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Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie eV

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SCHMERZTHERAPIE<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Schmerz</strong>therapie e. V. – DGS<br />

21. Jahrgang 2005 Ehemals StK<br />

Inhalt<br />

Editorial<br />

Advent, Advent ............................. 2<br />

Kopf- und Gesichtsschmerzen<br />

Was leistet die Mund-, Kiefer-<br />

und Gesichtschirurgie?.................. 4<br />

Internationale Presse<br />

Impfstoff gegen Herpes?............... 7<br />

Myozentrik<br />

Die kraniomandibuläre Orthopädie<br />

in der <strong>Schmerz</strong>therapie ................ 8<br />

Geriatrie<br />

Kopf- und Gesichtsschmerz<br />

im Alter ........................................ 10<br />

Kongresse<br />

29. <strong>Schmerz</strong>kongress der DGSS<br />

und DMKG .................................. 15<br />

Interviews<br />

Kooperation mehr denn je<br />

erforderlich................................... 17<br />

Patientenschulung zur<br />

<strong>Therapie</strong>optimierung wichtig ...... 18<br />

Praxismanagement/Recht<br />

Arzt und Werbung ....................... 19<br />

Bewegungstherapie<br />

Aquatraining ............................... 20<br />

<strong>Schmerz</strong> im Krankenhaus<br />

Interdisziplinäres Forschungsprojekt<br />

„<strong>Schmerz</strong>freies Krankenhaus“..... 22<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />

Selbsthilfe wird immer wichtiger 23<br />

DGS-Veranstaltungen<br />

DGS-Interna/ DGS-Leiter ........... 25<br />

Bücherecke ............................... 26<br />

Kasuistik<br />

Zentraler <strong>Schmerz</strong> nach<br />

Apoplex ...................................... 27<br />

www.dgschmerztherapie.de<br />

ISSN 1613-9968<br />

4/2005<br />

Kopf- und Gesichtsschmerz<br />

erfordern enge Kooperation


Oettinger Verlag, Sven Nordquist<br />

2<br />

Editorial<br />

Advent, Advent ...<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

gerne würde ich mit Ihnen vorweihnachtliche<br />

Freude und Zuversicht<br />

teilen. Aber es brennt in<br />

Deutschland – nicht nur die Kerzen<br />

auf den Adventskränzen und den<br />

Weihnachtsbäumen in den Vorgärten<br />

– es brennt in der <strong>Schmerz</strong>therapie,<br />

es brennt in dem gesamten<br />

Gesundheitssystem.<br />

EBM 2000plus – das Aus <strong>für</strong><br />

engagierte <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />

Das von unserer <strong>Gesellschaft</strong> be<strong>für</strong>chtete und<br />

vorhergesagte Desaster ist tatsächlich eingetreten.<br />

Auch wenn zahlreiche Kassenärztliche<br />

Vereinigungen nach fünf Jahren Vorbereitungszeit<br />

auf den EBM 2000plus noch nicht<br />

einmal in der Lage sind, fünf Monate nach Abschluss<br />

des ersten Quartals unter EBM-<br />

2000plus-Bedingungungen eine endgültige<br />

Dieses Jahr keine Gaben unter dem Christbaum?<br />

Quar talsabrechnung<br />

vorzulegen,<br />

zeichnet sich deutlich<br />

ab, dass zahlreiche<strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />

unter den<br />

neuen Bedingungen<br />

auf der Strecke<br />

bleiben.<br />

In der ganzen<br />

Gerhard Müller-<br />

Schwefe, Göppingen<br />

Republik entlassen <strong>Schmerz</strong>therapeuten Mitarbeiter<br />

und reduzieren oder beenden ihre<br />

schmerztherapeutische Tätigkeit. Innerhalb<br />

eines Quartals hat die <strong>Schmerz</strong>therapie sie in<br />

den Ruin getrieben.<br />

KBV steht im Wort<br />

Jetzt muss sich zeigen, ob die mehrfach öffentlich<br />

gegebenen Zusagen des KBV-Vorstandes,<br />

insbesondere von Herrn Dr. Andreas Köhler<br />

und Herrn Ulrich<br />

Weigeldt, ernst<br />

gemeint waren,<br />

umgehend und rückwirkend bei Verlusten ausgleichend<br />

einzugreifen. In einem Brief an den<br />

KBV-Vorstand wie auch an Herrn Staatssekretär<br />

Dr. Theo Schröder habe ich dies unmittelbar<br />

nach Vorliegen der ersten Abrechnungsergebnisse<br />

von <strong>Schmerz</strong>therapeuten eingefordert.<br />

Obwohl auf Befragen alle Kassenärztlichen<br />

Vereinigungen konstatieren, die<br />

<strong>Schmerz</strong>therapeuten seien die Gewinner des<br />

EBM, sieht die bittere Realität völlig anders<br />

aus.<br />

Uneinheitliches Bild<br />

Ausschließlich oder überwiegend schmerztherapeutisch<br />

tätige Ärzte, insbesondere wenn sie<br />

als Fachärzte <strong>für</strong> Anästhesie, Neurologie oder<br />

Orthopädie niedergelassen sind, gehören zu<br />

den absoluten Verlierern.<br />

Allgemeinärzte, denen zahlreiche Untersuchungen<br />

und Gesprächsziffern offen stehen,<br />

die Fachärzten verwehrt sind, scheinen<br />

hier deutlich besser abgeschnitten zu haben.<br />

So scheint es hier nicht nur Praxen zu geben,<br />

bei denen keine Veränderungen aufgetreten<br />

sind, sondern auch Gewinner.<br />

Dass dies häufig um den Preis einer<br />

extremen Fallausweitung geschieht, bei<br />

dem nach übereinstimmender Ansicht der<br />

schmerztherapeutischen Fachgesellschaften<br />

keine qualitativ hochwertige <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

mehr durchzuführen ist, wird von zahlreichen<br />

Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassen<br />

ignoriert - im Gegenteil, Kassen sehen sich<br />

darin bestätigt, dass <strong>Schmerz</strong>therapie keine<br />

teuer zu vergütende, hochwertige Leistung<br />

sein kann, wenn allerorts mit Sonderermächtigungen<br />

600 oder gar 700 <strong>Schmerz</strong>patienten,<br />

eventuell sogar zusätzlich zu anderen fachgebietsspezifischen<br />

Patienten, betreut und abgerechnet<br />

werden.<br />

Solidarität tut Not<br />

Auf die Bitte des Vorstandes der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Schmerz</strong>therapie e. V., vorliegende<br />

Quartalsabrechnungen und auch darin<br />

enthaltene Besonderheiten durch regionale<br />

Übergangsregelungen unserer Geschäftsstelle<br />

mitzuteilen, hatten bis Ende November<br />

insgesamt 41 Kollegen aus ganz Deutschland<br />

reagiert, davon zwölf Leiter regionaler<br />

<strong>Schmerz</strong>zentren DGS. Diesen Kollegen danke<br />

ich besonders <strong>für</strong> ihre Solidarität. Die anderen<br />

bitte ich, uns Daten als Grundlage<br />

kommender Verhandlungen an die Hand zu<br />

geben.<br />

Die Ursachen hier<strong>für</strong> können vielfältig<br />

sein: Entweder lagen den Kollegen noch keine<br />

Zahlen vor oder es ging tatsächlich zahlreichen<br />

Kollegen besser, diese scheuen sich<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


aber, dieses Ergebnis zu kommunizieren.<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte<br />

es <strong>für</strong> einen dringlichen Akt der Solidarität<br />

mit allen Ärzten in Praxis und Klinik, dass wir<br />

hier die vorliegenden Daten kommunizieren<br />

und gemeinsame Strategien entwickeln, die<br />

Situation der <strong>Schmerz</strong>therapie in Deutschland<br />

zu verbessern oder wenigstens <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

zu erhalten. Wegducken und hoffen<br />

– „mich wird es schon nicht treffen“ – kann<br />

hier nicht die Devise sein. Die immer weitere<br />

Normierung der Anforderungen wie auch der<br />

Vergütung nach unten kann nicht das Ziel von<br />

Ärzten sein, die sich mit den schwierigsten<br />

Patienten im Gesundheitssystem abgeben.<br />

Neue Sparmöglichkeiten<br />

Neue Sparideen der Gesundheitspolitik<br />

zeichnen sich bereits am Horizont ab. Die von<br />

der alten und neuen Gesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt ins Spiel gebrachte Angleichung<br />

der privaten Leistungsverzeichnisse (GOÄ)<br />

wird zwar geschickt mit dem Argument verbrämt,<br />

Ärzte müssten feste Einkommen bei<br />

gesetzlich wie auch bei privat Versicherten<br />

kalkulieren können und es dürfte in der Qualität<br />

der Behandlung keine Unterschiede geben.<br />

Die nackte Realität, die dahintersteht,<br />

ist jedoch der unbändige Sparwille der öffentlichen<br />

Hand. Aus diesem Grund wurde<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

die private Gebührenordnung<br />

von 1996 niemals dem aktuellen<br />

wissenschaftlichen Stand angepasst,<br />

obwohl von der Bundesärztekammer<br />

hierzu zahlreiche<br />

Initiativen ausgingen.<br />

Der Bundesrat als Arbeitgeber<br />

einer Vielzahl von beihilfeberechtigten<br />

Versicherten hat<br />

hier als Gesetzgeber bewusst<br />

auf eine Aktualisierung dieses<br />

Verzeichnisses verzichtet, das<br />

die Öffentliche Hand nur mehr<br />

Geld kosten könnte. Hier sind<br />

inzwischen auch die Sparfantasien<br />

angekommen; deshalb der<br />

Vorschlag der Nivellierung nach<br />

unten.<br />

In einer Zeit, in der Ärzte<br />

zunehmend zur Mangelware werden, junge<br />

Ärzte demotiviert ins Ausland flüchten oder<br />

gar nicht mehr in ihrem Beruf tätig werden<br />

wollen, muss Solidarität unter Ärzten an<br />

höchster Stelle stehen. Nur wenn alle Ärzte<br />

zusammenstehen, werden wir gemeinsam<br />

den Ausverkauf des schönsten Berufes der<br />

Welt verhindern können. Kurzfristige Effekthascherei<br />

und das Ausspielen einzelner<br />

Arztgruppen gegen die anderen wird hier nur<br />

lachende Dritte zur Folge haben, am Ende<br />

aber allen im Gesundheitssystem schaden.<br />

Archiv<br />

Brennenden Problemen im Bereich von<br />

Kopf- und Gesichtsschmerz widmen sich<br />

auch die medizinischen Inhalte dieses Heftes<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie. Ausgewiesene Experten<br />

haben hier Beiträge zu besonderen Problemen<br />

der Kopf- und Gesichtsschmerzdiagnostik<br />

und <strong>Therapie</strong> geschrieben. Insbesondere<br />

die Aspekte interdisziplinärer Sichtweisen und<br />

Kooperation werden an diesem Beispiel einmal<br />

mehr deutlich. Ich wünsche Ihnen, dass<br />

dieses Heft <strong>Schmerz</strong>therapie Ihnen dazu viele<br />

Anregungen und Informationen gibt.<br />

Für die bevorstehende Weihnachtszeit<br />

und den Jahreswechsel<br />

wünsche ich Ihnen alles Gute, insbesondere<br />

auch, dass die nun<br />

brennenden Kerzen als Zeichen<br />

der Hoffnung <strong>für</strong> Solidarität und<br />

ein gemeinsames Eintreten <strong>für</strong> die<br />

Ziele der <strong>Schmerz</strong>therapie im<br />

kommenden Jahr stehen.<br />

Ich grüße Sie herzlich,<br />

Ihr<br />

Editorial<br />

Enge Kooperation zählt auch in der <strong>Schmerz</strong>therapie.<br />

Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe<br />

Präsident<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

e. V.<br />

3


4<br />

Zahn-Mund-Kiefer-Chirurgie<br />

Kopf- und Gesichtsschmerzen – was leistet die<br />

Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie?<br />

Die <strong>Therapie</strong> von <strong>Schmerz</strong>en im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich ist in<br />

vielen Fällen ein interdisziplinäres Problem. Während der akute <strong>Schmerz</strong><br />

im Kiefer- und Gesichtsbereich als Symptom von Erkrankungen und Traumata<br />

diagnostisch und therapeutisch häufig wenige Probleme bereitet,<br />

erfordern chronische <strong>Schmerz</strong>syndrome meist eine weiterführende Diagnostik.<br />

Dabei sind neben den rein organischen Befunden auch die<br />

psychosozialen Komponenten von chronischen <strong>Schmerz</strong>en zu beachten.<br />

Hier kommt gerade dem Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen durch die<br />

Kenntnisse auf dem Gebiet der Medizin und Zahnmedizin eine Schlüsselrolle<br />

zu, erklären Dr. med. Dr. med. dent. Martin Scheer, Universität zu<br />

Köln, und seine Mitautoren Dr. med. dent. Jörg Neugebauer und Prof.<br />

Dr. Dr. Joachim E. Zöller.<br />

Die häufigsten Ursachen des Kiefer- und<br />

Gesichtsschmerzes sind Neuralgien,<br />

neuralgiforme Beschwerden, oromandibuläre<br />

Funktionsstörungen sowie der atypische Gesichtsschmerz.<br />

Neuralgien im Gesichtsbereich<br />

Neuralgien im Gesichtsbereich können unter<br />

anderem in den Ausbreitungsgebieten des V.,<br />

VII., IX. und X. Hirnnerven auftreten. Als ursächliche<br />

Faktoren kommen Sinusitiden, Virusinfektionen,<br />

Kalzifizierungen, Tumoren,<br />

Durchblutungsstörungen, Diabetes mellitus,<br />

Vitaminmangelsyndrome, Funktionsstörungen,<br />

Entzündungen und Traumata infrage.<br />

Aber auch bei demyelisierenden Erkrankungen<br />

(Multiple Sklerose) können Neuralgien als<br />

erstes Symptom vorhanden sein. Im Mund-<br />

Kiefer-Gesichts-Bereich sind dies in erster Linie<br />

der N. trigeminus (99%) und der N. glossopharyngeus<br />

(1%) sowie in sehr seltenen<br />

Fällen der N. auricularis magnus.<br />

Eine Trigeminusneuralgie wird nach der<br />

International-Headache-Society(IHS)-Definition<br />

als einseitige Erkrankung des Gesichtes<br />

beschrieben. Die kurzen anfallartigen <strong>Schmerz</strong>en,<br />

die mit oder ohne sensorischen Verlust gekennzeichnet<br />

sind, betreffen ein oder mehrere<br />

Innervationsgebiete des N. trigeminus, meist<br />

den N. maxillaris. Der <strong>Schmerz</strong> wird gewöhnlich<br />

durch einfache Stimuli wie Zugluft, Waschen,<br />

Rasieren, Gähnen oder Zähneputzen<br />

ausgelöst, kann aber auch spontan auftreten.<br />

Der <strong>Schmerz</strong> kann von Muskelspasmen, die<br />

als Tic doloureux bekannt sind, begleitet sein.<br />

Diese idiopathische Form ist überwiegend bei<br />

älteren Patienten (zwischen 50 und 60 Jahren)<br />

zu beobachten, während die symptomatische<br />

Form nach Nervverletzungen im Mund- Kiefer-<br />

Gesichts-Bereich auch bei jüngeren Patienten<br />

auftritt. Als Ursachen kommen die in der Tabelle<br />

1 aufgeführten Maßnahmen infrage.<br />

Besonders erwähnenswert ist die Tatsache,<br />

dass auch gering invasive zahnärztliche<br />

Routinemaßnahmen wie Leitungsanästhesien<br />

zur <strong>Schmerz</strong>ausschaltung sowie Wurzelkanalbehandlungen<br />

im Unterkiefer zu einer direkten<br />

Nervschädigung führen können. Zwar<br />

ist die Gefahr einer dauerhaften Nervschädigung<br />

durch eine versehentliche intraneurale<br />

Tabelle 1: Mögliche Ursachen <strong>für</strong> eine symptomatische Trigeminusneuralgie<br />

Eingriffe Beteiligte Nerven<br />

Weisheitszahnentfernung Unterkiefer N. alveolaris inferior, N. lingualis<br />

Wurzelspitzenresektion Unterkiefer N. alveolaris inferior, N. mentalis<br />

Z.n. Jochbein-, Mittelgesichts- oder N. infraorbitalis, N. supraorbitalis<br />

Orbitabodenfraktur<br />

Z. n. Unterkieferfraktur N. alveolaris inferior<br />

Z. n. bimaxillärer Umstellungsosteotomie N. infraorbitalis, N. alveolaris inferior,<br />

N. lingualis<br />

Z. n. Leitungsanästhesie im Unterkiefer N. alveolaris inferior, N. lingualis<br />

Z. n. Insertion enossaler Implantate im Unterkiefer N. alveolaris inferior, N. lingualis<br />

Z. n. Wurzelkanalbehandlung im Unterkiefer N. alveolaris inferior<br />

Injek-tion gering, jedoch<br />

wird nach der gängigen<br />

Rechtsprechung eine<br />

Aufklärung des Patienten<br />

über die mögliche Gefahr<br />

gefordert. Dahingegen<br />

weisen chemisch-toxische<br />

induzierte Nervläsionen<br />

durch Überstopfen von<br />

Wurzelfüllmaterial und Martin Scheer, Köln<br />

Einpressung in den Mandibularkanal<br />

aufgrund der Neurotoxizität eine<br />

schlechte Langzeitprognose auf, da selbst<br />

nach operativer mikrochirurgischer Neurolyse<br />

eine Sensibilitätsstörung fortbesteht und häufig<br />

eine <strong>Schmerz</strong>symptomatik auftritt. Je nach<br />

Symptomatik und Ansprechen auf konservative<br />

<strong>Therapie</strong>maßnahmen sollte die Indikation<br />

<strong>für</strong> eine Resektion des verletzten Nervsegmentes<br />

und Ersatz durch ein autologes Nervtransplantat<br />

überprüft werden.<br />

Eine Neuralgie des N. glossopharyngeus<br />

kann sich durch paroxysomales Auftreten von<br />

brennenden <strong>Schmerz</strong>en im Bereich der Zungenbasis,<br />

des weichen Gaumens oder des<br />

Kieferwinkels äußern. Mit dem Anfall können<br />

Reizhusten, Geschmacksstörungen, Taubheitsgefühle<br />

und Salivationsstörungen einhergehen.<br />

Triggerpunkte können hier im Bereich<br />

der Uvula, der Tonsillen, des Zungengrundes<br />

und des Pharynx liegen. Bei unklaren Beschwerdebildern<br />

sollte immer auch die Möglichkeit<br />

einer Neoplasie, z.B. des Zungengrundes<br />

oder der Tonsille, als Ursache der <strong>Schmerz</strong>en<br />

in Betracht gezogen werden. Neben der<br />

konsiliarischen HNO-Untersuchung sollte auch<br />

ein radiologisches Konsil sowie eine CT- oder<br />

MRT-Untersuchung erwogen werden.<br />

Die Behandlung der idiopathischen und<br />

symptomatischen Neuralgie stellt auch heu-<br />

Tabelle 2: Oromandibuläre Dysfunktionen<br />

Drei oder mehr der hier genannten<br />

Kriterien erfüllt:<br />

• <strong>Schmerz</strong>hafte Kieferbewegungen<br />

• Eingeschränkte oder ruckartige Kiefer-<br />

bewegungen<br />

• Kiefersperre<br />

• Gelenkknacken bei Kieferbewegungen<br />

• Zähneknirschen<br />

• Andere orale Parafunktionen, z.B. Lippen-,<br />

Zungen- oder Wangenbeißen<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


te noch eine Herausforderung dar. Da eine<br />

kausale <strong>Therapie</strong> nur in den seltensten Fällen<br />

möglich ist, muss sich die Behandlung auf eine<br />

symptomatische <strong>Therapie</strong> beschränken. Als<br />

Mittel zur akuten <strong>Schmerz</strong>coupierung und zur<br />

Unterbrechung der permanenten Reizdepolarisation<br />

bei Neuralgien hat sich bei genauer<br />

Beachtung der Risiken und Kontraindikationen<br />

die therapeutische Lokalanästhesie mit Bupivacain<br />

über mehrere Tage bewährt. Ergänzend<br />

wird die transkutane elektrische Nervstimulation<br />

(TENS) probeweise eingesetzt. Für die medikamentöse<br />

Behandlung stehen neben den<br />

Antikonvulsiva Carbamazepin und Phenytoin<br />

auch neuere Substanzen wie Gabapentin und<br />

Pregabalin zur Verfügung.<br />

Neuralgiforme <strong>Schmerz</strong>en<br />

Nicht selten stellen sich auch Patienten mit<br />

Dauerschmerzen und paroxysomaler Verschlechterung,<br />

jedoch ohne erkennbaren Triggermechanismus<br />

und ohne vegetative oder<br />

motorische Begleiterscheinungen in der mundkiefer-gesichtschirurgischen<br />

Praxis vor. Entsprechend<br />

des Stufenschemas aus der Tabelle<br />

4 lassen sich meistens odontogene, parodontale<br />

oder andere Ursachen ausmachen.<br />

Häufig handelt es sich ähnlich wie beim atypischen<br />

Gesichtsschmerz auch um ältere Patienten.<br />

Speziell bei ausgedehnter Alveolarfortsatzatrophie<br />

und Zahnlosigkeit im Unterkiefer<br />

kann es zu Irritationen des N. mentalis kommen.<br />

Durch die ausgedehnte Atrophie des<br />

Unterkiefers liegt der Nerv am Foramen mentale<br />

oder in seinem Verlauf submukös, was zu<br />

einer Traumatisierung durch die schleimhautgetragene<br />

Unterkieferprothese führen kann<br />

(Abb. 1).<br />

In der letzten Zeit ist auf mund-kiefer-gesichtschirurgischem<br />

Gebiet ein Anstieg von<br />

neuralgiformen Beschwerden im Zusammenhang<br />

mit infizierten Osteonekrosen zu verzeichnen.<br />

Als Ursache wird der zunehmende<br />

Einsatz von Bisphosphonaten zur Behandlung<br />

von osteolytischen Knochenmetastasen bei<br />

soliden Tumoren, Osteolysen beim multiplen<br />

Myelom und Osteoporose aufgeführt. Klinisch<br />

imponierten Nekrosen wie dentale Abszesse,<br />

„Zahnschmerzen“ oder wunde Stellen im Bereich<br />

des Zahnfleisches. Der Unterkiefer ist<br />

aufgrund des höheren Anteils weniger durchbluteter<br />

Kompakta gegenüber dem Oberkiefer<br />

häufiger betroffen. Zahnextraktionen oder profunde<br />

Druckstellen stehen häufig am Beginn<br />

der Episoden. Der Kausalzusammenhang der<br />

Osteonekrosen des Kiefers mit Bisphosphonaten<br />

ist bislang nicht abschließend gesichert,<br />

gilt jedoch durch den Wirkungsmechanismus<br />

als sehr wahrscheinlich. Da diese Patienten<br />

wegen ihrer malignen Grunderkrankung eine<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

zytostatische Chemotherapie<br />

und oft weitere Medikamente<br />

erhalten, ist eine Wirkungsverstärkung<br />

nicht auszuschließen.<br />

Auch Systemerkrankungen<br />

der Knochen wie zum<br />

Beispiel die Osteodystrophie<br />

deformans (Morbus Paget)<br />

oder die fibröse Dysplasie<br />

können Ausgangspunkt neuralgieformer<br />

Gesichts- und<br />

Kopfschmerzen sein, deren<br />

Ursache häufig, wohl auch<br />

wegen der Seltenheit dieser<br />

Erkrankungen, übersehen<br />

oder fehlgedeutet werden.<br />

Charakteristisch ist ein<br />

dumpfer Knochenschmerz,<br />

der von Zahnlockerungen<br />

und Fehlstellungen sowie im<br />

weiteren Verlauf auch VisuseinschränkungenSchwerhörigkeit<br />

und pathologische<br />

Frakturen begleitet sein kann<br />

(Abb. 2). Neben der konventionellen<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie haben die modellierende<br />

