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Buchrezensionen<br />
Buchrezensionen<br />
Nachfolgend haben wir Buchbesprechungen zu den Themenkreisen von<br />
Ökologie über Arbeit, Wohnen, Kultur, Ökonomie, Beschäftigungsförderung,<br />
Wirtschaften, bis hin zur Sozialpolitik zusammengestellt. Intention<br />
der Buchvorstellungen ist einen – wenn auch nicht all umfassenden<br />
– Überblick der letzten zwei Jahre zum Thema Nachhaltigkeit zu geben.<br />
Neben Bernd Hüttner, Jochen Knoblauch, Burghard Flieger und Peter<br />
Streiff gilt hier unseren besonderen Dank der Zukunkftbibliothek der<br />
Robert-Jungk-Stiftung in Salzburg für zur Verfügungstellung von Buchrezensionen.<br />
Die Sortierung erfolgt nach folgenden Schlagwörten; Allgemein,<br />
Alternative Ökonomie, Arbeit, Feministische Sicht, Landwirtschaft, Ökologie,<br />
Regionale Ökonomie und Beschäftigungsförderung, Sozialpoltik.<br />
Innerhalb jeder Rubrik erfolgt die Sortierung alphabetisch nach AutorIn<br />
bzw. HerausausgeberIn.<br />
ALLGEMEIN<br />
Martin Bernhofer (Hg.):<br />
Fragen an das 21. Jahrhundert<br />
Zurückgehend auf eine Sendereihe des<br />
Österreichischen Rundfunks präsentiert der<br />
Wissenschaftsredakteur Martin Bernhofer<br />
als Herausgeber der vorliegenden Anthologie<br />
die Reflexionen, Beobachtungen, Bestandsaufnahmen<br />
und nicht zuletzt auch<br />
Visionen namhafter Autorinnen und Autoren.<br />
In Form von Essays erschliesst sich dem<br />
Leser der Diskurs über das, was uns in absehbarer<br />
Zukunft beschäftigen wird. Gefragt<br />
war nicht die grosse Utopie, sondern<br />
„die genaue, anwendbare Beobachtung und<br />
Reflexion darüber, wie das Bekannte an der<br />
Schwelle zum 21. Jahrhundert in das Absehbare<br />
kippen könnte“.<br />
Mosaikhaft ohne den Anspruch auch nur<br />
annähernd eine Gesamtschau der enthaltenen<br />
Beiträge zu geben, seien stellvertretend<br />
für viele beachtenswerte Gedanken einige<br />
exemplarisch herausgegriffen.<br />
In insgesamt zehn Kapiteln kommt die Genund<br />
Hirnforschung ebenso zur Sprache wie<br />
die Zukunft der Buchkultur, das Reisen oder<br />
der Orientierungsnotstand und die Überinformation<br />
so wie die Zukunft der Universität<br />
oder die Weltinnenpolitik<br />
Der erste Ab- schnitt trägt den bezeichnenden<br />
Titel „Der Mensch eine Naturkatastrophe?“<br />
Für den Politikwissenschaftler<br />
Wolfgang Sofsky widerspräche<br />
es jeder historischen Erfahrung,<br />
zu glauben, dass das Ärgste, das Unvorstellbare,<br />
in Zukunft nicht erneut übertroffen<br />
werden könnte’ Allein der notwendige<br />
globale Waffenstillstand ist seiner<br />
Ansicht noch wiederum nicht ohne<br />
gigantischen Militär- und Polizeiapparat<br />
zu haben. Der Evolutionsbiologe Franz<br />
M. Wuketits schlägt vor, nicht so sehr an<br />
der Utopie der Neuen Menschen“ herumzubasteln,<br />
sondern uns selbst besser<br />
kennenzulernen, unsere Möglichkeiten<br />
wahrzunehmen und im Rahmen dieser<br />
Möglichkeiten zu handeln.<br />
Um nicht zum harmlosen Ritual von<br />
Klatsch und Tratsch in der lokalen Nachbarschaft<br />
zu werden, muss Demokratie, so<br />
der Politologe Anton Pelinka „steuernd und<br />
gegensteuernd in das integrierte Gebilde<br />
von Kapital, Technologie und Information“<br />
eingebunden werden. Wouter von Dieren<br />
hält die Ideologie der freien Marktwirtschaft<br />
für die grösste Gefahr für eine sichere Zukunft.<br />
Neben der Entstehung der Krypto-<br />
Wirtschaft (mafios organisierte Geschäfte)<br />
und in Folge von Krypto-Staaten sieht das<br />
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Mitglied des Club of Rome aber auch<br />
neue Ansätze einer regionalen Renaissance“<br />
eine Ebene, wo lokale Politiker<br />
und Behörden mit ihren Mitbürgern eine<br />
neue, eine eigene Zukunft zu gestalten<br />
versuchen.<br />
Bernhofer, Martin: Fragen an das 21.<br />
Jahrhundert. Wien: Zsolnoy, 2000, 358<br />
Seiten, ISBN 3552049630, 39,80 DM<br />
Pro Zukunft, Nr. 2, 2000<br />
Adelheid Biesecker u.a. (Hg.):<br />
Vorsorgendes Wirtschaften<br />
Vorsorgendes Wirtschaften sucht nach Gestaltungsprinzipien<br />
für eine Ökonomie, die<br />
die Entwicklung und Erhaltung von Gutem<br />
Leben, sowohl der Menschen als auch der<br />
natürlichen Mitwelt, ermöglicht und fördert.<br />
Das Besondere daran ist, dass Vorsorgendes<br />
Wirtschaften die Versorgungswirtschaft<br />
ebenso in die neu zu denkende und zu gestaltende<br />
Ökonomie einbezieht wie die Produktivität<br />
der Natur, dass es deren „Reproduktion“<br />
mit der „Produktion“ der Erwerbsökonomie<br />
bewusst verknüpft.<br />
Neben der Ausrichtung allen Wirtschaftens<br />
am Guten Leben werden zwei weitere<br />
Handlungsprinzipien des Vorsorgenden<br />
Wirtschaftens entwickelt: Kooperation und<br />
Vorsorge. Methodisch genau und sachlich<br />
fundiert leiten die AutorInnen diese Prinzipien<br />
her und setzen sie in Beziehung: zu<br />
anderen Theorien des Nachhaltigen Wirtschaftens<br />
ebenso wie zu solchen der Feministischen<br />
Ökonomie (ganz nebenbei und<br />
sehr nützlich findet sich hier eine konzentrierte<br />
Darstellung dieser Konzepte), vor allem<br />
aber zur Praxis.<br />
Um diese geht es im zweiten Teil des Bandes:<br />
Wo finden sich heute schon Orte, an<br />
denen kooperativ für ein Gutes Leben vorgesorgt<br />
wird - und was lässt sich von diesen<br />
lernen? Wie beschreiben ExpertInnen<br />
möglichst Vorsorgendes Wirtschaften in<br />
definierten Feldern der täglichen Ökonomie<br />
- von der Landwirtschaft über Bauen, Wohnen,<br />
Gesundheitsversorgung bis hin zu<br />
Bankwesen und Politik?<br />
Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem, was<br />
zur breiten praktischen Umsetzung des<br />
Konzeptes noch fehlt: andere ökonomische<br />
Spielregeln als die heutigen, ein „Weiter“denken<br />
altvertrauter Begriffe: sei es die Zeit,<br />
die Auffassung von Produktivität und Effektivität,<br />
die Mobilität, das Soziale und die<br />
Politik, die Kunst ... und die klare Benennung<br />
noch offener Fragen.<br />
A. Biesecker, M. Mathes, S. Schön, B.<br />
Scurrell (Hg.): Vorsorgendes Wirtschaften.<br />
Auf dem Weg zu einer Ökonomie des<br />
Guten Lebens. Bielefeld: Kleine-Verlag,<br />
2000, ISBN 3893703438, 286 S.<br />
Howken, Lovins:<br />
Ökokapitalismus<br />
Wenn die Ressourcen dieser Erde immer<br />
knapper, der Verbrauch aber weiter steigen<br />
wird, darf die Wirtschaft ihr Augenmerk<br />
zukünftig nicht länger auf menschliche Produktivität<br />
richten, sondern (muss) die Ressourcenproduktivität<br />
drastisch erhöht werden“<br />
- so die Autoren des neuen Buches<br />
Ökokapitalismus’. Diese neue, zukunftsfähige<br />
Marktwirtschaft soll dann soziale,<br />
ökonomische und ökologische Aspekte vereinigen<br />
und die klassische Industriegesellschaft<br />
ablösen. Ökologie wird nicht mehr<br />
als Wirtschaftshemmnis, sondern als wichtiger<br />
Wettbewerbsfaktor gesehen. Etwas<br />
weitschweifig, aber dennoch interessant,<br />
konkretisieren die Autoren, welche Auswirkungen<br />
der umgesetzte Ökokapitalismus<br />
auf verschiedene Industriezweige haben<br />
kann und schon hat. Ausführlich werden<br />
auch Möglichkeiten zur Ressourcensteigerung<br />
und die Umstrukturierung der lndustriegesellschaft<br />
noch biologisch fundierten<br />
Kriterien besprochen. Wenn dies gelingt,<br />
soll bei radikal reduziertem Verbrauch von<br />
Naturkapital dennoch die Lebensqualität<br />
beibehalten werden, Unsere Konsumgesellschaft<br />
soll zu einer umweltorientierten<br />
Dienstleistungsgesellschaft umgewandelt<br />
werden, die hauptsächlich von Investitionen<br />
in ökologisch nutzbringende Bereiche<br />
getragen wird.<br />
Die abschließende Betrachtung der aktuellen<br />
Diskussionslage in verschiedenen Wirtschaftskreisen<br />
zeigt, dass sich die Meinung<br />
nachhaltiges Wirtschaften ist erfolgreiches<br />
Wirtschaften“ immer mehr manifestiert.<br />
Howken, Paul, Lovins, Amory u. Hunter:<br />
Ökokapitalismus. Die industrielle Revolution<br />
des 21. Jahrhunderts. Wohlstand<br />
im Einklang mit der Natur, München:<br />
Riemann-Verlag., 2000, 511 S.,<br />
ISBN 3570500101<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
(aus: Zukünfte, Sommer 2000)<br />
Lester R. Brown u.a.:<br />
Vital Signs – Zeichen der Zeit<br />
2000/2001<br />
Dank der Initiative der Heinrich-Böll-Stifung<br />
(Berlin) liegt „Vital Signs“, seit 1992<br />
vom Worldwatch Institute in Washington<br />
herausgegeben, erstmals auch in deutscher<br />
Sprache vor. Es ist dies ein wichtiger Impuls<br />
für die sachkundige Auseinandersetzung<br />
mit weltweiten Trendentwicklungen,<br />
denn nirgends sonst findet man wirtschafts-<br />
, umwelt- und gesellschaftsrelevante Daten<br />
derart aktuell, übersichtlich und kompakt<br />
aufbereitet wie in dieser Reihe.<br />
Teil 1 informiert in neun Kapiteln (Lebensmittel,<br />
Landwirtschaft, Energieversorgung,<br />
Klima, Wirtschaft, Verkehrswesen, Kommunikation,<br />
Soziale Entwicklung, und Militär)<br />
über 34 Schlüsselfaktoren der Weltentwicklung,<br />
wobei neben vielen Defiziten<br />
auch Positives zur Sprache kommt.<br />
So ist, wie Lester Brown einleitend feststellt,<br />
in einer Zeit beschleunigten Wandels, das<br />
Volumen der Weltwirtschaft in den vergangen<br />
fünfzig Jahren um das Sechsfache gewachsen<br />
– angetrieben von einem rasant<br />
steigenden Verbrauch fossiler Brennstoffe,<br />
der in den letzten dreißig Jahren den CO 2 -<br />
Ausstoß um nicht weniger als 16 Prozent<br />
ansteigen ließ und nachweislich katastrophalen<br />
Folgen (Sturmschäden, Bränden,<br />
Überflutungen) zur Folge hatte. Dass hingegen<br />
allein im Jahr 1999 die Kohlenproduktion<br />
um weltweit 3 Prozent sank und<br />
die Stromerzeugung aus Windenergie um<br />
39 Prozent zunahm, kann als ermutigendes<br />
Zeichen registriert werden. Deutschland<br />
nimmt übrigens in diesem Sektor, gefolgt<br />
von den USA, die Spitzenstellung ein; die<br />
höchsten Zuwachstaten verzeichnet gegenwärtig<br />
Spanien.<br />
Uneinheitliches ist über den Nahrungsmittelsektor<br />
zu berichten. So steigt bei einem<br />
Bevölkerungszuwachs von 77 Millionen<br />
allein im Jahr 1999 die Produktion von<br />
Fleisch weiter an, während bei Getreide ein<br />
Pro-Kopf-Rückgang von 2 Prozent zu verzeichnen<br />
ist. Global nimmt andererseits der<br />
Trend zu Ökolandbau mit einer Gesamtfläche<br />
von 7 Millionen ha weiter zu. In<br />
punkto Wirtschaft zählt (zumindest finanziell)<br />
die Tourismusbranche mit gegenwär-<br />
tig 12 Prozent des Gesamtaufkommens<br />
neben dem E-Commerce-Sektor mit insgesamt<br />
111 Mrd. $ zu den großen Gewinnern.<br />
Düster nehmen sich zentrale gesellschaftliche<br />
Trends aus: Die Zahl der<br />
Todesopfer durch Aids, TBC, Tabakkonsum<br />
nimmt ebenso zu wie die Summe<br />
kriegerischer Konflikte.<br />
Die „Specials“ des zweiten Teils zu den<br />
Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft<br />
(insgesamt 16 Trends) runden den<br />
Band ab. Er ist unverzichtbar für alle, die<br />
sich über aktuelle Zukunftsentwicklungen<br />
informieren wollen.<br />
Lester R. Brown, Michael Renner, Brian<br />
Halweil : Vital Signs – Zeichen der Zeit<br />
2000/2001: Schlüsselindikatoren der<br />
Weltentwicklung. Schwalbach: Wochenschau-Verlag,<br />
2000. 182 S.,<br />
ISBN 38979200521, 38 DM<br />
Walter Spielmann (Pro Zukunft 4/00, Nr. 363)<br />
Herman E. Daly:<br />
Wirtschaft jenseits von Wachstum<br />
Herman E. Daly bemüht sich seit Jahren<br />
darum, die „Grundlagen einer Wirtschaft<br />
jenseits von Wachstum zu entwickeln. Die<br />
breite Diskussion seiner ebenso umfassenden<br />
wie fundierten Arbeit „Beyond Growth.<br />
The Economics of Sustainable Development“,<br />
die seit kurzem auch in deutscher<br />
Sprache vorliegt, könnte mit dazu beitragen,<br />
den Kollisionskurs mit Planet Erde in<br />
Richtung einer lebensbewahrenden Ökonomie<br />
zu korrigieren<br />
Voraussetzung für das Gelingen dieses<br />
ebenso ehrgeizigen wie schwierigen Unterfangens<br />
ist für Daly – von 1986-1994 selbst<br />
Mitglied der Weltbank – die Abkehr von<br />
der vorherrschenden Illusion eines ökonomischen<br />
Imperialismus zugunsten der Erkenntnis,<br />
dass „das Teilsystem Wirtschaft<br />
nicht über jenes Maß hinauswachsen darf,<br />
innerhalb dessen es vom umfassenden Ökosystem<br />
permanent aufrechterhalten oder getragen<br />
werden kann“. In Anbetracht der<br />
Tatsache, dass die BürgerInnen der USA –<br />
etwa 6 Prozent der Weltbevölkerung – an<br />
die 30 Prozent der global verfügbaren Ressourcen<br />
für sich beanspruchen, wird deutlich,<br />
dass bei dem unabdingbaren Paradigmenwechsel<br />
von quantitativem Wachstum<br />
hin zu qualitativer Entwicklung vor die<br />
Wohlstandsregionen des Nordens in die<br />
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Pflicht zu nehmen sind.<br />
Indem Daly eines der Postulate der traditionellen<br />
Ökonomie, Jeramy Benthams<br />
Maxime von der „Erreichung des größten<br />
Glücks für die größte Anzahl“ als nicht<br />
nur unmöglich, sondern darüber hinaus<br />
als unlogisch entlarvt, legt er den Weg<br />
frei für eine schöpfungsorientierte Wirtschaft,<br />
deren Ziel „ausreichend Glück für<br />
die größte (weil im voraus nicht bestimmbare)<br />
Anzahl“ ist. .Auf der Strecke bleibt<br />
folgerichtig auch die Doktrin des „Freien<br />
Marktes“, dem in Anbetracht des ungehinderten<br />
Stroms von Arbeitskraft und<br />
Kapital die Segnungen der „Unsichtbaren<br />
Hand“ längst abhanden gekommen<br />
sind. Soll es gelingen, nicht nur für uns,<br />
sondern auch für nachkommende Generationen<br />
einen lebenswerten Planeten zu<br />
erhalten, dann bedarf es – so des Autors<br />
Resümee – einer dreifachen Grenzziehung:<br />
Wir benötigen Grenzen des<br />
Wachstums (im Sinne des Verbrauchs pro<br />
Erdenbürger), Grenzen der Bevölkerungszahl<br />
und vor allem auch Grenzen<br />
der Ungleichheit. Dalys Vorschlag, die<br />
Einkommensdifferenz von garantiertem<br />
Mindest- und Höchsteinkommen mit<br />
dem Faktor 10 zu begrenzen, ist vorerst<br />
freilich ein Tabuthema, das in der medial<br />
inszenierten Politik der „Neuen Mitte“<br />
kaum noch diskutiert wird.<br />
Herman E. Daly: Wirtschaft jenseits von<br />
Wachstum. Die Volkswirtschaftslehre<br />
nachhaltiger Entwicklung. Salzburg: A.<br />
Pustet, 1999. 290 S. ISBN 3702503757<br />
49,50 DM<br />
Walter Spielmann (in: Pro Zukunft 1/99, Nr.1)<br />
Max Deml / Jörg Weber:<br />
„Grünes Geld“. Jahrbuch für<br />
ethisch-ökologische Geldanlagen<br />
Auf über 300 Seiten findet die Leserin bzw.<br />
der Leser einen vergleichsweise umfassenden<br />
Überblick über fast alle Möglichkeiten<br />
des Öko-Investments. Dies gilt unter anderem<br />
für die vielen einzelnen „Öko-“Aktien<br />
wie „Tomra Systems“ oder „SolarWord<br />
AG“. Daneben werden Themen wie „Öko-<br />
Rating“, der Natur-Aktien-Index (NAX),<br />
der 1999 lancierte Dow Jones Sustainability<br />
Global Index oder die „Graugrüne Liste“<br />
dargestellt. Neu sind die Kapitel über<br />
Pensionskassen und vor allem die zahlrei-<br />
chen Internetadressen, die dem Öko-Investment-Interessierten<br />
zusätzliche<br />
Informationsmöglichkeiten bieten. Auch<br />
die drei deutschen „Alternativbanken“ –<br />
die Ökobank, die GLS Gemeinschaftsbank<br />
und die Umweltbank AG –<br />
werden mit ihren verschiedenen Angeboten<br />
kurz skizziert. Die aktuellen Probleme<br />
der Ökobank waren zum Zeitpunkt<br />
der Fertigstellung des Manuskripts<br />
allerdings noch nicht bekannt. Insofern<br />
ist auch der Anspruch der Aktualität der<br />
Veröffentlichung mit Vorsicht zu<br />
geniessen. Das Buch erleichtert zwar die<br />
begrenzten Möglichkeiten des einzelnen,<br />
sich einen Überblick zu verschaffen. Ein<br />
Rezeptbuch zur privaten Geldanlage – so<br />
betonen die Autoren zurecht – ist es aber<br />
nicht. Der etwas kläglich wirkende Hinweis<br />
auf Branchenanalysen vergangener Jahre im<br />
Informationsdienst ÖKO-INVEST unterstreicht<br />
zusätzlich, wie schwierig es offensichtlich<br />
ist, in allen Bereichen Aktualität<br />
zu erzielen.<br />
Zusammenfassend lässt sich festhalten:<br />
„Grünes Geld“ gibt einen guten Überblick<br />
über ethisch-ökologische Geldanlagen im<br />
Sinne einer erläuternden Aufzählung, was<br />
alles existiert. Für eine praktische Entscheidung,<br />
sein Geld anzulegen, fehlen dem<br />
Buch allerdings die Tiefe und die Aktualität.<br />
Problematischer ist jedoch: Eine politischökonomische<br />
Auseinandersetzung mit der<br />
Thematik wird nicht geführt. Entsprechend<br />
enthält die Veröffentlichung keinen fundierten<br />
Artikel, der den gegenwärtigen Stand<br />
der Diskussion widerspiegelt oder gar weitertreibt.<br />
Bei einem „Jahrbuch“ stellt dies<br />
ein in zukünftigen Ausgaben zu behebendes<br />
grundlegendes Manko dar, das durch<br />
die Fleissarbeit der Autoren (umfassende<br />
Zusammenstellung) nicht wettgemacht wird.<br />
Max Deml / Jörg Weber: „Grünes Geld“.<br />
Jahrbuch für ethisch-ökologische Geldanlagen<br />
2000/2001, München 2000 (ISBN<br />
3-925646-60-4 / ALTOP Verlag), DM 39.<br />
Burghard Flieger<br />
Georg Dybe Holger Rogall (Hg.):<br />
Die ökonomische Säule<br />
der Nachhaltigkeit<br />
In den insgesamt 10 Beiträgen dieses Bandes<br />
werden gesamtwirtschaftliche, regionale<br />
und betriebliche Aspekte einer nachhal-<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
tigen Entwicklung beschrieben. Einer Zusammenfassung<br />
der unterschiedlichen Definitionen<br />
bzw. Strengegrade von Nachhaltigkeit<br />
sowie ihrer drei Säulen (ökologische,<br />
soziale und ökonomische N.) einschließlich<br />
von Indikatorensystemen und der zur<br />
Zielerreichung diskutierten Steuerungsansätze<br />
folgen Ausführungen zu<br />
den „Greening-Perspektiven“ des deutschen<br />
Innovationssystems (u.a. am Beispiel<br />
der Brennstoffzelle) sowie zu den<br />
Herausforderungen an das Umweltrecht<br />
im Zuge des Paradigmenwechsels vom<br />
Leitgedanken der Gefahrenabwehr hin<br />
zum Nachhaltigkeitsprinzip.<br />
Im zweiten Abschnitt werden die Chancen<br />
regionaler Unternehmensnetzwerke für eine<br />
nachhaltige Entwicklung, Ansätze regionalen<br />
Stoffstrommanagements unter besonderer<br />
Berücksichtigung von Verwertungsoptimierungen<br />
im Bereich des Abfalls sowie<br />
konkrete Beispiele der Regionalplanung<br />
anhand zweier europäischer Metropolen –<br />
Paris mit dem Schwerpunkt Raumordnung<br />
und Berlin mit dem Schwerpunkt Stadtteilentwicklung<br />
– erörtert.<br />
Der dritte, unternehmensspezifischen Fragestellungen<br />
gewidmete Abschnitt thematisiert<br />
schließlich Vorschläge, wie in Betrieben<br />
Nachhaltigkeit konkret verankert werden<br />
kann. Beate Zimpelmann, Mitarbeiterin<br />
der Investitionsbank des Landes Berlin,<br />
kommt zum Schluss, dass betrieblicher Umweltschutz<br />
nur eine Chance habe, wenn er<br />
mit anderen betrieblichen Aufgaben (Qualitätssicherung,<br />
Produktentwicklung, Markterschließung,<br />
Kooperationen) verknüpft<br />
werde. Anja Grothe-Senf. Professorin für<br />
Umweltökonomie an der FH für Wirtschaft<br />
Berlin, zeigt Instrumente zur Umsetzung<br />
des Nachhaltigkeitsprinzips in Unternehmen<br />
unter Einbindung aller betrieblichen<br />
Akteure auf, wobei sie insbesondere auf positive<br />
Erfahrungen mit Zukunftswerkstätten<br />
sowie der am Wuppertal-Institut entwickelten<br />
COMPASS-Methodik verweist. Die realen<br />
Probleme nachhaltiger Produktionsweisen<br />
werden schließlich am Beispiel der<br />
Berliner Textilbranche (von der Herstellung<br />
der Synthesefasern über ihre Veredelung<br />
und Verarbeitung bis hin zum Recycling)<br />
aufgezeigt.<br />
Georg Dbye, Holger Rogall (Hg.): Die<br />
ökonomische Säule der Nachhaltigkeit.<br />
Annäherungen aus gesamtwirtschaftlicher,<br />
regionaler und betrieblicher Perspektive.<br />
Berlin: Edition Sigma, 2000.<br />
242 S. ISBN 3894047887, 29,80 DM<br />
Hans Holzinger (Pro Zukunft 1/01, Nr. 31)<br />
Peter Holl, Ulrich Pfeiffer:<br />
Urban 21<br />
„Das Ziel urbaner Politik ist es, Städte hervorzubringen,<br />
die wirtschaftlich prosperieren,<br />
kulturell aktiv, sozial gerecht, sauber,<br />
grün und sicher sind und denen alle Bürger<br />
ein glückliches, produktives Leben führen<br />
können!“ (S. 59) Ein hohes Ziel, das die<br />
Autoren dieses Expertenberichts formulieren.<br />
Sie fordern Städte, die ihren Bürgern<br />
Arbeitsplätze, erschwingliche Wohnungen,<br />
Einrichtungen zur Gesundheitsvorsorge,<br />
Ausbildung für alle Kinder, Trinkwasser,<br />
moderne Kanalisation, bequeme und erschwingliche<br />
öffentliche Verkehrsmittel, Natur,<br />
Kultur und öffentliche Sicherheit bieten.<br />
Noch sind wir beileibe nicht soweit. Das<br />
macht auch die vorliegende Abhandlung<br />
deutlich, doch begnügt sie sich nicht damit,<br />
die bekannten Probleme der Städte und<br />
ihres rapiden Wachstums - noch Berechnungen<br />
der UNO wird die Stadtbevölkerung<br />
zwischen 2000 und 2025 von 2,4 Milliarden<br />
(Stand: 1995) auf 5 Milliarden anwachsen<br />
- einmal mehr zu benennen, sondern<br />
wartet mit konkreten und je nach Entwicklungsstadium“<br />
der Städte differenzierten<br />
Handlungsvorschlägen auf.<br />
Der Bericht, der als Grundlage für die während<br />
der EXPO in Hannover stattfindende<br />
Weltkonferenz URBAN 21 diente, setzt<br />
insbesondere auf eine Dezentralisierung der<br />
Aktionsebenen sowie eine aktive Beteiligung<br />
der StadtbewohnerInnen am Aufbau<br />
bzw. Erholt urbaner Lebensqualität („Nachhaltige<br />
urbane Entwicklung als zentrales<br />
politisches Ziel und dezentralisiertes, lokales<br />
Empowerment als Mittel zum Zweck der<br />
Realisierung dieses Zieles“, S. 61). So sollen<br />
die Menschen in den teilweise sehr chaotisch<br />
wachsenden Städten der Länder des<br />
Südens - die Autoren sprechen hier von<br />
„Entwicklungsstädten“ - eingebunden werden<br />
in den Bau von Wohnungen und Infrastrukturen,<br />
die aus der Not geborene Strategie<br />
des Sich-Durchschlagens und das<br />
Überleben in einem weitgehenden informellen<br />
Wirtschaftssektor sollen in die Stadt-<br />
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planung integriert werden. Das Ziel: Mit<br />
geringen Mitteln viel erreichen“ (S. 422).<br />
Selbstverständlich erfordern Entwicklungsstädte<br />
auch andere Verkehrslösungen als<br />
„reife Städte“ (so werden die kaum mehr<br />
wachsenden Städte der OECD-Länder bezeichnet).<br />
Werden für die einen Busse<br />
und Fahrräder empfohlen, die sich alle<br />
leisten können, sollen sich in den anderen<br />
ein modernes integriertes ÖV-System<br />
und „Ökoautos“ ergänzen. Insbesondere<br />
wird auch für eine politische Dezentralisierung<br />
einschließlich der Ausweitung<br />
der Steuerhoheit der Städte plädiert.<br />
Der Bericht, in den Erfahrungen von<br />
Expertinnen aus unterschiedlichen Ländern<br />
eingegangen sind - die Initiative zur<br />
URBAN 21 war von Deutschland mit den<br />
Partnerländern Brasilien, Südafrika und<br />
dem Stadtstaat Singapur ausgegangen -,<br />
macht deutlich, dass es keine Patentlösungen<br />
geben kann, Städte und urbanes<br />
Leben aber weltweit - und so auch in den<br />
Ländern des Südens - zum Motor von<br />
zivilgesellschaftlicher Entwicklung werden<br />
können. Den Optimismus schöpfen<br />
die Autoren dabei aus der Geschichte der<br />
europäischen und nordamerikanischen<br />
Städte, die zu impulsiven Zentren des<br />
Wohlstands geworden sind, ohne freilich<br />
deren aktuelle Probleme zu leugnen.<br />
Peter Holl, Ulrich Pfeiffer: Urban 21. Der<br />
Expertenbericht zur Zukunft der Städte.<br />
Stuttgart: DVA, 2000, 453 S., ISBN<br />
3421054223, 49,80 DM<br />
Hans Holzinger (Zukünfte Nr. 33, Herbst<br />
2000)<br />
Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.):<br />
Jenseits des Wachstums<br />
Auch die neue rot-grüne Regierung in der<br />
BRD setzt auf Wachstum, dabei spielten<br />
aber Elemente einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik<br />
eine größere Rolle als dies<br />
bisher der Fall war, so die Überzeugung von<br />
Ralf Fücks vom Vorstand der Heinrich-Böll-<br />
Stiftung. Der vorliegende Band möchte somit<br />
„Raum für eine moderne Wachstumsdebatte“<br />
schaffen. Einer Kritik des bisherigen<br />
Wachstumsmodells (Wouter van Dieren,<br />
Herman Daly, Elmar Altvater, Gerhard<br />
Maier-Rigaud ) folgen Perspektiven „nachhaltigen<br />
Wachstums“, etwa durch Gestaltung<br />
der Globalisierung (Ernst U. v. Weiz-<br />
säcker, Klaus Töpfer), die Entwicklung<br />
einer anderen Konsumkultur (Lisbeth<br />
Bakker, Gerhard Scherhorn, Uta von<br />
Wintersfeld u.a.), aber auch durch praktische<br />
Wege wie den Umstieg auf eine<br />
