwerk, Tourismus oder Gastronomie<br />

haben.<br />

Es wird deutlich, dass einige Projekte schon<br />

weit fortgeschritten sind, vieles befindet<br />

sich aber noch in der Planungs- und Auf-<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

bauphase, ist also noch Zukunftsmusik.<br />

Das grosse Manko der Broschüre ist, dass<br />

nirgends das ihr zugrundeliegende Verständnis<br />

von ,,nachhaltig“ oder auch ,,regional“<br />

genauer definiert wird, und so<br />

die Kriterien für die Aufnahme nicht deutlich<br />

genug sind. Die Broschüre leistet –<br />

jenseits der Vorstellung von vielen Beispielen<br />

– keinen Beitrag zur Debatte über<br />

die politischen Dimensionen, den Erfolg<br />

oder auch nur die Wirksamkeit von eigenständiger<br />

und nachhaltiger<br />

Regionalentwicklung. Sie zeigt aber sehr<br />

anschaulich, dass die neuen Länder sich<br />

mittlerweile in Sachen (nachhaltiger)<br />

Regionalentwicklung nicht mehr zu verstecken<br />

brauchen und bietet viele Ideen<br />

und konkrete Anregungen für die ,,regionale“<br />

Praxis.<br />

Tomas Brückmann, Torsten Kell, Bettina<br />

Kremberg, Rainer Totzke: Nachhaltige<br />

Regionalentwicklung im ländlichen<br />

Raum, 19,80 DM (Bezug: Grüne<br />

Liga, Tel: 030/204 47 45)<br />

Bernd Hüttner (aus: PlanerIn Nr. 2/99)<br />

Arnold Kern:<br />

Regionale Kommunikation.<br />

Die Region als überschaubare Einheit müsse<br />

sich „mit ihrem ganz spezifischen Ökosystemgefüge<br />

ihrer ureigensten, regional vorhandenen<br />

Potentiale und Möglichkeiten bewusst<br />

werden, die sie weitgehend unabhängig<br />

werden lassen von Stoffbezügen aus<br />

anderen Ökosystemen.“ Nur auf diese Weise<br />

lasse sich das Prinzip der Nachhaltigkeit<br />

verwirklichen und ökologische (aber auch<br />

wirtschaftliche, politische und soziale) Stabilität<br />

in Zukunft sichern, so die Überzeugung<br />

des Autors, Lehrbeauftragter der Universität<br />

Klagenfurt und Leiter einer Agentur<br />

für Bildung und Regionalentwicklung.<br />

Eigenständige Regionalentwicklung baue<br />

nun „auf einer Vielzahl von aktiven Menschen<br />

auf, die in einem Klima des Selbstvertrauens<br />

und des gegenseitigen Wohlwollens<br />

zusammen denken, zusammen lernen<br />

und zusammen handeln.“ Regionale Aktivisten<br />

scheiterten oft an ihrem mangelnden<br />

Spezialwissen (von Management bis Marketing),<br />

Experten jedoch oft an ihrem mangelnden<br />

„regionalen Kommunikationswissen“.<br />

Würden die offiziellen Körperschaften<br />

(Länder, Verbände, Gemeinden) ihre<br />

Aufgabe in der Förderung der Vernetzung<br />

beider Ebenen sehen, „so wäre der<br />

Erfolg fast schon garantiert“, ist der<br />

Regionalberater, der auch im Auftrag der<br />

EU gearbeitet hat (COMETT-Programm),<br />

überzeugt. Das Geheimnis liege also in<br />

der „regionalen Kommunikation“: Wird<br />

diese verbessert, „so steigert sich auch<br />

die Dynamik der regionalen<br />

Entwicklungsprozesse“ und umgekehrt.<br />

Im vorliegenden Buch, das zu einem Standardwerk<br />

der Branche avancieren wird,<br />

schildert der Autor zunächst unterschiedliche<br />

Zugänge zur Regionalentwicklung (er<br />

spricht von „wissenschaftlichen Weltbildern“)<br />

