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Pfarrbrief Dezember 2011, Ausgabe 77 - Katholische Pfarrei ...

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hund, pflegte sie eine dicke Freundschaft – auf Gegenseitigkeit.<br />

Der Hund war ihr großer ritterlicher Beschützer gegen<br />

wütend kläffende Artgenossen und missgünstige zweibeinige<br />

Zeitgenossen. Aus Dankbarkeit teilte Muschi jedes Stück<br />

Foto: Fass<br />

Fleisch oder Wurst, das sie in der Küche stibitzt hatte, mit<br />

dem Hund.<br />

Mutter hatte eben einen Schokoladenguss angerührt, um<br />

die fertigen Plätzchen zu garnieren und ich stand am Küchentisch<br />

und stach mit Schablonen aus dem ausgerollten Teig<br />

Sterne, Monde, Herzen, Blumen, Hasen und Christbäume aus.<br />

Meine Gedanken waren beim Krippenspiel, zu dem morgen<br />

unsere Mütter in die Schule eingeladen waren. Halblaut memorierte<br />

ich mein Gedicht, das ich als Engel aufzusagen hatte,<br />

blieb an einer Stelle stecken und wollte zu meinem Schulheft<br />

laufen, das am Fensterbrett lag, um im Text nachzusehen. Da<br />

stieß ich gegen das Kuchenblech, das mit entsetzlichem Getöse<br />

aufden Küchenfußboden krachte. Im nächsten Augenblick<br />

war in unserer Küche die Hölle los! Das Baby fing an zu schreien<br />

und Muschi schoss wie ein Blitz neben dem Herd hervor,<br />

sprang, als wären tausend Hunde hinter ihr her, aufdie Anrich-<br />

erzählung<br />

te, tappte in die Schüssel mit der flüssigen Schokolade, flitzte<br />

über die Tischplatte und raste auf den Stuhl zu, über dem<br />

mein blütenweißes, frisch gebügeltes Engelshemd hing. Ich<br />

kam eine Sekunde zu spät, um sie daran zu hindern, mit ihren<br />

Schokoladenpfoten über mein Engelshemd zu huschen. Mutter<br />

hatte das Brüderchen auf den Arm genommen, um es zu<br />

beruhigen und Muschi stolzierte nun, als sei nichts geschehen,<br />

überall Schokoladenspuren hinterlassend, zu ihrem<br />

Lieblingsplatz neben dem Herd.<br />

Nachdem ich meinen ersten Schock überwunden hatte,<br />

brach ich in Tränen aus. Unmöglich konnte ich morgen das<br />

schokoladenverschmierte Engelshemd zum Krippenspiel anziehen.<br />

In jener waschmaschinenlosen Zeit konnte man es<br />

auch nicht „mal schnell in die Waschmaschine stecken“, und<br />

wenn man sich doch entschlossen hätte, es zu waschen, man<br />

hätte es bis zum nächsten Morgen einweichen müssen. Und<br />

dann war es nass, es gab ja auch keine Wäschetrockner, und<br />

man hätte es auch noch bügeln müssen. Aus der Traum vom<br />

Engel! Mutter kam mit dem aus Leibeskräften schreienden<br />

Baby zu mir und strich mir übers Haar, während ich so laut<br />

schluchzte, dass es einen Stein erbarmt hätte. Da fiel Mutters<br />

Blick aufs Fensterbrett, auf dem auch die Goldsterne lagen,<br />

die ich in der Schule gebastelt hatte. „Weißt du, was wir machen<br />

werden“, begann sie, „wir nähen einfach die Goldsterne<br />

über Muschis Schokoladenpfotenspuren.“ Gesagt, getan. Mutter<br />

legte das Brüderchen, das inzwischen wieder eingeschlafen<br />

war, ins Körbchen und machte sich an die Arbeit.<br />

Am Ende hatte ich ein wunderschönes, goldglitzerndes<br />

Engelsgewand. Selig, wie nur ein Kind selig sein kann, zeigte<br />

ich es unserer Katze, der ich im Stillen bereits verziehen<br />

hatte.<br />

„Na, Muschi, wie gefällt es dir?“ Einen Augenblick hielt sie<br />

in ihrer Katzenwäsche inne – noch immer leckte sie Schokolade<br />

von ihren Pfoten – schüttelte sich ab und zu, wobei ihr<br />

weißer Schnurrbart heftig zitterte, mit einem leicht angewiderten<br />

Gesichtsausdruck, der deutlich zu sagen schien:<br />

‚Mäuse wären mir lieber‘. Aufmerksam betrachtete sie das<br />

glitzernde Gewand und fuhr dann ungerührt mit ihrer Katzenwäsche<br />

fort.<br />

Bleibt nur noch zu erzählen, dass unser Krippenspiel ohne<br />

Pannen aufgeführt werden konnte. Unsere Mütter waren von<br />

unserem kindlichen Weihnachtsspiel sichtlich gerührt. Nachdem<br />

die Engelsschar das Lied „Von Himmel hoch da komm<br />

ich her ...“ gesungen hatte, löste ich mich aus dem Kreis der<br />

Engel und sagte mein vierstrophiges Gedicht auf. Und blieb<br />

nicht stecken. Am Ende klatschten unsere Mütter begeistert<br />

Beifall. Meine Mutter aber wurde von den anderen Müttern<br />

lautstark gelobt, was für ein schönes, glitzerndes Engelshemd<br />

sie da gezaubert hatte. Sie lächelte und schwieg. Auf dem<br />

Nachhauseweg nahm sie mich in den Arm und sagte: „Muschi<br />

bekommt heute eine Extraportion Milch!“ Und wir lachten,<br />

lachten, bis wir fast keine Luft mehr bekamen, fassten uns an<br />

den Händen und stapften übermütig durch den Schnee. Und<br />

die klare Winterluft trug unser Lachen über die verschneite<br />

Landschaft.<br />

Ingeborg Höverkamp<br />

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