„Pflanzenchemie“ (Hermann Fischer).<br />
Kontrovers diskutiert werden die Chancen<br />
und Versprechungen durch mehr<br />
„Ökoeffizienz“. Da der alte Ausweg, „den<br />
Verteilungskonflikt durch exzessive Steigerung<br />
des Sozialprodukts zu dämpfen“<br />
(Fücks), nicht mehr offen stehe, werden<br />
auch Fragen der Umverteilung von Arbeit<br />
und Einkommen angesprochen<br />
(Adelheid Bisecker).<br />
Heinrich-Böll-Stiftung (Hg.): Jenseits des<br />
Wachstums. Politische Ökologie; 66. 82<br />
S., 19,80 DM<br />
Hans Holzinger (in: Pro Zukunft 4/2000,<br />
Nr. 406)<br />
Jan Jakubowicz:<br />
Genussund Nachhaltigkeit<br />
Die Bücher über Nachhaltigkeit füllen mittlerweile<br />
ganze Umweltbibliotheken. Das<br />
vorliegende unterscheidet sich von der<br />
Mehrzahl dieser durch seine faszinierende<br />
Konkretheit. Und dabei gelingt es dem Autor,<br />
Handlungsmöglichkeiten für mehr<br />
Nachhaltigkeit aufzuzeigen, ohne auf die<br />
Moraldrüse zu drücken. Vielmehr macht das<br />
Buch Lust auf eine andere Art zu leben. Dan<br />
Jakubowicz – er ist Mitglied der Gruppe<br />
SOL (Verein „Menschen für Solidarität,<br />
Ökologie und Lebensstil“, ehemals Friends<br />
of the Earth Österreich) und hat an der Studie<br />
„Sustainable Europe“ mitgearbeitet –<br />
verfällt auch nicht der Gefahr, Veränderung<br />
auf den individuellen Wandel von Lebensweisen<br />
zu reduzieren, sondern sieht auch die<br />
Notwendigkeit politischer Reformen. Er<br />
macht auch klar, dass neue Lebensstile und<br />
ökologisches Verhalten eine angemessene<br />
Verteilung des Reichtums erfordert. Wer an<br />
der Armutsgrenze lebt, kann nicht von Zeitwohlstand<br />
und Weniger-Konsumieren träumen.<br />
Doch – und das macht das Buch auch deutlich<br />
– die Mehrheit der Menschen in den<br />
Wohlstandsländern lebt in noch nie da gewesenem<br />
materiellen Reichtum. Dass dieser<br />
nicht nachhaltig sein kann und wie er<br />
mit der Armut in den Ländern der Dritten<br />
Welt zu tun hat, zeigt Jakubowicz an zahl-<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
reichen Beispielen unseres alltäglichen<br />
Lebens. Zwei Nachhaltigkeitsgrößen dienen<br />
ihm dabei als Richtschnur: Der vom<br />
weltweit verfügbaren fruchtbaren Boden<br />
auf die derzeitige Weltbevölkerung hochgerechnete,<br />
jedem Menschen zustehende<br />
Umweltraum von 1500 Quadratmetern<br />
jährlich bzw. 4 Quadratmetern pro<br />
Tag (Ackerland und Weideflächen). Und<br />
zweitens das jedem Menschen zustehende<br />
CO 2 -Budget, das der Ökologe mit 2<br />
kg pro Tag veranschlagt (entspricht der<br />
laut Forschung verkraftbaren<br />
Durchschnittserwärmung der Erde um 0,01<br />
Grad C pro Jahr). Anhand der Bereiche Ernährung,<br />
Kleidung, Wohnen und Urlaub<br />
sowie Konsum und Arbeit zeigt Jakubowicz<br />
nun, wie wir über unsere Verhältnisse leben<br />
und wie wir unter Zugewinn an Lebensqualität<br />
Veränderungsschritte in Richtung<br />
Nachhaltigkeit setzen können. Er kommt<br />
dabei auch zu überraschenden Ergebnissen,<br />
etwa dass der Verkehr in unseren Nahrungsmitteln<br />
überschätzt und jener, den wir für<br />
das Einkaufen aufwenden, unterschätzt wird.<br />
Die Grundaussage des Autors, die er sehr<br />
anschaulich auch immer wieder mit Zahlen<br />
belegt, lautet: „Weniger ist oft mehr.“<br />
Weniger, dafür aber besseres Fleisch essen;<br />
weniger, aber qualitativere Kleidungsstükke<br />
besitzen (durch die Futtermittelimporte<br />
für unsere Mastviehhaltung sowie durch<br />
unseren exzessiven Baumwollverbrauch<br />
nehmen wir den Ländern des Südens fruchtbaren<br />
Umweltraum weg); weniger arbeiten<br />
und dafür auch weniger Konsumwaren erwerben<br />
(analog dem „Negawatt“-Prinzip im<br />
Energiebereich spricht der Autor von „Negaschillingen“<br />
– Geld, das ich nicht ausgebe,<br />
brauche ich auch nicht zu verdienen).<br />
Überlegtes Kaufen, Dinge selber reparieren,<br />
einem Tauschkreis beitreten, Freizeit als<br />
Muße begreifen, anders Wohnen (“Wohnprojekte<br />
als wohldosierte Gemeinsamkeit“)<br />
und schließlich anders Reisen – all dies sind<br />
für Jakubowicz Wege zu mehr Nachhaltigkeit.<br />
Diese führten schließlich auch zu mehr<br />
sozialen Kontakten, was wiederum Ersatzbefriedigungen<br />
durch Konsum erübrige:<br />
„Mit einem Satz: besser leben – besser: leben!“<br />
Bleibt nur hinzuzufügen: Ein Buch,<br />
das sich lohnt, gelesen zu werden.<br />
Der Autor freut sich über Leserrückmeldungen.<br />
Der Verein „Menschen für Soli-<br />
darität, Ökologie und Lebensstil“ (SOL)<br />
kann direkt (A-7411 Markt Allhau 5, Tel/<br />
Fax 0043/3356-265) oder auch über die<br />
Homepage: http://www.webseite.at/sol „besucht“<br />
werden.<br />
Jan Jakubowicz: Genuss und Nachhaltigkeit.<br />
Handbuch zur Veränderung des<br />
persönlichen Lebensstils. Wien: Promedia,<br />
1999, 158 Seiten,<br />
ISBN 3853711510, 26 DM<br />
Hans Holzinger (Pro Zukunft 4/99,<br />
Nr. 403)<br />
Reimut Jochimsen (Hg.):<br />
Globaler Wettbewerb und weltwirtschaftliche<br />
Ordnungspolitik<br />
Ist der vielstrapazierte Begriff „Globalisierung“<br />
nicht realistischerweise auf eine<br />
„OECD-isierung“ zu reduzieren, wie der<br />
deutsche Bundespräsident Rau in seinem<br />
Vorwort bemerkt? Durch das gesamte Buch<br />
zieht sich der ideologische Konflikt von<br />
Sozialdemokraten und ihnen nahestehenden<br />
Reformern, die darum ringen, die unaufhaltbar<br />
scheinende neoliberale Wirtschaftsexpansion<br />
in den Griff zu bekommen.<br />
Rau zitiert dabei den Herausgeber<br />
Jochimsen, der vor einem Rückfall vom liberalen<br />
Welthandel in den Protektionismus<br />
warnt. Wilhelm Hankel, ein auch von Regierungen<br />
und Zentralbanken der „Dritten<br />
Welt“ konsultierter Experte für Währungsund<br />
Entwicklungspolitik, spekuliert mit einem<br />
„monetären Völkerrecht“. Es soll mit<br />
reformiertem Internationalen Währungsfond<br />
(IMF) und Weltbank den zu harten<br />
Goldstandard und das zu weiche Bretton-<br />
Woods-System ablösen um „eine kontrollierte<br />
Strukturhilfefazilität für die armen<br />
Nach- und Aufholländer der Dritten und<br />
ehemals Zweiten, post-kommunistischen<br />
Welt zur Verfügung“ zu stellen (S. 148).<br />
Dies könnte seiner Vorstellung nach die<br />
Basis für ein „geordnetes Weltwährungssystem“<br />
sein. Dass dies durch eine runderneuerte<br />
Weltwirtschaftsordnung unter der<br />
Führung der WTO – die aus den Fehlern<br />
des MAI gelernt hätte – ergänzt werden<br />
müsste, ist die Überzeugung u.a. von Dieter<br />
Bender. Er unterstellt WTO-Kritikern des<br />
„Nordens“ Angst vor der Bedrohung ihres<br />
Wohlstandes und behauptet, dass durch die<br />
Globalisierung für die ärmeren Länder entwicklungsfördernde<br />
Potenziale entstehen<br />
9 �
� 10<br />
würden. Können dadurch die „local<br />
looser“ den „global playern“, mit denen<br />
sich Ewald Nowotny, Vizepräsident der<br />
Europäischen Entwicklungsbank, auseinandersetzt,<br />
ohne Machtgefälle entgegentreten?<br />
So hilfreich Modelle wie die<br />
„Agenda 21“ bzw. dezentral selbstorganisierte<br />
Projekte der „Bürgergesellschaft“<br />
(das Thema von Warnfried Dettling) im<br />
begrenzten Rahmen auch sind – können<br />
sie gegenüber einer ungezügelten Expansions-<br />
und Konzentrationseuphorie bestehen?<br />
Die prominente Gewerkschaftlerin<br />
Ursula Engelen-Kefer pocht zurecht<br />
eine Umsetzung der Forderungen der UN-<br />
Konferenz für soziale Entwicklung (Kopenhagen<br />
1995), eine Stärkung der Internationalen<br />
Arbeitsorganisation (ILO) und<br />
eine Neuausrichtung der Entwicklungspolitik.<br />
(Vor kurzem ging in Genf die Überprüfungskonferenz<br />
„Kopenhagen +5“ ohne<br />
befriedigende Ergebnisse zu Ende. Die<br />
Weiterarbeit geschieht künftig in der UN-<br />
Sozialkommission. Einen Hoffnungsschimmer<br />
bedeuten die Vorschläge der ILO zur<br />
Verteidigung und Durchsetzung der sozialen<br />
Rechte und Mindeststandards – nicht<br />
nur – für Arbeitnehmer.)<br />
Eines steht fest: Mit neuen Strategien und<br />
Zielen aktivierte Gewerkschaften und außerinstitutionelle<br />
Bürgerbewegungen müssen<br />
den mühsam kaschierten Hypothesen etablierter<br />
Experten ihre fundierten Analysen<br />
und Gegenkonzepte überzeugend und wirksam<br />
präsentieren.<br />
Reimut Jochimsen (Hg.): Globaler Wettbewerb<br />
und weltwirtschaftliche Ordnungspolitik.<br />
Bonn: Dietz, 2000, 293 S.,<br />
ISBN 3801202895, 24,80 DM<br />
Matthias Reichl (Pro Zukunft 3/00, Nr. 259)<br />
Alain Lipietz:<br />
Die große Transformation<br />
des 21. Jahrhunderts<br />
“Unsere Lebensweise, unsere Art und Weise<br />
zu produzieren, zu konsumieren und uns<br />
zu zerstreuen, formt beständig unsere Umwelt<br />
neu.“ Politische Ökologie sei daher<br />
eine Gesellschaftswissenschaft, ökologische<br />
Politik zunächst einmal eine Gesellschaftspolitik:<br />
Eine Politik für das ´bessere<br />
Leben´“. (S.9) Damit bestimmt Alain Lipietz<br />
seinen Zugang zu umweltpolitischem Handeln,<br />
ohne dabei die Brücken zu denen ab-<br />
zubrechen, die vom Eigenrecht der Natur<br />
und aller ihrer Lebewesen (“tiefe<br />
Ökologie“) ausgehen. Der Mitbegründer<br />
der französischen Grünen beruft sich<br />
zugleich auf eine Bestimmung von nachhaltiger<br />
Entwicklung, die nicht nur auf<br />
kommende Generationen gerichtet ist,<br />
sondern auch auf die Ärmsten in der heutigen<br />
Welt. Er spricht daher von einem<br />
„ökologisch-solidarischen Entwicklungsmodell“,<br />
das der von Rawls begründeten<br />
„Minimalgerechtigkeit“ verpflichtet ist.<br />
Da das „materielle Bruttoglück“ pro Kopf<br />
der westlichen Welt nachhaltig jedoch<br />
nicht verallgemeinerungsfähig ist, fordert<br />
der Autor ein differenziertes Vorgehen.<br />
Er setzt auf marktwirtschaftliche<br />
Instrumente, etwa Verschmutzungsabgaben<br />
und -lizenzen sowie Energiesteuern, die zu<br />
besseren Technologien führen, ebenso aber<br />
auf eine „kulturelle Revolution“, durch die<br />
nichtökologische Praktiken delegtimiert<br />
sowie neue „Wohlverhaltensregeln“ und<br />
„Selbstbeschränkungsabmachungen“ im<br />
Rahmen der Zivilgesellschaft etabliert werden<br />
(vgl. S. 70). Durch die Abkehr vom<br />
Konsumismus und den Wandel der Arbeit<br />
hin zu sinnvollen Tätigkeiten (soziale und<br />
kulturelle Arbeit, Ausweitung des Dritten<br />
Sektors - „Arbeit der Gemeinschaft durch<br />
die Gemeinschaft für die Gemeinschaft“, S.<br />
66 - würde ökologisches Wirtschaften greifen,<br />
eine Perspektive, die freilich mit<br />
„Lohnzettelgewerkschaften“ (S. 58) nicht<br />
zu machen sei.<br />
Für die Völker des Südens, die für Lipietz<br />
die Hauptleidtragenden sowohl lokaler<br />
Umweltkrisen (z.B. Smog in den Metropolen,<br />
Degradation fruchtbarer Böden) wie<br />
auch der planetarischen Klimaveränderungen<br />
(Überschwemmungen, Trockenperioden,<br />
Meeresspiegelanstieg) sein werden,<br />
verlangt der Ökologe Zugang zu den „saubersten<br />
Technologien“ (etwa im Rahmen<br />
internationaler Vereinbarungen, z. B. durch<br />
Handel mit Emissionsquoten), weiters die<br />
Einstellung der Subventionierung ökologisch<br />
zerstörerischer Großprojekte sowie<br />
ein Ende des Bemühens, „die EntscheidungsträgerInnen<br />
des Südens zu korrumpieren,<br />
um sie zur Wahl der allergefährlichsten<br />
Entwicklungsmodelle [nämlich,<br />
der unseren] zu verführen“ (S. 124).<br />
Alain Lipietz: Die große Transformation<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
des 21. Jahrhunderts. Ein Entwurf der<br />
politischen Ökologie. Münster: Westfälisches<br />
Dampfboot, 2000, 184 S.,<br />
ISBN 3896914707, 29,80 DM<br />
Hans Holzinger (Pro Zukunft 1/01, Nr. 12)<br />
Lothar Mayer:<br />
Ausstieg aus dem Crash<br />
Anders als frühere Versorgungswirtschaften<br />
verbrauche der Industriekapitalismus in –<br />
evolutionsbiologisch gesehen – rasantem<br />
Tempo die Ressourcen der Erde, um sich<br />
„auf ein maximales Expansionstempo<br />
hoch zu peitschen, bevor er in sich zusammenbricht“<br />
(S. 53). So die am Syntropiegesetz<br />
der Thermodynamik orientierte<br />
Ausgangsthese des Autors. Als<br />
„Triebwerk der Wachstumsspirale“ sieht<br />
der Kritiker des kapitalistischen Wirtschaftssystems<br />
(“Ein System siegt sich zu<br />
Tode“, 1992) ein Zusammenwirken der<br />
technischen Ausbeutung der fossilen<br />
Rohstoffe mit dem Prinzip der Geldakkumulation,<br />
welches unabhängig von den<br />
menschlichen Grundbedürfnissen auf permanente<br />
Expansion dränge. Möglich sei<br />
dies jedoch nur durch die fortwährende Ausweitung<br />
der Konsumsphäre, in der die basalen<br />
Versorgungserfordernisse (“needs“)<br />
von den scheinbar unbegrenzten Luxuswünschen<br />
(“wants“) abgelöst wurden.<br />
Diese Wachstumsspirale könne auch durch<br />
Reformen wie eine Ökologisierung des<br />
Steuersystems – so Mayer – nicht unterbrochen<br />
werden, da Effizienzgewinne immer<br />
wieder durch Konsumsteigerungen aufgehoben<br />
würden. Folgerichtig fordert er daher<br />
eine „ressourcenbegrenzte Wirtschaft“<br />
und schlägt hierfür nach oben limitierte C0 2 -<br />
Budgets als eine Art Zusatzwährung für jeden<br />
Erdenbürger vor. Neben dem Kaufpreis<br />
sollten alle Produkte und Dienstleistungen<br />
auch ihre C0 2 -Bilanz ausweisen. An der<br />
Kasse wird dann nicht nur der Geldpreis<br />
bezahlt, sondern auch der C0 2 -Wert vom<br />
persönlichen C0 2 -Budget des Käufers etwa<br />
über eine Chipkarte abgebucht. (C0 2 ist für<br />
Mayer nicht nur wegen der Kliamrelevanz<br />
ein geeigneter Indikator, sondern auch weil<br />
fossile Energie gegenwärtig die Basis der<br />
In-Wertsetzung von Natur darstellt, wiewohl<br />
hier etwa Atomenergie unberücksichtigt<br />
bleibt. Als Zielwert nennt Mayer etwa 2000<br />
kg C0 2 pro Jahr und Einwohner – der BRD-<br />
Bürger verbraucht derzeit etwa 12.000<br />
kg!.<br />
Der Vorschlag des Autors ist konsequent,<br />
weil er den Gerechtigkeitsaspekt ins Zentrum<br />
rückt: „Eine humane, sozial gerechte<br />
Gesellschaft ist nicht möglich, wenn die<br />
nicht sättigbaren Bedürfnisse mit den sättigbaren<br />
Bedürfnissen um die begrenzten<br />
Ressourcen konkurrieren“ (S. 82). Während<br />
der eine Teil der Menschheit im Überfluss<br />
lebt (der Autor spricht von der „Konsumentenklasse“),<br />
fehlt es vielen am Notwendigsten.<br />
Geld und Markt versagen hier als<br />
Steuerungsmedium. Sie sind aber auch<br />
blind hinsichtlich der Begrenztheit des<br />
„Umweltraums“. Doch – und dies ist der<br />
Pferdefuß – ist schwer vorstellbar, wie das<br />
Konzept einer „C0 2 -Währung“ politisch<br />
umgesetzt werden soll, fällt es doch schon<br />
schwer, Ökosteuern zu erlassen. Dennoch:<br />
Mayers Buch macht deutlich, dass Umweltpolitik<br />
– tatsächlich ernstgemeint – nur über<br />
völkerrechtlich verbindliche Kontingentierungen<br />
und eine „Grundbedürfnisstrategie“<br />
(S. 194) zu machen sein wird. Die Ausführungen<br />
regen zudem an, neben der ökologischen<br />
auch die kulturelle Sackgasse unseres<br />
Wohlstandsverständnisses zu erkennen<br />
(so zählte für mich das Kapitel über den<br />
„Konsum des Überflüssigen“ mit treffenden<br />
Seitenhieben gegen die künstlichen<br />
Traum- und Erlebniswelten zu den spannendsten!).<br />
Lothar Mayer: Ausstieg aus dem Crash.<br />
Entwurf einer Ökonomie jenseits von<br />
Wachstum und Umweltzerstörung. Oberursel:<br />
Publik-Forum-Verlag, 1999, 384 S.,<br />
39 DM<br />
Hans Holzinger (Pro Zukunft 4/99, Nr. 401)<br />
Gerd Michelsen (Hg.):<br />
Sustainable University<br />
Hochschulen fungieren als Orte der Wissensproduktion,<br />
Ausbildungs- und nicht<br />
zuletzt als Sozialisationsinstanzen für viele<br />
Menschen. Während meist „über die Welt<br />
da draußen“ reflektiert wird, sind Publikationen<br />
über eigene Aktivitäten selten. Hier<br />
nun liegt eine Ausnahme vor: der Untertitel<br />
der Publikation verdeutlicht das Anliegen<br />
des Sammelbandes aus der Universität<br />
Lüneburg: „Auf dem Weg zu einem universitären<br />
Agendaprozess“.<br />
Hintergrund der Einzelbeiträge ist ein von<br />
11 �
� 12<br />
der DBU finanziertes Vorhaben, indessen<br />
Teilprojekten es um die Themen<br />
Öko-Audit und Zertifizierung, Energetische<br />
Optimierung der Hochschule,<br />
Lebenswelt Hochschule, Nachhaltigkeit<br />
und Kunst, Lehre und Interdisziplinrarität,<br />
und um Information, Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Transfer geht. Konkretisiert<br />
werden die konzeptionellen Darlegungen<br />
durch direkten Bezug auf die<br />
erfolgten oder vorgesehenen Umsetzungsschritte<br />
an der Uni Lüneburg.<br />
Ergänzt werden die Beiträge durch die<br />
Hochschul-Charta „Copernicus“ und<br />
eine Liste der Signataren und Mitglieder<br />
dieses Netzwerkes europäischer Hochschulen.<br />
Während weltweit einige Hochschulen<br />
schon früh ihre eigene Ökologisierung<br />
anstrebten, beginnt das Leitbild<br />
Nachhaltigkeit erst langsam Einzug in<br />
deutsche Hochschulen zu finden.<br />
Umso verdienstvoller ist es, diese meist<br />
anregenden und motivierenden Beiträge in<br />
einem Band veröffentlicht zu hoben. Mit<br />
diesem Band startet übrigens die Veröffentlichungsreihe<br />
„Innovation in den Hochschulen:<br />
Nachhaltige Entwicklung“. Auf eine<br />
wichtige Website sei hier noch verwiesen:<br />
www.eco.compus.net. Eine sehr empfehlenswerte<br />
Publikation!<br />
Gerd Michelsen (Hg.): Sustainable<br />
University. Frankfurt/M.: VAS, 2000,<br />
252 S. 25 DM<br />
Edgar Göll (Zukünfte, Nr. 33, Herbst 2000)<br />
Edgar Morin, Anne B. Kern:<br />
Heimatland Erde<br />
Für einen ehemaligen Kommunisten und<br />
nach wie vor linken, französischen Intellektuellen<br />
scheint es ungewöhnlich, ein<br />
grundlegendes Werk zur Situation unserer<br />
Erde unter den Begriff „Heimatland“ zu<br />
stellen. Heimatlose, fanatische Linke könnten<br />
daraus einen bedenklichen Rechtsruck<br />
herauslesen. Dabei macht es sich Morin –<br />
im Dialog mit der Publizistin Kern – nicht<br />
leicht, um seine Abkehr vom proletarischen<br />
hin zum planetarischen Internationalismus<br />
zu erklären. Seinen Aufruf, die abendländische<br />
Philosophie grundlegend zu überdenken,<br />
begründet er wie folgt: „Wenn wir<br />
eine Zivilisationskrise haben, dann liegt das<br />
daran, dass die grundlegenden Probleme im<br />
allgemeinen als individuelle Probleme be-<br />
trachtet und von der Politik ausgespart<br />
werden, weil man ihre wechselseitige Abhängigkeit<br />
von den kollektiven Problemen<br />
der Allgemeinheit nicht erkennt. Die<br />
Politik der Zivilisation zielt darauf ab,<br />
den Menschen wieder in das Zentrum<br />
der Politik zu rücken, wieder mehr die<br />
Lebensqualität anstelle des Wohlstandes<br />
zu fördern. Eine Politik der Zivilisation<br />
müsste auf zwei essentiellen Achsen beruhen:<br />
der Humanisierung der Städte und<br />
dem Kampf gegen die Entvölkerung der<br />
Landgebiete...“<br />
Morins Stärke liegt in der Analyse des Zustandes<br />
unseres Planeten wenn er diagnostiziert:<br />
„Eine Zunahme der Unsicherheit<br />
in allen Bereichen, die Unmöglichkeit einer<br />
gesicherten Futurologie, eine extreme<br />
Vielfalt möglicher Zukunftsszenarien“,<br />
weiters den „Abbau von Regulierungen“<br />
sowie tödliche Gefahren<br />
für die Gesamtheit der Menschheit (Kernwaffen,<br />
Bedrohung der Biosphäre) und<br />
gleichzeitige Chancen, die Menschheit<br />
durch das Bewusstsein um die Gefahr vor<br />
der Gefahr zu bewahren“ (S. 109). Im<br />
Vorwort antwortet er auf seine Kritiker,<br />
die ihm entweder Pessimismus (z.B. im<br />
Kapitel „Evangelium des Untergangs“)<br />
oder naiven Optimismus angesichts der<br />
Hoffnung vorwerfen, dass die Erde doch<br />
noch zivilisierbar – etwa durch eine „Ökologie<br />
der Politik“ – wäre. Morin sieht<br />
gerade im Dialog zwischen diesen Extremen<br />
die Chance, „Hoffnung in die<br />
Verzweiflung zu bringen“.<br />
Offenbar aus Angst, schwer realisierbare Patentrezepte<br />
anzubieten, hält er ich bei den Konkretisierungen<br />
indes merklich zurück.<br />
Edgar Morin, Anne B. Kern: Heimatland<br />
Erde. Versuche einer planetarischen Politik.<br />
Hg. v. Wilfried Graf u.a. Wien: Promedia,<br />
1999, 206 S., ISBN 3853711391,<br />
34 DM<br />
Matthias Reichl (Pro Zukunft 1/00, Nr. 28)<br />
P.M.; Subcoma:<br />
Nachhaltig vorsorgen<br />
für das Leben nach der Wirtschaft<br />
Was bedeutet Subcoma? Subsistenz / Community<br />
/ A-Patriachat. Jene Stützpfeiler einer<br />
neuen nachhaltigen Wirtschaft, über die<br />
es sich gilt Gedanken zu machen, bevor das<br />
Klima kippt und die Wirtschaft crasht. Lasst<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
uns eine neue Welt basteln! Es ist nur<br />
eine Frage der Zeit, wann alles den Bach<br />
runtergeht, nutzen wir die Zeit uns darauf<br />
vorzubereiten, damit wir im Fall der<br />
Fälle nicht nur dumm rumstehen, außerdem<br />
könnten wir mit einem klaren Ziel<br />
den Crash beschleunigen. Step by step<br />
geht es im ersten Kapitel darum, was wir<br />
nicht wollen. Statistiken und Zahlenwerke<br />
belegen, warum wir diese Welt<br />
nicht wollen: ob Hunger, Umweltschädigungen,<br />
Geldverteilung, Arbeitsunfälle<br />
und Energieverbrauch, Stundenlöhne<br />
oder Tropenwälder, die Zahlen liegen<br />
seit zig Jahren auf den Tisch und<br />
sind für alle einsehbar.<br />
Daneben gehören zu dem „Wovon wollen<br />
wir weg” natürlich auch Analysen unseres<br />
Wirtschafts- und Sozialsystems: Französische<br />
Revolution; Arbeit, Krieg und Patriarchats-Kritik<br />
sind die Hauptthemen,<br />
die gelöst werden sollten. Die Maßnahmen<br />
diesmal müssen allerdings radikaler<br />
und nachhaltiger sein, denn die Arbeitskämpfe<br />
der letzten 40-50 Jahre<br />
brachten vielleicht für einige mehr Lohn,<br />
dafür aber für andere weniger Arbeit um<br />
sich die angebotenen Wünsche zu erfüllen.<br />
Das Internet erfüllt heute alle Wünsche<br />
ganz schnell, aber es handelt sich<br />
eben nur um elektronischen Ramsch. Es<br />
wurde für Geld gestreikt aber nicht für<br />
nachhaltiges Leben.<br />
Folglich wäre die nächste Frage: Wie kommen<br />
wir weg davon? Neben der zerstörerischen<br />
Arbeitsmaschine gibt es eben noch<br />
die „totalitäre Finanzmaschine” (S.34), die<br />
es zu stürzen gilt. Dieses Kapitel ist in vier<br />
Unterkapitel gegliedert, a) Regulationsvorschläge.<br />
Hier geht es um Minimallohn, Arbeitszeitmodelle,<br />
Währungspolitik, Tauschsysteme<br />
usw. Wie tauglich sind diese Reformversuche,<br />
die meist teure sind, und einer<br />
umfangreichen Regulation bedarf. b)<br />
Autonomievorschläge. „Träumen und Rechnen<br />
müssen zusammengehen” (S.53) so einer<br />
der Kernsätze, unter denen Schlagwörter<br />
wie Subsistenzperspektive und verschiedene<br />
Modelle von Kommunen abgehandelt<br />
werden. c) Wie stehen unsere Chancen?<br />
Hier werden Ansätze im gesellschaftlichen<br />
Bereich zu Veränderung nachgegangen.<br />
Neue Genossenschaftsbewegungen, militante<br />
NGOs, Alternative Zentren etc. mit der<br />
Quintessenz: „Bisher ist noch kein gesellschaftliches<br />
System an seinen Widersprüchen<br />
zu Grunde gegangen. Im Gegenteil.”<br />
(S. 82), und d) Subcoma. Hier<br />
fließen p.m.‘s Vorschläge ein, wie der<br />
„arbeitsfreie Mittwoch”, oder die Forderung<br />
nach „70 Milliarden [Schweizer<br />
Franken] für den LMO-Umbau der<br />
Schweiz” (S. 99) usw, incl. dem<br />
Saucengummelitag. „Wir sind der Crash<br />
– sorgen wir dafür, dass wir der letzte<br />
Crash sind.” denn „...die Arbeitsmaschine<br />
von ihrem Ende her denken, ist eine<br />
Voraussetzung dafür, um ihr Ende zu organisieren.”<br />
(S. 107).<br />
Im letzten Kapitel überbringt p.m. „Ideen<br />
für Zürich danach”, also eine entsprechende<br />
Umgestaltung seiner Heimatstadt, als<br />
Denkanstoß an die geneigt Leserschaft das<br />
selbe für ihre Städte (z.B.) in Angriff zu<br />
nehmen. Wie wäre es also mit einer lokalen<br />
Subcoma-Initiative?<br />
“Wichtig ist, dass die von der Arbeitsmaschine<br />
vorgegebenen Denkschemata durchbrochen<br />
und eine ganz andere Welt zuerst<br />
denkbar, dann realisierbar gemacht wird.”<br />
(S. 180)<br />
Wir brauchen mehr Ungeduld, was die Umsetzung<br />
angeht, und mehr Gelassenheit, was<br />
die Zukunft für uns bereit hält.<br />
P.M.; Subcoma – Nachhaltig vorsorgen<br />
für das Leben nach der Wirtschaft.<br />
P.M.s hilfsreiches Haushaltsbuch.<br />
Paranoia City Verlag Zürich 2000 / 192<br />
Seiten / 24 DM<br />
Jochen Knoblauch (Contraste, Nr 201,<br />
Juni 2001 – gekürzt)<br />
R.-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen,<br />
Hans Holzinger (Hg.):<br />
Nachhaltig – aber wie?<br />
Nachhaltigkeit bedeutet die Wahl von Lebens-<br />
und Wirtschaftsweisen, die von allen<br />
ErdenbürgerInnen beansprucht werden können<br />