aus raumplanerischer, geographischer,<br />

ökonomischer, ökologischer, soziokultureller<br />

und pädagogischer Sicht. Ein<br />

weiterer theoretischer Abschnitt ist der „Region<br />

als Netzwerk“ gewidmet.<br />

Es folgen Konzepte und Methoden der<br />

regionalen Entwicklungsarbeit (Untersuchung<br />

der Raumstruktur versus der<br />

Kommunikationsstruktur, regionale<br />

Wahrnehmung und die Rolle von Leitbildern,<br />

Bildungskonzepte zur regionalen<br />

Kommunikation, Bottom up und<br />

Bottom down-Ansätze u.a.m.) sowie<br />

schließlich die Beschreibung von Anwendungen<br />

an Beispielregionen in der Toskana,<br />

in Kärnten sowie in Thüringen – allesamt<br />

Initiativen, an denen der Autor selbst<br />

mitgewirkt hat und die in einem EU-Regionenprojekt<br />

vernetzt werden.<br />

Arnold Kern: Regionale Kommunikation.<br />

Theorien, Konzepte und Beispiele aus<br />

der Regionalentwicklung. Köln: Fortis<br />

Verlag, 1999, 260 S.,<br />

ISBN 3706803879 47,70 DM<br />

Hans Holzinger ( Pro Zukunft 2/00, Nr. 139)<br />

Harald Werner (Hg.):<br />

Zwischen Markt und Staat<br />

Die Buchbeiträge zur Debatte um Auswege<br />

aus der Massenarbeitslosigkeit füllen<br />

mittlerweile ganze Bibliotheken. Ein Vorschlag,<br />

der stark von der PDS und von den<br />

Kirchen halbherzig propagiert wird, ist der<br />

eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektor<br />

(ÖBS). Am Beispiel des ÖBS lassen<br />

sich interessante ideologische Fronten feststellen.<br />

Im Gegensatz zur bemerkenswerten<br />

Koalition der ÖBS-BefürworterInnen<br />

wollen die Grünen lieber eine neoliberale<br />

private Dienstleistungsökonomie, während<br />

41 �


� 42<br />

die Gewerkschaften eine Fortsetzung der<br />

Beschäftigungspolitik (ruhig auch zu Niedriglöhnen<br />

– vorziehen, stellen doch die in<br />

einem ÖBS geförderten Tätigkeiten das<br />

männliche Gewerkschaftsbild von produktiver<br />

Arbeit zu stark in Frage. Unter einem<br />

ÖBS wird hier ein Sektor verstanden, der<br />

zwar öffentlich finanziert wird, insofern den<br />

Staat in die Pflicht nimmt, aber jenseits der<br />

traditionellen Beschäftigungspolitik liegt.<br />

Dieser Unterschied kann vor allem in der<br />

Bezahlung – im Gegensatz zu sonstigen beschäftigungspolitischen<br />

Gepflogenheiten –<br />

nach Tarif, und im Inhalt der geförderten<br />

Beschäftigungsverhältnisse festgestellt werden.<br />

Die geförderten Arbeitsplätze umfassen<br />

eine große Bandbreite an Tätigkeiten und<br />

sollen vor allem der Stärkung der Selbstorganisation<br />

(auf lokaler Ebene) und der sozialen<br />

und ökologischen Innovation dienen.<br />

Das Buch ,,Zwischen Markt und Staat“<br />

dokumentiert den Stand der programmatischen<br />

Debatte zum ÖBS und auch erste<br />

Erfahrungen mit der Etablierung eines<br />

ÖBS in Mecklenburg-Vorpommern<br />

durch die rosa-rote SPD-PDS-Koalition<br />

auf Landesebene. Nach einigen einführenden<br />

Beiträgen, in denen der These<br />

vom ,,Ende der Arbeitsgesellschaft“ eine<br />

Absage erteilt wird, finden sich in dem<br />

Band Aufsätze zu Sozialstaat und ,,Dritter<br />

Sektor“ (auch so ein Modewort) und<br />

zur Finanzierung eines ÖBS. Den Schluss<br />

