Schmerztherapie 1/2010 - Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft ...
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ISSN 1613-9968<br />
26. Jahrgang <strong>2010</strong> Ehemals StK<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong><br />
Versorgung in der Breite sichern<br />
1I <strong>2010</strong><br />
Editorial<br />
Versorgung in der Breite sichern! _______2<br />
Interkulturelle Kommunikation<br />
„Meine Leber brennt“ _________________3<br />
Integrierte Versorgung<br />
Zweitmeinungsverfahren vor operativen<br />
Eingriffen an der Wirbelsäule ___________6<br />
Palliativmedizin<br />
Spezialisierte ambulante Palliativ-<br />
versorgung ergänzt den Hospizdienst ___9<br />
Medizin und Recht<br />
Honorarreform 2009 –<br />
ein Abrechnungsdesaster? _____________11<br />
<strong>Deutsche</strong>r <strong>Schmerz</strong>- und<br />
Palliativtag <strong>2010</strong><br />
Versorgung in der Breite sichern ________12<br />
Migräne und Schlaganfall ______________14<br />
Triptane in der Aura gefährlich __________16<br />
Migräne bei Frauen ___________________17<br />
20 Jahre <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga ________19<br />
Kongresse<br />
<strong>Schmerz</strong>patienten zwischen Wunsch<br />
und trauriger Realität _________________21<br />
Medizin und Recht<br />
Gerichte schützen die ärztliche<br />
<strong>Therapie</strong>freiheit _______________________22<br />
Kongresse<br />
Das Innovationsforum der DGS ________23<br />
DGS-Veranstaltungen/Interna ________25<br />
Bücherecke _________________________26<br />
Kasuistik<br />
Metastasierendes Bronchialkarzinom ___27<br />
www.dgschmerztherapie.de
Editorial<br />
Versorgung in der<br />
Breite sichern!<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
„Versorgung in der Breite sichern!“ lautet das auf den ersten Blick provokante<br />
Leitthema des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtages 010. Kümmert sich nicht<br />
jeder Arzt in Deutschland um die <strong>Schmerz</strong>en seiner Patienten?<br />
Ohne jede Frage ist Leiden und <strong>Schmerz</strong>en zu lindern eine hohe ärztliche Heraus-<br />
forderung, die für die meisten von uns Motivation war, diesen Beruf zu ergreifen.<br />
Die Politik kennt keinen <strong>Schmerz</strong><br />
Trotzdem ist auch im 26. Jahr des Bestehens der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e. V. die Entstehung, Diagnostik<br />
und <strong>Therapie</strong> chronifizierter <strong>Schmerz</strong>en weiterhin kein<br />
obligates akademisches Lehr- und Prüffach.<br />
In seinem finalen gesetzgeberischen Akt hat der letzte<br />
<strong>Deutsche</strong> Bundestag die Einführung eines Pflichtfaches<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in die Approbationsordnung erneut verpasst.<br />
Für viele Parlamentarier ist auch heute noch die <strong>Therapie</strong><br />
chronischer <strong>Schmerz</strong>en gleichbedeutend mit Tumorschmerztherapie.<br />
Das große Heer der nicht tumorbedingten<br />
<strong>Schmerz</strong>en spielt in ihrer Wahrnehmung – weil überwiegend<br />
gesund – keine Rolle.<br />
Wie viele von Ihnen wissen, hatte ich nach der verpassten<br />
Abstimmung des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages unmittelbar alle<br />
Bundestagsabgeordneten, Bundestagskandidaten für den<br />
neuen Bundestag, Ministerpräsidenten und Landessozial-<br />
und -gesundheitsminister angeschrieben und auf diesen<br />
schweren Mangel hingewiesen. Die zahlreichen positiven<br />
Antworten lassen hoffen, dass ein neuer Anlauf erfolgversprechender<br />
ausgeht.<br />
Koalition gegen den <strong>Schmerz</strong><br />
Die 2003 von der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>,<br />
der DGSS und der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga gebildete Koalition<br />
gegen den <strong>Schmerz</strong>, inzwischen erweitert um die <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong> für Palliativmedizin, die IGOST und den BVSD,<br />
nimmt sich in einer gemeinsamen Anstrengung erneut dieses<br />
Themas an. Wenn Sie diese Zeilen lesen, hat bereits ein parlamentarisches<br />
Frühstück mit den neuen Mitgliedern des gesundheitspolitischen<br />
Ausschusses des Bundestages stattgefunden,<br />
das genau diese Thematik aufgreift: Implementierung<br />
der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in die Approbationsordnung als Pflichtfach<br />
als wichtige Voraussetzung einer Verbesserung der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, Aufnahme des chronischen <strong>Schmerz</strong>es in<br />
die zuweisungsauslösenden Diagnosen des Morbi-RSA sowie<br />
den Wegfall der Austauschpflicht für stark wirksame Opioide in<br />
der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im Rahmen der Rabattgesetzgebung.<br />
Ziel dieser Bemühungen ist nicht die Monopolisierung der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> für wenige Spezialisten, sondern die Implementierung<br />
einer abgestuften <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und eine<br />
Gerhard H. H. Müller-<br />
Schwefe, Göppingen<br />
Prävention chronischer <strong>Schmerz</strong>en, die bei jedem Hausarzt<br />
und Facharzt als erste Anlaufstelle stattfinden muss.<br />
Agenda 2020 der DGS<br />
Dieses Ziel findet sich auch in den Leitsätzen wieder, die der<br />
Vorstand der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im<br />
Rahmen einer Klausurtagung vom 4. bis 6. Februar <strong>2010</strong> formuliert<br />
hat:<br />
■ Die DGS versteht sich als primärer Ansprechpartner in allen<br />
Fragen der Versorgung von Patienten mit <strong>Schmerz</strong>en.<br />
■ Die DGS steht für eine flächendeckende und abgestufte Versorgung<br />
aller Patienten mit <strong>Schmerz</strong>en und als Interessenvertretung<br />
aller entsprechend aktiven Fachgruppen.<br />
■ Die DGS sieht den mündigen Patienten als Partner; sie unterstützt<br />
die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga als Patientenselbsthilfeorganisation<br />
und befürwortet partizipative Behandlungskonzepte.<br />
■ Die DGS verfolgt die Prävention der <strong>Schmerz</strong>chronifizierung<br />
als vorrangiges Ziel.<br />
■ Die DGS sieht <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Palliativmedizin als untrennbare<br />
Schwerpunkte ihrer Arbeit.<br />
All diese Leitsätze sind mit Maßnahmen hinterlegt, die das<br />
eine Ziel haben, Prävention und <strong>Therapie</strong> von chronischen<br />
<strong>Schmerz</strong>en für alle Patienten in Deutschland verfügbar zu<br />
machen.<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> braucht Zeit<br />
Zwischen geldgierig und ineffizient spielten sich die Kommentare<br />
ab, die die Analyse der Barmer GEK ausgelöst hatte, nach<br />
der Patienten in Deutschland im Durchschnitt 18-mal zum Arzt<br />
gehen – signifikant häufiger als in allen anderen Nationen.<br />
Ohne Frage spiegelt diese Zahl jedoch ein Dilemma wider,<br />
in das unser Gesundheitssystem Patienten und Ärzte gebracht<br />
hat: Die sorgfältige ausführliche Anamneseerhebung<br />
und Untersuchung wird nicht vergütet. Wer’s trotzdem macht,<br />
riskiert den eigenen Bankrott. Konsequenter Weise werden<br />
häufige Überweisungen zu bildgebenden Verfahren und Diagnostik<br />
in zahlreichen Gebieten für diesen Patienten typische<br />
Merkmale ihrer Karriere.<br />
Eine bessere Versorgung werden wir allerdings nur erzielen,<br />
wenn jeder Arzt gerüstet ist, Probleme der <strong>Schmerz</strong>chronifizierung<br />
frühzeitig zu identifizieren und mit ausreichend<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
vergüteter Zeit Anamnese und Basisdiagnostik zu erheben.<br />
Deshalb ist <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> wirklich eine Aufgabe für alle<br />
Ärzte in einem abgestuften Versorgungssystem.<br />
<strong>Deutsche</strong>r <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong><br />
Diesem Anliegen widmet sich intensiv der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>-<br />
und Palliativtag <strong>2010</strong>. Bereits der Eröffnungsvortrag von Klaus<br />
Kutzer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., mit<br />
dem Thema „Recht auf <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> versus ökonomische<br />
Zwänge – woran orientiert sich <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>?“ steckt den<br />
Rahmen für die kommenden Veranstaltungen ab.<br />
Sprengstoff birgt auch das erste Symposium im Rahmen<br />
des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>tages am 18. März <strong>2010</strong> mit dem<br />
Thema „LONTS Leitlinie (Langzeitopioidtherapie bei nicht<br />
Tumorschmerz) – das Ende der Opioidtherapie?“ Sicherlich<br />
kontrovers wird hier die Frage diskutiert werden, ob Opioide<br />
in der <strong>Therapie</strong> von nicht tumorbedingten <strong>Schmerz</strong>en den adäquaten<br />
Stellenwert haben, über- oder unterschätzt werden.<br />
Zahlreiche Hands-on-Workshops, Refresherkurse und<br />
Praktikerseminare spannen ein weites Feld von Hypnotherapie<br />
über Stoßwellen- und Hochtontherapie zu orthomole-<br />
„Meine Leber brennt“<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
Editorial<br />
kularer <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, Untersuchungstechniken, therapeutischer<br />
Lokalanästhesie, Palliativversorgung und auch<br />
zu Themen wie Borreliose, Hyperalgesie und anderen. Nicht<br />
zuletzt spielen Gesundheitsökonomie und Stammzellen in<br />
der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im Rahmen der großen Themenvielfalt<br />
eine Rolle.<br />
Zu all diesen Veranstaltungen lade ich Sie herzlich ein.<br />
Nützen Sie die Chance, sich für die <strong>Schmerz</strong>medizin des 21.<br />
Jahrhunderts zu rüsten. Ich freue mich auf die Begegnung<br />
mit Ihnen auf dem <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag in<br />
Frankfurt am Main und grüße Sie herzlich<br />
Ihr<br />
Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe<br />
Präsident<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e. V.<br />
Sprachbarrieren und ein ganzheitlicheres Krankheitsverständnis führen bei Migranten schnell zu Missverständnissen<br />
und gefährlichen Fehldiagnosen. Über die interkulturellen Aspekte bei der Kommunikation<br />
mit Migranten und die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) informiert Daniela Bröhl, Sachgebietsleiterin<br />
Integration, Migration und Flucht und Sozialarbeiterin, Diakonie in Düsseldorf.<br />
Frau Karam (Name geändert) aus Marokko<br />
krümmt sich vor <strong>Schmerz</strong>en und weint:<br />
„Meine Leber brennt, meine Leber brennt!“ Die<br />
Aufregung des Praxispersonals legt sich<br />
schnell. Frau Karam wird von Jamila Bougrine<br />
begleitet, die als Sprach- und Kulturmittlerin im<br />
Rahmen des EU-Projektes „Coach-Mi: Coaching<br />
für Chancengleichheit in der Gesundheitsversorgung<br />
für Migrantinnen“ Klientinnen<br />
zu Arztbesuchen begleitet. Sie erklärt der Ärztin,<br />
dass die Mutter der Patientin gestorben sei.<br />
Die Redewendung „meine Leber brennt“ sei<br />
der Ausdruck ihres <strong>Schmerz</strong>es. Die Sprachmittlerin<br />
unterstützt Frau Karam und die Ärztin<br />
dabei, kultursensibel miteinander umzugehen<br />
und möglichen Fehldiagnosen vorzubeugen.<br />
Verwirrende Organmetaphern<br />
Auch im <strong>Deutsche</strong>n gibt es Organmetaphern:<br />
die Laus, die über die Leber läuft, das Herz,<br />
das bricht, der Kummer, der auf den Magen<br />
schlägt. In anderen Kulturen gibt es andere<br />
Metaphern, die bei einer sprachlich schwie-<br />
rigen Verständigung für noch mehr Verwirrung<br />
sorgen.<br />
Für viele Arztpraxen ist die Behandlung von<br />
Menschen mit Migrationshintergrund Alltag.<br />
Dennoch kommt es immer wieder aufgrund<br />
kultureller und sprachlicher Missverständnisse<br />
zu Irritationen aufseiten von Ärzten und Patienten,<br />
die gravierende gesundheitliche Konsequenzen<br />
nach sich ziehen können.<br />
Wo sitzt der <strong>Schmerz</strong>?<br />
Der Arzt ist daran gewöhnt, dass der „deutsche“<br />
Patient versucht, den <strong>Schmerz</strong> genau zu lokalisieren<br />
und zu beschreiben. Er hält es in der Regel<br />
für möglich, dass „nur“ ein Teil seines Körpers<br />
erkrankt ist und trennt zwischen Körper und Psyche.<br />
Islamische und einige afrikanische Kulturkreise<br />
haben ein ganzheitlicheres Verständnis<br />
von Körper und Psyche. Der <strong>Schmerz</strong> ist überall.<br />
Eine genau lokalisierte Krankheit, die nicht die<br />
gesamte leiblich-seelische und soziale Befindlichkeit<br />
des Betroffenen in Mitleidenschaft zieht, ist<br />
unvorstellbar. Der ganze Mensch ist krank.<br />
<strong>Deutsche</strong>r <strong>Schmerz</strong>-<br />
und Palliativtag <strong>2010</strong><br />
in Frankfurt a. Main<br />
Daniela Bröhl,<br />
Düsseldorf<br />
Starke Somatisierung<br />
Gerade psychische Leiden werden mit organischen<br />
Beschwerden in Verbindung gebracht:<br />
„Mein Kopf ist erkältet“ bedeutet für den türkischen<br />
Patienten weder Kopfschmerzen noch<br />
eine Erkältung, sondern ist der Ausdruck einer<br />
angeschlagenen psychischen Verfassung, vergleichbar<br />
mit „ich werde verrückt“. Der „gebrochene<br />
Arm“ heißt, man fühlt sich ohne Halt, die<br />
„geplatzte Gallenblase“ verdeutlicht, über etwas<br />
sehr erschrocken zu sein. Diese Aufzählung<br />
lässt sich beliebig fortführen. Diese Art<br />
des Ausdrucks von <strong>Schmerz</strong>en, das <strong>Schmerz</strong>verhalten,<br />
aber auch der körperliche Ausdruck<br />
von aus unserer Sicht psychischen Problemen<br />
können auf Ablehnung und Unverständnis stoßen<br />
(Domenig in Machleidt, 2008).<br />
Somatisierte <strong>Schmerz</strong>en bei PTBS<br />
Ein Teil der zugewanderten Bevölkerung ist vor<br />
Kriegen, Folter und Verfolgung geflüchtet und<br />
leidet an teilweise unerkannten psychischen<br />
Traumata. Bei der Begutachtung von Menschen
© StK<br />
Interkulturelle Kommunikation und PTBS<br />
mit psychisch reaktiven Traumafolgeerkrankungen<br />
(PTBS) werden zu den vielfältigen<br />
Symptomen auch Somatisierungsstörungen<br />
beschrieben wie<br />
■ anhaltende somatoforme <strong>Schmerz</strong>störungen,<br />
z.B. als chronifizierte Rückenschmerzen,<br />
Schulter-Nacken-Verspannungen, Kopfschmerzen<br />
bzw. Migräne oder als wandernde Körperschmerzen<br />
(„meine linke Seite tut weh“). Frauen<br />
beschreiben häufig Unterbauchschmerzen<br />
und eine Neigung zu Menstruationsbeschwerden;<br />
■ wiederkehrende oder anhaltende Magenbeschwerden,<br />
z.B. Sodbrennen, Magenschmerzen,<br />
Gastritis bis hin zum Magengeschwür;<br />
■ funktionelle Darmbeschwerden (Colitis irrita-<br />
bile);<br />
■ funktionelle Hautbeschwerden mit diffusem<br />
Juckreiz und/oder kribbelnden Missempfindungen<br />
(Reichelt in Haenel et al., 2004) und<br />
zahlreiche weitere somatische Beschwerden.<br />
Im Rahmen von dissoziativen Episoden in Zusammenhang<br />
mit PTBS kann es außerdem zum<br />
„Wiedererleben“ von in der Vergangenheit erlebten<br />
<strong>Schmerz</strong>zuständen kommen. Überlebende<br />
schwerer Menschenrechtsverletzungen haben<br />
teilweise auch nach Jahren in Deutschland niemals<br />
über die erlittene Folter gesprochen. Ihre<br />
psychischen Symptome werden von ihnen und<br />
ihren Angehörigen als „verrückt sein“ interpretiert.<br />
Daher stehen beim Aufsuchen eines Arztes die<br />
körperlichen, meist chronifizierten Beschwerden<br />
im Mittelpunkt. Steht die Verdachtsdiagnose<br />
PTBS im Raum, empfiehlt sich die Kontaktaufnahme<br />
zur Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft<br />
der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und<br />
Folteropfer (BAfF) e.V. (Paulsenstr. 55–56, 12163<br />
Berlin, Tel. +49(0)30-31012463, Fax:+49(0)30-<br />
3248575, E-Mail: info@baff-zentren.org).<br />
Sprach- und Kulturmittlerin Jamila Bougrine im Einsatz.<br />
Migrationsspezifische Faktoren<br />
Der Migrationsprozess bildet für die meisten<br />
Migranten einen prägenden Abschnitt ihrer Biografie.<br />
Neben der emotionalen Bewältigung der<br />
Herausforderungen des Ankommens in der<br />
neuen <strong>Gesellschaft</strong> beinhaltet er auch eine<br />
immense Verlusterfahrung von Gewohntem<br />
und Vertrautem. Die damit verbundenen Entwurzelungsgefühle<br />
und der Trauerprozess beeinflussen<br />
ihre körperliche, seelische und<br />
emotionale Gesundheit. Hinzukommende Erfahrungen<br />
von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung<br />
schränken Möglichkeiten zur gesellschaftlichen<br />
Partizipation und zur individuellen<br />
Lebensgestaltung ein.<br />