ohne das globale Ökosystem zu zerstören,<br />
und die sicherstellen, dass auch spätere<br />
Generationen noch über intakte Lebensgrundlagen<br />
verfügen. Nachhaltigkeit erfordert<br />
daher ein ganzheitliches Verständnis<br />
von Umsteuerung, das ökologische, wirtschaftliche,<br />
soziale, politische und kulturelle<br />
Aspekte umfasst und das bei Veränderungen<br />
in unseren Wohlstandsländern ansetzt.<br />
Vierzehn namhafte AutorInnen stel-<br />
13 �
� 14<br />
len sich in diesem Band auf unterschiedliche<br />
Weise dieser Herausforderung in<br />
Beiträgen, die im Rahmen von Veranstaltungen<br />
der Robert-Jungk-Bibliothek<br />
für Zukunftsfragen in Salzburg entstanden<br />
sind.<br />
Thematisiert werden eine verbesserte Ökoeffizienz<br />
(Ernst U. v. Weizsäcker) ebenso<br />
wie lebendige Beziehungen zwischen den<br />
Menschen und gegenüber der Natur (Dorothee<br />
Sölle, Thea Bauriedl), nachhaltige Wirtschaftsstrukturen,<br />
die auch einen Nord-Süd-<br />
Ausgleich mit einschließen (Joachim H.<br />
Spangenberg, Peter Spiegel) nicht weniger<br />
wie neue Lebens- und Konsumstile (Wolfgang<br />
Sachs, Marianne Gronemeyer) sowie<br />
Perspektiven zukunftsfähiger Arbeits- und<br />
Sozialmodelle (Erich Kitzmüller, Ingrid<br />
Kurz-Scherf).<br />
Sieben die Texte beschließenden Interviews<br />
u.a. mit dem Leiter des Worldwatch-Instituts<br />
Lester Brown, dem Begründer des<br />
Alternativen Nobelpreises Jakob von<br />
Uexküll, dem Politökonomen Elmar Altvater<br />
und dem Eurosolar-Präsidenten<br />
Hermann Scheer thematisieren nochmals<br />
unterschiedliche Aspekte nachhaltiger<br />
Entwicklung.<br />
Wiewohl mehrheitlich von Wissenschaftler-<br />
Innen verfasst, haben die Beiträge essayistischen<br />
Charakter, die auch Lesevergnügen<br />
bereiten wollen. Der Band ist eine Art Lesebuch,<br />
das zum Immer-Wiederlesen einlädt.<br />
Das Buch kann direkt bei der Robert-Jungk-<br />
Bibliothek für Zukunftsfragen – JBZ (Imbergstr.<br />
2, 5020 Salzburg, Tel. 0662/873206,<br />
Fax DW 14, E-Mail: jungk-bibliothek<br />
@salzburg.at) sowie über den Buchhandel<br />
bezogen werden.<br />
Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen<br />
/ Hans Holzinger (Hg.): Nachhaltig<br />
– aber wie? Wege zur Zukunftsfähigkeit.<br />
Salzburg: JBZ-Verlag Neuaufl. 2001.<br />
206 Seiten, ISBN 3950118101, 20 DM<br />
Holger Rogall:<br />
Bausteine einer zukunftsfähigen<br />
Umwelt- und Wirtschaftspolitik<br />
Dass wir in der Zukunft nicht in der gleichen<br />
Weise wirtschaften können, wie wir<br />
es bisher getan haben, steht für Rogall, den<br />
Autor des Buches „Bausteine einer zukunftsfähigen<br />
Umwelt- und Wirtschaftspo-<br />
litik“ außer Frage. Das Buch ist ein allgemein<br />
verständliches Werk, das sich von anderen<br />
Umweltökonomie-Lehrbüchern insbesondere<br />
dadurch unterscheidet, dass es<br />
ohne die Darstellung mathematischer Gleichungen<br />
oder Graphen auskommt. Theoretische<br />
Hintergründe der Umweltökonomie<br />
werden nur peripher behandelt, im Vordergrund<br />
steht die praktische Anwendbarkeit<br />
und Umsetzung umweltökonomischer<br />
Erkenntnisse. Mit dem Werk sollen,die Voraussetzungen<br />
für ein erfolgreiches Umweltmanagement<br />
gelegt werden.’ (S. 24)<br />
Zweck des Werkes ist die praxisorientierte<br />
Einführung in die Neue Umweltökonomie<br />
und Ökologische Ökonomie“. Rogall erläutert<br />
zuerst die neoklassische Umweltökonomie,<br />
die das partielle Marktversagen analysiert,<br />
das durch die Externalisierung der<br />
Umweltkosten, die Nutzung der Umweltgüter<br />
als öffentliche Güter u.a. verursacht<br />
wird. Aus neoklassischer Sicht sollen Umweltschäden<br />
so lange verringert werden,<br />
bis die dazu aufzuwendenden<br />
Vermeidungskosten gleich den Umweltschadenskosten<br />
sind. Rogall geht davon<br />
aus, dass das Konstrukt der neoklassischen<br />
Umweltökonomie allein keine<br />
ausreichenden wissenschaftlichen Grundlagen<br />
für eine zukunftsfähige Umweltund<br />
Wirtschaftspolitik legen kann. Vielmehr<br />
sei es erforderlich, Aspekte einer<br />
nachhaltigen Entwicklung in die ökonomische<br />
Betrachtungsweise zu integrieren, wie<br />
es die Wissenschaft der „Ökologischen<br />
Ökonomie“ tut. Rogall entwickelt die neoklassische<br />
Umweltökonomie weiter zu einer<br />
„Neuen Umweltökonomie“ durch die<br />
Integration der zentralen Erkenntnisse der<br />
Ökologischen Ökonomie.<br />
Die Neue Umweltökonomie soll die Diskussion<br />
über umweltpolitische Instrumente<br />
weiterführen, diese auf das Konzept der<br />
Nachhaltigen Entwicklung ausrichten und<br />
dabei den drei Strategiepfaden Effizienz-,<br />
Suffizienz- und Substitutionsstrategie folgen.<br />
Dass dies kein Selbstläufer“ werden<br />
wird, betont der Autor. Ganz im Gegenteil,<br />
die Einleitung einer Nachhaltigen Entwicklung<br />
mit dem „ökologischen Umbau der<br />
Industriegesellschaft“ erfordert einen grundlegenden<br />
Paradigmenwandel.<br />
Ein wesentliches Charakteristikum der<br />
Neuen Umweltökonomie ist der trans-<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
disziplinäre Ansatz, mit welchem Schnittstellen<br />
zu anderen umweltrelevanten Fachdisziplinen<br />
erschlossen werden. Von diesen<br />
weiteren relevanten Fachdisziplinen haben<br />
insbesondere das Umweltrecht (mit einem<br />
gesonderten Beitrag von Stefan Klinski)<br />
und die Umweltpolitik mit einer ausführlichen<br />
Analyse der Akteure einer Nachhaltigen<br />
Umweltpolitik Einzug in dieses Werk<br />
gefunden. Anhand der Handlungsfelder<br />
Energie, Abfall, Verkehr, Ökodesign und<br />
Wirtschaftspolitik zeigt Rogoll abschließend,<br />
welche konkreten Beiträge die Erkenntnisse<br />
der Neuen Umweltökonomie zu<br />
einer zukunftsfähigen Entwicklung leisten<br />
können.<br />
Rogall operationalisiert den Nachhaltigkeitsbegriff<br />
und veranschaulicht die Bedingungen<br />
und Voraussetzungen für eine zukunftsfähige<br />
Entwicklung. Hiermit könnte<br />
er die Aufklärung darüber vorantreiben,<br />
welche Schritte hin zur Schaffung „geeigneter<br />
Rahmenbedingungen“ für eine zukunftsfähige<br />
Entwicklung geschaffen<br />
werden können.<br />
Dieses Einführungsbuch dürfte insbesondere<br />
ökonomisch Interessierten zahlreiche<br />
Informationen, Argumente und Anregungen<br />
zur zukunftsfähigen Gestaltung<br />
von Wirtschaft und Gesellschaft an die<br />
Hand geben: sehr empfehlenswert.<br />
Holger Rogall: Bausteine einer zukunftsfähigen<br />
Umwelt- und Wirtschaftspolitik.<br />
Berlin: Duncker & Humblot, 2000, 565<br />
S., ISBN 3428102134, 68 DM<br />
Richard Hamisch (Zukünfte, Nr. 34, Winter<br />
2000/2001)<br />
G. Schönborn, A. Steinert (Hg.):<br />
Sustainability Agenda<br />
Der Luchterhand-Verlag legt eine neue Buchreihe<br />
auf mit dem Titel „Kohtes Klewes bei<br />
Luchterhand“ - als einer der ersten Bände<br />
erscheint die „Sustainability Agenda“, Das<br />
Buch vereint eine Reihe von Texten und viel<br />
Neues zum Thema nachhaltige Entwicklung<br />
aus Sicht der Wirtschaft - und speziell<br />
aus Sicht der Unternehmenskommunikation.<br />
Prominente Gastautoren, Interview<br />
und Gesprächspartner haben zum Entstehen<br />
des Buches beigetragen: Tell Münzing<br />
und Peter Zollinger von der britischen<br />
Beratungsorganisation SustainAbility Ltd.<br />
erläutern den konstruktiven Umgang mit<br />
kritischen Anspruchsgruppen. Prof. Stefan<br />
Schaltegger von der Universität Lüneburg<br />
beschreibt die Börsenrelevonz nachhaltig<br />
wirtschaftender Unternehmen. Volkmar<br />
Lübke - ehemals beim Institut für Markt<br />
Umwelt Gesellschaft (IMUG) und heute bei<br />
der Verbraucher Initiative - stellt die Frage<br />
noch den sozialen Nachhaltigkeitsindikatoren<br />
bei Unternehmen. Shell-Aufsichtsrat<br />
Prof. Fritz Vahrenholt erklärt erstmals, warum<br />
er den Vorstandssitz des Unternehmens<br />
niederlegte. Umweltberichtsexperte Dr.<br />
Klaus Fichter wägt zwischen Umwelt- und<br />
Nachhaltigkeitsberichten ab.<br />
Gregor Schönborn, Andreas Steinert<br />
(Hg.): Sustainability Agenda – Nachhaltigkeitskommunikation<br />
für Unternehmen<br />
und Institutionen, Neuwied und<br />
Kriftel: Luchterhand, 2001, 98 S., ISBN<br />
3472045752, 38 DM<br />
(aus: Zukünfte Nr 34, Winter 2000/2001)<br />
Udo E. Simonis (Hg.):<br />
Ökonomie + Ökologie<br />
Welche Chance einer nachhaltigen Entwicklung<br />
hat die Wirtschaft als offenes Subsystem<br />
des Ökosystems wenn dieses ohne<br />
Unterlass von der „leeren zu einer vollen<br />
Welt“ umgestaltet wird? Wie (über)voll ist<br />
sie jetzt schon? Diese Fragen stellt der Berliner<br />
Ökonom und Umweltexperte Udo<br />
Ernst Simonis anhand eines Schaubilds des<br />
US-amerikanischen Wirtschaftswissenschafters<br />
und alternativen Nobelpreisträgers<br />
Hermann E. Daly (S. 8f.). Die hier versammelten<br />
Arbeiten aus den Jahren 1995-99 -<br />
teils in Englisch, Italienisch und Spanisch<br />
(leider ohne deutsche Zusammenfassung) -<br />
für das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung<br />
(WZB) illustrieren des Herausgebers<br />
beeindruckende Überzeugungsarbeit.<br />
Der Kampf für eine nachhaltige, regenerative<br />
Nutzung unseres Ökosystems sei<br />
noch nicht verloren, ist Simonis zuversichtlich.<br />
Er zeigt etwa am Beispiel des Protokolls<br />
zur UN-Klimakonferenz 1997 in<br />
Kyoto auf, mit welchen Methoden und<br />
Techniken die gesteckten Ziele einer Emissionsreduzierung<br />
erreicht werden könnten.<br />
Ein anderer Beitrag beschäftigt sich mit<br />
praktikablen Voraussetzungen für einen<br />
Handel mit Emissionszertifikaten zwischen<br />
Nord und Süd, der kein billiger Kuhhandel<br />
15 �
� 16<br />
sein sollte. Im Blick auf die derzeit vorherrschenden<br />
fiskalischen Restriktionen<br />
in der Entwicklungszusammenarbeit erscheinen<br />
Simonis’ Erwartungen in eine<br />
praktizierte Solidarität der reichen Länder<br />
des Nordens allzu zuversichtlich. Die<br />
Reichen sollten „den Entwicklungsländern<br />
die diesen durch Klimaschutz entstehenden<br />
Kosten ersetzen...“ (S. 174).<br />
Die Finanzierung müsste eigentlich aus<br />
der „Globalen Umweltfazilität“ (GEF)<br />
kommen. Muss daher ein auf globaler<br />
Ebene ein „institutionelles Lernen in der<br />
Weltumweltpolitik“ vorausgehen, der<br />
Umweltökonom gemeinsam mit Frank<br />
Biermann am Beispiel der Ozonpolitik<br />
darlegt? Unter Kontrolle der Vertragsstaatenkonferenz<br />
– so einer der Vorschläge -<br />
sollte ein „Multilateraler Fonds“ auf dem<br />
Weg über UNDP, UNEP, UNIDO und<br />
Weltbank Länderprogramme zum Abbau<br />
ozonschädigender Substanzen in Entwicklungsländern<br />
initiieren und organisieren<br />
(S. 105).<br />
Große Hoffnungen setzt Simonis in seinem<br />
letzten Beitrag in ein „Projekt 2000: -<br />
eine Weltorganisation für Umwelt und<br />
Entwicklung“ (S. 197ff.), das durch den<br />
Zusammenschluss des Umweltprogramms<br />
der UNO (UNEP) und der<br />
UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung<br />
(CSD) synergetische Effekte<br />
erzielen sollte. Simonis stellt sich auch<br />
den Forderung einiger Experten nach<br />
„Supranationalen Umweltbehörden, einem<br />
Internationalen Umweltgerichtshof und<br />
handelsbeschränkenden Maßnahmen“. „Ein<br />
Grundproblem aller multinationalen Finanzierungsmaßnahmen“,<br />
so seine Einschätzung,<br />
„bleibt weiterhin, dass es keine bindenden,<br />
durchsetzbaren Verpflichtungen<br />
gibt. Debt-for-nature-Tauschgeschäfte hatten,<br />
soweit von Nichtregierungsorganisationen<br />
durchgeführt, mangels ausreichender<br />
Eigenmittel nur marginale Bedeutung<br />
... In der CSD wurden vor allem zwei Arten<br />
automatischer Finanzierungsquellen debattiert,<br />
die beide mit internationalen Transaktionen<br />
zu tun haben: eine internationale<br />
Luftverkehrssteuer und eine Devisenumsatzsteuer...“<br />
(S. 210). Simonis’ Wunsch,<br />
dass diese Weltorganisation noch vor dem<br />
Ende dieses Jahres Realität werde, erscheint<br />
angesichts der ökonomisch-politischen<br />
Weltlage und der ausstehenden Reform<br />
der UNO leider kaum realistisch.<br />
Udo Simonis (Hg.): Ökonomie + Ökologie.<br />
Hg. v. Udo Ernst Simonis. Berlin:<br />
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung<br />
(WZB), 2000. 236 S.<br />
Matthias Reichl (Pro Zukunft 3/00, Nr.264)<br />
Ernst Ulrich v. Weizsäcker u.a.:<br />
Das Jahrhundert der Umwelt<br />
Waren die bisherigen Weltausstellungen,<br />
deren erste 1851 in London ihre Pforten öffnete,<br />
vor allem darauf ausgerichtet, als industrielle<br />
Leistungsschau der Superlative<br />
die Beherrschung der Natur vor Augen zu<br />
führen, so stehen nächstes Jahr in Hannover,<br />
der ersten in Deutschland stattfindenden<br />
Großveranstaltung dieser Art, Mensch<br />
und Natur im Zentrum. Ein Themenpark<br />
wird sich den Grundbedürfnissen des Menschen,<br />
insbesondere den Bereichen Ernährung,<br />
Gesundheit, Energie, Mobilität sowie<br />
Wissen (Information/Kommunikation) widmen,<br />
und dabei vor allem Beispiele und Perspektiven<br />
einer global nachhaltigen Entwicklung<br />
thematisieren. Die „Expo 2000“<br />
als Pforte zum Jahrhundert der Umwelt?<br />
Ernst U.v.Weizsäcker, Leiter des renommierten<br />
„Wuppertal-Instituts“ und seit kurzem<br />
auch Mitglied des Deutschen Bundestages<br />
(SPD), ist davon überzeugt. „Ein großer<br />
Zorn über den hochtechnisierten Raubbau<br />
des 20. Jahrhunderts und seine Antriebskräfte<br />
dürfte zu einer tiefgreifenden<br />
Diskreditierung der Ökonomie und Wirtschaftspolitik<br />
heutiger Prägung führen.“<br />
(S.21)<br />
Dass Wirtschaft und Umwelt zum Vorteil<br />
beider Seiten versöhnbar sind, dies ist indes<br />
weit mehr als graue Theorie. An zahlreichen<br />
Beispielen – von Kleinprojekten<br />
wie dem (so gut wie) abwasserfreien Haus<br />
oder dem von dem Solararchitekten in Freiburg/Br.<br />
realisierten „Plusenergiehaus“ über<br />
innovative Formen der kommunalen Energieversorgung<br />
(bei RWE) oder Wassersanierung<br />
(Berlin) bis hin zur Umsetzung der<br />
„energieökologischen Modellstadt“ Ostritz<br />
– werden eindrucksvoll und allgemein verständlich<br />
Projekte realisierter Öko-Effizienz<br />
beschrieben. Dem Umbau der (materialintensiven)<br />
Konsum- zur „ressourcenschonenden<br />
Dienstleistungsgesellschaft, „grünen“<br />
Aktien sowie einigen erfolgreichen<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
Wegbereitern des „Umwelt-Jahrhunderts“<br />
sind weitere Ausführungen v.<br />
Weizsäckers gewidmet.<br />
Von gleichfalls hohem Niveau sind die weiteren<br />
vier Beiträge in diesem Band. Katsuo<br />
Seiki, dem jüngst verstorbenen Mitglied der<br />
„Global Scenario Group“, ist ein richtungsweisender<br />
Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte<br />
zu danken. Er beschreibt sechs Szenarien<br />
globaler Entwicklung, die von den<br />
Faktoren Bevölkerung / Wirtschaft / Umwelt<br />
/ Gerechtigkeit / Technische Entwicklung<br />
und Konflikte determiniert werden,<br />
skizziert Schwerpunkt der (staatlichen) japanischen<br />
Zukunftsplanung und plädiert für<br />
einen globalen „Technologiepakt“ um dem<br />
Ziel „Nachhaltige Weltgesellschaft“ zu realisieren.<br />
„Vier Pfade in die Zukunft der Niederlande“,<br />
jeweils gestützt auf konkretes<br />
Datenmaterial, steuert der Umweltökonom<br />
Harmen Verbruggen bei, wobei er – ein<br />
spannendes Detail unter vielen – in den<br />
beiden Szenarien „starker Nachhaltigkeit“<br />
von 20,3 (!) Stunden bezahlter Wochenarbeitszeit<br />
– derzeit in den Niederlanden<br />
durchschnittlich 27,5 – ausgeht.<br />
Martin Khor, Direktor des „Third World<br />
Network“ in Penang/Malaysia, ist mit einem<br />
ebenso mutig-vehementen wie faktenreichen<br />
Beitrag über die mächtigen Gewinner<br />
der Globalisierung (WTO, Weltbank<br />
und OECD) vertreten und fordert eine Stärkung<br />
der UNO auf dem Weg zu einer<br />
„durchsetzungsfähigen und demokratischen<br />
Weltregierung“.<br />
Wirtschafts- und sozialgeschichtlich grundierte<br />
Überlegungen zur Selbstbestimmung<br />
in Lateinamerika von Henri Acselrad beschließen<br />
den Band.<br />
Ernst Ulrich v. Weizsäcker u.a.: Das Jahrhundert<br />
der Umwelt. Vision: Öko-effizient<br />
leben und arbeiten. Frankfurt.: Campus,<br />
1999. 235 S.,<br />
ISBN 3593360349, 36 DM<br />
Walter Spielmann (Pro Zukunft 3/99, Nr.238)<br />
Ruth Amsler u.a. (Hg.):<br />
Zukunfts-Perspektiven.<br />
Widerspruch Heft 40<br />
Der „Terror der Ökonomie“ und die Globalisierungsfolgen,<br />
weltweite Ungleichheit<br />
und zunehmende Verarmung, soziale Spaltung<br />
und Naturzerstörung, aber auch die<br />
heterogene Anti-Globalisierungsbewegung<br />
haben in den letzten Jahren neue Kontroversen<br />
über Alternativen zur Politik<br />
des Kapitals und über linke Perspektiven<br />
ausgelöst. Mit Heft 40 liegen Beiträge<br />
aus thematisch unterschiedlichen Sachgebieten<br />
vor - Entwicklungsanalysen,<br />
Forschungsnotizen, Skizzen alternativer<br />
Konzepte und Reformperspektiven.<br />
Arnold Künzli plädiert einleitend für eine<br />
Rückbesinnung auf Freiheit, Gleichheit,<br />
Brüderlichkeit/Schwesterlichkeit, auf die<br />
Tradition des sozialen Ethos. Die Zukunft<br />
der radikaldemokratischen Linke liegt in der<br />
politischen Demokratie und in der Wirtschaftsdemokratie.<br />
Zugleich geht es im<br />
Weltkapitalismus, so Elmar Altvater, um<br />
Massnahmen gegen die „financial repression“<br />
des internationalen Währungs- und<br />
Finanzsystems durch Regulation und Reform<br />
der internationalen Finanzmärkte. Ob<br />
mit dem Modernisierungskurs a la Blair/<br />
Schröder der notwendige Umbau des europäischen<br />
Wohlfahrtsstaates, der dem Kapitalismusmodell<br />
der USA weit überlegen ist,<br />
gelingt, ist für Michael R. Krätke bei aller<br />
Skepsis noch offen,<br />
In Jeremy Rifkins neuem Buch „The Age<br />
of Access“ vermisst Andre Gorz Widerstandsformen<br />
gegen die totalitäre Kontrolle<br />
der Informations- und Wissensgesellschaft<br />
über mehr und mehr Menschen, über<br />
die Freizeit- und Kulturindustrie. Der „Hyperkapitalismus“<br />
beschleunigt die Ökonomisierung<br />
des Sozialen und setzt auf unbezahlte<br />
Arbeit, auf Freiwilligenarbeit. Es ist<br />
nach Mascha Madörin höchste Zeit, die<br />
Debatte über Care Economy aufzunehmen.<br />
Carola Möller geht es ebenso aus feministischer<br />
Sicht um die Frage nach neuen Wertmaßstäben<br />
in der Solidarischen Ökonomie,<br />
nach bedürfnisorientierter Neugestaltung<br />
von Arbeit. Chancen zur Bewältigung gesellschaftlicher<br />
Benachteiligung durch kollektive<br />
Selbsthilfe sieht Burghard Flieger<br />
in Sozialgenossenschaften. Dieser Aktualität<br />
des Genossenschaftsgedankens völlig<br />
entgegengesetzt ist, wie Heiner Busch ausführt,<br />
das sicherheitsstaatliche Konzept<br />
„community policing“, die Verpolizeilichung<br />
zum Beispiel der Asyl- und Ausländerpolitik<br />
sowie der Sozialarbeit.<br />
In der Politische Ökologie wird intensiv<br />
über Zukunftsfähigkeit diskutiert. Mosshen<br />
Massarrat skizziert sein neues Konzept:<br />
17 �
� 18<br />
Chancengleichheit als Universalethik der<br />
globalen integrativen Nachhaltigkeit. Der<br />
Ausstieg der US-Regierung aus dem<br />
Klima-Protokoll von Kyoto Ende März bedeutet<br />
eine energiepolitische Herausforderung<br />
für Europa. Die Energiewende hat jetzt<br />
für Michael Müller erste Priorität in der<br />
ökologischen Modernisierung. Allerdings ist<br />
dabei, so Willi Brüggen, von der Ökosteuer<br />
Abschied zu nehmen und neu über den Zusammenhang<br />
von Natur, Arbeit und Energie<br />
nachzudenken. Alternative Modelle von<br />
partizipatorischer Planung und von der Sozialisierung<br />
des Marktes, über die Meinhard<br />
Creydt aus dem angelsächsischen Kontext<br />
berichtet, bereichern die Debatte über ökosoziale<br />
Politik.<br />
Nach den Jahren hoher Arbeitslosigkeit in<br />
der Schweiz ist jetzt in der Gewerkschaftspolitik,<br />
so Andreas Rieger in seiner Bilanz,<br />
Offensive angesagt, programmatische Neuausrichtung,<br />
eine Zukunftsdebatte. In Anbetracht<br />
der Globalisierung insistiert Dan<br />
Gallin dabei auf eine Reform der Organisationsstruktur<br />
und fordert einen neuen Internationalismus<br />
der Gewerkschaften.<br />
Ruth Amsler u.a. (Hg.): Zukunfts-Perspektiven.<br />
Zürich: Widerspruch, Heft<br />
40, 2001, 208 S., www.widerspruch.ch<br />
ALTERNATIVE ÖKONOMIE<br />
BAG Lebensmittelkooperativen (Hg.):<br />
Das Food-Coop Handbuch<br />
Endlich ist es erschienen, das lange angekündigte<br />
Handbuch von und für Food<br />
Coops; herausgegeben von der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
der Lebensmittelkooperativen.<br />
Erstellt wurde das Handbuch, das<br />
sich als Leitfaden vor allem bei der Neugründung<br />
von Einkaufsgemeinschaften für<br />
ökologische und/oder regionale Lebensmittel<br />
versteht, von Coop-AktivistInnen, die<br />
viel Praxiserfahrungen einfliessen lassen.<br />
Aber auch bestehende Food Coops dürften<br />
noch etliche Tipps und Anregungen zu Bestell-<br />
und Abrechnungssystemen oder anderen<br />
praktischen Themen entdecken. Neben<br />
der Vorstellung verschiedener Coop-<br />
Modelle geht es um Gründung, Ladenräume<br />
und -gestaltung, Warenbezug und -abgabe.<br />
Weiter werden rechtliche und finanzielle<br />
Fragen relativ ausführlich angespro-<br />
chen, ebenso die (Nicht-)Kommunikation<br />
unter den Coop-Mitgliedern. Das<br />
Handbuch reizt alle, die mehr und<br />
genaueres über Food Coops, ihre Geschichte<br />
und ihre Probleme erfahren wollen,<br />
zum Schmökern.<br />
In zwei Schlusskapiteln wird versucht, Food<br />
Coops und (ökologische) Landwirtschaft in<br />
ihrem Verhältnis zur Gesellschaft politisch<br />
einzuordnen. Der Teil über die Entwicklung<br />
von Grossstrukturen und die Ent-Regionalisierung<br />
in Öko-Landwirtschaft und Vermarktung<br />
ist ganz gut gelungen. Er zeigt,<br />
dass Food Coops eine sehr kleine Möglichkeit<br />
sind, den Kontakt zwischen ErzeugerInnen<br />
und KonsumentInnen zu bewahren<br />
und zu erweitern. Der Trend geht freilich<br />
in die andere Richtung: Der neue ,,Öko-<br />
Konsument“ will ,,ideologiefrei“ konsumieren,<br />
eben nicht saisonal oder regional,<br />
Hauptsache es ist ,,Öko“. Die öko-landwirtschaftlichen<br />
Anbauverbände machen diesen<br />
Trend mit, bzw. erzeugen ihn auch. In der<br />
Folge bleiben kleine und bäuerliche Bio-<br />
ErzeugerInenn auf der Strecke.<br />
Das Kapitel zur Agenda 21 und zum Nachhaltigkeitsdiskurs<br />
kann nur als peinlich bis<br />
naiv bezeichnet werden. Zuerst wird ausführlich<br />
die offizielle Sicht der Nachhaltigkeit<br />
referiert, um dann einige sehr laue<br />
Kritikpunkte anzuführen. Vermutlich ist<br />
die Literatur zur Kritik der Nachhaltigkeit<br />
den Handbuch-AutorInnen unbekannt.<br />
Das ist schade, denn mit Texten von Jörg<br />
Bergstedt, Ulrich Höpke, Christoph Gesang<br />
oder von AutorInnen aus dem Spektrum<br />
des BUKO liegen Arbeiten vor, die<br />
Nachhaltigkeit als auf Integration und<br />
Zerstörung sozialer Bewegungen angelegten<br />
Herrschaftsdiskurs analysieren und<br />
dies auch anhand von Landwirtschaft<br />
und Regionalentwicklung nachweisen.<br />
Die Unkenntnis zeigt sich dann auch in<br />
den Literaturtipps, wo Titel, die aus der<br />
Sicht der bäuerlichen Landwirtschaft argumentieren<br />
oder Nachhaltigkeit nicht<br />
nur ,,kritisch begleiten“ wollen, sondern<br />
grundsätzlich ablehnen, fast völlig fehlen.<br />
Hier wäre der vielzitierte Blick über<br />
den Tellerrand wirklich angebracht gewesen,<br />
hätten dadurch doch weitergehende<br />
Perspektivfragen aufgeworfen und<br />
diskutierbar gemacht werden können.<br />
Nachhaltigkeit und Lokale Agenda 21<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
können für Food Coops, wenn sie den<br />
Gedanken, aus denen sie einmal entstanden<br />
sind, treu bleiben wollen, kein Bezugspunkt<br />
sein, an den mensch positiv<br />
anschliessen kann.<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft der Lebensmittelkooperativen<br />
(Hg.): Das Food-Coop<br />
Handbuch. Gemeinsam ökologisch handeln;<br />
Bochum 2000, 112 S., ISBN 3-00-<br />
005371-9 (Einzelbestellungen gegen 20<br />
DM Vorkasse bei MAUS, Postfach 1818,<br />
36228 Bad Hersfeld)<br />
Bernd Hüttner (aus: Contraste, Mai 2000)<br />
DGB-Bundesjugendschule (Hg.):<br />
Kapitalismus ohne Alternativen?<br />
Der Titel des neuen Buches aus der Reihe<br />
der AG SPAK-Materialien soll andeuten,<br />
dass die Herausgeber sich „nicht mit der<br />
affirmativen Alternativlosigkeit der Globalisierung<br />
abfinden“ wollen, wie dem/der geneigten<br />
LeserIn im Klappentext angekündigt<br />
wird. Kommt außerdem hinzu, dass vor<br />
„einer uneingeschränkten Intensivierung<br />