bildet ein Bericht zu öffentlich geförderter<br />

Beschäftigung in Frankreich und ein<br />

kritisches Resümee der neuen Beschäftigungspolitik<br />

in Mecklenburg-Vorpommern<br />

aus der Sicht des dortigen Arbeitslosenverbandes.<br />

Jenseits dessen wie mensch zu einem ÖBS<br />

steht, bietet das Buch trotz einiger Wiederholungen<br />

eine gute Einführung in den Stand<br />

der Debatte unter denjenigen, die ihn propagieren.<br />

Die AutorInnen stammen fast<br />

durchgängig aus der PDS, meist aus der<br />

Bundestagsfraktion oder deren wissenschaftlichen<br />

Umfeld. Der fundierteste Beitrag<br />

stammt hingegen von Mathias Brodkorb,<br />

einem Jungsozialisten, der den ÖBS<br />

sehr kritisch untersucht und der PDS vorwirft,<br />

den ÖBS als Reparaturwerkstatt des<br />

Kapitalismus (miß)zu verstehen.<br />

Brodkorb führt auch die Gefahren auf, die<br />

im Zusammenhang mit einem ÖBS nicht<br />

ausgeblendet werden dürfen: Lohndumping,<br />

oder auch, dass einige der Tätigkeiten<br />

sehr nahe an der von Konservativen<br />

so gerne propagierten Bürgerarbeit<br />

liegen. Wichtig ist der Aufsatz von Anja<br />

Wollny, die die Auseinandersetzung mit<br />

einem ÖBS von einem feministische<br />

Standpunkt aus sucht. Ihr Resümee: Ein<br />

ÖBS wäre eine kleine Möglichkeit, eine<br />

andere Arbeitsbewertung zu ermöglichen.<br />

Er hebt aber nicht per se die geschlechtsspezifische<br />

Zuordnung und Bewertung<br />

von Arbeit auf. Also wird sehr<br />

genau zu prüfen sein, welche Tätigkeiten<br />

gefördert werden, wer ,,selbstbestimmte<br />

Eigenarbeit“ leistet, und wer<br />

währenddessen die Haus- und Pflegearbeit<br />

macht.<br />

Harald Werner (Hg.): Zwischen Markt<br />

und Staat. Der öffentlich geförderte<br />

Beschäftigungssektor. 1999, 200 S., ISBN<br />

3879757550,29,80 DM<br />

Bernd Hüttner (Contraste, Februar 2000)<br />

Michael Greif:<br />

Von der lokalen zur regionalen<br />

Nachhaltigkeit<br />

Empirische Studien zu lokalen Nachhaltigkeitsprozessen<br />

(Lokale Agenda 21) sind<br />

äußerst rar. Um so erfreulicher, dass in der<br />

Studie von Greif an den bisherigen Erfahrungen<br />

in der Oldenburger Region angesetzt<br />

und darüber hinaus der Aspekt der Regionalisierung<br />

hervorgehoben wird. Der Autor<br />

gelangt zu der Feststellung, dass die<br />

Bedeutung der regionalen Ebene gestiegen<br />

und dies auch in seiner Region sichtbar ist<br />

(„Regionalisierung und Globalisierung als<br />

zwei Seiten einer Medaille»). Dies untermauert<br />

er mit sozialpsychologisch-kulturellen,<br />

politischen und ökonomischen Fakten.<br />

Er bezieht sich in seinen theoretischen Erörterungen<br />

erfreulicher weise auf neue Ansätze<br />

wie die Regulationstheorie (bzw. „Fordismus“).<br />

Zudem definiert er aus der Erfahrung<br />

solche Handlungsfelder, die speziell<br />

für eine Nachhaltige Entwicklung auf regionaler<br />

Ebene von Bedeutung sind und schlägt vier<br />

Prinzipien vor, die eine nachhaltige Region<br />

kennzeichnen könnten bzw. sollten: Begrenzung<br />

der räumlichen Ausdehnung der<br />

Stadtregion; Mischung von Funktionen sowohl<br />

im innerstädtischen Bereich als auch<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

