Grundvorlesung Allgemeine Mikrobiologie
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Die Umwelt auf der präbiotischen Erde war von der heutigen Situation drastisch verschieden. Unsere<br />
Atmosphäre wird dominiert von den Gasen Stickstoff und Sauerstoff. Nennenswerte Mengen Sauerstoff gibt<br />
es aber erst seit rund zwei Milliarden Jahren. Nahezu der gesamte Sauerstoff unserer Atmosphäre stammt aus<br />
der Photosynthese, aus der Spaltung von Wasser unter Verwendung von Lichtenergie. Wir verdanken unsere<br />
Atmosphare dem Wirken der frühen grünen Pflanzen. Die Uratmosphäre hingegen kommt uns heute sehr<br />
lebensfeindlich vor. Neben Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenmonoxid und Schwefelwasserstoff dominierten<br />
Methan, Wasserdampf und Ammoniak. Vermutlich kennen Sie die Versuche von Stanley Miller und Harald<br />
Urey aus den frühen Fünfziger Jahren, die in einer simulierten Uratmosphäre unter dem Einfluß von<br />
Blitzentladungen in erstaunlich kurzer Zeit eine Vielzahl auch komplizierter organisch chemischer Moleküle<br />
erhalten konnten. Da die präbiotische Evolution sehr viel länger Zeit hatte, läßt sich vermuten, daß im Laufe<br />
der Zeit in den Urmeeren sehr hohe Konzentrationen an den vielfältigsten chemischen Verbindungen<br />
entstanden sein müssen. Dazu − und auch das kann man im Simulationsexperiment zeigen − gehören auch<br />
Makromoleküle, Polymere aus Aminosäuren und auch Nukleinsäurebestandteile. Anders als heute existierten<br />
zunächst keine anderen als rein chemische Prozesse, die diese Verbindungen wieder abgebaut hätten;<br />
Lebewesen, die von organischen Substanzen gelebt hätten, waren noch lange nicht erfunden.<br />
Coazervate<br />
Unter diesen Bedingungen entstehen aus genügend konzentrierten Lösungen von Makromolekülen von selbst<br />
Tropfen und Kügelchen, die zwar noch leblos sind, aber doch in vielfacher Hinsicht schon an Zellen erinnern.<br />
Sie können solche Vesikel im Experiment sehr leicht erhalten, wenn Sie Moleküle wie die Lipide unserer<br />
heutigen Biomembranen in Kontakt mit Wasser bringen.<br />
• Ausrichtung an der Phasengrenze Wasser/Luft<br />
• Bildung von Mizellen und Liposomen<br />
• Entstehung der Doppelmembran<br />
• Stabilisierung durch Auflagerung von Proteinen<br />
Coazervate ("Zusammengehäuftes") nennt man solche Tröpfchen aus mehreren Polymeren. Die Größe solcher<br />
im Labor simulierten mutmaßlichen Vorformen des Lebens liegt zwischen 5 und 100 µm. Das ist tatsächlich<br />
so etwa in der Größe unserer heutigen Zellen. Besonders von Oparin, einem bedeutenden russischen<br />
Biochemiker dieses Jahrhunderts, wurden solche Coazervate als Vorformen lebender Zellen propagiert.<br />
Schließt man im Experiment bestimmte Enzyme in das Innere solcher Coazervate ein, so kann man<br />
beobachten, daß diese Tröpfchen so etwas wie einen Stoffwechsel entwickeln. Substanzen können ins Innere<br />
augenommen, dort durch die Enzyme umgewandelt und schließlich wieder nach außen abgegeben werden. Sie<br />
sehen, daß einige Kriterien, die sehr lebensnah wirken, durchaus im einfachen Experiment simulierbar sind.<br />
Die Entstehung von Zellen<br />
<strong>Grundvorlesung</strong> <strong>Allgemeine</strong> <strong>Mikrobiologie</strong><br />
Richtiges Leben sind die Coazervate noch nicht. Auch ist der Weg vom Coazervat zur lebenden Zelle noch<br />
sehr weit; so weit jedenfalls, daß wir ihn in experimentell zugänglichen Zeiträumen nicht überwinden können.<br />
Die Evolution hat sehr lange Zeit gehabt. Leider haben wir auch nur sehr ungenaue Vorstellungen darüber,<br />
wie es zur Entstehung der ersten sich selbst vermehrenden Zellen gekommen ist. Fossilien aus dieser Zeit der<br />
Erdgeschichte gibt es natürlich nicht. Die ältesten bekannten Fossilien sind dann schon richtige Einzeller aus<br />
über zwei Milliarden Jahre alten Sedimentgesteinen. Eins ist aber klar: Sobald eine sich selbst vermehrende<br />
und sich immmer wieder reorganisierende Zelle erst einmal entwickelt hatte, hatte sie anfangs enorme<br />
Chancen, sich zu großen Stückzahlen zu vermehren. Mangel an organischen Verbindungen, die wir jetzt auch<br />
erstmalig als "Nahrung" ansprechen können, gab es zunächst nicht; die Ursuppe war recht dick. Freßfeinde<br />
gab es zunächst auch nicht. Zunächst: Denn als Folge der Vermehrung der ersten Zellen wurde die Ursuppe<br />
immer dünner, so daß es erstmals in der Geschichte des Lebens zu dem kam, was wir heute Selektionsdruck<br />
nennen. Unter dem Druck der knapper werdenden organisch−chemischen Ressourcen hatten manche Zellen<br />
einen Vorteil gegenüber anderen. Vorteilhaft war es sicherlich, mit wenig Material auszukommen; das konnte<br />
man aber nur, wenn man lernte, möglichst wenig nach außen zu verlieren und von außen Angebotenes<br />
Coazervate 10