des Laissez-faire-Kapitalismus“ ausgerechnet<br />
George Soros, einer der größten Finanzspekulanten,<br />
zitiert wird, der dadurch „die<br />
Zukunft unserer offenen Gesellschaft gefährdet“<br />
sieht, dann kann man einigermaßen<br />
neugierig sein. Die Neugierde wird<br />
vorerst bestärkt durch die Tatsache, dass<br />
sich zwischen den selben Buchdeckeln<br />
verschiedene AutorInnen sowohl aus gewerkschaftlichen,<br />
feministischen als auch<br />
alternativ-ökonomischen Zusammenhängen<br />
versammelt haben. Die Besonderheit<br />
dieses Zusammenkommens rührt<br />
von einer gelungenen Initiative des Theorie-Arbeitskreises<br />
Alternative Ökonomie<br />
(TAK AÖ) her, der sich zu seinem alljährlich<br />
stattfindenden Sommerseminar<br />
sowohl inhaltlich als auch räumlich mit<br />
der DGB-Bundesjugendschule in Oberursel<br />
zusammengetan hatte. Sowohl 1998<br />
als auch letztes Jahr trafen verschiedene<br />
Gruppen und Individuen aufeinander,<br />
deren Verschiedenheit und politisch-sozialer<br />
Background nicht zu übersehen<br />
war, und die dies dennoch allseits als Chance<br />
begriffen haben.<br />
Genug der Vorrede, nun zum Inhalt des Buches:<br />
Zu Anfang beleuchtet Elmar Altvater<br />
den entfesselten Weltmarkt und zeigt sehr<br />
deutlich auf, dass eine zunehmende „Entgrenzung<br />
der Staatenwelt“ stattfindet und das<br />
die der globalisierten Wirtschaft ausgelieferten<br />
Staaten „beschäftigungspolitisch gar<br />
nichts mehr bewirken können.“ Altvater hält<br />
das Zusammengehen von gewerkschaftlichen<br />
und alternativ-ökonomischen Ansätzen<br />
für äußerst relevant und empfiehlt, die Finanzspekulation<br />
zu kontrollieren sowie Netzwerke<br />
auch zwischen Umweltbewegung und<br />
Gewerkschaften zu bilden.<br />
Ulrich Enkelmann, IG-Metall-Vorstand und<br />
Leiter der Abteilung Wirtschaft, Technologie<br />
und Umwelt, formuliert acht Thesen,<br />
wie die<br />
Handlungsmöglichkeiten von Gewerkschaften<br />
in diesem globalen Prozeß vergrößert<br />
werden können. Konkrete Zusammenarbeit<br />
und Weiterbildung zwischen Gewerkschaften<br />
in verschiedenen Ländern erwähnt<br />
er ebenso wie die Forderung nach der Einrichtung<br />
von Weltbetriebsräten bei deutschen<br />
„global players“.<br />
Außerordentlich lesenswert ist der Beitrag<br />
von Christa Wichterich, die eine strategische<br />
Rolle der Frauen in der Globalisierung<br />
feststellen muß. Sie kombiniert deutliche<br />
Zahlen mit harten Analysen: So basiert der<br />
„Standortvorteil, den die neuen Billiglohnländer<br />
ausspielen, zu 75 Prozent auf jungen,<br />
flexiblen und duldsamen Frauen.“ Sie<br />
macht deutlich, dass „zwar mehr Frauen<br />
eine Beschäftigung finden, aber keine<br />
Existenzsicherung.“<br />
Gisela Notz nimmt diese Fragestellung auf<br />
und weist auf notwendige Alternativen hin.<br />
Zunächst plädiert sie für eine Neudefinition<br />
des traditionellen Arbeitsbegriffs und schlägt<br />
vor, was gesellschaftlich notwendige und<br />
nützliche Arbeit sein kann: „Arbeit in allen<br />
Bereichen sollte wieder als Ort der Kommunikation<br />
und Kooperation, der Solidarisierung<br />
von Menschen verstanden werden<br />
und nicht als Ort des gegenseitigen Austricksens<br />
und Kaltstellens.“ Nur folgerichtig,<br />
dass sie einer radikalen Arbeitszeitverkürzung<br />
im Bereich der sinnvollen Vollerwerbsarbeit<br />
das Wort redet und eine<br />
Gleichverteilung der gemeinwesenorientierten<br />
Arbeiten fordert.<br />
Aus alternativ-ökonomischer Sicht könnten<br />
zudem die beiden Beiträge von Rolf<br />
Schwendter etwas weiterführender sein, er<br />
kommt jedoch nur wenig über eine thesen-<br />
19 �
� 20<br />
förmige Zusammenfassung der Seminarbeiträge<br />
und der danach erfolgten Diskussionen<br />
hinaus. Dennoch: Insgesamt und insbesondere<br />
in der Mischung der Herkunft der<br />
AutorInnen eine gelungene Textsammlung,<br />
die zudem mit ausgesuchten Fotos nicht nur<br />
die grauen Zellensondern auch das Auge<br />
anregt. Zur Fortsetzung der Diskussionen<br />
haben TAK AÖ und DGB-Bundesjugendschule<br />
vom 25.-27. August zum nächsten<br />
Kooperationswochenende wieder nach<br />
Oberursel eingeladen.<br />
DGB-Bundesjugendschule (Hg.) in Kooperation<br />
mit dem Theorie-Arbeitskreis<br />
Alternative Ökonomie (TAK AÖ): Kapitalismus<br />
ohne Alternativen?, mit Beiträgen<br />
von Elmar Altvater, Hans-Jürgen<br />
Arlt, Ulrich Eckelmann, Gisela Notz, Rolf<br />
Schwendter, Christa Wichterich u.a.;<br />
Neu-Ulm: AG SPAK Bücher, 1999, 150<br />
S., ISBN 3930830116, 24 DM<br />
Peter Streiff (aus: Neue Hanauer Zeitung,<br />
Nr. 110 Sommer 2000)<br />
Tilo Klöck (Hg.):<br />
Solidarische Ökonomie<br />
und Empowerment<br />
Das offensichtlich definitive Ende der „Vollbeschäftigung“<br />
und die rasch wachsenden<br />
Existenzprobleme vieler Menschen beflügeln<br />
nun auch hierzulande (wieder) die Fantasie<br />
über „alternative“ Formen des Arbeitens<br />
und Wirtschaftens. Kaum noch jemand<br />
will darauf vertrauen, dass der Staat<br />
fürsorglich die Probleme der Menschen<br />
löst.<br />
Die einen setzen darauf, mit „Bürgerarbeit“,<br />
die Belohnung statt Entlohnung verspricht,<br />
die in Not geratenen Menschen bei der Stange<br />
zu halten. Andere hoffen darauf, dass sie<br />
sich in der Not wieder auf den Sinn gegenseitiger<br />
Solidarität besinnen und sich mit<br />
Almosen und der Mühsal des bloßen Überlebens<br />
auf Dauer nicht begnügen wollen.<br />
Ausdruck dieser Hoffnung ist das neue Jahrbuch<br />
Gemeinwesenarbeit mit dem Themenschwerpunkt<br />
„Solidarische Ökonomie und<br />
Empowerment“. Der Herausgeber Tilo<br />
Klöck begründet die Themenwahl damit,<br />
dass die Gemeinwesenarbeit entgegen ihrem<br />
Anspruch, die Lebensbedingungen der<br />
Menschen zu verbessern, heute weitgehend<br />
„auf soziale Arbeit und Reparaturleistungen“<br />
beschränkt worden sei. Und dies, ob-<br />
wohl es im In- und Ausland vielfältige<br />
Modelle und Versuche gäbe, „die eine besondere<br />
Qualität und Beschäftigungswirksamkeit<br />
entfalten und zeigen, dass mehr<br />
geht als man denkt“ (S. 5). Sie seien bisher<br />
von der deutschen Gemeinwesenarbeit<br />
kaum wahrgenommen worden, da diese<br />
trotz des beanspruchten Lebensweltbezugs<br />
und der Betonung von Selbsthilfe blind sei<br />
für die ökonomischen Dimensionen, den Eigensinn<br />
und die Eigendynamik von Armutsbewältigung.<br />
In seinem einleitenden Beitrag gibt Klöck<br />
einen Überblick über die Debatten zu solidarischer<br />
und alternativer Ökonomie, Empowerment,<br />
Gemeinwesenarbeit und zum<br />
Geschlechterverhältnis, die zum Teil in Einzelbeiträgen<br />
des Bandes vertieft werden.<br />
Intensiver geht er auf den sich notwendigerweise<br />
wandelnden Arbeitsbegriff ein und<br />
thematisiert das Verhältnis von Eigenarbeit<br />
und Erwerbsarbeit ebenso wie „informelle“<br />
Tätigkeiten im Rahmen der Schattenwirtschaft.<br />
Mit Recht stellt Klöck eine an den Grenzen<br />
verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen<br />
entlang gehende Zersplitterung der Diskussionen<br />
um solidarische Ökonomie fest<br />
und schlägt u.a. vor, eine interdisziplinär<br />
orientierte Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip<br />
für eine solidarische Ökonomie zu<br />
schaffen, in die einerseits wichtige Kompetenzen<br />
aus der Sozialpädagogik eingehen<br />
könnte, die sich andererseits aber<br />
aus zu enger „Umklammerung durch die<br />
soziale Arbeit“ löst.<br />
Ein entscheidendes Defizit wird in der<br />
mangelnden internationalen Zusammenarbeit<br />
und Vernetzung von Initiativen und<br />
Projekten gesehen, daneben der Darstellung<br />
deutscher Erfahrungen beispielsweise<br />
im Bereich von Sozialgenossenschaften,<br />
sozialer Stadtentwicklung<br />
oder ökonomischer Selbsthilfe<br />
greifen einige Beiträge des Sammelbandes<br />
praktische Erfahrungen aus<br />
anderen europäischen Ländern auf und<br />
vermitteln ein Bild der dortigen Debatte.<br />
Drei Beiträge des Jahrbuchs gehen explizit<br />
auf Bildungsfragen im Zusammenhang mit<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
solidarischer Ökonomie ein. So geht<br />
Icking unter anderem der Frage nach,<br />
wie „biographisches Hintergrundwissen“<br />
in Weiterbildungsprozesse im Rahmen<br />
von öffentlich geförderten<br />
Arbeitsmarktprojekten organisierter<br />
Eigenarbeit oder marktorientierter Projekte<br />
integriert werden kann. Höhn beschreibt<br />
Bildungs- und Beratungseinheiten<br />
für Selbsthilfegruppen in<br />
Niedersachsen, die auch ökonomische<br />
Aktivitäten entfalten.<br />
Der Beitrag von Schulze ist der einzige, der<br />
den europäischen Horizont überschreitet<br />
und einen ersten Eindruck von der Reichhaltigkeit<br />
der Erfahrungen und der Komplexität<br />
der Debatte um solidarische Ökonomie<br />
und die Perspektiven befreiender<br />
Pädagogik (Educacion Popular) vermittelt,<br />
die seit mehr als zwei Jahrzehnten in Lateinamerika<br />
vorliegen. Angesichts der auch vom<br />
Herausgeber betonten Tatsache, dass die<br />
Dritte Welt „auf dem Weg zu uns ist“, wäre<br />
hier eine stärkere Ausweitung des Blicks zu<br />
wünschen.<br />
Insgesamt bietet der Sammelband eine gute<br />
und mit vielen Beispielen unterfütterte Einführung<br />
in das Thema.<br />
Tilo Klöck (Hg.): Solidarische Ökonomie<br />
und Empowerment. Jahrbuch Gemeinwesenarbeit<br />
6 Neu-Ulm: AG SPAK Bücher,<br />
1998, 306 S, ISBN 930830078,<br />
49 DM<br />
Manfred Liebel (in: Sozialextra, Nr.5/1999)<br />
ARBEIT<br />
Willy Bierter, Uta von Winterfeld<br />
(Hg.):<br />
Zukunft der Arbeit – welcher<br />
Arbeit?<br />
Zukunft der Arbeit – welcher Arbeit? enthält<br />
Artikel von fünf Autorinnen und sechs<br />
Autoren. Sie nähern sich der Arbeit unter<br />
verschiedenen, aber doch verwandten Gesichtspunkten.<br />
Zum einen, so Adelheid Biesecker,<br />
sollen die gemeinhin unsichtbaren,<br />
unbezahlten und meist von Frauen verrichteten<br />
Tätigkeiten in ihrer fundamentalen Bedeutung<br />
für kapitalistisches Wirtschaften<br />
registriert, ernstgenommen und honoriert<br />
werden. Zum anderen gelte es gleichzeitig<br />
zu vermeiden, dass ebendiese Arbeiten<br />
kommerzialisiert und so Bestandteil herkömmlichen<br />
Wirtschaftens werden. Weite-<br />
re Beiträge dieses umfangreichen und vielfältigen<br />
Buches thematisieren z.B. Arbeitszeiten<br />
und das Ende des sog. Normalarbeitsverhältnisses<br />
oder gehen auf die heutige<br />
Möglich- und Notwendigkeit von Subsistenz<br />
ein.<br />
Stärken hat das Buch da, wo es Arbeit in<br />
Industriegesellschaften untersucht und, wie<br />
im Beitrag der feministischen Raumplanerin<br />
Ruth Becker, Alternativkonzepte, wie<br />
Eigenarbeit oder Ehrenamtlichkeit, grundsätzlich<br />
kritisiert und als Bestandteil einer<br />
geschlechtsspezifischen Dualwirtschaft analysiert.<br />
Einer Dualwirtschaft, die schlechte<br />
und prekäre Arbeit feminisiert, und ja, wenn<br />
auch in anderer Form, heute auch schon existiert.<br />
Gleichzeitig können einige Beiträge<br />
nicht verbergen, dass sie gerade eine solche<br />
geteilte Wirtschaft als positiv besetzte<br />
Utopie propagieren. In etlichen Aufsätzen<br />
wird so getan, als sei es erst im Zuge der<br />
Nachhaltigkeit zu einer Verbindung zwischen<br />
den Diskursen um ,,Ökologie“ und<br />
denen zu ,,Arbeit“ gekommen. Dies ist historisch<br />
grundfalsch, da schon seit den späten<br />
70er Jahren diese Verbindungen gezogen<br />
wurden, sei es auf dem Kongress ,,Zukunft<br />
der Arbeit“ 1982, sei es in der<br />
Selbstverwaltungsbewegung oder auch in<br />
kleinen Teilen der Gewerkschaften. Die<br />
Propagierung der Neuigkeit ist integraler<br />
Bestandteil des Nachhaltigkeitsdiskurses,<br />
und so wundert es auch nicht, dass das Buch<br />
aus zwei Tagungen des Fachbereichs ,,Neue<br />
Wohlstandsmodelle“ des Wuppertal-Institutes<br />
entstand. Dieser Fachbereich ist für das<br />
philosophische und menschelnde Beiwerk<br />
(,,Leitbilder“, Suffizienz, ...) im Wuppertaler<br />
Nachhaltigkeits-think-tank zuständig,<br />
das mit schönen Worten die ingenieurwissenschaftlich-technokratischen<br />
Konzepte<br />
der ökologischen Modernisierung (,,Effizienz“)<br />
begleiten soll. Trotzdem ist das Buch<br />
auf dem linken Flügel der Nachhaltigkeitsdebatte<br />
positioniert und diskutiert einige interessante<br />
Aspekte, zu denen anderen, etwa<br />
in der Selbstverwaltungs- oder Arbeitslosenbewegung<br />
Zeit und Geld fehlen, sie in ihrem<br />
Sinne weiter zu erforschen und zu debattieren.<br />
Willy Bierter, Uta von Winterfeld (Hg.):<br />
Zukunft der Arbeit – welcher Arbeit?,<br />
Stuttgart: Hirzel, 1998, 312 S.,<br />
ISBN 3777610607, 29,80 DM<br />
21 �
� 22<br />
Bernd Hüttner (aus: Alternative<br />
Kommunalpolitik Nr. 4/99)<br />
Werner Fricke (Hg.):<br />
Was die Gesellschaft bewegt<br />
Jahrbuch Arbeit + Technik 1999/2000<br />
Das alle zwei Jahre erscheinende Jahrbuch<br />
hat sich diesmal kein singuläres Schwerpunktthema<br />
ausgewählt, sondern sich mehreren<br />
Facetten der gesellschaftlichen Debatten<br />
gewidmet. Es liefert Konzepte und Reflexionen<br />
zu Gegenwart und Zukunft.’ Die<br />
sechs thematischen Kapitel sind überschrieben<br />
mit „Arbeit’ (neue Beweglichkeit des<br />
Kapitals, neue Selbständigkeit, institutionelle<br />
Reformen, technische Entwicklung),<br />
„Ökonomie und Ökologie“, Bildung und<br />
Kultur’, ,Gewalt in der Gesellschaft* und<br />
„Perspektive Europa“. Gerade das vorletzte<br />
Thema hat traurige Aktualität erlangt.<br />
Hierzu formulieren J.P. Reemtsma subjektive,<br />
und T. Leithäuser sozialpsychologische<br />
Essays, während H. Häußermann über städtische<br />
Zuwanderung reflektiert. Hervorzuheben<br />
ist der Beitrag von B. Wagner, der<br />
ein anschaulich und wohlfundiert ein ganzes<br />
Spektrum an Strategien gegen Rechtsextremismus<br />
in Ostdeutschland darlegt. Zu<br />
den Autoren der 37 Beiträge gehören beispielsweise<br />
noch Zygmunt Bauman (Moderne<br />
und Zeit), Karlheinz Geißler (Zeitvielfalt),<br />
Georg Vobruba, Karin Roth (Integration<br />
der stillen Reserve), Eckard Minx<br />
(Vorausdenken), F. Schmidt-Bleek (Faktor<br />
10), Pierre Bourdieu (Soziales Europa).<br />
Fast alle Beiträge geben einen jeweils<br />
wichtigen Strang der Diskussion über ihr<br />
Thema wieder. Sie enthalten viele interessante<br />
Denkanstöße Abgerundet wird der<br />
Band durch Sammelrezensionen zu den<br />
Themen rotgrüne<br />
Regierungspolitik, dritte“ Wege, Mitbestimmung,<br />
Wandel der Arbeit. Im besten<br />
Sinne ein Jahrbuch: es vermittelt einen hervorragenden<br />
Überblick über strategisch zentrale<br />
Themen dieser turbulenten Zeit und<br />
über sinnvolle und innovative Lösungsansätze.<br />
Besonders hilfreich ist für die Leserinnen<br />
und Leser das Einführungskapitel des<br />
Herausgebers und die Zusammenfassungen<br />
sämtlicher Beiträge.<br />
Werner Fricke (Hg.): Was die Gesellschaft<br />
bewegt -Jahrbuch Arbeit + Technik<br />
1999/2000. Bonn: Dietz, 1999, 451 S.,<br />
ISBN 3801240983, 35 DM<br />
Edgar Göll (Zukünfte Nr. 33, Herbst 2000)<br />
André Gorz:<br />
Arbeit zwischen Misere und Utopie<br />
Die Erfolgsgeschichte des Kapitalismus,<br />
diagnostiziert der prominente französische<br />
Soziologe André Gorz in seinem jüngsten<br />
Werk, ist ein Triumph des Geldes, „Geld,<br />
das durch den alleinigen Verkauf von Geld<br />
sich selbst einträgt“ (S. 14). In diesem System<br />
werde der Mensch „bis in sein Subjekt-Sein<br />
hinein Cyborg und Produktionsmittel,<br />
also zugleich Kapital, Ware und Arbeit.<br />
Und insoweit seine Fähigkeiten im<br />
Verwertungsprozess des Geldkapitals nicht<br />
gefragt sind, wird er zurückgewiesen, ausgeschlossen,<br />
als nicht existent betrachtet.<br />
Das wertvollste Kapital ist der Mensch nur<br />
dann, wenn er als Kapital funktioniert“ (S.<br />
15).<br />
Gorz indes belässt es nicht bei scharfsichtiger<br />
(an Marx erinnernde) Analyse, sondern<br />
verdeutlicht die inhumanen Folgen der Sozialstaats-Demontage<br />
mit eindrucksvollen<br />
Daten und Fakten: rund 7 Prozent der männlichen<br />
Erwerbsbevölkerung der USA hat<br />
mit der Justiz zu tun, 2 Prozent sitzen im<br />
Gefängnis, während im vielfach euphorischen<br />
gelobten Land des Neoliberalismus<br />
bereits 1994 ein leitender Angestellter im<br />
Durchschnitt 187 (!) Mal so viel wie ein<br />
Arbeiter verdiente (S. 27). Der Autor verweist<br />
auf die „widerstehliche Diktatur der<br />
Finanzmärkte“, berichtet von den dunklen<br />
Schatten des so heftig umworbenen chinesischen<br />
Marktes (Arbeitslosenquoten<br />
von regional bis zu 34 Prozent verzeichnet<br />
die IAO). Bei aktuell 600 – 800 Millionen<br />
Arbeitslosen weltweit müssten bis<br />
2025 1200 Millionen weitere bezahlte<br />
Beschäftigungsverhältnisse geschaffen<br />
werden (S. 38f.) ...<br />
Der Zusammenbruch des Kapitalismus, so<br />
A. Gorz, ist nur zu verhindern, wenn es gelingt,<br />
eine gesamtgesellschaftliche Vision<br />
höheren Allgemeinwohls zu entwickeln.<br />
Und er macht klar, wo dabei im Wesentlichen<br />
anzusetzen ist: „Sich der Globalisierung<br />
zu widersetzen, sie mit nationalen<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
Maßnahmen verhindern zu wollen, bedeutet<br />
unweigerlich die Kapitulation vor<br />
dieser Globalisierung. Es kann nicht darum<br />
gehen, die Globalisierung zu bekämpfen<br />
und zu versuchen, sich ihr zu<br />
entziehen. Vielmehr gilt es auf globaler<br />
Ebene, mit globalen Mitteln für eine andere<br />
Globalisierung zu kämpfen.“ (S. 26)<br />
In diesem Sinn macht Gorz Beispiele der<br />
Andersarbeit v.a. in nationalen Kontexten<br />
(Niederlande, Dänemark) aus. Er berichtet<br />
von den „namenlosen Helden des Prekären“,<br />
von „Pionieren der Wiederaneignung<br />
von Zeit“ (S. 86) und klaren Anzeichen für<br />
einen sich abzeichnenden Wertewandel. So<br />
steht „Arbeit“ nur bei 10 Prozent der Erwerbstätigen<br />
in Deutschland an erster Stelle<br />
(S. 90). Insgesamt diagnostiziert der Verfasser<br />
einen „Rückstand des Politischen“<br />
und benennt drei Bedingungen zukunftstauglicher<br />
Gesellschaftsgestaltung: ausreichendes<br />
(Grund)Einkommen für alle, die<br />
Umverteilung von Arbeit mit kollektiver<br />
und individueller Zeitsouveränität und die<br />
Entfaltung neuer Formen von Gesellschaftlichkeit.<br />
Von vielen wichtigen Beiträgen zu dem<br />
gegenwärtig wohl zentralen Zukunftsthema<br />
einer der wichtigsten: Faktenreich, analytisch<br />
brillant sowie konsequent in den unterbreiteten<br />
„Therapievorschlägen“.<br />
André Gorz: Arbeit zwischen Misere und<br />
Utopie. Frankfurt: Suhrkamp, 1999, 208<br />
S., ISBN 3518410172, 32 DM<br />
Walter Spielmann (Pro Zukunft 1/00, Nr. 2)<br />
Gisela Notz:<br />
Das Ehrenamt – eine Antwort auf<br />
die Krise?<br />
Ehrenamtliche Arbeit hat Konjunktur in der<br />
aktuellen sozialpolitischen Diskussion. Die<br />
soziale Versorgung wird großflächig reprivatisiert,<br />
staatlichen Kürzungen zum Opfer<br />
fallende soziale Einrichtungen werden<br />
der Wohlfahrt überantwortet bzw. der „freiwilligen“<br />
ehrenamtlichen Arbeit und der<br />
Selbsthilfe übergeben. Die Sozialwissenschaftlerin<br />
Gisela Notz beleuchtet diese Entwicklung<br />
im Buch „Die neuen Freiwilligen“<br />
kritisch und formuliert grundlegende Ansätze<br />
für eine Re-Politisierung der sozialen<br />
Frage.<br />
Selbsthilfe, bürgerschaftliches Engagement<br />
oder Gemeinwesenarbeit: Die verschiede-<br />
nen Formen ehrenamtlicher Arbeit gibt<br />
es schon lange, allerdings wirken die<br />
Begriffe etwas angestaubt. Mit dem Slogan<br />
„Bürger für Bürger“ versuchte die<br />
damalige Bundesministerin Claudia Nolte<br />
noch kurz vor der Bundestagswahl eine<br />
Imageverbesserung und richtete eine nationale<br />
Freiwilligenagentur ein. Das Ehrenamt<br />
wurde als „tragende Säule des Sozialstaats“<br />
betrachtet, weshalb es wieder<br />
„in“ sein müsse, freiwillig und ehrenamtlich<br />
zu arbeiten.<br />
Das Ehrenamt als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit?<br />
Können die „neuen Freiwilligen“<br />
die Erwartungen, die an sie gestellt werden,<br />
erfüllen? – Fragen genug, um sowohl die<br />
Geschichte des Ehrenamts als auch die aktuell<br />
diskutierten Modelle zu beleuchten.<br />
Die Autorin Gisela Notz, die seit längerer<br />
Zeit u.a. im Rahmen des Theorie-Arbeitskreises<br />
Alternative Ökonomie (TAKAÖ) aktiv<br />
ist, stellt sowohl die Konzepte von<br />
Jeremy Rifkin vom „Ende der Arbeit und<br />
ihrer Zukunft“ (1995) als auch von Ulrich<br />
Becks „Bürgerarbeit“ im historischen Kontext<br />
vor. Ihre Ausführungen machen deutlich,<br />
dass die gefeierte „neue Freiwilligkeit“<br />
wohl eher alter Wein in neuen Schläuchen<br />
ist: Die früher in Wohltätigkeitsvereinen engagierten<br />
„Damen“ werden heute für ähnliche<br />
Arbeiten, jedoch unter scheinbar attraktiveren<br />
Bezeichnungen geworben. In den<br />
neuen Arbeitsbereichen sollen vorwiegend<br />
von Frauen Reparaturarbeiten für die sozialen,<br />
gesundheitlichen, psychischen, kulturellen<br />
und ökologischen Schäden geleistet<br />
werden, welche die neo-liberale und männerdominierte<br />
Marktwirtschaft produziert.<br />
Kern der neuen Konzepte sei es, so Gisela<br />
Notz, vor allem Frauen wieder in ihre Hausmütter-Rolle<br />
zurückzudrängen. Da 80 Prozent<br />
der ehrenamtlichen und unbezahlten<br />
Arbeit in Deutschland von Frauen geleistet<br />
wird – hingegen ein Ehren-Amt mit ähnlich<br />
hoher Prozentzahl von Männern bekleidet<br />
wird –, bewertet die Autorin die neuen<br />
Freiwilligen-Konzepte als Baustein im Rahmen<br />
des gesellschaftlichen Umbaus und der<br />
Ausgrenzung von immer größer werden<br />
Schichten der Bevölkerung.<br />
Das „Normalarbeitsverhältnis“ müsse dringend<br />
neu definiert werden, fordert die Autorin<br />
und macht damit deutlich, dass es ihr<br />
23 �
� 24<br />
nicht um das ehrenamtliche Engagement<br />
von einzelnen Personen geht, sondern um<br />
„eine Re-Politisierung der sozialen Frage“.<br />
Dafür sei eine „Umverteilung von gesellschaftlich<br />
notwendiger und sinnvoller Arbeit<br />
und eine Umverteilung von Verantwortung<br />
auf beide Geschlechter durch Arbeitszeitverkürzung“<br />
sinnvoll. Dann, und mit<br />
deutlicheren Veränderungs-Signalen der<br />
neuen Regierung, könnten die neuen Freiwilligen<br />
sogar „VorreiterInnen für eine eigenständige<br />
Gestaltung neuer Formen von<br />
gegenseitiger Hilfe und zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen in kollektiven Lebensund<br />
Arbeitszusammenhängen“ werden, wie<br />
sich (nicht nur) die Autorin erhofft.<br />
Die mit diesem Band eröffnete „kleine Reihe“<br />
des Verlags „AG SPAK Bücher“ (Arbeitsgemeinschaft<br />
sozialpolitischer Arbeitskreise)<br />
will ein Forum sein für aktuelle Themen,<br />
neue Ideen und ungewöhnliche Sichtweisen.<br />
Dies scheint gelungen zu sein, zumal<br />
sich bisher nur wenige Stimmen kritisch<br />
und auch mit neuen Forschungsergebnissen<br />
zu den Konzepten von Rifkin, Beck<br />
und anderen äußerten. In leicht lesbarer<br />
Form bietet die Autorin sowohl neue Argumentationshilfen<br />
für sozialpolitisch Engagierte<br />
als auch einen übersichtlichen Einstieg<br />
ins Thema. Dem vorliegenden Band<br />
ist zu wünschen, dass er als wichtigen Baustein<br />
in der Diskussion um ehrenamtliche<br />
Arbeit verstanden wird insbesondere aufgrund<br />
der dezidiert frauenpolitischen Sichtweise.<br />
Gisela Notz: Die neuen Freiwilligen. Das<br />
Ehrenamt – eine Antwort auf die Krise?,<br />
Neu Ulm: AG SPAK Bücher 2. akt. Auflage,<br />
80 S., ISBN 3930830094, 12 DM<br />
Peter Streiff (aus: Contraste, Nr. 171)<br />
Sepp Rottmayer:<br />
Selbständigkeit<br />
in der Partnerschaft<br />
Die Monographie von Sepp Rottmayer<br />
„Selbstständigkeit in der Partnerschaft“ ist<br />
kein Krimi, sondern eine minutiös ausgearbeitete<br />
Handlungshilfe für Existenzgünderinnen<br />
und -gründer, die sich für eine<br />
kooperative Unternehmensstruktur interessieren.<br />
Ihnen stellt Rottmayer seinen über<br />
zwanzigjährigen Erfahrungsschatz in sehr<br />
detaillierter Weise zur Verfügung. Manchmal<br />
geht er schon fast zu sehr in Einzelhei-<br />
ten, die er und seine Partner als „Kooperationstüftler“<br />
entwickelt haben. Wer<br />
sich davon nicht abschrecken läßt, hat<br />
die Chance viele Fehler zu vermeiden,<br />
die so manche Gruppe bei ihrem „Hindernislauf<br />
zur Selbstverwaltung“ ausbaden<br />
musste.<br />
Ausgehend von den Entwicklungen der<br />
Ingenieurgruppe München e.G. wird das<br />
Betriebsmodell dieses Unternehmens in<br />
seinen Verästelungen für eine Übertragbarkeit<br />
auf andere Betriebe aufbereitet. Ausgehend<br />