Zugewanderte Personen kommen in Kontakt<br />
mit einem Gesundheitssystem, das vielfach<br />
anders funktioniert, als sie es aus ihren Heimatländern<br />
kennen, mit der Konsequenz, dass<br />
sie Dienste des Gesundheitswesens seltener<br />
als die einheimische Bevölkerung in Anspruch<br />
nehmen. Besonders deutlich wird dies an der<br />
erhöhten Müttersterblichkeit bei Migrantinnen.<br />
Aus dem Bericht über die Lage der Ausländerinnen<br />
und Ausländer der Beauftragten der<br />
Bundesregierung (2005) geht hervor, dass<br />
insbesondere bei Vorsorgeuntersuchungen<br />
Migrantinnen deutlich unterrepräsentiert sind.<br />
Ehrenamtliche ärztliche Versorgung<br />
Abhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status<br />
kann sogar der Zugang zu medizinischer Versorgung<br />
stark eingeschränkt sein. So steht<br />
Personen im laufenden Asylverfahren und mit<br />
einer sogenannten Duldung lediglich eine medizinische<br />
Versorgung bei akuten und lebensbedrohlichen<br />
Krankheiten zu. Menschen ohne<br />
legalen Aufenthalt haben gar keinen Zugang.<br />
Meist unbemerkt, in einigen Städten auch of-<br />
fensiv leisten engagierte Ärzte und Kliniken in<br />
Kooperation mit Migrationsdiensten ehrenamtliche<br />
Hilfe.<br />
Konzepte von Gesundheit und Krankheit<br />
Die ethnomedizinische Forschung hebt die kulturelle<br />
Bedingtheit von Gesundheits- bzw.<br />
Krankheitskonzepten hervor. Konzepte von Gesundheit<br />
und Krankheit entwickeln sich nach<br />
den in einer Kultur dominierenden Medizin- und<br />
Glaubensvorstellungen, Traditionen und kulturellen<br />
Praktiken. Jeder Mensch wird durch die<br />
soziale Gruppe, in die er hineingeboren wird,<br />
geprägt (Moro, 2006). Eine an der Herkunftskultur<br />
orientierte Sichtweise kann stark von der<br />
westlichen Sicht von Krankheit oder Behinderung<br />
abweichen. Das jeweilige Laienverständnis<br />
von Ursachen und Entstehung von Krankheiten,<br />
der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden<br />
und das Vorbeugen von Krankheiten hat einen<br />
wesentlichen Einfluss auf den Umgang mit Erkrankungen<br />
und auf das Gesundheitsverhalten.<br />
Diese Laientheorien werden durch kulturelle,<br />
soziologische sowie migrationsspezifische Aspekte<br />
mitbestimmt und beeinflussen die Inanspruchnahme<br />
und Wirksamkeit medizinischer<br />
Versorgung (Bermejo, 2009).<br />
Leiden, seine Symptomatik und seine Klassifizierung<br />
werden durch die ganz unterschiedlichen<br />
Kontexte der Patienten geprägt. Daher<br />
kann auch die Diagnose nicht „kulturneutral“<br />
sein (Lydia Handke in Golsabahi et al., 2008).<br />
Vier Dimensionen<br />
Es gilt, offen dafür zu sein, dass der oder die<br />
andere anders sein könnte, als man denkt. Die<br />
beschriebenen Unterschiede lassen sich jedoch<br />
nicht eindimensional mit der nationalen<br />
oder ethnischen Zugehörigkeit einer Person<br />
verbinden. Neben gegenseitigen stereotypen<br />
Erwartungen und Vorurteilen mit „fremden“<br />
Kommunikationspartnern bilden weitere Dimensionen<br />
eine entscheidende Rolle. Das Modell<br />
von Georg Auernheimer (2002) dient zur<br />
Identifikation möglicher Störfaktoren (Abb. 1).<br />
Es beschreibt vier Dimensionen, die in der interkulturellen<br />
Kommunikation wirksam werden:<br />
1. Machtasymmetrie, 2. Kollektiverfahrung, 3.<br />
Fremdbilder und 4. differente Kulturmuster.<br />
Für das Ärzte- und Pflegepersonal ist es hilfreich,<br />
sich darüber bewusst zu werden, welche<br />
Rollenzuschreibungen sie erfahren und welche<br />
meist unbewussten Mechanismen und Bilder<br />
beide Kommunikationspartner beeinflussen.<br />
Die vier Dimensionen wirken in der jeweiligen<br />
Situation auf Erwartungen und Deutungen innerhalb<br />
der ärztlichen Beratung und Behandlung<br />
ein. Dies gilt sowohl für die Erwartungen<br />
und Deutungen seitens der Patienten zu ihren<br />
Behandlern als auch für die Zuschreibungen<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
und Interpretationen der Ärzte gegenüber ihren<br />
Patienten. Diese vier Dimensionen wirken auf<br />
den Interaktionsverlauf und das Verständnis des<br />
Gesprächs ein und beeinflussen sowohl die Diagnosestellung<br />
als auch den <strong>Therapie</strong>erfolg.<br />
1. Machtasymmetrie: Interkulturelle Beziehungen<br />
sind in der Regel durch Machtasymmetrien<br />
wie Status- und Rechtsungleichheit<br />
gekennzeichnet. Daraus resultiert eine Überlegenheit<br />
an Handlungsmöglichkeiten wie z.B.<br />
Zugang zu Informationen, Sprachkenntnisse,<br />
materielle Ressourcen, aber auch eine Überlegenheit<br />
im institutionell vorgegebenen Beziehungsgefüge<br />
im Verhältnis zwischen Arzt und<br />
Patient.<br />
2. Kollektiverfahrungen: Im Hintergrund der<br />
Kommunikation wirken außer historischen Kollektiverfahrungen<br />
(z.B. die koloniale Vergangenheit<br />
einiger Zuwanderergruppen) auch Diskriminierungserfahrungen<br />
des Einzelnen oder der<br />
Gruppe auf die Beziehungsebene der Kommunikationspartner.<br />
Angehörige diskriminierter<br />
Gruppen bringen möglicherweise ein generalisiertes<br />
Misstrauen mit in die Sprechstunde, das<br />
die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses<br />
erschwert. Sie können mit Rückzugsverhalten,<br />
aber auch mit hohen Erwartungen an die Dominanzkultur<br />
einhergehen. Angehörige der Mehrheitskultur<br />
reagieren darauf häufig paternalistisch<br />
durch kontrollierendes, überfürsorgliches<br />
Verhalten. Die Migranten werden nach stereotypen<br />
Bildern ethnisiert oder auch idealisiert.<br />
Meist wird jedoch die Problemursache der Minderheit<br />
zugeschoben und deren „mangelnder<br />
Anpassungsbereitschaft“ zugeschrieben.<br />
3. Fremdbilder: Fremdbilder basieren auf Kollektiverfahrungen<br />
sowie gesellschaftlich, politisch<br />
oder medial geprägten Bildern, so wie es<br />
im Ausland auch das Bild „des <strong>Deutsche</strong>n“ gibt.<br />
Verschiedene Studien stellen fest, dass Fremdbilder<br />
aus Anlass von Konflikten mit medialer<br />
Unterstützung sehr rasch zu Feindbildern gemacht<br />
werden können. Die gegenseitige Erwartungshaltung<br />
kann die individuelle Beziehung<br />
von vornherein belasten. Im günstigen Fall, das<br />
heißt in nicht allzu asymmetrischen Konstellationen,<br />
wird „kulturelle Identität ausgehandelt“. Von<br />
beiden Seiten werden in diesem Fall kulturelle<br />
Merkmale zur Disposition gestellt, die Fremdbilder<br />
können korrigiert werden.<br />
4. Kulturdifferenzen: Differente Kulturmuster<br />
beschreiben die kulturellen Codes, nach denen<br />
unser Alltagsleben organisiert ist. Gerade die<br />
Unreflektiertheit dieser Alltagsmuster kann bei<br />
interkulturellen Kontakten zu Irritationen und<br />
Konflikten führen. Dies gilt auch für nonverbale<br />
Ausdrucksformen wie Mimik und Gestik, Körperhaltung<br />
und die räumliche Distanz zwischen<br />
den Kommunikationspartnern. Viele Kommunikationsregeln<br />
erschließen sich dem Kulturneu-<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
Nach Auernheimer 00<br />
ling nicht von alleine, wenn sie nicht explizit<br />
gehandhabt werden (Auernheimer, 2008).<br />
Zugangsbarrieren zum<br />
Gesundheitswesen<br />
Aufseiten der Migranten tragen fehlende Kontakte<br />
zu <strong>Deutsche</strong>n, Sprachprobleme und<br />
mangelnde Kenntnisse des Gesundheitssystems<br />
dazu bei, dass die Dienste der Gesundheitsversorgung<br />
nur wenig in Anspruch genommen<br />
werden. Es bestehen hohe Defizite im<br />
Wissensstand bezüglich der Behandlungsmöglichkeiten<br />
und präventiven Angebote.<br />
In Bezug auf die versorgungsspezifischen<br />
Faktoren existieren Zugangsbarrieren für die<br />
Migranten, da sich die Angebote des Gesundheitswesens<br />
aufgrund mangelnder interkultureller<br />
Kompetenz der Fachkräfte in der Regel<br />
an den Bedürfnissen der Mehrheitsgesellschaft<br />
orientieren. So erreichen die Informationen über<br />
die zahlreichen vorhandenen Angebote die Migranten<br />
häufig nicht. Sie kennen die Versorgungsstrukturen<br />
nicht oder nur in Ansätzen, was dazu<br />
führt, dass eine medizinische Behandlung nicht<br />
rechtzeitig oder nur unvollständig in Anspruch<br />
genommen wird. Dies führt zu einem erhöhten<br />
zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcenaufwand<br />
in Form von Fehl- und Endlosdiagnosen,<br />
Chronifizierungen, verstärktem Einsatz<br />
invasiver <strong>Therapie</strong>maßnahmen oder häufigeren<br />
stationären Einweisungen (vgl. Lauderdale,<br />
2006, nach Bermejo et al., 2009).<br />
Häufiger Umgang mit Kommunikationsproblemen<br />
Die derzeitigen kommunikativen Lösungsansätze<br />
basieren häufig auf Zufälligkeiten. Mitgebrachte<br />
Kinder – teilweise sogar Grundschulkinder<br />
–, Verwandte oder Nachbarn werden<br />
Interkulturelle Kommunikation und PTBS<br />
zum Übersetzen hinzugezogen. Die Patienten<br />
haben jedoch eine hohe Hemmschwelle, sich<br />
bei der Anamnese den Angehörigen oder Bekannten<br />
gegenüber ehrlich zu offenbaren. Die<br />
Erfahrung zeigt, dass auch gut Deutsch sprechende<br />
Gefälligkeitsdolmetscher überfordert<br />
sind, medizinische Fachausdrücke und -inhalte<br />
zu übersetzen. „Schlechte“ Diagnosen werden<br />
aus Höflichkeit nur mangelhaft vermittelt.<br />
Manche Kliniken behelfen sich mit Listen von<br />
Sprachkenntnissen der Mitarbeitenden vom medizinischen<br />
Fachpersonal bis zur Reinigungskraft,<br />
die im Bedarfsfall zum Übersetzen herangezogen<br />
werden. Es hängt vom Zufall ab, ob die Personen<br />
in der Lage sind, die jeweiligen Inhalte fachgerecht<br />
zu vermitteln. Der Einsatz professioneller<br />
Dolmetscher scheitert oft aus Kostengründen,<br />
zudem erfüllen nur wenige von ihnen die besonderen<br />
Anforderungen im medizinischen Bereich<br />
oder verfügen über hinreichende soziokulturelle<br />
Vermittlungskompetenzen.<br />
Diese für alle Parteien unbefriedigende Situation<br />
führt zu erheblichen Mehrkosten, da aufgrund<br />
des Nichtverstehens Ärzte immer wieder<br />
gewechselt werden und die Behandlung wiederholt<br />
wird. Es kommt zu Mehrfachuntersuchungen,<br />
aber auch zu verspäteten und unangemessenen<br />
<strong>Therapie</strong>n. Im Ergebnis wird das Gesundheitswesen<br />
durch kosten- und zeitintensiven Mehraufwand<br />
zusätzlich belastet, ohne jedoch eine<br />
Verbesserung bei der Versorgung zu erzielen.<br />
Studie aus Schleswig-Holstein<br />
400 leitende Krankenhausärzt(e)/-innen, 400<br />
niedergelassene Ärzt(e)/-innen sowie circa 100<br />
Teilnehmer/-innen einer Fachtagung, die die Ärztekammer<br />
im Sommer 2001 durchgeführt hat,<br />
wurden gebeten, zu den Problemen bei der Versorgung<br />
ihrer ausländischen Patient(en)/-innen<br />
Abb. 1: Vier Dimensionen prägen den interkulturellen Interaktionsverlauf<br />
Machtasymmetrien Kulturdifferenzen<br />
Kollektiverfahrungen Fremdbilder<br />
Situationsdefinition<br />
Erwartungen und Deutungen<br />
Interaktionsverlauf
Interkulturelle Kommunikation und PTBS<br />
Stellung zu nehmen. 20% aller Befragten sahen<br />
erhebliche Verständigungsprobleme mit den<br />
meisten ihrer ausländischen Patient(en)/-innen.<br />
Weitere 60% erlebten dies noch bei jedem/jeder<br />
dritten Patient(en)/-in mit Migrationshintergrund.<br />
Die Hälfte der Ärzt(e)/-innen sah die Diagnostizierung<br />
und Behandlung hierdurch besonders<br />
erschwert und mit erhöhtem Aufwand verbunden.<br />
40% der Ärzt(e)/-innen erkennen die Wünsche<br />
der Patient(en)/-innen nicht und wichtige,<br />
die Anamnese betreffende Fakten werden verspätet<br />
bekannt. Aufgrund dieser Unzufriedenheit<br />
wünschten sich 40% der Befragten, auf Dolmetscher/-innen<br />
zurückgreifen und 22% in Kooperationen<br />
zu spezialisierten Diensten treten zu<br />
können, um damit auch den bestehenden hohen<br />
Anteil des Laiendolmetschens (75% aller Gespräche)<br />
eindämmen zu können (Gesundheit<br />
Berlin e.V. et al., 2007).<br />
Lösungsansätze für Fachpersonal<br />
Wünschenswert ist es, wenn mehr Menschen<br />
mit Migrationserfahrung Berufe innerhalb des<br />
Gesundheitswesens ergreifen. An einigen Universitäten<br />
wird das Thema Migration und Gesundheit<br />
bereits im Rahmen der ärztlichen Ausbildung<br />
behandelt, beispielsweise an der Universität<br />
Gießen. Hier können angehende Ärzte<br />
das Fach „Interdisziplinäre Aspekte der medizinischen<br />
Versorgung von Patienten mit Migrationshintergrund“<br />
belegen. Interessante Fortbildungen<br />
zu interkultureller Kompetenz im Gesundheitswesen<br />
und zu Diversity werden in<br />
größeren Städten angeboten und teilweise be-<br />
punktet. Der Einsatz von geschulten Sprach-<br />
und Kulturmittlern kann gefördert und gefordert<br />
werden.<br />
Die Rolle von Sprach- und Kulturmittlern<br />
In Dänemark ist der Einsatz von Sprach- und<br />
Kulturmittlern im Sozial- und Gesundheitswesen<br />
eine Selbstverständlichkeit. Jede Person,<br />
die nicht ausreichend Dänisch spricht, wird von<br />
geschulten Sprachmittlern zur ärztlichen Untersuchung<br />
begleitet.<br />
Aufgrund des hohen Bedarfs haben sich Initiativen<br />
gebildet, Sprach- und Integrationsmittler<br />
auszubilden und als Berufsbild anerkennen<br />
zu lassen. In dem bundesweit durchgeführten<br />
Equal-Projekt wurden Personen mit Migrationsgeschichte<br />
speziell für das Sozial- und Gesundheitswesen<br />
ausgebildet. Sie fungieren nicht<br />
„nur“ als Dolmetscher, sondern verfügen über<br />
ein notwendiges Grundlagenwissen sowie Fachtermini<br />
und sind in Kommunikationstechniken<br />
und soziokulturellen Vermittlungskompetenzen<br />
geschult. So können sie bei kommunikativen<br />
und inhaltlichen Missverständnissen rechtzeitig<br />
intervenieren.<br />
Gesundheitsmediatoren<br />
Weitere Projekte sowohl auf kommunaler Ebene<br />
als auch aus Landes-, Bundes- und EU-Mitteln<br />
fördern die interkulturelle Verständigung, um die<br />
gesellschaftliche Inklusion und Partizipation der<br />
zugewanderten Bevölkerung zu unterstützen.<br />
Dreijährige Ausbildungsgänge zum Sprach-<br />
und Integrationsmittler werden aktuell durch<br />
Zweitmeinungsverfahren vor operativen<br />
Eingriffen an der Wirbelsäule<br />
Operative Interventionen bei Kreuz- und Rückenschmerzen sollten kritisch hinterfragt<br />
werden, da sie oftmals nur zum Failed-Back-Surgery-Syndrom führen. Dies<br />
ermöglicht das neue bundesweite Versorgungskonzept zum Thema „Zweitmeinung<br />
vor operativen Eingriffen an der Wirbelsäule“ (IVZ), das die Integrative Managed<br />
Care GmbH (IMC) zusammen mit der Techniker Krankenkasse (TK) entwickelt hat.<br />
Zum 1.1 . 009 wurde ein entsprechender Vertrag zur integrierten Versorgung nach<br />
§§ 1 0a ff. SGB V abgeschlossen. Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, DGS-Vizepräsident,<br />
Nürnberg, und Harry Kletzko, IMC Oberursel, stellen das Konzept vor.<br />
Kreuz- und Rückenschmerzen gehören<br />
volkswirtschaftlich zu den teuersten Gesundheitsstörungen<br />
in den Industrienationen<br />
der westlichen Welt. Aktuellen Zahlen aus dem<br />
Jahr 2008 entsprechend verursachen Rückenschmerzpatienten<br />
im Alter von 18 bis 75 Jahren<br />
(ICD-10: M45–M54) allein in Deutschland<br />
Gesamtkosten in Höhe von jährlich 48,9 Milli-<br />
Organisationen wie die Bikup gGmbH und die<br />
Diakonie Wuppertal angeboten. Das Ethno-<br />
Medizinische Zentrum in Hannover entwickelte<br />
das bundesweite Projekt „MiMi – Mit Migranten<br />
für Migranten“. Gut integrierte Zuwanderer<br />
aus zahlreichen Sprachgruppen werden zu<br />
Gesundheitsmediatoren geschult. Sie bieten<br />
muttersprachliche Informationsveranstaltungen<br />
zum deutschen Gesundheitssystem an oder<br />
übersetzen in Krankenhäusern und Arztpraxen.<br />
Diese Ansätze und weitere Projekte und Initiativen<br />
tragen zur Verständigung zwischen dem<br />
Personal des Gesundheitswesens und den Patienten<br />
mit Migrationshintergrund bei.<br />
Fazit<br />
Interkulturelle Kommunikation erfordert die Bereitschaft,<br />
sich mit sich selbst und seinen kulturellen<br />
und biografischen Prägungen auseinanderzusetzen.<br />
Die Achtsamkeit für die eigene<br />
soziokulturelle Eingebundenheit und Vorsicht<br />
mit zu schnellen Bewertungen erleichtern die<br />
gegenseitige Wertschätzung und das Interesse<br />
an den (Krankheits-)Konzepten und Vorstellungen<br />
des anderen. Die Kommunikation stellt<br />
im interkulturellen Kontext eine besonders sensible<br />
Herausforderung dar, um eine vertrauensvolle<br />
Arzt-Patient-Beziehung aufbauen zu<br />
können. Geschulte Sprach- und Kulturmittler<br />
können hierbei Hilfestellung leisten und eine<br />
„Verständigungsbrücke“ zwischen Arzt und Patienten<br />
bilden. ■<br />