Osteotomie und Neurolyse, ggf. als<br />

interdisziplinär durchgeführter Eingriff, mit<br />

der Neurochirurgie einen festen Platz in der<br />

<strong>Therapie</strong> der Systemerkrankungen. Durch die<br />

Einführung moderner CT- und MRT- basierter<br />

Navigationssysteme lassen sich einerseits<br />

minimalinvasive Zugänge bei schädelbasisnahen<br />

Eingriffen realisieren, andererseits die<br />

Komplikationsrate durch die Verletzung von<br />

Nachbarstrukturen minimieren.<br />

Oromandibuläre Funktions-<br />

störungen (OMD)<br />

Der Begriff „Oromandibuläre Funktionsstörungen“<br />

wurde als Sammelbegriff der IHS <strong>für</strong> eine<br />

Zahn-Mund-Kiefer-Chirurgie<br />

Abb. 1: Ausgedehnte Alveolarfortsatzatrophie des Unterkiefers<br />

mit submukös gelegenem N. mentalis (Pfeil) vor und<br />

nach Becken-Kammaugmentation und Insertion von vier<br />

ennossalen Implantaten.<br />

Reihe von Funktionsstörungen der Kaumuskulatur,<br />

der Kiefergelenke sowie deren Begleitstrukturen<br />

gewählt. Früher gebrauchte<br />

Begriffe wie „myofaziales <strong>Schmerz</strong>-Dysfunktionssyndrom“,<br />

„Myoarthropathie“ oder „kranio-mandibuläre<br />

Dysfunktion“ werden unter<br />

den oromandibulären Funktionsstörungen<br />

subsumiert. Die diagnostischen Kriterien der<br />

IHS sind in Tabelle 2 aufgeführt.<br />

Ursächlich <strong>für</strong> dieses Beschwerdebild,<br />

dass auch unter dem historischen Begriff<br />

„Costen-Syndrom“ bekannt ist, soll nach Meinung<br />

einiger Autoren der frühzeitige Verlust<br />

der Molaren mit konsekutiver Bisssenkung<br />

sein. Die Absenkung des Kiefergelenkkopfes<br />

in die Fossa articularis führe zu einer isolierten<br />

Abb. 2: Fibröse Dysplasie des linken Oberkiefers bei einem 19-jährigen Patienten mit Beteiligung<br />

des N. infraorbitalis (Pfeil).<br />

5<br />

Martin Scheer<br />

Martin Scheer


Nicole Bögl<br />

Druckbelastung der hinteren Wand der Kiefergelenkkapsel.<br />

Über feine Zweige des in die<br />

hinteren Kapselanteile einstrahlenden N. auriculotemporalis<br />

einem Ast des N. mandibularis,<br />

können die <strong>Schmerz</strong>en in die Schläfen und<br />

Ohrregion fortgeleitet werden. Moderne Konzepte<br />

bei der Diagnostik und <strong>Therapie</strong> weisen<br />

der OMD ein weit komplexeres Störungsbild<br />

zu. Aus diesem Grund ist eine umfangreiche<br />

6<br />

Zahn-Mund-Kiefer-Chirurgie<br />

Funktionsanalyse zur Klärung<br />

der Frage, inwieweit myogene,<br />

arthrogene, diskogene,<br />

dentogene Veränderungen<br />

primärer oder sekundärer<br />

Natur sind notwendig. Als<br />

Bild gebendes Verfahren hat<br />

sich die dynamische MRT-<br />

Untersuchung des Kiefergelenkes<br />

mit geschlossenem<br />

und offenem Mund bewährt.<br />

Therapeutisch werden überwiegend<br />

neben nicht steroidalen<br />

Antiphlogistika wie Dic-<br />

lofenac und Ibuprofen individuell angefertigte<br />

Aufbissbehelfe zur muskulären Entspannung<br />

und neuromuskulären Koordination eingesetzt.<br />

Die Möglichkeiten der Aufbissbehelfe, auch<br />

Schienen genannt, sind technisch sehr unterschiedlich,<br />

sodass je nach Beschwerdebild<br />

unterschiedliche Systeme angewendet werden<br />

Tabelle 4: Stufenschema zur Abklärung von <strong>Schmerz</strong>en im Mund-Kiefer-Gesichts-Bereich<br />

1. Anamnese • Voroperationen, z.B. Wurzelspitzen- • Symptomatische Trigeminusneural-<br />

resektion oder Weisheitszahn- gie<br />

entfernungen<br />

• Kieferorthopädische Behandlungen • Okklussionstörungen, Costen-Syn-<br />

oder prothetische Neuversorgung drom<br />

• Langjähriger Tabak- und oder • Malignomausschluss<br />

Alkoholabusus<br />

• Medikamenteneinnahmen • Bisphosphonattherapie<br />

• Vorerkrankungen • Psychogene Ursache<br />

2. Klinische • Vitalitätsprobe (Kältetest) und • Ausschluss von pulpatoten bzw.<br />

Befunde apikal beherdeten Zähnen<br />

• Perkussionstest aller noch vorhan-<br />

denen Zähne<br />

• Vollständige Inspektion der Schleim- • Malignomausschluss, Zoster-Befall<br />

häute der Mundhöhle und des<br />

Oropharynx<br />

• Palpation der Kaumuskulatur und • Oromandibuläre Dysfunktion<br />

der Kiefergelenke<br />

Inspektion der Gesichtshaut und • Herpes zoster<br />

Sensibilitätsprobe der Trigeminus-<br />

äste<br />

3. Apparative • Großes Blutbild • Anämie<br />

Untersuchungen • BSG • Riesenzellarteriitis<br />

• Folsäure und Vitamin-B 12-Spiegel • Perniziöse Anämie<br />

• Eisenspiegel<br />

4. Bild gebende • Orthopantomogramm • Retinierte Zähne, Fremdkörper<br />

Verfahren • Einzelzahnfilme • Osteopathien, Styloid-Syndrom-Zys-<br />

ten und apikale Ositiden<br />

• Rö-NNH, NNH-CT • Sinusitiden<br />

• Knochenszintigraphie • Kieferosteomyelitis<br />

• MRT • Kompression von Hirnnerven,<br />

demyelisierende Erkrankungen<br />

5. Konsiliarische • HNO (Panendoskopie) • Sinusitis, Tumorausschluss<br />

Untersuchungen • Augenärztliche Untersuchung • Fehlsichtigkeit, Glaukom<br />

• Orthopädische Untersuchung • HWS-Fehlfunktionen, retropharyn-<br />

geale Tendinitis<br />

Tabelle 3: IHS-Kriterien des atypischen Gesichtsschmerzes<br />

• Der <strong>Schmerz</strong> ist täglich und über den größten Teil des Tages<br />

vorhanden.<br />

• Anfangs ist der <strong>Schmerz</strong> einseitig und in einer umschriebenen<br />

Region des Gesichtes lokalisiert. Später kann er sich auf Ober-<br />

und Unterkiefer sowie auf größere Regionen von Gesicht und<br />

Hals ausdehnen. Der <strong>Schmerz</strong> ist dumpf und schlecht lokalisierbar.<br />

• Der <strong>Schmerz</strong> ist nicht mit Gefühlsstörungen oder anderen klinischen<br />

Zeichen assoziiert.<br />

• Apparative Untersuchungen inkl. Röntgenaufnahmen des Kiefers<br />

und Gesichtsbereichs sind unauffällig.<br />

müssen. Oftmals lassen sich okklusale Fehlbelastungen,<br />

die sich durch eine konsekutive<br />

zahnärztliche <strong>Therapie</strong> eingestellt haben und<br />

über längere Zeiträume kompensiert zeigten,<br />

diagnostizieren. Die funktionelle Kompensation<br />

wurde meistens durch psychosozialen Stress<br />

gestört und kann im Rahmen der Anamnese<br />

des Beginns des <strong>Schmerz</strong>auftretens evaluiert<br />

werden. Unterstützend sollte eine krankengymnastische<br />

Behandlung in Form einer manuellen<br />

<strong>Therapie</strong> eingeleitet werden. Gute Erfolge<br />

wurden auch durch eine osteopathische Behandlung<br />

beschrieben. Die operative <strong>Therapie</strong><br />

von der OMD wird in der Literatur kontrovers<br />

diskutiert. Bei einer totalen Verlagerung des<br />

Diskus des Kiefergelenkes ohne Reposition<br />

während der Öffnungsbewegung und mit entsprechender<br />

<strong>Schmerz</strong>symptomatik sollte die<br />

Indikation <strong>für</strong> eine Exzision des Ligamentum<br />

menisco-condylare geprüft werden.<br />

Der atypische Gesichtsschmerz<br />

Beim atypischen Gesichtsschmerz handelt es<br />

sich um eine Erkrankung, die erst nach Ausschluss<br />

von bekannten primären Gesichtsschmerzsyndromen<br />

sowie sekundären Gesichtsschmerzen<br />

diagnostiziert werden sollte.<br />

Vonseiten der IHS wurden Diagnosekriterien<br />

entwickelt (Tabelle 3).<br />

In Bezug auf die Häufigkeit lassen sich<br />

keine verlässlichen Angaben machen, jedoch<br />

zeigt sich, dass Frauen deutlich häufiger betroffen<br />

sind als Männer. Der Häufigkeitsgipfel<br />

liegt im mittleren bis hohen Lebensalter. Die<br />

häufige Assoziation mit psychischen Erkrankungen<br />

lässt durch den vermehrten Nachweis<br />

von depressiven und zwanghaften Tendenzen<br />

sowie Ängstlichkeit festmachen. Vom <strong>Schmerz</strong>charakter<br />

ist beim atypischen Gesichtsschmerz<br />

ein überwiegend unilateraler Dauerschmerz<br />

der Augen, Nasen, Wange und Kieferregion<br />

zu beobachten, der schlecht lokalisierbar ist.<br />

Im Gegensatz zur Trigeminusneuralgie lassen<br />

sich keine Triggermechanismen oder Sekundenschmerzen<br />

nachweisen, obwohl auch attackenartige<br />

<strong>Schmerz</strong>sensationen beschrieben<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


Archiv<br />

werden. Die Pathogenese des atypischen<br />

Gesichtsschmerzes ist bislang noch nicht vollständig<br />

geklärt. Während von einigen Autoren<br />

eine psychogene Ursache angenommen wird,<br />

sehen andere Autoren eine atypische Odontalgie<br />

im Sinne eines Phantomschmerzes nach<br />

multiplen Voroperationen als entscheidenden<br />

Pathomechanismus an. In der Tat berichtet ein<br />

Großteil der Patienten in der mund-kiefer-gesichtschirurgischen<br />

Praxis mit der Diagnose<br />

atypischer Gesichtsschmerz über vielfache<br />

Voroperationen, die im Extremfall den Verlust<br />

sämtlicher Zähne zur Folge haben können.<br />

Nicht selten werden diese Patienten auch von<br />

Zahnärzten mit der Diagnose chronisches<br />

Schleimhaut- oder Zungenbrennen in Spezialsprechstunden<br />

<strong>für</strong> Mundschleimhauterkrankungen<br />

vorstellig. Unter der Bezeichnung<br />

Zungen- und Schleimhautbrennen werden<br />

Missempfindungen verstanden, die von den<br />

betroffenen Patienten als brennendes, wundes<br />

Gefühl, als Kribbeln, Jucken, mitunter<br />

auch als stechender <strong>Schmerz</strong>, verbunden mit<br />

Störungen des Geschmacks und der Speichelbildung,<br />

beschrieben werden. Derartige<br />

Beschwerden können als Begleitsymptom bei<br />

allgemeinen Erkrankungen oder bei Mundschleimhautveränderungen<br />

auftreten.<br />

Burning-Mouth-Syndrom<br />

Ebenso können sie Hauptsymptom einer eigenständigen<br />

Krankheit sein, die in der wis-<br />

Impfung gegen Herpes?<br />

Der neue Impfstoff gegen Herpes zoster<br />

schützt Ältere vor dem Auftreten von<br />

Herpes zoster und der postherpetischen Neuralgie.<br />

Da die Vakzine gut verträglich ist, ist die<br />

Impfung auch <strong>für</strong> ältere Menschen zu diskutieren.<br />

Zu diesem Fazit kommen M.N. Oxman et<br />

al. nach einer großen epidemiologischen Studie<br />

an 38 546 über 60-jährigen Menschen, die<br />

plazebokontrolliert doppelblind entweder mit<br />

der Varizella-zoster-Vakzine von Oka-Merck<br />

Akute Zostererkrankungen gefährden besonders<br />

Ältere.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

senschaftlichen Fachliteratur heute als Burning-Mouth-Syndrom<br />

(BMS) bezeichnet wird.<br />

Pathogenetisch tritt das Zungen- und<br />

Schleimhautbrennen im Zusammenhang mit<br />

verschiedenen Bluterkrankungen (z. B. Eisenmangelanämie<br />

und perniziöse Anämie),<br />

Diabetes mellitus oder bei Durchblutungsstörungen<br />

sowie Vitaminmangel auf. Es ist aber<br />

auch als Folge einer extremen Trockenheit<br />

der Mundschleimhaut (Xerostomie) bei bestimmten<br />

rheumatischen Erkrankungen und<br />

bei Medikamenteneinnahme (z.B. Psychopharmaka,<br />

Diuretika) als Nebenwirkung beschrieben<br />

worden.<br />

Entsprechend der Definition des atypischen<br />

Gesichtsschmerzes ist die Rolle des<br />

Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgen darin zu<br />

sehen, anhand klinischer und röntgenologischer<br />

Befunde andere Ursachen <strong>für</strong> die geäußerten<br />

Beschwerden auszuschließen. Für die<br />

tägliche zahnärztliche oder mund-, kiefer- und<br />

gesichtschirurgische Praxis hat sich das in<br />

Tabelle 4 dargestellte diagnostische Stufenschema<br />

bei der Abklärung unklarer <strong>Schmerz</strong>en<br />

bewährt.<br />

Zusammenfassung<br />

Aus der Diagnostik und <strong>Therapie</strong> von akuten<br />

oder chronischen Kiefer- und Gesichtsschmerzen<br />

ist das Fachgebiet der Mund-, Kiefer- und<br />

Gesichtschirurgie nicht wegzudenken. Die klinische<br />

Erfahrung zeigt, dass sich durch eine<br />

oder Plazebo geimpft wurden. Primäre<br />

Studienendpunkte waren die Schwere, Inzidenz<br />

und Dauer des akuten Zosters und der<br />

sekundäre Studienendpunkt war die Häufigkeit<br />

des Auftretens von postherpetischen Neuralgien.<br />

Über 95% der Studienteilnehmer wurden<br />

<strong>für</strong> 3,12 Jahre nachuntersucht. In diesem Zeitraum<br />

wurden 957 Zostererkrankungen diagnostiziert:<br />

Davon traten 315 unter den geimpften<br />

und 642 unter den nicht geimpften Menschen<br />

auf. Von den 107 postherpetischen<br />

Neuralgien betrafen 27 geimpfte und 80 Plazebopatienten.<br />

Der Impfstoff reduzierte demnach<br />

das Risiko einer akuten Erkrankung um 51%<br />

und die Gefahr der ge<strong>für</strong>chteten postherpetischen<br />

Neuralgie um 66,5%. Da die Nebenwirkungen<br />

in der Regel lediglich mild waren,<br />

scheint der Impfstoff damit auch <strong>für</strong> über 60-<br />

Jährige sinnvoll.<br />

Oxman, M.N., et al.: A vaccine to prevent herpes<br />

zoster and postherpetic neuralgia in older<br />

adults. New Engl. J. Med. 352, 2005, 2271–<br />

2284.<br />

Nicole Bögl<br />

Internationale Presse<br />

ausführliche Anamnese und gründliche Befunderhebung<br />

eine Vielzahl von kostenintensiven<br />

Untersuchungen und invasiven <strong>Therapie</strong>n<br />

bei den zahnärztlich geprägten Beschwerdebildern<br />

verhindern ließe. Die Komplexität der<br />

geäußerten <strong>Schmerz</strong>en sollte eine bedarfsgerechte<br />

multidisziplinäre <strong>Therapie</strong>, insbesondere<br />

im Hinblick auf die häufig nachweisbare<br />

psychische Komponente, nach sich ziehen.<br />

Dabei ist die Art der zahnärztlichen Versorgung<br />

als Triggerfunktion <strong>für</strong> das Beschwerdebild<br />

zu überprüfen.<br />

Infotelegramm<br />

Martin Scheer, Jörg Neugebauer,<br />

Hans Joachim Zöller, Köln<br />

Genpolymorphismus verändert<br />

Morphinbedarf<br />

Der Polymorphismus des Val158Met verändert<br />

die Aktivität der Catechol-O-Methyltransferase<br />

und damit auch die <strong>Schmerz</strong>empfindlichkeit.<br />

Während Met/Met-Genotypträger<br />

weniger Morphin zur <strong>Schmerz</strong>linderung<br />

brauchen (95–99 mg/Tag) benötigen<br />

Patienten mit dem Genotyp Val/Val<br />

(155–160 mg Morphin täglich) (Pain 2005,<br />

Epub).<br />

Rezeptor <strong>für</strong> sekundäre Hyperalgesie<br />

identifiziert<br />

Die sekundäre Hyperalgesie nach einer<br />

Operation wird durch kalziumpermeable<br />

Aminohydroxy-Methylisoxazol-Propionsäure-(AMPA)-Rezeptoren<br />

vermittelt, entdeckte<br />

die Arbeitsgruppe von Dr. med. Esther<br />

Pogatzki-Zahn, Münster, und wurde da<strong>für</strong><br />

mit dem Sertürner Forschungspreis 2005<br />

der Firma Mundipharma ausgezeichnet.<br />

7


Die kraniomandibuläre Orthopädie<br />

in der <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

Hartnäckige Kopf- und Gesichtsschmerzen haben oft ihre Quelle in kraniomandibulären<br />

Fehlstellungen. Daher sollte die Myozentrik des Kiefers<br />

bei der interdisziplinären Abklärung mit berücksichtigt werden, erläutert<br />

Dr. Rainer Schöttl, Erlangen, und illustriert dies anhand einer eindrucksvollen<br />

Kasuistik.<br />

Obwohl der <strong>Schmerz</strong> und dessen Behandlung<br />

bzw. Ausschaltung von jeher<br />

auf das Engste mit der Zahnheilkunde verknüpft<br />

war, fällt es dem Zahnarzt nicht selten<br />

schwer, mit einem abstrakten Konzept des<br />

<strong>Schmerz</strong>es bzw. des chronischen <strong>Schmerz</strong>es<br />

klinisch umzugehen. Die <strong>Schmerz</strong>en, mit denen<br />

sich der Zahnarzt gewöhnlich konfrontiert<br />

sieht, haben eine klare Ursache, und die adäquate<br />

<strong>Therapie</strong> ist kaum umstritten.<br />

Gerade die zunehmende Involvierung<br />

des Zahnarztes im schmerztherapeutischen<br />

Team zwingt aber zum Umdenken. So muss<br />

etwa ein Streitpunkt bezüglich der „richtigen“<br />

Zuordnung der Mandibula zum Kranium in der<br />

Okklusion der Zähne, der seit über 100 Jahren<br />

keiner Klärung zugeführt werden konnte,<br />

neu überdacht werden. Diese Okklusion der<br />

Zähne ist beim Menschen ein komplizierter<br />

Vorgang, denn die härteste Substanz, die der<br />

menschliche Körper hervorzubringen vermag,<br />

der Zahnschmelz, muss in seiner sehr komplexen<br />

Form mit Höckern und Fossae ohne puffernde<br />

Weichgewebe in unmittelbaren Kontakt<br />

gebracht werden. Und das mit einem Kraftpotenzial,<br />

das ausreicht, um diese Strukturen zu<br />

zerstören. Dabei stellt nicht nur die dreidimensionale<br />

Form der aus 32 Zähnen bestehenden<br />

Zahnbögen hohe Anforderungen, sondern<br />

auch die Tatsache, dass der Unterkiefer die<br />

gesamte HWS überspannend zwischen dem<br />

Kranium und dem Torso bewegt wird, was in<br />

Abhängigkeit von der Kopfhaltung unterschiedliche<br />

Muskelspiele notwendig macht.<br />

8<br />

Myozentrik<br />

Bildarchiv Schöttl<br />

Für die Bestimmung der „richtigen“ Unterkieferlage<br />

hat sich ein Verfahren etabliert,<br />

bei dem der Zahnarzt Grenzbewegungen und<br />

–positionen des Unterkiefers mit kompliziert<br />

anmutenden Apparaten vermisst. Als Hauptkriterium<br />

dient hier zumeist die Wiederholbarkeit,<br />

mit der der Unterkiefer des Patienten an<br />

eine bestimmte Position geführt werden kann,<br />

weil dies die Herstellung und Anpassung von<br />

Zahnersatz vereinfacht.<br />

Unglücklicherweise haben wir es gerade<br />

beim menschlichen Kausystem mit einer sehr<br />

veränderbaren Struktur zu tun: Zähne können<br />

sich verschieben, und auch die Kiefergelenke<br />

können ihre Form und Position in erheblichem<br />

Umfang „remodellieren“, sodass Grenzstellungen<br />

auch weitab von orthopädisch/physiologisch<br />

neutralen Zonen ermittelbar sein<br />

können, wo sie zwar reproduzierbar sind, aber<br />

dem Körper erhebliche Anstrengungen abverlangen<br />

und chronische Muskeldysfunktionen<br />

unterhalten.<br />

Chronische Dysbalancen<br />

durch Fehlstellung<br />

Jankelson hat jedoch frühzeitig erkannt, dass<br />

sinnvolle Parameter dem chronisch erkrankten<br />

menschlichen Kausystem nur dann zu entnehmen<br />

sind, wenn solche Anpassungen, die hier<br />

unweigerlich mit Veränderungen und Asymmet<br />

rien der Muskelspannung einhergehen, zuvor<br />

therapeutisch neutralisiert wurden. Ein essenzieller<br />

Anteil seiner Myozentrik ist daher die<br />

Entspannung und „Deprogrammierung“ der<br />

beteiligten Muskulatur<br />

vor einer Bissregistrierung.<br />

In einemBewegungssystem<br />

mit der<br />

Komplexität des<br />

kraniomandibulä-<br />

Dr. Rainer Schöttl,<br />

Erlangen<br />

ren Systems ergibt sich eine kaum zu überblickende<br />

Fülle an Fehlermöglichkeiten bei der<br />

Bissregistrierung, sodass am Ende weniger<br />

die Frage steht, ob eine Zuordnung der Mandibula<br />

„richtig“ ist, als die, ob der Patient diese<br />

Kieferstellung, welche durch die okklusale Rekonstruktion<br />

dann ja fixiert wird, irgendwie<br />

adaptieren kann, oder ob er Beschwerden damit<br />

(oder davon) bekommt.<br />

Gerade bei der Mitarbeit im schmerztherapeutischen<br />

Team muss sich der Zahnarzt<br />

von der selbst gestellten Zielsetzung<br />

wegbewegen, mit viel apparatetechnischem<br />

Aufwand eine endgültig „richtige“ Okklusalposition<br />

ermitteln zu müssen, wie das bei einer<br />

prothetischen Rekonstruktion erforderlich sein<br />

mag, und sich stattdessen der Exploration<br />

der Zusammenhänge und Wechselspiele mit<br />

einfachen (und auch nicht so teuren) Mitteln<br />

widmen. Die Frage, die es den Teamkollegen<br />

zu beantworten gilt, ist, ob okklusale Faktoren<br />

(„der Biss“) das <strong>Schmerz</strong>geschehen unterhalten<br />

oder nicht. Und hier kommt es auch bei<br />

langfristig chronifizierten Prozessen nicht selten<br />

zu erstaunlichen Erkenntnissen, wie das<br />

folgende Fallbeispiel zeigen soll.<br />

Fallbeispiel<br />

Frau S. klagte über Gesichtsschmerzen rechts,<br />

welche gegenüber diversen Behandlungsversuchen<br />

unterschiedlicher medizinischer Fachrichtungen<br />

wie auch gegen eine bereits erfolgte<br />

Aufbissschienentherapie refraktär geblieben<br />

waren. Zudem litt sie unter häufig wiederkeh-<br />

Abb. 1a–1c: Bei der Patientin waren über die Jahre mehrmals Zahnrestaurationen durchgeführt worden, anlässlich derer mehrere Bissregistrierungen<br />

erfolgt waren. Die Lücken der unteren Molaren waren jedoch nie ersetzt worden.<br />