von den Prämissen der Selbständigkeit<br />
und der Partnerschaft zeigt Rottmayer<br />
jeden Schritt auf, den er für eine funktionierende<br />
genossenschaftliche Struktur für<br />
erforderlich hält. Hierzu gehören die Entwicklung<br />
eines gemeinsamen Leitbildes,<br />
die Berücksichtigung zehn zentraler Gestaltungsgrundsätze<br />
und die ausführliche Einarbeitung<br />
aller Modellvorstellungen in die<br />
Satzung.<br />
Im Rahmen der Satzung will der Autor allerdings<br />
zuviel integrieren und damit an Problemen<br />
lösen bzw. vermeiden helfen. Entsprechend<br />
ausführlich werden die Organe<br />
und ihre Entscheidungskompetenzen dargestellt.<br />
Auch die Erläuterung der Verteilungsgrundlagen<br />
lassen an Umfang nicht zu<br />
wünschen übrig. Wird doch auf über 100<br />
Seiten alles vom Verteilungsverfahren über<br />
den Verteilungsschlüssel bis hin zur zugrundegelegten<br />
Leistungsbewertung genau<br />
beschrieben. Die Einarbeitung der entsprechenden<br />
Ergebnisse ins Rechnungswesen<br />
umfasst noch einmal 100 Seiten.<br />
Dem Buch liegt die Überzeugung zugrunde,<br />
(fast) alles regeln zu können und auch zu<br />
müssen. Dabei wird der Satzung als Problemlösung<br />
und selbstgeschaffenes „Gesetzeswerk“<br />
ein zu hoher Stellenwert beigemessen.<br />
Hat doch in der Wirklichkeit vieles<br />
mit Prozessen, Emotionen, Entwicklungsverläufen<br />
zu tun, die sich durch Verträge<br />
nur begrenzt steuern lassen. Im Gegenteil,<br />
oft dürfte der Prozess der Entwicklung<br />
einer solchen Struktur wie sie Rottmayer<br />
darstellt, ein höherer Stellenwert zukommen<br />
als dem eigentlichen Ergebnis. Da<br />
ändert nichts daran, dass der Autor das bisher<br />
umfassendste und wichtigste Grundlagenwerk<br />
vorgelegt zu dem Problem hat,<br />
wie sich qualifizierte Berufsgruppen in Mitarbeiterunternehmen<br />
bzw. Professionsge-<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
nossenschaften organisieren können.<br />
Sepp Rottmayer: Selbständigkeit in der<br />
Partnerschaft. Betriebsmodell für kooperative<br />
Unternehmen, (Bayerischer Raiffeisen-<br />
und Volksbanken Verlag) München<br />
1999, DM 45,00.<br />
Burghard Flieger<br />
Babette Scurrell:<br />
Vielfalt der Arbeit<br />
Der Wandel im Verhältnis von Erwerbs- und<br />
Nicht-Erwerbsarbeit nimmt derzeit einen<br />
prominenten Platz in der sozialwissenschaftlichen<br />
Diskussion ein. Dabei wird viel<br />
von der „neuen, pluralen Tätigkeitsgesellschaft“<br />
(Beck), die primär auf „bürgerschaftlichem<br />
Engagement“ beruhen soll,<br />
geschwärmt. Wie jedoch die steigende Produktivität<br />
der globalen Warenproduktion<br />
mit den Bedingungen der alltäglichen Produktion<br />
des Lebens zusammen hängt, analysiert<br />
dagegen kaum jemand.<br />
Babette Scurrell, Soziologin der Stiftung<br />
Bauhaus Dessau, tut es. In ihrer Schrift über<br />
die „Vielfalt der Arbeit“ setzt sie die<br />
Alimentierung dieses Landes durch den<br />
Weltmarkt nicht wie selbstverständlich voraus,<br />
sondern stellt das Konzept der regionalen<br />
Selbstbestimmung in den Mittelpunkt<br />
ihrer Überlegungen. Als eine der wenigen<br />
TeilnehmerInnen der New Work Debatte<br />
thematisiert Scurrell damit die Nicht-Erwerbsarbeit<br />
als unverzichtbare Versorgungsarbeit.<br />
Die These der Autorin lautet: Die<br />
Umverteilung der Erwerbsarbeit wird nur<br />
möglich, wenn sich eine „Kultur des Verzichts<br />
auf Erwerb(-sarbeit)“ entwickelt und<br />
im Gegenzug „wirkliche Existenzsicherung“<br />
geschaffen wird. Die neue Kultur entsteht<br />
nach Ansicht Scurrells, wenn in sozialen<br />
Experimenten Erwerbsarbeit mit gemeinwesenorientierter<br />
Subsistenz kombiniert<br />
wird. Scurrell hält dabei das Entstehen<br />
selbstbestimmter Regionen sowie den<br />
interregionalen Austausch (als Gegenstück<br />
zur Zwangsabkoppelung vom Weltmarkt<br />
durch De-Industrialisierung) für<br />
unumgänglich auf dem Weg zu einer<br />
sozial gerechten Gestaltung der gesellschaftlich<br />
notwendigen Arbeit.<br />
Die Darstellung einer Reihe von Projekten<br />
skizziert eine erste Vorstellung davon,<br />
wie man sich eine solche neue Kultur<br />
vorzustellen hat. Scurrell recherchier-<br />
te und kommentiert u.a. so unterschiedliche<br />
Projekte wie die Sozialistische Selbsthilfe<br />
Mühlheim, die Lokale Ökonomie<br />
Hamburg, das Grundversorgungs-,<br />
Kommunikations- und Bildungszentrum<br />
Bremen oder das uckermärkische Dorf<br />
Brodowin.<br />
In der Beschreibung dieser sozialen Experimentfelder<br />
liegt denn auch die Stärke<br />
des Buches. Konturen und Probleme der<br />
„neuen Kultur“ sind dagegen nur angerissen.<br />
Unklar bleibt auch, warum die Autorin<br />
ausführlich Engels’ evolutionistischen Arbeitsbegriff<br />
bemüht, anstatt z.B. die sehr viel<br />
klarsichtigere feministische Debatte um die<br />
Zukunft der Arbeit zu platzieren. Eine Lektüre<br />
des Büchleins empfiehlt sich trotzdem,<br />
und zwar vor allem als Anstoß zu einer<br />
längst überfälligen breiten Diskussion über<br />
die Zukunft der Subsistenz in den Ländern<br />
des Nordens.<br />
Babette Scurrell: Vielfalt der Arbeit. Experimente<br />
zur Verknüpfung von Erwerbsund<br />
Versorgungsarbeit, Neu-Ulm:<br />
AG SPAK Bücher, 1999 78 S.,<br />
ISBN 3930830124, 12 DM<br />
Christa Müller<br />
Joachim Sikora:<br />
Vision einer Tätigkeitsgesellschaft<br />
Der Autor – er ist Leiter des herausgebenden<br />
Institutes – schildert zunächst die Umbruchssituation,<br />
in der sich Wirtschaft und<br />
Gesellschaft derzeit befinden, und in der<br />
Folge überblicksartig die notwendigen Paradigmenwechsel<br />
(“Von der Arbeit zur Tätigkeit“,<br />
„Vom Terror der Ökonomie zur<br />
Wirtschaft im Dienste des Menschen“, „Von<br />
der Geld- zur Zeitökonomie“) sowie die unterschiedlichen,<br />
dazugehörigen neuen Denkund<br />
Lösungsansätze vom Ausbau des<br />
Dritten Sektor über Bürgerarbeit und die<br />
Aufwertung der Eigenarbeit (“Triade“<br />
von Erwerbs-, Eigen- und Gemeinwesenarbeit)<br />
bis hin zum Konzept der „Tätigkeitsgesellschaft“<br />
der Katholischen<br />
Arbeiternehmer-Bewegung Westdeutschlands.<br />
Herzstück des auch in elektronischer Aufbereitung<br />
verfügbaren Buches (CD-ROM)<br />
sind die vom Autor so genannten „Dekagramme“<br />
der Tätigkeiten, Einkommen,<br />
Kompetenzen und Zeiten. Sikora beschreibt<br />
darin zehn Arten von Tätigkeiten (von der<br />
25 �
� 26<br />
Erwerbs- über die Eigen- und Familienbis<br />
hin zur Bildungs-, Vermögens- und<br />
Kulturtätigkeit), zehn Arten von Einkünften<br />
(vom Erwerbseinkommen über das<br />
Vermögenseinkommen bis zum indirekten<br />
Einkommen = Eigentätigkeit, aber<br />
auch Bildungsgutscheine, Steuerpunkte<br />
für Ehrenamtliche Arbeit oder<br />
Tauschkreiswährungen werden hier ausgeführt),<br />
zehn Arten von Zeiten (von der<br />
Erwerbs- über die Familien- und Eigenbis<br />
hin zur Bildungs-, Kultur und Sozial-<br />
Jahr-Zeit) sowie zehn Arten von Kompetenzen,<br />
die in der pluralen<br />
Tätigkeitsgesellschaft gefördert und gefordert<br />
werden. Er schildert auch zehn<br />
beispielhafte „neue Berufe“, die diesen<br />
Tätigkeiten zuzuordnen sind (etwa Ethik-<br />
Anlagen-Manager/in im Bereich Vermögenstätigkeit,<br />
KriseninterventionistIn im<br />
Bereich Familientätigkeit usw.) und endet<br />
schließlich – vielleicht in Anspielung<br />
auf die zehn Gebote – mit zehn Empfehlungen<br />
wie „Initiieren Sie kleine soziale<br />
Netze“, „Praktizieren Sie soziale Fairness“,<br />
„Setzen Sie sich für politische Reformen<br />
ein“ oder „Entdecken Sie die<br />
Muße neu“. Das hier skizzierte Bild einer<br />
Tätigkeitsgesellschaft könnte nicht<br />
nur helfen, die Arbeitsmarkt- und Ökokrise<br />
zu entschärfen, sondern auch eine<br />
vielfältigere und befriedigendere Lebenspraxis<br />
eröffnen. Da Geld aber auch zukünftig<br />
ein wichtiges Teilhabe – und<br />
Freiheitsmöglichkeiten schaffendes Medium<br />
sein wird, muss die Tätigkeitsgesellschaft<br />
jedoch einhergehen mit<br />
einer fairen Verteilung aller Arten von<br />
Arbeit und Einkommen – zwischen denen,<br />
die Jobs haben und den Arbeitslosen<br />
ebenso wie zwischen den Geschlechtern.<br />
Die begleitend zum Buch herausgegebene<br />
CD-ROM ist zu beziehen beim Katholisch-<br />
Sozialen-Institut der Erzdiözese Köln.<br />
Joachim Sikora: Vision einer Tätigkeitsgesellschaft.<br />
Neue Tätigkeits- und<br />
Lebensmodelle im 3. Jahrtausend.<br />
Bonn: Katholisch-Soziales Institut,<br />
1999. 141 S., ISBN 3927566217, 20 DM<br />
Hans Holzinger (Pro Zukunft 4/99, Nr.<br />
402)<br />
Johano Strasser:<br />
Wenn der Arbeitsgesellschaft die<br />
Arbeit ausgeht<br />
Wenn von der Zukunft der Arbeit und der<br />
Arbeitsgesellschaft die Rede ist, geht es um<br />
viel mehr als um Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik.<br />
Der Politikwissenschaftler<br />
Johano Strasser sieht in seiner Analyse<br />
das gesamte Institutionensystem der<br />
Demokratie und des Sozialstaats betroffen,<br />
die einst um die Arbeitsgesellschaft herum<br />
errichtet und auf sie zugeschnitten wurden.<br />
Aber auch die sinnstiftende Funktion von<br />
Arbeit als „entscheidende Dimension<br />
menschlichen Daseins“, als „fundamentale<br />
Funktion der Existenz des Menschen“ (Enzyklika<br />
Laborem exercens, 1981) gilt es hier<br />
zu berücksichtigen.<br />
Zunächst beschäftigt sich Strasser mit den<br />
bisher unterbreiteten Vorschlägen von Wissenschaftlern,<br />
Politikern und Publizisten,<br />
wie der Arbeitslosigkeit beizukommen sei.<br />
Der Autor vertritt zu Recht die Auffassung,<br />
das die oft favorisierte Strategie der Wachstumsförderung<br />
das Problem nicht lösen<br />
kann, da heute wirtschaftliches Wachstums<br />
und Rationalisierung in der Regel Hand in<br />
Hand gehen. Von 1970 bis 1995 stieg das<br />
BSP um 63 Prozent pro Kopf der Bevölkerung,<br />
gleichzeitig sank die nachgefragte<br />
Arbeitsmenge um ein Fünftel, weil sich die<br />
Arbeitsproduktivität im selben Zeitraum<br />
mehr als verdoppelte. Auch die vielfach<br />
beschworene Steigerung im Dienstleistungssektor<br />
wird seiner Ansicht nach geringer<br />
ausfallen als vielfach angenommen, weil<br />
die Konsumenten immer mehr von passiven<br />
Käufern zu Mitproduzenten von Waren<br />
und Dienstleistungen werden.<br />
Strasser kommt zu dem Schluss, dass es<br />
Erwerbsarbeit für alle nur geben kann, wenn<br />
eine Verkürzung der Arbeitszeiten gelingt<br />
und diese sozial- und arbeitsrechtlich abgesichert<br />
ist. Einer Verkürzung der Normalarbeitszeit<br />
gibt Strasser jedenfalls den Vorrang<br />
vor einem Ausbau des „Dritten Sektors“<br />
der gemeinnützigen Tätigkeiten. Die<br />
Folge wäre, dass die „Erwerbsarbeit allmählich<br />
an existentieller und lebensprägender<br />
Bedeutung für die Menschen<br />
verliert“ (S. 57). Dem Autor schwebt vor,<br />
die Erwerbsarbeit und die Nichterwerbsarbeit<br />
gerecht zu verteilen. Männer<br />
und Frauen teilen sich die Familienarbeit<br />
partnerschaftlich und alle Bürger<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
kümmern sich in ihrer „freien“ Zeit um<br />
ihre hilfsbedürftigen Nächsten und die<br />
Belange der Gemeinschaft. Der Autor bezeichnet<br />
es als „große historische Chance,<br />
die sich am Ende der alten Arbeitsgesellschaft<br />
ergibt“, die produktiven Energien<br />
wieder in die eigenen Hände zu nehmen,<br />
sich der anonymen Zwänge der alten Arbeitsgesellschaft<br />
und der Abhängigkeit von<br />
Fremdleistung zu entziehen. Und war es<br />
nicht ein uralter Menschheitstraum, vom Joch<br />
der Arbeit befreit zu werden. Warum also<br />
jetzt in Angst und Panik geraten, wenn die<br />
Erfüllung dieses Traums ein Stück näher<br />
rücken und Konturen annehmen könnte?<br />
Johano Strasser: Wenn der Arbeitsgesellschaft<br />
die Arbeit ausgeht. Zürich<br />
Pendo-Verlag, 1999, 142 S.,<br />
ISBN 3858423327, 26 DM<br />
Alfred Auer (Pro Zukunft 12/99, Nr. 135)<br />
Unternehmensgrün (Hg.):<br />
Arbeit – Strategien der<br />
Existenzsicherung<br />
Der Unternehmensverband „Unternehmens<br />
Grün“ will sich trotz der hohen Arbeitslosenzahlen<br />
nicht mit der allgemein verbreiteten<br />
Hoffnungslosigkeit abfinden, sondern<br />
sucht stattdessen Antworten auf Fragen wie<br />
„Gibt es ein Grundrecht auf Arbeit?“, „Ist<br />
Arbeit für alle überhaupt erstrebenswert und<br />
sind auch andere Formen der Existenzsicherung<br />
notwendig?“. Der Herausgeber legt<br />
seine Positionen und Vorschläge zur Steuerreform,<br />
zur Reform der sozialen Sicherungssysteme<br />
sowie zur Arbeitszeitverkürzung<br />
und -flexibilisierung auf den Tisch.<br />
Einen wichtigen Impuls für den Arbeitsmarkt<br />
sieht der Verband in der Ökosteuer.<br />
Gefordert wird eine Wertschöpfungsabgabe,<br />
um die Sozialfinanzierung zumindest teilweise<br />
vom Faktor Arbeit zu entkoppeln und<br />
so eine Verlangsamung des Rationalisierungstempos<br />
und zugleich die Schaffung<br />
neuer Arbeitsplätze zu erreichen. Ein Bürgergeld<br />
soll an die Stelle nahezu aller bisherigen<br />
Sozialleistungen treten und an jeden<br />
Bürger vom Finanzamt ausbezahlt<br />
oder ab einer bestimmten<br />
Mindesteinkommensgrenze mit der Steuerschuld<br />
verrechnet werden. Wolfgang<br />
Klauder, bis Ende 1996 Direktor am Instituts<br />
für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />
der BA für Arbeit, schildert<br />
Lösungsstrategien, die andere Länder<br />
(z.B. Dänemark oder die Niederlande) erfolgreich<br />
gegen die Arbeitslosigkeit gehen.<br />
Die Niederlande etwa steigerten die Erwerbstätigkeit<br />
seit 1983 um über ein Viertel.<br />
Er hält fest, dass alle Länder – zwar unterschiedlich<br />
gewichtet – ihre Erfolge auf<br />
dem Arbeitsmarkt einem Bündel von Bedingungen<br />
und Maßnahmen (geringe staatliche<br />
Regulierung, Teilzeit, Privatisierungen,<br />
moderate Lohnentwicklung, Steuersenkungen,<br />
Umschichtung zu Energiesteuern)<br />
verdanken. Der Autor zitiert zudem<br />
eine Computerstudie des Instituts für Arbeitsmarkt<br />
und Berufsforschung der Bundesanstalt<br />
für Arbeit (IAB) aus dem Jahr<br />
1996, nach der die Beschäftigung um rund<br />
zwei Millionen Arbeitskräfte gesteigert und<br />
die Arbeitslosigkeit halbiert werden könnte.<br />
Um das zu erreichen, wäre v.a. eine Verringerung<br />
der Jahresarbeitszeit erforderlich,<br />
sollte die Erhöhung der Nominallöhne den<br />
Produktivitätsfortschritt dauerhaft nicht<br />
übersteigen und sollte eine moderate, erst<br />
nach kräftigem Beschäftigungszuwachs einsetzende<br />
Konsolidierung des Staatshaushaltes<br />
Platz greifen. Ob es für alle Erwerbswilligen<br />
genug Arbeit gibt, hängt nach seiner<br />
Einschätzung v.a. von der Wirtschaftsund<br />
Finanzpolitik der Regierung, der Lohnund<br />
Arbeitszeitpolitik der Tarifpartner und<br />
der Flexibilisierung der Rahmenbedingungen<br />
ab.<br />
Weitere Beiträge schildern die Folgen der<br />
VW-Tarifpolitik, versuchen eine Neudefinition<br />
von Arbeit und präsentieren in der<br />
Praxis umgesetzte Lösungsansätzen (Initiative:<br />
Unternehmen – Partner der Jugend,<br />
„Arbeit nach Maß“ oder in Berlin die „Stattbauhof<br />
gGmbH). Schließlich beurteilt Alfred<br />
Ritter die Chancen, durch die Ökobranche<br />
neue Arbeitsplätze zu schaffen, eher<br />
pessimistisch. Er hält „wirkliche Kreativität<br />
und Mut bei der Umstrukturierung von<br />
gesellschaftlichen Bedingungen, insbesondere<br />
was die Arbeitswelt und die Wertschätzung<br />
verschiedener Tätigkeiten betrifft“ (S.<br />
119), für den einzig gangbaren Weg aus der<br />
Krise. Jedenfalls, so die Conclusio des<br />
Bandes, bedarf es grundsätzlicherer Strategien<br />
und Maßnahmen, als bisher von<br />
der Politik angeboten.<br />
UnternehmensGrün (Hg.): Arbeit –<br />
Strategien der Existenzsicherung, AG<br />
27 �
� 28<br />
SPAK Bücher und ökom-Verlag, 1999,<br />
132 S., ISBN 393083013, 19,80 DM<br />
Alfred Auer (aus: Pro Zukunft 1/00, Nr. 6)<br />
Isidor Wallimann (Hg.):<br />
Selbstverwaltung<br />
Empirisch abgesicherte Veröffentlichungen<br />
über selbstverwaltete Betriebe sind selten<br />
geworden. Weshalb veranschaulicht der<br />
Aufsatz von Mathias Hasler mit dem Titel<br />
„Selbstverwaltung (K)eine Modeerscheinung?<br />
Immerhin konnten von 373 angeschriebenen<br />
Schweizer Betrieben 220 in die<br />
Auswertung einbezogen werden. Aus deren<br />
Antworten wird deutlich, daß drei Viertel<br />
aller Neugründungen in den Jahren zwischen<br />
1978 und 1988 stattfanden. Danach<br />
erfolgte erst einmal ein sehr auffälliger Rückgang<br />
bei den Gründungen. Ist die Selbstverwaltung<br />
also doch nur ein Eingenerationenphänomen?<br />
Hasler stimmt in die häufig vorkommende<br />
„Schwarz-Weiss-Malerei“ nicht ein. Er läßt<br />
sich weder auf Aussagen wie „Selbstverwaltung<br />
ist die Zukunft“ noch „Sie wird nicht<br />
überleben“ ein. Vielmehr arbeitet er mit dem<br />
empirischen Daten heraus, daß sie wohl eine<br />
Alternative zur herkömmlichen Erwerbswirtschaft<br />
darstellt und noch über eine Reihe<br />
von Weiterentwicklungspotentialen verfügt.<br />
Ähnlich verhält es sich mit den anderen<br />
Aufsätzen. Sie sind sachlich, konkret,<br />
nicht abstrakt wissenschaftlich und vermeiden<br />
die Euphorie aus der Zeit des Gründungsbooms.<br />
Dies gilt auch für Franziska Amstutz mit<br />
dem Beitrag „Selbstverwaltung im Gastgewerbe:<br />
Innerbetriebliche Erfahrungen seit<br />
den 70ger Jahren“. Sie interviewte sechs<br />
Beizen in der Rechtsform der Genossenschaft.<br />
Deutlich wird, daß Gaststätten eine<br />
Domäne der Schweizer Selbstverwaltung<br />
sind, vergleichsweise viele Neugründungen<br />
aufweisen und unter der hohen Fluktuation<br />
der Mitglieder leiden. Ihr Ergebnis: „Im<br />
Gegensatz zu früher, als diffuse Idealvorstellungen<br />
dominierten, wird heute höhere<br />
Professionalität, klarere Strukturierung und<br />
Bereitschaft zu vermehrter Eigenverantwortung<br />
höherer Stellenwert beigemessen.“<br />
Auch die anderen Aufsätze arbeiten bei den<br />
verschieden Problemthemen die idealistischen<br />
Anfänge und die wachsende Prag-<br />
matik bei den Lösungsversuchen heraus.<br />
So verdeutlicht Simone Seiler unter der<br />
Überschrift „Der Lohn in der Selbstverwaltung:<br />
Ist der Einheitslohn passé?“, daß<br />
auch bei der wachsenden Zahl sogenannter<br />
abgestufter Lohnsysteme weiterhin<br />
Elemente des Einheitslohns enthalten<br />
sind. Es werden aber weitere Gerechtigkeitsansprüche<br />
als nur den der Gleichheit<br />
mit einbezogen. Insofern kann betont<br />
werden: Die Aufsätze geben einen<br />
guten Einblick in den Diskussionsstand<br />
der Selbstverwaltung in der Schweiz.<br />
Und vor allem enthalten sie vielfältige<br />
Anregungen auch für die Auseinandersetzung<br />
in Deutschland.<br />
Isidor Wallimann (Hg.): Selbstverwaltung.<br />
Entwicklung und Perspektiven, soziale<br />
Bewegungen, Krisen und soziale<br />
Ökonomie (Edition Heuwinkel) Neu-<br />
Allschwil / Basel 1996, 58 DM<br />
Burghard Flieger<br />
FEMINISTISCHE SICHT<br />
Katrin Andruschow (Hg.):<br />
Ganze Arbeit<br />
In der Debatte, wie die Krise der Arbeitsgesellschaft<br />
bewältigt werden kann, gerät<br />
mehr und mehr die Non-Profit-Ökonomie<br />
ins Blickfeld. Im Zentrum steht meist die<br />
Frage, ob hier neue Arbeitsplätze oder zumindest<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden<br />
werden können. Von einer so verengten<br />
Perspektive grenzt sich dieser Sammelband<br />
ab, indem er nach grundlegend<br />
neuen Konzepten für eine Arbeit der Zukunft<br />
in diesem Sektor fragt. Denn in der<br />
Non-Profit-Ökonomie wird nicht nur bezahlt<br />
und ‘ unbezahlt „ganze Arbeit“ geleistet,<br />
die noch immer unterbewertet ist, sondern<br />
hier sind auch wichtige Mosaiksteine<br />
für eine gesamtgesellschaftliche Neubestimmung<br />
und -gestaltung von Arbeit entwickelt<br />
worden, die das Ganze der gesellschaftlichen<br />
Arbeit berücksichtigen. Damit<br />
-so zeigen die AutorInnen im Detail - sind<br />
in der Non-Profit-Ökonomie zugleich Anstöße<br />
zur Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit<br />
zu finden wie auch Positionen<br />
formuliert worden, wie zukünftig unsere<br />
Lebensgrundlagen gesichert werden<br />
können, wie Lebensqualität gestaltet und<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
ein gleichberechtigtes Miteinander<br />
vorangebracht werden kann. Mit Beiträgen<br />
von Katrin Andruschow, Sigrid<br />
Betzelt, Anneliese Braun, Thomas Gesterkamp,<br />
Hella Hertzfeldt, Mechtild Jansen,<br />
Ute - Uta Meier, Heide Mertens, Gisela<br />
Notz.<br />
Katrin Andruschow (Hg.) Ganze Arbeit.<br />
Feministische Spurensuche in der Non-<br />
Profit-Ökonomie, Berlin: Edition Sigma,<br />
2001, 278 S., ISBN 3894048891, 29,80<br />
DM<br />
Veronika Bennholdt-Thomsen u.a.<br />
(Hg.):<br />
Das Subsistenzhandbuch<br />
“Die Frage, woher das Essen und die anderen<br />
zum Leben notwendigen Dinge kommen,<br />
ist immer auch eine Frage nach gerechteren<br />
und ökologischen Lebens- und<br />
Produktionsbedingungen für alle Menschen<br />
auf dieser Welt.“ (S. 10) So eine der Ausgangsthesen<br />
der Herausgeberinnen dieses<br />
Subsistenzhandbuches. Mit Subsistenz bezeichnen<br />
sie das, „was notwendig ist für ein<br />
zufriedenes und erfülltes Leben, im Gegensatz<br />
zu Gewinnstreben, Konkurrenz, Konsumismus<br />
und Umweltzerstörung.“ (S.12)<br />
Es geht ihnen um eine „Wirtschaft von<br />
unten“, eine „Alltagswirtschaft“, eine „Lebens-<br />
und Überlebensökonomie“ und vor<br />
allem darum, die Reduzierung des Wirtschaftens<br />
allein auf das Kapital-Lohnarbeit-<br />
Verhältnis im Denken wie im Handeln aufzubrechen.<br />
In diesem Sinne ist den Betreiberinnen<br />
eines Instituts für Theorie und<br />
Praxis der Subsistenz (ITPS) auch die herkömmliche<br />
Entwicklungspolitik „nichts anderes<br />
als die Fortsetzung des Kolonialismus<br />
mit anderen Mitteln.“ (S. 15) Sie sprechen<br />
bewusst nicht von einer Utopie (“Sie löst<br />
sich immer erst in der Zukunft ein“), sondern<br />
von „Subsistenzperspektive“, die etwas<br />
sei, „wonach wir sofort handeln können,<br />
sie ist Weg und Ziel zugleich.“ (S. 17)<br />
So wird in den insgesamt 17 vorgestellten<br />
Beispielen – von der Erzeuger-Verbrauchergemeinschaft<br />
eines Biobauernhofes bei<br />
Hamburg bis zu den bewusst auf Selbstversorgung<br />
setzenden Maya-Gemeinden in<br />
Guatemala, von den neuentstehenden<br />
Tauschkreisen in vielen Städten Deutschlands<br />
(hier vorgestellt Beispiele aus Halle<br />
und Vehlitz) bis hin zu einem philippini-<br />
schen Versuch, Palmölmonokulturen<br />
durch Mischkulturanbau zu ersetzen –<br />
nicht nur das Alltagshandeln der Menschen<br />
beschrieben, sondern auch der politische,<br />
kulturelle und ökonomische<br />
Kontext der Projekte.<br />
Dass Subsistenzorientierung nicht ein Zurück<br />
in die pure Selbstversorgung (“Steinzeit“-Argument)<br />
bedeutet, sondern das<br />
Schaffen neuer Freiräume, das Auskommen<br />
mit weniger Geld und das Stiften neuer<br />
Beziehungen, machen u.a. die Berichte über<br />
„Subsistenz in der Stadt“, deutlich, in denen<br />
von selbstorganisierten Mütterzentren<br />
(mittlerweile existieren davon an die 480<br />
in der BRD), dem Leben in einer Wohngemeinschaft,<br />
die sich die Abkehr vom Konsumismus,<br />
eine gemeinsame Ökonomie und<br />
die Auflösung kleinfamiliärer Strukturen<br />
zum Ziel setzt (Kommune Niederkaufungen),<br />
sowie der Revitalisierung einer ehemaligen<br />
SelbstversorgerInnensiedlung in<br />
Erlenfeld bei Kassel erzählt wird.<br />
Das spannende Buch hebt sich auch durch<br />
ein Weiteres von den üblichen sozialwissenschaftlichen<br />
Abhandlungen ab: 12 der<br />
17 BeiträgerInnen sind Frauen.<br />
Veronika Bennholdt-Thomsen u.a. (Hg.):<br />
Das Subsistenzhandbuch. Widerstandskulturen<br />
in Europa, Asien und Lateinamerika.<br />
Wien: Promedia, 1999. 247 S.,<br />
ISBN 385371143X, 34 DM<br />
Hans Holzinger ( Pro Zukunft 4/99, Nr. 404)<br />
Ihrsinn (Hg.):<br />
Von Klassen und Klassen<br />
Ihrsinn, die radikalfeministische Lesbenzeitschrift,<br />
widmet sich nach ihrem Heft<br />
„Von Klassen und Kassen“ (9/1994) unter<br />
dem Titel „schaffe, schaffe“ wieder der Ökonomie<br />
und der Arbeit. Andrea Baier wirft<br />
einen Blick auf das Verhältnis von lesbischer<br />
Existenz und Subsistenz. Baier hängt der<br />
Subsistenztheorie („es kann nicht sein, dass<br />
Gesellschaftlichkeit für Frauen Kinderlosigkeit<br />
voraussetzt“) an und tritt für eine lesbische<br />
Auseinandersetzung mit ihr ein. Ruth<br />
Becker bemerkt, dass fatalerweise Arbeit –<br />
und nicht z.B. Zwangsheterosexualität – die<br />
zentrale Kategorie der „deutschen“ feministischen<br />
Debatte sei. Sie bringt sehr gute<br />