Michael Überall,<br />
Nürnberg<br />
Daniela Bröhl, Düsseldorf<br />
Harry Kletzko,<br />
Oberursel<br />
arden Euro, von denen über zwei Drittel durch<br />
indirekte Kosten verloren gehen.<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass alle bisher<br />
ergriffenen medizinischen und gesundheitspo-<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
litischen Maßnahmen zur „Eindämmung dieser<br />
volkswirtschaftlichen Seuche“ das Problem an<br />
sich eher gefördert, denn reduziert haben und<br />
die bislang etablierten Konzepte der Regelversorgung<br />
zu einem nicht unerheblichen Teil<br />
Mitverantwortung an diesem Dilemma tragen.<br />
So ist die medizinische Versorgung (d.h. der<br />
Komplex bestehend aus Vorbeugung, Diagnostik,<br />
Behandlung und Rehabilitation) der meist<br />
funktionell bedingten bzw. durch psychologische,<br />
sozioökonomische, sozialrechtliche<br />
oder berufsbezogene Faktoren sowie durch<br />
Angst-Vermeidungs-Konflikte beeinflussten<br />
Kreuz-/Rückenschmerzen in Deutschland – je<br />
nach Behandlungskonzept – durch ein komplexes<br />
Muster von Über-, Unter- und Fehlversorgung<br />
gekennzeichnet.<br />
Operative Interventionen im Vormarsch<br />
Eine besondere Rolle spielen dabei operative<br />
Interventionen. Diese haben durch ein schulmedizinisch<br />
tradiertes, primär strukturorientiertes<br />
Krankheitsverständnis in Deutschland seit einigen<br />
Jahren zahlenmäßig nicht nur bei akuten,<br />
sondern zunehmend auch bei subakuten und<br />
insbesondere bei chronischen Rückenschmerzen<br />
überproportional an Bedeutung gewonnen.<br />
Hintergrund sind die – dank moderner<br />
bildgebender Verfahren – immer häufiger nachgewiesenen<br />
strukturellen Bandscheibenveränderungen,<br />
die als kausale Ursache der Beschwerden<br />
fehlidentifiziert werden, obwohl sie in<br />
der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälle (je<br />
nach Studie und Alter der Betroffenen 50–90%!)<br />
allenfalls koinzidenzieller Natur sind.<br />
Konterkariert werden derartige monomodale<br />
Bemühungen zur Linderung subakuter und<br />
chronischer Kreuz-/Rückenschmerzen darüber<br />
hinaus durch den Umstand, dass infolge der<br />
Vielzahl operativer Interventionen mittlerweile<br />
ein neues iatrogenes Krankheitsbild an Bedeutung<br />
gewinnt (und dies zunehmend auch volkswirtschaftlich,<br />
da es extrem kostenintensiv ist):<br />
das Failed-Back-Surgery-Syndrom.<br />
Letztendlich muss festgehalten werden,<br />
dass nur bei sehr wenigen Menschen mit<br />
Kreuz-/Rückenschmerzen eine Operation sinnvoll<br />
und dringend erforderlich ist.<br />
Das Zweitmeinungskonzept<br />
Angesichts der zunehmenden Zahl operativer<br />
Interventionen ohne entsprechende Verbesserung<br />
der Patientenversorgung hat die Integrative<br />
Managed Care GmbH (IMC) zusammen<br />
mit der Techniker Krankenkasse (TK) ein bundesweites<br />
Konzept zum Thema „Zweitmeinung<br />
vor operativen Eingriffen an der Wirbelsäule“<br />
entwickelt und zum 1.12.2009 einen entsprechenden<br />
Vertrag zur integrierten Versorgung<br />
nach §§ 140a ff. SGB V abgeschlossen.<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
Ausgehend von dem definierten Beschwerdebild<br />
Kreuz-/Rückenschmerz erfolgt durch<br />
den behandelnden Arzt die Formulierung einer<br />
operativen Behandlungsbedürftigkeit. Für<br />
den Fall einer elektiven OP-Indikation kann der<br />
Patient anschließend a) direkt oder b) nach<br />
Überweisung durch seinen behandelnden Arzt<br />
oder c) nach einem Gespräch mit qualifizierten<br />
Mitarbeitern der TK (sog. Fallmanagern) – vor<br />
der eigentlichen stationären Aufnahme – das<br />
Zweitmeinungsverfahren in Anspruch nehmen.<br />
Er erhält dann auf Antrag binnen zweier Werktage<br />
einen Termin in einem der bundesweit<br />
verfügbaren IMC-Kompetenzzentren.<br />
Mehrstündige Evaluation<br />
Zentrales Element des Zweitmeinungsverfahrens<br />
ist die diagnostische Aufarbeitung des individuellen<br />
Einzelfalles im Rahmen einer mehrstündigen<br />
Evaluation. Dabei werden nicht nur<br />
der Patient und seine biologischen Beschwerden,<br />
sondern darüber hinaus auch alle krankheitsrelevanten<br />
psychologischen, sozioökonomischen,<br />
sozialrechtlichen und berufsbezogenen<br />
Faktoren sowie mögliche Angst-Vermeidungs-Konflikte<br />
durch ein hoch qualifiziertes<br />
interdisziplinäres Team analysiert, unter Verwendung<br />
standardisierter Verfahren und Instrumente<br />
dokumentiert sowie ggf. – in Ergänzung<br />
der bereits vorhandenen bzw. durchgeführten<br />
Untersuchungen – weitere Befunde erhoben.<br />
Abschließend wird mit dem Patienten die aktuelle<br />
Situation besprochen und die bereits gestellte<br />
OP-Indikation entweder a) bestätigt oder<br />
b) (für den Fall, dass diese infrage gestellt wurde)<br />
gemeinsam mit dem Betroffenen ein alternatives,<br />
auf die jeweiligen Erfordernisse des Einzelfalles<br />
individuell maßgeschneidertes multimodales Behandlungskonzept<br />
entwickelt, über welches der<br />
einweisende Arzt ausführlich informiert wird und<br />
welches dann entweder a) im Rahmen der Regelversorgung<br />
oder b) im Rahmen spezieller (z.B.<br />
integrierter) Versorgungskonzepte realisiert wird.<br />
Der Prozessalgorithmus des<br />
Zweitmeinungsverfahrens<br />
Die im Rahmen des Zweitmeinungsverfahrens<br />
zu klärenden Fragen und Probleme sowie die<br />
© Andrea Schiffner/fotolia.com<br />
Integrierte Versorgung<br />
Kreuz- und Rückenschmerzen gelten als<br />
volkswirtschaftliche Seuche.<br />
zugehörigen Prozesse finden sich in Abbildung 1<br />
(S. 8) und werden nachfolgend kurz zusammengefasst:<br />
1. Bedarf der Patient zur Linderung seiner Beschwerden<br />
einer operativen Intervention? Klärung<br />
durch den behandelnden Arzt; wenn „Ja“,<br />
dann weiter mit Schritt 2; wenn „Nein“, dann<br />
Betreuung im Rahmen der Regelversorgung.<br />
2. Ist der stationäre Behandlungsbedarf „notfallartig“,<br />
d.h. verbietet sich aus medizinischen<br />
Gründen, z.B. aufgrund des Vorliegens von „red/<br />
orange flags“, jegliche zeitliche Verzögerung der<br />
stationären Aufnahme? Klärung durch den behandelnden<br />
Arzt; wenn „Ja“, dann unmittelbare<br />
stationäre Einweisung; wenn „Nein“, dann zeit-<br />
Rückenschmerz und Wirbelsäulenveränderung<br />
Untersuchungen an Personen ohne Rückenschmerzen ergaben, dass bei etwa 30% der 30-Jährigen und<br />
bei über 60% der Menschen, die älter als 50 Jahre sind, radiologisch „pathologische Veränderungen“<br />
im Wirbelsäulenbereich (z.B. degenerative Veränderungen der Bandscheiben sowie sog. Bandscheibenvorfälle)<br />
ohne entsprechendes klinisches Korrelat nachgewiesen werden können. Studien konnten mittlerweile<br />
nachweisen, dass die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens entsprechende Verschleißerscheinungen<br />
(teilweise mit Einengungen des Wirbelkanals, sog. Spinalstenosen) ohne begleitende<br />
<strong>Schmerz</strong>en entwickeln, während es umgekehrt zahlreiche Patienten mit heftigsten Kreuz-/Rückenschmerzen<br />
gibt, die keine strukturellen Veränderungen der Wirbelsäule aufweisen.
Integrierte Versorgung<br />
Abb. 1: Übersicht über die wesentlichen Entscheidungsschritte im Rahmen des<br />
Zweitmeinungsverfahrens IVZ<br />
1<br />
2<br />
Triage<br />
Operative<br />
<strong>Therapie</strong><br />
indiziert?<br />
J<br />
Notfallsituation?<br />
J<br />
Krankenhaus<br />
N<br />
N<br />
Patient<br />
mit<br />
Kreuz-/Rückenschmerzen<br />
Arzt<br />
Regel-<br />
versorgung<br />
Zweit-<br />
meinungs-<br />
verfahren<br />
nahe Vorstellung (binnen zwei Arbeitstagen)<br />
beim jeweils zuständigen IMC-Kompetenzzentrum.<br />
3. Bedarf der Patient zur Linderung seiner Beschwerden<br />
einer operativen Behandlung, oder<br />
bestehen sinnvolle konservative Versorgungsalternativen<br />
im Rahmen der Regelversorgung<br />
oder im Rahmen spezieller (z.B. integrierter)<br />
Versorgungskonzepte? Klärung durch das<br />
IMC-Kompetenzzentrum im Rahmen eines interdisziplinären<br />
Screenings unter Einbeziehung<br />
eines algesiologischen Expertenteams<br />
bestehend aus <strong>Schmerz</strong>-, Psycho- und Physiotherapeut;<br />
wenn „Ja“, dann unmittelbare stationäre<br />
Einweisung; wenn „Nein“, dann weiter<br />
mit Schritt 4.<br />
4. Können die Beschwerden des Patienten im<br />
Rahmen der Regelversorgung ausreichend<br />
behandelt werden? Klärung durch das IMC-<br />
Kompetenzzentrum; wenn „Ja“, dann Formulierung<br />
einer schriftlichen Behandlungsempfehlung<br />
für den behandelnden Arzt und Umsetzung<br />
der entsprechenden medizinischen Betreuung<br />
im Rahmen der Regelversorgung;<br />
wenn „Nein“, dann weiter mit Schritt 5.<br />
Behandlungs-<br />
empfehlung<br />
3<br />
Operative<br />
<strong>Therapie</strong><br />
indiziert?<br />
N<br />
J<br />
4<br />
Regelversorgung?<br />
N<br />
5<br />
Alternatives<br />
Behandlungskonzept<br />
N<br />
J<br />
verfügbar?<br />
J<br />
z.B. IVR/S<br />
J<br />
6<br />
Zustimmung<br />
der Kasse?<br />
5. Verfügt die Krankenkasse über ein geeignetes<br />
alternatives Behandlungskonzept (z.B.<br />
einen integrierten Versorgungsvertrag nach §§<br />
140a ff. SGB V)? Klärung durch IMC-Ärzte-<br />
Netz; wenn „Ja“, dann weiter mit Schritt 6;<br />
wenn „Nein“, dann ambulante/stationäre Betreuung<br />
des Patienten entsprechend der Regelversorgung.<br />
6. Stimmt die Krankenkasse einer Behandlung<br />
des Patienten im Rahmen eines bestehenden<br />
alternativen Behandlungskonzeptes zu? Klärung<br />
durch Case-Manager der Krankenkasse;<br />
wenn „Ja“, dann Zuweisung durch Fallmanager;<br />
wenn „Nein“, dann ambulante/stationäre<br />
Betreuung des Patienten entsprechend der<br />
Regelversorgung.<br />
Wesentliche Voraussetzung für die kontinuierliche<br />
Qualitätssicherung der Ergebnisqualität<br />
ist die Verwendung geeigneter, standardisierter<br />
Dokumentationsinstrumente sowie<br />
entsprechende Verfahren der dezentralen Datenerfassung<br />
und der zentralen Datenanalyse.<br />
Zentraler Baustein sind hier die validierten<br />
Dokumentationsinstrumente der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> (DGS) (der<br />
N<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>fragebogen und das <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Schmerz</strong>tagebuch), welche die Basis für<br />
eine patientengerechte und standardisierte<br />
Dokumentation aller verfahrensrelevanten Informationen<br />
erlauben.<br />
Durch die kontinuierliche Projektevaluation<br />
durch ein externes wissenschaftliches Institut<br />
(IQUISP), regelmäßige Verlaufskontrollen und<br />
Treffen entsprechender Projektgruppen wird<br />
ein Höchstmaß an Qualitätssicherung und<br />
Projekttransparenz gewährleistet.<br />
Langzeit-/Follow-up-Evaluationen – auch<br />
unter Einbeziehung kassenspezifischer Daten<br />
– sowie gruppenspezifische Vergleichsanalysen<br />
(z.B. von Patienten mit vergleichbaren<br />
Ausgangsbefunden, jedoch unterschiedlichen<br />
Behandlungsverläufen) bilden im Verlauf des<br />
Projektes die Grundlage regelmäßiger Effizienzanalysen.<br />
In welchem Maße das vorliegende Versorgungsangebot<br />
seitens der beteiligten Projektpartner<br />
– insbesondere der selbst betroffenen<br />
Patienten – genutzt wird, bleibt abzuwarten.<br />
Die aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen<br />
und das sich langsam, jedoch beständig<br />
verändernde Rollenverständnis von Arzt<br />
und Patienten (weg von einer aufseiten der<br />
Patienten meist durch Passivität gekennzeichneten,<br />
primär paternalistischen Abhängigkeitsbeziehung<br />
hin zu einem partizipierenden Miteinander)<br />
sind die entscheidenden Perspektiven,<br />
auf denen dieses Konzept beruht.<br />
Umsetzbar bei 66%?<br />
Umfragen unter Betroffenen belegen, dass<br />
rund zwei Drittel aller gesetzlich Versicherten<br />
(z.B. im Fall eines anstehenden größeren operativen<br />
Eingriffs) durchaus bereit wären, eine<br />
kompetente Zweitmeinung einzuholen, auch<br />
wenn dadurch unter Umständen die Empfehlungen<br />
ihres primär zuständigen Haus-/Facharztes<br />
infrage gestellt werden. Somit spielen<br />
bei der Umsetzbarkeit des vorliegenden Konzeptes<br />
nicht nur die Patienten, sondern insbesondere<br />
auch das Rollenverständnis der beteiligten<br />
ärztlichen Akteure eine entscheidende<br />
Rolle. ■<br />
Michael Überall, Nürnberg<br />
Harry Kletzko, Oberursel<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
Spezialisierte ambulante Palliativ-<br />
versorgung ergänzt den Hospizdienst<br />
Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) ist die hoch qualifizierte Ergänzung zum ehrenamtlich<br />
getragenen Hospizdienst. Das SAPV bedeutet aber keineswegs den Tod des Ehrenamtes, erläutert<br />
Thomas Sitte, DGS-Leiter und Palliativmediziner aus Fulda.<br />
Auf Grundlagen besinnen<br />
In der Jesuitenzeitschrift „Stimmen der<br />
Zeit“ 6/2009 schreibt Prof. Lob-Hüdepohl<br />
im Artikel „Bedrohtes Sterben“ von<br />
der „maximaltherapeutischen Versorgung<br />
einer Höchstleistungsapparatemedizin,<br />
die den Körper des Sterbenden<br />
zum bloßen Reaktor technischer Artefakte<br />
degradiert“. Mit der SAPV haben wir<br />
die Chance, uns wieder auf die Grundlagen<br />
medizinischer Arbeit als Leib- und<br />
Seelsorger zu besinnen. Ich wünsche uns<br />
allen, dass wir nicht die Freude an der<br />
menschlichsten und vielleicht auch ärztlichsten<br />
aller Arbeiten verlieren, sondern<br />
dass es gelingt, die Palliativversorgung –<br />
sei es ambulant oder stationär, allgemein<br />
oder spezialisiert – als einen Beitrag<br />
zur „ars diminuendi, also Kunst der<br />
allmählichen Zurücknahme aus dem<br />
aktiven Leben“ (gleiche Quelle) für die<br />
Patienten zu praktizieren.<br />
Ü ber<br />
Jahrhunderte hinweg war es ärztliches<br />
Denken, sich von Patient und Angehörigen<br />
zurückzuziehen, wenn der Arzt glaubte,<br />
dass Heilung nicht mehr möglich, der Tod nahe<br />
sein könnte. Das heißt, die „Professionellen“<br />
überließen die Patienten – auch mit allen ihren<br />
körperlichen Beschwerden – der Nächstenliebe<br />
von Klöstern, Hospizen, Sterbehäusern.<br />
Diese Laienbewegung war entfernt vergleichbar<br />
mit der ehrenamtlichen Hospizbewegung<br />
von heute. Ein bekanntes Beispiel eines solchen<br />
tätigen „bürgerschaftlichen“ Engagements<br />
war zum Beispiel die später heilig gesprochene<br />
Elisabeth von Thüringen (*1207, † 1231), die in<br />
Erfurt und später in Marburg Ausgegrenzte und<br />
Schwerstkranke versorgte.<br />
Das änderte sich eingangs des 19. Jahrhunderts.<br />
Hufeland veröffentlichte damals<br />
seine breite Abhandlung über „Die Verhältnisse<br />
des Arztes“ 1806 im „Neuen Journal der<br />
Practischen Arzneikunde und Wundarzneiwis-<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
© Bildarchiv Urban & Vogel<br />
senschaft“: „Selbst im Tode soll der Arzt den<br />
Kranken nicht verlassen, noch da kann er sein<br />
großer Wohlthäter werden, und, wenn er ihn<br />
nicht retten kann, wenigstens sein Sterben erleichtern.“<br />
Ein lesenswertes Plädoyer für eine<br />
Medizin der Menschlichkeit, jenseits profitorientierter<br />
Technisierung, so könnte man heute<br />
sagen.<br />
Palliativmedizin<br />
Thomas Sitte,<br />
Fulda<br />
Ehrenamtliches Hospiz<br />
In den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts<br />
entstand neben dieser kleinen Zahl von Ärzten<br />
eine breiter werdende Bewegung mit engagierten<br />
Laien im Hospizdienst. Über Jahrzehnte<br />
haben sich Hausärzte und auch schmerztherapeutisch<br />
tätige Ärzte mehr neben als mit den<br />
ambulanten Hospizdiensten um die Versorgung<br />
Integrierung der SAPV in die Hospizarbeit<br />
Schritt 1: Informelles Gespräch der verschiedenen Leistungserbringer zum Kennenlernen und<br />
zum Austausch von Wünschen, Zielen usw.<br />
Schritt 2: Verbindliche Qualitätszirkel: Interdisziplinär angelegt sind sie die Grundlage der<br />
beginnenden Teamarbeit. Dort werden Haltungen besprochen, Sachfragen diskutiert, Patienten<br />
vorgestellt.<br />
Schritt 3: Informelle Kooperation am Patienten: In kleiner Anzahl können Patienten auch<br />
ohne (SAPV-)Verträge und Honorar auf hohem Niveau palliativ begleitet werden. Beide Seiten<br />
haben ohnehin Patienten in Betreuung. Wenn man sich kennt und schätzt, wird man sich<br />
auch einbinden.<br />
Schritt 4: Verbindliche, langfristige Kooperation und SAPV-Verträge: Wenn Leistungserbringer<br />
SAPV-Verträge abgeschlossen haben, müssen sie Hospizdienste verbindlich in die Versorgung<br />
integrieren. Allen Beteiligten erleichtert es die Arbeit, oft wird sie überhaupt erst dadurch<br />
stabil möglich.