Bildarchiv Schöttl<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

Bildarchiv Schöttl


Bildarchiv Schöttl<br />

Abb. 2: Spontan völlig neue Kieferrelation.<br />

renden Blockaden in der oberen HWS. Die<br />

neuromuskuläre Funktionsuntersuchung hatte,<br />

neben einer Lateralskoliose und lokaler Myopathie<br />

der Kopf- und Nackenmuskulatur mit<br />

myofaszialer <strong>Schmerz</strong>projektion in das Symptomgebiet,<br />

auch eine beidseitige Diskusdislokation,<br />

rechts blockierend und links reponierend,<br />

ergeben.<br />

Das Gesicht der Patientin war asymmetrisch,<br />

was gelegentlich auch als „Gesichtsskoliose“<br />

bezeichnet wird. In der habituellen<br />

Position war die untere Schneidezahnmitte<br />

nach rechts verschoben und es<br />

entstand eine asymmetrische Relation<br />

der Eckzähne. Auch die obere Schneidezahnmitte<br />

war zum Kranium etwas nach<br />

rechts verschoben.<br />

Nach Tragen eines einfachen vorkonfektionierten<br />

Wasserkissens (Aqualizer<br />

) und 40-minütiger Administration von<br />

niederfrequenter (0,6 Hz) TENS-Thera-<br />

Bildarchiv Schöttl<br />

pie zur Massage und Entspannung und<br />

Deprogrammierung der Kaumuskulatur<br />

entstand spontan eine völlig neue Kieferrelation<br />

(Abb. 2).<br />

Durch die <strong>Therapie</strong> hatte sich der<br />

Unterkiefer der Patientin, bilateral auf<br />

den Wasserpolstern des Aqualizers abgestützt,<br />

bei aufrechter Körperhaltung ohne<br />

Manipulation von außen eine neue, mittige<br />

Stellung gesucht, welche etwa 2 mm links zu<br />

der habituellen Bissstellung lag. Solange die<br />

Patientin nicht in diese habituelle Okklusion<br />

zugebissen hatte, konnte sie den Unterkiefer<br />

aus dieser entspannten Ruheposition ohne die<br />

gewohnten Knackgeräusche in die<br />

maximale Öffnung bringen.<br />

Diese entspannte Kieferrelation<br />

möglichst fehlerfrei in einem Bissregistrat<br />

festzuhalten, damit sie mit<br />

den Zahnmodellen in einen Artikulator<br />

übertragen werden kann, das<br />

ist das Ziel der myozentrischen<br />

Bissnahmetechnik.<br />

Woher kam die eklatante<br />

Fehlrelation der Kiefer?<br />

Ein Faktor dürfte die Extraktionen der Molaren<br />

im Unterkiefer gewesen sein. Beide Lücken<br />

weisen nicht mehr die Breite der extrahierten<br />

Molaren auf, aber der rechte Molar wurde bereits<br />

vor 20 Jahren entfernt. In dessen Lücke<br />

sind die distalen Molaren so weit eingekippt,<br />

dass sie fast geschlossen ist. Mit dieser Zahnwanderung<br />

ging ein Verlust an posteriorer<br />

dentaler Abstützung einher, rechts dramati-<br />

Abb. 3: Berührungsfreie Aufzeichnung der Kieferrelation<br />

nach der <strong>Therapie</strong>, bevor die Patientin ihre habituelle<br />

Okklusion wieder eingenommen hatte.<br />

scher noch als links, wie auch an der Prämolarenrelation<br />

zu erkennen ist. Vermutlich war<br />

das rechte Kiefergelenk irgendwann an einer<br />

adaptiven Grenze angelangt und es kam zur<br />

Diskusverlagerung. Bei späteren Bissregistrierungen<br />

im Liegen war der Unterkiefer der Patientin<br />

wiederholt nach retral manipuliert worden,<br />

die geschwächte rechte Seite hatte mehr<br />

nachgegeben als die damals noch gesunde<br />

linke, und die mandibuläre Seitverlagerung<br />

nach rechts war von den Behandlern nicht nur<br />

unbemerkt geblieben, sondern bei sukzessiven<br />

Bissregistrierungen jeweils noch verstärkt<br />

worden. Welches sind die praktischen Implikationen<br />

einer solchen „orthopädischen“ Zuordnung<br />

der Kiefer?<br />

Im Rahmen der okklusalen <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

lässt sich der Unterkiefer erst einmal in<br />

dieser Position mit einem einfachem Aufbissbehelf<br />

wie dem Myozeptor abstützen. Die Praxis<br />

gab diesen theoretischen Betrachtungen<br />

Recht: Nach einer Eingewöhnungsphase von<br />

wenigen Tagen bemerkte die Patientin erstmals<br />

seit Jahren eine Veränderung. In den<br />

folgenden beiden Wochen blieben die HWS-<br />

Blockaden aus und die Gesichtsschmerzen<br />

ließen nach. Die Patientin hatte das Gefühl, als<br />

sei ein Druck aus ihrem Schädel entwichen.<br />

Nach drei Wochen führte eine ungünstige<br />

Drehbewegung zur erneuten Blockade<br />

in der HWS und die Gesichtsschmerzen<br />

nahmen wieder etwas zu. Bei einer Kontrolle<br />

nach zuvor erfolgter Deblockierung<br />

beim Manualtherapeuten und Entspannungstherapie<br />

der Kaumuskulatur konnte<br />

die mittige Position des Unterkiefers erneut<br />

verifiziert werden, aber es bestand<br />

auf dem Aufbissbehelf auf der rechten<br />

Seite erneut etwas Infraokklusion. Nachdem<br />

diese aufgebaut wurde, hatte die<br />

Patientin spontan ein stabiles Gefühl in<br />

dem Sinne, dass sie nun den Kopf frei<br />

bewegen konnte, ohne Furcht, dass in<br />

der HWS „etwas herausspringen“ würde.<br />

Der Druck im Kopf war bereits während<br />

der Vorbehandlung gewichen.<br />

Zwischenzeitlich wurde die Patientin weitere<br />

sechs Monate beobachtet. Es hat eine skelettale<br />

Neuausrichtung in der gesamten Haltungskette<br />

stattgefunden, welche sich stabilisiert<br />

hat. Die Patientin ist erstaunlich resistent<br />

gegen ihre <strong>Schmerz</strong>attacken geworden, welche<br />

sie früher bei der geringsten Unvorsichtigkeit<br />

bei Kopf- und Körperbewegungen begleitet<br />

Abb. 4 a–4c: Die myozentrische Zuordnung löst die Seitverschiebung des Unterkiefers aus der Körpermitte auf und bringt eine posteriore<br />

Hypookklusion sowie eine anteriore Hyperokklusion zutage.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

Bildarchiv Schöttl<br />

Bildarchiv Schöttl<br />

Myozentrik<br />

9<br />

Bildarchiv Schöttl


Bildarchiv Schöttl<br />

Geriatrie<br />

Abb. 5: Der Unterkiefer-Zahnbogen ist aufgrund<br />

der rechts fast zugewanderten Molarenlücke<br />

asymmetrisch.<br />

hatten. Um ihrem Wunsch nach einer stabilen<br />

und mittigen Kieferlage zu entsprechen, wird<br />

eine kombinierte kieferorthopädisch-zahnprothetische<br />

Maßnahme erforderlich sein, um<br />

diese Position auf den eigenen Zähnen ohne<br />

Aufbissbehelf zu realisieren.<br />

10<br />

Natürlich kann <strong>für</strong> eine erfolgreiche<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie auch ein völlig anderer Weg<br />

erforderlich sein. Diese Entscheidung hätte<br />

dann jedoch sehr frühzeitig getroffen werden<br />

können, in einer Phase, in der vergleichsweise<br />

unverbindliche Tests gezeigt hätten, dass<br />

der Einfluss der Okklusion auf das Gesamtgeschehen<br />

eine untergeordnete Rolle spielt,<br />

noch bevor aufwändige und teure Maßnahmen<br />

durch den Zahnarzt eingeleitet wurden.<br />

Literatur<br />

Mongini F: Occlusion and the Temporomandibular<br />

Joint. In Lundeen H, Gibbs C: Advances in<br />

Occlusion. Postgraduate Dental Handbook Series,<br />

Vol 14. John Wright PSG:88-103, 1982.<br />

ISBN 0-88416-168-4<br />

Jankelson B: A technique for obtaining optimum<br />

functional relationship for the natural dentition.<br />

Dental Clinic, 1960<br />

MediPlus Verlagsgesellschaft, Kolmhof 2, 91364<br />

Unterleinleiter, www.mediplus.org<br />

Kopf- und Gesichtsschmerz im Alter<br />

Kopfschmerzen bei Älteren bedürfen einer besonders sorgfältigen Abklärung,<br />

und auch die <strong>Therapie</strong> erfordert viel Fingerspitzengefühl, da viele<br />

Arzneimittel kontraindiziert sind oder aufgrund ihrer Interaktionen ausscheiden.<br />

Über die Besonderheiten des Kopf- und Gesichtsschmerzes im<br />

Alter informiert Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Hartmut Göbel, regionaler DGS-<br />

Leiter, <strong>Schmerz</strong>klinik Kiel.<br />

Epidemiologie<br />

Die Einjahresprävalenz <strong>für</strong> Kopfschmerzen<br />

über alle Altersspannen liegt in Deutschland<br />

bei 75% der Männer und 80% der Frauen. Mit<br />

zunehmendem Alter finden sich weniger Kopfschmerzerkrankungen<br />

in der Bevölkerung.<br />

Verschiedene epidemiologische Studien zeigen,<br />

dass die Häufigkeit von Kopfschmerzen in<br />

der Altersspanne 70 Jahre und älter zwischen<br />

14% und 53% liegt. Häufig auftretende Kopfschmerzen<br />

finden sich in dieser Altersgruppe<br />

bei 11%–17%. Nur etwa 5% der Männer und<br />

10% der Frauen jenseits des 70. Lebensjahrs<br />

klagen über schwere Kopfschmerzen.<br />

Während im jugendlichen Alter Kopfschmerzen<br />

die häufigsten Beschwerden darstellen,<br />

rücken sie im Alter über 65 Jahren auf<br />

den achten Rang zurück. Für den einzelnen<br />

von Kopfschmerzen Betroffenen sind diese<br />

Zahlen jedoch wenig tröstend. Gerade im Alter<br />

können Kopfschmerzen besonders stark und<br />

lang anhaltend auftreten und die Lebensqualität<br />

der Patienten so dramatisch einschränken,<br />

dass nur noch der Suizid als Ausweg gesehen<br />

wird [2, 3].<br />

Altersabhängigkeit von Kopfschmerzerkrankungen<br />

Die Migräne mit ihren zahlreichen Unterformen<br />

tritt in großer Häufigkeit in den ersten vier Lebensdekaden<br />

auf, um dann mit zunehmendem<br />

Alter abzunehmen. Clusterkopfschmerzen und<br />

Tabelle 1: Die zehn häufigsten Beschwerden<br />

in der deutschen Altenbevölkerung<br />

2001.<br />

Beschwerden Häufigkeit<br />

1. Kreuzschmerzen 22,9%<br />

2. Gliederschmerzen 22,8%<br />

3. Nackenschmerzen 18,4%<br />

4. Erschöpfbarkeit 9,8%<br />

5. Müdigkeit in den Beinen 8,8%<br />

6. Mattigkeit 8,8%<br />

7. Müdigkeit 8,8%<br />

8. Kopfschmerzen 7,8%<br />

9. Herzklopfen 7,8%<br />

10. Schwächegefühl 6,9%<br />

Aufgelistet sind die Antwortkategorien<br />

„erheblich“ und „stark“, die von den Befragten<br />

angegeben worden sind [1].<br />

Abb. 6: Die vorläufige Abstützung der Kiefer<br />

auf einem Myozeptor im Rahmen der<br />

okklusalen <strong>Schmerz</strong>therapie.<br />

Schöttl R: Die Myozentrik-Einstellung des Unterkiefers<br />

in die muskuläre Harmonie. Manuelle<br />

Medizin 42;3,2004:236–245 ISSN: 0025-2514<br />

Schöttl R.: Die initiale Aufbisstherapie mit dem<br />

Myozeptor. ICCMO Kompendium 2004, ISBN 3-<br />

9809342-1-7, 2005:83–94.<br />

episodische Kopfschmerzen<br />

vom<br />

Spannungstyp finden<br />

sich im Erwachsenenalter<br />

mit<br />

weitestgehend stabiler<br />

Prävalenz.<br />

Eine zunehmende<br />

Häufigkeit mit stei-<br />

Hartmut Göbel,<br />

<strong>Schmerz</strong>klinik Kiel<br />

gendem Lebensalter zeigen chronische Kopfschmerzen<br />

vom Spannungstyp, intrakranielle<br />

Läsionen, medikamenteninduzierte Kopfschmerzen<br />

und metabolisch bedingte Kopfschmerzen.<br />

Letztere schließen Kopfschmerzen<br />

bei Anämie, Hypoxie, Hyperkalzämie, Hypernatriämie<br />

sowie chronischen Leber- und Nierenfunktionsstörungen<br />

ein. Auch zerebrovaskuläre<br />

Erkrankungen sind im höheren Alter <strong>für</strong><br />

Kopfschmerzen häufiger verantwortlich als in<br />

jüngeren Jahren.<br />

Typische Alterserkrankungen, die mit<br />

Kopfschmerzen einhergehen, sind<br />

• die Riesenzellarteriitis (Horton-Syndrom,<br />

Arteriitis temporalis) - eine sehr seltene Entzündung<br />

der Kopfarterien (vor allem der<br />

Schläfenarterien),<br />

• Hirntumoren und Hirnmetastasen,<br />

• subdurales Hämatom (z.B. als Folge eines<br />

Schädel-Hirn-Traumas),<br />

• Neuralgien (z.B. die Trigeminusneuralgie<br />

oder die postherpetische Neuralgie),<br />

• zerebrale Gefäßprozesse (im Rahmen von<br />

Erkrankungen der Hirnarterien),<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

Bildarchiv Schöttl


• entzündliche Prozesse im Bereich der Halswirbelsäule<br />

(Spondylarthritis),<br />

• chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen,<br />

• degenerative Erkrankungen des ZNS (z.B.<br />

bei Morbus Parkinson),<br />

• schlafassoziierte Kopfschmerzen, engl.<br />

„Hypnic Headache“ (Die Betroffenen werden<br />

ein bis zweimal pro Nacht – und zwar in der<br />

Regel jede Nacht – durch einen Kopfschmerzanfall<br />

aus dem Schlaf gerissen, der<br />

eine halbe Stunde oder länger andauert).<br />

Auch im Alter finden sich somit primäre<br />

und sekundäre Kopfschmerzen. Da<br />

sekundäre Kopfschmerzen im Alter jedoch<br />

mit größerer Häufigkeit auftreten als in jüngeren<br />

Lebensjahren, muss die allgemeine<br />

und neurologische Untersuchung von<br />

älteren Patienten besonders sorgfältig<br />

erfolgen.<br />

Beim Neuauftreten von primären<br />

Kopfschmerzen im höheren Alter muss<br />

immer an sekundäre Ursachen gedacht<br />

und sorgfältig nach strukturellen Läsionen<br />

gefahndet werden. Dies erfordert auch<br />

häufiger den Einsatz von Zusatzuntersuchungen<br />

in Form von Labordiagnostik<br />

oder Bild gebenden Verfahren [4-7].<br />

Primäre Kopfschmerzformen<br />

Migräne<br />

Nur circa 2–3% der Migränepatienten erleiden<br />

ihre erste Migräneattacke jenseits<br />

des Alters von 50 Jahren. Über dem 65.<br />

Lebensjahr sind nur rund 2,9–10,5% der<br />

Menschen überhaupt von Migräneattacken<br />

betroffen.<br />

Mit dem Alter kann sich die Phänotypologie<br />

der Migräneattacken ändern. So ist die<br />

Häufigkeit von Migräneauren im Alter geringer<br />

als in jüngeren Jahren, Migränepatienten verlieren<br />

beim Älterwerden die Wahrscheinlichkeit<br />

<strong>für</strong> die Entstehung von Auren. Mit zunehmendem<br />

Voranschreiten des Alters können jedoch<br />

auch neue Migräneunterformen prägnant<br />

werden, zumeist die Migräneaura ohne Kopfschmerz.<br />

Bei dieser Form treten nur noch Auren<br />

auf, ohne dass eine Kopfschmerzphase<br />

folgt [8].<br />

Begleiterkrankungen, die im Alter häufiger<br />

auftreten können als in jüngeren Jahren,<br />

können die Behandlung der Migräneattacken<br />

erschweren und die Symptome der Migräneanfälle<br />

intensivieren. Dies gilt beispielsweise<br />

<strong>für</strong> L-Dopa. Andererseits können Arzneimittel,<br />

die zur Behandlung von Erkrankungen im Alter<br />

vermehrt eingesetzt werden, den Migräneverlauf<br />

abschwächen, beispielsweise Beta-Rezeptorenblocker<br />

oder Kalziumantagonisten<br />

zur Behandlung der Hypertonie. Eine zereb-<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

Archiv Urban&Vogel<br />

rale Hypoxie, die paroxysmal aufgrund einer<br />

ischämischen Herzerkrankung auftritt, kann<br />

sich durch eine Behandlung mit Nitraten verbessern.<br />

Andererseits können jedoch gerade<br />

Nitrate zu substanzinduzierten Kopfschmerzen<br />

führen. Diese durch Nitrate ausgelösten<br />

Kopfschmerzen weisen sehr häufig auch die<br />

Phänotypologie von Migräneattacken auf und<br />

können dann nur schwer von spontanen Migräneattacken<br />

unterschieden werden.<br />

Die Attackenkupierung der Migräne ist im<br />

Alter erschwert. Die Triptane sind nur bis zum<br />

Patienten malen ihren <strong>Schmerz</strong> ...<br />

65. Lebensjahr zugelassen, da <strong>für</strong> höhere Altersjahrgänge<br />

keine klinischen Studien durchgeführt<br />

wurden. Besonders problematisch ist<br />

diese Situation, wenn Patientinnen oder Patienten<br />

bis zum 65. Lebensjahr sehr gut auf Triptane<br />

reagiert haben, d.h. wenn diese sowohl<br />

hocheffektiv als auch verträglich waren. Bei<br />

gleichzeitiger Ineffektivität von Analgetika, ist<br />

eine Beherrschung der Migräneattacken dann<br />

bei einem Verzicht auf Triptane praktisch nicht<br />

möglich.<br />

Dies gilt auch, wenn Erkrankungen im<br />

Alter auftreten, die Kontraindikationen <strong>für</strong> Triptane<br />

darstellen wie zum Beispiel eine schwere<br />

arterielle Hypertonie oder zerebrovaskuläre<br />

Erkrankungen. Alterserkrankungen können<br />

auch den Einsatz einer Reihe von Prophylaktika<br />

verbieten. Genannt seien hier Flunarizin<br />

bei Bestehen einer Altersdepression oder trizyklische<br />

Antidepressiva bei Vorliegen eines<br />

Glaukoms oder von Herzerkrankungen.<br />

Aufgrund unterschiedlicher Metabolisierungsmechanismen<br />

und der unterschiedli-<br />

Geriatrie<br />

chen Verteilung von Fettgewebe sind Pharmakokinetik<br />

und Pharmakodynamik im Alter im<br />

Vergleich zu jüngeren Jahrgängen verändert.<br />

Daher können sich Verträglichkeit und Wirksamkeit<br />

von Arzneimitteln im Alter deutlich<br />

verändern. Zentrale Nebenwirkungen wie zum<br />

Beispiel Müdigkeit oder Konzentrationsstörungen<br />

sind im Alter häufiger anzutreffen als in<br />

jüngeren Jahren. Dies gilt insbesondere dann,<br />

wenn eine Dehydration vorliegt. Bei der <strong>Therapie</strong>ein-<br />

und -umstellung gilt daher gerade im<br />

Alter, dass man sehr vorsichtig ein- und nur<br />

langsam aufdosiert. Dieses Vorgehen<br />

ist Voraussetzung <strong>für</strong> eine optimale<br />

Verträglichkeit und das Vermeiden von<br />

Nebenwirkungen.<br />

Der Einsatz von nicht steroidalen<br />

Antiphlogistika kann im erhöhten<br />

Lebensalter mit größerer Wahrscheinlichkeit<br />

die Magenschleimhaut irritieren<br />

oder gar Ulzera bedingen. Darüber hinaus<br />

können Interaktionen mit Antikoagulanzien,<br />

Antihypertensiva, Digoxin<br />

und Hypoglykämika sowie Diuretika<br />

eintreten. Auch aus diesen Gründen<br />

sollten im höheren Lebensalter verhaltensmedizinische<strong>Therapie</strong>maßnahmen<br />