Argumente gegen ein garantiertes Grundeinkommen<br />
und die Eigenarbeitskonzepte<br />
vor. Diese seien eine Diffamie-<br />
29 �
� 30<br />
rung der bezahlten professionellen Arbeit<br />
von Frauen. Ferner würden sie<br />
wiedereinmal die Familie als Ausgangspunkt<br />
gesellschaftlicher Reformen setzen<br />
– was a) wegen der dort herrschenden<br />
Gewaltverhältnisse illusorisch und b) auch<br />
gar nicht wünschenswert sei. Witzigerweise<br />
nähert sich Becker in ihren Forderungen<br />
nach Verbesserungen der Erwerbsarbeitsbedingungen<br />
und der Professionalisierung<br />
von Pflegetätigkeiten genau<br />
wieder jenen sozialistischen Feministinnen<br />
an, die sie zu Beginn ihres Textes noch gegeißelt<br />
hat. Nun denn, es gibt schlimmeres.<br />
Inwieweit neue Modelle von lesbischer Identität<br />
(ohne Familie bzw. zu versorgende Personen,<br />
flexibel, berufsorientiert) und lesbischem<br />
Begehren zum Neoliberalismus und<br />
seiner Flexibilisierung von Leitbildern und<br />
Arbeitsverhältnissen passen, dies untersucht<br />
Iris Nowak in ihrem sehr lesenswerten Beitrag<br />
IHRSINN Nr. 21 (2000), 118 S., 16 DM,<br />
c/o Frauenbuchladen Amazonas, Schmidtstr.<br />
12, 44793 Bochum, im Buchhandel<br />
oder www.homo.de/lesben/ihrsinn).<br />
Bernd Hüttner (aus: Alaska 2000)<br />
Christa Müller:<br />
Von der lokalen Ökonomie<br />
zum globalisierten Dorf<br />
Müller untersucht in ihrer Dissertation die<br />
Transformation der dörflichen lokalen Ökonomie<br />
im nordrhein-westfälischen Borgenteich<br />
in eine weltmarktorientierte, und welche<br />
Auswirkungen und Ursachen dieser Prozess<br />
hatte. Müller ist Anhängerin der Subsistenztheorie,<br />
ihre Doktormutter ist Veronika<br />
Bennholdt-Thomsen, eine der drei bundesdeutschen<br />
Mitbegründerinnen dieses<br />
Ansatzes. Müller dimensioniert zuerst ihren<br />
theoretischen Referenzrahmen, der hier<br />
vor allem auf dem Ansatz von Polanyi zur<br />
Einbettung und Entbettung von Ökonomien<br />
beruht. Sie kommt zum Schluss, dass<br />
auch heutige weltmarktorientierte Ökonomien<br />
nicht entbettet seien, sondern eben in<br />
die jeglicher sozialen Beziehungen enthobene<br />
Warenlogik eingebettet seien. Dann<br />
stellt sie ihr Untersuchungsobjekt vor: Die<br />
Bauern und Bäuerinnen und die Handwerker<br />
in Borgentreich, ihre Produktion, ihren<br />
Konsum und ihr Selbstverständnis. Die genannten<br />
praktizierten, so fand Müller<br />
durch Befragungen und Beobachtungen<br />
heraus, teilweise bis in die beginnenden<br />
70er Jahre hinein eine stark auf soziale<br />
Beziehungen beruhende Moral<br />
Economy. Zwischen ihnen bestand eine<br />
hohe Kooperationsbereitschaft und das<br />
Handeln des/der Einzelnen orientierte sich<br />
am Wohle der Gemeinschaft, das Wirtschaften<br />
fand auch fast ohne Geld statt.<br />
Im dritten Kapitel umreisst Müller die<br />
Veränderungen, die zum Zusammenbruch<br />
der lokalen Ökonomie Borgentreichs führten:<br />
die Agrarpolitik verursacht das Höfesterben,<br />
standardisierte Massenprodukte ruinieren<br />
die teureren Handwerker und importierte<br />
Lebensmittel den dörflichen Einzelhandel.<br />
Die noch vorhandene, in die sozialen<br />
Beziehungen der Wirtschaftenden eingelassene<br />
Subsistenzproduktion verliert<br />
immer mehr an Bedeutung.<br />
Nach dem Niedergang der lokalen Ökonomie<br />
schildert Müller verschiedene Reaktionen<br />
von noch heute existierenden landwirtschaftlichen<br />
Betrieben. Während viele das<br />
„Wachsen oder weichen“ hemmungslos mitmachen,<br />
versuchen wenige neue und andere<br />
Wege zu gehen. Landwirte, die Alternativen<br />
aufgebaut haben und weitersuchen,<br />
knüpfen dabei auch wieder an „alte“, wenn<br />
auch modernisierte und angepasste Formen<br />
von Kooperationen an: Statt im eigenen<br />
Dorf arbeiten sie z.B. mit städtischen VerbraucherInnen<br />
zusammen. Zum Schluss<br />
stellt die Autorin das Konzept der nachhaltigen<br />
Regionalentwicklung und verschiedene<br />
konkrete Projekte aus der Region um<br />
Borgentreich vor. Der Band endet mit einem<br />
Exkurs zu „Sustainability und Wachstum“<br />
in dem Müller auf den Nachhaltigkeitsdiskurs<br />
eingeht.<br />
Das Werk von Müller umreisst ein weites,<br />
fast zu weites Feld: Es reicht von neuerer<br />
sozialökonomischer Theorie bis zu neobäuerlicher<br />
Praxis, vom Landhandwerker<br />
bis zum Weltmarkt, von der Agrarpolitik bis<br />
zu kulturellen Traditionen der Nachkriegszeit.<br />
Die grundsätzliche zu begrüßende Weitläufgkeit<br />
und auch Interdisziplinarität der<br />
Arbeit gerät fast an ihre Grenzen. Die kulturelle<br />
und ökonomische Attraktivität des<br />
neuen, die lokale Ökonomie ablösenden<br />
Modells wird zwar konstatiert, und dies ist<br />
für die manchmal etwas dogmatische Subsistenztheorie<br />
schon ein gewagter Schritt;<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
warum es aber so attraktiv war und ist,<br />
darauf geht Müller nicht ein. Warum<br />
tauschten die Menschen vor allem aus<br />
Lust und Überzeugung und weniger aus<br />
Zwang (den es auch gab), die beengenden<br />
Kontrollmechanismen des Dorfes,<br />
die Abhängigkeit von Verwandten, NachbarInnen<br />
etc., sobald sie die Möglichkeit<br />
dazu hatten, gerne gegen die Abhängigkeit<br />
von Gelderwerb und der Zuteilung<br />
von Gütern durch relativ anonyme Märkte?<br />
Angesichts dessen, dass bei Müller<br />
eine normative Sympathie für die kulturelle<br />
und ökonomische Praxis der (vergangenen)<br />
lokalen Ökonomie besteht,<br />
würde die weitergehende Diskussion dieser<br />
Frage auch politische Anhaltspunkte<br />
für heutige Debatte geben. Dann würde<br />
sich zeigen, dass, wie Müller es auch anführt<br />
(S. 124), die Orientierung an sozialen<br />
Hierarchien eine wichtige Bedingung<br />
für den Erfolg der marktwirtschaftlichen<br />
Logik war, ergo die Verhältnisse im Dorf<br />
eben nicht so egalitär und freundschaftlich<br />
waren, wie es Müller zwischen den<br />
Zeilen immer mal wieder unterstellt. Vor<br />
dem Hintergrund ihres theoretischen<br />
Ansatzes verbleibt sie gegenüber nachhaltiger<br />
Regionalentwicklung, wie der<br />
Nachhaltigkeit allgemein, erstaunlich unkritisch.<br />
Auf die Praxis und den theoretischen<br />
Diskurs zur Regionalentwicklung<br />
der letzten zwei Jahre geht sie nicht ein,<br />
was vermutlich am Zeitpunkt des Abschlusses<br />
der Arbeit liegen dürfte, gibt<br />
dazu dazu also leider keine neuen kritischen<br />
Impulse.<br />
Die Berichte ihrer InterviewpartnerInnen<br />
dienen vor allem der Illustration und der<br />
Untermauerung der theoretischen Aussagen<br />
des Bandes. So entsteht der – vielleicht falsche<br />
– Eindruck, es seien nur die passenden<br />
Zitate ausgewählt worden. Ihre inhaltlichen<br />
Aussagen sind auch für Dörfer in<br />
anderen Regionen Deutschlands zutreffend,<br />
wie der Rezensent anhand der eigenen Erinnerungen<br />
an die von Dorf und elterlicher<br />
Landwirtschaft geprägte Kindheit und aus<br />
Erzählungen anderer bestätigen kann.<br />
Trotz aller Kritik ist das Buch einer der<br />
wenigen zeitgenössischen, wenn auch theoretischen<br />
Beiträge zu lokaler Ökonomie im<br />
Dorf, der von einer sozial-ökologisch motivierten<br />
Kapitalismuskritik ausgeht und ge-<br />
schlechtsspezifischer Arbeitsteilung als<br />
strukturierendem Merkmal grosse Bedeutung<br />
zumisst. Es zeigt eindringlich die Veränderungen<br />
der Lebensverhältnisse auf,<br />
denen das Dorf und der ländliche Raum<br />
unterworfen waren. Nicht zuletzt gibt es den<br />
betroffenen Menschen eine Stimme und<br />
Raum, ihre Erlebnisse und Urteile mitzuteilen.<br />
Christa Müller: Von der lokalen Ökonomie<br />
zum globalisierten Dorf. Bäuerliche<br />
Überlebensstrategien zwischen Weltmarktintegration<br />
und Regionalisierung,<br />
Frankfurt: Campus, 1998, 232 S., ISBN<br />
3593361213, 44DM<br />
Bernd Hüttner (Contraste, Februar 1999)<br />
Bettina Musiolek (Hg.):<br />
Ich bin chic, und Du mußt schuften<br />
Jeans oder T-Shirts haben oft einen wahren<br />
Zickzack-Kurs über den Erdball hinter sich,<br />
bevor sie in unsere Geschäfte kommen.<br />
Doch wer weiß schon, wieviele Hände an<br />
der Produktion beteiligt waren! Verlierer im<br />
globalen Geschäft mit der Mode sind die<br />
Produzentinnen in Ländern wie Taiwan, El<br />
Salvador oder Bulgarien, die unter teilweise<br />
extremen Arbeitsbedingungen besonders<br />
in den Freihandelszonen ausgebeutet werden.<br />
Mit aufwendigen Recherchen vor Ort hat<br />
die Autorin Bettina Musiolek eindrückliche<br />
Berichte und Reportagen zur weltweiten<br />
Textilproduktion und modernen Formen der<br />
Sklavenarbeit zusammengetragen. Das Buch<br />
„ich bin chic und Du mußt schuften“ zeigt<br />
die „Spielregeln“ der Branche und fragt, wie<br />
Frauen als Produzentinnen und als Konsumentinnen<br />
diese mit dem Ziel eines Fairen<br />
Handels gerecht verändern können. Es<br />
schreiben Frauen aus Asien, Afrika, Amerika<br />
und Europa, sie erzählen, wie sie arbeiten,<br />
leben, sich gegenseitig helfen – und wie<br />
sie unsere Kleidung nähen.<br />
„Wollen wir denn wirklich von Sklaverei<br />
profitieren?“ fragt Dorothee Sölle im Vorwort<br />
und weist gleichzeitig den Weg für eine<br />
gemeinsame Veränderung: „Frei werden wir<br />
jedenfalls nur gemeinsam – Süd und Nord,<br />
chicke Damen und schuftende Näherinnen.“<br />
Musiolek, Bettina (Hg.): Ich bin chic, und<br />
Du mußt schuften. Frauenarbeit für den<br />
globalen Modemarkt, Frankfurt: Brandes<br />
& Apsel, 1997. 144 S.,<br />
31 �
� 32<br />
ISBN 3860991493, 19,80 DM<br />
Peter Streiff (Aus: ECOregio, April 1999)<br />
Martina Schäfer, Susanne Schön:<br />
Nachhaltigkeit als Projekt<br />
der Moderne<br />
“Anke F. schaut auf die Uhr...: Schon wieder<br />
13.30 Uhr, ... Vielleicht sollte sie jetzt<br />
doch schnell um die Ecke in den Ökoimbiss<br />
gehen, damit sie rechtzeitig zur Besprechung<br />
wegen des Photovaltaik-Auftrags in Indonesien<br />
wieder zurück ist...“<br />
Derart episch wird der/die Leser/in in das<br />
Ökologische Modernisierungsszenario bzw.<br />
ins Nachhaltigkeitsszenario - Deutschland im<br />
Jahre 2010 - eingeführt. Das dritte Modell<br />
ist jenes der Globalisierung, im Blick auf<br />
Lebensqualität im umfassenden Sinne am<br />
negativsten gezeichnet wird. Die Vorstellungen<br />
der Autorinnen von einer erstrebenswerten<br />
Zukunft repräsentiert in dieser Darstellung<br />
das Nachhaltigkeitsszenario. Dieses<br />
wird in den darauffolgenden Kapiteln<br />
theoretisch entwickelt und diskutiert. Die<br />
Prämisse ist, Ökologie, Ökonomie und das<br />
Geschlechterverhältnis in all seinen sozioökonomischen<br />
und soziokulturellen Dimensionen<br />
in ein vernetztes Ganzes zu bringen.<br />
Schäfer / Schön orientieren sich dabei an<br />
der „Ganzheitlichen Problemlösungsmethodik“<br />
einer Schweizer Forschergruppe,<br />
die folgende fünf Schritte vorsieht: 1. Die<br />
Problemsituationen (Zerstörung der Lebensgrundlagen,<br />
Krise der Arbeitsgesellschaft<br />
etc.) sind mit all ihren Einflussfaktoren zu<br />
beschreiben, und die angestrebten Lösung<br />
zu modellieren. – 2. Ziele und Einflussfaktoren<br />
werden zu einem Gesamtbild verschmolzen.<br />
– 3. Zur Erfassung und Interpretation<br />
der Veränderungsmöglichkeiten<br />
werden Szenarios erarbeitet. – 4. Es sind<br />
die verschiedenen Lenkungsebenen bzw.<br />
Lenkungsmöglichkeiten zu entwickeln: von<br />
den individuellen bis zu den politisch-strukturellen.<br />
– 5. Schließlich sind erst konkrete<br />
Maßnahmen und Strategien zu planen.<br />
(S. 19f.)<br />
Unter diesen Vorzeichen werden die beiden<br />
Problemkreise „Bedürfnisfeld Ernährung“<br />
und „Bedürfnisfeld Wohnen“ betrachtet, um<br />
daraus Konturen zukunftsfähiger Arbeit zu<br />
entwickeln. Demnach sollten „Gleichstellungs-,<br />
Arbeitszeit-, Betriebsverfassungs-,<br />
Grundsicherungs- und Regionalstrukturgesetze“<br />
zur Geltung kommen, deren zentrale<br />
Optionen etwa folgendermaßen zu beschreiben<br />
sind: die 50/50 Quotierung der<br />
Geschlechter ist auf allen Beschäftigungsund<br />
Entscheidungsebenen verwirklicht;<br />
die 30-Stunden-Woche eingeführt (wobei<br />
bezahlte Mehrarbeit überproportional<br />
besteuert und Freistellungen für<br />
Gemeinwesensarbeit und Weiterbildung<br />
gewährleistet werden); für Betriebe, die<br />
besonders arbeitnehmerfreundlich agieren,<br />
gibt es Steuervergünstigungen; im<br />
Bedürfnisfall gibt es eine Grundsicherung<br />
von DM 1.500,- pro Monat. Große Bedeutung<br />
messen die Autorinnen zudem<br />
einer intakten Regionalstruktur (Stichworte:<br />
„regionale Versorgungswirtschaft“;<br />
Unterstützung regionaler Initiativen<br />
und Projekte; Regionalfonds;<br />
regionaler Runder Tisch mit<br />
Gemeinwesenorientierung u.a.m.) bei.<br />
Schäfer / Schön skizzieren nicht nur ihr<br />
Wunschszenario, sondern benennen auch<br />
Probleme und Widersprüchlichkeiten ihres<br />
Modells: Die Optionen seien teilweise nicht<br />
neu, aber konnten bislang nicht durchgesetzt<br />
werden; die zunehmende Individualisierung<br />
könnte der Gemeinschaftsorientierung<br />
im Wege stehen; die angestrebte Hinwendung<br />
zu Natur und ihren (Zeit)Rhythmen<br />
stehe der wachsenden Entfremdung<br />
von der Natur gegenüber, auch scheint die<br />
Stärkung der regionaler Identitäten an der<br />
Ausweitung der Erfahrungswelten zu scheitern.<br />
Dennoch, so die Autorinnen, kann auf<br />
keinen der zu verändernden Bereiche verzichtet<br />
werden, denn aufgrund der strukturellen<br />
Vernetzung aller Lebensbereiche ist<br />
Nachhaltigkeit nur ganz oder gar nicht zu<br />
haben.<br />
Martina Schäfer, Susanne Schön: Nachhaltigkeit<br />
als Projekt der Moderne. Skizzen<br />
und Widersprüche eines zukunftsfähigen<br />
Gesellschaftsmodells. Hg. v. Wissenschaftszentrum<br />
Berlin für Sozialforschung.<br />
Berlin: Edition Sigma, 2000. 259<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
S., ISBN 3894042001, 36 DM<br />
Sigrid Schmid (Pro Zukunft 3/00, Nr.263)<br />
LANDWIRTSCHAFT<br />
Evangelische Kirche (Hg.):<br />
Ernährungssicherung und<br />
Nachhaltige Entwicklung<br />
Nachhaltigkeit der Landwirtschaft bedeutet<br />
Ernährungssicherung. Hierzu ist ein Umdenken<br />
in der landwirtschaftlichen Produktion<br />
weltweit und ein Umsteuern hin zu<br />
standortgerechten, umweltschonenderen<br />
Produktionsmethoden erforderlich. Für die<br />
Landwirtschaft in den Entwicklungsländern<br />
müssen Methoden unterstützt werden, die<br />
ohne hohe Investitionskosten durchgeführt<br />
werden können. Die Landwirtschaft der Industrieländer<br />
muss demgegenüber den Einsatz<br />
von umweltbelastenden Produktionsmitteln<br />
noch stärker reduzieren. Die Ziele<br />
einer nachhaltigen Landwirtschaft stehen<br />
gleichberechtigt, zueinander: Schutz der<br />
Umwelt, Effizienz der Wirtschaft und soziale<br />
Gerechtigkeit. Internationale Agrarabkommen<br />
im Rahmen der Welthandelsorganisation<br />
(WTO) haben weitreichende Auswirkungen<br />
auf die Landwirtschaft in Nord<br />
und Süd. Es ist zu befürchten’ dass die angestrebte<br />
Handelsfreiheit auf Kosten sozialer<br />
und ökologischer Ziele durchgesetzt<br />
wird. Deswegen ist eine grundlegende Reform<br />
der internationalen Agrarabkommen<br />
nötig.<br />
Bezug: EKD, Herrenhäuser Str. 72,<br />
30419 Hannover, Fax: 0511/ 2796-777<br />
(Forum Umwelt & Entwicklung, 3/2000)<br />
Forum Umwelt & Entwicklung (Hg.):<br />
Die Patentierung lebender Materie<br />
Die vorliegende Studie konzentriert sich<br />
jedoch weitgehend auf die Auswirkungen<br />
der zunehmenden Praxis, landwirtschaftliche<br />
Nutzpflanzen dem Patentrecht zu unterwerfen.<br />
Eine wichtige Rolle spielt in diesem<br />
Zusammenhang die Welthandelsorganisation<br />
WTO und ihr Abkommen über handelsbezogene<br />
Aspekte geistiger Eigentumsrechte<br />
(TRIPS), das die Mitgliedsstaaten zu<br />
einem relativ weitgehenden Patentschutz<br />
zwingt. Betroffen hiervon werden in den<br />
nächsten Jahren insbesondere die Bauern<br />
in den Entwicklungsländern sein.<br />
Die 64-seitige Broschüre fasst zunächst essentielle<br />
Bestimmungen des TRIPS-Abkommens<br />
zusammen, indem auf die einzelnen<br />
Teile des Abkommens genauer eingegangen<br />
wird. Das zweite große Kapitel benennt<br />
die Problemfelder, die im Spannungsfeld<br />
ökonomischer Interessen auftreten. Hier<br />
wird vor allem auch auf die konträren Interessenslagen<br />
und Bedürfnisse eingegangen,<br />
die zwischen Industrie- und Entwicklungsländern<br />
bestehen. Im weiteren Verlauf werden<br />
die Handlungsmöglichkeiten der Entwicklungsländer<br />
skizziert, insbesondere mit<br />
Blick auf den Art. 27.3 (b), der die Ausnahmemöglichkeiten<br />
zur Anwendung des Patentschutzes<br />
auf lebende Materie regelt. Das<br />
abschließende Kapitel setzt sich mit den<br />
Voraussetzungen für die Verbesserung der<br />
politischen Handlungsspielraume auseinander.<br />
Bezug : Forum Umwelt & Entwicklung,<br />
Am Michaelshof 810, 53777 Bonn, Tel.:<br />
0228/359704, Fax: 0228-359096, E-Mail.<br />
forumue@compuserve.com, Internet:<br />
www.forumue.de, DM 5 zzgl. VK.<br />
(aus: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung,<br />
4/2000)<br />
Kritische Geographie (Hg.):<br />
Landwirtschaft und Agrarpolitik in<br />
den 90er Jahren<br />
Über 50 Prozent der Ausgaben der Europäischen<br />
Union (EU) gehen als Strukturförderung<br />
und Subventionen in die Landwirtschaft.<br />
Das unterstreicht den hohen Stellenwert<br />
der Agrarpolitik im europäischen<br />
Kontext, der im meist städtisch geprägten<br />
sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Diskurs nur allzu gerne vernachlässigt wird.<br />
Die österreichische Gruppe ,,Kritische Geographie“<br />
will dieses Defizit am Beispiel einer<br />
Bestandsaufnahme der österreichischen<br />
Landwirtschaft mit beseitigen helfen. Mit<br />
seiner kleinräumigen landwirtschaftlichen<br />
Struktur, dem geringen Anteil an Grossbetrieben<br />
und seinem hohen Anteil an ökologischem<br />
Landbau, der 1998 zehn Prozent<br />
der Fläche und über acht Prozent aller Betriebe<br />
ausmachte (zum Vergleich BRD: 2,1<br />
bzw. 1,4 Prozent) könnte sich in diesem<br />
Land eine Alternative zu grossen (industriellen)<br />
Agrarstrukturen herausbilden.<br />
Die gesellschaftliche Modernisierung Ös-<br />
33 �
� 34<br />
terreichs seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
unterwarf gerade auch die Landwirtschaft<br />
und die von ihr lebenden Menschen einem<br />
tiefgreifenden Veränderungsprozess. Nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg beschleunigte<br />
sich dieser Prozess und führte zu einer<br />
,,Deagrarisierung“ des Landes. Die erst<br />
seit den beginnenden 50er Jahren bestimmenden<br />
agrarindustriellen Produktionsformen<br />
wurden von der agrarisch tätigen<br />
Bevölkerung wie von der Gesellschaft<br />
insgesamt widersprüchlich wahrgenommen.<br />
Zum einen wurde der Verlust<br />
an althergebrachten Lebens- und<br />
Wirtschaftsformen und des damit verbundenen<br />
Wissens beklagt, zum anderen<br />
wurden die immensen Produktivitätsgewinne<br />
in der Landwirtschaft in der<br />
Form (relativ) niedriger Lebensmittelpreise<br />
als positiver ,,Wohlstandsgewinn“ begriffen.<br />
Von Seiten der Agrarpolitik wurde diese<br />
Entwicklung ebenso zweischneidig begleitet,<br />
indem Massnahmen zu einer Verzögerung<br />
des Modernisierungsprozesses<br />
(im Sinne einer ,,sozialen Abfederung“) von<br />
politischen Handlungen begleitet wurden,<br />
die die Deagrarisierung und das Höfesterben<br />
noch beschleunigten.<br />
Mit der beginnenden Krise des fordistischen<br />
Entwicklungsmodells Ende der 70er Jahre<br />
und einer zusehends stärkeren Hinterfragung<br />
des Industrialisierungsprozesses und<br />
seiner (negativen) ökologischen Folgen, ergeben<br />
sich neue Perspektiven für die Landwirtschaft.<br />
Neben einer weiteren Modernisierung<br />
im Sinne einer Anpassung an den<br />
Wettbewerb auf dem Weltmarkt, richtet sich<br />
ein wachsender Teil der österreichischen<br />
Landwirtschaft allmählich in eine ökologische<br />
Richtung aus, die versucht, trotzdem<br />
konkurrenzfähig zu sein. Der EU-Beitritt<br />
Österreichs 1995 wirkte dabei als verstärkender<br />
Faktor: Die Losung vom europäischen<br />
,,ökologischen Feinkostladen“, der<br />
mit österreichischen landwirtschaftlichen<br />
Produkten beliefert wird, hat sich seither in<br />
der Agrarpolitik breit gemacht.<br />
Vor dem Hintergrund dieser Makroprozesse<br />
wenden sich die 15 Beiträge vier Hauptthemen<br />
zu: Den ökonomischen und agrarpolitischen<br />
Rahmenbedingungen der Land-<br />
wirtschaft Ende der 90er Jahre und deren<br />
Entwicklung und politischer Regulation<br />
seit dem 19. Jahrhundert. Des weiteren<br />
werden Alternativen (z.B. Biolandbau,<br />
Direktvermarktung, Subsistenz)<br />
vorgestellt und die sehr wichtige Frage<br />
thematisiert, wie die soziale Gruppe der<br />
Bürginnen heute von anderen gesellschaftlichen<br />
Gruppen wahrgenommen<br />
wird. Hervorhebenswert sind hier die<br />
Aufsätze zur Geschichte verschiedener<br />
ideologischer Interpretationsmuster von<br />
„BürgerIn-Sein“ und zum Bild der Landwirtschaft,<br />
wie es sich in Schulbüchern zeigt.<br />
Das sehr interessante Buch versammelt Beiträge<br />
auf der Höhe der Zeit und ist – sieht<br />
mensch vom Spektrum der Agraropposition<br />
um die AbL ab – den allermeisten Publikationen<br />
zum Thema in der Bundesrepublik<br />
weit voraus. Sicher kann etliches aus der<br />
österreichischen Debatte aufgrund der unterschiedlichen<br />
Agrarstruktur nicht auf die<br />
Bundesrepublik übertragen werden kann;<br />
es bleibt aber genug übrig, ,,weltmarktfähiger<br />
Biolandbau“ z.B., mit dem es sich zu<br />
beschäftigen lohnt.<br />
Kritische Geographie (Hg.): Landwirtschaft<br />
und Agrarpolitik in den 90er Jahren.<br />
Österreich zwischen Tradition und<br />
Moderne; Wien: Promedia, 1999, 256 S,<br />
ISBN 3-85371-152-9, 38 DM<br />
Bernd Hüttner (Contraste Februar 2000)<br />
Beate Wörner:<br />
Von Gen-Piraten und Patenten<br />
Wer Pflanzen oder Wirkstoffe daraus zum<br />
Patent anmeldet, hofft auf das große Geld.<br />
Vor allem die Pharmaindustrie und internationale<br />
Saatgutkonzerne profitieren von diesem<br />
Raubgut. Sie streichen riesige Gewinne<br />
aus der Ausbeutung der pflanzengenetischen<br />
Ressourcen und ihrer Vermarktung<br />
ein. So bedroht die Biopiraterie nicht nur<br />
die Artenvielfalt, sie untergräbt auch die<br />
Ernährungssicherheit, treibt Bauern in den<br />
Ruin und plündert das Wissen der „Hüter<br />
des grünen Goldes’, der indigenen Völker,<br />
aus, die seit Jahrhunderten das „grüne Gold“<br />
der genetischen Vielfalt pflegen. Es wird in<br />
diesem Buch verdeutlicht, warum sich Entwicklungsländer<br />
im Rahmen der Welthandelsorganisation<br />
(WTO) gegen die Patentierung<br />
von Pflanzen und Tieren zur Wehr<br />
setzen.<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
<strong>Anzeige</strong><br />
Beate Wörner: Von Gen-Piraten und<br />
Patenten. Brandes & Aspel Verlag,<br />
Frankfurt, 100 S, ISBN 3860992015,<br />
14 DM<br />
(Aus: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung,<br />
4/2000)<br />
ÖKOLOGIE<br />
Günter Altner u.a. (Hg.):<br />
Jahrbuch Ökologie 2001<br />
Das Jahrbuch Ökologie feiert seinen 10.<br />
Geburtstag! Den Herausgebern, dem Verlag<br />
und allen, die zu dem seit Jahren konstant<br />
hohen Niveau dieser Publikation beigetragen<br />
haben, ist zu gratulieren und zu<br />
danken. Denn jeder Herbst bringt uns in die<br />
(angenehme) Verlegenheit, die Wertschätzung<br />
für diese Reihe auf knappem Raum<br />
nachvollziehbar zu begründen. Beginnen<br />
wir also mit einem Pauschallob für die VerfasserInnen<br />
von nicht weniger als 33 Beiträgen.<br />
Bei aller Differenz des Themas ist<br />
ihnen Sachwissen und Engagement ebenso<br />
gemeinsam wie stilistische Klarheit und<br />
Aktualität. Einige ausgewählte Beispiele:<br />
Überaus Heterogenes findet sich im einleitenden<br />
„Perspektiven“-Kapitel: Subjektiv<br />
pointiert berichtet etwa D. Beisel darüber,<br />
„wie der Protest“ (gegen die Umweltzerstörung)<br />
in Deutschland ab 1959 „zur Sprache<br />
kam“, und informiert N. Begich (Alaska)<br />
über das geheimnisumwitterte US-Militärprojekt<br />
HAARP, mit dem durch elektromagnetische<br />
Manipulationen Einfluss auf<br />
Wetter, Natur und Mensch genommen werden<br />
soll.<br />
Die „Schwerpunkte“ sind vier Themenfeldern<br />
gewidmet. Zum einen geht es in drei<br />
Beiträgen um eine Zwischenbilanz der Umweltpolitik<br />
der rot-grünen Bundesregierung,<br />
die, wie M. Jänicke bilanziert, mit Ausnahme<br />
der Energiepolitik ein wenig ehrgeiziges<br />