Palliativmedizin<br />
SAPV-Verträge nach § 132d SGB V dürfen ambulante Hospizdienste<br />
nicht mitfinanzieren!<br />
Diese Zuwendungen werden wieder bei der öffentlichen Förderung des AHD abgezogen. Aber<br />
Spenden und ideelle Unterstützung sind natürlich möglich und haben eine große Bedeutung.<br />
Schwerstkranker und Sterbender gekümmert.<br />
Die Hospizler taten dies im Selbstverständnis<br />
des Ehrenamtes mit gewisser Unterstützung<br />
durch die öffentliche Hand und sehr unterschiedlichen<br />
finanziellen Möglichkeiten.<br />
Initial ehrenamtliche ärztliche Betreuung<br />
Aber auch die Ärzte arbeiteten quasi „ehrenamtlich<br />
hauptamtlich“. Sicher wird ein Kassenhonorar<br />
gezahlt. Das deckt aber in der Realität<br />
kaum die Fahrkosten ab. Warum engagieren<br />
sich so viele Menschen trotzdem in so großem<br />
Maße? Es gibt wohl nur wenige Tätigkeiten im<br />
heutigen „Gesundheitsbetrieb“, die letztlich für<br />
alle beteiligten Leistungserbringer ein so tiefes<br />
Gefühl an Zufriedenheit mit der Arbeit bringen<br />
können wie eine gute Begleitung zu Hause am<br />
Lebensende zusammen mit einem Team für<br />
den Sterbenden und seine Angehörigen. Uns<br />
allen gelang es gemeinsam auf diese Weise,<br />
ohne Geld Vieles zu bewegen, was allein nicht<br />
möglich gewesen wäre.<br />
SAPV schafft Geldregen<br />
Nun prasselt jedes Jahr ein (theoretischer)<br />
Hunderte-Millionen-Euro-Regen auf diese palliativ<br />
aktiven Ärzte und Pflegenden herab. Und<br />
was geschieht? Zunächst jahrelang nichts.<br />
Geld zerstört bürgerschaftliches Engagement!<br />
Ein interessantes Phänomen, das im Januar<br />
2008 unter dem Titel „Money and the Changing<br />
Culture of Medicine“ im New England Journal<br />
of Medicine beschrieben wurde. Dazu werden<br />
plötzlich die rein ehrenamtlich ausgerichteten<br />
Hospizdienste in der öffentlichen Wahrnehmung<br />
unwichtiger, obwohl deren Position doch<br />
eigentlich auch gestärkt werden sollte.<br />
Solange keine solide und finanziell langfristig<br />
abgesicherte Struktur geschaffen wurde, hielt<br />
sich meistenorts die Zahl der zu versorgenden<br />
Patienten in Grenzen. Nun zeichnet es sich<br />
mit großer Verzögerung doch deutschlandweit<br />
endlich ab, dass der Anspruch der Versicherten<br />
auf die Leistungen nach der Spezialisierten<br />
Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) nach<br />
§ 132d SGB V allmählich vertraglich in voneinander<br />
sehr verschiedenen Modellen umgesetzt<br />
wird.<br />
SAPV wird Geschäftsmodell<br />
Dies hat unerwartete Folgen:<br />
■ Nach dem Verhandlungs- steigt der Verwaltungsaufwand<br />
immens an.<br />
■ Früher kooperierte man formlos, berufsübergreifend<br />
für die Patientenversorgung, jetzt<br />
benötigen wir neu zu verhandelnde Kooperationsverträge.<br />
■ Kooperationen müssen zeitaufwendig gepflegt<br />
werden.<br />
■ Die Patientenzahlen steigen stark an.<br />
■ Der Personalbedarf steigt entsprechend.<br />
■ Das notwendige Budget erreicht neue Hö-<br />
hen.<br />
■ SAPV wird von der mitmenschlichen Versorgung<br />
zum Geschäftsmodell.<br />
Für manche kleine, feine, fachlich hochkompetente<br />
Kooperation mag dies der Todesstoß<br />
sein. Das war sicher nie beabsichtigt, ist aber<br />
systemimmanent, da mit der Gesetzesgrundlage<br />
des GKV-WSG bewusst der Wettbewerb in<br />
der medizinischen Versorgung gefördert werden<br />
sollte. Leider wurde nicht bedacht, dass<br />
gerade die Palliativversorgung dazu denkbar<br />
ungeeignet ist.<br />
Welche Konsequenzen hat dies?<br />
Nötig ist der Aufbau ausreichend großer Strukturen,<br />
die sich in den angestrebten Patientenzahlen<br />
auch nicht übernehmen sollten. SAPV-<br />
Teams sind hauptamtlich und weit überwiegend<br />
in SAPV tätig, nicht nur nebenher. Die ambulanten<br />
Hospizdienste (AHD) müssen immer fest<br />
und kooperativ in die Versorgung von Patienten<br />
eingebunden sein. Dabei braucht nicht jeder<br />
SAPV-Patient den AHD, nicht jeder vom AHD<br />
betreute Patient benötigt SAPV. Es muss noch<br />
mehr Zeit ins Netz investiert werden. Dies bereitet<br />
immer mehr Mühe, je besser sich die<br />
Versorgungsqualität herumspricht und je mehr<br />
Patienten dadurch versorgt werden wollen.<br />
Das Fazit lautet: SAPV ohne Hospizdienst<br />
ist nicht möglich! Aber: Die Arbeit der ambulanten<br />
Hospizdienste muss weiterhin ehrenamtlich<br />
getragen bleiben. Sonst verlöre die<br />
Hospizarbeit die Grundlage der eigenen Haltung<br />
und es müsste letztlich die Berechtigung<br />
der Hospizarbeit hinterfragt werden. Denn<br />
dann ginge sie in der professionalisierten ambulanten<br />
Palliativversorgung auf. Wenn es aber<br />
zu einer gut eingespielten Kooperation kommt,<br />
dann gilt: SAPV ist die perfekte Ergänzung zur<br />
Hospizarbeit! ■<br />
Thomas Sitte, Fulda<br />
Impressum<br />
Organ der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Herausgeber<br />
Gerhard H. H. Müller-Schwefe,<br />
Schillerplatz 8/1, D-73033<br />
Göppingen; Tel. 07161/976476, Fax 07161/976477<br />
E-Mail: gp@dgschmerztherapie.de<br />
Schriftleitung<br />
Thomas Cegla, Wuppertal; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Klaus<br />
Johannes Horlemann, Kevelaer; Uwe Junker, Remscheid; Stephanie<br />
Kraus (verantw.), Stephanskirchen, Tel.: 08036/1031; Michael<br />
Überall, Nürnberg<br />
Beirat<br />
Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-<br />
Dieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert,<br />
Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Ingunde Fischer, Halle;<br />
Gideon Franck, Fulda; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut Göbel,<br />
Kiel; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Stein<br />
Husebø, Bergen; Uwe Kern, Wiesbaden; Edwin Klaus, Würzburg;<br />
Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Speyer; Bruno Kniesel,<br />
Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen;<br />
Michael Küster, Bad Godesberg-Bonn; Klaus Längler, Erkelenz;<br />
Peter Lotz, Bad Lippspringe; Eberhard A. Lux, Lünen; Christoph<br />
Müller-Busch, Berlin; Joachim Nadstawek, Bonn; Thomas Nolte,<br />
Wiesbaden; Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg;<br />
Günter Schütze, Iserlohn; Harald Schweim, Bonn; Hanne<br />
Seemann, Heidelberg; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer,<br />
Limburg; Roland Wörz, Bad Schönborn; Walter Zieglgänsberger,<br />
München; Manfred Zimmermann, Heidelberg<br />
In Zusammenarbeit mit: <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für Algesiologie<br />
– <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Schmerz</strong>forschung und <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>;<br />
<strong>Deutsche</strong> Akademie für Algesiologie – Institut für<br />
schmerztherapeutische Fort- und Weiterbildung; <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong> für interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Schmerz</strong>liga e.V. (DSL); <strong>Gesellschaft</strong> für algesiologische<br />
Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche <strong>Gesellschaft</strong> für<br />
Manuelle Medizin e.V. (GGMM); Institut für Qualitätssicherung<br />
in <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Palliativmedizin (IQUISP); Berufsverband<br />
der <strong>Schmerz</strong>therapeuten in Deutschland e.V. (BVSD).<br />
Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung erwirbt<br />
der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der<br />
weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe<br />
fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie<br />
alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind<br />
urheberrechtlich geschützt.<br />
Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen<br />
– vor allem von Neuzulassungen – sollten in jedem Fall mit dem<br />
Beipackzettel der verwendeten Medikamente verglichen werden.<br />
Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro; Abonnement für 4 Ausgaben<br />
pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag<br />
der DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein.<br />
Die Zeitschrift erscheint im 26. Jahrgang.<br />
Verlag: Springer Medizin © Urban & Vogel GmbH, München,<br />
März <strong>2010</strong><br />
Leitung Corporate Publishing: Dr. Ulrike Fortmüller<br />
(verantw.)<br />
Redaktion: Dr. Elke Thomazo<br />
Herstellung/Layout: Maren Krapp<br />
Druck: Stürtz GmbH, Würzburg<br />
Titelbild: © panthermedia.net/Monkeybusiness Images<br />
Inhaber- und Beteiligungsverhältnisse<br />
Die Urban & Vogel GmbH ist 100%ige Tochtergesellschaft<br />
der Springer Medizin-Verlag GmbH, Heidelberg. Die alleinige<br />
<strong>Gesellschaft</strong>erin der Springer Medizin Verlag GmbH ist die<br />
Springer-Verlag GmbH mit einer Beteiligung von 100%. Die<br />
Springer-Verlag GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft<br />
der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH. Die<br />
alleinige <strong>Gesellschaft</strong>erin der Springer Science + Business Media<br />
Deutschland GmbH ist die Springer Science + Business Media<br />
Netherlands B.V., die 100% der Anteile hält. Die Springer Science<br />
+ Business Media Netherlands B.V. ist eine 100%ige Tochtergesellschaft<br />
der Springer Science + Business Media Finance<br />
S.àR.L. Die Springer Science+Business Media Finance S.àR.L. ist<br />
eine 100%ige Tochter der Springer Science+Business Media S.A.<br />
10 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
Honorarreform 2009 – ein Abrechnungsdesaster?<br />
Seit der Honorarreform 2009 und der damit verbundenen Einführung individueller<br />
Regelleistungsvolumina (vgl. <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> Nr. 4/2008, S. 3–4) sind vier Quartale<br />
vergangen. Die Befürchtungen haben sich bestätigt. Die individuellen Regelleistungsvolumina<br />
haben vielen Ärzten hohe finanzielle Einbußen gebracht. Dies ist für<br />
Dr. Ralf Clement, Rechtsanwälte Ratajczak & Partner, Sindelfingen, Anlass, einige<br />
der aufgetretenen Probleme näher zu beleuchten sowie auf die im Laufe des Jahres<br />
neu hinzugekommenen Regelungen hinzuweisen.<br />
V iele<br />
haben bereits im Vorfeld davor gewarnt<br />
und es kam wie befürchtet. Die<br />
Einführung der arztindividuellen Regelleistungsvolumina<br />
(RLV) hat zu Verwerfungen im<br />
System der vertragsärztlichen Versorgung geführt,<br />
die auch nach vier Quartalen noch nicht<br />
annähernd wieder bereinigt sind. Die Komplexität<br />
der vertragsärztlichen Honorarverteilung<br />
hat mit der Honorarreform 2009 ein Ausmaß<br />
erreicht, mit dem die Leistungsfähigkeit der<br />
Beteiligten weit über die Grenzen hinaus beansprucht<br />
wird.<br />
Den rechtlichen Rahmen für die Einführung<br />
der arztindividuellen Regelleistungsvolumina<br />
(RLV) setzt der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses<br />
vom 27. und 28. August<br />
2008, der insbesondere durch den Beschluss<br />
vom 27.02.2009 zur Einführung der Konvergenzphase<br />
und den Beschluss vom 20.04.2009<br />
zur Änderung der Berechnung des RLV bei Berufsausübungsgemeinschaften<br />
ergänzt wurde.<br />
Die Umsetzung der maßgeblichen Beschlüsse<br />
des Bewertungsausschusses erfolgte durch<br />
die Partner der Gesamtverträge auf KV-Ebene,<br />
d.h. auf Länderebene im Rahmen der<br />
Honorarverteilungsverträge (HVV) mit zum<br />
Teil sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Der<br />
nachfolgende Beitrag greift einige allgemeine<br />
Problemstellungen heraus.<br />
Berechnung der RLV problematisch<br />
Es fing damit an, dass gemäß dem Beschluss<br />
des Erweiterten Bewertungsausschusses vom<br />
27. und 28. August 2008 bei der Berechnung der<br />
Regelleistungsvolumina (RLV) zunächst nicht<br />
auf die Zahl der Behandlungsfälle, sondern auf<br />
die Zahl der Arztfälle abgestellt wurde. Hierdurch<br />
erhielten Gemeinschaftspraxen zwei oder<br />
mehr Arztfälle, wenn mehr als ein Arzt an der<br />
Behandlung des Patienten beteiligt war. Der<br />
damit bedingte Anstieg der Arztfälle insgesamt<br />
musste zu einem Absinken der Fallwerte zulasten<br />
von Einzelpraxen führen. Bereits bei der<br />
Festlegung der RLV für das erste Quartal 2009<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
© Igor Zakowski/shutterstock.com<br />
wurde diese zu erwartende Entwicklung von<br />
einzelnen KVen prospektiv berücksichtigt bzw.<br />
kam es zu Fehlern bei der Berechnung der Fallwerte,<br />
sodass die Fallwerte teilweise erheblich<br />
zu niedrig ausfielen. Der Bewertungsausschuss<br />
hat die Regelungen zur Berechnung der RLV<br />
daraufhin mit Wirkung zum 01.07.2009 korrigiert;<br />
maßgeblich ist seit dem 01.07.2009 auch<br />
in Berufsausübungsgemeinschaften ausschließlich<br />
die Zahl der Behandlungsfälle. Dafür erhalten<br />
fach- und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften<br />
einen Aufschlag in<br />
Höhe von 10% und fach- und schwerpunktübergreifende<br />
Berufsausübungsgemeinschaften in<br />
Höhe von 5% je Arztgruppe bzw. Schwerpunkt,<br />
maximal jedoch 40%, auf ihr RLV. Für die Quartale<br />
1 und 2/2009 lohnt sich ggf. eine Überprüfung,<br />
ob die KV Fehler bei der Berechnung der<br />
RLV bereits von sich aus korrigiert hat; andernfalls<br />
sollten die Betroffenen Fehler im Rahmen<br />
der Widerspruchsverfahren gegen die RLV-Bescheide<br />
klären lassen.<br />
Ralf Clement,<br />
Sindelfingen<br />
Medizin und Recht<br />
Ausnahme- und Konvergenzregelungen<br />
Zu erheblichen Honorarverwerfungen kam<br />
und kommt es auch zwischen den jeweiligen<br />
Fachgruppen und selbst innerhalb der Fachgruppen<br />
zwischen einzelnen Praxen; Honorarverluste<br />
bis zu 50% und mehr, aber auch entsprechende<br />
Honorarzuwächse sind dabei<br />
keine Einzelfälle. Die Vorgaben des Bewertungsausschusses<br />
zur Berechnung der arzt-<br />
und praxisbezogenen RLV sehen in Teil F<br />
selbst Kriterien für die arztindividuelle Anpassung<br />
der RLV vor, deren nähere Ausgestaltung<br />
in den HVVen erfolgt. Ausnahmeregelungen<br />