besonders intensiv genutzt<br />

werden, um arzneimittelbedingte Nebenwirkungen<br />

zu reduzieren. Dazu<br />

gehören in erster Linie das Einhalten<br />

eines regelmäßigen Schlaf-Wach-<br />

Rhythmus, die Vermeidung von Triggerfaktoren,<br />

eine regelmäßige Ernährung<br />

und ausreichende Flüssigkeitszufuhr.<br />

Das Erlernen eines Entspannungstrainings<br />

sollte ebenfalls zum <strong>Therapie</strong>programm<br />

gehören. Aber auch die Vermeidung<br />

übermäßiger Koffeinzufuhr sollte bedacht<br />

werden. Schließlich sollte die <strong>Therapie</strong> von<br />

Begleiterkrankungen, insbesondere Depressionen,<br />

Stressstörungen sowie einer arteriellen<br />

Hypertonie, berücksichtigt werden.<br />

Kopfschmerzen vom Spannungstyp<br />

Die Häufigkeit des episodischen Kopfschmerzes<br />

vom Spannungstyp ist in der Lebensspanne<br />

weit gehend konstant. Der chronische Kopfschmerz<br />

vom Spannungstyp findet sich dagegen<br />

im höheren Lebensalter häufiger. Während<br />

bis zum 30. Lebensjahr nur 2% der Bevölkerung<br />

betroffen sind, leiden im Alter über 60<br />

Jahren 4% an dieser Kopfschmerzform.<br />

Die Behandlung des Kopfschmerzes vom<br />

Spannungstyp muss im Alter besonders auf<br />

aggravierende Faktoren der chronischen Verlaufsform<br />

ausgerichtet sein. Hierzu gehören<br />

• die oromandibuläre Dysfunktion (z.B. aufgrund<br />

einer Hyperaktivität des M. masseter<br />

oder des M. temporalis),<br />

11


Geriatrie<br />

• Angst,<br />

• Depression,<br />

• psychosozialer Stress,<br />

• muskulärer Stress,<br />

• Medikamentenübergebrauch.<br />

Bei der Behandlung von<br />

episodischen Kopfschmerzen<br />

vom Spannungstyp sollte besonders<br />

darauf geachtet werden,<br />

daß Kombinationsanalgetika,<br />

die psychotrope Substanzen<br />

wie zum Beispiel Koffein oder<br />

Codein beinhalten, beim älteren<br />

Patienten besonders ausgeprägt<br />

zentralnervöse Nebenwirkungen<br />

verursachen können und sehr<br />

schnell auch zu einer Abhängigkeit<br />

und Gewöhnung führen. Folge ist dann ein<br />

medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz<br />

mit weiterer Chronifizierung. Auch beim chronischen<br />

Kopfschmerz vom Spannungstyp muss<br />

darauf geachtet werden, dass dem Patienten<br />

verhaltensmedizinische <strong>Therapie</strong>verfahren eröffnet<br />

werden.<br />

Clusterkopfschmerzen<br />

Clusterkopfschmerzen finden sich im höheren<br />

Alter nur sehr selten. Wenn vorhanden, bestehen<br />

sie in ihrer episodischen oder chronischen<br />

Verlaufsform schon seit vielen Jahren oder gar<br />

Jahrzehnten. De novo treten Clusterkopfschmerzattacken<br />

im Alter über 70 Jahren nur<br />

noch sporadisch auf.<br />

Zur Attackenkupierung empfiehlt sich im<br />

Alter in erster Linie die Inhalation von Sauerstoff.<br />

Sumatriptan subkutan ist ab dem 65.<br />

Lebensjahr nicht zugelassen. Die Inhalation<br />

von Sauerstoff ist dabei im Alter anscheinend<br />

weniger effektiv als in jüngeren Jahren<br />

[9].<br />

Zur präventiven Behandlung der Clusterkopfschmerzen<br />

empfiehlt sich primär der<br />

kurzzeitige Einsatz von Prednisolon und als<br />

Dauertherapie die Verwendung des Kalziumantagonisten<br />

Verapamil.<br />

Schlafassoziierter Kopfschmerz<br />

(Hypnic Headache)<br />

Bei Patienten über 65 Jahren wurde eine<br />

äußerst seltene Form von Kopfschmerzen<br />

beschrieben, die als „Hypnic Headache“,<br />

d.h. schlafassoziierte Kopfschmerzen, bezeichnet<br />

werden.<br />

Die Betroffenen werden ein bis zweimal<br />

pro Nacht (und zwar in der Regel jede<br />

Nacht) durch einen Kopfschmerzanfall aus<br />

dem Schlaf gerissen, der eine halbe Stunde<br />

oder länger andauert. Da diese <strong>Schmerz</strong>attacken<br />

zumeist mit einer solchen zeitlichen<br />

Regelmäßigkeit ablaufen, als wären<br />

12<br />

Monika Brandt<br />

... „Weg mit diesem Kopf“.<br />

Archiv Urban&Vogel<br />

sie von einer Weckeruhr ausgelöst worden,<br />

spricht man im Englischen auch von „Alarm<br />

Clock Headache“. Schlafassoziierte Kopfschmerzen<br />

erwecken die Patienten an mehr<br />

als 15 Tagen pro Monat aus dem Schlaf und<br />

gehen mit einem beidseitigen <strong>Schmerz</strong> einher.<br />

Zwar ähnelt der zeitliche Verlauf dem von<br />

Clusterkopfschmerzattacken, es fehlen jedoch<br />

autonome Merkmale und das einseitige Auftreten.<br />

Die Kopfschmerzen können auf Lithium<br />

200–600 mg zur Nacht oder auf Indometacin<br />

100 mg gut ansprechen. Frauen sind häufiger<br />

als Männer betroffen.<br />

Die schlafassoziierten Kopfschmerzen<br />

müssen sorgfältig von Kopfschmerzen differenziert<br />

werden, die mit dem Phänotyp des<br />

erhöhten intrakraniellen Druckes auftreten. Bei<br />

intrakraniellen Raumforderungen treten typischerweise<br />

am Morgen nach dem Aufwachen<br />

oder aber auch während des Tages<br />

nach einem kurzen Schlaf Kopfschmerzen<br />

auf. Diese Kopfschmerzen<br />

remittieren nach dem Aufstehen<br />

bei aufrechter Körperstellung<br />

und zeigen damit das umgekehrte<br />

Verhalten des Kopfschmerzes vom<br />

Phänotyp des erniedrigten intrakraniellen<br />

Druckes.<br />

Aus diesem Grund sollten<br />

schlafassoziierte Kopfschmerzen<br />

sehr sorgfältig neurologisch evaluiert<br />

werden, einschließlich intrakranieller<br />

Bildgebung. Ein Behandlungsversuch<br />

mit Lithiumcarbonat in<br />

einer Dosierung von 300 bis 600 mg<br />

zur Nacht führt in der Regel zu einer<br />

schnellen Verbesserung der <strong>Schmerz</strong>en.<br />

Gegebenenfalls kann eine Dosissteigerung<br />

erwogen werden. Allerdings muss, um mögliche<br />

Nebenwirkungen der Lithiumtherapie zu<br />

limitieren, beim älteren Patienten sorgfältig<br />

auf Nierenerkrankungen geachtet werden,<br />

ebenso auf eine Dehydratation bei mangelnder<br />

Flüssigkeitszufuhr und verstärkter Diurese<br />

bei arterieller Hypertonie.<br />

Sekundäre Kopfschmerzen<br />

Zerebrovaskuläre Erkrankungen<br />

Blutdruckschwankungen, aber auch eine konstante<br />

ständige schwere Hypertension mit diastolischen<br />

Blutdrücken über 120 mmHg, können<br />

Kopfschmerzen bedingen. Bei schwerer arterieller<br />

Hypertonie findet sich häufig ein Kopfschmerz<br />

im Bereich des Hinterhauptes und im<br />

Nackenbereich, der sich besonders intensiv<br />

am Morgen nach dem Aufstehen manifestiert.<br />

Zuweilen wird dieser Kopfschmerz<br />

mit degenerativen Veränderungen<br />

der Halswirbelsäule in Verbindung<br />

gebracht und die zugrunde liegende arterielle<br />

Hypertonie übersehen. Ein plötzlich<br />

steigender Blutdruck kann einen explosionsartigen<br />

sehr schweren Kopfschmerz<br />

bedingen. Ähnlich explosionsartig<br />

auftretende Kopfschmerzen können<br />

auch durch Verzehr von tyraminreichen<br />

Nahrungsmitteln oder Blutdruck steigernde<br />

Medikamente eintreten. Bei mildem<br />

arteriellen Bluthochdruck findet sich keine<br />

erhöhte Kopfschmerzprävalenz im<br />

Vergleich zu Kontrollgruppen.<br />

Auch Durchblutungsstörungen im<br />

Sinne transitorisch-ischämischer Attacken<br />

oder ein manifester Schlaganfall<br />

unterschiedlichster Ursache können<br />

Kopfschmerzen auslösen. In der Regel<br />

sind diese Kopfschmerzen von kurzer<br />

Dauer und ihre Lokalisation findet sich im<br />

Bereich des zerebralen Ischämiebezirks.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


Der Kopfschmerzcharakter ist am häufigsten<br />

pulsierend und kann bei körperlicher Aktivität<br />

an Intensität zunehmen. Spezifische Merkmale<br />

können jedoch <strong>für</strong> diese Kopfschmerzen nicht<br />

angegeben werden, ein spezieller Phänotyp<br />

besteht nicht.<br />

Kopfschmerzen können ebenfalls bei einer<br />

intrazerebralen Blutung auftreten. Bei kleinen<br />

intraparenchymalen Blutungen können sie<br />

jedoch komplett fehlen, sodass Kopfschmerzen<br />

in keiner Weise ein sicheres Symptom <strong>für</strong><br />

eine zerebrale Blutung darstellen.<br />

Entzündliche Gefäßerkrankungen, insbesondere<br />

die Arteriitis temporalis, sind typische<br />

Alterserkrankungen. Die Arteriitis temporalis<br />

ist jedoch sehr selten. Wenn sie vorhanden ist,<br />

ist eine dringliche Behandlung erforderlich, um<br />

eine Erblindung zu vermeiden.<br />

Die Prävalenz der Arteriitis temporalis im<br />

50. Lebensjahr wird mit 6,8 auf 100 000 Menschen<br />

angegeben, im 80. Lebensjahr findet<br />

sich eine Verzehnfachung der Prävalenz mit<br />

73 auf 100 000 Menschen. Trotz der Seltenheit<br />

muss eine Arteriitis temporalis bei Patienten<br />

über 60 Jahren mit neu aufgetretenen Kopfschmerzen<br />

immer in Erwägung gezogen und<br />

die Blutsenkungsgeschwindigkeit bestimmt<br />

werden.<br />

Bei geringstem Verdacht sollte eine hoch<br />

dosierte Kortikoid-Stoßtherapie durchgeführt<br />

werden. Eine Verzögerung des <strong>Therapie</strong>beginns<br />

durch Warten auf eine Biopsie sollte<br />

nicht toleriert werden, zumal die Biopsie nur<br />

unzuverlässige Ergebnisse erbringt und im<br />

Fall eines negativen Ergebnisses keinen Einfluss<br />

auf die <strong>Therapie</strong>entscheidung hat.<br />

Die Arteriitis temporalis kann mit einer allgemeinen<br />

<strong>Schmerz</strong>empfindlichkeit der perikranialen<br />

Muskulatur einhergehen (Tabelle 2). Lokaler<br />

Druck auf Kopfareale kann die <strong>Schmerz</strong>en<br />

verstärken. Bei 25% der Betroffenen findet sich<br />

begleitend eine Polymyalgia rheumatica mit<br />

Muskelschmerz und Gelenksteifigkeit. Andere<br />

Symptome umfassen Fieber, Gewichtsverlust,<br />

Nachtschweiß, Masseterspasmus, Amaurosis<br />

fugax bis hin zur Erblindung. Eine Herabgestimmtheit<br />

und Depression kann ebenfalls<br />

auftreten. Bei mangelnder Behandlung einer<br />

Arteriitis temporalis ist die Gefahr einer<br />

Erblindung bei 7–60% der Patienten<br />

gegeben. Als weitere Komplikationen<br />

können transitorisch-ischämische Attacken<br />

sowie manifeste Schlaganfälle<br />

auftreten. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit<br />

muss nicht erhöht sein, bei über<br />

90% der Patienten finden sich jedoch<br />

Blutsenkungsgeschwindigkeit von über<br />

30 mm/Stunde, bei über 40% von mehr<br />

als 100 mm/Stunde. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit<br />

kann durch verschie-<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

denste Kopfschmerzmittel, insbesondere<br />

Azetylsalizylsäure und andere nicht steroidale<br />

Antiphlogistika, artifiziell reduziert sein. Die Arterienbiopsie<br />

sollte innerhalb von 48 Stunden<br />

nach Start der Kortikoidtherapie durchgeführt<br />

werden, um gegebenenfalls noch Riesenzellen<br />

nachweisen zu können. Inadäquat wäre<br />

es, zunächst eine Biopsie zu veranlassen und<br />

dann erst nach Vorliegen der Ergebnisse eine<br />

Steroidtherapie zu starten. Auf eine Magenprotektion<br />

während der Steroidtherapie sollte<br />

geachtet werden.<br />

Intrakranielle Läsionen<br />

Mit zunehmendem Lebensalter steigt die<br />

Wahrscheinlichkeit <strong>für</strong> das Auftreten intrakranieller<br />

Raumforderungen. Dennoch sind sie<br />

insgesamt sehr selten. In jedem Fall muss<br />

beim älteren Patienten mit neuen Kopfschmerzen,<br />

die kontinuierlich zunehmen und insbesondere<br />

wenn sie von neurologischen Ausfällen<br />

begleitet werden, an eine Raumforderung<br />

gedacht und eine zerebrale Bildgebung veranlasst<br />

werden. Mögliche Ursachen <strong>für</strong> Kopfschmerzen<br />

können Hirntumoren, Metastasen,<br />

Hydrozephalus oder auch chronische subdurale<br />

Hämatome sein.<br />

Erkrankungen an Hals, Schädel,<br />

Augen, Ohren und Nase<br />

Degenerative Erkrankungen der Halswirbelsäule<br />

nehmen mit dem Alter zu. Gleichwohl<br />

Symptome Befunde<br />

Sylvie Hofmann<br />

Tabelle 2: Klinische Merkmale der Arteriitis temporalis<br />

• Kopfschmerzen • Einschränkung der Kieferbeweg-<br />

• Muskelschmerzen lichkeit<br />

• Gelenkschmerzen • Schwellung, Druckempfindlich-<br />

keit,<br />

• Erschöpfbarkeit • Pulslosigkeit und<br />

• Depression Verhärtung der Arteria temporalis<br />

• Fieber, Gewichtsverlust,<br />

• Nachtschweiß, Masseterspasmus,<br />

• Amaurosis fugax, Erblindung.<br />

Geriatrie<br />

sind sie in der Regel nicht als Ursache von<br />

Kopfschmerzen verantwortlich zu machen. Okzipitale<br />

Kopfschmerzen beim älteren Patienten<br />

sollten sorgfältigen differenzialdiagnostischen<br />

Erwägungen unterzogen und nicht stereotyp<br />

auf degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule<br />

bezogen werden. Die Differenzial-<br />

diagnose schließt die Migräne, den Kopfschmerz<br />

vom Spannungstyp, Kopfschmerzen<br />

bei arterieller Hypertonie, aber auch Erkrankungen<br />

bei intrakraniellen Läsionen mit ein.<br />

Das Engwinkelglaukom im Alter kann<br />

schwere Kopfschmerzattacken auslösen, die<br />

vom Auge in den gesamten Kopf ausstrahlen.<br />

Die <strong>Schmerz</strong>en werden von einer Augenrötung<br />

und Übelkeit begleitet. Ebenfalls treten Sehstörungen<br />

auf.<br />

Entzündliche Erkrankungen von Hals,<br />

Nase und Ohren sind im Alter gelegentliche<br />

Ursache <strong>für</strong> Kopfschmerzen. Entzündungen<br />

des Ohres können durch die Ohrinspektion in<br />

der Regel leicht diagnostiziert werden. Während<br />

eine chronische Sinusitis nicht <strong>für</strong> Kopfschmerzen<br />

verantwortlich ist, kann eine akute<br />

Sinusitis starke ein- oder beidseitige Kopfschmerzen<br />

bedingen, die mit Nasenausfluss<br />

und Fieber einhergehen können. Auch Entzündungen<br />

im Nasen-Rachen-Raum können <strong>für</strong><br />

Kopfschmerzen verantwortlich sein.<br />

Auch Erkrankungen des Kiefergelenkes<br />

mit schmerzhafter Kiefergelenksschwellung<br />

und Einschränkung der Beweglichkeit aufgrund<br />

verschiedener Ursachen können zu<br />

Kopfschmerzen führen.<br />

Stoffwechselbedingte<br />

Kopfschmerzen<br />

Hyperkapnie und Hypoxie, zum Beispiel bei<br />

einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung,<br />

können einen dumpf-drückenden, diffus<br />

lokalisierten Kopfschmerz bedingen. Gerade<br />

ältere Patienten wachen dann am Morgen<br />

mit einem dumpf-drückenden Kopfschmerz<br />

auf und erst eine Stunde nach dem<br />

Aufstehen stellt sich eine Besserung der<br />

Kopfschmerzen ein. Eine Überlagerung durch<br />

Dehydratation und Polyzytämie kann zusätzlich<br />

bestehen. Häufig können diese Kopf-<br />

schmerzen durch Koffeinzufuhr und<br />

Flüssigkeitssubstitution nach dem Aufstehen<br />

effektiv behandelt werden.<br />

Eine ähnliche Grundlage haben<br />

Kopfschmerzen bei einer Anämie, die zu<br />

einer zerebralen Hypoxie führen kann.<br />

Auch chronische Nierenerkrankungen<br />

können zu einem dumpf-drückenden<br />

allgemeinen Kopfschmerz führen. Eine<br />

Hyperkalzämie im Rahmen eines multiplen<br />

Myeloms kann ebenfalls Kopfschmerzen<br />

verursachen. Circa ein Drit-<br />

13


Geriatrie<br />

tel der Patienten mit Morbus Parkinson klagt<br />

über allgemeine Kopfschmerzen. Allerdings<br />

muss offen bleiben, ob diese Kopfschmerzen<br />

als Nebenwirkung der eingesetzten Medikation<br />

eintreten oder aber durch die Erkrankung<br />

per se bedingt werden.<br />

Arzneimittelinduzierte<br />

Kopfschmerzen<br />

Zahlreiche Arzneimittel, die im Alter <strong>für</strong> verschiedenste<br />

Erkrankungen eingesetzt werden,<br />

können zu Kopfschmerzen führen.<br />

Gleichzeitig kann die Pharmakokinetik<br />

verschiedenster Arzneimittel zur<br />

Behandlung von Alterserkrankungen<br />

mit nachlassenden Arzneimittelspiegeln<br />

in den frühen Morgenstunden zu Kopfschmerzen<br />

beitragen. Als Beispiel sei hier<br />

die Zunahme des Blutdrucks am frühen<br />

Morgen bei nachlassender Wirkung von<br />

Antihypertensiva genannt.<br />

Auch die Einnahme von Analgetika,<br />

insbesondere Kombinationsanalgetika,<br />

im Alter zur Behandlung von Muskel- oder<br />

Gelenkschmerzen, kann bei Patienten<br />

mit primären Kopfschmerzen zu medikamenteninduzierten<br />

Dauerkopfschmerzen<br />

führen. Die übermäßige Einnahme von<br />

Koffein oder von Alkohol kann Grundlage<br />

von Kopfschmerzen sein. Polypragmasie<br />

und Polymedikation im Alter kann aufgrund<br />

nicht bestimmbarer Interaktionen<br />

zu Kopfschmerzen als Nebenwirkungen<br />

der Arzneimitteltherapie führen.<br />

Daher sollte gerade bei älteren Patienten<br />

immer versucht werden, eine möglichst<br />

geringe Anzahl von Arzneimitteln<br />

einzusetzen und jedes eingesetzte Medikament<br />

daraufhin zu überprüfen, ob es wirklich<br />

notwendig ist.<br />

Trigeminusneuralgie<br />

Neben der Arteriitis temporalis ist die Trigeminusneuralgie<br />

eine ebenso seltene wie typische<br />

<strong>Schmerz</strong>erkrankung im Alter. Aufgrund der<br />

prägnanten klinischen Symptomatik der Trigeminusneuralgie<br />

kann sie schnell diagnostiziert<br />

werden. Die charakteristischen Merkmale sind<br />

kurze einschießende trigeminusastbezogene<br />

<strong>Schmerz</strong>en im Sinne eines <strong>Schmerz</strong>blitzes.<br />

Die <strong>Schmerz</strong>paroxysmen können durch Triggermechanismen<br />

wie Kauen, Sprechen, Kälte,<br />

Zähneputzen etc. ausgelöst werden. Bei einigen<br />

Patienten kann zwischen den <strong>Schmerz</strong>paroxysmen<br />

auch ein Dauerschmerz bestehen.<br />

Glossopharyngeusneuralgie<br />

Auch die Glossopharyngeusneuralgie ist eine<br />

typische Alterserkrankung, wenngleich sie<br />

noch seltener als die Trigeminusneuralgie auf-<br />

14<br />

Archiv<br />

tritt. Die Patienten verspüren hier den <strong>Schmerz</strong><br />

im Rachenraum. Viele der betroffenen Patienten<br />

sprechen und essen nicht, da damit<br />

<strong>Schmerz</strong>attacken ausgelöst werden. Schnell<br />

wird hier fälschlicherweise eine psychiatrische<br />

Erkrankung angenommen. In der neurologischen<br />

Untersuchung können jedoch mit Auslösung<br />

des Würgreflexes auch eindeutig<br />

<strong>Schmerz</strong>paroxysmen auslöst werden, die dann<br />

die Diagnosestellung und damit eine gezielte<br />

Behandlung ermöglichen.<br />

Postherpetische Neuralgie<br />

Auch die postherpetische Neuralgie ist eine<br />

typische Alterserkrankung. Der akute Herpes<br />

zoster tritt zunächst mit Parästhesien auf, die<br />

ebenfalls trigeminusastbezogen lokalisiert<br />

sind. Etwa vier Tage später treten vesikuläre<br />

Eruptionen auf. Die Bläschen gehen mit einem<br />

ausgeprägten schmerzhaften Brennen, Parästhesien<br />

und Dysästhesien einher. Bei einem<br />

Teil der Patienten finden sich zusätzlich stichartige<br />

oder stromstoßartige <strong>Schmerz</strong>en.<br />

Allgemeine Regeln <strong>für</strong> die<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie im Alter<br />

Zunächst sollte eine genaue Differenzierung<br />

der <strong>Schmerz</strong>ursache vorgenommen werden<br />

und nozizeptive, neuropathische und psychiatrisch<br />

bedingte <strong>Schmerz</strong>en differenziert werden.<br />

In erster Linie sollte nach Möglichkeit die<br />

Grunderkrankung behandelt werden und eine<br />

Symptomkontrolle durch spezielle schmerztherapeutische<br />

Maßnahmen eingeleitet werden.<br />

• Grundregeln der pharmakologischen Be-<br />

handlung sind der Einsatz möglichst lang wirksamer<br />

Substanzen bei Dauerschmerzen und<br />

das Zurverfügungstellen von Akutmedikation<br />

bei Durchbruchschmerzen.<br />

• Dabei sollte ein „End-of-Dose-Wirkverlust“<br />

beachtet werden und eine mögliche prophylaktische<br />

Einnahme vor <strong>Schmerz</strong> verstärkenden<br />

Situationen erwogen werden.<br />

• Vorhersehbare Nebenwirkungen sollten vermieden<br />

oder rechtzeitig behandelt werden,<br />

zum Beispiel Übelkeit bei Neueinstellung mit<br />

einem Opioidanalgetikum oder Obstipation<br />

bei Gabe von Opioiden.<br />

• Im Alter findet sich eine reduzierte Darmmotilität<br />

mit der erhöhten Gefahr einer<br />

gastrointestinalen Ulzeration bei Einsatz<br />

von NSAR`s.<br />

• Auch ein reduzierter Magen-pH kann<br />

verstärkt zu einer gastrointestinalen Ulzeration<br />

führen.<br />

• Die eingeschränkte hepatische und renale<br />

Funktion kann eine verlängerte Halbwertszeit<br />

von Analgetika bedingen, ein<br />

reduziertes Körperverteilungsvolumen<br />

führt zu einem erhöhten Serumspiegel<br />

verschiedenster Substanzen und damit zu<br />

einer schnelleren und ausgeprägteren<br />

Wirkung sowie zu mehr Nebenwirkungen.<br />

• Die Abklärung der <strong>Schmerz</strong>ursache ist<br />

angesichts der häufigen Multimorbidität<br />

älterer Patienten in der Regel komplexer<br />

als bei jüngeren Patienten.<br />

• Bei bekannten und behandelbaren<br />

<strong>Schmerz</strong>ursachen ist nach Möglichkeit<br />

immer eine kausale <strong>Therapie</strong> anzustreben<br />

und gerade bei chronischen <strong>Schmerz</strong>en<br />

im Alter sollte dem Patienten immer eine interdisziplinär<br />

geplante <strong>Therapie</strong> eröffnet werden.<br />

• Dabei ist zu berücksichtigen, dass die medikamentöse<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie nur ein Baustein<br />

im Gesamtkonzept sein kann. Weitere Bausteine<br />

sind physiotherapeutische Verfahren, Techniken<br />

der <strong>Schmerz</strong>bewältigung, psychosoziale<br />

und invasive <strong>Therapie</strong>methoden.<br />

Auch wenn das Alter die Quelle vieler Erkrankungen<br />

ist, sind Kopfschmerzen im Alter<br />

weniger häufig als in jüngeren Jahren. Treten<br />

Kopfschmerzen im Alter jedoch neu auf, muss<br />

primär immer eine symptomatische Genese<br />

in Erwägung gezogen werden. Daher müssen<br />

Kopfschmerzen im Alter besonders aufmerksam<br />

evaluiert, technische diagnostische Verfahren<br />

zusätzlich zur klinischen Untersuchung<br />

herangezogen und die <strong>Therapie</strong> interdisziplinär<br />

organisiert werden.<br />

Literatur beim Verfasser oder der Redaktion<br />

Hartmut Göbel, Kiel<br />

www.schmerzklinik.de<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


BTZ/2000<br />

29 Jahre <strong>Deutsche</strong>r <strong>Schmerz</strong>kongress<br />

Vom 19.–22. Oktober 2005 fand die gemeinsame Jahrestagung der<br />

<strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> zum Studium des <strong>Schmerz</strong>es (DGSS) und der<br />

<strong>Deutsche</strong>n Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) in Bremen<br />

statt. Das Motto „<strong>Schmerz</strong> in Forschung, Klinik und Praxis – Komplexität<br />

braucht Kooperation“ wurde gewählt, da es die Situation und auch die<br />

Erfordernisse der <strong>Schmerz</strong>therapie ausdrückt, erläutern die Kongresspräsidenten<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Michael Strumpf, Bremen (DGSS), und<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Stefanie Förderreuther (DMKG).<br />

Die über 2000 Teilnehmer des <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Schmerz</strong>kongresses wurden über neue<br />

