Komplett - Das Sauerlandmagazin Juni 2015
In diesem Heft u.a.: Idylle pur auf der Lenne + So wird man Schützenkönig + Ultimative Tipps für den Urlaub zu Hause
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Frühschwimmer<br />
Ein Hubbi-Kurzkrimi<br />
Ein Kurzkrimi von Pia Mester<br />
Zeichnung Arnd Hawlina<br />
78<br />
Hubbi zitterte am ganzen Körper. Sie wusste nicht, ob<br />
daran die Kälte oder die Müdigkeit schuld war. Es war<br />
kurz nach 6 Uhr. Normalerweise würde sie an einem<br />
Dienstag um diese Zeit gerade in ihre erste Tiefschlafphase<br />
eintauchen. Doch der Schock, dass ihr der sauteure<br />
Bikini aus dem letzten Jahr nicht mehr passte, hatte<br />
ihr einen Motivationsschub gegeben. Und so stand sie<br />
nun hier im Neuenrader Freibad und hoffte, dass außer<br />
ihr nicht viele andere Frühschwimmer das Becken besiedelten.<br />
Die Tür des Duschraums ging auf. Herein trat die ältere<br />
Dame, mit der Hubbi auf den Einlass gewartet hatte:<br />
„Brrrr, dass die hier nicht mal die Heizung anstellen<br />
können, diese Geizhälse. Also früher hätte es das nicht<br />
gegeben.“<br />
In der Umkleidekabine hatte die Frau ihre gesamte<br />
Lebensgeschichte erzählt. Hubbi hatte keinen blassen<br />
Schimmer, wer die Frau war. Sie wusste nur, dass sie<br />
mit ihrem verstorbenen Großvater zur Schule gegangen<br />
war. Es irritierte sie, dass die Frau offenbar alles über<br />
Hubbis Familie wusste.<br />
Endlich wurde das Wasser warm. Mit einem wohligen<br />
Schauer spürte Hubbi, wie sich ihre Gänsehaut allmählich<br />
legte. Die Frau zog sich eine rosa-gerüschte Badekappe<br />
über die silbergrau gefärbte Dauerwelle, die luftdichter<br />
wirkte als die Tuppertöpfe von Hubbis Mutter.<br />
Aus dem Augenwinkel beobachtete Hubbi, wie die Frau<br />
sich abduschte, ohne dabei auch nur einen Tropfen Wasser<br />
an ihren Kopf zu lassen. Genauso würde sie sicherlich<br />
gleich ihre Bahnen ziehen. Hubbi schloss die Augen<br />
und blendete das Gequassel einfach aus.<br />
„Jetzt gucken Sie sich das mal an, was für eine Sauerei“,<br />
sagte die Frau. Seufzend schielte Hubbi zu ihr hinüber.<br />
Sie zeigte auf eine einsame Shampooflasche, die offenbar<br />
jemand auf der Ablage vergessen hatte. Konnte ja<br />
mal vorkommen, dachte sich Hubbi, rang sich aber ein<br />
empörtes „Tz!“ ab. „Die steht schon seit einer Woche<br />
hier, dass die Leute ihren Müll nicht mal mitnehmen<br />
können“, sagte die Frau, schnappte sich die Flasche und<br />
schüttelte sie: „Ist ja noch halbvoll“, murmelte sie und<br />
wickelte sie zusammen mit ihrer eigenen Duschgelflasche<br />
und ihrer Sonnenbrille in ihr ebenfalls rosafarbenes<br />
Handtuch. In diesem Moment öffnet sich die Tür und<br />
ein Mann trat in die Duschkabine.<br />
Eine<br />
Sekunde lang<br />
schauten sich<br />
alle nur an.<br />
Der Mann,<br />
Typ Marathonläufer<br />
im Ruhestand<br />
mit Jahresabo<br />
im Sonnenstudio,<br />
starrte die<br />
ältere Dame an,<br />
räusperte sich<br />
und zeigte auf die<br />
Shampoo-Flasche:<br />
„Die hat meine Frau<br />
hier vergessen. Würden<br />
Sie bitte…“<br />
„Nix da!“, sagte die rosa Dame, „Dann soll sich Ihre Frau<br />
halt besser um ihre Sachen kümmern. Und jetzt raus<br />
hier, sonst sage ich der Bademeisterin Bescheid!“ Der<br />
Mann wollte noch etwas sagen, besann sich dann aber<br />
eines Besseren und verschwand.<br />
„Komischer Typ“, sagte Hubbi. Die Frau nickte: „Der<br />
ist jeden Morgen hier. Redet mit niemandem. Und ich<br />
glaube auch nicht, dass der verheiratet ist. Wir Frühschwimmer<br />
sind ja sehr offen für neue Leute, aber sowas,<br />
nein nein.“ Dann winkte sie Hubbi zu und ging zur<br />
anderen Tür hinaus, die zum Außenbereich führte.<br />
Hubbi drückte noch einmal auf den Duschknopf. <strong>Das</strong><br />
Wasser im Becken, das wusste sie, würde nicht so eine<br />
angenehme Temperatur haben.<br />
Schließlich raffte sich Hubbi aber doch auf und folgte<br />
der Frau. Als sie ins Freie trat, stellte sie mit Befriedigung<br />
fest, dass noch niemand im Wasser war. Hoffentlich<br />
würde das auch noch eine Weile so bleiben, dann<br />
musste sie zumindest nicht immer in Fünferreihen auftretende<br />
Senioren-Gruppen umschwimmen.<br />
Hubbi wunderte sich, wo die rosa Dame und der Marathon-Opa<br />
waren. Sie ließ ihren Blick über die Liegewiese<br />
streifen und entdeckte den Mann an einem Mülleimer<br />
am anderen Ende des Geländes. Suchte der etwa<br />
nach Pfandflaschen? Naja, sollte ihr auch egal sein.