Programm verfolgt. Selbst mit einem<br />
intendierten Anstieg der Umweltabgaben<br />
von 5,2 Prozent im Jahr 1997 auf 7,3 Prozent<br />
(bis 2003) liegt man doch deutlich hinter<br />
den Niederlanden oder Dänemark (S.<br />
65). Zum anderen wird ausführlich auf die<br />
EU-Osterweiterung eingegangen. Allein die<br />
Kosten für die Sanierung der Umwelt (auf<br />
EU-Niveau), so einer der vielen Befunde,<br />
35 �
� 36<br />
werden auf bis zu 120 Mrd. Euro geschätzt<br />
(S. 89). Dem ehrgeizigen Ziel<br />
„Null-Emission“ als Paradigma industrieller<br />
Produktion für das 21. Jahrhundert<br />
wendet sich ein weiterer Abschnitt zu. R.<br />
Kühr berichtet über den Stand der aktuellen<br />
Entwicklung und erläutert insbesondere<br />
den holistischen Anspruch des<br />
Konzepts, das u.a. durch die Schaffung<br />
neuer Industriecluster darauf abzielt, „alles<br />
zu verwenden“. Informiert wird auch<br />
über den Stand der Entwicklung in Japan<br />
(mit einer Güterproduktion von rund 10,2<br />
t und einem Ressourcenverbrauch von 40<br />
t pro Kopf und Jahr). Dem Thema „Umweltbildung“<br />
widmen sich in der Folge u.a.<br />
W. D. Hasenclever (er wirbt für einen „Ökologischen<br />
Humanismus“ und leistet damit<br />
auch einen Beitrag zur Wertediskussion aus<br />
pädagogischer Sicht). Besonders empfehlenswert<br />
sind zudem die philosophiegeschichtlichen<br />
Überlegungen von G. Széll<br />
über den Zusammenhang von Arbeit, Bildung<br />
und Umwelt. Aus Sicht des „Berufsund<br />
Praxisfeldforschers“ zeigt der Autor,<br />
wie jeweils divergierende Theorien die<br />
(ökologische) Problemwahrnehmung bestimmen<br />
und somit jeweils andere Lösungsvorschläge<br />
zur Folge haben.<br />
Der traditionelle „Disput“ kreist (gar nicht<br />
kontroversiell) um „solare Optionen“. Während<br />
P. Hennicke 10 Thesen für die Umsetzung<br />
des „Faktor-Vier“-Konzepts zur Diskussion<br />
stellt und dieses auch quantifiziert<br />
– erreichbar erscheint etwa die Reduktion<br />
des Kohleverbrauchs von weltweit 2,5 Gigatonnen<br />
(1995) auf 0,3 GT bis 2050 (vgl. S.<br />
188) –, weist H. Scheer nicht zum ersten<br />
Mal darauf hin, dass rund 40 Prozent der in<br />
Deutschland verbrauchten Energie durch<br />
„solares Bauen“ eingespart werden könnte.<br />
„Umweltgeschichtliches“ gibt es diesmal<br />
u. a zur (nicht ganz) rätselhaften Rolle der<br />
USA bei der Klimakonferenz in Kyoto und<br />
zu den viel weniger beachteten (und somit<br />
auch wenig erfolgreichen) Bemühungen um<br />
internationalen Bodenschutz.<br />
Nicht weniger als acht Beiträge verweisen<br />
schließlich auf die Vielfalt umweltbezogenen<br />
Engagements im Alltag und runden<br />
neben Aufsätzen zur Spurensicherung den<br />
Band ab.<br />
Nirgendwo sonst findet man im deutschen<br />
Sprachraum –fokussiert auf den Diskurs in<br />
der BRD – derart viel Ökokompetenz<br />
kompakt und allgemein verständlich vermittelt.<br />
Überzeugen Sie sich selbst.<br />
Günter Altner u.a. (Hg.): Jahrbuch Ökologie<br />
2001. München: C. H. Beck, 2000,<br />
303 S., ISBN 3406459250, 24,90 DM<br />
Walter Spielmann (Pro Zukunft 4/00, Nr. 397)<br />
Eva Heusinger u.a.:<br />
Einkaufen verändert die Welt<br />
Wie wir uns ernähren und welche Lebensmittel<br />
wir einkaufen hat nicht nur Einfluss<br />
auf unsere Gesundheit, sondern auch Auswirkungen<br />
auf Umwelt und Gesellschaft -<br />
bei uns und in der sogenannten „Dritten<br />
Welt“. Denn trotz steigender Sensibilisierung<br />
gegenüber zuviel Chemie in unseren<br />
Lebensmitteln schreitet die Industrialisierung<br />
von Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion<br />
weiter voran. Die Bauern<br />
werden immer weniger: obwohl die Mitgliedsstaaten<br />
der EU – so ist in diesem an<br />
brisanten Fakten reichen Buch nachzulesen<br />
– jährlich mehr als 80 Milliarden Mark für<br />
die Unterstützung der Ernährung ausgeben,<br />
müssen in der selben Zeit rund 300.000<br />
Höfe aufgeben, an die 600.000 landwirtschaftliche<br />
Arbeitplätze gehen damit Jahr<br />
für Jahr verloren. Ernährung ist aber ein<br />
gutes Geschäft für Konzerne – von den Saatgutherstellern<br />
über die Lebensmittelerzeuger<br />
bis hin zu den Supermarktketten.<br />
An konkreten Beispielen werden in diesem<br />
Handbuch die globalen Verstrickungen unserer<br />
Ernährungsweise und unseres Konsumstils<br />
aufgezeigt, ökonomische Verflechtungen<br />
dargestellt, Gewinner und Verlierer<br />
ausgemacht. Die 18 von Wirtschafts- und<br />
ErnährungsexpertInnen verfassten Beiträge<br />
informieren über Entwicklungen im Aground<br />
Lebensmittelbusiness, über Gentechnik<br />
in der Landwirtschaft und die damit verbundenen<br />
(und von den AutorInnen problematisierten)<br />
Versprechungen, den Hunger<br />
in der Welt zu besiegen, über den Verpackungsmüll,<br />
den unsere Lebensweise hinterlässt,<br />
und insbesondere über die Auswirkungen<br />
der globalisierten Ernährungsketten<br />
auf die Länder des Südens. Der Weg von<br />
„Dritte Welt“-Produkten wie Orangensaft<br />
(unser neuer Durstlöscher Nummer eins),<br />
Zucker, Schokolade, Kaffee, Gewürzen oder<br />
den als besonders gesund angepriesenen,<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
aus tropischen Gebieten importierten<br />
Pflanzenfetten (“Brandrodung für Margarine“)<br />
in unsere Supermarktregale wird<br />
kritisch beleuchtet.<br />
Die AutorInnen informieren über Grundsätze<br />
und Tipps zu einer ganzheitlichen Ernährungsökologie<br />
- von biologischer Landwirtschaft<br />
bis fairem Handel. Sie plädieren<br />
aber auch für neue politische Rahmenbedingungen,<br />
um zu einer gesundheits-,<br />
umwelt- und sozialverträglichen Ernährungsweise<br />
zu gelangen. So wird eine<br />
andere Preisgestaltung (Aufschlag der sozialen<br />
und ökologischen Folgekosten auf<br />
den Lebensmittelpreis) ebenso wie eine<br />
entsprechende Reform der europäischen<br />
und nationalen Agrarpolitiken gefordert.<br />
Einkaufen verändert die Welt. Die Auswirkungen<br />
unserer Ernährung auf Umwelt<br />
und Entwicklung. Red. Eva Heusinger<br />
... Stuttgart: Schmetterling, 2000. 125<br />
S., 3896570064, 14,80 DM<br />
Hans Holzinger (Pro Zukunft 4/00, Nr. 408)<br />
Martin Jänicke u.a.:<br />
Lern- und Arbeitsbuch<br />
Umweltpolitik<br />
Umweltschutz ist insbesondere in der Komplexität<br />
moderner Gesellschaften nur als<br />
Querschnittsmaterie zu realisieren. Wie sehr<br />
dabei das Zusammenwirken von Politik,<br />
Recht und Ökonomie – allen voran die Betriebswirtschaftslehre<br />
– gefordert ist, wird<br />
in diesem Band auf exemplarische Weise<br />
deutlich. Zunächst wendet sich Martin<br />
Jänicke – wie auch die Co-Autoren lehrt er<br />
an der FU Berlin – aus Sicht der Umweltpolitik<br />
der vergleichsweise kurzen Geschichte<br />
seiner Disziplin zu, um in der Folge<br />
die Vorzüge der „Policy-Analyse“ bzw.<br />
des „New Public Management“ wider die<br />
oft vereinfachend bemühte „Moral der Politiker“<br />
als primär verantwortliche (und versagende)<br />
Akteure ins Treffen zu führen. Die<br />
Analyse und Bewertung der umweltrelevanten<br />
Politikprozesse mit dem Blick auf<br />
ihre Gruppen, Methoden und Strategien<br />
macht vielmehr deutlich, „dass die Fachverwaltungen<br />
und die Einfluss- und Entscheidungsstrukturen<br />
im Vorfeld der parlamentarischen<br />
Institutionen eine ungleich größere<br />
Bedeutung haben“. Um so mehr gewinnt<br />
(neben allgemeinen rechtlichen Vorgaben)<br />
die flexible, kontrollierte Umsetzung<br />
konkrete Zielvorgaben zur „ökologischen<br />
Modernisierung“ an Bedeutung<br />
und wird auch in diesem Buch anhand<br />
einer Reihe von „best-practice“-Beispielen<br />
vorgestellt. Dass die Globalisierung<br />
„nicht nur Hemmnisse, sondern auch<br />
Chancen für eine „proaktive, innovationsorientierte<br />
Umweltpolitik“ darstellt,<br />
ist ein weiterer zentraler Befund Jänickes.<br />
Umweltrecht – so Philip Kunig im zweiten<br />
Abschnitt – kanalisiert auf verschiedenen<br />
Ebenen (Kommunen, Ländern,<br />
Bund und EU bis hin zur internationalen<br />
Staatengemeinschaft) aber auch zwischen<br />
„Staat“ und „Privat“ (Unternehmen ebenso<br />
wie einzelne Bürger) eine Vielzahl unterschiedlicher<br />
Interessen. Dabei ist aus<br />
Sicht des Juristen einzig von Belang, „in<br />
welchem Ausmaß das vorhandene Recht<br />
geeignet ist, Umweltinteressen zu schützen“,<br />
während Fragen der künftigen Gestaltung<br />
Gegenstand der Rechtssoziologie<br />
seien. Die Entwicklung des Umweltrechts<br />
in Deutschland und seine Handhabung<br />
im zwischenstaatlichen Raum, die Praxis<br />
der Umweltverwaltung, Instrument der<br />
Umweltgestaltung (v.a. Immissions-,<br />
Landschaftsschutz und Abfallrecht) werden<br />
ebenso thematisiert wie Aspekte des<br />
Völkerrechts. Auf der „Suche nach Umweltgerechtigkeit“<br />
bilanziert Kunig<br />
schließlich die Chancen und Grenzen des<br />
Rechts.<br />
Dass die den Unternehmen in der öffentlichen<br />
Umweltdebatte vielfach zugewiesene<br />
Position (“Verschmutzer“, die im Kräftemessen<br />
mit dem Staat als Vertreter des Gemeinwohls<br />
erpresserisch agieren) weder<br />
dem konstruktiven Diskurs noch der Umwelt<br />
dienlich sei, stellt Michael Stitzel aus<br />
Sicht des Betriebswirts wohl zu Recht heraus.<br />
Zugleich räumt er ein, dass ökonomische<br />
Rationalität – verstanden als kurzfristig<br />
orientierte Profitmaximierung – Hintergrund<br />
und Ursache von Umweltbeeinträchtigungen<br />
ist. Dennoch sei eine Politik von Zukkerbrot<br />
(Subventionen) und Peitsche (Abgaben<br />
oder Strafandrohungen) nicht geeignet,<br />
„die Wirtschaft“ für positive Impulse<br />
gegenüber der Umwelt zu gewinnen, an der<br />
diese selbst zunehmend interessiert sei.<br />
Denn immer mehr setzte sich die Einsicht<br />
durch, dass ein Unternehmen nur erfolgreich<br />
ist, wenn es seine Existenz auf Dauer<br />
37 �
� 38<br />
sichert und von allen relevanten Bezugsgruppen<br />
akzeptiert wird.<br />
Die gelungene Integration von drei gleichermaßen<br />
umweltrelevanten Teildisziplinen,<br />
die durchgehend auch für Laien verständliche<br />
Darstellung sowie die überzeugende<br />
didaktische Aufbereitung (mit ausführlichem<br />
Glossar und umfangreichen Literaturhinweisen)<br />
macht dieses Buch in Sachen<br />
Umweltpolitik zu einem Standardwerk.<br />
Jänicke, Martin; Kunig, Philip; Stitzel,<br />
Michael: Lern- und Arbeitsbuch Umweltpolitik.<br />
Politik, Recht und Management<br />
des Umweltschutzes in Staat und<br />
Unternehmen. Bonn: Dietz, 1999 432<br />
S., ISBN 3801202836, 29,80 DM<br />
Walter Spielmann (Pro Zukunft 4/99, Nr. 390)<br />
Hermann Scheer:<br />
Solare Weltwirtschaft<br />
Die sich ständig beschleunigende Moderne<br />
ist für den Präsidenten von „Eurosolar“<br />
und SPD-Abgeordneten zum Deutschen<br />
Bundestag, Hermann Scheer, ein überholtes,<br />
im doppelten Wortsinn fossiles Konstrukt.<br />
Trotzdem deutet gegenwärtig vieles<br />
darauf hin, „dass die globale ‘Entflammung’<br />
fossiler Energien allein zwischen 1990 und<br />
2010 um 50 Prozent steigen wird“ (S. 13).<br />
Lediglich 14 Prozent des statistisch erfassten<br />
Weltenergieverbrauchs werden heute<br />
durch die Verbrennung von Biomasse und<br />
nur 6 Prozent durch Wasserkraft abgedeckt.<br />
Nicht zuletzt befürchtet Scheer, dass durch<br />
die niedrigen Preise fossiler Energie die bereits<br />
existierenden alternativen Ansätze wieder<br />
zurückgedrängt werden. Angesicht dieser<br />
willkürlich herbeigeführten „Sonnenfinsternis“<br />
geht es nun darum, der „Sonnenstrategie“<br />
politisch wie auch wirtschaftlich<br />
zum Durchbruch zu verhelfen..<br />
Zunächst arbeitet Scheer heraus, warum<br />
sich die Weltwirtschaft seit dem späten 18.<br />
Jahrhundert immer stärker von fossilen Ressourcen<br />
abhängig gemacht und dabei u.a.<br />
umfangreiche Transport-, Lager- und Verteilungsinfrastrukturen<br />
aufgebaut hat. Das<br />
Standardargument der Vertreter des industriellen<br />
Komplexes alten Zuschnitts, wonach<br />
nur durch den Einsatz der herkömmlichen<br />
Energieträger die Existenz von Unternehmen<br />
und Volkswirtschaften gesichert<br />
werden könne, widerlegt Scheer mit<br />
dem Hinweis darauf, dass solare Ressour-<br />
cenpotentiale in den Zusammenhang der<br />
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gestellt<br />
werden müssen und erhebliche Wachstumspotentiale<br />
ausweisen: Der Autor sieht<br />
bei erneuerbaren Energien auch insofern<br />
einen ökonomischen Vorteil, als „ihre Nutzungskette<br />
wesentlich kürzer ist“. Grundsätzlich<br />
geht Scheer davon aus, dass nur in<br />
einer solaren Weltwirtschaft die materiellen<br />
Bedürfnisse aller Menschen befriedigt<br />
werden können. Das bedeutet hinsichtlich<br />
der wirtschaftlicher Handlungsebenen,<br />
dass nur die vorrangige Nutzung<br />
und Vermarktung lokaler solarer Energien<br />
zielführend ist. Die Konturen einer<br />
solaren Weltgesellschaft werden sich jedoch<br />
nur dann abzeichnen, wenn die<br />
Menschen den Weg dorthin konkreter als<br />
bisher erkennen können. Politische Initiativen<br />
müssen v.a. darauf abzielen, die<br />
zahlreichen Subventionen und Steuerfreiheiten<br />
für Fossil- und Atomenergie<br />
zu beenden, um der solaren Option den<br />
Weg zu bahnen. Die Folge wäre „das Leitbild<br />
einer primären Wirtschaft“, die etwa<br />
Land- und Forstwirtschaft nicht mehr als<br />
Restgrößen, sondern „als neue und dauerhafte<br />
Hauptträger für die Volkswirtschaft<br />
insgesamt“ sieht. Daraus ergeben sich mehrere<br />
Schlussfolgerungen sowohl in Richtung<br />
Landwirtschaft (Finanzierungshilfen<br />
statt Subventionen, Stopp der Patentierung<br />
von Genen und Genkette) als auch in Richtung<br />
Arbeitsmarkt. Die Umverteilung der<br />
Arbeitserträge muss über Arbeitszeitverkürzungen<br />
und/oder über staatlich garantierte<br />
Lebensunterhaltszahlungen erfolgen. Nach<br />
Ansicht Scheers wird die „Mobilisierung<br />
der Sonnenarbeit“ die den Menschen verbleibende<br />
Arbeit regional gerechter verteilen.<br />
Die Regionalisierung wirtschaftlicher<br />
Kreisläufe wiederum erleichtert es Regierungen,<br />
„das Steueraufkommen zur Finanzierung<br />
des Bedarfs an öffentlichen Leistungen<br />
verwenden zu können“. (S. 326).<br />
Wohl niemand sonst vertritt die Option einer<br />
solarer Weltwirtschaft so konsequent<br />
und konstruktiv wie Hermann Scheer. Folgerichtig<br />
wurde der „Anwalt der Sonne“ für<br />
sein zukunftsweisendes Engagement mit<br />
einem „Alternativen Nobelpreis“ geehrt.<br />
Anlass zur Gratulation ebenso wie die dringende<br />
Aufforderung, diesen Weg auch im<br />
eigenen Bereich nach Kräften zu unterstüt-<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
zen.<br />
Hermann Scheer: Solare Weltwirtschaft.<br />
Strategie für die ökologische Moderne.<br />
München: Kunstmann, 1999, 340 S.,<br />
ISBN 3888972280, 42 DM<br />
Alfred Auer (Pro Zukunft 4/99, Nr. 388)<br />
Hans G. Schumacher:<br />
Adressbuch Umweltschutz<br />
Neben der Erweiterung, Ergänzung und Verbesserung<br />
der einzelnen Abschnitte wurden<br />
den meisten Adressen die Email- und<br />
Internet-Anschriften angefügt. Neu hinzu<br />
gekommen sind die Anschriften der<br />
National- und Naturparke sowie Biosphärenreservate<br />
in Deutschland sowie Umweltanschriften<br />
aus dem Bereich von UN<br />
und EU. Schulabgänger können sich<br />
über Studienmöglichkeiten an Hoch- und<br />
Fachhochschulen im Natur- und Umweltschutz<br />
durch das „Adressbuch Umweltschutz“<br />
erste Informationen beschaffen,<br />
die durch eine umfangreiche Dokumentation<br />
des Umweltbundesamtes jederzeit<br />
vervollständigt werden können.<br />
Die Mehrzahl der Anschriften im<br />
„Adressbuch Umweltschutz“ ist durch<br />
eine kurze Beschreibung von Zielen, Aufgaben<br />
und Arbeitsschwerpunkten ergänz<br />
worden.<br />
Hans G. Schumacher: Adressbuch Umweltschutz.<br />
Heidelberg: Spektrum Verlag,<br />
ISBN 3827405904, 79 DM<br />
(aus: Rundbrief Forum Umwelt & Entwicklung,<br />
3/2000)<br />
REGIONALE ÖKONOMIE UND<br />
BESCHÄFTIGUNGSFÖRDERUNG<br />
Crossover (Hg.):<br />
Regionales Wirtschaften als linke<br />
Reformperspektive<br />
Die Debatten um „Region“ und die um<br />
„Regionalisierung“ hat in den letzten zwei,<br />
drei Jahren einen enormen Aufschwung<br />
genommen. Diese Debatten postulieren eine<br />
gestiegene Bedeutung von regionalen (und<br />
lokalen) Wirtschaftsprozessen in zweierlei<br />
Hinsicht: Zum einen biete die Region ein<br />
Gegengewicht zur Globalisierung und ihren<br />
Folgen, zum anderen gebe es eine wachsende<br />
Relevanz von regionalen und loka-<br />
len Faktoren für global orientierte und<br />
organisierte ökonomische Prozesse.<br />
Die erste Position läuft Gefahr, die Bedeutung<br />
und die Möglichkeiten, die die Regionen<br />
für eine alternative Politik bieten, zu<br />
überschätzen, und/oder sich in einer behaglichen<br />
Nische bequem einzurichten und die<br />
globalen Machtverhältnisse aus dem Blick<br />
zu verlieren. Die zweite sieht die Situation<br />
vielleicht realistischer, stellt sich aber – vereinfacht<br />
ausgedrückt – nicht gegen die Globalisierung,<br />
sondern verursacht an sie anzuschliessen.<br />
Sie zu regulieren und ihre<br />
destruktiven Folgen gestaltend abzufedern,<br />
unter anderem auch auf regionaler<br />
Ebene. Diskursgeschichtlich gesehen<br />
liegt quer zu den beiden genannten Positionen<br />
der inhaltlich-räumliche Bezug,<br />
der in beiden angeführten Sichtweisen<br />
mitschwingt. Hier gibt es zum einen einen<br />
sehr stark von Landwirtschaft, Handwerk<br />
und ländlichem Raum bestimmten,<br />
und einen mehr städtisch-dienstleistungsorientierten<br />
Schwerpunkt (Stichwort:<br />
Stärkung der lokalen Ökonomie).<br />
Diese beiden Stränge nehmen bislang<br />
kaum Bezug aufeinander.<br />
Die neuste Veröffentlichung aus dem von<br />
den jeweiligen linken Flügeln von SPD,<br />
PDS und Grünen gebildeten Crossover-Projektes,<br />
die sich der Regionalwirtschaft widmet,<br />
konnte mit Spannung erwartet werden.<br />
Würden hier Konturen einer neosozialistischen<br />
Land- und Agrarpolitik, einer antietatistischen<br />
Beschäftigungspolitik, einer<br />
die geschlechtsspezifischen Aspekte von<br />
Ökonomie reflektierenden Regionalpolitik<br />
zumindest angedeutet werden? Würden sich<br />
hier Ansätze einer kritischen historischen<br />
Aufarbeitung der Erfahrungen der Alternativökonomiebewegung<br />
und ihrer vielfältigen<br />
Praxisversuche oder eine Reflektion<br />
des Scheiterns des grünen Umbauprogrammes<br />
der 80er Jahre finden? Aber Fehlanzeige:<br />
Die versammelten Radikalreformer-<br />
Innen fragen sich, „wie eine zumeist personalintensive,<br />
überwiegend auf regionale<br />
Kreisläufe orientierte Binnenwirtschaft gefördert<br />
werden“ kann. Bei der Abwägung<br />
der Antwort fliessen vor allem die Erfahrungen<br />
aus dem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor<br />
(ÖBS) und der Debatte<br />
um geplante Märkte und Handlungsmöglichkeiten<br />
des Staates angesichts leerer Kas-<br />
39 �
� 40<br />
sen ein. Heraus kommt dann ein modernisierend-technokratisches<br />
„Clustermanagement“, das Binnenwirtschaft<br />
und Exportökonomie wieder<br />
„verzahnen“ soll. Es soll „ein politisch<br />
induziertes regionalwirtschaftliches<br />
Wachstumsprogramm“ angestossen werden,<br />
das „an die neuen Lenkungs- und<br />
Organisationsstrategien der<br />
Grosskonzerne anknüpft“ (S. 77). Flankiert<br />
wird das vom ÖBS, der – natürlich<br />
– nicht zum neuen Niedriglohnsektor<br />
werden soll, und eine veränderte staatliche<br />
Politik, die personalintensive und<br />
regional orientierte Ökonomien stärker<br />
als bisher fördern soll. Der weltmarktorientierte<br />
Sektor mit seinem immensen<br />
Ressourcenverbrauch und seiner Macht<br />
der Normsetzung für den Rest der Gesellschaft<br />
soll nicht weiter attackiert oder<br />
gar abgebaut werden. Den Crossover-<br />
AutorInnen geht es in erster Linie darum,<br />
dass die dort erwirtschafteten Werte<br />
auch wieder (zurück) in die Region transferiert<br />
werden. Das in dem Band vorliegende<br />
Ergebnis ist auch unter den reduzierten<br />
Ansprüchen, mit denen mensch<br />
an solch ein parteipolitisch gefärbtes Buch<br />
herangehen muss, ernüchternd. Die<br />
Crossover-AutorInnen positionieren sich<br />
klar jenseits des agrarisch-ländlichen Fokus,<br />
er spielt für sie keine Rolle. Damit<br />
zeigt sich einmal mehr die Metropolenzentriertheit<br />
– die ja auch eine Borniertheit<br />
ist – der Linken aller Schattierungen.<br />
Zum anderen, und dies ist weit<br />
schwerwiegender, ist die Crossover-Position<br />
nicht mehr von der zu unterscheiden,<br />
die Bestandteil, wenn nicht Förderer<br />
der regional gestützten Weltmarktorientierung<br />
ist. Dass es vielleicht ohne Wettbewerb,<br />
Konkurrenz und ohne<br />
Exportförderung gehen könnte, dies liegt<br />
jenseits des Horizontes der AutorInnen,<br />
der viele Gemeinsamkeiten mit herrschender<br />
Politik aufweist. Zusammengefasst<br />
erinnert die Crossover-Position an<br />
das Bild, in dem Menschen im Fluss (der<br />
Globalisierung) mitschwimmen, und dabei<br />
vehement betonen, wie sie den Lauf<br />
der Dinge beeinflussen. Verändernder<br />
Einfluss wird aber nur gewonnen, wenn<br />
man sich gegen den Lauf der Dinge stellt.<br />
Crossover (Hg.): Regionales Wirtschaf-<br />
ten als linke Reformperspektive; Verlag<br />
Westfälisches Dampfboot, Münster<br />
2000, 226 S., 29,80 DM<br />
Bernd Hüttner (Contraste, Februar 2000)<br />
Grüne Liga (Hg):<br />
Nachhaltige Regionalent- wicklung<br />
im ländlichen Raum<br />
Mit dieser vom Umweltverband Grüne Liga<br />
herausgegebenen Broschüre liegt eine ausführliche<br />
Dokumentation über Projekte mit<br />
regionalem Ansatz im ländlichen Raum vor.<br />
Geografischer Schwerpunkt sind die ländlichen<br />
Räume der neuen Bundesländer, aus<br />
ihnen werden insgesamt 31 Projekte vorgestellt,<br />
hinzu kommen noch acht aus den<br />
alten Ländern, vor allem aus Bayern. Das<br />
Spektrum der vorgestellten Initiativen ist<br />
sehr breit. Es reicht von Einzelvorhaben<br />
wie etwa Ökodörfer, über Umweltbildungszentren<br />
und Projekte mit sozialem<br />
bzw. arbeitsmarktpolitischem<br />
Schwerpunkt bis hin zu grösseren Programmen<br />
von Gemeinden und Landkreisen<br />
zur Förderung der lokalen und regionalen<br />
Wirtschaft, oder zur Initiierung<br />
von mehr Zusammenarbeit unter verschiedenen<br />
ländlichen AkteurInnen, wie<br />
sie etwa im Rahmen von<br />
Landschaftspflegeverbänden praktiziert<br />
werden.<br />
Die aufgeführten Beispiele enthalten jeweils<br />
eine kurze Beschreibung der jeweiligen Region<br />
(Grösse, EinwohnerInnen, Verteilung<br />
der Erwerbsarbeit bzw. -losigkeit, Stand der<br />
integrativen Entwicklungskonzepte) und<br />
der Projektschwerpunkte incl. der Adressen<br />
der Projektträger. Anschliessend werden die<br />
Projekte bzw. ihre Bestandteile mehr oder<br />
minder ausführlich vorgestellt. Ein Kriterium<br />
für die Aufnahme in die angenehm gestaltete<br />
Dokumentation war der Aufbau und<br />
die Stärkung regionaler Produktions- und<br />
Konsumstrukturen, desweiteren sollte nach<br />
Möglichkeit ein regionales Warenzeichen<br />
vorhanden bzw. in Arbeit sein. So kommt<br />
es, dass die Projekte fast durchgängig ihren<br />
Schwerpunkt in der Landwirtschaft und<br />
den ihr angelagerten Bereichen wie ländliches<br />
Handwerk, Tourismus oder Gastronomie<br />
haben.<br />
Es wird deutlich, dass einige Projekte schon<br />
weit fortgeschritten sind, vieles befindet<br />
sich aber noch in der Planungs- und Auf-<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
bauphase, ist also noch Zukunftsmusik.<br />
Das grosse Manko der Broschüre ist, dass<br />
nirgends das ihr zugrundeliegende Verständnis<br />
von ,,nachhaltig“ oder auch ,,regional“<br />
genauer definiert wird, und so<br />
die Kriterien für die Aufnahme nicht deutlich<br />
genug sind. Die Broschüre leistet –<br />
jenseits der Vorstellung von vielen Beispielen<br />
– keinen Beitrag zur Debatte über<br />
die politischen Dimensionen, den Erfolg<br />
oder auch nur die Wirksamkeit von eigenständiger<br />
und nachhaltiger<br />
Regionalentwicklung. Sie zeigt aber sehr<br />
anschaulich, dass die neuen Länder sich<br />
mittlerweile in Sachen (nachhaltiger)<br />
Regionalentwicklung nicht mehr zu verstecken<br />
brauchen und bietet viele Ideen<br />
und konkrete Anregungen für die ,,regionale“<br />
Praxis.<br />
Tomas Brückmann, Torsten Kell, Bettina<br />
Kremberg, Rainer Totzke: Nachhaltige<br />
Regionalentwicklung im ländlichen<br />
Raum, 19,80 DM (Bezug: Grüne<br />
Liga, Tel: 030/204 47 45)<br />
Bernd Hüttner (aus: PlanerIn Nr. 2/99)<br />