im Stadt-Umland-Bereich; kleinräumige<br />

Begrenzung der Austauschbeziehungen;<br />

Solidarische Gestaltung der Stadt-Umland-<br />

Beziehung (S. 72f.). Anschließend benennt<br />

er Hemmnisse für die Durchsetzung derartiger<br />

Vorhaben und Strategien. In einem<br />

empirischen Teil schließlich beschreibt<br />

Greif. Die derzeitige Lage in der Oldenburger<br />

Region, erläutert die vorzufindenden<br />

Problemlösungskapazitäten insbesondere in<br />

Bezug auf den Lokale Agenda 21-Prozessen,<br />

die dort seit einigen Jahren ablaufen.<br />

Dabei bestätigen seine Erkenntnisse bisherige<br />

Erfahrungen mit der LA21: in Kommunen<br />

mit vielen aktiven Bevölkerungssegmenten<br />

(Städte) verlaufen Nachhaltigkeitsprozesse<br />

kontinuierlich und teilweise<br />

erfolgreich, während es im ländlichen Raum<br />

häufig nur von wenigen Einzelpersonen<br />

abhängt, ob diesbezüglich etwas geschieht<br />

oder nicht. Die LA 21-Initiativen seien ein<br />

wichtiger Fundus für entsprechende Nachhaltigkeitsprozesse<br />

auf regionaler Ebene.<br />

Diese müssten mit den politisch-administrativen<br />

Strukturen verzahnt und unterstützend<br />

zielführende Diskurse durchgeführt<br />

werden. Regionale Akteure (wie<br />

z.B. Bildungseinrichtungen, Kümmern)<br />

könnten wichtige „Schrittmacher’ sein,<br />

doch müssten diese Prozesse durch Landes-,<br />

Bundes- und EU-Maßnahmen unterstützt<br />

werden.<br />

Michael Greif: Von der lokalen zur regionalen<br />

Nachhaltigkeit (Bibliotheksund<br />

Informationssystem der Universität<br />

Oldenburg, 2000)15 DM<br />

Edgar Göll (Zukünfte 34, Winter 2000/2001)<br />

SOZIALPOLITIK<br />

Gro Harlem Brundtland:<br />

Grundrecht Gesundheit<br />

Für Gro Harlem Brundtland -ausgebildete<br />

Ärztin, ab 1981 erste Ministerpräsidentin<br />

von Norwegen, Vorsitzende des bedeutenden<br />

UN-Berichts „Unsere gemeinsame Zukunft’<br />

(1987) und seit 1998 Generaldirektorin<br />

der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) - ist Gesundheit vor allem eine soziale<br />

