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Anwaltsblatt 2011/01 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Abhandlungin Luxemburg oder Wien aus Art 47 der Charta beiüberlanger Verfahrensdauer ein Bleiberecht ableitenwird oder inwieweit Art 47 auch für inländische Behördengilt, bleibt zunächst ungelöst, weil die Charta nurfür Verfahren bei Durchführung des EU-Rechtes gilt. 5)Anlässlich der Kampagne für eine Volksabstimmungin der Schweiz, die eine automatische Abschiebungstraffällig gewordener Fremder zum Ziel hatte, sowiein nachfolgenden Kampagnen in Österreich war derEindruck erweckt worden, man müsse erst ein Gesetzerlassen, um verurteilte ausländische Straftäter abschiebenzu können. Das Bleiberecht könne die Abschiebungverhindern. Das Gegenteil ist der Fall: Schonauf Grund der geltenden Rechtslage werden ausländischeStraftäter nach Verbüßung der Strafe abgeschoben.Wo es gelegentlich Ausnahmen gibt, liegen diesefast immer in Mängeln des Vollzugs, so etwa wenndie Gefangenenhausverwaltung einen Fremden nachVerbüßung der Freiheitsstrafe entlässt und dieser untertaucht,weil die Koordination mit der Fremdenpolizeinicht geklappt hat. Solche Pannen können aber auchGesetze, die eine automatische Abschiebung vorsehen,nicht verhindern. Dass die bestehenden Gesetze in allerRegel effektiv vollzogen werden, zeigt auch die Entscheidungspraxisdes VfGH, der in jeder Session überdutzende Beschwerden von kriminellen Ausländernentscheidet, die das über sie verhängte Aufenthaltsverbotbekämpfen. Nahezu ausnahmslos bleiben solcheBeschwerden erfolglos. Die ganz wenigen Ausnahmenbilden Fälle, bei denen die Täter hier geboren sind oderals Kleinkind nach Österreich kamen, geringe Straftatenbegangen haben und bei denen eine günstige Zukunftsprognosebesteht und die ferner keine Beziehungzu jenem Land haben, deren Staatsbürger sie sind.Diese Fälle sind jedoch sehr selten und gehen ja von einerhohen Wahrscheinlichkeit der Besserung des Straftätersaus, sodass sie die Kriminalität im Inland nichtbelasten. Die hohe Kriminalitätsrate von Ausländernergibt sich vielmehr durch Banden, die nach Verübungvon Straftaten in einem Land in andere Länder weiterziehen,um dort ihre kriminelle Tätigkeit fortzusetzen.Diese müssen nicht erst abgeschoben werden. Eine anderebedeutende Gruppe krimineller Fremder entspringteiner Form des Menschenhandels. KriminelleBanden werben junge Leute an, die in ihrer Heimatkeine Hoffnung auf eine erträgliche Zukunft haben,bringen sie unter Vorspiegelung falscher Erwartungennach Europa und lassen sie dort ihre „Reisekosten“ abarbeiten,indem sie die Burschen im Drogenhandel einsetzenund die Mädchen auf den Strich schicken. Nachbestehender Rechtslage werden diese ohnehin abgeschoben.Ein Gesetz, das eine automatische Abschiebungvorsieht, würde daran nichts ändern, sondernnur eine effektive gesamteuropäische Strafverfolgung,die auch die Hintermänner erfasst.Statt die Energie auf Kampagnen für populistische„strenge“, aber ineffektive Gesetze zu verschwenden,sollte man sie für effektivere und international koordinierteStrafverfolgung verwenden.Eine Automatik der Abschiebung ohne Einzelfallprüfungwäre nicht effektiv, wohl aber EMRK- und damitverfassungswidrig, weil sie die zwar sehr seltenen,aber doch gelegentlich vorkommenden Fälle nicht berücksichtigenwürde, in denen kaum ein öffentlichesInteresse an der Abschiebung, aber ein sehr gewichtigesInteresse der Betroffenen – gelegentlich sogar des Staates– an der Fortdauer des Inlandsaufenthaltes, also einemBleiberecht, besteht. Sollte es in der Schweiz zu einersolchen Abschiebungsautomatik kommen, so mussman kein Prophet sein, um Verurteilungen der Schweizwegen Verletzung des Art 8 EMRK durch den EGMRvorherzusagen. Es ist aber einfacher und für Wahlenwirksamer, nach (scheinbar) strengeren Gesetzen zu rufen,als wirklich etwas zur effektiven Kriminalitätsbekämpfungetwa durch Zurverfügungstellung der erforderlichenpersonellen und sachlichen Mittel für die Polizeiarbeitoder durch Steigerung von koordiniertenAktivitäten gegen den Menschenhandel in Europa, dessenOpfer vielfach auch Migrantinnen und Migrantensind, beizutragen.5) Art 51 der Charta.Österreichisches <strong>Anwaltsblatt</strong> <strong>2<strong>01</strong>1</strong>/<strong>01</strong>Das sogenannte BleiberechtAutor: Hon.-Prof. Dr. Kurt Heller, Wien11

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