sind vorgesehen bei einer außergewöhnlich<br />
starken Erhöhung der Zahl der behandelten<br />
Versicherten bzw. einer unverschuldet außergewöhnlich<br />
niedrigen Fallzahl im Referenzquartal<br />
(Punkt 3.4), bei Praxisbesonderheiten,<br />
insbesondere bei einer für die Versorgung bedeutsamen<br />
fachlichen Spezialisierung (Punkt<br />
3.6) und zum Ausgleich überproportionaler<br />
Honorarverluste, insbesondere bei einem Ho-<br />
11
Medizin und Recht<br />
norarrückgang um mehr als 15% gegenüber<br />
dem Vorjahresquartal (Punkt 3.7). Zusätzlich<br />
hat der Erweiterte Bewertungsausschuss mit<br />
Beschluss vom 27.02.2009 den Partnern der<br />
Gesamtverträge auf KV-Ebene die Möglichkeit<br />
eingeräumt, zur Vermeidung von überproportionalen<br />
Honorarverlusten und zur Sicherung<br />
der flächendeckenden Versorgung mit vertragsärztlichen<br />
Leistungen – zunächst zeitlich<br />
begrenzt bis zum 31.12.<strong>2010</strong> – ein Verfahren<br />
zur schrittweisen Anpassung der RLV zu beschließen:<br />
die sogenannten Konvergenzregelungen.<br />
Bislang haben davon jedoch nur einige<br />
wenige KVen Gebrauch gemacht. In Baden-<br />
Württemberg z.B. werden die Honorare derzeit<br />
auf 95% des Vorjahresquartals gestützt; soweit<br />
im Rahmen der Konvergenzregelung<br />
gleichzeitig auch Honorarzuwächse begrenzt<br />
werden, bestehen allerdings Zweifel, ob dies<br />
von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist.<br />
Unabhängig davon, ob der eigene HVV eine<br />
Konvergenzregelung vorsieht oder nicht, lohnt<br />
es sich zu prüfen, ob nicht einer der praxisindividuellen<br />
Ausnahmetatbestände vorliegen<br />
könnte, der zu einem unmittelbaren Anspruch<br />
auf Erhöhung des RLV führt. Die Vorgehensweise<br />
z.B. der KV Baden-Württemberg, Anträge<br />
auf Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten<br />
bzw. Anhebung des RLV pauschal unter<br />
Hinweis auf die bestehende Konvergenzregelung<br />
zurückzuweisen, ist unzulässig.<br />
Fehlerhafte RLV-Bescheide<br />
Generell gilt, dass sowohl die RLV-Bescheide<br />
als auch die darauf basierenden Honorarbescheide<br />
eine sehr hohe Fehlerquote aufweisen.<br />
Es ist daher unbedingt notwendig, die der Be-<br />
rechnung zugrunde liegenden Zahlen, insbesondere<br />
die Fallzahlen und Fallwerte einschließlich<br />
etwaiger Zuschläge, genau zu<br />
überprüfen. Wir empfehlen zudem grundsätzlich<br />
gegen die RLV-Bescheide Widerspruch<br />
einzulegen, da hier aufgrund der zahlreichen<br />
anhängigen Verfahren mit nachträglichen<br />
Korrekturen der Fallwerte zu rechnen ist. Stellt<br />
sich im Rahmen der für das betreffende Quartal<br />
erstellten Honorarabrechnung heraus, dass<br />
es zu keiner regelleistungsvolumenbedingten<br />
Kürzung gekommen ist, können die Widersprüche<br />
jederzeit zurückgenommen werden.<br />
Fallzahlzuwachsmöglichkeiten<br />
Auch für das erste Quartal <strong>2010</strong> sieht der Beschluss<br />
des Bewertungsausschusses außer<br />
der allgemeinen Abstaffelungsregelung keine<br />
individuelle Fallzahlwachstumsbegrenzung vor,<br />
d.h. die für die Berechnung des RLV relevante<br />
Fallzahl ist derzeit bis zu einem Umfang von<br />
150% der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der<br />
Arztgruppe steigerbar, ohne dass dies nachteilige<br />
Auswirkungen auf den Fallwert hat. Zudem<br />
müssen die Partner der Gesamtverträge im<br />
Rahmen der HVVe Anfangs- bzw. Übergangsregelungen<br />
für Neuzulassungen von Vertragsärzten,<br />
Praxen in der Aufbauphase und bei<br />
Umwandlungen der Kooperationsform treffen.<br />
Das SG Marburg hat zudem im Rahmen eines<br />
einstweiligen Verfügungsverfahrens (Beschluss<br />
vom 6.8.2009 – S 11 KA 430/09 ER) richtungsweisend<br />
entschieden, dass die jeweiligen Honorarverteilungsverträge<br />
Regelungen für das<br />
Wachstum unterdurchschnittlich abrechnender<br />
Praxen enthalten müssen, die es diesen ermöglichen,<br />
innerhalb eines Zeitraums von fünf<br />
Versorgung in der Breite sichern<br />
Jahren den durchschnittlichen Umsatz der<br />
Arztgruppe zu erreichen. Fehlen entsprechende<br />
Wachstumsmöglichkeiten im HVV, steht<br />
diesen Praxen nach Auffassung des SG Marburg<br />
unmittelbar ein RLV in Höhe des Durchschnitts<br />
der Fachgruppe zu. Die Entscheidung<br />
ist allerdings noch nicht rechtskräftig.<br />
Ausblick auf <strong>2010</strong><br />
Die Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses<br />
vom 02.09.2009 und des Bewertungsausschusses<br />
vom 22.09.2009 sehen für<br />
das erste Quartal <strong>2010</strong> zunächst im Wesentlichen<br />
eine Fortführung der bisherigen Regelungen<br />
vor; der Orientierungspunktwert wurde<br />
auf 3,5048 Cent festgelegt. Eine Anschlussregelung<br />
für die Zeit ab dem 01.04.<strong>2010</strong> fehlt<br />
bislang noch. Neu ist, dass gemäß § 87 Abs.<br />
2e SGB V ab 01.01.<strong>2010</strong> die Vergütungen für<br />
vertragsärztliche Leistungen nach dem Versorgungsgrad<br />
zu differenzieren sind. Der Beschluss<br />
des Bewertungsausschusses sieht<br />
künftig bei Unterversorgung Zu- und bei Überversorgung<br />
Abschläge vom regelhaften Orientierungswert<br />
vor. Die Zuschläge variieren je<br />
nach dem Grad der Unterversorgung und der<br />
Fachgruppe zwischen 8% und 27%, die Abschläge<br />
zwischen 5,5% und 19%. Für die Abschläge<br />
gilt eine Konvergenzregel; sie finden in<br />
<strong>2010</strong> keine Anwendung und kommen bei bestehenden<br />
Praxen erst in 2017 und bei Praxen,<br />
die bis 31.12.2011 erworben werden, erst in<br />
2014 voll zum Tragen. ■<br />
Dr. Ralf Clement, Sindelfingen<br />
„Versorgung in der Breite sichern“ ist das Thema des diesjährigen <strong>Schmerz</strong> und Palliativkongresses.<br />
Politisch müssen vernünftige Grundlagen geschaffen werden, um die schmerz und palliativmedizinische<br />
Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Nur dann lassen sich moderne <strong>Therapie</strong> und Präventionskonzepte<br />
umsetzen. Nur dann profitiert der Patient von Erkenntnissen der Wissenschaft. Nur dann ist<br />
Gesundheitspolitik auch ökonomisch. Ein breites Angebot für Information, Weiterbildung und Diskussion<br />
steht interdisziplinär und fachgruppenübergreifend zur Verfügung, das Dr. med. Thomas Cegla, Vizepräsident<br />
der DGS, Wuppertal, an einigen Beispielen darstellt. Thomas Cegla,<br />
Wuppertal<br />
W orkshops<br />
dienen der intensiven Weiterbildung<br />
in Kleingruppen und bieten<br />
ausreichende Diskussionsmöglichkeiten. Sie<br />
bereichern das Gesamtprogramm.<br />
Sonografie und Kodierung in Workshops<br />
Eine Übersicht über eine vergütungsrelevante<br />
Kodierung von Diagnosen in Praxis und Klinik<br />
zeigt, wie wichtig die Dokumentation für die<br />
Wirtschaftlichkeit ist. Ein lernendes Vergütungssystem<br />
verlangt Lernen. Ein weiteres<br />
Workshopthema sind neue Methoden wie die<br />
Einführung der Sonografie für Blockadetech-<br />
12 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
© Prof. Dr. med. H. S. Füeßl, München<br />
niken in der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. Über die Anästhesie<br />
hat die Sonografie in den letzten Jahren<br />
einen deutlich höheren Stellenwert bei Punktionstechniken<br />
und Nervenblockaden erhalten.<br />
Sie ist eine Methode, die eine höhere Sicherheit<br />
für den Patienten bietet und auch für<br />
schmerztherapeutische Blockaden infrage<br />
kommt. Dies können zum einen Stellatumblockaden<br />
sein, aber auch Blockaden im Bereich<br />
des Plexus axillaris oder der das Bein<br />
versorgenden Nerven. Sonografisch lassen<br />
sich die Leitstrukturen darstellen und Gefäßverletzungen<br />
vermeiden. Zusätzlich sind in der<br />
Regel geringere Konzentrationen und Volumina<br />
der Arzneimittel notwendig, um den gewünschten<br />
Blockadeeffekt zu erreichen. Inwieweit<br />
sonografische Blockaden auch bei Punktionen<br />
im wirbelsäulennahen Bereich eine Hilfestellung<br />
sein können, wird sich in Zukunft<br />
zeigen.<br />
Neue <strong>Therapie</strong>optionen für die<br />
Zosterneuralgie<br />
Auch neue Behandlungsoptionen der postherpetischen<br />
Neuralgie sind ein Symposiumsthema.<br />
Eine Zosterneuralgie kann vom akuten<br />
über ein chronifiziertes subkutanes Neuralgiestadium<br />
nach einem Verlauf von ca. drei<br />
Monaten zu einer postzosterischen Neuralgie<br />
werden. Hier sind frühzeitige <strong>Therapie</strong>optionen<br />
zur Vermeidung der Chronifizierung besonders<br />
wichtig. Neben opioidhaltigen Analgetika wie<br />
z.B. Oxycodon/Naloxon können Antikonvulsiva<br />
wie Gabapentin/Pregabalin und Antidepressiva<br />
wie das Amitriptylin zum Einsatz kommen. Neben<br />
physikalischen Maßnahmen ist eine virostatische<br />
<strong>Therapie</strong> zu berücksichtigen. Bei<br />
einem chronifizierten Stadium können aber<br />
auch topische Substanzen wie das Lidocain-<br />
Gel in Pflasterform oder Capsaicin-Salbe zum<br />
Einsatz kommen. Eine innovative Applikationsart<br />
steht nun mit einem transdermalen System<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
zur Verfügung, über das Capsaicin appliziert<br />
werden kann.<br />
Aufklärung und Kommunikation im<br />
Fokus<br />
Ein weiteres Weiterbildungsthema des <strong>Schmerz</strong>tages<br />
ist die bessere Aufklärung und Kommunikation<br />
der Patienten. Insbesondere der mündige,<br />
kooperationsbereite Patient kann pharmakotherapeutische<br />
Konzepte anders nachvollziehen<br />
und gewissenhaft durchführen. Erst wenn ärztliche<br />
Aufklärung den Patienten mit einbezieht,<br />
kann ein gemeinsames therapeutisches Konzept<br />
sowie ein gemeinsam erfasstes individuelles<br />
Behandlungsziel im Team Arzt/Patient ein<br />
zufriedenstellendes Ergebnis erreichen.<br />
Leitlinen oder Leidlinien?<br />
Eine leidenschaftliche Diskussion ist zur Entwicklung<br />
von neuen Leitlinien zu erwarten. Im<br />
Augenblick ist noch nicht abzusehen, inwieweit<br />
die neue Leitlinie für neuromodulative Verfahren<br />
zum Zeitpunkt des Kongresses schon vorliegen<br />
wird. Insbesondere beim Failed-backsurgery-Patienten<br />
ist die Spinal-Cord-Stimulation<br />
eine bedeutende <strong>Therapie</strong>option, die noch<br />
zu wenig zum Einsatz kommt. Patientenauswahl<br />
und Selektion sind ebenfalls beim Einsatz<br />
neuer Substanzen wie dem Ziconotide grundlegend.<br />
Hier können Leitlinien deutliche Hilfestellungen<br />
geben.<br />
Umstritten: LONTS<br />
Ein weiteres Thema wird sicherlich die Leitlinie<br />
zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht<br />
tumorbedingten <strong>Schmerz</strong>en sein. Besonders<br />
hier ist zu fragen, inwieweit Leitlinien den Arzt<br />
wirklich in der <strong>Therapie</strong> leiten und ob sie halten,<br />
was sie versprechen, wenn sie sinnvolle,<br />
in der Praxis erprobte <strong>Therapie</strong>verfahren zeitlich<br />
befristen und keine Alternativen aufzeichnen.<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong> und Palliativtag <strong>2010</strong><br />
Typisches Hautbild eines Herpes zoster. Eine entspannte Gesprächssituation schafft Vertrauen.<br />
© bilderbox/fotolia.com<br />
Fortbildung für Pfleger<br />
Fortbildungsangebote für Pflegekräfte und medizinische<br />
Assistenzberufe bestehen. Ein<br />
Workshop befasst sich mit dem Thema Wundmanagement.<br />
Dieses bietet eine aktive Möglichkeit<br />
zur direkten <strong>Schmerz</strong>linderung und<br />
-vermeidung durch eine professionelle Vorgehensweise.<br />
Weitere Themen werden die Betreuung von<br />
Patienten mit internen und externen Pumpen<br />
durch speziell weitergebildetes Personal sein<br />
sowie die verschiedenartigen Applikationsformen<br />
von Opiaten, u.a. auch in der Pflege<br />
palliativmedizinischer Patienten. Hier lässt sich<br />
im Team individuell für den jeweiligen Patienten,<br />
insbesondere mit einer Durchbruchschmerz-<br />
Symptomatik, das auf die individuelle Situation<br />
am besten angepasste <strong>Therapie</strong>schema entwickeln.<br />
Eine hervorragende Möglichkeit für einen<br />
Überblick über verschiedene Themen bietet die<br />
Posterausstellung und Diskussion. Auch in diesem<br />
Jahr wurde ein Posterpreis ausgelobt.<br />
Weiterbildung für den Nachwuchs<br />
Am letzten Tag des <strong>Schmerz</strong>tages werden<br />
auch Medizinstudenten die Möglichkeit haben,<br />
eine umfassende curriculare schmerztherapeutische<br />
Weiterbildung zu absolvieren. Hier<br />
bietet die DGS seit mehreren Jahren eine Veranstaltungsreihe,<br />
die es engagierten Medizinstudenten<br />
erlaubt, Kenntnisse in dem wichtigen<br />
Bereich der <strong>Schmerz</strong>- und Palliativmedizin zu<br />
erlangen, so wie sie leider im Studium immer<br />
noch nicht ausreichend angeboten werden.<br />
Schon diese begrenzte Themendarstellung<br />
zeigt die fachübergreifende und interdisziplinäre,<br />
aber auch gesundheitspolitische Bedeutung<br />
dieses Kongresses. ■<br />
Thomas Cegla, Wuppertal<br />
13
Uhrzeit Mittwoch 17.03.10 Donnerstag 18.03.10<br />
7:00<br />
8:00<br />
9:00<br />
10:00<br />
11:00<br />
12:00<br />
13:00<br />
14:00<br />
15:00<br />
16:00<br />
17:00<br />
18:00<br />
19:00<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong><br />
Migräne und Schlaganfall<br />
Triptane sind aus der Migränetherapie nicht mehr wegzudenken, allerdings sind sie<br />
bei Patienten mit Koronarerkrankungen oder Schlaganfall kontraindiziert. Welche<br />
Alternativen sich für diese Risikopatienten bieten, schildert Astrid Gendolla, DGS-<br />
Leiterin Essen. Astrid Gendolla,<br />
Essen<br />
D ie<br />
Sorge, ein erhöhtes Risiko für einen<br />
Schlaganfall zu haben oder gar einen zu<br />
erleiden, beschäftigt viele Migränepatienten,<br />
insbesondere wenn eine Aurasymptomatik besteht.<br />
Andererseits wird manchen Patienten<br />
eine wirkungsvolle <strong>Therapie</strong> sowohl in der Attackentherapie<br />
der Migräne mit Triptanen als<br />
auch bei der hormonellen Antikonzeption aus<br />
Sorge vor einem möglichen Schlaganfallrisiko<br />
vorenthalten.<br />