und politisch Herausforderung. Und<br />

so nimmt es nicht wunder, dass sie in diesem<br />

über weite Strecken persönlich gehal-<br />

tenen Bericht dafür plädiert, die Gesundheit<br />

ins Zentrum der menschlichen Entwicklung<br />

zu stellen“ (S. 23), um so bis zum<br />

Jahr 2015 die Zahl der absolut Armen weltweit<br />

zu halbieren. Denn nur dann, so zeigt<br />

Brundtland weiter, sind Frieden, wirtschaftliches<br />

Wachstum und gesellschaftliches<br />

Wohlergehen für alle zu sichern. Im Zentrum<br />

der Ausführungen freilich stehen Erfolge<br />

und Gebote globaler Gesundheitspolitik:<br />

So steht der beachtlichen Erhöhung<br />

der Lebenserwartung weltweit, erreicht vor<br />

allem durch flächendeckende und regelmäßige<br />

Impfungen, die absehbare signifikante<br />

Veränderung der häufigsten Krankheitsmuster<br />

gegenüber. Während 1998 Erkrankungen<br />

der unteren Atemwege, perinatale<br />

Leiden, Durchfall und AIDS die ersten Ränge<br />

einnehmen, ist davon auszugehen, dass<br />

im Jahr 2020 Herzerkrankungen, Depressionen<br />

und Verkehrsunfälle an der Spitze<br />

stehen werden. Anlass zur Sorge bereiten<br />

zudem weiterhin die Malaria und v.a. in den<br />

Entwicklungsländern der drastische Anstieg<br />

des Tabakkonsums.<br />

Sechs Tendenzen, so die Gesundheitspolitikerin<br />

weiter, wirken sich auf die gesundheitliche<br />

Lage weltweit aus: die<br />

Globalisierung, die Vertiefung der Kluft zwischen<br />

A arm und Reich, wachsende<br />

Arzneimittelresistenz (verbunden vor allem<br />

auch mit dem falschen Umgang mit Medikamenten)<br />

sowie Überalterung, Verstädterung<br />

und der Klimawandel. Diesen Risken sucht die<br />

Autorin jeweils mit konkreten, die interdisziplinäre<br />

Verantwortung einmahnenden Perspektiven<br />

zu begegnen. So setzt sie etwa auf „Private-Public“-Partnerschaften,<br />

umweltschonendes<br />

Wirtschaften, mahnt zu vermehrter Gesundheitsförderung<br />

am Arbeitsplatz und setzt vor allem<br />

auch auf die Förderung kommunaler Projekte.<br />

Fünf ergänzende Beiträge verdeutlichen<br />

die Vielfalt gesundheitspolitischen Engagements:<br />

So berichtet W. D. Novelli vom<br />

couragierten und phantasievollen Kampf<br />

der Nikotingegner gegen die Tabakmultis<br />

in den USA, mahnt Robert Davies, Geschäftsführer<br />

des „Prince of Wales Business<br />

Leaders Forum“, die Verantwortung internationaler<br />

Konzerne für gesunde Arbeitsbedingungen<br />

ein, und berichtet Rodrigo<br />

Guerrero, der langjährige Bürgermeister<br />

von Coli (Kolumbien),von frappierenden<br />

Zusammenhängen effizienter Verbrechens-<br />

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bekämpfung und gesundheitspolitischen<br />