Forschungsprojekte und neue klinische Studien<br />

informiert, von denen im folgenden Beitrag<br />

nur ein paar Highlights berichtet werden.<br />

<strong>Schmerz</strong> und Demenz<br />

Lange wurde vermutet, dass Demenzkranke<br />

weniger <strong>Schmerz</strong>empfinden haben als Normale.<br />

Die Arbeitsgruppe von S. Lautenbacher,<br />

Bamberg, die an 20 Alzheimerpatienten, 40<br />

Patienten mit milder kognitiver Verschlechterung<br />

und an 40 gesunden Probanden die mimische<br />

Reaktion, den <strong>Schmerz</strong>bericht, die<br />

Herzratenreaktion und den nozizeptiven Beugereflex<br />

untersuchten, widerlegt diese Hypothese.<br />

Sowohl die mimische <strong>Schmerz</strong>reaktion<br />

war signifikant stärker und die Schwelle des<br />

spinal vermittelten nozizeptiven Beugereflexes<br />

war bei Demenkranken niedriger. Herzratenreaktion<br />

und <strong>Schmerz</strong>bericht waren dagegen<br />

unverändert. Aufgrund dieser Ergebnisse vermutet<br />

Lautenbacher, dass eine erhöhte<br />

<strong>Schmerz</strong>empfindlichkeit vorliegt und die De-<br />

Bremer Marktplatz mit St.-Petri-Dom.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

menzpatienten derzeit massiv schmerztherapeutisch<br />

unterversorgt sind.<br />

Die <strong>Schmerz</strong>verarbeitung von Dementen<br />

ist, so ergänzte E.J. Scherder, Groningen,<br />

möglicherweise sehr unterschiedlich: Nach<br />

Scherders Experimenten unterscheiden sich<br />

die Alzheimerdemenzen, die vaskuläre Demenz<br />

und die fronto-temporale Demenz in<br />

ihrem <strong>Schmerz</strong>empfinden. So zeichnen sich<br />

die vaskuläre Demenz und die frontotemporale<br />

Demenz durch eine erhöhte <strong>Schmerz</strong>empfindlichkeit<br />

aus, während eine Subgruppe von<br />

Alzheimerpatienten ein reduziertes <strong>Schmerz</strong>empfinden<br />

hat.<br />

Rückenschmerzen bei<br />

Kindern<br />

16–22% der Kinder zwischen 11 und 17 Jahren<br />

leiden bereits an Rückenschmerzen, berichtete<br />

L. Hackenberg, Münster.<br />

Die Betroffenen können zwar in der Regel<br />

die Schule trotzdem besuchen, aber bei über<br />

90% lassen sich objektivierbare Funktionseinbußen<br />

nachweisen. An Risikofaktoren finden<br />

Kongresse<br />

DEUTSCHER SCHMERZKONGRESS<br />

BREMEN 2005<br />

sich bei Jugendlichen:<br />

• überdurchschnittliche Körpergröße,<br />

• Übergewicht,<br />

• hohe sportliche Aktivität,<br />

• körperliche Passivität,<br />

• hohe tägliche Traglasten,<br />

• negative psychosoziale Erfahrungen.<br />

Häufig finden sich weitere psychosomatische<br />

Symptome wie Bauch- und Kopfschmerzen.<br />

Kopfschmerz als Nebenwirkung<br />

Nach der IHS sind laut U. Bingel, Hamburg,<br />

vier Formen zu unterscheiden:<br />

1. Kopfschmerz durch die Einnahme von akut<br />

wirksamen Substanzen wie NO-Donatoren,<br />

Phosphodiesterasehemmer, Alkohol, Kokain,<br />

Histamin<br />

2. Kopfschmerz als Folge von Medikamentenabusus,<br />

z.B. Analgetika, Ergotamine,<br />

Triptane<br />

3. Kopfschmerzen als Folge einer Dauertherapie<br />

<strong>für</strong> andere Indikationen<br />

4. Kopfschmerzen durch den Entzug von<br />

Substanzen z.B. Östrogen, Koffein, Opioide<br />

Iatrogene Kopfschmerzen sind häufig.<br />

Daher sollte der Arzt stets eine gründliche<br />

Medikamentenanamnese auch über die<br />

Selbstmedikation erheben. Problematische<br />

Sustanzen sollten so weit wie möglich vorsichtig<br />

reduziert werden.<br />

Komorbiditäten beachten<br />

Neben den bekannten Komorbiditäten Depression<br />

und Migräne sowie Migräne und zerebrovaskuläre<br />

Erkrankungen gibt es eine Reihe<br />

weiterer entzündlicher Erkrankungen und immunmodulatorische<br />

<strong>Therapie</strong>n, die Kopfschmerzen<br />

auslösen, ergänzte Dr. A. Straute,<br />

München. Multiple Sklerose verursacht häufig<br />

Kopfschmerzen. Ursächlich kann entweder die<br />

Aktivierung von ZNS-ständigen Entzündungszellen<br />

sein und/oder die Interferontherapie.<br />

Interferone wirken über die Aktivierung<br />

der NF-Kappa-B ähnlich wie über NO. Über<br />

einen ähnlichen Mechanismus lösen auch Cal-<br />

15


Kongresse<br />

cineurininhibitoren wie Cyclosporin oder<br />

Tacrolismus durch die erhöhte Produktion<br />

von NO in den zerebralen Endothelzellen<br />

Kopfschmerzen aus.<br />

Fast-Track-Rehabilitation<br />

Weniger Komplikationen und eine kürzere<br />

Liegedauer sind durch ein multimodales, interdisziplinäres<br />

perioperatives Behandlungskonzept<br />

möglich, berichtete Prof. Dr. Wolfgang<br />

Schwenk, Berlin. Die so genannte Fast-Track-<br />

Rehabilitation reduziert den postoperativen<br />

<strong>Schmerz</strong> und erlaubt auch nach abdominellen<br />

Eingriffen wie der Kolonresektion eine Entlassung<br />

nach wenigen Tagen. Wichtig dabei ist<br />

die optimale präoperative Vorbereitung und<br />

enge Kooperation von Chirurgen, Anästhesisten,<br />

Physiotherapeuten und Pflegekräften. Bei<br />

großen Eingriffen im Abdomen oder der Pleurahöhle<br />

ist bereits präoperativ eine Periduralanalgesie<br />

angezeigt.<br />

Mit hochwirksamen Medikamenten wie<br />

Opioiden und Lokalanästhetika werden die<br />

Nerven lokal betäubt, die das Gebiet der Operation<br />

versorgen. Diese Periduralanalgesie<br />

wird zwei bis drei Tage postoperativ beibehalten.<br />

Seit der Einführung des Fast-Track-Konzeptes<br />

wurden an der Berliner Klinik starke<br />

postoperative <strong>Schmerz</strong>en um 50% reduziert.<br />

Viele Patienten erholen sich so rasch, dass<br />

sie bereits nach fünf Tagen entlassen werden<br />

können. An der Berliner Klinik werden 80% der<br />

am Kolon operierten Patienten innerhalb einer<br />

Woche wieder entlassen. Zwei Stunden nach<br />

der Operation können diese Patienten bereits<br />

aufstehen und essen und trinken. In der BRD<br />

verbleiben die Kolonoperierten im Durchschnitt<br />

zwischen 10 und 15 Tagen stationär.<br />

Durch die Einführung des Fast-Track-Systems<br />

könnten 500 000 Krankenhaustage eingespart<br />

und etwa 10 000 allgemeine Komplikationen<br />

vermieden werden. Das Übernehmen<br />

der Fast-Track-Rehabilitation in allen anderen<br />

operativen Fächern (Traumatologie,<br />

Gynäkologie, Urologie, Orthopädie,<br />

Gefäßchirurgie ...) könnte<br />

nicht nur die medizinische Qua- 100<br />

lität erhöhen, sondern zugleich<br />

ökonomisch und medizinisch 80<br />

sinnvoll sein.<br />

60<br />

Bei Polymedikation<br />

Hydromorphon<br />

40<br />

Multimorbide Patienten nehmen<br />

20<br />

im Durchschnitt 7,3 verschiedene<br />

Medikamente ein. Bei einer zu-<br />

0<br />

sätzlich erforderlichen analgetischen<br />

<strong>Therapie</strong> sollte daher ein<br />

sicheres und effektives Opioid wie<br />

Hydromorphon verwendet wer-<br />

16<br />

den, mit dem auch eine nebenwirkungsarme<br />

Dauertherapie möglich ist. Bei starken<br />

<strong>Schmerz</strong>en sind retardierte oral titrierbare<br />

Substanzen besser geeignet als die aufgrund<br />

ihrer Organtoxizität gefährlichen NSAR.<br />

Bei Niereninsuffizienz oder Leberzirrhose<br />

ist Hydromorphon das einzige Opioid, das unverändert<br />

weitergegeben werden kann. Morphin<br />

dagegen besitzt aktive Metaboliten, die<br />

bei Niereninsuffizienz akkumulieren können.<br />

Mehr Lebensqualität<br />

unter Hydromorphon<br />

Hydromorphon ist insbesondere bei multimorbiden,<br />

geriatrischen Patienten ein effektives<br />

und sicheres Opioid, erklärte Dr. med. Thomas<br />

Nolte vom <strong>Schmerz</strong>- und Palliativzentrum<br />

Wiesbaden. Es wird unabhängig vom Cytochrom<br />

P450 metabolisiert und besitzt ein sehr<br />

geringes Interaktionspotenzial. In einer multizentrischen<br />

Kohortenstudie wurden die Verträglichkeit<br />

und die Effizienz von oralem Hydromorphon<br />

mit der von transdermalem Fentanyl<br />

verglichen. Ausgewählt wurden Patienten<br />

unter der laufenden <strong>Therapie</strong> mit Fentanyl<br />

(n=44) oder Hydromorphon (n=32), die <strong>für</strong><br />

zwei Wochen beobachtet wurden.<br />

In der Fentanylgruppe wurden um 50%<br />

mehr Bedarfsmedikation benötigt. Unerwünschte<br />

Nebenwirkungen am Magen-Darm-<br />

Trakt wurden unter Hydromorphon nur bei<br />

zwei, dagegen unter Fentanyl bei 13 Patienten<br />

beobachtet. In puncto Nachtschlaf, generelles<br />

Wohlbefinden und Bewältigen der Alltagsaktivitäten<br />

waren die Patienten unter Hydromorphon<br />

tendenziell besser. Im Laxanzienbedarf<br />

Ärztliche Beurteilung der Verträglichkeit mit „sehr gut” oder „gut”<br />

Patienten [%]<br />

97<br />

Hydromorphonkollektiv<br />

Hydromorphon: deutlich besser verträglich als das Fentanylpflaster.<br />

75<br />

Transdermales<br />

Fentanylkollektiv<br />

unterschieden sich die beiden Gruppen<br />

nicht, so dass der immer wieder postulierte<br />

Vorteil der transdermalen Applikation<br />

in Hinsicht auf Magen-Darm-Verträglichkeit<br />

nicht bestätigt werden konnte.<br />

Ärzte beurteilten die Verträglichkeit von<br />

Hydromorphon mit 97% als sehr gut<br />

oder gut, bei Fentanyl dagegen waren nur<br />

75% gut oder sehr gut. Aufgrund der geringen<br />

Plasmaeiweißbindung traten unter Hydromorphon<br />

kaum Interaktionen auf. Da es keinen<br />

Ceilingeffekt gibt, kann<br />

die <strong>Schmerz</strong>therapie mit<br />

Fingerspitzengefühl individuell<br />

titriert werden. Ein<br />

weiterer Vorteil ist, dass<br />

bei Durchbruchschmerzen<br />

das schnell anflutende<br />

Hydromorphon in zwei<br />

Dosierungen 1,3 und 2,6<br />

mg als Rescuemedika-<br />

tion gleich mitverordnet<br />

werden kann. Damit wird<br />

das Interaktionspotenzial<br />

gering gehalten.<br />

Thomas Nolte,<br />

Wiesbaden<br />

Diese Studie zeigte, dass Fentanyl – auch<br />

gastrointestinal – weniger wirksam und verträglich<br />

ist. Das großzügige Verordnen der<br />

Opioidpflaster ist nicht rational begründet.<br />

Hydromorphon sollte dagegen bei Tumorkranken<br />

oder älteren Multimorbiden das Mittel<br />

der ersten Wahl sein.<br />

Rauchen: Risikofaktor <strong>für</strong> <strong>Schmerz</strong><br />

Raucher sind stärker gefährdet, chronische<br />

<strong>Schmerz</strong>en zu entwickeln, als Nichtraucher,<br />

erklärte Dr. Winfried Häuser, Saarbrücken. Gesichert<br />

ist der Zusammenhang bei Clusterkopfschmerzen<br />

und bei einigen Erkrankungen<br />

der inneren Medizin wie z.B. M. Crohn, Pankreatitis,<br />

KHK, pAVK und Thrombangitis obliterans.<br />

Raucher klagen zudem häufiger über<br />

unspezifische muskuloskelettale Beschwerden<br />

und Rückenschmerzen.<br />

Nolte<br />

Rauchstopp als<br />

<strong>Therapie</strong>ergänzung<br />

Bei einer Reihe von Erkrankungen<br />

wurde auch schon in klinischen<br />

Studien aufgezeigt, dass<br />

Nikotinabstinenz effektiv, nebenwirkungsarm<br />

und kostengünstig<br />

wirkt, so Häuser. Eine<br />

Raucherentwöhnung sollte daher<br />

bei den oben genannten<br />

Krankheiten im Rahmen der<br />

multidisziplinären <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

stets angestrebt werden.<br />

StK<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


BTZ/2000<br />

Kooperation mehr denn je erforderlich<br />

Die diesjährige Jahrestagung der DGSS in Bremen stand unter dem Motto<br />

„<strong>Schmerz</strong> in Forschung, Klinik und Praxis – Komplexität braucht Kooperation“<br />

und wurde von über 2500 Teilnehmern besucht. Über die<br />

Highlights des Kongresses sowie die Probleme der <strong>Schmerz</strong>therapie in<br />

Klinik und Praxis informieren die Kongresspräsidenten, Priv.-Doz. Dr.<br />

med. Michael Strumpf, DGSS, Bremen, und Priv.-Doz. Dr. med. Stefanie<br />

Förderreuther, DMKG, München, im folgenden Interview.<br />

?<br />

Warum wurde dieses Motto gewählt,<br />

welche Berufsgruppen müssen in der<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie kooperieren?<br />

Michael Strumpf: Unter dem Motto des diesjährigen<br />

<strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>kongresses „<strong>Schmerz</strong><br />

in Forschung, Klinik und Praxis – Komplexität<br />

braucht Kooperation“ hatte die Interdisziplinarität<br />

einen besonderen Stellenwert. Es fanden<br />

wissenschaftliche Symposien gemeinsam mit<br />

Chirurgen, Urologen, Orthopäden, Pädiatern,<br />

Neurologen, Psychologen, Psychosomatikern<br />

und Apothekern statt. Ziel ist es, gemeinsam<br />

Konzepte zu entwickeln, die die Effektivität der<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie verbessern. Daten zeigen<br />

z.B., dass Kooperationskonzepte zwischen<br />

Ärzten und Apothekern das Medikamenteneinnahmeverhalten<br />

der Patienten verbessert und<br />

Nebenwirkungen bei der medikamentösen<br />

<strong>Therapie</strong> seltener auftreten.<br />

?<br />

Wo sehen Sie Probleme und wie lässt<br />

sich die Kooperation verbessern?<br />

Michael Strumpf: Die Prävention chronischer<br />

<strong>Schmerz</strong>en ist in Deutschland ein noch eher<br />

vernachlässigtes Gebiet. Neue Daten der pe-<br />

Blick in den Schnoor.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

rioperativen <strong>Schmerz</strong>therapie zeigen, dass<br />

„Fast-Track-Konzepte“ (Kombination von schonenden<br />

chirurgischen Techniken, einer rechtzeitigen,<br />

effektiven <strong>Schmerz</strong>therapie und einer<br />

frühen Mobilisierung der Patienten) chronische<br />

<strong>Schmerz</strong>en verhindern können, die Komplikationsrate<br />

senken und die Krankenhausverweildauer<br />

verringern. Mit diesen Konzepten besteht<br />

<strong>für</strong> das Gesundheitssystem ein erhebliches<br />

Kosteneinsparpotenzial. Neue Leitlinien<br />

<strong>für</strong> die perioperative und posttraumatische<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie sowie <strong>für</strong> die <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

auf Intensivstationen wurden bei diesem<br />

Kongress vorgestellt.<br />

?<br />

Ein Hauptthema war der Rückenschmerz.<br />

Was gibt es hier <strong>für</strong> neue<br />

Erkenntnisse und beeinflusst dies die<br />

<strong>Therapie</strong>?<br />

Michael Strumpf: 90% aller Menschen haben<br />

irgendwann mal in ihrem Leben akute Rückenschmerzen,<br />

aber nur bei 10 % entwickelt sich<br />

ein chronisches <strong>Schmerz</strong>syndrom. Diese verursachen<br />

aber den größten Teil der Kosten.<br />

Verschiedene Forschungsgruppen haben sich<br />

damit beschäftigt, wie man diese Patienten<br />

identifizieren kann, damit sie frühzeitig einer<br />

geeigneten <strong>Therapie</strong> zugeführt werden können<br />

und eine weitere Chronifizierung verhindert<br />

werden kann. Die Ergebnisse verschiedener<br />

Studien zeigen: Biomechanische Faktoren und<br />

der körperliche Befund sind als Prädiktoren<br />

weniger geeignet, bedeutsamer sind Kognitionen<br />

(Gefühle, Gedanken, Vorstellungen) und<br />

Verhalten. Für eine Chronifizierung gefährdet<br />

sind insbesondere Personen<br />

• mit wenig sozialer Unterstützung aus ihrer<br />

Umgebung,<br />

• mit depressiver Stimmungslage,<br />

• mit hoher Unzufriedenheit am Arbeitsplatz,<br />

• die akut auftretende <strong>Schmerz</strong>en als stark<br />

bedrohlich interpretieren,<br />

• die Be<strong>für</strong>chtungen über den weiteren Verlauf<br />

haben,<br />

• mit hoher Aufmerksamkeit auf das <strong>Schmerz</strong>geschehen,<br />

Interview<br />

„Kooperation<br />

mehr denn je<br />

erforderlich“<br />

Michael Strumpf,<br />

Bremen<br />

• mit Gefühlen der Hilflosigkeit gegenüber den<br />

<strong>Schmerz</strong>en.<br />

Um diese Risikopatienten zu erkennen, sind<br />

Screeninginstrumente entwickelt worden, so-<br />

dass sie frühzeitig der notwendigen interdisziplinären<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie mit individuell differenzierten<br />

psychosozialen Interventionen<br />

zugewiesen werden können.<br />

?<br />

Welche Rolle spielt die Psyche bei<br />

chronischen <strong>Schmerz</strong>patienten?<br />

Michael Strumpf: Psychische Aspekte spielen<br />

bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von<br />

<strong>Schmerz</strong>erkrankungen eine wesentliche Rolle.<br />

Frühere psychologische Studien haben dies<br />

bereits vielfältig aufzeigen können. Aktuelle<br />

Studien mit funktionell-bildgebenden Verfahren<br />

(fMRT) zeigen nun auch, dass bei bestimmten<br />

Gefühlen und <strong>Schmerz</strong>en sich überlappende<br />

Hirnareale aktiviert werden. Damit bestätigt<br />

sich die seit langem bestehende Forderung,<br />

dass bei chronischen <strong>Schmerz</strong>en somatische<br />

und psychotherapeutische <strong>Therapie</strong>ansätze<br />

integrativ durchgeführt werden sollten und die<br />

Trennung in „psychischen“ und „körperlichen“<br />

<strong>Schmerz</strong> überholt ist.<br />

?<br />

Gab es Neues zur <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

bei Kindern und Jugendlichen?<br />

Michael Strumpf: Eine aktuelle Studie bei<br />

Schülern im Alter von 12 bis 15 Jahren in Vorpommern<br />

zeigt, dass 37,6% der Jugendlichen<br />

innerhalb von drei Monaten mehrmals Kopfschmerzen<br />

hatten und dies zu erheblichen<br />

Beeinträchtigungen in Schule und Freizeit führte.<br />

Die Prävalenz von Rückenschmerzen bei<br />

Kindern liegt nach epidemiologischen Studien<br />

bei bis zu 26% und steigt mit zunehmendem<br />

Lebensalter. In Deutschland leben mehr als 22<br />

000 Kinder und Jugendliche mit einer lebenslimitierenden<br />

oder terminalen Erkrankung, die<br />

oft mit <strong>Schmerz</strong>en einhergeht. Jedes Jahr sterben<br />

1500–3000 von ihnen, davon ca. 1/3 an<br />

Krebs. Es gibt in Deutschland aber nur sechs<br />

Kinderhospize (ein siebtes ist im Bau), die ter-<br />

17


BTZ/2000<br />

Interview<br />

minal kranke Kinder und Jugendliche betreuen.<br />

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen.<br />

Diagnostische und schmerztherapeutische<br />

Konzepte, die bei Erwachsenen angewendet<br />

werden, können nicht unmittelbar auf Kinder<br />

und Jugendliche übertragen werden.<br />

Spezielle Herangehensweisen bei Kopfschmerzen,<br />

Rückenschmerzen, in der palliativmedizinischen<br />

und perioperativen schmerztherapeutischen<br />

Versorgung von Kindern und<br />

?<br />

Ein Schwerpunkt war die <strong>Therapie</strong><br />

von Kopfschmerzen. Was gibt es<br />

hier <strong>für</strong> neue praxisrelevante Erkenntnisse?<br />

Stefanie Förderreuther: Für die Migräneprophylaxe<br />

hat sich in der Klinik das Antikonvulsivum<br />

Topiramat bereits etabliert. Im Tiermodell<br />

wurde kürzlich gezeigt, dass Topiramat die Aktivierung<br />

des trigeminovaskulären Systems<br />

inhibiert. Es hemmt die CGRP-Ausschüttung<br />

und blockiert so die neurogen vermittelte Dilatation<br />

duraler Gefäße. Möglicherweise entfaltet<br />

sich die migräneprophylaktische Wirkung über<br />

diesen Mechanismus. Damit wäre Topiramat<br />

die erste migräneprophylaktisch wirksame<br />

Substanz, bei der wir den Wirkmechanismus<br />

erklären könnten.<br />

Für die medikamentöse Akutbehandlung der<br />

Migräne und des Spannungskopfschmerzes<br />

gibt es keine neuen zugelassenen Substanzen.<br />

Aktuell konzentriert sich die klinische Forschung<br />

vor allem auf die Optimierung der Migräne-Attackenbehandlung.<br />

<strong>Therapie</strong>studien<br />

zeigen, dass das Ansprechen auf eine Behandlung<br />

mit Triptanen oder ASS schon zu<br />

Beginn der Migräneattacke besser ist und seltener<br />

Wiederkehr-Kopfschmerzen auftreten.<br />

Dies bedeutet <strong>für</strong> die Praxis, dass die Patien-<br />

Bremer Rathaus bei Nacht.<br />

18<br />

die langfristige Anwendung von Opioiden bei<br />

Kindern wurden bei diesem Kongress diskutiert.<br />

?<br />

Sehen Sie auch die Notwendigkeit,<br />

künftig politisch geschlossener mit<br />

den anderen <strong>Schmerz</strong>gesellschaften<br />

wie der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Schmerz</strong>therapie (DGS) enger zu kooperieren?<br />