Frauen leiden im Verhältnis 3:1 häufiger an<br />
Migräne als Männer, während Männer statis<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong>: 18.–20.3.<strong>2010</strong>, Congress Center Messe Frankfurt/Main<br />
IMC<br />
Ärztenetz-<br />
Meeting<br />
Fantasie<br />
1+2,<br />
14:00 –<br />
16:30<br />
HOW*<br />
Stoßwellentherapie<br />
Spektrum 1+2,<br />
14:00 – 15:30<br />
HOW*<br />
Komplementäre Herangehensweisen<br />
an das<br />
<strong>Schmerz</strong>problem<br />
Spektrum 1+2,<br />
15:45 – 17:15<br />
HOW*<br />
IGeL-Leistungen und<br />
Privatliquidation in der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Spektrum 1+2, 17:30 – 19:00<br />
Auftakt-<br />
Pressekonferenz<br />
Kontakt,<br />
11:00 – 13:00<br />
HOW*<br />
Hypnose in der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Conclusio 1+2, 14:00 – 15:30<br />
HOW*<br />
Autosuggestion<br />
zur<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Conclusio 1+2,<br />
15:45 – 17:15<br />
HOW*<br />
Vergütungs- und regressrelevante<br />
Codierung von<br />
Diagnosen<br />
Conclusio 1+2, 17:30 – 19:00<br />
*HOW = Hands-on-Workshop, begrenzte Teilnehmerzahl<br />
HOW*<br />
Funktionsstörungen des<br />
stomatognathen Systems<br />
Illusion 1+2, 14:00 – 15:30<br />
HOW*<br />
Kopfschmerzen –<br />
Diagnostik und <strong>Therapie</strong> bei<br />
Funktionsstörungen der HWS<br />
und Muskulatur<br />
Illusion 1+2, 15:45 – 17:15<br />
HOW*<br />
Survival für <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />
– wohin entwickelt<br />
sich die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>?<br />
Illusion 1+2, 17:30 – 19:00<br />
tisch signifikant häufiger an Schlaganfällen<br />
erkranken. Migräne hat ihren Erkrankungsgipfel<br />
vom 20.–40. Lebensjahr, zwei Drittel aller<br />
Schlaganfälle treten nach dem 65. Lebensjahr<br />
auf. Rein epidemiologisch betrachtet bestehen<br />
also wenige Überschneidungen zwischen beiden<br />
Erkrankungen.<br />
Klinisch ist die Differenzialdiagnose nicht<br />
immer leicht zu stellen. Sehstörungen und<br />
Kopfschmerzen können einer Migräne mit visueller<br />
Aura wie auch einem Schlaganfall im<br />
hinteren Stromgebiet entsprechen. Die Diffe<br />
HOW*<br />
Hochtontherapie<br />
Illusion 3,<br />
14:00 – 15:30<br />
HOW*<br />
Untersuchung des<br />
Rückens und der<br />
Gelenke<br />
Illusion 3,<br />
15:45 – 17:15<br />
HOW*<br />
Sonografie/Stellatum-Blockaden<br />
Illusion 3,<br />
17:30 – 19:00<br />
Plenum<br />
Opioide bei Nichttumorschmerzen –<br />
Leitlinie versus<br />
Versorgungsrealität<br />
Pressekonferenz<br />
Kontakt,<br />
11:00 –<br />
13:00<br />
Juristische<br />
Beratung<br />
für<br />
DGS-Mitglieder<br />
VIP-Lounge,<br />
14:00 –<br />
17:00<br />
Freie Vorträge<br />
Session I<br />
Illusion 1+2, 07:00 – 07:50<br />
Harmonie, 08:45 – 10:15<br />
Plenum<br />
Epidemie Rückenschmerz<br />
360°: Relevanz –<br />
Diagnostik – <strong>Therapie</strong><br />
Harmonie, 10:45 – 12:15<br />
Lunchseminar<br />
Palliativversorgung – was<br />
für Patienten zählt<br />
Conclusio 1+2,<br />
12:30 – 13:50<br />
Plenum<br />
Palliativmedizin – nicht<br />
nur (Durchbruch-)<strong>Schmerz</strong><br />
Harmonie,<br />
14:15 – 15:45<br />
Plenum<br />
<strong>Therapie</strong>ziel: lückenlose<br />
<strong>Schmerz</strong>kontrolle in der<br />
Opioidtherapie<br />
Harmonie, 16:15 – 17:45<br />
Lunchseminar<br />
Effektive Gelenkschmerztherapie<br />
– von der Theorie<br />
zum individuellen Patienten<br />
Fantasie 1+2, 12:30 – 13:50<br />
Lunchseminar<br />
<strong>Schmerz</strong>en bei diabetischer<br />
Polyneuropathie: Lebensqualität<br />
– quo vadis?<br />
Illusion 1+2, 12:30 – 13:50<br />
HOW*<br />
Der schwierige Fall<br />
(interaktiver Workshop)<br />
Illusion 1+2,<br />
14:15 – 15:45<br />
Arbeit der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>kommissionen<br />
Conclusio 1+2,<br />
16:15 – 17:45<br />
Lunchseminar<br />
Neuroborreliose oder<br />
Borrelienneurose?<br />
Illusion 3,<br />
12:30 – 13:50<br />
14 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
Freie Vorträge<br />
Session II<br />
Illusion 3, 07:00 – 07:50<br />
Auftaktvortrag: Recht auf <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> versus<br />
ökonomische Zwänge – woran orientiert sich <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>?<br />
Harmonie, 08:15 – 08:45<br />
Mitgliederversammlung DGS<br />
Fantasie 1+2, 18:30<br />
HOW*<br />
Internet für<br />
Praxen<br />
Illusion 1+2,<br />
10:45 – 12:15<br />
HOW*<br />
Integrierte Versorgung –<br />
Erfolgsmodelle der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
und Palliativmedizin<br />
Illusion 3, 10:45 – 12:15<br />
HOW*<br />
Standardisierte Dokumentation für Algesiologie:<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>fragebogen &<br />
elektronische Dokumentationssysteme<br />
Spektrum 1+2, 14:15 – 15:45<br />
HOW*<br />
Autosuggestion zur<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Illusion 1+2,<br />
16:15 – 17:45<br />
renzialdiagnose richtet sich nach der genauen<br />
Anamnese, wobei im Zweifel die bildgebende<br />
Diagnostik und Ultraschalluntersuchung der<br />
hirnversorgenden extra und intrakraniellen<br />
Gefäße zeitnah durchgeführt werden sollte,<br />
um Klarheit zu schaffen.<br />
Rauchen und Pille gefährlich<br />
Risikofaktoren für Schlaganfall, v.a. lebensstilassoziierte<br />
wie Nikotin, sind bei Migränepatienten<br />
selten. Eine Subpopulation von Migränepatientinnen<br />
bedarf jedoch einer genaueren<br />
HOW*<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> bei<br />
Kindern<br />
Illusion 3,<br />
16:15 – 17:45<br />
Mitgliederversammlung<br />
GGMM<br />
Idee,<br />
16:30 – 17:15<br />
Internet-<br />
Café<br />
Spektrum<br />
1+2<br />
11:00 –<br />
18:00
Uhrzeit Freitag 19.03.10 Samstag 20.03.10<br />
7:00<br />
8:00<br />
9:00<br />
10:00<br />
11:00<br />
12:00<br />
13:00<br />
14:00<br />
15:00<br />
16:00<br />
17:00<br />
18:00<br />
19:00<br />
Aufklärung und Beratung hinsichtlich der <strong>Therapie</strong>.<br />
Patientinnen, die an Migräne mit Aura<br />
leiden, rauchen und eine hormonelle Antikonzeption<br />
einnehmen, haben ein geringfügig erhöhtes<br />
Risiko, an einem Schlaganfall zu erkranken,<br />
v.a. wenn andere koronare Risikofaktoren<br />
dazukommen. Orale Antikontrazeptiva<br />
haben einen variablen Einfluss auf Migräne; sie<br />
verbessern, verschlechtern oder lassen die<br />
Migräne unbeeinflusst. Zusammenfassend<br />
scheint der Missbrauch von Nikotin als Risikofaktor<br />
schwerer zu wiegen als die Einnahme<br />
einer hormonellen Antikonzeption. Bei jungen,<br />
übergewichtigen Frauen, die an einer Migräne<br />
mit Aura leiden, sollte je nach sozialer Situation<br />
abgewogen werden, welcher Risikofaktor am<br />
ehesten ausgeschaltet werden kann. Die Patientinnen<br />
sollten eher motiviert werden, auf<br />
Nikotin zu verzichten, als auf alternative – und<br />
damit aber unsichere – Verhütungsmethoden<br />
umzusteigen.<br />
Die Datenlage zum Einfluss hormoneller<br />
Antikonzeption oder Hormonsubstitution in<br />
Im Fokus: Versorgung in der Breite sichern!<br />
Special Lecture<br />
Update somatoforme <strong>Schmerz</strong>störung<br />
Fantasie 1+2, 07:00 – 07:50<br />
Plenum<br />
Morbidität und Mortalität: gastrointestinale<br />
Risiken unverändert unterschätzt! Fakten<br />
statt Fiktionen zu NSAR und Coxiben<br />
Harmonie, 08:00 – 09:30<br />
Plenum<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> am Puls<br />
der Zeit: von Grundlagen bis<br />
Wirtschaftlichkeit<br />
Harmonie, 10:00 – 11:30<br />
Lunchseminar<br />
Durchbruchschmerzen<br />
– auch<br />
ein Thema für SAPV?<br />
Illusion 1+2,<br />
12:00 – 13:20<br />
Juristische<br />
Beratung für<br />
DGS-Mitglieder<br />
VIP-Lounge,<br />
14:00 –<br />
17:00<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
Freie Vorträge Session III<br />
Illusion 1+2,<br />
07:00 – 07:50<br />
HOW*<br />
Einsatz von Biofeedback zur<br />
Behandlung von Kopfschmerzen/Migräne<br />
Illusion 1+2, 10:00 – 11:30<br />
Lunchseminar<br />
Lumbago, Spinalkanalstenose<br />
und Co. –<br />
was macht Sinn?<br />
Conclusio 1+2,<br />
12:00 – 13:20<br />
Plenum<br />
Lebensqualität bei<br />
<strong>Schmerz</strong>en des<br />
Bewegungssystems<br />
Harmonie,<br />
13:45 – 15:15<br />
Plenum<br />
Differenzierte <strong>Therapie</strong><br />
mit Opioiden – was ist<br />
die Rationale?<br />
Harmonie,<br />
15:45 – 17:15<br />
Plenum<br />
Neue <strong>Therapie</strong>optionen bei peripherer<br />
Neuropathie<br />
Harmonie,<br />
17:30 – 19:00<br />
Freie Vorträge Session IV<br />
Illusion 3,<br />
07:00 – 07:50<br />
HOW*<br />
Die <strong>Schmerz</strong>praxis: Bewertung, Ankauf,<br />
Verkauf und ökonomische Eckdaten der<br />
Leistungserbringung<br />
Illusion 1+2, 08:00 – 09:30<br />
HOW*<br />
Standardisierte<br />
Dokumentation für<br />
Algesiologie<br />
Spektrum 1+2,<br />
13:45 – 15:15<br />
HOW*<br />
Der schwierige Fall<br />
(interaktiver Workshop)<br />
Illusion 3,<br />
10:00 – 11:30<br />
Lunchseminar<br />
Handanlegen – mit der 5-<br />
Sinne-Diagnostik Störungen<br />
des Bewegungssystems<br />
erkennen und behandeln<br />
Fantasie 1+2, 12:00 – 13:20<br />
HOW*<br />
Dronabinol – Möglichkeiten<br />
und Grenzen in<br />
der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Conclusio 1+2,<br />
15:45 – 17:15<br />
Abendsymposium<br />
Versorgung in der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> heute und morgen<br />
Marriott Hotel, 19:30<br />
HOW*<br />
Schlechte Nachrichten<br />
überbringen<br />
Illusion 3,<br />
08:00 – 09:30<br />
Pressekonferenz<br />
Kontakt, 11:00 – 13:00<br />
Lunchseminar<br />
Der „Schläfer“ im Körper:<br />
das Varizella-Zoster-Virus<br />
neu betrachtet<br />
Spektrum 1+2,<br />
12:00 – 13:20<br />
HOW*<br />
Survival für <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />
– wohin<br />
entwickelt sich die<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>?<br />
Illusion 3, 13:45 – 15:15<br />
HOW*<br />
Achtsamkeitstraining zur<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und<br />
Stressbewältigung<br />
Illusion 3,<br />
15:45 – 17:15<br />
der Menopause ist schwierig zu bewerten, da<br />
einzelne Studien wegen des unterschiedlichen<br />
Designs nicht miteinander verglichen werden<br />
können.<br />
Menopause und höheres Lebensalter<br />
Die Hormonsubstitution in der Menopause ist<br />
wegen eines erhöhten Karzinomrisikos kürzlich<br />
in der Fach und auch in der Laienpresse<br />
diskutiert worden. Transdermale Systeme<br />
sollten bevorzugt werden, da sie stabilere Hormonspiegel<br />
garantieren und tendenziell günstiger<br />
für die Migränesituation sind.<br />
Andere Faktoren<br />
Neben den Hormonen sind auch andere Erkrankungen<br />
zu diskutieren wie der echte<br />
migränöse Infarkt. Dies ist ein Schlaganfall,<br />
der sich aus der Symptomatik einer Migräne<br />
heraus entwickelt, bildgebend gesichert ist<br />
und keine anderen Ursachen hat. Darüber<br />
hinaus sind Dissektate der A. carotis interna<br />
und vertebralis ein Hauptgrund für Schlagan<br />
HOW*<br />
Illusion 3,<br />
12:00 –<br />
13:20<br />
HOW*<br />
Ziconotid –<br />
Erfahrungen bis<br />
heute –<br />
Erkenntnisse<br />
für morgen<br />
Illusion 1+2,<br />
14:15 – 17:15<br />
Internet-<br />
Café<br />
Spektrum<br />
1+2<br />
Freitag<br />
10:00 bis<br />
18:00<br />
Samstag<br />
10.00 bis<br />
16.00<br />
Plenum<br />
Posterpräsentation und -diskussion<br />
Harmonie, 07:00 – 07:50<br />
Studenten-<br />
Workshop<br />
Von der<br />
Grundlagenforschung<br />
bis<br />
zur <strong>Therapie</strong><br />
Maritim I,<br />
08:45 – 17:30<br />
Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong><br />
Plenum<br />
Durchbruchschmerzen – Phantom oder Problem?<br />
Harmonie, 08:00 – 09:30<br />
ALFA-HOW-Seminar<br />
Betreuung von Patienten mit internen<br />
und externen Pumpen<br />
Maritim Berlin/Köln, 09:00 – 10:00<br />
ALFA-HOW-Seminar<br />
Konservatives Wundmanagement<br />
Maritim Berlin/Köln, 10:15 – 11:15<br />
ALFA-HOW-Seminar<br />
Nasale und orale Applikationsformen<br />
Maritim Berlin/Köln, 11:30 – 12:30<br />
ALFA-HOW-Seminar<br />
Notfallworkshop<br />
Maritim Berlin/Köln, 13:00 – 14:00<br />
ALFA-HOW-Seminar<br />
Qualifikation für medizinische Studien<br />
Maritim Berlin/Köln, 14:15 – 15:15<br />
Gesundheitspolitisches Forum<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> nach der<br />
Bundestagswahl – was verändert sich?<br />
Round Table mit Gesundheitspolitikern<br />
Harmonie,<br />
15:30 – 17:30<br />
BVSD<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> zwischen Euro und Cent<br />
Fantasie 1+2,<br />
17:30 – 18:30<br />
fälle bei jungen Menschen. Weiterhin beschrieben<br />
ist, dass Infarkte eine migränöse<br />
Aura triggern können. Außerdem sind Erkrankungen<br />
wie Lupus erythematodes oder mitochondriale<br />
Erkrankungen prädisponierend<br />
für beide Erkrankungen – für Migräne und<br />
Schlaganfall.<br />
Absolute Kontraindikationen für Triptane<br />
Therapeutisch zu berücksichtigen ist, dass ein<br />
stattgehabter Schlaganfall oder eine TIA sowie<br />
kardiovaskuläre Risikofaktoren (wie z.B. eine<br />
schlecht eingestellte arterielle Hypertonie)<br />
Kontraindikationen für die Attackentherapie<br />
der Migräne mit Triptanen darstellen. Therapeutisch<br />
genutzt werden kann der Einsatz von<br />
ASS sowohl in der Migräneprophylaxe als auch<br />
in der Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls.<br />
Eine <strong>Therapie</strong>option für arterielle Hypertonie<br />
und Migräne sind Betablocker oder ACEHemmer.<br />
■<br />
ALFA-<br />
Seminar<br />
Curriculum<br />
AlgesiologischeFachassistenz<br />
Maritim,<br />
10:00 –<br />
15:00<br />
HOW*<br />
Achtsamkeitsbasierte<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Illusion 1+2,<br />
08:00 – 09:30<br />
Plenum<br />
<strong>Schmerz</strong>- und<br />
Palliativmedizin<br />
heute<br />
Harmonie,<br />
10:00 – 11:30<br />
Lunchseminar<br />
Kopfschmerzen<br />
und<br />
Lebensqualität<br />
Fantasie 1+2,<br />
