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Anwaltsblatt 2011/01 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag

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Europa aktuell„ne bis in idem“ beim Europäischen HaftbefehlDer Europäische Gerichtshof hat am 16. 11. 2<strong>01</strong>0 inder Rechtssache C-261/09 ein wichtiges Urteil erlassenüber die Auslegung des Begriffs „dieselbe Handlung“beziehungsweise über den Grundsatz „ne bis inidem“ im Zusammenhang mit der Vollstreckung einesEuropäischen Haftbefehls.Das OLG Stuttgart hatte den EuGH mit einem Vorabentscheidungsersuchenbefasst, um eine möglicheVerletzung des Grundsatzes „ne bis in idem“ zu prüfen.Es hatte Bedenken, dass der Vollstreckung eines EuropäischenHaftbefehls zwingende Gründe gem Art 3Nr 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Ratesüber den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahrenzwischen den Mitgliedstaaten entgegenstehenkönnten. Art 3 Nr 2 des Rahmenbeschlusses besagt,dass die Justizbehörde des Vollstreckungsstaatesdie Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ablehnenmuss, wenn aus ihr vorliegenden Informationensich ergibt, dass der Beschuldigte in einem anderenMitgliedstaat wegen derselben Handlung bereits rechtskräftigverurteilt wurde. Dies gilt, wenn das Urteil bereitsvollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oderes nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstrecktwerden kann.Im zugrunde liegenden Sachverhalt war der ItalienerGaetano Mantello 2005 von einem italienischen Gerichtzu einer Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Drogenbesitzesverurteilt worden. Die italienischen Ermittlungsbehördenwaren zum Zeitpunkt der Verurteilung zwarim Besitz von Informationen über die MitgliedschaftMantellos in einer kriminellen Vereinigung sowie überweitere Fälle unerlaubten Drogenbesitzes, doch hattensie diese Informationen dem zuständigen Gericht nichtweitergegeben. Das Urteil hat sich daher nur auf dieEinzeltat Mantellos bezogen und nicht auch auf seineMitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung als Kurier,Mittelsmann und Zuständiger für die Beschaffungvon Drogen. In Vollstreckung des Urteils hat Mantelloeine tatsächliche Freiheitsstrafe von zehn Monatenund 20 Tagen verbüßt. Drei Jahre später – Mantellowar inzwischen wieder auf freiem Fuß – erließ das italienischeGericht einen Europäischen Haftbefehl gegenihn basierend auf dem Vorwurf der Beteiligung an bandenmäßigemDrogenhandel in den Jahren 2004 und2005. In Kenntnis des Haftbefehls ließen die deutschenBehörden Mantello 2008 festnehmen. Das italienischeGericht als Aussteller des Europäischen Haftbefehlsteilte dem OLG Stuttgart auf dessen Anfrage mit, dassdas 2005 ergangene Urteil (wegen der Einzeltat des unerlaubtenDrogenbesitzes) keine rechtskräftige Verurteilungwegen der im Europäischen Haftbefehl bezeichnetenTat (Beteiligung am bandenmäßigen Drogenhandel)darstelle. Deshalb stehe das italienische Urteilden im Europäischen Haftbefehl genanntenStrafverfolgungsmaßnahmen nicht entgegen.Der EuGH stellt in seiner Beurteilung zunächst fest,dass der in Art 3 Nr 2 des Rahmenbeschlusses verwendeteBegriff „dieselbe Handlung“ nicht der Auslegungdurch die mitgliedstaatlichen Justizbehörden nach derennationalem Recht überlassen werden könne, weildie einheitliche Anwendung des Unionsrechts es erfordere,dass die genannte Bestimmung in der gesamtenUnion autonom und einheitlich ausgelegt wird. DerBegriff „dieselbe Handlung“ stelle daher einen autonomenBegriff des Unionsrechts dar, der auch Gegenstandeines Vorabentscheidungsersuchens eines Gerichtessein könne. „Dieselbe Handlung“ sei dabei inAnlehnung an die Rechtsprechung des Gerichtshofszum Begriff „dieselbe Tat“ des Art 54 SchengenerDurchführungsübereinkommen, der wie Art 3 Nr 2des Rahmenbeschlusses verhindern soll, dass eine Personwegen derselben Tat erneut verfolgt oder verurteiltwird, dahingehend zu interpretieren, dass unabhängigvon ihrer rechtlichen Qualifizierung oder dem geschütztenrechtlichen Interesse auf die tatsächlicheHandlung abzustellen ist und ein „Komplex konkreter,unlösbar miteinander verbundener Umstände“ mit umfasstwird.Ungeachtet dieser Ausführungen zum Begriff „dieselbeHandlung“ kommt der EuGH zum Schluss, dassdie Vorlagefragen des OLG Stuttgart in Wirklichkeitden Begriff „rechtskräftige Verurteilung“ betreffen.Da die italienischen Ermittlungsbehörden über Beweisefür Handlungen verfügt hatten, die den Tatbestandder im Haftbefehl bezeichneten Straftaten erfüllen,diese Beweise dem italienischen Gericht zur Würdigungaber nicht unterbreitet hatten, als dieses überdie Einzeltat 2005 entschieden hat, sei zu prüfen, obvon einer Entscheidung ausgegangen werden muss,die einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der imHaftbefehl geschilderten Handlungen gleichzusetzenist. Dazu führt der EuGH unter Verweis auf seine bisherigeRechtsprechung aus, dass eine gesuchte Personals wegen derselben Handlung rechtskräftig verurteiltiSd Art 3 Nr 2 des Rahmenbeschlusses anzusehen ist,wenn die Strafklage aufgrund eines Strafverfahrensendgültig verbraucht ist oder die Justizbehörden einesMitgliedstaates eine Entscheidung erlassen haben, mitder der Beschuldigte vom Tatvorwurf rechtskräftig freigesprochenwird. Die Rechtskraft beurteile sich dabeinach dem Recht des Mitgliedstaates, in dem das Urteilergangen ist.Da die den Haftbefehl ausstellende italienische Behördeausdrücklich festgestellt hat, dass das nach ihrer12Österreichisches <strong>Anwaltsblatt</strong> <strong>2<strong>01</strong>1</strong>/<strong>01</strong>

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