Gibt es hier neue Ziele oder neue<br />

ten sehr gut geschult werden müssen, einerseits<br />

kritisch mit <strong>Schmerz</strong>mitteln und Triptanen<br />

umzugehen, um die Entwicklung eines analgetikainduzierten<br />

Kopfschmerzes zu vermeiden,<br />

andererseits Attacken möglichst früh zu behandeln.<br />

Das ist nicht immer einfach.<br />

?<br />

Wird es denn in absehbarer Zukunft<br />

neue Substanzen zur <strong>Therapie</strong> der<br />

Migräne geben?<br />

Stefanie Förderreuther: Im Mittelpunkt der<br />

künftigen Migräne-Attackentherapie werden<br />

wahrscheinlich in nächster Zeit die Calcitonin-<br />

Gene-Related-Peptide- (CGRP)-Rezeptor-Blocker<br />

stehen. Erste Studien – auch am Menschen<br />

– haben viel versprechende Ergebnisse<br />

gezeigt. Hauptvorteil dieser Substanzen ist<br />

das Fehlen einer vasokonstriktorischen<br />

Wirkkomponente, was vor allem <strong>für</strong> die<br />

<strong>für</strong> die Behandlung von Patienten mit<br />

kardiovaskulären Kontraindikationen<br />

<strong>für</strong> Triptane und Triptan-Non-Responder<br />

interessant ist. Möglicherweise<br />

wirken CGRP-Rezeptor-Blocker sogar<br />

auch in der Akuttherapie des Cluster-<br />

Kopfschmerzes.<br />

Als weitere neue Substanz der Behandlung<br />

des Cluster-Kopfschmerzes<br />

könnte sich auch Octreotid – ein Somatostatin-Rezeptorantagonist<br />

– erweisen.<br />

Hier haben erste Studien eine<br />

Überlegenheit im Vergleich zu Plazebo<br />

gezeigt.<br />

Formen der Kooperation?<br />

Michael Strumpf: Ich begrüße ausdrücklich<br />

eine intensivere Kooperation zwischen den<br />

verschiedenen <strong>Schmerz</strong>gesellschaften.<br />

Eine Bündelung der<br />

Kräfte ist <strong>für</strong> die <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

und die <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />

absolut wichtig. Nur so können<br />

die großen Herausforderungen<br />

in Zukunft gemeistert werden.<br />

Patientenschulung zur <strong>Therapie</strong>optimierung wichtig<br />

„Kopfschmerz:<br />

Patientenschulung<br />

zur <strong>Therapie</strong>optimierung<br />

wichtig“<br />

Stefanie Förderreuther,<br />

München<br />

?<br />

Welchen Stellenwert besitzen<br />

die nicht medikamentösen<br />

Verfahren in der<br />

Kopfschmerztherapie?<br />

Stefanie Förderreuther: Die nicht<br />

medikamentösen Verfahren haben<br />

in der prophylaktischen Behandlung<br />

von Migräne und Spannungskopfschmerz<br />

einen hohen Stellenwert – insbesondere<br />

bei den Patienten mit Neigung zur Chronifizierung<br />

der Kopfschmerzattacken. Entspannungstechniken<br />

wie die Muskelrelaxation nach<br />

Jakobson, regelmäßiger Ausdauersport,<br />

Stressbewältigungsstrategien und Bio-Feedback<br />

können auch durch neue medikamentöse<br />

<strong>Therapie</strong>ansätze nicht in ihrer Bedeutung geschmälert<br />

werden. Leider ist es oft schwer, die<br />

Patienten zu diesen im Vergleich zur Tabletteneinnahme<br />

wesentlich aufwendigeren <strong>Therapie</strong>verfahren<br />

zu motivieren.<br />

Die Akupunktur als weitere nicht medikamentöse<br />

Alternative wird dagegen vom Patienten<br />

sehr gerne angenommen. Leider können wir<br />

aber noch immer nicht beantworten, ob es<br />

sich dabei um eine wirksame migräneprophylaktische<br />

<strong>Therapie</strong> handelt. Die aktuelle, methodisch<br />

sehr sorgfältig durchgeführte <strong>Therapie</strong>-studie<br />

aus Deutschland hat gezeigt, dass<br />

die Wirkung einer Scheinakupunktur bei Patienten<br />

mit Migräne ebenso wirksam war wie<br />

die Verumakupunktur. Wir wissen daher nicht,<br />

ob die beobachtete Besserung in beiden <strong>Therapie</strong>armen<br />

auf unspezifischen physiologischen<br />

Effekten durch das Nadeln, eine starke<br />

Plazebowirkung oder eine Kombination von<br />

beidem hervorgerufen wurde. Zu aller Überraschung<br />

kam es auch bei den unbehandelten<br />

Patienten auf der Warteliste zu einer Besserung<br />

der Migräne, sodass man sogar argumentieren<br />

könnte, dass allein die Aussicht auf<br />

eine möglicherweise wirkungsvolle <strong>Therapie</strong><br />

hilfreich sein kann.<br />

Vielen Dank <strong>für</strong> das Interview!<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


Arzt und Werbung<br />

Obwohl das ärztliche Werberecht durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

seit Mitte der Neunzigerjahre liberalisiert wurde,<br />

werden die werberechtlichen Möglichkeiten durch niedergelassene Ärzte<br />

zurückhaltend genutzt. Diese Situation ist vor allem Folge einer nur<br />

zögerlichen und widerstrebenden Anpassung der Rechtsprechung durch<br />

die Berufsgerichte und der damit einhergehenden Sorge Niedergelassener,<br />

durch Werbemaßnahmen in Konflikt mit dem ärztlichen Berufsrecht<br />

zu geraten. Die Gesetzgeber haben als Ziel, den Wettbewerb im<br />

Gesundheitswesen zu stärken. Dadurch gewinnen die werberechtlichen<br />

Möglichkeiten an Bedeutung, erläutert die Rechtsanwältin Heike Müller,<br />

Sindelfingen.<br />

In Umsetzung der Rechtsprechung des<br />

Bundesverfassungsgerichts zum Werberecht<br />

<strong>für</strong> Freiberufler verabschiedete der 105.<br />

<strong>Deutsche</strong> Ärztetag 2002 eine bedeutende<br />

Neufassung der §§ 27 ff Musterberufsordnung<br />

(MBO) zur beruflichen Kommunikation<br />

von Ärzten. In diesem Zusammenhang wurde<br />

insbesondere auf die ursprünglich in Kapitel<br />

D MBO enthaltenen Detailregelungen verzichtet.<br />

Nach wie vor wird dem Schutz des<br />

Patienten als besonderer, den Eingriff in die<br />

Berufsfreiheit nach Art. 12 GG rechtfertigender<br />

Gemeinwohlbelang Rechnung getragen.<br />

Im Gegensatz zu dem bislang geltenden restriktiven<br />

Werbeverbot wird dem Informationsbedürfnis<br />

des Patienten als einem „verständigen<br />

Verbraucher“ sowie dem grundgesetzlich<br />

geschützten Recht des Arztes zur beruflichen<br />

Außendarstellung jedoch ein zunehmend<br />

breiterer Raum eingeräumt. Grundsätzlich gilt<br />

<strong>für</strong> das ärztliche Werberecht:<br />

• Werbung im Sinne einer sachangemessenen,interessengerechten<br />

Information ist erlaubt.<br />

• Nicht die Werbung, sondern<br />

das Verbot der Werbung<br />

bedarf einer besonderen<br />

Rechtfertigung.<br />

• Ärzten ist es erlaubt, sich<br />

positiv in der Öffentlichkeit<br />

darzustellen. Aus der<br />

bloßen Werbewirksamkeit<br />

eines Textes folgt<br />

nicht unbedingt dessen<br />

Berufswidrigkeit.<br />

• Zulässige Werbung<br />

braucht keinen besonderen<br />

Anlass (z.B. Urlaub,<br />

Praxisvertretung, Änderung<br />

der Sprechzeiten),<br />

• Werbung ist in allen Medien<br />

zulässig.<br />

Liebermann<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

Sachliche Information versus<br />

berufswidrige Werbung<br />

Im Zentrum des ärztlichen Werberechts steht<br />

die Generalklausel des § 27 Abs. 2 und 3 MBO.<br />

Hiernach ist Ärzten eine sachliche, berufsbezogene<br />

Information, nicht jedoch eine berufswidrige,<br />

d.h. insbesondere anpreisende, irreführende<br />

oder vergleichende Werbung bzw.<br />

Duldung erlaubt. Die Berufswidrigkeit der Werbung<br />

kann sich hierbei insbesondere aus<br />

Form, Inhalt und/oder Umfang der Darstellung<br />

ergeben:<br />

• Eine anpreisende Werbung kann z.B. vorliegen,<br />

wenn die Werbung mit reißerischen,<br />

aufdringlichen oder marktschreierischen<br />

Mitteln erfolgt und/oder überhaupt keinen<br />

oder nicht objektiv nachprüfbaren Informationsgehalt<br />

aufweist.<br />

• Von einer irreführenden Werbung spricht<br />

man, wenn die Werbung geeignet ist, Fehlvorstellungen,<br />

z.B. über die Person des Arztes,<br />

die Praxis und/oder die Behandlung,<br />

Bitte beachten Sie die <strong>für</strong> Sie geltenden landesrechtlichen Regelungen, die möglicherweise<br />

geringfügig vom Wortlaut der Musterberufsordnung abweichen.<br />

Praxismanagement und Recht<br />

hervorzurufen.<br />

• Von einer vergleichendenWerbung<br />

ist auszugehen,<br />

wenn der<br />

Arzt z.B. seine<br />

persönlichen Eigenschaften,Verhältnisse,Behandlungsweise<br />

Heike Müller,<br />

Sindelfingen<br />

und/oder Praxis im Vergleich zu ärztlichen<br />

Kollegen entweder besonders positiv herausstellt<br />

oder in negativer Form Bezug auf<br />

ärztliche Kollegen nimmt.<br />

Besondere Qualifikationen<br />

Im Gegensatz zur bisherigen Regelung dürfen<br />

gem. § 27 Abs. 4 MBO sowohl<br />

• nach der Weiterbildungsordnung erworbene<br />

Bezeichnungen (Gebiets-, Schwerpunkt-<br />

und Zusatzbezeichnungen),<br />

• nach sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften<br />

erworbene Qualifikationen (genehmigungspflichtige<br />

Leistungen nach § 135<br />

SGB V, Zertifikate der Ärztekammern, z.B.<br />

Akupunktur),<br />

• Tätigkeitsschwerpunkte sowie<br />

• organisatorische Hinweise (z.B. „Hausärztliche<br />

Versorgung“, „Belegarzt“)<br />

angekündigt werden. Angaben zu den Tätigkeitsschwerpunkten<br />

sind allerdings nur dann<br />

zulässig, wenn der Arzt die umfassten Tätigkeiten<br />

nicht nur gelegentlich ausübt. Dies ist in<br />

der Regel der Fall, wenn die Tätigkeiten mehr<br />

als 20% der Gesamtleistung ausmachen.<br />

Praxisschild<br />

§ 17 Abs. 4 MBO enthält nur eine<br />

Vorgabe des Mindestinhalts des<br />

Praxisschildes:<br />

• Name<br />

• (Fach-)Arztbezeichnung<br />

• Sprechzeiten<br />

• Ggf. die Zugehörigkeit zu einer<br />

Berufsausübungsgemeinschaft<br />

nach § 18 a MBO.<br />

Weitere Angaben auf dem Praxisschild<br />

sind zulässig. Vorgaben<br />

hinsichtlich der Größe, der Anzahl<br />

und der Art des Praxisschildes sind<br />

nicht vorhanden.<br />

Verzeichnisse<br />

In diesem Bereich erfolgten keine<br />

nennenswerten Änderungen.<br />

§ 28 MBO wurde lediglich an die<br />

Neuregelungen angepasst.<br />

19


Bewegungstherapie<br />

Aktuelle Rechtsprechung<br />

Nach wie vor ist die Zulässigkeit einer Werbemaßnahme<br />

letztlich zwar eine Frage des Einzelfalles.<br />

Festzustellen ist jedoch eine zunehmende<br />

Liberalisierungstendenz der Rechtsprechung.<br />

So hat das Bundesverfassungsgericht<br />

in den letzten Jahren z.B. folgende Werbemaßnahmen<br />

als rechtmäßig gebilligt:<br />

• Bezeichnung als „Spezialist“ (BVerfG, Urteil<br />

vom 08.01.2002, Az. 1 BvR 1147/01)<br />

• Nicht marktschreierische Slogans oder Logos<br />

(BVerfG, Urteil vom 17.07.2003, Az. 1<br />

BvR 2115/02)<br />

• Auskünfte über den beruflichen Werdegang<br />

und Praxiserfahrungen, Anzahl der behandelten<br />

Patienten, Zugehörigkeit zu bestimmten<br />

berufsbezogenen Zusammenschlüssen<br />

(BVerfG, Urteil vom 26.08.2003, Az. 1 BvR<br />

1003/02)<br />

• Dialekt- und Fremdsprachenerwähnung<br />

(BVerfG, Urteil vom 26.08.2003, Az. 1 BvR<br />

2003/02)<br />

• Auskünfte über private Hobbys, Sponsoring<br />

und Sympathiewerbung, soweit nicht der<br />

Aquatraining<br />

Wieso, wann, weshalb und warum<br />

ein Aquatraining als Ergänzung in<br />

der <strong>Schmerz</strong>therapie? Die Indikationen<br />

und Vorzüge der Trainingstherapie<br />

im Wasser beschreibt<br />

Petra Ruhnke im vierten Teil ihrer<br />

Serie.<br />

Wieso …<br />

Ein Aquatraining, weil wir die allgemeinen Vorteile<br />

des Trainings im Wasser nutzen möchten<br />

wie:<br />

• Gelenk- und Bänder schonende Alternative<br />

zu anderen Bewegungen an Land<br />

• Gefahren der Überbelastung und Verletzung<br />

sind gering<br />

• Förderung der Muskelkräftigung<br />

• Verbesserung der Leistungsfähigkeit<br />

• Schneller Einsatz im Sinne der Beweglichkeit<br />

und des Krafterhalts<br />

• Erhöhter Bewegungsumfang<br />

• Ressourcen erweitern<br />

Wann …<br />

Indikationen: Aquatraining eignet sich <strong>für</strong> fast<br />

jede Beschwerde sowie chronische <strong>Schmerz</strong>en.<br />

Ein Aquatraining als Begleitung der<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie<br />

20<br />

Informationscharakter in den Hintergrund<br />

gedrängt wird (BVerfG, Urteil vom<br />

26.08.2003, 1 BvR 2003/02)<br />

• Unübliche, untypische Medien/Werbeträger<br />

(BVerfG, Urteil vom 26.09.2003, Az. 1 BvR<br />

1608/02)<br />

• Einzelne, ggf. anpreisende Passagen, solange<br />

diese sowohl quantitativ als auch qualitativ<br />

hinter den zulässigen Informationsgehalt<br />

zurücktreten (BVerfG, Urteil vom 13.07.2005,<br />

Az. 1 BvR 191/05).<br />

• Extrem weit ist das Bundesverfassungsgericht<br />

mit einer Entscheidung vom 26.10.2004<br />

(Az. 1 BvR 981/00) gegangen, indem es die<br />

Werbung einer Steuerberatungsgesellschaft<br />

auf einem Straßenbahnwagen in dessen<br />

voller Länge als zulässige Werbung einstufte.<br />

Ob man diese Entscheidung auch auf die<br />

ärztliche Werbung übertragen kann, bleibt<br />

derzeit allerdings noch zweifelhaft.<br />

Weitere gesetzliche Regelungen<br />

Neben den Regelungen der Berufsordnung<br />

sind gemäß § 27 Abs. 3 S. 4 MBO Werbever-<br />

Petra Ruhnke, Berlin<br />

Gruppe 1:<br />

Heilung<br />

In dieser Gruppe<br />

dient das Training<br />

der Wiederherstellung<br />

einer Teilfunktion<br />

des<br />

Körpers. Die Betreuung<br />

dieser<br />

Gruppe liegt in den<br />

Händen medizinischer<br />

Fachkräfte.<br />

Gruppe 2: Rehabilitation<br />

Zwischen der ersten und zweiten Gruppe ist<br />

ein fließender Übergang, so dass der Beginn<br />

der zweiten Gruppe in den Händen medizinischer<br />

Fachkräfte liegt. Am Ende der Phase<br />

kann ein geschultes Fachpersonal die Anleitung<br />

der Gruppe übernehmen. In dieser Phase<br />

sollten Arzt und Therapeut eng zusammenarbeiten,<br />

um effektiven Nutzen <strong>für</strong> den Patienten<br />

zu erzielen.<br />

Gruppe 3: Verbesserung<br />

Ein Dauerangebot <strong>für</strong> Patienten. Ein Bewegungsangebot<br />

zur Verbesserung von chronischen<br />

Begleitsymptomen und <strong>Schmerz</strong>en.<br />

Des Weiteren eine Schulung von Gleichgewicht,<br />

Koordination, Gelenkigkeit, Kraft, Ausdauer<br />

und Schnelligkeit.<br />

bote aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen<br />

(Werbeverbote nach dem Heilmittelwerbegesetz<br />

sowie dem Gesetz gegen den<br />

unlauteren Wettbewerb) zu beachten.<br />

Resümee<br />

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass es <strong>für</strong> die<br />

in der Praxis noch festzustellende Scheu vor<br />

„Praxis-Marketing“ keinen Grund mehr gibt.<br />

Nichtsdestotrotz ist vor wie auch immer gearteten<br />

Übertreibungen mit Kommerzialisierungstendenz<br />

zu warnen. Gegebenenfalls<br />

sollten sich Ärzte anwaltlich beraten lassen<br />

oder sich mit der zuständigen Ärztekammer in<br />

Verbindung setzen. Insgesamt zeigt sich jedoch<br />

eine weit gehende Liberalisierung im<br />

Bereich des ärztlichen Werberechts, die sich<br />

mit Sicherheit durch den zunehmenden Wettbewerb<br />

auf dem Gesundheitsmarkt noch verstärken<br />

wird.<br />

Heike Müller,<br />

RP Rechtsanwälte, Sindelfingen<br />

Kontraindikationen sind Herzrhythmusstörungen,<br />

Herztransplantation, offene<br />

Wunden, Neurodermitis bedingt (wegen Unverträglichkeit<br />

von Ozon oder Chlor), Erkältungskrankheiten.<br />

Aquatraining ist ein breites<br />

Arbeitsfeld <strong>für</strong> fast jede Erkrankung.<br />

Weshalb …<br />

Ein Aquatraining, weil wir die physiologischen<br />

Eigenschaften des Wassers nutzen wie:<br />

• Auftrieb: Der hydrostatische Druck ist der<br />

Druck, der mit der Wassertiefe steigt.<br />

• Schwerkraft: Der Körper arbeitet im Wasser<br />

gegen den Auftrieb.<br />

• Geschwindigkeit: Ist abhängig von der Geschwindigkeit<br />

der Bewegung, wir können<br />

einen 4-bis 42-mal höheren Wasserwiderstand<br />

erreichen.<br />

• Trägheit: Es braucht Kraft, um einen ruhenden<br />

Körper in Bewegung zu bringen, um einen<br />

sich bewegenden Körper zu stoppen,<br />

um eine Richtungsveränderung zu erzielen.<br />

• Wasserwiderstand: Hier wird mit Viskosität,<br />

Frontalwiderstand, Wellen- und Wirbelwiderstand<br />

sowie Turbulenzen im Wasser gearbeitet.<br />

• Hebelkraft: Die Trainingsintensität<br />

wird durch Veränderung der Hebel-<br />

arme und Variation der Geschwindigkeit<br />

beeinflusst.<br />

• Aktion/Reaktion: Nach dem Gesetz von<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


Newton gibt es auf jede Aktion eine Reaktion.<br />

Je intensiver ich mich gegen den Wasserwiderstand<br />

bewege, desto intensiver reagiert<br />

das Wasser gegen meinen Körper.<br />

• Thermoregulation: Hier machen wir uns die<br />

Wärmeleitung, den Wärmeentzug, die Verdunstung<br />

und Strahlung zunutzen,.<br />

Bei allen Eigenschaften, die wir uns zu- nutzen<br />

machen, sollten BARK- Übungen jedes Training<br />

begleiten:<br />

B = Beine<br />

A = Arme<br />

R = Rumpf<br />

K = kombinierte Übungen;<br />

denn passive und aktive Dehnungsübungen im<br />

Wasser spielen eine große Rolle. Kräftigung<br />

und Koordination und Ausdauerübungen steh<br />

zur Stabilisierung des Behandlungsergebnisses<br />

im Vordergrund.<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> eine <strong>Schmerz</strong>linderung<br />

sind eine Funktionswiederherstellung der<br />

Gelenke sowie ein Ausgleich muskulärer Disbalancen.<br />

Wenn wir Spaß und Lebensfreude in<br />

der Bewegung erleben, wird uns unser Körper<br />

mit einer Ausschüttung von Glück- und Gewebshormonen<br />

belohnen, was zur Folge hat,<br />

dass die <strong>Schmerz</strong>toleranz angehoben wird.<br />

Warum …<br />

Ein Aquatraining erzielt neben den physiologischen<br />

Effekten auch einen ganz großen und<br />

wichtigen psychosozialen Effekt wie<br />

\ des Selbstwertgefühls/Bewusstseins,<br />

\ der Körperwahrnehmung<br />

\ Verbesserung der Befindlichkeiten,<br />

\ der Aktivität, Attraktivität und Lebensqualität,<br />

\ Gesundheitsbewusstseins,<br />

\ der sozialen Kontakte.<br />

Bewegung als Lebensversicherung mit hoher<br />

Rendite!<br />

Zur Praxis<br />

Es ist ein Gruppentraining, optimal zweimal<br />

die Woche, jeweils 45 Minuten.<br />

Bei der Wassertiefe gibt es drei Möglichkeiten:<br />

• Flachwasser: Bauchnabel - Brusttiefe, hier<br />

ist die Schwerkraft um 40–60% reduziert.<br />

• Übergangstiefes Wasser: Brust- Schultertiefe;<br />

die Schwerkraft ist um 85% reduziert.<br />

• Tiefes Wasser: kein Bodenkontakt; die<br />

Schwerkraft ist um 90% reduziert.<br />

Ein optimales Training findet im übergangstiefen<br />

Wasser statt. Die Intensität<br />

ist abhängig vom Patienten und vom Trainingsangebot.<br />

Eine Stunde kann je nach<br />

Beschwerden gestaltet werden, von einem<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

