TITELTHEMAHypericum perforatum - dieHeilpflanze gegen DepressionenJ. Meyer-WegenerJohanniskraut, Hypericum perforatum, ist eine in vielerlei Hinsichtaußergewöhnliche Pflanze. Zum einen hat sie schon vor langer ZeitEingang in die Religion, Mythologie, Heilkunde und Medizingeschichtezahlreicher Völker und Kulturen genommen und ist dort bis auf denheutigen Tag zu finden. Zum an<strong>der</strong>en gehört sie mittlerweile zu denam besten untersuchten Pflanzen überhaupt.Die Wirksamkeit von Johanniskraut bei leichten depressiven Verstimmungenund Angsterkrankungen wird heute auch in schulmedizinischenKreisen anerkannt.Johanniskraut ist aber nicht nur bei diesen Indikationen einsetzbar.Das Wirkungsspektrum ist außerordentlich breit und beinhaltet weiterhin:Wunden und Brandverletzungen, Magen-Darm-Störungen, verschiedeneHauterkrankungen und sogar AIDS und Krebs.Historische BetrachtungenJohanniskraut in <strong>der</strong> AntikeDer erste konkrete Hinweis auf Johanniskrautals Heilpflanze ist bei Pliniusdem Älteren (23-79 n.Chr.) zu finden.So heißt es in seinem umfangreichenWerk „Historia Naturalis": „Verbrennungenwerden durch den Wegerich geheilt... ferner... durch das bloße Krauthypereikon, das wir corissum genannthaben." (Buch 26, Kapitel 80).Auch Pedanios Dioskurides aus Anazarbos(40-90 n.Chr.), nach Hippokrates(460-377 v.Chr.) einer <strong>der</strong> bekanntestenund markantesten Persönlichkeiten <strong>der</strong>antiken Medizin, erwähnt Johanniskrautin seinem Werk „De materica medica".Er empfahl Johanniskraut bei den verschiedenenWunden, einschließlichBrandwunden, sowie bei fiebrigen Erkrankungenund bei Blasenschwäche.Johanniskraut bei den GermanenAm 21. Juni hat die Sonne ihren höchstenStand erreicht, es ist <strong>der</strong> längsteTag und die kürzeste Nacht im Jahr.Dieser Tag, an dem das Licht die Dunkelheitbesiegt, wurde seit Urzeiten vonden Menschen mit Ritualen und Tänzengefeiert. Sonnenwendfeuer symbolisiertendie Kraft <strong>der</strong> Sonne auf <strong>der</strong> Erde,und wer um sie herumtanzte unddarübersprang, konnte sich von Krankheitund Dunkelheit befreien.Einige Pflanzen waren mit diesem Festbeson<strong>der</strong>s verbunden: Farnkraut, Beifuß,Arnika, Ringelblume und Johanniskrautgalten als magische Pflanzen <strong>der</strong>Sonnenwendfeier. In ihnen sahen dieMenschen die Kräfte <strong>der</strong> Sonne, dieKälte und Dunkelheit bannen konnten.Das Johanniskraut schmückte die Altäreunserer germanischen Vorfahren, unddie Mädchen trugen Kränze aus demblühenden Kraut, die corona regis, zumZeichen <strong>der</strong> Verbundenheit mit denKräften des Lichts.Johanniskraut im MittelalterDer Name Johanniskraut (St. John'sWort) war bereits im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t aufIrland bekannt. St. Columban (550-615), einer <strong>der</strong> großen irisch-schottischenMissionare, soll wegen seinergroßen Verehrung für Johannes denTäufer immer einen Sproß dieser Pflanzebei sich getragen haben. Überhauptwar das Johanniskraut eng mit dem NamenJohannes' des Täufers verbunden.Im frühen Mittelalter dürfte die Pflanzedaher auch eher zu religiösenZwecken verwendet worden sein.Bezeichnungen wie Hartheu o<strong>der</strong> Tüpfelhartheuverdankt das Johanniskrautseiner <strong>der</strong>ben Sproßachse, die