Arnold Kern:<br />
Regionale Kommunikation.<br />
Die Region als überschaubare Einheit müsse<br />
sich „mit ihrem ganz spezifischen Ökosystemgefüge<br />
ihrer ureigensten, regional vorhandenen<br />
Potentiale und Möglichkeiten bewusst<br />
werden, die sie weitgehend unabhängig<br />
werden lassen von Stoffbezügen aus<br />
anderen Ökosystemen.“ Nur auf diese Weise<br />
lasse sich das Prinzip der Nachhaltigkeit<br />
verwirklichen und ökologische (aber auch<br />
wirtschaftliche, politische und soziale) Stabilität<br />
in Zukunft sichern, so die Überzeugung<br />
des Autors, Lehrbeauftragter der Universität<br />
Klagenfurt und Leiter einer Agentur<br />
für Bildung und Regionalentwicklung.<br />
Eigenständige Regionalentwicklung baue<br />
nun „auf einer Vielzahl von aktiven Menschen<br />
auf, die in einem Klima des Selbstvertrauens<br />
und des gegenseitigen Wohlwollens<br />
zusammen denken, zusammen lernen<br />
und zusammen handeln.“ Regionale Aktivisten<br />
scheiterten oft an ihrem mangelnden<br />
Spezialwissen (von Management bis Marketing),<br />
Experten jedoch oft an ihrem mangelnden<br />
„regionalen Kommunikationswissen“.<br />
Würden die offiziellen Körperschaften<br />
(Länder, Verbände, Gemeinden) ihre<br />
Aufgabe in der Förderung der Vernetzung<br />
beider Ebenen sehen, „so wäre der<br />
Erfolg fast schon garantiert“, ist der<br />
Regionalberater, der auch im Auftrag der<br />
EU gearbeitet hat (COMETT-Programm),<br />
überzeugt. Das Geheimnis liege also in<br />
der „regionalen Kommunikation“: Wird<br />
diese verbessert, „so steigert sich auch<br />
die Dynamik der regionalen<br />
Entwicklungsprozesse“ und umgekehrt.<br />
Im vorliegenden Buch, das zu einem Standardwerk<br />
der Branche avancieren wird,<br />
schildert der Autor zunächst unterschiedliche<br />
Zugänge zur Regionalentwicklung (er<br />
spricht von „wissenschaftlichen Weltbildern“)<br />
aus raumplanerischer, geographischer,<br />
ökonomischer, ökologischer, soziokultureller<br />
und pädagogischer Sicht. Ein<br />
weiterer theoretischer Abschnitt ist der „Region<br />
als Netzwerk“ gewidmet.<br />
Es folgen Konzepte und Methoden der<br />
regionalen Entwicklungsarbeit (Untersuchung<br />
der Raumstruktur versus der<br />
Kommunikationsstruktur, regionale<br />
Wahrnehmung und die Rolle von Leitbildern,<br />
Bildungskonzepte zur regionalen<br />
Kommunikation, Bottom up und<br />
Bottom down-Ansätze u.a.m.) sowie<br />
schließlich die Beschreibung von Anwendungen<br />
an Beispielregionen in der Toskana,<br />
in Kärnten sowie in Thüringen – allesamt<br />
Initiativen, an denen der Autor selbst<br />
mitgewirkt hat und die in einem EU-Regionenprojekt<br />
vernetzt werden.<br />
Arnold Kern: Regionale Kommunikation.<br />
Theorien, Konzepte und Beispiele aus<br />
der Regionalentwicklung. Köln: Fortis<br />
Verlag, 1999, 260 S.,<br />
ISBN 3706803879 47,70 DM<br />
Hans Holzinger ( Pro Zukunft 2/00, Nr. 139)<br />
Harald Werner (Hg.):<br />
Zwischen Markt und Staat<br />
Die Buchbeiträge zur Debatte um Auswege<br />
aus der Massenarbeitslosigkeit füllen<br />
mittlerweile ganze Bibliotheken. Ein Vorschlag,<br />
der stark von der PDS und von den<br />
Kirchen halbherzig propagiert wird, ist der<br />
eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektor<br />
(ÖBS). Am Beispiel des ÖBS lassen<br />
sich interessante ideologische Fronten feststellen.<br />
Im Gegensatz zur bemerkenswerten<br />
Koalition der ÖBS-BefürworterInnen<br />
wollen die Grünen lieber eine neoliberale<br />
private Dienstleistungsökonomie, während<br />
41 �
� 42<br />
die Gewerkschaften eine Fortsetzung der<br />
Beschäftigungspolitik (ruhig auch zu Niedriglöhnen<br />
– vorziehen, stellen doch die in<br />
einem ÖBS geförderten Tätigkeiten das<br />
männliche Gewerkschaftsbild von produktiver<br />
Arbeit zu stark in Frage. Unter einem<br />
ÖBS wird hier ein Sektor verstanden, der<br />
zwar öffentlich finanziert wird, insofern den<br />
Staat in die Pflicht nimmt, aber jenseits der<br />
traditionellen Beschäftigungspolitik liegt.<br />
Dieser Unterschied kann vor allem in der<br />
Bezahlung – im Gegensatz zu sonstigen beschäftigungspolitischen<br />
Gepflogenheiten –<br />
nach Tarif, und im Inhalt der geförderten<br />
Beschäftigungsverhältnisse festgestellt werden.<br />
Die geförderten Arbeitsplätze umfassen<br />
eine große Bandbreite an Tätigkeiten und<br />
sollen vor allem der Stärkung der Selbstorganisation<br />
(auf lokaler Ebene) und der sozialen<br />
und ökologischen Innovation dienen.<br />
Das Buch ,,Zwischen Markt und Staat“<br />
dokumentiert den Stand der programmatischen<br />
Debatte zum ÖBS und auch erste<br />
Erfahrungen mit der Etablierung eines<br />
ÖBS in Mecklenburg-Vorpommern<br />
durch die rosa-rote SPD-PDS-Koalition<br />
auf Landesebene. Nach einigen einführenden<br />
Beiträgen, in denen der These<br />
vom ,,Ende der Arbeitsgesellschaft“ eine<br />
Absage erteilt wird, finden sich in dem<br />
Band Aufsätze zu Sozialstaat und ,,Dritter<br />
Sektor“ (auch so ein Modewort) und<br />
zur Finanzierung eines ÖBS. Den Schluss<br />
bildet ein Bericht zu öffentlich geförderter<br />
Beschäftigung in Frankreich und ein<br />
kritisches Resümee der neuen Beschäftigungspolitik<br />
in Mecklenburg-Vorpommern<br />
aus der Sicht des dortigen Arbeitslosenverbandes.<br />
Jenseits dessen wie mensch zu einem ÖBS<br />
steht, bietet das Buch trotz einiger Wiederholungen<br />
eine gute Einführung in den Stand<br />
der Debatte unter denjenigen, die ihn propagieren.<br />
Die AutorInnen stammen fast<br />
durchgängig aus der PDS, meist aus der<br />
Bundestagsfraktion oder deren wissenschaftlichen<br />
Umfeld. Der fundierteste Beitrag<br />
stammt hingegen von Mathias Brodkorb,<br />
einem Jungsozialisten, der den ÖBS<br />
sehr kritisch untersucht und der PDS vorwirft,<br />
den ÖBS als Reparaturwerkstatt des<br />
Kapitalismus (miß)zu verstehen.<br />
Brodkorb führt auch die Gefahren auf, die<br />
im Zusammenhang mit einem ÖBS nicht<br />
ausgeblendet werden dürfen: Lohndumping,<br />
oder auch, dass einige der Tätigkeiten<br />
sehr nahe an der von Konservativen<br />
so gerne propagierten Bürgerarbeit<br />
liegen. Wichtig ist der Aufsatz von Anja<br />
Wollny, die die Auseinandersetzung mit<br />
einem ÖBS von einem feministische<br />
Standpunkt aus sucht. Ihr Resümee: Ein<br />
ÖBS wäre eine kleine Möglichkeit, eine<br />
andere Arbeitsbewertung zu ermöglichen.<br />
Er hebt aber nicht per se die geschlechtsspezifische<br />
Zuordnung und Bewertung<br />
von Arbeit auf. Also wird sehr<br />
genau zu prüfen sein, welche Tätigkeiten<br />
gefördert werden, wer ,,selbstbestimmte<br />
Eigenarbeit“ leistet, und wer<br />
währenddessen die Haus- und Pflegearbeit<br />
macht.<br />
Harald Werner (Hg.): Zwischen Markt<br />
und Staat. Der öffentlich geförderte<br />
Beschäftigungssektor. 1999, 200 S., ISBN<br />
3879757550,29,80 DM<br />
Bernd Hüttner (Contraste, Februar 2000)<br />
Michael Greif:<br />
Von der lokalen zur regionalen<br />
Nachhaltigkeit<br />
Empirische Studien zu lokalen Nachhaltigkeitsprozessen<br />
(Lokale Agenda 21) sind<br />
äußerst rar. Um so erfreulicher, dass in der<br />
Studie von Greif an den bisherigen Erfahrungen<br />
in der Oldenburger Region angesetzt<br />
und darüber hinaus der Aspekt der Regionalisierung<br />
hervorgehoben wird. Der Autor<br />
gelangt zu der Feststellung, dass die<br />
Bedeutung der regionalen Ebene gestiegen<br />
und dies auch in seiner Region sichtbar ist<br />
(„Regionalisierung und Globalisierung als<br />
zwei Seiten einer Medaille»). Dies untermauert<br />
er mit sozialpsychologisch-kulturellen,<br />
politischen und ökonomischen Fakten.<br />
Er bezieht sich in seinen theoretischen Erörterungen<br />
erfreulicher weise auf neue Ansätze<br />
wie die Regulationstheorie (bzw. „Fordismus“).<br />
Zudem definiert er aus der Erfahrung<br />
solche Handlungsfelder, die speziell<br />
für eine Nachhaltige Entwicklung auf regionaler<br />
Ebene von Bedeutung sind und schlägt vier<br />
Prinzipien vor, die eine nachhaltige Region<br />
kennzeichnen könnten bzw. sollten: Begrenzung<br />
der räumlichen Ausdehnung der<br />
Stadtregion; Mischung von Funktionen sowohl<br />
im innerstädtischen Bereich als auch<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
im Stadt-Umland-Bereich; kleinräumige<br />
Begrenzung der Austauschbeziehungen;<br />
Solidarische Gestaltung der Stadt-Umland-<br />
Beziehung (S. 72f.). Anschließend benennt<br />
er Hemmnisse für die Durchsetzung derartiger<br />
Vorhaben und Strategien. In einem<br />
empirischen Teil schließlich beschreibt<br />
Greif. Die derzeitige Lage in der Oldenburger<br />
Region, erläutert die vorzufindenden<br />
Problemlösungskapazitäten insbesondere in<br />
Bezug auf den Lokale Agenda 21-Prozessen,<br />
die dort seit einigen Jahren ablaufen.<br />
Dabei bestätigen seine Erkenntnisse bisherige<br />
Erfahrungen mit der LA21: in Kommunen<br />
mit vielen aktiven Bevölkerungssegmenten<br />
(Städte) verlaufen Nachhaltigkeitsprozesse<br />
kontinuierlich und teilweise<br />
erfolgreich, während es im ländlichen Raum<br />
häufig nur von wenigen Einzelpersonen<br />
abhängt, ob diesbezüglich etwas geschieht<br />
oder nicht. Die LA 21-Initiativen seien ein<br />
wichtiger Fundus für entsprechende Nachhaltigkeitsprozesse<br />
auf regionaler Ebene.<br />
Diese müssten mit den politisch-administrativen<br />
Strukturen verzahnt und unterstützend<br />
zielführende Diskurse durchgeführt<br />
werden. Regionale Akteure (wie<br />
z.B. Bildungseinrichtungen, Kümmern)<br />
könnten wichtige „Schrittmacher’ sein,<br />
doch müssten diese Prozesse durch Landes-,<br />
Bundes- und EU-Maßnahmen unterstützt<br />
werden.<br />
Michael Greif: Von der lokalen zur regionalen<br />
Nachhaltigkeit (Bibliotheksund<br />
Informationssystem der Universität<br />
Oldenburg, 2000)15 DM<br />
Edgar Göll (Zukünfte 34, Winter 2000/2001)<br />
SOZIALPOLITIK<br />
Gro Harlem Brundtland:<br />
Grundrecht Gesundheit<br />
Für Gro Harlem Brundtland -ausgebildete<br />
Ärztin, ab 1981 erste Ministerpräsidentin<br />
von Norwegen, Vorsitzende des bedeutenden<br />
UN-Berichts „Unsere gemeinsame Zukunft’<br />
(1987) und seit 1998 Generaldirektorin<br />
der Weltgesundheitsorganisation<br />
(WHO) - ist Gesundheit vor allem eine soziale<br />
und politisch Herausforderung. Und<br />
so nimmt es nicht wunder, dass sie in diesem<br />
über weite Strecken persönlich gehal-<br />
tenen Bericht dafür plädiert, die Gesundheit<br />
ins Zentrum der menschlichen Entwicklung<br />
zu stellen“ (S. 23), um so bis zum<br />
Jahr 2015 die Zahl der absolut Armen weltweit<br />
zu halbieren. Denn nur dann, so zeigt<br />
Brundtland weiter, sind Frieden, wirtschaftliches<br />
Wachstum und gesellschaftliches<br />
Wohlergehen für alle zu sichern. Im Zentrum<br />
der Ausführungen freilich stehen Erfolge<br />
und Gebote globaler Gesundheitspolitik:<br />
So steht der beachtlichen Erhöhung<br />
der Lebenserwartung weltweit, erreicht vor<br />
allem durch flächendeckende und regelmäßige<br />
Impfungen, die absehbare signifikante<br />
Veränderung der häufigsten Krankheitsmuster<br />
gegenüber. Während 1998 Erkrankungen<br />
der unteren Atemwege, perinatale<br />
Leiden, Durchfall und AIDS die ersten Ränge<br />
einnehmen, ist davon auszugehen, dass<br />
im Jahr 2020 Herzerkrankungen, Depressionen<br />
und Verkehrsunfälle an der Spitze<br />
stehen werden. Anlass zur Sorge bereiten<br />
zudem weiterhin die Malaria und v.a. in den<br />
Entwicklungsländern der drastische Anstieg<br />
des Tabakkonsums.<br />
Sechs Tendenzen, so die Gesundheitspolitikerin<br />
weiter, wirken sich auf die gesundheitliche<br />
Lage weltweit aus: die<br />
Globalisierung, die Vertiefung der Kluft zwischen<br />
A arm und Reich, wachsende<br />
Arzneimittelresistenz (verbunden vor allem<br />
auch mit dem falschen Umgang mit Medikamenten)<br />
sowie Überalterung, Verstädterung<br />
und der Klimawandel. Diesen Risken sucht die<br />
Autorin jeweils mit konkreten, die interdisziplinäre<br />
Verantwortung einmahnenden Perspektiven<br />
zu begegnen. So setzt sie etwa auf „Private-Public“-Partnerschaften,<br />
umweltschonendes<br />
Wirtschaften, mahnt zu vermehrter Gesundheitsförderung<br />
am Arbeitsplatz und setzt vor allem<br />
auch auf die Förderung kommunaler Projekte.<br />
Fünf ergänzende Beiträge verdeutlichen<br />
die Vielfalt gesundheitspolitischen Engagements:<br />
So berichtet W. D. Novelli vom<br />
couragierten und phantasievollen Kampf<br />
der Nikotingegner gegen die Tabakmultis<br />
in den USA, mahnt Robert Davies, Geschäftsführer<br />
des „Prince of Wales Business<br />
Leaders Forum“, die Verantwortung internationaler<br />
Konzerne für gesunde Arbeitsbedingungen<br />
ein, und berichtet Rodrigo<br />
Guerrero, der langjährige Bürgermeister<br />
von Coli (Kolumbien),von frappierenden<br />
Zusammenhängen effizienter Verbrechens-<br />
43 �
� 44<br />
bekämpfung und gesundheitspolitischen<br />
Erfolgen in seiner Kommune. Besondere<br />
Beachtung verdient schließlich das von<br />
Alfred Rütten präsentierte Projekt Gesunde<br />
Region Westsachsen“, das erfolgreich<br />
auf die Einbindung von Bürgerinnen in<br />
kommunale Planungsprozesse setzt. Unter<br />
dem Titel Wer ist krank, wer ist gesund?“<br />
machen sich schließlich Susanne<br />
Moebus und Wolfgang Bödeker Gedanken<br />
über „Merkwürdigkeiten des deutschen<br />
Gesundheitssystems und wie Abhilfe<br />
zu schaffen ist“.<br />
Brundtland, Gro Harlem: Grundrecht<br />
Gesundheit. Vision: Mehr Lebensqualität<br />
für alle. Frankfurt: Campus 2000,<br />
239S., ISBN 359336042X, DM 36,<br />
Walter Spielmann (Zukünfte, Sommer 2000)<br />
Erhard Eppler:<br />
Was braucht der Mensch?<br />
In einer durch und durch kommerzialisierten<br />
Gesellschaft steht das Einkaufen rund<br />
um die Uhr und die Verfügbarkeit von Gütern,<br />
die wir im Grunde oft nicht benötigen,<br />
an der Spitze (angeblicher) Freiheiten.<br />
Das, was wir (und unseren Nachfähren aber<br />
wirklich brauchen - gute Luft, frisches<br />
Wasser und manches mehr - gerät dabei<br />
zunehmend aus dem Blick.<br />
Erhard Eppler, seit Jahren einer der profiliertesten<br />
politischen Vordenker in der<br />
Deutschland, zählen ein sicheres Zuhause,<br />
Bildung, Anerkennung, Feiern und Spiel<br />
ebenso zu den Grundbedürfnisses des Menschen<br />
wie ein Bedürfnis noch Zukunft,<br />
Geschichte, (persönlich verfügbarer) Zeit<br />
und Kunst. Nicht zuletzt werden auch Individualität<br />
und Partizipation (beim Kegelklub<br />
oder einer Bürgerinitiative) als elementare<br />
Bedürfnisse erachtet. Dass freilich dieser<br />
Katalog des allen gleichermaßen Wichtigen<br />
im Wechsel der Zeiten und Kulturen<br />
jeweils anders definiert wird und daher auch<br />
nicht verbindlich festgelegt werden kann,<br />
zeigt Eppler u.a. am Bedeutungswandel von<br />
Arbeit‘, die in der Antike einem Heer von<br />
Sklaven vorbehalten’ (und demnach kein<br />
Grundbedürfnis) war.<br />
Gibt es, fragt Eppler, ein Menschenrecht,<br />
seine Grundbedürfnisse zu befriedigen?,<br />
und kommt zu dem Ergebnis, dass „die beiden<br />
nicht in einander aufgehen“. Erforderlich<br />
indes sei eine „Politik für die Grund-<br />
bedürfnisse“. Ihre Aufgabe ist es, rechtliche,<br />
soziale, ökonomische Rahmen zu zimmern.<br />
Da der Markt der Deckung und<br />
Sicherstellung der Grundbedürfnisse Generationen<br />
nachweislich zu wider läuft, plädiert<br />
der Autor dafür, „verstärkt darüber zu<br />
diskutieren, was wir dringend, was wir weniger<br />
dringend brauchen und worauf wir<br />
notfalls verzichten können“ (S. 102). Unverzichtbar,<br />
ja, mehr noch eine unerschöpfliche<br />
Energie für die Gestaltung einer lebenswerten<br />
Zukunft ist die im Wechsel von<br />
Streit und Konsens praktizierte Teilhabe an<br />
der Zivilgesellschaft, die sich vor allem in<br />
(auch finanziell) möglichst eigenständigen<br />
Kommunen und Gemeinschaften entwikkeln<br />
kann.<br />
Was gelingendes Leben und die Wahrung<br />
von Grundbedürfnissen im Konkreten bedeutet,<br />
zeigen die folgenden vier Beiträge:<br />
Für die Palästinenserin Suamaya Fahrat-<br />
Nasher, seit 1997 Leiterin des Jerusalem<br />
Center for Women, bedeutet es vor allem<br />
die Achtung der Traditionen ihres Volkes<br />
und die trotzt aller Rückschläge unabdingbare<br />
Fortsetzung des Friedensprozesses mit<br />
Israel. Für Abel Bosum, Häuptling des im<br />
Norden von Quebec lebenden Stammes<br />
der Ouje-Bougoumou, ist es die Sicherstellung<br />
indianischer Autonomie und traditioneller<br />
Lebensweise, die er in langjähriger<br />
Auseinandersetzung mit den<br />
Zentralbehörden durchzusetzen vermochte.<br />
,Reichtum‘, so der<br />
Cree-Indioner, „besteht darin, etwas zu<br />
haben, was dem Leben einen Sinn und ein<br />
Ziel gibt’ (S. 155), eine Einsicht, die ähnlich<br />
auch von dem aus China stammenden<br />
Philosophen und Tao-Meister Chungliang<br />
Al Huang vermittelt wird, der neun universal<br />
gültige Grundsätze des Zusammenlebens<br />
(etwa die Fähigkeit zu Liebe, Sorge<br />
und Vertrauen) darlegt und einige Beispiele<br />
dieser Philosophie anhand chinesischer<br />
Schriftzeichen ausführt.<br />
Gunter Pauli, Gründer und Direktor der<br />
ZERI Foundation, schließlich fordert mit<br />
dem Verweis auf die uneigennützige und<br />
vorausschauende Leistung der vieler mittelalterlicher<br />
Städte dazu auf, „Kathedralen<br />
für das 3. Jahrtausend zu bauen“. Eine den<br />
Gesetzen der offenen Systemplanung gerecht<br />
werdende Ökonomie, die die Produktivität<br />
der Rohstoffe ebenso energisch ver-<br />
Buchrezensionen
Buchrezensionen<br />
folgt wie jene von Kapital und Arbeit<br />
könnte, so Pauli, einer Nullemmissionswirtschaft<br />
den Weg bereiten und damit<br />
auch das Problem der Arbeitslosigkeit<br />
weltweit überwinden. In der Tat tragfähige<br />
Perspektiven für gelingendes Leben.<br />
<strong>Anzeige</strong><br />
Erhard Eppler. Was braucht der<br />
Mensch? Vision: Politik der Grundbedürfnisse.<br />
Frankfurt: Campus, 2000.<br />
205 S., ISBN 3593360411, 36 DM<br />
Walter Spielmann (Zukünfte, Sommer 2000)<br />
Johan Galtung:<br />
Die Zukunft der Menschenrechte<br />
Menschenrechte und Globalisierung sind<br />
große Begriffe: man könnte versucht sein,<br />
sie sprachlos zu bestaunen und dann in die<br />
sichere Rolle des kleinen Mannes oder der<br />
kleinen Frau zu schlüpfen, sich tot zu stellen<br />
und zu hoffen, dass es so schlimm auch<br />
nicht werden wird, im neuen Jahrtausend.<br />
Johan Galtung bearbeitet sein Thema in einer<br />
sehr klaren, prägnanten und schelmischen<br />
Diktion; so will er das Jahr 2000 mehr<br />
voraus-, denn zurückblickend betrachten:<br />
Es braucht den aufgeschlossenen Geist,<br />
nicht nur den aufgerissenen Mund mit den<br />
Losungen und Formulierungen der Vergangenheit<br />
auf den Lippen. Galtung, der für<br />
seine Grundlagenarbeit in der Friedensund<br />
Konfliktforschung 1987 mit<br />
dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet<br />
wurde, bereichert seine LeserInnen<br />
weniger mit akademischen Antworten als<br />
mit brisanten Thesen, in scheinbar harmlose<br />
Fragen gekleidet. Der Autor bringt<br />
seine Meinung bestimmt zum Ausdruck:<br />
Es genüge nicht, lediglich den bestehenden<br />
Menschenrechten Geltung zu verschaffen.<br />
Und er provoziert auf hohem<br />
Niveau: Wenn es das Recht auf Arbeit<br />
gibt, gibt es dann auch das Recht, nicht<br />
zu arbeiten; wenn es das Recht auf Urlaub<br />
gibt, existiert ein Recht, diesen Urlaub<br />
nicht zu konsumieren? In dieser Darstellung<br />
haben private Rechte und<br />
Lebenslinien einen wichtigen Platz, ihnen<br />
folgen nationale Bezüge zu den Menschenrechten,<br />
um schließlich der Vision<br />
der WeltbürgerInnen gegenüber zu treten.<br />
Jedem Recht der WeltbürgerInnen<br />
stellt Galtung eine Pflicht an die Seite:<br />
„WeltbürgerInnen haben den Anspruch<br />
auf kulturelle Identität auf Basis alter ...<br />
und neuer Inhalte ... gleichzeitig haben<br />
sie die Pflicht, anderen im Dialog über<br />
kulturelle Inhalte, Sinngebungen und<br />
Identitäten mit Respekt zu begegnen.“<br />
Ein ausführliches Kapitel zu befriedendem<br />
Dialog“ widmet er dem Verhältnis<br />
45 �
� 46<br />
von Christentum und Islam, weiters der<br />
Bedeutung der Familie, der Religionsgemeinschaften<br />
und der Sekten, die er als<br />
Heimat vieler Heimatloser benennt.<br />
Doch: wie kann ich aus einer Sekte auch<br />
wieder aussteigen, aus einer Familie, aus<br />
einer Gruppe? Johan Galtungs Darstellungen<br />
münden stets in der Zuversicht,<br />
herzlicher noch, in der Hoffnung, den<br />
Übergang vom kriegerischen 20. Jahrhundert<br />
zum friedlichen 21. Jahrhundert<br />
im Wechsel vom Staatlichen zum Nichtstaatlichen<br />
als Gravitationszentrum der<br />
Weltpolitik zu schaffen. Seine Credo:<br />
Wandel ist möglich, Unaufhaltsames kann<br />
nicht gestoppt werden! Machen wir uns:<br />
an die Arbeit!<br />
Zeichen dieses Wandels stellen auch die an<br />
Galtungs Ausführungen anschließenden<br />
Berichte über Initiativen in Lateinamerika,<br />
Mosambik, Palästina und Jugoslawien dar.<br />
Ein Buch, dessen Lektüre stärkt, widerständig<br />
macht und die Unaufhaltsamkeit der<br />
globalen Menschenrechte eindrucksvoll dokumentiert.<br />
Johan Galtung: Die Zukunft der Menschenrechte.<br />
Vision: Verständigung<br />
zwischen den Kulturen. Frankfurt:<br />
Campus, 2000, 248 S., ISBN<br />
3593360438, 36 DM<br />
Christina Gastager-Repolust (Zukünfte,<br />
Herbst 2000)<br />
ORF (Hg.):<br />
Grenzen des Marktes<br />
Die vorliegende CD-Edition enthält eine<br />
Auswahl an Hörfunk-Sendungen, die sich<br />
mit der Kritik an der von den USA ausgehenden<br />
totalitären Marktwirtschaftsideologie<br />
beschäftigen.<br />
Der erste Teil handelt zunächst von den (falschen)<br />
Prämissen des Neoliberalismus, die<br />
in den USA dazu geführt haben, dass die<br />
Reallöhne stagnieren und die Ungleichheit<br />
der Einkommensverteilung und Armut zunehmen.<br />
In einer Studie wird die Beschäftigungsdynamik<br />
in den USA mit der Entwicklung<br />
in Deutschland und Japan verglichen.<br />
Der Wirtschaftsforscher Stefan Schulmeister<br />
widerspricht darin der weit verbreiteten<br />
Auffassung, dass hohe Lohnkosten<br />
und Arbeitslosenunterstützung die Hauptursachen<br />
steigender Arbeitslosigkeit sind.<br />
Vielmehr nennt er die Verschlechterung der<br />
Finanzierungsbedingungen für die realen<br />
Investitionen und generell das Fehlen<br />
von Jobs als Ursachen. Eine weitere<br />
Recherche gilt dem Tabu „Reichtum“ in<br />
Österreich und der Frage, warum hierzulande<br />
so gut wie keine Diskussion über<br />
die Verteilung von Armut und Reichtum<br />
stattfindet.<br />
CD 2 enthält u.a. einen Report über die<br />
Mechanismen, Interessenslagen und Regulierungsmöglichkeiten<br />
der internationalen<br />
Finanzmärkte. Den „Produzenten des Hungers<br />
und seinen Profiteuren“ ist eine weiterer<br />
Beitrag gewidmet. Als Ursache wachsender<br />
Unterernährung nennt die FAO Armut,<br />
Bevölkerungswachstum, Mißernten<br />
aber auch den Mangel an Devisen sowie die<br />
sinkende Agrarerzeugung in Folge von Erosion<br />
uund anderes mehr. CD 3 porträtiert<br />
die „Gruppe von Lissabon“ und deren konsequente<br />
Analyse der „Grenzen des Marktes“.<br />
Gefragt wird dabei nicht abstrakt nach<br />
den Grenzen von Natur, Ressourcen und<br />
Wachstum, sondern nach den Grenzen der<br />
Spielregeln, die andere sind als jene von demokratisch<br />
organisierten Gesellschaften, in<br />
dem sich die Entscheidungsgewalt und die<br />
Fähigkeit zur Kontrolle auflösen. Schließlich<br />
unternimmt Helmut Waldert auf CD 4<br />
eine Forschungsreise zu den inneren Triebkräften<br />
im modernen Projekt der Reichtumsvermehrung.<br />
Dabei geht es in erster<br />
Linie um deren Anspruch auf Alleinherrschaft<br />
und den Versuch, sich aller Grenzen<br />
zu entledigen und die Monetarisierung<br />
aller Lebensbereiche voranzutreiben.<br />
Schließlich geht es unter dem Titel<br />
„Fusionitis – Mergermania – Megarationalisierung“<br />
um die „Marketplayer“ im<br />
Kapitalismus-Dschungel, in dem sich beispielsweise<br />
die Zahl der globalen Akteure<br />
in der Telekommunikation bis zum<br />
Jahr 2010 halbiert haben wird. Insgesamt<br />
ein gelungener Versuch, diese zentralen<br />
Themen einer breiteren Öffentlichkeit<br />
zugänglich zu machen.<br />
ORF (Hg.): Grenzen des Marktes. Politik,<br />
Wirtschaft, Geld, Macht. Red: Helmut<br />
Waldert. Eine gemeinsame CD-Edition<br />
von ORF und ÖGB. Wien: ORF-<br />
Radio Ö1, 1999. Audio-CD 44 DM<br />
Alfred Auer (Pro Zukunft 4/99, Nr. 396)<br />
Jeremy Rifkin:<br />
Access<br />
Der Boom von „New Economy“, Internet<br />
und neoliberaler Globalisierung oder zu-<br />
Buchrezensionen