Funktionstraining bis zum Ausdauertraining<br />

im Wasser. Wichtig ist, dass der Patient niemals<br />

im Wasser friert! Die Stunde sollte einen<br />

Erwärmungsteil, einen Hauptteil und ein Cool<br />

-down beinhalten, Musik ist ein sehr wichtiges<br />

Medium als Unterstützung des Angebotes.<br />

Mit Spaß geht alles etwas leichter. Die Wassertemperatur<br />

sollte 28–30ºC haben, diese<br />

Bewegungsbäder wird man vornehmlich in<br />

therapeutischen Einrichtungen und Kliniken<br />

finden. Dort werden sie hoffentlich auch gut<br />

ausgebildete Aquainstruktoren finden, die ein<br />

Angebot über Vereine anbieten.<br />

Die gesetzlichen Kassen bezuschussen zweimal<br />

im Jahr 80% der Kurskosten, die je nach<br />

Anbieter variieren zwischen 80 und 120 € <strong>für</strong><br />

10 Termine à 45 Minuten. Diese Präventionsmaßnahme<br />

steht jedem, ohne Komplikationen,<br />

nach § 20 zu.<br />

Bei chronischen Erkrankungen wie Krebs,<br />

Herzerkrankungen unterstützen die Kassen<br />

ein- bis zweimal 50–90 Trainingseinheiten.<br />

Hier wird eine Bewilligung vom Arzt benötigt,<br />

Seien Sie ihr eigenverantwortlicher<br />

<strong>Schmerz</strong>manager.<br />

Behandelnder Arzt<br />

<strong>Schmerz</strong>patient<br />

Beratungsgespräch/<br />

Sportmedizinische Beratung<br />

Wohlfühltagebuch: vom <strong>Schmerz</strong><br />

zum Wohlgefühl<br />

Individuelles Bewegungsangebot/<br />

Trainingsplan<br />

Rückmeldung an beh. Arzt<br />

und Bewegungstherapeuten<br />

Dauerangebot Bewegungstraining<br />

z. B. Aquatraining<br />

Archiv<br />

Bewegungstherapeut<br />

Bewegungstherapie<br />

die die Kassen dann ebenfalls genehmigen<br />

müssen. Grundsätzlich muss der Patient in<br />

Vorleistung gehen.<br />

Empfehlung<br />

Vor Teilnahme an einem Aquatraining ist eine<br />

individuelle sportmedizinische Beratung sinnvoll,<br />

um Wünsche und Vorlieben zu berücksichtigen<br />

und gleichzeitig gegebene Kontraindikationen<br />

(z. B. bei Herzrhythmusstörungen<br />

kein Aquatraining) herauszufiltern. Eine optimale,<br />

ganzheitliche Betreuung findet statt,<br />

wenn eine Zusammenarbeit zwischen dem<br />

behandelndem Arzt und dem Sporttherapeu-<br />

ten gegeben ist.<br />

Dazu eine Fallbeschreibung<br />

Eine Patientin (geb. 1937) mit einer Lumbalgie,<br />

in das rechte Bein bis zum Knie ausstrahlende<br />

<strong>Schmerz</strong>en und Parästhesien.<br />

Befund<br />

Erhebliche Bandscheibenprotrusionen L4/5<br />

und L5/S1 bei fortgeschrittenen Bandscheibendegenerationen.<br />

Verlauf<br />

Patientin klagt seit 1994 über heftige Rückenschmerzen.<br />

Behandlung bei verschiedenen<br />

Ärzten erfolgte über Spritzen, Tabletten, Krankengymnastik,<br />

Akupunktur, Reizstrom und<br />

Massagen. Diese Maßnahmen waren ohne<br />

nennenswerten Erfolg. Teilnahme an einer einjährigen<br />

medizinischen Trainingstherapie an<br />

Geräten hatte nur geringen Erfolg. Seit Mai<br />

2005 Übernahme eigenverantwortlicher Gesundheitsförderung<br />

mit Sportart Aquatraining<br />

& Nordic-Walking in einem Gruppentraining:<br />

In kurzer Zeit deutliche Verbesserung<br />

in der Beweglichkeit und <strong>Schmerz</strong>linderung.<br />

Fazit<br />

Die eigenverantwortliche Gesundheitsförderung<br />

ist eine ergänzende Maßnahme<br />

zur <strong>Schmerz</strong>therapie. Bei der Patientin hätten<br />

eine sportmedizinische Beratung und<br />

entsprechende Teilnahme an einer Gesundheitsmaßnahme<br />

eine frühzeitigere<br />

<strong>Schmerz</strong>linderung bringen können. Bei<br />

den Patienten muss eine kognitive Verhaltensänderung<br />

– vom <strong>Schmerz</strong>gedächtnis<br />

zum Wohlfühlgedächtnis – stattfinden. Diese<br />

beginnt mit der Führung eines Wohlfühltagebuches<br />

über einen Zeitraum von mindestens<br />

vier Wochen – bei Bedarf auch<br />

länger – und derTeilnahme an eigenverantwortlichen<br />

Gesundheitsmaßnahmen zur<br />

Stärkung der sozialen Komponente.<br />

Petra Ruhnke, Berlin<br />

21


<strong>Schmerz</strong> im Krankenhaus<br />

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt<br />

„<strong>Schmerz</strong>freies Krankenhaus“<br />

Das weltweit einzigartige Projekt<br />

„<strong>Schmerz</strong>freies Krankenhaus“ verfolgt<br />

mit seinem Methodenmix und<br />

dem interprofessionellen Ansatz<br />

das Ziel, das <strong>Schmerz</strong>management<br />

in den Kliniken zu optimieren. Über<br />

den derzeitigen Stand informieren<br />

die Projektleiter Prof. Jürgen Osterbrink<br />

und Prof. Christoph Maier<br />

(wiss. Mitarbeiter Andre Ewers<br />

und N. Nestler).<br />

Klinische Studien zeigen, dass <strong>Schmerz</strong>en<br />

im Krankenhaus auch heute noch<br />

ein weit verbreitetes und wegen ihrer oft hohen<br />

Intensität gravierendes Problem sind (DNQP<br />

2004). Jeder zweite Patient im Krankenhaus<br />

klagt über <strong>Schmerz</strong>en, jeder dritte Patient beschreibt<br />

sogar starke bis stärkste <strong>Schmerz</strong>en<br />

im Krankenhaus (DNQP 2004). Viele Patienten<br />

verhalten sich eher zurückhaltend, wenn es<br />

darum geht, nach einem <strong>Schmerz</strong>mittel zu fragen.<br />

Oftmals geben sie als Grund an, dass sie<br />

trotz starker <strong>Schmerz</strong>en das Pflegepersonal<br />

nicht bei der Arbeit stören wollen oder Angst<br />

haben, durch die Einnahme des Analgetikums<br />

abhängig zu werden (Paice 1998). Hinzu<br />

kommt, dass viele Patienten im Krankenhaus<br />

mit <strong>Schmerz</strong>en rechnen und der Überzeugung<br />

sind, dass Ihnen nicht oder nur unzureichend<br />

geholfen werden kann. Durch entsprechende<br />

Informationen <strong>für</strong> den Patienten und ein interdisziplinär<br />

verankertes <strong>Schmerz</strong>management<br />

könnten vielen Patienten vermeidbare <strong>Schmerz</strong>en<br />

erspart bleiben.<br />

Ziel des Forschungs-<br />

projekts<br />

Das Ziel des interdisziplinären<br />

Forschungsprojektes „<strong>Schmerz</strong>freies<br />

Krankenhaus“, das von der<br />

Firma Mundipharma GmbH gefördert<br />

wird, ist die Optimierung<br />

des <strong>Schmerz</strong>managements im<br />

Krankenhaus. Im Vordergrund<br />

steht, den Anteil von Patienten<br />

mit nicht erträglichen <strong>Schmerz</strong>en<br />

maximal zu senken. Ebenso soll<br />

in den teilnehmenden Kliniken<br />

das Phänomen <strong>Schmerz</strong> als interdisziplinäres<br />

Handlungsfeld<br />

verankert werden. Dazu ist es<br />

22<br />

Qualitätsbescheinigung<br />

unter anderem erforderlich, die Schwerpunkte<br />

pflegewissenschaftlicher Forschung mit den<br />

Schwerpunkten medizinischer Forschung im<br />

<strong>Schmerz</strong>management sinnvoll zu verbinden,<br />

um anschließend die gewonnenen Erkenntnisse<br />

interdisziplinär umsetzen zu können.<br />

Advisory Board<br />

Die Prozesse und Entscheidungsfindungen in<br />

diesem Projekt werden von einem Expertenteam<br />

aus <strong>Schmerz</strong>therapeuten, Pflegewissenschaftlern,<br />

Anästhesisten, Internisten und Biometrikern<br />

unterstützt und beratend begleitet.<br />

Durchführung des Forschungsprojekts<br />

Bereits zu Beginn des Forschungsprojekts im<br />

Herbst 2003 zeigten bundesweit mehr als 100<br />

Kliniken ein hohes Interesse an dem Projekt.<br />

In einer ersten Auswahl wurden zunächst fünf<br />

Kliniken in die Studie inkludiert. Die Auswahl<br />

der Kliniken erfolgte anhand unterschiedlicher<br />

Kriterien. Eine Voraussetzung <strong>für</strong> die Teilnahme<br />

war unter anderem ein Beschluss der Klinikleitung,<br />

um die Durchführung des Projektes<br />

in den teilnehmenden Fachbereichen <strong>für</strong> die<br />

gesamte Projektdauer sicherzustellen. Ebenso<br />

sollten die in den Kliniken zu befragenden Patienten<br />

aus den operativen und konservativen<br />

Fachbereichen die Grundgesamtheit der Patienten<br />

mit <strong>Schmerz</strong>problematiken möglichst<br />

gut repräsentieren. Eine willkürliche Zuordnung<br />

der Kliniken oder einzelner Patientengruppen<br />

erfolgte nicht.<br />

Die Datenerhebung dieses zurzeit in der<br />

anschließenden Phase befindlichen Projektes<br />

Erhebung von Strukturdaten 2 Wochen<br />

Arzt-, Pflege-, Patientenbefragung<br />

Ist-Analyse Optimierungskonzept<br />

Implementierung der Optimierungen<br />

Re-Evaluation<br />

<strong>Schmerz</strong>freies<br />

Krankenhaus<br />

Abb. 1: Ablauf des Projekts „<strong>Schmerz</strong>freies Krankenhaus“.<br />

2 Wochen<br />

1 Monat<br />

3–6 Monate<br />

2 Wochen<br />

erfolgt als quasiexperimentellesPre-/Posttestdesign<br />

(siehe Abb.<br />

1). Zunächst wurde<br />

in einem Zeitraum<br />

von zwei Wochen das <strong>Schmerz</strong>management<br />

in den Kliniken evaluiert (Pretestphase). Die<br />

Datenerhebung erfolgte anhand quantitativer<br />

und qualitativer Erhebungsmethoden in<br />

verschiedenen operativen und konservativen<br />

Fachbereichen. Pflegende, Stationsärzte, Anästhesisten<br />

und Chefärzte wurden mit jeweils<br />

<strong>für</strong> die Berufsgruppen individuell erstellten Fragebögen<br />

zum aktuellen Stand des <strong>Schmerz</strong>managements<br />

in ihrer Klinik befragt. Flankierend<br />

dazu erfolgten unter der Beteiligung<br />

von Ärzten und Pflegenden Problemzentrierte<br />

Interviews anhand eines halbstandardisierten<br />

Interviewleitfadens. Die Interviews wurden<br />

durch Ärzte und Pflegewissenschaftler des<br />

Forschungsprojekts geführt. Ziel dieser Interviews<br />

war, einen über die quantitative Erhebung<br />

hinausgehenden, vertieften Einblick in<br />

die Prozesse des <strong>Schmerz</strong>managements der<br />

einzelnen Fachbereiche der Klinik zu erhalten.<br />

Ebenso wurden auf einigen Stationen in den<br />

Kliniken nicht intervenierende Beobachtungen<br />

in der Praxis durchgeführt. Diese dienten dazu,<br />

Anhalte da<strong>für</strong> zu bekommen, wie auf <strong>Schmerz</strong>äußerungen<br />

des Patienten reagiert wird.<br />

Ein zentraler Punkt der Datenerhebung<br />

war die Einschätzung des Patienten<br />

zur <strong>Schmerz</strong>therapie sowie sein aktueller<br />

<strong>Schmerz</strong>status. In den operativen Fächern<br />

wurden alle Patienten am ersten postoperativen<br />

Tag in die Studie inkludiert,<br />

Grafik Osterbrink<br />

Prof. Jürgen<br />

Osterbrink, Nürnberg<br />

da, untermauert durch Literaturhinweise,<br />

<strong>Schmerz</strong>en verstärkt<br />

an diesem Tag auftreten. In den<br />

konservativen Fachbereichen wurde<br />

eine Punkterhebung bei den<br />

Patienten am ersten klinischen<br />

Erhebungstag durchgeführt. Die<br />

Datenerhebung bei den Patienten<br />

erfolgte unter Einbeziehung<br />

von Studienassistenten. Die Studienassistenten<br />

wurden aus dem<br />

Bachelor- und Master-Studiengang<br />

des Instituts <strong>für</strong> Pflegewissenschaft<br />

der Universität Witten/<br />

Herdecke rekrutiert und von wissenschaftlichen<br />

Mitarbeitern wie<br />

auch von Projektverantwortlichen<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


geschult. Aufgabe der Studienassistenten<br />

war, den Patienten die Fragebögen auszuhändigen<br />

sowie <strong>für</strong> Rückfragen der Patienten<br />

zur Verfügung zu stehen. Ebenso waren die<br />

nicht intervenierenden Beobachtungen in der<br />

Praxis Aufgabe der Studienassistenten.<br />

Interventionsphase<br />

Jede Klinik erhielt nach Auswertung ihrer Daten<br />

einen individuellen Ergebnisbericht, in dem<br />

praxisnahe, auf die jeweilige Klinik abgestimmte<br />

Vorschläge zur Optimierung des <strong>Schmerz</strong>managements<br />

vorgelegt wurden. In individuellen<br />

Fortbildungsveranstaltungen, die vor Ort in<br />

den Kliniken stattfanden, wurden <strong>für</strong> Pflegende<br />

und Ärzte gezielte Interventionen zur Optimierung<br />

des <strong>Schmerz</strong>managements geschult.<br />

Anschließend erfolgte die Umsetzung dieser<br />

Interventionen in die Praxis (Interventionsphase).<br />

Als Unterstützung in der Interventionsphase<br />

wurden verschiedene Instrumente zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

• Poster <strong>für</strong> den operativen und konservativen<br />

Fachbereich<br />

Inhaltlich erläutern die Poster einige in<br />

den Kliniken eingeleitete Maßnahmen zur<br />

Optimierung des <strong>Schmerz</strong>managements<br />

(<strong>Schmerz</strong>einschätzung, Dokumentation der<br />

Maßnahmen etc.).<br />

• Informationsbroschüre <strong>für</strong> Patienten<br />

Der Fokus dieser Broschüren liegt in der<br />

Darstellung der Notwendigkeit der <strong>Schmerz</strong>einschätzung<br />

und der frühzeitigen Mitteilung<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

des Patienten über seine <strong>Schmerz</strong>en an die<br />

Pflegenden und Ärzte.<br />

• Skriptum zum <strong>Schmerz</strong>management <strong>für</strong> das<br />

Intranet der Klinik<br />

Inhaltlich geht das Skript auf spezielle<br />

pflegerische und medizinische Interventionen<br />

ein.<br />

• Internetseite des Forschungsprojekts (www.<br />

schmerzfreies-krankenhaus.de)<br />

Auf dieser Plattform werden, neben einem<br />

Premiumbereich <strong>für</strong> die teilnehmenden<br />

Kliniken, Informationen zu pflegerischen und<br />

medizinischen Themen angeboten. Downloads<br />

ausgewählter Schwerpunktthemen sind<br />

möglich.<br />

Praxisbegleitung durch Studienassistenten<br />

Im letzten Drittel der Interventionsphase erfolgte<br />

eine Praxisbegleitung durch Studienassistenten,<br />

um abschließend Problembereiche<br />

in der Umsetzung der Maßnahmen zu identifizieren<br />

und Steuerungsinstrumente zu modifizieren.<br />

Derzeit findet in den Kliniken die Reevaluationsphase<br />

statt. Die erhobenen Daten werden<br />

aufzeigen, ob und in wieweit die eingeleiteten<br />

Interventionen einen positiven Effekt auf<br />

das <strong>Schmerz</strong>management haben.<br />

Ergebnisse<br />

Insgesamt nahmen in den 25 Kliniken 4163<br />

Patienten, 2840 Pflegende und 1281 Ärzte an<br />

Selbsthilfe gewinnt an Bedeutung<br />

Selbsthilfe liegt im Trend. Familiäre, nachbarschaftliche und sozialstaatliche<br />

Strukturen unterliegen gegenwärtig großen Veränderungen, die<br />

vom Einzelnen mehr Eigenverantwortung und Eigeninitiative verlangen.<br />

Selbsthilfegruppen zu fördern, bringt <strong>für</strong> alle Beteiligten nur Vorteile,<br />

erläutern Dr. med. Robert Reining, Passau, und Silke Schneider, <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Schmerz</strong>liga, Oberursel.<br />

Diese Veränderungen machen auch vor<br />

dem Gesundheitssystem nicht halt, das<br />

Gesundheitsmodernisierungsgesetz beispielsweise<br />

ist Ausdruck dieses gesellschaftlichen<br />

Individualisierungsprozesses. Viele Patienten<br />

sind durch diese Entwicklungen verunsichert<br />

und <strong>für</strong>chten, dass neue Risiken auf sie zukommen.<br />

Eine wachsende Zahl von Menschen jedoch<br />

entscheidet sich angesichts dieser Situation<br />

da<strong>für</strong>, sich selbst stärker <strong>für</strong> die eigenen<br />

Belange zu engagieren. Sie wollen mehr Informationen<br />

und fordern mehr Patientenbeteili-<br />

gung und -autonomie. Auch die neue Gesundheitsreform<br />

stärkt die Beteiligungsrechte der<br />

Patientenverbände. Zudem soll die Ende 2003<br />

neu eingesetzte sog. „Patientenbeauftragte“,<br />

Frau Kühn-Mengel, auf Bundesebene da<strong>für</strong><br />

sorgen, dass Patienteninteressen stärkere<br />

Beachtung finden.<br />

Die Bereitschaft und der Wille, das<br />

Heft in die eigene Hand zu nehmen, zeigen<br />

sich v. a. auch in der stetig steigenden Zahl<br />

von Selbsthilfeorganisationen und -gruppen<br />

deutschlandweit. Betroffene und Angehörige<br />

schließen sich mit Menschen, die in der glei-<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />

dem Projekt teil. Aufgrund der Forschungsmethodik<br />

werden die bisherigen Daten bei dem<br />

bereits begonnenen Posttest zumindest verdoppelt.<br />

Die Gesamtergebnisse der Erhebung<br />

werden im Laufe des nächsten Jahres in unterschiedlichen<br />

Fachzeitschriften der Pflege und<br />

Medizin veröffentlicht.<br />

Das Projekt wurde bereits auf verschiedenen<br />

nationalen und internationalen Konferenzen<br />

vorgestellt. Hier zeigte sich, dass dieses<br />

Projekt mit seinem Fokus, dem Methodenmix,<br />

dem interprofessionellen Ansatz wie auch der<br />

Quantität der bisherigen Daten zurzeit als weltweit<br />

einzigartig angesehen werden muss.<br />

Zertifizierung<br />

Aktuell wird eine Zertifizierung <strong>für</strong> die teilnehmenden<br />

Kliniken vorbereitet. Unter anderem<br />

sind mehrere Fachgesellschaften der Pflege<br />

und Medizin (DBfK, DGSS, DGIKM) in diesen<br />

Prozess involviert.<br />

Jürgen Osterbrink, Nürnberg<br />

juergen.osterbrink@schmerzfreies-krankenhaus.de<br />

Literatur<br />

1. DNQP: 2004, Expertenstandard <strong>Schmerz</strong>management<br />

in der Pflege; Schriftenreihe des deutschen<br />

Netzwerks <strong>für</strong> Qualitätsentwicklung in der<br />

Pflege, Osnabrück<br />

2. Paice, J., Toy, C., und Shott, S. 1998. Barriers<br />

to cancer relief: Fear of tolerance and addiction.<br />

Journal of Symptom Management 16 (1):1–9.<br />

chen Situation sind,<br />

zusammen, sie nutzen<br />

ihr Selbsthilfepotenzial,<br />

um ihre<br />

Situation selbst zu<br />

verbessern, statt<br />

auf Hilfe von außen<br />

zu warten.<br />

Robert Reining,<br />

Oberursel<br />

Ansprüche an Ärzte steigen<br />

Die wachsende Gruppe engagierter „Anwälte<br />

in eigener Sache“ hat auch an die sie behandelnden<br />

Ärzte geänderte Ansprüche. Sie geben<br />

die Verantwortung <strong>für</strong> ihre Gesundheit<br />

nicht an der Praxispforte ab, sondern sie wollen<br />

Ärzte, die sie über ihre Krankheit und den<br />

Behandlungsverlauf aufklären, die sie ernst<br />

nehmen und aktiv in den Heilungsprozess miteinbeziehen.<br />

Dies erfordert viel Zeit, Zeit, die<br />

im normalen Praxisalltag meist nicht zur Verfügung<br />

steht. Hier empfiehlt es sich, als Arzt eine<br />

23


<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />

Selbsthilfegruppe <strong>für</strong> die Patienten ins Leben<br />

zu rufen und engagierte Patienten zu motivieren,<br />

eine solche Gruppe zu gründen.<br />

Selbsthilfegruppen –<br />

Chance <strong>für</strong> Arzt und Patient<br />

Der Aufwand lohnt sich – und zwar <strong>für</strong> alle Beteiligten.<br />

Ihr Vorteil als Arzt liegt darin, dass in<br />

der Gruppe Informationen ausgetauscht und<br />

Diskussionen geführt werden und Sie diese<br />

Punkte in den Einzelgesprächen dann nicht<br />

mehr besprechen müssen. Die Patienten sind<br />

zufrieden, weil sie in der Gruppe quasi auf gleicher<br />

Augenhöhe ihr Anliegen mit „ihrem Arzt“<br />

als Experten und mit anderen Patienten, die<br />

ähnliche Probleme haben, besprechen können.<br />

Sie entwickeln das Gefühl, selbst etwas in<br />

Bewegung gebracht zu haben. Daraus ergibt<br />

sich eine gute Patientencompliance, die <strong>für</strong><br />

den Behandlungserfolg von unschätzbarem<br />

Wert ist. Mit Sicherheit spricht sich eine gute<br />

Patienteneinbindung sehr schnell unter anderen<br />

Patienten und deren Angehörigen herum.<br />

Zufriedene Patienten sind schließlich die beste<br />

Werbung <strong>für</strong> Ihre Praxis.<br />

Ihre Initiative wird sich mit Sicherheit nur<br />

auf die Anfangszeit erstrecken müssen, Sie<br />

geben quasi die Initialzündung, dann ist die<br />

Sache am Laufen, und Ihre Aufgabe könnte<br />

es z.B. sein, einen Praxisraum <strong>für</strong> das Gruppentreffen<br />

zur Verfügung zu stellen, an einem<br />

Gruppen-abend zu referieren oder Ihren Kontakt<br />

zu anderen <strong>Schmerz</strong>experten zu nutzen,<br />

um diese <strong>für</strong> Vorträge an den Gruppentreffen<br />

zu gewinnen.<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />

Sie müssen sich nicht die Mühe machen, das<br />

Rad neu zu erfinden: Setzen Sie bzw. Ihre Patienten<br />

bei der Gründung einer Selbsthilfe-<br />

So fördert die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga ihre regionalen<br />

Selbsthilfegruppen<br />

24<br />

Spezielle Leistungen <strong>für</strong> Mitglieder der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga<br />

(im Mitgliedsbeitrag enthalten; der jährliche Mitgliedsbeitrag beträgt 30,– €, <strong>für</strong> Mitglieder<br />

von <strong>Schmerz</strong>liga-Selbsthilfegruppen 15,– €)<br />

• <strong>Schmerz</strong>telefon, werktags 9–12 Uhr, Tel. 0700/375 375 375<br />

• Telefonische <strong>Schmerz</strong>beratung durch einen <strong>Schmerz</strong>therapeuten (2-mal wöchentlich)<br />

• Adressen schmerztherapeutischer Gutachter sowie schmerztherapeutischer Einrichtungen<br />

und <strong>Schmerz</strong>liga-Selbsthilfegruppen bundesweit<br />

• Einmalige persönliche juristische Beratung<br />

• Zeitschrift NOVA (4-mal jährlich), die Sie über die aktuellsten Entwicklungen in der<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie informiert<br />

• Hilfe bei der Gründung und Förderung von <strong>Schmerz</strong>liga-Selbsthilfegruppen<br />

• Neu: Kooperationen mit verschiedenen Versandapotheken. Für ihre Mitglieder hat die<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga mit diesen Apotheken besondere Konditionen ausgehandelt.<br />

• Regionale Informationsveranstaltungen<br />

• Interessenvertretung chronisch <strong>Schmerz</strong>kranker in Öffentlichkeit und Politik<br />

gruppe auf die langjährige Erfahrung der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Schmerz</strong>liga, der Patientenorganisation<br />

<strong>für</strong> Menschen mit chronischen <strong>Schmerz</strong>en, die<br />

seit Jahren erfolgreich Selbsthilfegruppenarbeit<br />

durchführt.<br />

Ca. 85 Gruppen in ganz Deutschland<br />

haben sich bereits unter<br />

dem Dach der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Schmerz</strong>liga zusammengeschlossen.<br />

Diese werden<br />

von der <strong>Schmerz</strong>liga<br />

tatkräftig unterstützt, z.B.<br />

findet regelmäßig ein<br />

großer Workshop statt, in<br />

dem die Gruppenleiter <strong>für</strong><br />

ihre Aufgabe qualifiziert<br />

werden. Auch finanziell<br />

werden die Gruppen unterstützt.<br />

Bei Interesse an der<br />

Gründung einer Selbsthilfegruppe<br />

oder wenn Sie<br />

• Unterstützung bei der Gruppengründung (auf Wunsch Beratung vor<br />

Ort, Teilnahme an der Gründungsveranstaltung)<br />

• Finanzielle Unterstützung: Jede Selbsthilfegruppe der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Schmerz</strong>liga erhält jährlich <strong>für</strong> jedes <strong>Schmerz</strong>liga-Gruppenmitglied<br />