das Heuunerwünscht hart werden läßt. So nenntauch Hildegard von Bingen (1088-1180) die Pflanze „Hartenauwe" undschreibt darüber in ihrem Buch „Physica":„(Johanniskraut) taugt für dasVieh. Für die Medizin taugt es nichtviel, weil es ein verwil<strong>der</strong>tes und vernachlässigtesKräutlein ist."An<strong>der</strong>e im Mittelalter gebräuchliche Bezeichnungenfür Johanniskraut sind:Teufelsflucht, Teufelsfuchtel, Jageteufelund Hexenkraut. Diese Namen deutenbereits darauf hin, daß Johanniskrautweniger zur Wunddesinfektion und-heilung, son<strong>der</strong>n vielmehr wegen seinermagischen Wirkung gegen böseGeister und Dämonen geschätzt undeingesetzt wurde.Otto Brunfels aus Straßburg schreibt inseinem „Contrafyt Kreuterbuch" ausdem Jahr 1532: „Von ettlichen auch Fugadaemonum (Teufelsflucht) genent,darumb/ daz man meynet/ wo solichskraut behalten würt/ da kum <strong>der</strong> teuffeinicht hyn/ mög auch kein gespenst bleiben/und darumb bereuchert man in ettlichenlanden die kindtbetterin damit/laßen es aber vor segnen uff unser Frawenuffart tag (Maria Himmelfahrt)/und haben also ir kurzweil damit." Undauch bei Hieronymus Bock (1498-1554), einem <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nenBotanik, ist zu lesen: „Dost,Harthaw und Wegschlyd thun demTeuffei vil Leidt."Der Arzt Theophrastus Bombastus vonHohenheim, bekannter unter dem NamenParacelsus (1493-1541), dürfte einer<strong>der</strong> ersten Ärzte gewesen sein, diedie pharmakologischen Eigenschaften64 Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 39,2 (1998)
TITELTHEMAvon Hypericum - in ihrem ganzen Umfang,rational und ohne „Hokuspokus"- erkannten. Er schätzte diese außergewöhnlichePflanze wegen ihres breitenWirkungsspektrums und schrieb ihr viertherapeutisch nutzbare Eigenschaftenzu: „Phantasmata, würm, wunden undbalsamische tugent". In seinem Buch„Von den natürlichen Dingen" (1525)heißt es dazu: „Dises kraut, wie es anim selbst ist, sol für und für getragenwerden un<strong>der</strong> dem paretli (Barett), inkranzweis o<strong>der</strong> sonst in hemden, oft daranschmecken, zu nacht unter das küssi(Kissen) tun, das Haus damit umbsteckeno<strong>der</strong> umb die wend henken.Und das sol ein ietlicher arzt wissen,das got ein groß arcanum (Geheimnis)in das Kraut gelegt hat, alein von wegen<strong>der</strong> geister und dollen fantaseien,die den menschen in Verzweiflung bringenund nicht durch den teuffei, son<strong>der</strong>von natur. Wan got zu allein krankheitenarznei beschaffen, wie sie sind, aleindas <strong>der</strong> arzt-lerne, such und wisse, inwelchen ein ietliches sei." Seine Einschätzungdieser außergewöhnlichenHeilpflanze hat wesentlich dazu beigetragen,daß in den darauffolgenden Jahrhun<strong>der</strong>tenJohanniskraut immer mehrzu psychotherapeutischen Zwecken eingesetztwurde.Johanniskraut in <strong>der</strong> NeuzeitErste wissenschaftliche Untersuchungenüber Wirksamkeit und Verträglichkeitvon Johanniskraut gehen auf denArzt und Dichter Justinus Kerner (1786-1862) zurück, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Literatur alsAutor des Buches „Seherin von Prevorst"bekannt wurde. Kerner war Oberarztim schwäbischen Weinsberg undwidmete sich in erster Linie <strong>der</strong> Behandlunggeistig kranker