Erfolgen in seiner Kommune. Besondere<br />

Beachtung verdient schließlich das von<br />

Alfred Rütten präsentierte Projekt Gesunde<br />

Region Westsachsen“, das erfolgreich<br />

auf die Einbindung von Bürgerinnen in<br />

kommunale Planungsprozesse setzt. Unter<br />

dem Titel Wer ist krank, wer ist gesund?“<br />

machen sich schließlich Susanne<br />

Moebus und Wolfgang Bödeker Gedanken<br />

über „Merkwürdigkeiten des deutschen<br />

Gesundheitssystems und wie Abhilfe<br />

zu schaffen ist“.<br />

Brundtland, Gro Harlem: Grundrecht<br />

Gesundheit. Vision: Mehr Lebensqualität<br />

für alle. Frankfurt: Campus 2000,<br />

239S., ISBN 359336042X, DM 36,<br />

Walter Spielmann (Zukünfte, Sommer 2000)<br />

Erhard Eppler:<br />

Was braucht der Mensch?<br />

In einer durch und durch kommerzialisierten<br />

Gesellschaft steht das Einkaufen rund<br />

um die Uhr und die Verfügbarkeit von Gütern,<br />

die wir im Grunde oft nicht benötigen,<br />

an der Spitze (angeblicher) Freiheiten.<br />

Das, was wir (und unseren Nachfähren aber<br />

wirklich brauchen - gute Luft, frisches<br />

Wasser und manches mehr - gerät dabei<br />

zunehmend aus dem Blick.<br />

Erhard Eppler, seit Jahren einer der profiliertesten<br />

politischen Vordenker in der<br />

Deutschland, zählen ein sicheres Zuhause,<br />

Bildung, Anerkennung, Feiern und Spiel<br />

ebenso zu den Grundbedürfnisses des Menschen<br />

wie ein Bedürfnis noch Zukunft,<br />

Geschichte, (persönlich verfügbarer) Zeit<br />

und Kunst. Nicht zuletzt werden auch Individualität<br />

und Partizipation (beim Kegelklub<br />

oder einer Bürgerinitiative) als elementare<br />

Bedürfnisse erachtet. Dass freilich dieser<br />

Katalog des allen gleichermaßen Wichtigen<br />

im Wechsel der Zeiten und Kulturen<br />

jeweils anders definiert wird und daher auch<br />

nicht verbindlich festgelegt werden kann,<br />

zeigt Eppler u.a. am Bedeutungswandel von<br />

Arbeit‘, die in der Antike einem Heer von<br />

Sklaven vorbehalten’ (und demnach kein<br />

Grundbedürfnis) war.<br />

Gibt es, fragt Eppler, ein Menschenrecht,<br />

seine Grundbedürfnisse zu befriedigen?,<br />

und kommt zu dem Ergebnis, dass „die beiden<br />

nicht in einander aufgehen“. Erforderlich<br />

indes sei eine „Politik für die Grund-<br />

bedürfnisse“. Ihre Aufgabe ist es, rechtliche,<br />

soziale, ökonomische Rahmen zu zimmern.<br />

Da der Markt der Deckung und<br />

Sicherstellung der Grundbedürfnisse Generationen<br />

nachweislich zu wider läuft, plädiert<br />

der Autor dafür, „verstärkt darüber zu<br />

diskutieren, was wir dringend, was wir weniger<br />

dringend brauchen und worauf wir<br />

notfalls verzichten können“ (S. 102). Unverzichtbar,<br />

ja, mehr noch eine unerschöpfliche<br />

Energie für die Gestaltung einer lebenswerten<br />

Zukunft ist die im Wechsel von<br />

Streit und Konsens praktizierte Teilhabe an<br />

der Zivilgesellschaft, die sich vor allem in<br />

(auch finanziell) möglichst eigenständigen<br />

Kommunen und Gemeinschaften entwikkeln<br />

kann.<br />

Was gelingendes Leben und die Wahrung<br />

von Grundbedürfnissen im Konkreten bedeutet,<br />

zeigen die folgenden vier Beiträge:<br />

Für die Palästinenserin Suamaya Fahrat-<br />

Nasher, seit 1997 Leiterin des Jerusalem<br />

Center for Women, bedeutet es vor allem<br />

die Achtung der Traditionen ihres Volkes<br />

und die trotzt aller Rückschläge unabdingbare<br />

Fortsetzung des Friedensprozesses mit<br />

Israel. Für Abel Bosum, Häuptling des im<br />

Norden von Quebec lebenden Stammes<br />

der Ouje-Bougoumou, ist es die Sicherstellung<br />

indianischer Autonomie und traditioneller<br />

Lebensweise, die er in langjähriger<br />

Auseinandersetzung mit den<br />

