Pfarrbrief Dezember 2011, Ausgabe 77 - Katholische Pfarrei ...
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1 8 erzählung<br />
Weihnachtszeit 1 957<br />
Von Kindern, Katzen und Engeln<br />
Ein bitterkalter Eiswind blies vom Böhmerwald herüber,<br />
das Thermometer war aufminus 32 Grad gesunken, gut<br />
einen halben Meter hoch lag der Schnee, und es konnte<br />
passieren, dass man in einer Schneeverwehung bis zum Hals<br />
einbrach, so dass Mutter mich morgens auf dem weiten<br />
Schulweg begleiten musste. Wir wohnten außerhalb des kleinen<br />
Städtchens Vilseck. Unser Haus stand auf einem Hügel<br />
und gehörte zu einem Weiler, der aus fünf Häusern bestand.<br />
Umgeben von Wiesen und Feldern, erreichte man ihn nur<br />
über einen schmalen Feldweg.<br />
Die Geschichte, die ich erzählen möchte, trug sich in der<br />
Vorweihnachtszeit zu, am vorletzten Schultag vor den Weihnachtsferien,<br />
als ich elf Jahre alt war. Jeden Morgen war es<br />
dunkel, wenn ich um sechs Uhr zur Messe ging, die funkelnden<br />
<strong>Dezember</strong>sterne über mir, den vor Frost knirschenden<br />
Schnee unter den Schuhen, und es war wieder dunkel, wenn<br />
ich am späten Nachmittag aus der Schule heimkam und<br />
Mutter schon mit heißem Tee aufmich wartete. An jene Wochen<br />
vor Weihnachten denke ich stets mit großer Dankbarkeit<br />
zurück und sie sind in meinem Gedächtnis aufbewahrt,<br />
jederzeit abrufbar, als einer der größten Schätze, die mir in<br />
meiner Kindheit zuteil wurden.<br />
Es war die Zeit, in der es im Haus nach Zimt, Vanille, Tannengrün<br />
und Geheimnissen duftete, abends saß man beim<br />
Kerzenschein beisammen, sang Weihnachtslieder, bastelte<br />
mit ungelenken Kinderhänden Weihnachtsschmuck, bemühte<br />
sich, brav zu sein und in der Vorfreude aufs Christkind<br />
glühten die Wangen im Wettstreit mit dem Herdfeuer. Das<br />
Bravsein aber schien so anstrengend gewesen zu sein, dass<br />
man sich ab und zu unbedingt davon erholen musste. Diese<br />
Erholung fand man in gelegentlichem, nicht zu unterdrückendem,<br />
ungeheuer wichtigem und natürlich verbotenem<br />
Schwätzen mit der Banknachbarin in der Schule. Im Advent<br />
hatten wir ein Heftchen von unserer Klassenlehrerin,<br />
einer Nonne, erhalten. Zu jedem Unterrichtsschluß fragte sie:<br />
„Wer war heut früh in der Schulmesse?“ Und wer sich melden<br />
konnte, erhielt einen goldenen Stern fürs Heftchen. Die<br />
nächste Frage galt dem Schwätzen, beziehungsweise dem<br />
Nichtgeschwätzthaben. Da schnellten nur drei oder vier Finger<br />
in die Höhe. Und diese Mädchen bekamen einen grünen<br />
Stern fürs Heftchen. Wenn das Heftchen voll war, schenkte<br />
uns die Lehrerin ein schönes Heiligenbild, das man stolz ins<br />
Gebetbuch legte.<br />
Natürlich schrieb ich auch einen Wunschzettel fürs Christkind,<br />
den ich aufs Fensterbrett legte, damit die Engel ihn<br />
nachts abholen konnten. Jahrelang schon hatte ich einen zweiten<br />
Wunschzettel dazugelegt, auf dem der sehnliche Wunsch<br />
nach einem Geschwisterchen stand.<br />
Beide Zettel wurden sorgfältig mit Zuckerstückchen beschwert<br />
– für den Storch, denn natürlich musste der Storch<br />
auch Bescheid wissen und für den weiten Heimweg zum Stadtweiher<br />
brauchte er ein Zuckerstück zur Stärkung. In jenem<br />
Jahr, als ich schon langsam an der Existenz des Storchs gezweifelt<br />
hatte, brachte er endlich das ersehnte Geschwisterchen.<br />
Der Kleine, gerade drei Monate alt, schlief an jenem Abend<br />
satt und zufrieden in seinem Körbchen. Das Herdfeuer prasselte<br />
und verbreitete eine behagliche Wärme, wie sie nur<br />
durch ein richtiges Feuer entsteht. Muschi, unsere Katze, hatte<br />
sich neben dem Herd zusammengerollt und träumte vor<br />
sich hin. Unser geschäftiges Treiben beim Plätzchenbacken<br />
schien sie keineswegs zu stören.<br />
Unsere Muschi war eine fleißige Mäusefängerin und wurde<br />
innig geliebt. In ihren smaragdgrünen Augen lag ein Ausdruck<br />
von Würde, Weisheit und Unergründlichkeit. Ihr seidiges Fell<br />
war an Rücken, Schwanz und Stirn dunkelgrün, braun und<br />
schwarz gestreift, der untere Teil des Gesichts, Brust, Bauch<br />
und Pfoten aber leuchteten schneeweiß. Größten Wert legte<br />
Muschi auf ihre Unabhängigkeit, zu kommen und zu gehen,<br />
wann es ihr beliebte – wie beneidete ich sie darum, ich musste<br />
immer zu einer bestimmten Uhrzeit zuhause sein, eine<br />
Armbanduhr durften wir Kinder nur am Sonntag tragen, aber<br />
wozu gab es die Kirchturmuhr mit ihrem Glockenschlag, den<br />
man weithin hören konnte. Muschi verschenkte ihre Gunst,<br />
sich streicheln zu lassen, höchst selten, eine Haltung, mit der<br />
sie ihren Wert schlau erhöhte. Mit Burschi, unserem Schäfer-