Menschen. InAnlehnung an die hippokratische Medizin<strong>der</strong> Antike war Kerner, wie auchviele an<strong>der</strong>e Ärzte seiner Zeit, davonüberzeugt, daß alle Krankheiten, so auchdie Geisteskrankheiten, auf einer fehlerhaftenZusammensetzung des Blutesberuhten. Das melancholische Gemütwurde beispielsweise auf ein Zuviel anschwarzer Galle zurückgeführt. Es lagfür Kerner daher nahe, bei Melancholikernund depressiven Patienten den anfrisches Blut erinnernden roten Saft <strong>der</strong>Johanniskrautblüten zur Reinigung desBlutes einzusetzen.Ende des 19., Anfang dieses Jahrhun<strong>der</strong>ts,mit Aufkommen <strong>der</strong> naturwissenschaftlichenMedizin geriet Johanniskrautals „Psychopharmakon" nahezuvöllig in Vergessenheit. Erst seit etwa15 Jahren befassen sich die Wissenschaftlerauf <strong>der</strong> ganzen Welt wie<strong>der</strong> mitdieser vielversprechenden und zugleichso geheimnisvollen Pflanze.Anmerkungen zur BotanikDas Tüpfeljohanniskraut ist eine ausdauernde,bis zu einem Meter hohe, aufrechtePflanze mit weit verzweigtemWurzelstock und einer spindelförmigenWurzel. Sie hat eine stielrunde, kahle,extrem harte, markhaltige Sproßachse,die mit zwei erhabenen Längsachsenbesetzt ist.Die elliptisch o<strong>der</strong> länglich geformtenBlätter sind ganzrandig, kahl, 0,7 bis 3Zentimeter lang und 0,3 bis 1,5 Zentimeterbreit. Sie haben keinen Blattstielund sitzen daher direkt an <strong>der</strong> Sproßachse.Zwei Blätter sitzen sich jeweils gegenüber,das heißt, sie sind gegenständigangeordnet. Die Blattoberfläche istdurchscheinend und am Rand, teilweiseauch auf <strong>der</strong> ganzen Fläche, mitschwarzen Öldrüsen besetzt.Die goldgelben, zahlreichen Blüten desTüpfel johanniskrauts haben fünf Kronblätterund stehen in sogenannten Trugdolden.Hierbei verzweigt sich <strong>der</strong> Blütenstandbuschig in einen Hauptsproßund mehrere Seitensprosse. Ein Blütenstandist 7 bis 11 Zentimeter lang und5 bis 11 Zentimeter breit. Die gelbenKronblätter einer einzelnen Blüte sindAbb. l: Hypericum perforatumelliptisch o<strong>der</strong> länglich, 1,2 bis 1,5 Zentimeterlang und 0,5 bis 0,6 Zentimeterbreit. Sie besitzen in <strong>der</strong> Fläche durchsichtigeSekretbehälter und tragen amRand dunkelrote Drüsenhaare. Zerreibtman die Blüten, so tritt aus den Drüsenhaareneine rote Flüssigkeit aus, diedie Haut violettrot färbt. Dieser rote Saftduftet warm-balsamisch.Die grünen Kelchblätter <strong>der</strong> Blüte sindschmal und fein zugespitzt. Mit einerBreite von 1 Millimeter und einer Längevon 4 bis 5 Millimetern sind sie etwadoppelt so lang wie <strong>der</strong> Fruchtknoten.Die Kelchblätter sind sparsam mitschwarzen, meist ovalen Öldrüsen besetzt.Ihr Rand ist glatt o<strong>der</strong> spärlich gezahnt.Das Tüpfeljohanniskraut besitztbis zu 100 bräunliche Staubblätter, diein drei Bündeln stehen und kürzer sindals die Kronblätter. Die Blütezeit desTüpfeljohanniskrauts ist von Juni bisSeptember. Nach dem Verblühen verfärbensich die Blüten dunkelbraun. SeineFrüchte sind braune, dreifächrige, biszu 10 Millimeter lange Kapseln. Diedunkelbraunen Samen sind etwa 1 Millimeterlang, zylindrisch und feinwarzig.Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 39,2 (1998) 65
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