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Editorial - Psychotherapeutenkammer NRW

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Psychische Faktoren bei schweren BrandverletzungenEs ist zu ergänzen, dass das Vorgehen, lediglichdas Vorliegen von Kriterien psychischerStörungen nach den gängigen Klassifikationenzu überprüfen, zu kurz greift, umLeid und Schwierigkeiten schwerbrandverletzterPatienten in der Anpassung an einelebensverändernde Verletzung zu ermessen.Denn bei vielen Patienten bestehtsubjektiv der Bedarf an Unterstützung beider Krankheitsverarbeitung, ohne dass siedas Vollbild einer definierten psychischenStörung erfüllen. Häufig ergeben sich inder Folge der Brandverletzung auch Veränderungenam Arbeitsplatz und Konflikte inden sozialen Beziehungen und Funktionender Verletzten. Höhen und Tiefen des Verarbeitungsprozesses,also emotionale Krisenund belastende Gefühle in der Auseinandersetzungmit einer Brandverletzung,können normaler Bestandteil des Versuchssein, einen Einschnitt im Leben, wie ihneine Brandverletzung darstellt, zu verarbeitenund zu integrieren, und dennoch großesLeid für die Betroffenen bedeuten.In vielen Studien wird unterstrichen, dasspsychische Probleme bei Brandverletztennicht vorübergehend, sondern stabil seienund häufig über die Zeit sogar zunähmen(z. B. Wallace & Lees, 1988; Tedstone &Tarrier, 1997). Hinsichtlich des Vorliegenspsychischer Folgeprobleme nach einemBrandunfall erscheint es also nicht sinnvoll,darauf zu vertrauen, dass Zeit alleine „alleWunden heilt“, sondern professionelle Unterstützunganzubieten. In der bisherigenForschung wurde es jedoch weitgehendversäumt, geeignete spezifische Interventionsprogrammezur psychosozialen Unterstützungvon brandverletzten Menschenzu entwickeln und zu evaluieren (Pruzinsky,1998).Natürlich gibt es verschiedene Therapieprogramme,von denen anzunehmen ist,Anzeige dass die Anwendung einiger ihrer Bausteineund Übungen auch in der Patientengruppeder Schwerbrandverletzten sinnvollist, beispielsweise bereits erprobte undevaluierte Gruppenkonzepte zum ThemaDepressionsprophylaxe (z. B. Kühner &Weber, 2001), zu Stressbewältigung (z. B.Kaluza, 2004), zu Entspannungsverfahren(z. B. Ohm, 1999) oder zu Schmerzbewältigung(z. B. Rief & Hiller, 1998). AuchÜbungen aus dem Bereich der Körperpsychotherapie(z. B. Görlitz, 2005) scheinenviel versprechend in ihrem Einsatz fürbrandverletzte Menschen, wenn es umeine Bearbeitung des Körperkonzepts undum die Herstellung des geistig-körperlichenGleichgewichts nach einem schwerenUnfall geht, zeigt doch die körperpsychotherapeutischeForschung, dass durchden Einbezug des Körpers in das therapeutischeGeschehen Erlebnis‐ und Empfindensdimensionenaktiviert werden können,die über die rein sprachliche Ebenenur sehr begrenzt ansprechbar sind (vgl.Sulz, Schrenker & Schricker, 2005). In derBehandlung von chronischen Schmerzenhat sich der Einbezug körperpsychotherapeutischerAnsätze und AchtsamkeitsbasierterTherapien bewährt (Astin, 2004).Bisher liegen jedoch so gut wie keine konkretentherapeutischen Empfehlungen undInterventionen spezifisch für brandverletztePatienten vor. Eine Ausnahme stellt einaus England stammendes Trainingsverfahrender Organisation „Changing Faces“dar, das sich speziell an Menschen mitEntstellungen richtet. Ziel des Trainingsprogrammsist die Verbesserung sozialer Kompetenzender Betroffenen für einen selbstbewusstenUmgang mit der Entstellung inder Öffentlichkeit (z. B. Robinson, Rumsey& Partridge, 1996; Partridge, 1997; Partridge& Robinson, 1995). Ferner liegt einverhaltenstherapeutisches Konzept zur Bearbeitungvon Körperbildproblemen undhieraus resultierendem Vermeidungsverhaltennach schweren Verletzungen vor(Newell, 2001). Diese beiden interessantenAnsätze sind die bisher einzigen publiziertenArbeiten zum Thema. Sie widmensich einzelnen für Brandverletzte wichtigenAspekten, wie beispielsweise der sozialenAktivität trotz verändertem Aussehen, lassenaber andere verbrennungsspezifischeThematiken, wie z. B. den Umgang mitmöglichen psychischen Symptomen nacheinem schweren Unfall, außer Acht.Wesentliche Ergebnisse derLudwigshafener MulticenterstudieIm Rahmen einer groß angelegten, multizentrischenLängsschnittstudie an verschiedenenSchwerbrandverletztenzentrenin Deutschland 3 wurden über 380brandverletzte Patienten und Patientinnenbefragt. In diesem vom Hauptverband dergewerblichen Berufsgenossenschaften 4geförderten Forschungsprojekt wurdenpsychosoziale Belastungen, Ressourcen,Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit bei Patientenmit schweren Brandverletzungenuntersucht. Ziel war es unter anderem, aufBasis der Befunde ein Gruppenbehandlungskonzeptfür die Behandlung Schwerbrandverletzterzu entwickeln. Im Folgendenwerden wesentliche Ergebnisse desProjekts zusammengefasst.In einer zwei Jahre nach dem Unfall durchgeführtenqualitativen Interviewstudie undInhaltsanalyse zu Belastungsfaktoren undRessourcen von Brandverletzten (Wallis,Renneberg, Neumann, Ripper & Bastine,2007) wurden vielfältige Bereiche vonBelastungen deutlich, welche Brandverletzteerleben, insbesondere im körperlichen,psychischen und sozialen Bereich.Phasen von Gefühlen wie Enttäuschungund Depressivität scheinen normale Bestandteiledes Anpassungsprozesses aneine Brandverletzung darzustellen. Häufig,so wurde offenbar, treten psychische3 An der Multicenterstudie beteiligte Zentren:– BG Unfallklinik Ludwigshafen, Klinik fürHand‐, Plastische und Rekonstruktive Chirurgie,Schwerbrandverletztenzentrum,– Berufsgenossenschaftliche Kliniken BergmannstrostHalle/Saale, Klinik für Plastischeund Handchirurgie, Brandverletztenzentrum,– Berufsgenossenschaftliche Kliniken BergmannsheilBochum, Universitätsklinik,Klinik für Plastische Chirurgie und Schwerbrandverletzte,– Unfallkrankenhaus Berlin, Zentrum fürSchwerbrandverletzte mit Plastischer Chirurgie,– Schwerbrandverletztenzentrum des BG-Unfallkrankenhauses Hamburg, Klinikfür Hand‐, Plastische und Mikrochirurgie,Schwerbrandverletzte.4 Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften(HVBG), seit 2008: Deutschegesetzliche Unfallversicherung (DGUV).144 Psychotherapeutenjournal 2/2009

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