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Nr. 3 / März 2010 - KV Schweiz

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Ulrich Thielemann, 48, ist Lehrbeauftragter für Wirtschaftsethik an der UniversitätSt.Gallen und Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik. Er stammt ausRemscheid (D) und promovierte 1996 an der HSG mit einer Dissertation zumThema «Das Prinzip Markt». In den Brennpunkt einer politischen Kontroversegeriet er vor einem Jahr, als er sich kritisch zu Bankgeheimnis und Steuerhinterziehungäusserte und feststellte, in der <strong>Schweiz</strong> fehle ein Unrechtsbewusstseinin dieser Frage. In seinem jüngsten Buch «System Error. Warum der freie Marktzur Unfreiheit führt» plädiert er dafür, den Markt gesellschaftlich und politischeinzubinden.13dem Nichts, und das ist gut für alle undsteigert den Wohlstand. Genau dies istdie Hintergrundideologie der Marktgläubigkeit.In dieser Optik gibt es überhauptkeine Gewinne, die zu hoch ausfallenkönnten, denn der Markterfolg des Einzelnenist immer gut für die ganze Gesellschaft.Wird mit dieser Kritik nicht die ganzeMarktwirtschaft in Frage gestellt?Nein. Eine Marktwirtschaft ist alternativlos,aber es muss eine gemässigtesein. Wir brauchen eine in Regeln eingebetteteWirtschaft. Was wir nicht brauchen,ist eine Überhöhung der Marktlogik.Auf welches Niveau müssten dann, sagenwir einmal, anständige Gewinne zurückgeschraubtwerden?Der Gewinn ist eine Frage des Masses.Dieses Mass zu bestimmen, ist nicht Sacheder Wirtschaftsethik, sondern einepolitische Frage, also eine praktische, diein der konkreten Debatte entschiedenwerden muss. Ich als Wissenschafterhabe nicht die Kompetenz, dies zu entscheiden.Wer es verstanden hat, dass derGewinn nicht die oberste und alleinigeMassgabe wirtschaftlichen Handelnssein kann, wird ganz anders zu denkenbeginnen. Er wird zum Beispiel den Andernnicht mehr nur als Produktionsfaktoroder als wandelndes Portemonnaiesehen, sondern auch als Person und alsMitmensch, mit dem fair umzugehen ist.Diese Worte klingen gut, doch die Unternehmenbefinden sich in einem realenKonkurrenzkampf und haben nicht dieFreiheit, die Welt nach ihrem Gutdünkeneinzurichten.Nach ihrem Gutdünken sollen sie dieWelt auch nicht einrichten. Doch hat im –heute globalen – Wettbewerb das verantwortungsvollgeführte Unternehmenrasch das Nachsehen. Die Antwort daraufist im Prinzip einfach: Es ist die vernünftigeRegulierung und die Begrenzungdes Wettbewerbs durch Regeln.UBS-Präsident Kaspar Villiger hat diesesProblem aufgezeigt, indem er sagte, dasser zwar gerne eine gemässigter agierendeBank hätte, doch die Aktionäre und dieInvestmentbanker wollten das eben nicht.Die UBS sei – jedenfalls für kurze Zeit –die einzige Bank, welche die Boni reduzierthabe, und sie sei dafür «gestraft worden».Warum nur kam Villiger nichtgleich in den Sinn: Offenbar müssen dieRegeln geändert werden? Natürlich istdas eine gigantische ordnungspolitischeHerausforderung. Denn der ordnungsethischeRahmen muss heute ein globalersein. Der Sinn besteht darin, dafür zusorgen, dass der Verantwortungsvolle imWettbewerb nicht der Dumme ist.Die Notwendigkeit einer globalen Neuordnungder Märkte wird oft betont, aberes scheint auf diesem Weg noch keingrosser Fortschritt erzielt worden zu sein.Es gibt Hunderte von Begründungen,wieso man am Status quo festhaltenmüsse: Wenn wir etwas ändern, läuft unsdas Kapital weg, wenn wir nicht dabeisind, dann sind es einfach andere. Diesalles unterstreicht doch nur, dass es eineglobale Lösung dieses Problems geben«Der Sinn besteht darin, dafür zu sorgen,dass der Verantwortungsvolle im Wettbewerbnicht der Dumme ist.»muss. Das ist eigentlich kein schwierigerGedanke, aber man findet ihn noch sehrwenig in der politischen Diskussion.Wir haben die Erfahrung einer grossenFinanzmarktkrise hinter uns. Wann stehenwir vor der nächsten Blase und wiekönnen wir sie verhindern?An der nächsten Blase wird jetztschon gebastelt. Hier gibt es keine andereLösung, als dass Kapital vernichtet werdenmuss. Es geht sozusagen darum, dieLuft kontrolliert aus dem System abzulassen.Da sind ja viele Billionen an Gelderninvolviert. Ich möchte behaupten,dass wir in den letzten Jahren eine riesigeInflation, das heisst eine Kapitalwert-Inflationerlebt haben, an der die Bankerund Kapitaldienstleister gearbeitet haben.Die Realwirtschaften waren nicht inder Lage, die dem enorm angewachsenenKapital korrespondierenden Renditen zuerwirtschaften. Man wusste gar nichtmehr, wohin mit dem vielen Geld. Dannhat man die Finanzmarktinstrumenteerfunden, die diesem Kapital neue Anlagemöglichkeitenboten, und es beganndie Spekulation mit solchen Papieren.Doch genauer betrachtet, ist dies allesnichts anderes als ein Nullsummenspielzwischen den Kapitalmarktakteuren.War es den Akteuren nicht bewusst, dasssie ein höchst gefährliches Spiel treiben?Ich glaube, die Grossen wussten, dassdieses Spiel irgendwann ein Ende habenmuss. Es gibt E-Mails zwischen Bankern,die sagen: «Lass uns hoffen, dass wir allereich und pensioniert sind, wenn diesesKartenhaus zusammenbricht.» Ich vermute,die führenden Banker und Investorenwussten auch, dass die Finanzwirtschaftso stark mit der Realwirtschaftverbunden ist, dass man sie nicht kollabierenlassen kann und dass der Staat sieim Krisenfall retten muss. So entstanddie Situation, in der die Steuerzahler vonden Banken und vom Kapital in Geiselhaftgenommen wurden und nichts anderstun konnten, als für die Rettung derGrossbanken zu bezahlen. Der tiefereGrund für diese Krise lag im gewachsenenDruck des Kapitals auf die Realwirtschaft.context 3 – <strong>2010</strong>

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