TagungsberichteKontakt <strong>und</strong> InformationUlla HendrixKoordinations- <strong>und</strong>Forschungsstelle<strong>Netzwerk</strong> <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong><strong>Geschlechterforschung</strong> <strong>NRW</strong>Universität Duisburg-EssenBerliner Platz 6–845127 EssenTel.: (0201) 183-2717ulla.hendrix@uni-due.desich um eine eher untypische kommunale Aufgabehandelt, die nicht auf den (hierarchischen) Vollzuggerichtet ist, sondern auf Überzeugen, Vermitteln,Vernetzungsarbeit. Eine solche Querschnittsaufgabebringe gegenüber den hierarchisch eingeordnetenPositionen zunächst Nachteile mit sich,was die Durchsetzungsmöglichkeiten betrifft: DerZugang zu den Bereichen, mit denen sie kooperierensollte, sei schwierig gewesen, denn erst einmalwürden diese nach „außen“ hin verteidigt.Mittlerweile habe sie sich jedoch die Akzeptanzerarbeitet. Für die Gleichstellung sieht sie derzeitNachteile angesichts der Finanzknappheit derStadt: Es gebe keinen Spielraum mehr für Neueinstellungen.Nur eine Quote kann aus ihrer Sichtgegen alte (Männer-)Seilschaften helfen, die sieimmer noch am Werk sieht.Schließlich wurde die Frage, ob es eine sanktionierteQuote braucht, um gesellschaftliche Veränderungenzu bewältigen oder in Gang zu bringen,noch einmal pointiert an die R<strong>und</strong>e <strong>und</strong> an dasPublikum gestellt. Felizitas Sagebiel bekräftigteihr Plädoyer für die Quote, denn sogenannte „weiche“Mittel reichten nicht aus, um den machtvollenMännernetzwerken etwas entgegenzusetzen.Friederike Kuster brachte die Differenzierung ein,dass die Quote nicht ausreiche, um einen Kulturwandelzu erreichen. Aber immerhin führe einequalifikationsabhängige Quote (bei gleicher Qualifikation<strong>Frauen</strong> bevorzugen) zu einer Sensibilisierungfür Verfahren <strong>und</strong> für die Frage, wie gleicheEignung, Befähigung <strong>und</strong> fachliche Leistung zuverstehen seien.Die Quote kam auch bezüglich der gesellschaftlich-politischenInhalte, die es zu verändern gilt,noch einmal auf den Prüfstand. So regte eineWortmeldung aus dem Publikum die Überlegungan, warum es immer <strong>Frauen</strong> sein müssen, die sichum den Klimawandel <strong>und</strong> die Energiewende kümmernsollen, <strong>und</strong> ob das nicht schon wieder einetypische Zuschreibung sei. Müssen <strong>Frauen</strong> aufräumen,was andere liegengelassen haben? Sinddenn <strong>Frauen</strong> die besseren Menschen? Diese Frageerinnert an die Diskussion um „Mittäterschaft“,die Ende der 1980er Jahre in der westdeutschen<strong>Frauen</strong>bewegung (befördert durch Christina Thürmer-Rohr<strong>und</strong> Frigga Haug) sehr intensiv geführtwurde: Ist es nicht eine essentialistische Festschreibung,dass <strong>Frauen</strong> zuständig für das Ganzheitliche,Gute, Vorsorgende sein sollen? Und wasqualifiziert sie dazu – wenn man ein Weltbild zugr<strong>und</strong>elegt, bei dem nicht nur Männer die Weltso zugerichtet haben, wie sie jetzt ist? Uta vonWinterfeld erweiterte daraufhin die Quotenforderungum die Perspektive der Lebenswelt: EineQuote – <strong>und</strong> die damit einhergehende Transformation– bräuchten wir nicht nur in der Erwerbs-,sondern auch in der Lebenswelt, um die <strong>Frauen</strong>zugeordneten „Care“-Aufgaben der Sorgearbeitendlich auch als alle betreffende, gesellschaftlichnotwendige Verantwortungsbereiche sichtbar zumachen.Auch die Frage, warum <strong>Frauen</strong> oft selbst nicht ineine Führungsposition aufsteigen wollen, wurdeim Publikum noch einmal aufgegriffen. Vielleichtliegt es nicht nur daran, dass <strong>Frauen</strong> keine Verantwortungübernehmen möchten, wie ihnen oftunterstellt