12:00 – 13:20<br />
Plenum<br />
Durchbruchschmerz<br />
– eine<br />
ignorierte Entität<br />
Harmonie,<br />
13:45 – 15:15<br />
Astrid Gondolla, Essen<br />
HOW*<br />
Behandlung von<br />
Rückenschmerzen<br />
mit TLA<br />
Spektrum 1+2,<br />
10:00 – 11:30<br />
Lunchseminar<br />
Fibromyalgiesyndrom<br />
– was<br />
ist das wirklich?<br />
Conclusio 1+2,<br />
12:00 – 13:20<br />
HOW*<br />
Burnout bei<br />
Ärzten und<br />
Mitarbeitern<br />
Illusion 1+2,<br />
13:45 – 15:15<br />
HOW*<br />
Hypnose in der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
Illusion 3,<br />
08:00 – 09:30<br />
HOW*<br />
Der schwierige<br />
Fall (interaktiver<br />
Workshop)<br />
Illusion 3,<br />
10:00 – 11:30<br />
Lunch-<br />
seminar<br />
Rheuma und<br />
<strong>Schmerz</strong><br />
Illusion 1+2,<br />
12:00 – 13:20<br />
HOW*<br />
<strong>Schmerz</strong><br />
therapie bei<br />
Alten<br />
Illusion 3,<br />
13:45 – 15:15<br />
15
Neurologie<br />
Triptane in der Aura gefährlich<br />
Triptane dürfen nicht schon präventiv in der Migräneaura<br />
eingenommen werden, sondern erst in der Kopfschmerzphase.<br />
Warum das richtige Timing beim Einsatz von<br />
Triptanen so wichtig ist, erläutern Dr. Katja Heinze-Kuhn,<br />
Dr. Axel Heinze und Prof. Dr. Hartmut Göbel, Neurologisch-verhaltensmedizinische<br />
<strong>Schmerz</strong>klinik Kiel.<br />
B ei<br />
ca. 15% der Betroffenen werden die<br />
Migräneattacken zumindest teilweise von<br />
Migräneauren eingeleitet. Bei den Auren handelt<br />
es sich um vorübergehende neurologische<br />
Symptome wie Seh-, Gefühls- oder Sprachstörungen,<br />
an die sich meistens innerhalb einer<br />
Stunde die eigentliche Kopfschmerzphase anschließt<br />
(Tab. 1).<br />
Eine generelle Regel besagt, dass Anfallsmedikamente<br />
gegen Migräne umso besser<br />
helfen, je früher sie im Anfall eingenommen<br />
werden. Nicht zuletzt gilt dies auch für die<br />
Triptane. Was liegt da näher, als ein Triptan<br />
schon in der Auraphase der Migräne einzunehmen,<br />
also noch bevor es überhaupt zu den<br />
quälenden Kopfschmerzen gekommen ist?<br />
So attraktiv diese Überlegung auch sein mag,<br />
empfehlenswert ist sie nicht. Die Begründung<br />
hierfür geben die Antworten auf die folgenden<br />
Fragen.<br />
Triptane sinnvoll in der Auraphase?<br />
Ist es sinnvoll, ein Triptan bereits in der Auraphase<br />
der Migräne einzusetzen? Sinnvoll wäre<br />
Tab. 1: Charakteristika der verschiedenen Auratypen<br />
Auratyp Charakteristika<br />
˘ Typische Aura<br />
˘ Hemiplegische Aura<br />
˘ Migräne vom Basilaristyp<br />
Katja Heinze-Kuhn,<br />
Kiel<br />
der Einsatz von Triptanen in der Aura dann,<br />
wenn es entweder gelänge, die Aura selbst<br />
abzukürzen oder aber das erwartete spätere<br />
Auftreten der Kopfschmerzphase zu verhindern.<br />
Beide Fragen wurden in placebokontrollierten<br />
Studien untersucht. In der ersten derartigen<br />
Studie wurde die Wirksamkeit des stärksten<br />
Triptans – Sumatriptan subkutan gespritzt<br />
– getestet (Bates et al. 1994, Neurology). In<br />
einer neueren zweiten Studie wurde Eletriptan<br />
in der höchsten erlaubten Einmaldosis von<br />
zweimal 40 mg untersucht (Olesen et al. 2004,<br />
European Journal of Neurology). Dabei zeigte<br />
sich in beiden Fällen, dass die jeweiligen Triptane<br />
die Auren im Vergleich zu Placebo nicht<br />
verkürzen konnten (Abb. 1). Dieses Ergebnis ist<br />
nicht verwunderlich, nimmt man doch unterschiedliche<br />
Entstehungsmechanismen für Migräneauren<br />
und Migränekopfschmerzen an.<br />
Letztlich nicht zu erklären ist jedoch die Beobachtung,<br />
dass auch das Auftreten von Kopfschmerzen<br />
durch die frühe Triptaneinnahme<br />
nicht verhindert werden konnte! Die Frage, ob<br />
der Einsatz von Triptanen bereits in der Aura<br />
■ Vorübergehende einseitige (homonyme) Sehstörung und/oder<br />
einseitige Gefühlsstörung und/oder Sprachstörung<br />
■ Symptome entwickeln sich langsam über mindestens 5 Minuten<br />
hinweg oder treten nacheinander auf<br />
■ Dauer der einzelnen Symptome liegt meist zwischen 5 und<br />
60 Minuten<br />
■ Innerhalb von 60 Minuten können typische Migränekopfschmerzen<br />
beginnen, müssen aber nicht (Migräneaura ohne Kopfschmerz)<br />
■ Wie typische Aura, jedoch zusätzlich vorübergehende motorische<br />
Schwäche<br />
■ Zeitlicher Ablauf wie typische Aura<br />
■ Gefühls- oder Sehstörungen jedoch beidseits simultan auftretend<br />
■ Zusätzlich Schwindel, Gleichgewichtsstörung, Tinnitus,<br />
Hörminderung oder Bewusstseinsstörung möglich<br />
Axel Heinze,<br />
Kiel<br />
Hartmut Göbel,<br />
Kiel<br />
sinnvoll ist, kann also eindeutig mit „nein“ beantwortet<br />
werden, da sie keinen positiven Effekt<br />
haben.<br />
Triptan in der Auraphase gefährlich?<br />
Untersuchungen zur regionalen Hirndurchblutung<br />
konnten zeigen, dass es während der<br />
Auraphase einer Migräne zu einer umschriebenen<br />
Minderdurchblutung derjenigen Hirnareale<br />
kommt, die für die jeweiligen neurologischen<br />
Phänomene verantwortlich sind (z.B.<br />
Sehstörung bei Minderdurchblutung im hinteren<br />
Hirnbereich, der sog. Sehrinde). In seltenen<br />
Fällen kann sich aus dieser Situation<br />
heraus auch eine bleibende Durchblutungsstörung<br />
entwickeln, die dann als migränöser Hirninfarkt<br />
bezeichnet wird. Tatsächlich besteht bei<br />
Frauen, die unter einer Migräne mit Aura leiden,<br />
ein um den Faktor 1,8 erhöhtes Risiko,<br />
einen Schlaganfall zu erleiden. Für die Altersgruppe<br />
45–54 Jahre zeigt sich sogar ein um<br />
den Faktor 2,6 erhöhtes Schlaganfallrisiko. Unabhängig<br />
vom Alter spielt auch die Häufigkeit<br />
von Migräneauren eine Rolle für das individu-<br />
16 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
© Bildarchiv Göbel<br />
Migräneattacken quälen<br />
vor allem Frauen.
elle Risiko. Bei Auftreten von mindestens einer<br />
Migräneaura/Woche erhöht sich bei Migränepatientinnen<br />
mit Aura das Schlaganfallrisiko<br />
um den Faktor 4,25 (Kurth et al. 2008, British<br />
Medical Journal; Kurth et al. 2009, Neurology).<br />
Hingegen weisen in allen Studien Frauen, die<br />
ausschließlich unter einer Migräne ohne Aura<br />
leiden, kein erhöhtes Schlaganfallrisiko auf.<br />
Dasselbe gilt auch für Männer, und zwar unabhängig<br />
davon, ob sie unter einer Migräne ohne<br />
oder mit Aura leiden.<br />
Vermittelt über einen bestimmten Serotoninrezeptor<br />
(5-HT1B-Subrezeptor) sind Triptane in<br />
der Lage, Hirnblutgefäße zu verengen. Unabhängig<br />
davon, ob dieser Mechanismus für die<br />
Wirkung gegen Migräne erwünscht ist, bedeutet<br />
die Einnahme eines Triptans in der Auraphase,<br />
dass möglicherweise auch Blutgefäße<br />
in einem Hirnareal verengt werden, das sowieso<br />
schon minderdurchblutet ist. Damit würde<br />
sich das Schlaganfallrisiko bei den Migränepatienten<br />
potenziell nochmals erhöhen. Aus diesem<br />
Grund gilt die Einnahme von Triptanen in<br />
der Auraphase der Migräne nicht nur als nicht<br />
wirksam, sondern auch als gefährlich.<br />
Einnahme eines Triptans in der<br />
Auraphase empfohlen?<br />
Sowohl in den Gebrauchsinformationen („Beipackzetteln“)<br />
als auch in den Fachinformationen<br />
wird als Indikation für den Einsatz von Triptanen<br />
die Kopfschmerzphase einer Migräne mit und<br />
ohne Aura angegeben. Zum Teil wird für diese<br />
Anwendungsempfehlung auch eine Begrün-<br />
Migräne bei Frauen<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
© Mod. nach Bates et al. 1994 und Olesen et al. 2004<br />
Abb. 1: Triptane verhindern auch bei früher Einnahme in der Auraphase<br />
Kopfschmerzen nicht<br />
Prozent (%)<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Kein signifikanter Unterschied 100 Kein signifikanter Unterschied<br />
68 75<br />
80<br />
61 46<br />
Sumatriptan<br />
dung geliefert. In der Gebrauchsinformation des<br />
rezeptfrei erhältlichen Formigran ® (Wirkstoff<br />
Naratriptan) wird zum Beispiel explizit darauf<br />
hingewiesen, dass „die Sicherheit und Wirksamkeit<br />
zur Behandlung der möglicherweise<br />
vor dem Eintritt des Kopfschmerzes auftretenden<br />
Aurasymptomatik bisher nicht nachgewiesen<br />
wurde.“<br />
Da bei den meisten Migränepatienten die<br />
Auren abgeklungen sind, bevor die Kopfschmerzen<br />
beginnen, ist diese Beschränkung<br />
unproblematisch. Anders sieht es bei Betroffenen<br />
aus, die unter selteneren Auraformen<br />
leiden. Bei der hemiplegischen Migräne findet<br />
sich als Aurasymptom eine einseitige motorische<br />
Schwäche bis hin zu einer kompletten<br />
Lähmung einer Körperseite. Bei der Migräne<br />
Auftreten von Kopfschmerzen innerhalb von 6 Stunden<br />
nach Triptaneeinahme in der Auraphase<br />
Placebo<br />
Migräneattacken peinigen bevorzugt Frauen. Ein wichtiger Trigger dabei ist die<br />
Menstruation. Neben der symptomatischen Attackenbehandlung bieten sich bei der<br />
Sonderform der menstruationsbedingten Migräne auch hormonelle <strong>Therapie</strong>möglichkeiten<br />
an, beschreibt Dr. med. Astrid Gendolla, DGS-Leiterin Essen.<br />
M igräne<br />
ist weniger häufig bei Männern,<br />
ist zeitlich beschränkt auf die sexuell<br />
aktive Zeit des Lebens, tritt auf nach einer Akkumulation<br />
von internen und externen Reizen<br />
und ist charakterisiert durch eine Periodizität<br />
des Auftretens und resultiert aus einer komplexen<br />
Ätiologie heraus“ (Freud 1895).<br />
Migräne und Menstruation<br />
Mehr als 50% aller Frauen berichten, dass die<br />
Menstruation ein Migränetrigger sei. Für den<br />
größten Teil der Frauen ist diese Assoziation<br />
inkonsistent, und es bestehen unabhängig von<br />
der Menstruation mehrere Migräneattacken<br />
pro Monat. Für eine Gruppe von Patientinnen<br />
jedoch trifft die Diagnose der menstruellen<br />
Migräne (Migräne ein bis zwei Tage vor Einsetzen<br />
der Menstruation) und zu keinem anderen<br />
Zeitpunkt zu (Abb. 1 und Tab. 1 auf S. 18). Die<br />
Prävalenz ist unter 10%.<br />
Bisher sind noch keine biochemischen oder<br />
hormonellen Abnormalitäten für Frauen mit<br />
Prozent (%)<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Eletriptan Placebo<br />
Neurologie<br />
vom Basilaristyp treten die genannten typischen<br />
Aurasymptome (Seh- und/oder Gefühlsstörungen)<br />
gleichzeitig beidseitig auf.<br />
Hinzu kommen Symptome wie Schwindel,<br />
Tinnitus, Hörstörungen oder Bewusstseinsstörungen.<br />
Bei diesen Unterformen der Migräne<br />
mit Aura wird vom Einsatz von Triptanen grundsätzlich,<br />
also auch in der Kopfschmerzphase<br />
der Migräne nach Ende einer Aura, abgeraten.<br />
Bei dieser Anwendungsbeschränkung handelt<br />
es sich wieder um eine Sicherheitsmaßnahme,<br />
um ein möglicherweise erhöhtes Schlaganfallrisiko<br />
zu vermeiden. ■<br />
Dr. med. Katja Heinze-Kuhn, Dr. med. Axel<br />
Heinze und Prof. Dr. Hartmut Göbel, Kiel<br />
www.schmerzklinik.de<br />
Astrid Gendolla,<br />
Essen<br />
menstrueller Migräne identifiziert worden. Es werden<br />
jedoch mehrere Mechanismen diskutiert.<br />
Pathophysiologie<br />
So werden niedrige Progesteron- oder Östrogenspiegel<br />
als Ursache vermutet. Der wahrscheinlichste<br />
Mechanismus zur menstruellen<br />
Migräne ist der fallende Östrogenspiegel, der<br />
einer verlängerten Östrogenexposition nachfolgt.<br />
Östrogenentzug ist ein Trigger. Die Behandlung<br />
der menstruellen Migräne sollte zu-<br />
17
Nervenheilkunde 2003;22:531-670<br />
Neurologie<br />
nächst eine umfassende Beratung über die<br />
Attackenbehandlung und die prophylaktische<br />
<strong>Therapie</strong> beinhalten. Die folgenden Schritte<br />
bieten sich an.<br />
<strong>Therapie</strong> der menstruations-<br />
bedingten Migräne<br />
Bei der Attackenbehandlung sollte individuell<br />
auf die Schwere und Dauer der einzelnen Migräneattacke,<br />
die auch intraindividuell schwanken<br />
kann, geachtet werden. Die Patienten<br />
sollten angeleitet werden, sich migränespezifisch<br />
zu behandeln, sobald Vorbotensymptome<br />
entstehen und leichte Kopfschmerzen auftreten.<br />
Falls eine Behandlung fehlschlägt oder<br />
die Symptome zu Beginn der Erkrankung sehr<br />
heftig sind, ist es sinnvoll, sich mit migränespezifischen<br />
Medikamenten wie den Triptanen<br />
zu behandeln. Patienten, die sowohl auf Analgetika<br />
als auch auf Triptane nicht ausreichend<br />
ansprechen, bedürfen einer weitergehenden<br />
Diagnostik und Anamnese. Häufig ist auch das<br />
Nichtansprechen auf die Akuttherapie oder ein<br />
Nachlassen der Wirkung ein erster Hinweis<br />
auf einen beginnenden medikamenteninduzierten<br />
Dauerkopfschmerz (Medikamenteneinnahme<br />
mehr als die Hälfte aller Tage eines<br />
Monats).<br />
In der ersten Stufe der Migränebehandlung<br />
können freiverkäufliche <strong>Schmerz</strong>mittel wie<br />
Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Acetaminophen<br />
eingesetzt werden. Vorzugsweise sollten<br />
die Substanzen löslich oder als Zäpfchen zugeführt<br />
werden. Die Absorption kann möglicherweise<br />
durch Kombination mit prokinetischen<br />
Antiemetika wie Domperidon oder Metoclopramid<br />
verbessert werden. Entscheidend ist der<br />
frühe Einsatz dieser Medikation in ausreichend<br />
hoher Dosierung.<br />
Abb. 1: Charakteristisches <strong>Schmerz</strong>tagebuch<br />
bei menstruationsbedingter Migräne.<br />
Gemäß den Empfehlungen der <strong>Deutsche</strong>n<br />
Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft steht<br />
der Einsatz von Triptanen an zweiter Stelle der<br />
Migräne-Akutbehandlung. Für eine kleine Anzahl<br />
von Patientinnen ist die spezifische Prophylaxe<br />
als Kurzzeitprophylaxe mit NSAR oder<br />
transdermalem Östrogen sinnvoll.<br />
Eine kontinuierliche Hormongabe unterbindet<br />
die Ovulation und stellt relativ stabile Östrogenspiegel<br />
sicher. Somit kann durch eine kontinuierliche<br />
hormonelle Antikonzeption bei einigen<br />
Frauen die Migräne verbessert werden (Tab. 2).<br />
Migräne und Kontrazeption<br />
Kopfschmerzen sind eine häufige Nebenwirkung<br />