Zentralbehörden durchzusetzen vermochte.<br />

,Reichtum‘, so der<br />

Cree-Indioner, „besteht darin, etwas zu<br />

haben, was dem Leben einen Sinn und ein<br />

Ziel gibt’ (S. 155), eine Einsicht, die ähnlich<br />

auch von dem aus China stammenden<br />

Philosophen und Tao-Meister Chungliang<br />

Al Huang vermittelt wird, der neun universal<br />

gültige Grundsätze des Zusammenlebens<br />

(etwa die Fähigkeit zu Liebe, Sorge<br />

und Vertrauen) darlegt und einige Beispiele<br />

dieser Philosophie anhand chinesischer<br />

Schriftzeichen ausführt.<br />

Gunter Pauli, Gründer und Direktor der<br />

ZERI Foundation, schließlich fordert mit<br />

dem Verweis auf die uneigennützige und<br />

vorausschauende Leistung der vieler mittelalterlicher<br />

Städte dazu auf, „Kathedralen<br />

für das 3. Jahrtausend zu bauen“. Eine den<br />

Gesetzen der offenen Systemplanung gerecht<br />

werdende Ökonomie, die die Produktivität<br />

der Rohstoffe ebenso energisch ver-<br />

Buchrezensionen


Buchrezensionen<br />

folgt wie jene von Kapital und Arbeit<br />

könnte, so Pauli, einer Nullemmissionswirtschaft<br />

den Weg bereiten und damit<br />

auch das Problem der Arbeitslosigkeit<br />

weltweit überwinden. In der Tat tragfähige<br />

Perspektiven für gelingendes Leben.<br />

<strong>Anzeige</strong><br />

Erhard Eppler. Was braucht der<br />

Mensch? Vision: Politik der Grundbedürfnisse.<br />

Frankfurt: Campus, 2000.<br />

205 S., ISBN 3593360411, 36 DM<br />

Walter Spielmann (Zukünfte, Sommer 2000)<br />

Johan Galtung:<br />

Die Zukunft der Menschenrechte<br />

Menschenrechte und Globalisierung sind<br />

große Begriffe: man könnte versucht sein,<br />

sie sprachlos zu bestaunen und dann in die<br />

sichere Rolle des kleinen Mannes oder der<br />

kleinen Frau zu schlüpfen, sich tot zu stellen<br />

und zu hoffen, dass es so schlimm auch<br />

nicht werden wird, im neuen Jahrtausend.<br />

Johan Galtung bearbeitet sein Thema in einer<br />

sehr klaren, prägnanten und schelmischen<br />

Diktion; so will er das Jahr 2000 mehr<br />

voraus-, denn zurückblickend betrachten:<br />

Es braucht den aufgeschlossenen Geist,<br />

nicht nur den aufgerissenen Mund mit den<br />

Losungen und Formulierungen der Vergangenheit<br />

auf den Lippen. Galtung, der für<br />

seine Grundlagenarbeit in der Friedensund<br />

Konfliktforschung 1987 mit<br />

dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet<br />

wurde, bereichert seine LeserInnen<br />

weniger mit akademischen Antworten als<br />

mit brisanten Thesen, in scheinbar harmlose<br />

Fragen gekleidet. Der Autor bringt<br />

seine Meinung bestimmt zum Ausdruck:<br />

Es genüge nicht, lediglich den bestehenden<br />

Menschenrechten Geltung zu verschaffen.<br />

Und er provoziert auf hohem<br />

Niveau: Wenn es das Recht auf Arbeit<br />

gibt, gibt es dann auch das Recht, nicht<br />

zu arbeiten; wenn es das Recht auf Urlaub<br />

gibt, existiert ein Recht, diesen Urlaub<br />

nicht zu konsumieren? In dieser Darstellung<br />

haben private Rechte und<br />

Lebenslinien einen wichtigen Platz, ihnen<br />

folgen nationale Bezüge zu den Menschenrechten,<br />

um schließlich der Vision<br />

der WeltbürgerInnen gegenüber zu treten.<br />

Jedem Recht der WeltbürgerInnen<br />

stellt Galtung eine Pflicht an die Seite:<br />

„WeltbürgerInnen haben den Anspruch<br />

auf kulturelle Identität auf Basis alter ...<br />

und neuer Inhalte ... gleichzeitig haben<br />

sie die Pflicht, anderen im Dialog über<br />

kulturelle Inhalte, Sinngebungen und<br />

Identitäten mit Respekt zu begegnen.“<br />

Ein ausführliches Kapitel zu befriedendem<br />

Dialog“ widmet er dem Verhältnis<br />

45 �


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von Christentum und Islam, weiters der<br />