20,– € Fördergeld <strong>für</strong> die regionale Arbeit vor Ort (<strong>Schmerz</strong>liga-Mitgliedsbeitrag<br />

<strong>für</strong> Mitglieder in Selbsthilfegruppen: 15,– €)<br />

• Kostenlose Qualifizierung der Selbsthilfegruppenleiter und ihrer Vertreter<br />

bei mehrtägigen Workshops<br />

• Unterstützung der Gruppen bei Informationsveranstaltungen<br />

• Bereitstellung von Briefpapier, Plakaten, Infobroschüren, Gruppeninfoblatt<br />

(<strong>für</strong> neue Gruppen)<br />

Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Frau<br />

Makridu, Geschäftsstellenleiterin der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Schmerz</strong>liga, Tel. 0700/375 375 375,<br />

Makridu@<strong>Schmerz</strong>liga.de.<br />

Robert Reining, Passau<br />

Silke Schneider, Oberursel<br />

S C H M E R Z E N S I N D K E I N S C H I C K S A L.<br />

Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga fördert Selbsthilfegruppen.<br />

„ PAT I E N T E N M I T C H R O N I S C H E N S C H M E R Z E N<br />

H A B E N E I N R E C H T A U F K O M P E T E N T E H I L F E.<br />

W E R D E N S I E A K T I V!“<br />

DR. MED. MARIANNE KOCH,<br />

PRÄSIDENTIN DER DEUTSCHEN SCHMERZLIGA<br />

W W W.SCHMERZLIGA.DE<br />

T E L: 0700 / 375 375 375<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga e.V.<br />

Präsidentin Dr. med. Marianne Koch<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


Januar 2006<br />

<strong>Schmerz</strong>en überall – Fibromyalgie,<br />

Rheumatologie – State of the art<br />

11.01.2006 in Remscheid<br />

Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die Geschäftsstelle des DGS Oberursel,<br />

Tel.: 0 6171/ 28 60 20 · Fax: 0 6171/ 28 60 22 · E-Mail: info@dgschmerztherapie.de.<br />

Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den Details finden Sie im Internet unter<br />

www.dgschmerztherapie.de mit der Möglichkeit der Onlineanmeldung.<br />

Physioenergetik – Kinesiologische Diagnostik<br />

und <strong>Therapie</strong> in der <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

Kurs I<br />

13.01. bis 15.01.2006 in Hartmannsdorf / Zwickau<br />

Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS - Zwickau<br />

Freiburger Palliativtag<br />

14.01.2006 in Freiburg: Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Freiburg<br />

Systematik I<br />

14.01. bis 15.01.2006 in Randersacker;<br />

Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Würzburg<br />

Akupunktur-Ausbildung A-Diplom und Zusatzbezeichnung<br />

Akupunktur AKU 1 (20 UE)<br />

14.01. bis 15.01.2006 in Bad Bergzabern;<br />

Anmeldung: DafNA Tel. 06232-77720 Frau Horch<br />

AADS – Die Not der „kleinen Nervensägen“<br />

16.01.2006 in Gedern; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Schotten (Gedern)<br />

CRPS – M. Sudecke<br />

18.01.2006 in Celle; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Celle<br />

Tumorschmerztherapie – Update Ambulante Palliativdienste<br />

18.01.2006 in Hannover; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Hannover<br />

Anhaltende somatoforme <strong>Schmerz</strong>störung<br />

Psychosomatische Aspekte von Diagnostik und<br />

<strong>Therapie</strong><br />

18.01.2006 in Schwäbisch Hall; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Künzelsau Hohenlohe<br />

Ausbildung Manuelle Medizin 2006 – 2008<br />

19.01. bis 22.01.2006 in Göppingen; GGMM<br />

Curriculum Psychosomatische Grundversorgung,<br />

1. Wochenende<br />

20.01. bis 22.01.2006 in Heidelberg;<br />

Geschäftsstelle DGS<br />

TENS in der <strong>Schmerz</strong>therapie<br />

21.01.2006 in München: Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – München<br />

Anwendung von Botulinumtoxin in der<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie<br />

21. 01. 2006; Dr. Gerhard Müller Schwefe; Göppingen<br />

Curriculum Palliativmedizin,<br />

Aufbaukurs / Modul 2<br />

25.01. bis 29.01.2006 in Wiesbaden; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Wiesbaden<br />

Qualifikation Algesiologin DGS/DgfA<br />

Dr. med. Silvia Maurer, Bad Bergzabern<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

DGS-Veranstaltungen<br />

<strong>Schmerz</strong>therapie - Praxisseminar<br />

Entdeckung der Sinne<br />

31.01.2006 in Wiesbaden; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Wiesbaden<br />

Februar 2006<br />

<strong>Therapie</strong> des LWS-Syndroms<br />

08.02.2006 in Köln; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Köln<br />

Akupunktur hilft immer ???<br />

08.02.2006 in Osnabrück; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Osnabrück<br />

Rheuma und <strong>Schmerz</strong><br />

Fakten und Mythen<br />

08.02.2006 in Stade; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Stade<br />

Systematik II<br />

11.02. bis 12.02.2006 in Randersacker; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Würzburg<br />

Curriculum Palliativmedizin Aufbaukurs II (Teil 3)<br />

15.02. bis 19.02.2006 in Geldern; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Geldern/Kreis Kleve<br />

Ausbildung Manuelle Medizin 2006–2008<br />

16.02. bis 19.02.2006 in Göppingen; GGMM<br />

Hr. Böhnstedt Tel. 0381-1216103<br />

Triggerpunkte erkennen und behandeln<br />

17.–19. 02.2006; Dr. Gerhard Müller-Schwefe,<br />

Göppingen<br />

Curriculum Psychosomatische Grundversorgung,<br />

2. Wochenende<br />

18.02. bis 19.02.2006 in Heidelberg; Geschäfts-<br />

stelle DGS<br />

Morbus Sudeck – CRPS<br />

Hat sich nur der Name geändert?<br />

22.02.2006 in Bad Salzungen; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Bad Salzungen<br />

Fibromyalgie – Phantom oder Realität?<br />

22.02.2006 in Bielefeld; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Herford<br />

Alles über Selen<br />

22.02.2006 in Bocholt; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Bocholt<br />

Festveranstaltung zum 10-jährigen Bestehen<br />

22.02.2006 in Halle; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS –- Halle/Saale<br />

40-Stunden – Basiskurs Palliativmedizin<br />

22.02. bis 26.02.2006 in Celle; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Celle<br />

Palliativmedizin / <strong>Schmerz</strong>therapie im Hospiz<br />

23.02.2006 in Bad Pyrmont; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Schieder – Bad Pyrmont<br />

Curriculum Psychosomatische Grundversorgung,<br />

1. Wochenende<br />

24.02. bis 26.02.2006 in Heidelberg; Geschäftsstelle<br />

DGS<br />

März 2006<br />

DGS-Veranstaltungen<br />

Triggerpunktsyndrome und Triggerpunkt-<br />

behandlung<br />

01.03.2006 in Eisenhüttenstadt; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Eisenhüttenstadt<br />

Curriculum Palliativmedizin,<br />

Aufbaukurs / Modul 3 <strong>für</strong> Pflegekräfte<br />

01.03. bis 05.03.2006 in Wiesbaden; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Wiesbaden<br />

25


Bücherecke<br />

Neurogener <strong>Schmerz</strong> –<br />

multidisziplinär<br />

Hrsg. H. Göbel, D. Rosenow, V. Tronnier:<br />

Neurogener <strong>Schmerz</strong>. Management von Diagnostik<br />

und <strong>Therapie</strong>. 379 S., 158 Abb. Mit CD-<br />

ROM. 79,75 €. 2005. ISBN 3-540-21482-8.<br />

Springer Verlag, Heidelberg.<br />

In diesem neuen praxisorientierten Handbuch<br />

wird das Management von Diagnostik und<br />

<strong>Therapie</strong> neurogener <strong>Schmerz</strong>en detailliert<br />

erörtert. Die anatomischen Grundlagen beschreibt<br />

S. Mense im ersten Kapitel und M.<br />

Zimmermann erläutert danach die physiologischen<br />

und zellbiologischen Mechanismen<br />

neuropathischer <strong>Schmerz</strong>en. Die verschiedenen<br />

Krankheitsbilder vom primären Kopfschmerz,<br />

chronischen Gesichtsschmerzen,<br />

Neuropathien am Rumpf sowie der oberen<br />

und unteren Extremität, zentrale <strong>Schmerz</strong>en,<br />

sympathisch unterhaltener <strong>Schmerz</strong>, Herpes<br />

zoster, Multiple Sklerose, Polyneuropathien<br />

werden praxisnah diskutiert. Die begleitende<br />

CD-ROM illustriert mit Videos, wie SCS-Elektroden<br />

und <strong>Schmerz</strong>pumpen implantiert werden.<br />

StK<br />

Impressum<br />

Organ der <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />

<strong>Schmerz</strong>therapie<br />

Herausgeber<br />

Gerhard Müller-Schwefe,<br />

Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen<br />

Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477<br />

E-Mail: gp@dgschmerztherapie.de<br />

Schriftleitung<br />

Oliver Emrich, Ludwigshafen; Thomas Flöter, Frankfurt;<br />

Winfried Hoerster, Gießen;<br />

Dietrich Jungck, Hamburg; Uwe Junker, Remscheid;<br />

Stephanie Kraus (verantw.), Stephanskirchen,<br />

Tel.: 08036/1031; Thomas Nolte, Wiesbaden; Hanne<br />

Seemann, Heidelberg; Michael Überall, Nürnberg<br />

Beirat<br />

Joachim Barthels, Bad Salzungen; Wolfgang Bartel, Halber-<br />

stadt; Heinz-Dieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/<br />

Saale; Klaus Borchert, Greifswald; Burkhard Bromm,<br />

Hamburg; Kay Brune, Erlangen; Mathias Dunkel, Wiesbaden;<br />

Andreas Ernst, Berlin; Gerd Geisslinger, Frankfurt;<br />

26<br />

<strong>Schmerz</strong>en richtig messen<br />

und dokumentieren<br />

Pioch, Erdmute: <strong>Schmerz</strong>dokumentation in<br />

der Praxis. Klassifikation, Stadieneinteilung,<br />

<strong>Schmerz</strong>fragebögen, XI, 170 S. 12 illus.,<br />

Softcover. 24,95 €, ISBN: 3-540-22890-X, 2005,<br />

Springer Verlag, Heidelberg.<br />

Nach wie vor sind <strong>Schmerz</strong>en kaum ein Thema<br />

in der medizinischen Ausbildung und daher<br />

finden sich viele Ärzte in der Praxis in dem<br />

Dschungel der <strong>Schmerz</strong>dokumentation kaum<br />

zurecht. Das übersichtliche Werk von Dr. Erdmute<br />

Pioch erläutert die Klassifikationen wie<br />

ICD, DSM, IAPS, die Graduierungen und Stadieneinteilungen<br />

nach MPSS, GPCPS und<br />

dem Sommerfelder Befundsystem. Gängige<br />

Messinstrumente und Testverfahren in der<br />

<strong>Schmerz</strong>medizin ebenso wie Screeningsinstrumente<br />

zu spezifischen Erkrankungen wie<br />

der Kieler Kopfschmerzfragebogen oder das<br />

Screening <strong>für</strong> somatoforme Störungen werden<br />

praxisnah beschrieben. Wie kann ich <strong>Schmerz</strong>en<br />

bei Kindern oder bei geriatrischen Patienten<br />

messen? Auch diese Fragen werden in<br />

eigenständigen Kapiteln beantwortet. StK<br />

Hartmut Göbel, Kiel; Henning Harke, Krefeld; Oliver Heine,<br />

Limburg; Ulrich Hankemeier, Bielefeld; Stein Husebø,<br />

Bergen; Klaus Jork, Frankfurt; Edwin Klaus, Würzburg;<br />

Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Ludwigshafen;<br />

Bruno Kniesel, Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd<br />

Koßmann, Wangen; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Christoph<br />

Müller-Busch, Berlin; Robert Reining, Passau; Robert<br />

F. Schmidt, Würzburg; Günter Schütze, Iserlohn; Ralph<br />

Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer, Limburg; Georgi<br />

Tontschev, Bernau; Roland Wörz, Bad Schönborn; Henning<br />

Zeidler, Hannover; Walter Zieglgänsberger, München;<br />

Manfred Zimmermann, Heidelberg<br />

Verlag<br />

© URBAN & VOGEL Medien und Medizin GmbH<br />

Neumarkter Str. 43, D-81673 München<br />

Ulrich Huber, Leitung Sonderpublikationen<br />

Geschäftsführer Dr. Georg Ralle<br />

In Zusammenarbeit mit dem Fachverband <strong>Schmerz</strong>, Verband<br />

<strong>Deutsche</strong>r Ärzte <strong>für</strong> Algesiologie e.V., <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> Algesiologie e.V., <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />

Algesiologische Fachassistenz e. V., <strong>Deutsche</strong> Akademie<br />

<strong>für</strong> Algesiologie, GAF <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> algesiologische<br />

Rehabilitation<br />

Christoph Schönle (Hrsg.): Rehabilitation. Praxiswissen<br />

Halte- und Bewegungsorgane. 2004,<br />

XIV, 338 Seiten, 267 Abb., 4 Tab., geb. ,<br />

79,95 €. ISBN 3-13-130711-0, Georg Thieme<br />

Verlag, Stuttgart.<br />

Dieses ungemein gut bebilderte Werk zur Rehabilitation<br />

legt den Schwerpunkt auf die aktiven<br />

Übungstherapien wie Kraft-, Dehnungs-<br />

und Ausdauertraining. Im ersten Teil werden<br />

die Verfahren und ihre theoretischen Grundlagen<br />

vorgestellt. Insbesondere wird das Aquatraining<br />

mit vielen Bildern dem Leser nahe<br />

gebracht, das sich durch den Auftrieb des<br />

Wassers <strong>für</strong> Patienten mit Teillähmungen oder<br />

schmerzhaften Gelenken sehr eignet.<br />

Aquarobic, Aquajogging und Aquabicycling<br />

werden dem Experten ebenso wie Betroffenen,<br />

Laien- und Sportphysiotherapeuten anschaulichst<br />

erläutert (siehe S. 20).<br />

Der zweite, sehr praxisnahe Teil zeigt die optimale<br />

<strong>Therapie</strong> nach den Indikationen und den<br />

wichtigsten Krankheitsbildern geordnet. StK<br />

Fortbildung mbH, <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga e.V., Verband<br />

ambulant tätiger Anästhesisten e.V., Gesamtdeutsche<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Manuelle Medizin e.V., <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

zum Studium des <strong>Schmerz</strong>es e.V. und <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie<br />

Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung<br />

erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere<br />

das Recht der weiteren Vervielfältigung zu<br />

gewerblichen Zwecken mithilfe fotomechanischer oder<br />

anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie alle in ihr<br />

enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind<br />

urheberrechtlich geschützt.<br />

Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro<br />

Abonnement <strong>für</strong> 4 Ausgaben pro Jahr 40,– Euro<br />

(zzgl. Versand, inkl. MwSt.).<br />

Der Mitgliedsbeitrag des DGS schließt den Bezugspreis<br />

der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint im 21.<br />

Jahrgang.<br />

Titelbild: Urban&Vogel Archiv<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)


Zentraler <strong>Schmerz</strong> nach Apoplex<br />

Eine Läsion im zentralen Nervensystem, z.B. nach apoplektischem Hirninsult,<br />

kann Ursache <strong>für</strong> chronische <strong>Schmerz</strong>en sein. Dieser als zentraler<br />

<strong>Schmerz</strong> definierte <strong>Schmerz</strong> imponiert nicht selten durch neuropathische<br />

Symptome. Nach wie vor gilt der zentrale <strong>Schmerz</strong> als schwer behandelbar.<br />

<strong>Therapie</strong>konzepte sollten sich am Behandlungsalgorithmus neuropatischer<br />

<strong>Schmerz</strong>en orientieren. Dabei kann ein individueller <strong>Therapie</strong>versuch<br />

mit einer hochwirksamen und gleichsam sicher retardierten<br />

Substanz wie Oxycodon als Ergänzung zu einem modernen Antikonvulsivum<br />

indiziert sein, berichten Dr. med. Ilka Kniesel, Muri (CH), und Dr.<br />

med. Oliver Emrich, Ludwigshafen.<br />

Praxisfall<br />

Ein 75-jähriger Patient stellt sich in Begleitung<br />

seiner Ehefrau in unserer <strong>Schmerz</strong>ambulanz<br />

mit nahezu unerträglich stechenden, glühenden<br />

und brennenden <strong>Schmerz</strong>en im Bereich<br />

der linken Körperhälfte vor. Die Anamnese ergibt<br />

zwei stattgehabte zerebrale Insulte (Februar<br />

1998, September 1999) mit armbetonter<br />

spastischer Hemiparese. Der <strong>Schmerz</strong> hätte<br />

nach dem zweiten Ereignis deutlich an Intensität<br />

zugenommen. Außerdem sei ihm aufgefallen,<br />

dass Rhythmik und Intensität der<br />

<strong>Schmerz</strong>en häufig wechseln. Auf der nummerischen<br />

Analogskala von 0 = kein und 10 =<br />

max. <strong>Schmerz</strong> gibt er eine Durchschnittsschmerzstärke<br />

von 8 an. <strong>Schmerz</strong>bedingt sei<br />

sein Schlaf im Sinne von Durchschlafstörungen<br />

beeinträchtigt. Er fühlt sich niedergeschlagen,<br />

da er, schon im Rollstuhl sitzend, in der<br />

häuslichen Umgebung zunehmend auf die Hilfe<br />

seiner Frau angewiesen ist.<br />

Diagnose<br />

Bei der körperlichen Untersuchung zeigt sich<br />

ein altersentsprechender Allgemein- und Ernährungszustand<br />

des Patienten. Insgesamt<br />

erscheint er etwas verlangsamt. In den betroffenen<br />

Körperarealen ist die Sensibilität diskret<br />

gestört, außerdem findet sich eine Hyperalgesie.<br />

Die umfangreich durchgeführten neurologischen<br />

Untersuchungen, u.a. mit Bildgebung,<br />

bestätigen die schon bekannten Vorbefunde<br />

entsprechend dem Bild einer zentralen Läsion<br />

auf dem Boden eines apoplektischen Insults.<br />

Die vonseiten des Hausarztes eingeleitete medikamentöse<br />

<strong>Therapie</strong> (Novaminsulfon bei<br />

Bedarf 30 Tropfen, Tramadol zwei- bis dreimal<br />

30 Tropfen täglich) führte bisher nicht zu einer<br />

zufrieden stellenden <strong>Schmerz</strong>reduktion, es<br />

traten allerdings Nebenwirkungen (Übelkeit)<br />

auf. Des Weiteren musste oft die notwendige<br />

physiotherapeutische Übungsbehandlung wegen<br />

<strong>Schmerz</strong>en zeitlich verkürzt werden.<br />

SCHMERZTHERAPIE Nr. 4/2005 (21. Jg.)<br />

Archiv<br />

<strong>Therapie</strong> und Verlauf<br />

Wir klären den Patienten im Beisein seiner<br />

Ehefrau ausführlich über die schwierige <strong>Therapie</strong><br />

zentraler <strong>Schmerz</strong>en auf. Einen wesentlichen<br />

Bestandteil der <strong>Therapie</strong>konzepte stellen<br />

dabei Antikonvulsiva z.B. Pregabalin, dar.<br />

Diese können ergänzt werden durch retardierte<br />

Opioide, deren Wirksamkeit mithilfe eines<br />

individuellen Behandlungsversuches überprüft<br />

werden sollte. Wegen beklagter Nebenwirkungen<br />

(rezidivierender Übelkeit im Anschluss an<br />

die Einnahme von unretardiertem Tramadol)<br />

ersetzen wir die WHO-Stufe-2-Substanz durch<br />

einschleichend dosiertes Oxycodon, 5 mg<br />

zwölfstündlich. Zusätzlich erhält der Patient<br />

Pregabalin 75 mg abends und gegen opioidinduzierte<br />

Emesis Haloperidoltropfen, jeweils<br />

fünf Tropfen vor Opioideinnahme. <strong>Schmerz</strong>spitzen<br />

kann er weiterhin mit Novaminsulfontropfen<br />

kupieren. Über einen Zeitraum von vier<br />

Wochen titrieren wir anhand der <strong>Schmerz</strong>tagebuchaufzeichnungen<br />

die Oxycodondosis auf<br />

zwölfstündlich 20 mg peroral zur laufenden<br />

Medikation mit Pregabalin 75 mg morgens und<br />

abends.<br />

Die Haloperidoltropfen konnten in der<br />

Zwischenzeit abgesetzt werden. Zwecks Obstipationsprophylaxe<br />

erhält er Macrogol zwölf-<br />

Nach Apoplex ist die Feinmotorik zu erlernen.<br />

Der Fall aus der <strong>Schmerz</strong>praxis<br />

Abrechnung (Beispiele)<br />

EBM 2005 – Beispiele<br />

Ersttermin<br />

03111 Ordinationsgebühr (gestaffelt nach Alter,<br />

und Fachgruppe, Prüfzeit 7 Minuten<br />

(Quartal), 145 Punkte<br />

03120 Beratung, Erörterung und/oder Abklärung,<br />

je vollendete 10 Minuten, Prüfzeit je 10<br />

Minuten (Tag), 150 Punkte<br />

Folgetermine<br />

03115 Konsultationsgebühr plus ggf. Komplex-<br />

oder Einzelleistungen (siehe oben bzw.<br />

EBM)<br />

GOÄ<br />

Nur diagnostische „Basisleistungen“<br />

ohne diagnostische und therapeutische<br />

Sonderleistungen<br />

Ersttermin<br />

3 Eingehende, das gewöhnliche Maß übersteigende<br />

Beratungen – auch mittels Fernsprecher<br />

(Dauer mindestens 10 Minuten), 150<br />

Punkte als alleinige Leistung – oder nur neben<br />

5, 6, 7, 8, 800, 801, je nach tatsächlicher Erbringung<br />

8 Ganzkörperstatus 260 Punkte<br />

857 Anwendung und Auswertung orientierender<br />

Testuntersuchungen (z.B. Fragebogentest<br />

nach Eysenck, MPQ oder MPI, Raven-Test,<br />

Sceno-Test, Wartegg-Zeichentest, Haus-<br />

Baum-Mensch, mit Ausnahme des so genannten<br />

Lüscher-Tests), insgesamt 116 Punkte<br />

Folgetermine<br />

1 Beratung, auch mittels Fernsprecher, 80<br />

Punkte<br />

stündlich einen Beutel peroral. Mittlerweile<br />

kann die häuslich verordnete Physiotherapie<br />

wieder konsequent durchgeführt werden und<br />

das <strong>Schmerz</strong>niveau ist um ca. 50% zurückgegangen.<br />

Der Patient wie auch seine Ehefrau<br />

erscheinen wesentlich zufriedener.<br />

Diskussion<br />

Zentrale <strong>Schmerz</strong>en stellen <strong>Schmerz</strong>spezialisten<br />

häufig vor eine therapeutische Herausforderung.<br />

Auf dem Boden einer primären Schädigung<br />

im ZNS resultiert nicht selten ein nur<br />

schwer beeinflussbarer neuropathisch geprägter<br />

<strong>Schmerz</strong>.<br />

Mit einer differenzierten medikamentösen<br />

<strong>Therapie</strong>, basierend auf dem Behandlungsalgorithmus<br />

neuropathischer <strong>Schmerz</strong>en, kann<br />

wirksam weiterer <strong>Schmerz</strong>chronifizierung<br />

entgegengewirkt werden. Dabei kann neben<br />

einem modernen Antikonvulsivum eine Ergänzung<br />

durch eine gut steuerbare wie und<br />

ebenso verträgliche Substanz wie Oxycodon<br />

zum erwünschten Behandlungsziel führen, zumal<br />

sich diese Substanz dadurch auszeichnet,<br />

dass deutlich weniger zentralnervöse Nebenwirkungen<br />

auftreten.<br />

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