wird, sondern daran, dass die Strukturen,in denen Führungspositionen verortet sind,so wenig lebenstauglich sind. Nana Rapp, die hierangesprochen war, weil sie die mangelnde Bereitschaftzur Übernahme von Verantwortung beklagthatte, bestätigte die Einschätzung, dass Führungspositionenfür <strong>Frauen</strong> nicht mit denselbenMitteln attraktiv gemacht werden könnten wiefür Männer. So wären <strong>Frauen</strong> auf der einen Seitemit dem üblichen Angebot (Geld <strong>und</strong> Status) wenigerzu locken, wohl aber mit einer spannendenAufgabe. Auf der anderen betonte Rapp gleichzeitig,<strong>Frauen</strong> müssten sich irgendwann entscheiden,ob sie gemocht oder respektiert werden wollten.Im Übrigen sollte man sich auch der Gefahr desauffälligen Scheiterns bewusst sein, die mit einerFörderung von <strong>Frauen</strong> in Führungspositionen hineinverb<strong>und</strong>en sei. Männer scheiterten natürlichauch, aber <strong>Frauen</strong> täten dies auffälliger, weil siein Männerdomänen ohnehin stärker unter Beobachtungstünden.Die heterogen besetzte <strong>und</strong> spannend geführteDiskussion hat viele lose Enden aufgegriffen <strong>und</strong> –wie zu erwarten – mehr Fragen als Antwortenmitgegeben. Zu den interessantesten offenenÜberlegungen gehören die vermeintlich „alten“,so etwa das nach wie vor ungeklärte Verhältniseines „liberalen“ <strong>und</strong> eines „radikalen“ Feminismus:Welchen gesellschaftlichen Wandel bringtdie Forderung nach mehr <strong>Frauen</strong> in Führungspositionenmit sich? Geht es einfach „nur“ um einüberfälliges Gleichheits- <strong>und</strong> Gerechtigkeitsanliegen,dass <strong>Frauen</strong> die Hälfte der Gestaltungsmachtzusteht? Oder dreht es sich darüber hinaus umeinen bestimmten, speziell von <strong>Frauen</strong> zu erwartendenGestaltungsbeitrag bis hin zum explizitenAuftrag, etwa in Richtung einer sozial, ökologisch<strong>und</strong> kulturell nachhaltigen Transformation derGesellschaft? Und wie wäre es theoretisch <strong>und</strong>politisch zu begründen, dass ein solcher Auftragsich an <strong>Frauen</strong> richtet? Was wollen – unabhängigvon den hohen an sie adressierten Erwartungen –<strong>Frauen</strong> selbst? Eines ist jedenfalls klar geworden,sowohl durch die zugr<strong>und</strong>e liegenden Projektergebnisseals auch durch die Zusammensetzungdes Podiums: <strong>Frauen</strong> in Führungspositionen sindzu machtvollen, unübersehbaren Akteurinnengeworden, die auf ihren jeweiligen Handlungsfeldernselbstbewusst gestalten <strong>und</strong> verändern.88 <strong>Journal</strong> <strong>Netzwerk</strong> <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Geschlechterforschung</strong> <strong>NRW</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>32</strong>/2013
VeröffentlichungenBuchbesprechungenUlrike Schildmann rezensiertKampshoff, Marita/Wiepcke, Claudia (Hrsg.), (2012): <strong>Geschlechterforschung</strong><strong>und</strong> Fachdidaktik512 Seiten, geb., 59,99 €, ISBN 978-3-531-18222-3, Springer VS, WiesbadenWie kann unter den gegebenen gesellschaftlichenBedingungen des Lehrens <strong>und</strong> Lernens inBildungseinrichtungen eine geschlechtergerechteBildung für alle daran beteiligten Kinder, Jugendlichen<strong>und</strong> Erwachsenen hergestellt werden? Wiewerden die vorliegenden Ansätze <strong>und</strong> Ergebnisseder <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Geschlechterforschung</strong> von deneinzelnen Fächern des Schulunterrichts <strong>und</strong> derHochschullehre aufgenommen <strong>und</strong> vermittelt?Schließlich: Wie kann die Strukturkategorie Geschlechtals Querschnittperspektive systematischin die Allgemeine