Grundvorlesung Allgemeine Mikrobiologie
Grundvorlesung Allgemeine Mikrobiologie
Grundvorlesung Allgemeine Mikrobiologie
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Historisches, aber nicht nur<br />
Die <strong>Mikrobiologie</strong>: Der Weg von der Praxis zur modernen<br />
Wissenschaft<br />
Die <strong>Mikrobiologie</strong> ist gleichzeitig eine sehr alte und eine sehr junge Wissenschaft. Ganz alt, weil die bewußte<br />
Beschäftigung mit den Auswirkungen der Lebenstätigkeit von Mikroben mehrere Tausend Jahre alt ist. Diese<br />
sehr alten Aspekte der <strong>Mikrobiologie</strong> sind natürlich anwendungsorientiert und nicht im akademischen Sinn<br />
wissenschaftlich. Ganz jung, weil Mikroorganismen als Modellsysteme für die Erforschung grundlegender<br />
Lebensvorgänge eigentlich erst eine Entwicklung dieses Jahrhunderts ist. Die moderne molekulargenetisch<br />
orientierte Biologie basiert fast völlig auf der Verwendung experimentell einfach zu handhabender<br />
Mikroorganismen. Immer in der Hoffnung, daß die an Mikroorganismen gewonnenen Erkenntnisse im<br />
Grundsatz auf komplexere Lebewesen übertragen werden können, nennen wir diese besonders ausgesuchten<br />
Studienobjekte 'Modellorganismen'.<br />
Zurück zu den Anfängen: Wenn Sie die Bibel lesen, dann wird Ihnen an mehreren Stellen klar, daß vor<br />
mehreren Tausend Jahren unter den Medizinern im vorderen Orient ein erstaunliches Wissen über die<br />
Ausbreitung von Krankheiten bekannt war. Natürlich war das Wort 'Infektionskrankheiten' nicht bekannt.<br />
Natürlich hätte auch niemand von 'Krankheitserregern' im Sinne von kleinen Lebewesen gesprochen. Auch<br />
konnte noch niemand Bakterien oder Pilze in Form einzelner Zellen gesehen haben; schließlich sollte ja bis<br />
zur Erfindung des Mikroskops noch lange Zeit vergehen. Man wußte aber, daß Krankheiten ansteckend sein<br />
konnten; ansteckend von Mensch zu Mensch, ansteckend aber auch von verseuchten Kleidern und Möbeln auf<br />
den Menschen. Aus dieser Erkenntnis heraus entwickelten sich die in der Bibel mehrfach beschriebenen<br />
Hygiene−Techniken, nämlich Lepra−Kranke ('Aussätzige'; Erreger: Mycobacterium leprae) zu isolieren und<br />
ihre Kleidung und sonstige Habe zu verbrennen. Das klingt alles sehr unmenschlich, ist es wohl auch, ist aber<br />
unter epidemiologischen Gesichtspunkten durchaus wirkungsvoll.<br />
Insgesamt erscheint uns diese Interpretation von Krankheitsübertragung wissenschaftlicher, als die<br />
Auffassung des Mittelalters, die Krankheit in der Regel als unvermeidbar und gottgegeben und dann<br />
ausschließlich als "Strafe des Herrn" auffaßte. Solche aus dem religiösen und philosophischen Weltbild einer<br />
Zeit heraus entwickelten Interpretationen können weitreichende Folgen haben. Da die Krankheit ohnehin als<br />
unvermeidbare Geißel Gottes galt, fehlte für die meisten Naturinterpreten jener Zeit auch jeder Anreiz, sich<br />
unter naturwissenschaftlichen Aspekten mit Krankheiten auseinanderzusetzen. Entsprechend schlecht waren<br />
die Hygienemaßnahmen entwickelt, deren Bedeutung wegen der zugrundeliegenden Theorie einfach nicht<br />
erkannt werden konnten. Sie erkennen, daß unser Handeln stark von den Theorien bestimmt wird.<br />
Natürlich gibt es in jedem Zeitalter immer wieder einige Ausnahme−Menschen, die mit ihrer Gedankenwelt<br />
nicht ganz in ihre Zeit passen (Querdenker). Im späten Mittelalter, an der Grenze zur Neuzeit war einer dieser<br />
Querdenker Girolamo Fracastoro, der von 1483−1553 hauptsächlich in Padua lebte und lehrte. Dieser Mann<br />
wurde Zeuge einer verheerenden Pestepidemie und beschäftigte sich dann auch intensiv gedanklich damit.<br />
Das heißt: er machte erst sie Augen auf, interpretierte dann das Gesehene ohne eine á priori−Theorie und<br />
schrieb dann ein Buch darüber. Das ist auch deshalb etwas besonderes, weil dieser Mann gar kein Mediziner<br />
war sondern ein Poet. Fracastoro erkannte das Ansteckungsprinzip. Er erkannte, daß die Pest immer dann<br />
weitergegeben wird, wenn die noch gesunden in engen Kontakt mit Kranken kommen.Er erkannte auch, daß<br />
tote Gegenstände (Kleider, Möbel, Geschirr) die Krankheit übertragen können ohne selbst geschädigt zu<br />
werden. Fragen Sie sich doch bitte einmal selbst ganz kritisch, ob Sie den Mut hätten, ernsthaft von einer<br />
Krankheitsübertragung durch tote Gegenstände zu sprechen, wenn Sie nicht schon die 'Bazillen−Theorie' als<br />
gesellschaftlich verwurzeltes Allgemeinwissen zugrunde legen würden. Fracastoro sprach jedenfalls vor fast<br />
500 Jahren schon von den "Samen der Krankheit" und − ging damit erwartungsgemäß unter. Die Zeit war<br />
lange noch nicht reif für solche Ansichten. Sein Buch geriet in Vergessenheit und brauchte etwa 200 Jahre,<br />
um wiederentdeckt zu werden.<br />
Historisches, aber nicht nur 1