Grundvorlesung Allgemeine Mikrobiologie
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<strong>Grundvorlesung</strong> <strong>Allgemeine</strong> <strong>Mikrobiologie</strong><br />
Die Sache mit dem Schwanenhals<br />
Im Falle der Urzeugung von Mikroorganismen dauerte der nächste vernünftige Ansatz aber bis zur Mitte des<br />
nächsten, des neunzehnten Jahrhunderts. Den damit verknüpften Namen kennen Sie alle: Louis Pasteur<br />
(1822−1895), der eigentlich kein Biologe sondern Chemiker war. Pasteur hatte damals im Gegensatz zu dem<br />
deutschen Chemiker Justus Liebig klar zeigen können, daß die alkoholische Gärung von der Beteiligung von<br />
Hefen abhängig war, während Liebig alle Gärungen noch als rein chemische Reaktionen ansah. Auf dieser<br />
Basis war Pasteur dann auch in der Lage, die Urzeugungstheorie endgültig zu widerlegen. Im Grunde<br />
brauchte er ja auch nur Spallanzani's 100 Jahre alte Experimente zu wiederholen, aber eben so, daß der<br />
Luftsauerstoff ungehinderten Zugang zu dem sterilisierten organischen Material hatte. Die Lösung lag im für<br />
Gase offenen, aber für Partikel der Luft geschlossenen Schwanenhals−Kolben.<br />
Im Hinblick auf Ihre eigene wissenschaftliche Entwicklung sollten Sie sich an dieser Stelle fragen, warum<br />
Pasteur sich eigentlich die Mühe machte, die Urzeugungstheorie experimentell zu widerlegen. Er selbst und<br />
viele andere brauchten das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eigentlich nicht mehr. Es ist aber in den<br />
Wissenschaften enorm wichtig, nicht widerlegbare Klarheit zu schaffen. Das ist langfristig die beste und<br />
wahrscheinlich einzige Möglichkeit, unerfreuliche und unnötige, vom Aberglauben durchsetzte Hypothesen<br />
immer wieder auf den Tisch zu bekommen. Das ist auch heute noch so. Ich möchte Ihnen den dringenden Rat<br />
geben, bei wichtigen Behauptungen −egal in welchem Bereich− die zugrundeliegenden Fakten zu prüfen.<br />
Machen Sie Ihre wissenschaftlichen Überzeugungen nicht zu einer Frage von Glauben oder Nicht−Glauben!<br />
Prüfen Sie bitte die Daten! Ganz wichtig wird das, wenn biologische Argumente in der Politik gebraucht<br />
werden. Folgen Sie nicht blindlings den vorgebrachten, scheinbar plausiblen Argumenten. Prüfen Sie die<br />
Daten! Meist bleibt dann von wissenschaftlich verbrämten Schwachsinn nicht viel übrig. Beispiele gibt es<br />
viele; wir brauchen sie nicht zu vertiefen. Denken Sie vielleicht an die Rassenlehre des Dritten Reichs mit<br />
ihren unmenschlichen Konsequenzen, oder an Lyssenko's Auffassungen von Vererbung in der Stalin−Ära,<br />
oder auch an die wissenschaftlich verzierten Heilslehren mancher Sekten.<br />
Robert Koch und die Infektionsbiologie<br />
Eine andere brennende Frage im 19. Jahrhundert war die Entstehung von Krankheiten. Auch in dieser<br />
Hinsicht gab es überraschend moderne Ansichten. Es gab durchaus vereinzelt Leute, die Mikroorganismen als<br />
Krankheitserreger ansahen. Aber mit den vorhandenen Techniken ließ sich das nicht beweisen. Solange die<br />
Urzeugungstheorie nicht widerlegt war, hatte eine wissenschaftliche medizinische <strong>Mikrobiologie</strong> ohnehin<br />
keine Chance. Schließlich würden ja Krankheitserreger dann spontan und unvorhersehbar zufällig in Patienten<br />
auftreten. Reproduzierbare Experimente mit Krankheitserregern wären dann unmöglich. Sie sehen wieder, wie<br />
wichtig Theorien sind!<br />
Der führende Mann in der medizinischen <strong>Mikrobiologie</strong> des 19. Jahrhunderts war sicherlich Robert Koch<br />
(1843−1910). Koch war eigentlich Landarzt, der aber dieser Tätigkeit zum Leidwesen seiner Familie nichts<br />
abgewinnen konnte. Ruhelos verlegte er seinen Wohnsitz von einem tödlich langweiligen Dorf ins andere, bis<br />
er zuletzt in Wollstein in Posen dann doch seßhaft wurde. Er kaufte sich ein Mikroskop und widmete jede<br />
freie Minute und die halbe Nacht der mikrobiologischen Forschung. Insbesondere interessierte er sich für den<br />
Milzbrand. Sie kennen diese Krankheit. Sie befällt Weidetiere, Schafe und Kühe und kann auch auf den<br />
Menschen übertragen werden. Insbesonders Leute, die Kühe melken, sind in hohem Maße gefährdet. Die<br />
befallenen Tiere sterben sehr schnell, sie ist hochgradig ansteckend und kann riesige Herden in kurzer Zeit<br />
vernichten. Und schlimmer: Weiden, auf den Milzbrand−kranke Tiere waren, waren auch für lange Zeit<br />
danach nicht sicher. Immer wieder tritt die Krankheit auf. Im Blut kranker Tiere fand Koch schließlich<br />
stäbchenförmige Bakterien. Aber waren diese auch die Ursache der Krankheit? Koch's geniale Idee war, die<br />
Krankheit nicht an teuren und unpraktischen Kühen oder Schafen zu studieren, sondern ein Mäusemodell zu<br />
benutzen. Also wurde Blut von einem infizierten Schaf in Mäuse injiziert, die dann auch zuverlässig<br />
erkrankten und starben. Das Blut erkrankter Mäuse konnte dann wieder für die Infektion gesunder Tiere<br />
verwendet werden, und in jedem Fall fand Koch wieder die Bakterien im Blut und in der Milz. Was zunächst<br />
nicht gelang, war die Kultur dieser Bakterien in künstlichen Nährlösungen. Gerade bei pathogenen Bakterien<br />
Die Sache mit dem Schwanenhals 4