Didaktik <strong>und</strong> deren einzelneFachgebiete integriert werden? Mit diesen <strong>und</strong>ähnlichen Fragen gehen die Herausgeberinnendes neuen Handbuches, Marita Kampshoff <strong>und</strong>Claudia Wiepcke, beide Professorinnen an PädagogischenHochschulen (Schwäbisch Gmündbzw. Weingarten), ans Werk. Teil I des Buchesbesteht aus drei Gr<strong>und</strong>lagenartikeln zu Didaktikbzw. <strong>Geschlechterforschung</strong>. Teil II behandeltdie eingangs gestellten Fragen aus Sicht dereinzelnen (insgesamt knapp 20) Fachdidaktiken.Teil III enthält fünf Positionsartikel aus Sicht vonWissenschaftsdisziplinen. Und Teil IV untersucht<strong>Geschlechterforschung</strong> <strong>und</strong> Fachdidaktik in einzelnenQuerschnittdisziplinen.Teil I behandelt „Gr<strong>und</strong>lagen“.Von Karl-Heinz-Arnold <strong>und</strong> Anne-Elisabeth Roßawerden „Gr<strong>und</strong>lagen der Allgemeinen Didaktik<strong>und</strong> der Fachdidaktiken“ (S. 11–23) vorgestellt,die in Deutschland beide in der akademischenLehramtsausbildung eine bedeutsame Stellungeinnehmen (S. 11) <strong>und</strong> in einem engen Verhältniszueinander stehen, „weil die Beziehung der AllgemeinenDidaktik zum Fachunterricht immer –explizit oder implizit – über die Vermittlungsebeneder Fachdidaktik verläuft“ (Klafki 1994,S. 42, zitiert nach Arnold/Roßa in diesem Band,S. 13). Eine sehr gute Übersicht bietet in diesemZusammenhang der komprimierte Einblickin die Geschichte der Didaktik seit der Zeit derAufklärung. Innerhalb dieser Geschichte wurde inDeutschland „die Frage nach der Bedeutung vonGeschlecht für schulische Lern- <strong>und</strong> Bildungsprozesse“(S. 25) relativ spät aufgegriffen, wie HanneloreFalustich-Wieland <strong>und</strong> Marianne Horstkämperin ihrem Überblicksartikel zu Schule <strong>und</strong>Gender (S. 25–38) feststellen. Sie machen sowohlquantitative als auch qualitative Geschlechterdifferenzen– Mädchen <strong>und</strong> Jungen wie auch dasLehrpersonal betreffend – in der Schule sichtbar,identifizieren Geschlecht als soziale Konstruktion<strong>und</strong> die Schule als Ort der Herstellung vonGeschlecht. Zur Entwicklung einer geschlechtergerechtenDidaktik plädieren sie schließlich fürfolgenden analytischen Dreischritt: a) Dramatisierungder Differenzen zwischen den Geschlechtern,b) Reflexion/Überprüfung, c) Entdramatisierungvon Geschlecht (Dekonstruktion; nichtzu verwechseln mit „Geschlechtsneutralität“)(S. 34), um so die „unreflektierte Reproduktion hierarchischerGeschlechterdifferenz zu überwinden“(S. 36). Untermauert wird diese erziehungswissenschaftlicheAuseinandersetzung durch denBeitrag über „Feministische- <strong>und</strong> Geschlechtertheorien“von Paula-Irene Villa (S. 39–52), diegr<strong>und</strong>legende Positionen über Konstruktionen<strong>und</strong> Dekonstruktionen von Geschlecht soziologischherleitet <strong>und</strong>, wie der vorangegangeneBeitrag, damit eine theoriebezogene Folie für diefolgenden Diskurse der Fachdidaktiken anbietet.Teil II fokussiert die „Schulfächer“.In insgesamt 18 Beiträgen werden die einzelnenFächer in Anlehnung an die o. g. strukturierendenFragen der Herausgeberinnen zu Konstruktionen<strong>und</strong> De/Konstruktionen von Geschlecht systematischuntersucht. Die Anordnung der Schulfächerwurde alphabetisch vorgenommen:- Arbeitslehre- Biologiedidaktik- Chemie- <strong>und</strong> Physikdidaktik- Didaktik des Deutschunterrichts: Literaturdidaktik<strong>Journal</strong> <strong>Netzwerk</strong> <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Geschlechterforschung</strong> <strong>NRW</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>32</strong>/2013 89