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Spitzenmedizin menschlich - KUV

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Wer nicht mehr richtig sehen kann, verliert ein Stück Lebensqualität,<br />

denn mangelnde Sehfähigkeit kann zu erheblichen<br />

Beeinträchtigungen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit führen.<br />

In der Regel geht ein vermindertes Sehvermögen auf eine<br />

Schädigung von Augen oder Sehnerv zurück – sind beide aber<br />

intakt, liegt die Ursache für die Sehschwäche meist an einer<br />

gestörten Sehverarbeitung im Gehirn. Solche zerebralen Sehstörungen<br />

sind häufig Folge eines Schlaganfalls oder einer<br />

Schädel-Hirn-Verletzung; sie betreffen etwa 100.000 bis 200.000<br />

Menschen pro Jahr. Insbesondere für permanente Sehstörungen<br />

fehlten bisher wirksame Behandlungsverfahren.<br />

Die Neurologische Klinik des BG Universitätsklinikums Bergmannsheil<br />

in Bochum setzt seit einiger Zeit eine neue, mittlerweile<br />

erfolgreich etablierte Therapie ein. Sie wurde gemein sam<br />

mit dem Institut für Neurophysiologie der Ruhr-Universität Bochum<br />

entwickelt. Dabei trainieren die Patienten mithilfe eines speziellen<br />

Computerprogramms gezielt das sehverarbeitende System<br />

ihres Gehirns: Spezifische Lichtreize, die beim Training auf<br />

dem Monitor erscheinen, treffen auf intakte Nervenzellen in der<br />

Umgebung des zerstörten Hirngewebes. Diese werden dadurch<br />

angeregt, die ausgefallenen Funktionen der zerstörten Nervenzellen<br />

teilweise mit zu übernehmen.<br />

Verläuft die Therapie erfolgreich, erholt sich die Sehfähigkeit<br />

zumindest partiell und das sehende Gesichtsfeld erweitert sich.<br />

„Bei diesem Ansatz machen wir uns die Fähigkeit des an der<br />

Sehverarbeitung beteiligten, zentralen Nervensystems zunutze,<br />

sich plastisch an krankheitsbedingte Veränderungen anzupassen“,<br />

erklärt Professor Dr. Martin Tegenthoff, Direktor der Neurologischen<br />

Universitätsklinik. „Voraussetzung für die Therapie<br />

ist eine zugrundeliegende Schädigung des Gehirns. Eine Sehstörung,<br />

die durch eine Schädigung der Augen oder der Sehnerven<br />

verursacht wird, lässt sich durch dieses Verfahren nicht behandeln“,<br />

so der Neurologe weiter.<br />

Voruntersuchung in der Spezialambulanz<br />

Erste Anlaufstelle für Patienten ist die Spezialambulanz für<br />

zerebrale Sehstörungen am „Bergmannsheil“. Hier wird geprüft,<br />

ob der Patient für die Therapie geeignet ist und ob er insbesondere<br />

über die nötige Konzentrationsfähigkeit verfügt. Liegen<br />

begleitende neuropsychologische Störungen vor, wie ausgeprägte<br />

Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, kann auch<br />

eine kurze stationäre Untersuchung notwendig sein. Je nach<br />

Art der Sehstörung werden bei der Eingangsuntersuchung eine<br />

Gesichtsfeldmessung (Computerkampimetrie) durchgeführt<br />

und Funktionen der Sehverarbeitung getestet (Licht-, Form-, Farb-,<br />

Muster-, Bewegungs- und Richtungserkennung).<br />

Häufig zeigen sich Gesichtsfeldstörungen, bei denen die Betroffenen<br />

bestimmte Bereiche nicht wahrnehmen können. Die<br />

VBGK-Jahresbericht 2010 15<br />

Symptome reichen von umschriebenen Ausfällen (Skotomen),<br />

über Quadranten- oder Halbseitenausfälle oder „Tunnelblicksehen“<br />

bis zur vollständigen zerebralen Blindheit (kortikale<br />

Blindheit oder Rindenblindheit) mit teilweise nur noch geringer<br />

Lichtwahrnehmung. Bei den Patienten äußert sich die Erkrankung<br />

darin, dass sie öfter Hindernisse oder Personen übersehen<br />

und mit diesen zusammenstoßen. Häufig haben sie auch Pro bleme<br />

beim Lesen oder können sich in ihrer Umgebung nur<br />

schlecht zurechtfinden. Typisch sind zudem verschwommenes<br />

oder unscharfes Sehen, das Gefühl, geblendet zu werden, Dunkelsehen<br />

oder visuelle Reizerscheinungen. „Einige Patienten<br />

erkennen ihre Sehstörungen selbst nicht, fallen aber ihren Mitmenschen<br />

auf, etwa weil sie häufig anstoßen oder langsam<br />

und fehlerhaft lesen“, sagt Dr. Walter Widdig, Leiter der Neuropsychologie<br />

im „Bergmannsheil“.<br />

Individuelles Training am heimischen Computer<br />

Ist die richtige Diagnose gefunden und der Patient für die computergestützte<br />

Sehtherapie geeignet, wird ein individuelles Trainingsprogramm<br />

erstellt. Es lässt sich bequem am heimischen<br />

Computer absolvieren. Das Programm ist sehr einfach und intuitiv<br />

über eine geschützte Internetverbindung zu bedienen. Nach<br />

jedem Einzeltraining gibt es eine kurze Auswertung, sodass der<br />

Patient den Trainingserfolg selbst nachvollziehen kann. Parallel<br />

werden die Ergebnisse dem Therapeuten elektronisch übermittelt,<br />

sodass dieser das Training je nach Bedarf anpassen kann.<br />

Ob die Therapie Erfolg hat, hängt von vielen Faktoren ab: Alter<br />

des Patienten, Krankheitsursache, Art der Sehstörung, Begleiterkrankungen.<br />

„Unerlässlich für den Erfolg ist in jedem Fall ein<br />

regelmäßiges und aufmerksames Training“, so Dr. Oliver Höffken<br />

vom „Bergmannsheil“. Mindestens vier Monate sollte der Patient<br />

zweimal täglich eine halbe Stunde trainieren. Erst dann lassen<br />

sich relativ sicher Erfolgsaussichten beurteilen und weitere<br />

Schritte planen.<br />

Bei Patienten mit umschriebenen Gesichtsfeldstörungen ist<br />

eine vollständige Wiederherstellung des Gesichtsfeldes in der<br />

Regel nicht möglich. Bei etwa zwei Drittel der behandelten<br />

Fälle ist allerdings eine Erweiterung um mehrere Sehwinkelgrade<br />

zu erwarten. Als subjektives Resultat berichten die Patienten<br />

über ein erhöhtes Gefühl an Sicherheit im Alltag oder über eine<br />

verbesserte Lesefähigkeit.<br />

Ein Therapieverfahren für Patienten mit der seltenen kortikalen<br />

Blindheit existiert nur im „Bergmannsheil“. Bei dieser schwerwiegenden<br />

Sehstörung konnte mithilfe aufwändiger, individuell<br />

angepasster Stimulationsprogramme in über 50 Prozent der<br />

Fälle eine signifikante Besserung des Sehens erreicht werden.<br />

„Mit dieser Methode können wir unseren Patienten also wieder<br />

ein Stück Lebensqualität zurückgeben“, sagt Dr. Höffken.

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