Bedeutung der Familie, der Religionsgemeinschaften<br />

und der Sekten, die er als<br />

Heimat vieler Heimatloser benennt.<br />

Doch: wie kann ich aus einer Sekte auch<br />

wieder aussteigen, aus einer Familie, aus<br />

einer Gruppe? Johan Galtungs Darstellungen<br />

münden stets in der Zuversicht,<br />

herzlicher noch, in der Hoffnung, den<br />

Übergang vom kriegerischen 20. Jahrhundert<br />

zum friedlichen 21. Jahrhundert<br />

im Wechsel vom Staatlichen zum Nichtstaatlichen<br />

als Gravitationszentrum der<br />

Weltpolitik zu schaffen. Seine Credo:<br />

Wandel ist möglich, Unaufhaltsames kann<br />

nicht gestoppt werden! Machen wir uns:<br />

an die Arbeit!<br />

Zeichen dieses Wandels stellen auch die an<br />

Galtungs Ausführungen anschließenden<br />

Berichte über Initiativen in Lateinamerika,<br />

Mosambik, Palästina und Jugoslawien dar.<br />

Ein Buch, dessen Lektüre stärkt, widerständig<br />

macht und die Unaufhaltsamkeit der<br />

globalen Menschenrechte eindrucksvoll dokumentiert.<br />

Johan Galtung: Die Zukunft der Menschenrechte.<br />

Vision: Verständigung<br />

zwischen den Kulturen. Frankfurt:<br />

Campus, 2000, 248 S., ISBN<br />

3593360438, 36 DM<br />

Christina Gastager-Repolust (Zukünfte,<br />

Herbst 2000)<br />

ORF (Hg.):<br />

Grenzen des Marktes<br />

Die vorliegende CD-Edition enthält eine<br />

Auswahl an Hörfunk-Sendungen, die sich<br />

mit der Kritik an der von den USA ausgehenden<br />

totalitären Marktwirtschaftsideologie<br />

beschäftigen.<br />

Der erste Teil handelt zunächst von den (falschen)<br />

Prämissen des Neoliberalismus, die<br />

in den USA dazu geführt haben, dass die<br />

Reallöhne stagnieren und die Ungleichheit<br />

der Einkommensverteilung und Armut zunehmen.<br />

In einer Studie wird die Beschäftigungsdynamik<br />

in den USA mit der Entwicklung<br />

in Deutschland und Japan verglichen.<br />

Der Wirtschaftsforscher Stefan Schulmeister<br />

widerspricht darin der weit verbreiteten<br />

Auffassung, dass hohe Lohnkosten<br />

und Arbeitslosenunterstützung die Hauptursachen<br />

steigender Arbeitslosigkeit sind.<br />

Vielmehr nennt er die Verschlechterung der<br />

Finanzierungsbedingungen für die realen<br />

Investitionen und generell das Fehlen<br />

von Jobs als Ursachen. Eine weitere<br />

Recherche gilt dem Tabu „Reichtum“ in<br />

Österreich und der Frage, warum hierzulande<br />

so gut wie keine Diskussion über<br />

die Verteilung von Armut und Reichtum<br />

stattfindet.<br />

CD 2 enthält u.a. einen Report über die<br />

Mechanismen, Interessenslagen und Regulierungsmöglichkeiten<br />

der internationalen<br />

Finanzmärkte. Den „Produzenten des Hungers<br />

und seinen Profiteuren“ ist eine weiterer<br />

Beitrag gewidmet. Als Ursache wachsender<br />

Unterernährung nennt die FAO Armut,<br />

Bevölkerungswachstum, Mißernten<br />

aber auch den Mangel an Devisen sowie die<br />

sinkende Agrarerzeugung in Folge von Erosion<br />

uund anderes mehr. CD 3 porträtiert<br />

die „Gruppe von Lissabon“ und deren konsequente<br />

Analyse der „Grenzen des Marktes“.<br />

Gefragt wird dabei nicht abstrakt nach<br />

den Grenzen von Natur, Ressourcen und<br />

Wachstum, sondern nach den Grenzen der<br />

Spielregeln, die andere sind als jene von demokratisch<br />

organisierten Gesellschaften, in<br />

dem sich die Entscheidungsgewalt und die<br />

Fähigkeit zur Kontrolle auflösen. Schließlich<br />

unternimmt Helmut Waldert auf CD 4<br />

eine Forschungsreise zu den inneren Triebkräften<br />

im modernen Projekt der Reichtumsvermehrung.<br />

Dabei geht es in erster<br />

Linie um deren Anspruch auf Alleinherrschaft<br />

und den Versuch, sich aller Grenzen<br />

zu entledigen und die Monetarisierung<br />

aller Lebensbereiche voranzutreiben.<br />

Schließlich geht es unter dem Titel<br />

„Fusionitis – Mergermania – Megarationalisierung“<br />

um die „Marketplayer“ im<br />

Kapitalismus-Dschungel, in dem sich beispielsweise<br />

die Zahl der globalen Akteure<br />

in der Telekommunikation bis zum<br />

Jahr 2010 halbiert haben wird. Insgesamt<br />

ein gelungener Versuch, diese zentralen<br />

Themen einer breiteren Öffentlichkeit<br />

zugänglich zu machen.<br />

ORF (Hg.): Grenzen des Marktes. Politik,<br />

Wirtschaft, Geld, Macht. Red: Helmut<br />

Waldert. Eine gemeinsame CD-Edition<br />

von ORF und ÖGB. Wien: ORF-<br />

Radio Ö1, 1999. Audio-CD 44 DM<br />

Alfred Auer (Pro Zukunft 4/99, Nr. 396)<br />

Jeremy Rifkin:<br />

Access<br />

Der Boom von „New Economy“, Internet<br />

und neoliberaler Globalisierung oder zu-<br />

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