bei Einnahme von hormoneller Antikonzeption,<br />
bilden sich aber meistens nach längerer<br />
Einnahme zurück. Hinsichtlich der Migrä-<br />
Tab. 1: Klassifikation der mentruationsassoziierten und menstruellen Migräne<br />
Klassifikation<br />
Rein menstruelle Migräne ohne Aura<br />
Attacken treten ausschließlich am Tag 1±2 der Menstruation (d.h. Tag –2 bis + 3) in mindestens<br />
2 von 3 Zyklen auf<br />
Menstruationsassoziierte Migräne ohne Aura<br />
Attacken treten am Tag 1±2 der Menstruation (d.h. Tag –2 bis + 3) in mindestens 2 von<br />
3 Zyklen auf, zusätzlich aber auch zu anderen Zeiten des Zyklus<br />
Tab. 2: <strong>Therapie</strong>möglichkeiten der menstruellen Migräne mit Hormonen<br />
ZIEL: Minimierung von Hormonfluktuationen<br />
■ Östrogenergänzungstherapie perimenstruell (Gel, Pflaster)<br />
■ Modifizierung der Kontrazeptivatherapie (kontinuierliche Pilleneinnahme)<br />
■ Unterdrückung des Ovarialzyklus (Antiöstrogene, LHRH-Agonisten)<br />
ne haben hormonelle Antikonzeptiva folgende<br />
Wirkungen: keine Veränderung, Verbesserung<br />
der Migräne in der pillenfreien Phase, Verschlechterung,<br />
Beginn der Migräne de novo<br />
oder Aura de novo. Grundsätzlich bestehen<br />
keine Bedenken gegen die Verordnung einer<br />
hormonellen Antikonzeption bei Frauen mit<br />
Migräne. Das Schlaganfallrisiko ist jedoch bei<br />
Patientinnen, die übergewichtig sind und rauchen,<br />
erhöht. Patientinnen, die an einer Migräne<br />
mit Aura mit mehr als zwei kardiovaskulären<br />
Risikofaktoren leiden, sollten auf andere Kontrazeptiva<br />
ausweichen. Patientinnnen, die vor<br />
allen Dingen während der Pillenpause an Migräne<br />
leiden, können ein sogenanntes „Tricycling“<br />
praktizieren, d.h. drei Monate lang die<br />
Pille durchnehmen, dann eine Pillenpause herbeiführen.<br />
Natürlich besteht auch die Möglichkeit<br />
einer Depotinjektion. ■<br />
INFO-Telegramm<br />
Astrid Gendolla, Essen<br />
Schnelle <strong>Schmerz</strong>linderung nach<br />
Radiotherapie<br />
Eine Radiotherapie mit einer mittleren Gesamtdosis<br />
von 46 Gy bei Krebsschmerz lindert bei jedem<br />
zweiten Patienten den Krebsschmerz vollständig<br />
(bei 45 von 91 Patienten, 49%) und bei<br />
91% immerhin partiell um mehr als 50%, ergab<br />
eine japanische Studie von Nomiya T et al. Bereits<br />
innerhalb von 13 Tagen nahmen die<br />
<strong>Schmerz</strong>en um 50% ab und die vollständige<br />
<strong>Schmerz</strong>linderung trat durchschnittlich nach 24<br />
Tagen ein, sodass auch am Ende der Radiotherapie<br />
bei 44% die Analgetikaeinnahme reduziert<br />
werden konnte (Clin J Pain <strong>2010</strong>;26(1):38–42).<br />
Was leistet die Akupunktur bei<br />
Rückenschmerz?<br />
Nach wie vor fehlen große Studien, die die Effektivität<br />
der Akupunktur bei Rückenschmerz<br />
absichern könnten. Zu diesem Schluss kommen<br />
die amerikanischen Autoren K. Lewis und S.<br />
Abdi aus Miami aufgrund eines neuen Reviews<br />
über den Einsatz der Akupunktur bei Rückenschmerz<br />
und fordern weitere klinische Studien<br />
(Clin J Pain <strong>2010</strong>;26(1):60–9).<br />
Migräne und Depressionen genetisch<br />
verknüpft<br />
Migräne mit Aura ist bidirektional genetisch<br />
mit Depressionen verknüpft. Dies zeigt eine<br />
neue genetische Studie von A. H. Stam et al.<br />
an 151 Patienten mit beiden Erkrankungen,<br />
die nur durch gemeinsame genetische Faktoren<br />
erklärt werden kann (Neurology, <strong>2010</strong>,<br />
Epub ahead of print).<br />
18 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
20 Jahre Einsatz für Patienten<br />
mit chronischen <strong>Schmerz</strong>en<br />
Die Selbsthilfeorganisation <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga e.V. feiert in diesem Jahr ihr 20jähriges<br />
Jubiläum. Seit 1990 setzt sie sich dafür ein, dass Patientinnen und Patienten<br />
mit chronischen <strong>Schmerz</strong>en eine adäquate <strong>Therapie</strong> und Versorgung erhalten. Mehr<br />
als 5000 Mitglieder und 102 regionale Selbsthilfegruppen engagieren sich heute in<br />
der Patientenorganisation. „Dass chronischer <strong>Schmerz</strong> heute als eine behandelbare<br />
Krankheit und nicht als unbeeinflussbares Schicksal angesehen wird, ist unser größter<br />
Erfolg“, erklärt Dr. med. Marianne Koch, Präsidentin der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga.<br />
S ie<br />
waren Exoten in der medizinischen<br />
Landschaft – jene kleine Gruppe von<br />
<strong>Schmerz</strong>therapeuten um den Frankfurter Anästhesisten<br />
Dr. med. Thomas Flöter, die zusammen<br />
mit Patienten und deren Angehörigen<br />
im Januar 1990 in Frankfurt die <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Schmerz</strong>liga gründeten. Der chronische<br />
<strong>Schmerz</strong> war damals als eigenständiges<br />
Krankheitsbild bei Ärzten und in der <strong>Gesellschaft</strong><br />
unbekannt. Menschen, die über ständige<br />
<strong>Schmerz</strong>en klagten, galten als Simulanten<br />
und Drückeberger.<br />
„Damals musste ich mich gegenüber den<br />
Behörden rechtfertigen und meine Entscheidung<br />
durch die Vorlage wissenschaftlicher<br />
Studien begründen, weil ich Krebspatienten<br />
mit starken <strong>Schmerz</strong>mitteln behandelt habe“,<br />
Neuer Internet-Auftritt<br />
Freundlich und einladend präsentiert sich der neue<br />
Internet-Auftritt der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga (http://<br />
regionale-schmerzzentren-dgs.de/dsl/default.htm).<br />
Die Patientenorganisation hat ihr 20-jähriges Jubiläum<br />
als Anlass genommen, ihre Website gründlich<br />
zu überarbeiten und neu zu ordnen. Patientinnen<br />
und Patienten können sich mit ihrer Hilfe über die<br />
Arbeit, die Angebote und Veranstaltungen der Patientenorganisation<br />
informieren, finden Listen mit<br />
Selbsthilfegruppen, Hinweise auf die <strong>Schmerz</strong>zentren<br />
der DGS und das offene Forum zum Austausch. Ausgeweitet<br />
wurden die Informationen über verschiedene<br />
<strong>Schmerz</strong>formen und es gibt Tipps und Hilfen<br />
zum Selbstmanagement. Im nicht öffentlichen Bereich<br />
der Website, der ausschließlich den Mitgliedern<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga zugänglich ist, stehen<br />
weitere ausführliche Informationen zur Verfügung<br />
sowie alle Ausgaben des Patientenmagazins NOVA.<br />
Neu ist die Rubrik „Sie sind gefragt“. Die <strong>Schmerz</strong>liga<br />
wird dieses neue Modul für Umfragen bei<br />
<strong>Schmerz</strong>patienten nutzen.<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
erinnert sich Dr. Marianne Koch, seit 1997 Präsidentin<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga, an ihre<br />
Zeit als niedergelassene Internistin in München.<br />
„Es herrschte eine fast hysterische Angst<br />
vor Opioiden samt schikanöser Überwachung<br />
durch die Bundes-Opiumstelle. Dadurch war<br />
die Versorgung der Patienten schwierig und<br />
oft nicht ausreichend.“<br />
Keine Angst mehr vor Opioiden<br />
Dies hat sich inzwischen geändert. „Wir wissen,<br />
dass das Nervensystem den <strong>Schmerz</strong><br />
lernen kann“, erklärt Dr. Gerhard H. H. Müller-<br />
Schwefe, Vizepräsident der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Schmerz</strong>liga und Präsident der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />
für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. „Wir verstehen<br />
auch, wie komplex das Zusammenspiel von<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />
aktivierenden und hemmenden Mechanismen<br />
in der <strong>Schmerz</strong>matrix ist, deren Ungleichgewicht<br />
letztlich dazu führt, dass <strong>Schmerz</strong>en<br />
chronisch werden können.“ Die Umsetzung<br />
dieser Erkenntnisse aus der Forschung in<br />
praktische Medizin hat zu neuen rationalen<br />
und effektiven <strong>Therapie</strong>konzepten geführt. Müller-Schwefe:<br />
„Darum kann man ganz klar sagen,<br />
dass kein Mensch heute mehr unter chronischen<br />
<strong>Schmerz</strong>en leiden muss, die unerträglich<br />
sind. Lindern können wir chronische<br />
<strong>Schmerz</strong>en immer, oft sogar so erträglich machen,<br />
dass Menschen sehr gut damit wieder<br />
leben und arbeiten können.“<br />
Intensive Öffentlichkeitsarbeit<br />
Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga setzt sich dafür ein,<br />
dass dieses Wissen der modernen <strong>Schmerz</strong>medizin<br />
nicht auf einen kleinen Kreis von Experten<br />
beschränkt bleibt, sondern bei Ärzten,<br />
Politikern und in der Öffentlichkeit „ankommt“.<br />
So ist die Patientenorganisation beispielsweise<br />
seit ihrer Gründung Mitveranstalterin des <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Schmerz</strong>tages, der traditionell seit 1991<br />
in Frankfurt am Main stattfindet – inzwischen<br />
mit mehr als 2000 Teilnehmern. Mehr als 5000<br />
Patientinnen und Patienten sind heute Mitglied<br />
bei der <strong>Schmerz</strong>liga, unter deren Dach zurzeit<br />
102 regionale Selbsthilfegruppen zusammenarbeiten.<br />
Die Mitarbeiter in der Geschäftsstelle<br />
in Oberursel beantworten pro Jahr über 20.000<br />
Anfragen. Zusammen mit regionalen Selbsthilfegruppen<br />
organisiert das Team rund 25 Patientenforen,<br />
in denen die neuen Einsichten der<br />
Experten vermittelt werden.<br />
19
<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />
Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga vermittelt bei<br />
ihren umfangreichen Aktivitäten auch, wie<br />
wichtig für Patientinnen und Patienten die Mitarbeit<br />
in Selbsthilfegruppen ist: „Die Patienten<br />
müssen zum Spezialisten in eigener Sache<br />
und zum Manager ihrer Erkrankung werden“,<br />
betont Dr. Marianne Koch. „Denn dies macht<br />
sie zu kompetenten Partnern, die mit ihrem<br />
Arzt gut zusammenarbeiten können.“<br />
<strong>Schmerz</strong> messen ein Dauerbrenner<br />
Zu ihren erfolgreichsten Kampagnen gehört<br />
die Aktion „<strong>Schmerz</strong> messen“, die im Jahr 2002<br />
gestartet wurde und inzwischen – in verschiedenen<br />
Variationen – zu einem „Dauerbrenner“<br />
geworden ist. Dieser Aktion ist es mit zu verdanken,<br />
dass <strong>Schmerz</strong>en heute beispielsweise<br />
in einer steigenden Zahl von Kliniken wie andere<br />
Vitalzeichen – Blutdruck, Puls, Körper-<br />
<strong>Schmerz</strong>wünsche<br />
Die Aktion „<strong>Schmerz</strong>enswünsche“ war ein<br />
großer Erfolg. „Sie hat dem abstrakten Begriff<br />
„<strong>Schmerz</strong>“ Gesichter, Namen, Einzelschicksale<br />
zugeordnet und gezeigt, wie sehr chronischer<br />
<strong>Schmerz</strong> sich in das Leben von Betroffenen eingräbt“,<br />
sagt Dr. Marianne Koch, Präsidentin der<br />
<strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga. Zwischen März und September<br />
2009 trafen im Rahmen dieser Aktion<br />
3274 Wünsche bei der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga<br />
ein, 2670 davon stammten von <strong>Schmerz</strong>patienten.<br />
Das Limburger Pharmaunternehmen Mundipharma<br />
spendete pro eingesandtem Wunsch<br />
einen Euro an die Patientenorganisation. Die<br />
Auswertung der Wünsche belegt, dass <strong>Schmerz</strong>patienten<br />
sich vor allem mehr Lebensqualität<br />
wünschen sowie eine bessere schmerztherapeutische<br />
Versorgung – und natürlich weniger<br />
<strong>Schmerz</strong>en.<br />
„Ich möchte gerne, dass meine Mutter wieder<br />
schmerzfrei ist, damit sie wieder mehr an unserem<br />
Leben teilhaben kann und auch mehr von<br />
ihrem Enkelkind hat.“ (Angehörige, 38 Jahre)<br />
„<strong>Schmerz</strong>krankheit soll ernster genommen<br />
werden und ins öffentliche Bewusstsein<br />
gelangen.“ (Ärztin, 29 Jahre)<br />
„Mein <strong>Schmerz</strong>enswunsch ist: mehr Zeit für<br />
Gespräche mit Patienten und mehr Zeit für den<br />
Austausch im Behandlerteam.“<br />
(Pflegerin, 53 Jahre)<br />
„Ich wünsche mir, dass alle Ärzte mehr über<br />
chronische <strong>Schmerz</strong>en und ihre Behandlung<br />
lernen.“ (Patientin, 42 Jahre)<br />
© Initiative <strong>Schmerz</strong> messen Bildarchiv<br />
temperatur – erfasst und dokumentiert werden.<br />
Die Patientenorganisation steht auch im<br />
Dialog mit Politikern, Krankenkassen und<br />
Ärzteorganisationen, um sich für jene Rahmenbedingungen<br />
stark zu machen, die eine<br />
adäquate Versorgung von Patienten mit chronischen<br />
<strong>Schmerz</strong>en überhaupt ermöglichen:<br />
Denn noch immer sind <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />
Mangelware, stehen rund 600 spezialisierte<br />
Einrichtungen zur Verfügung, obwohl 2000<br />
erforderlich wären. Dies hat mit den gesundheitspolitischen<br />
Rahmenbedingungen zu tun,<br />
aber auch mit den Defiziten der Medizinerausbildung:<br />
„Weil die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> nach<br />
wie vor kein Pflichtprüfungsfach in der Approbationsordnung<br />
ist, ist die Ausbildung der<br />
Ärzte im Bereich der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> nicht<br />
ausreichend. Dies hat fatale Folgen für die<br />
Versorgung von <strong>Schmerz</strong>patienten“, kritisiert<br />
Marianne Koch. Es dauert noch immer in den<br />
meisten Fällen viele Jahre, bis Patienten zu<br />
einem Spezialisten kommen – dann, wenn<br />
Chronifizierungsprozesse bereits fortgeschritten<br />
sind.<br />
Gemeinsam gegen den <strong>Schmerz</strong><br />
So gehört die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga beispielsweise<br />
seit 2003 zur „Koalition gegen den<br />
<strong>Schmerz</strong>“, einem Bündnis, zu dem sich die<br />
großen <strong>Schmerz</strong>organisationen zusammengeschlossen<br />
haben. Allein oder in Kooperation<br />
mit anderen Organisationen machte die Pati-<br />
Marianne Koch und<br />
Gerhard Müller-<br />
Schwefe präsentieren<br />
die Ergebnisse der<br />
Aktion <strong>Schmerz</strong>enswunsch. <br />
entenorganisation immer wieder durch große<br />
Kampagnen und Unterschriftenaktionen auf<br />
die Versorgungsprobleme aufmerksam. Vor<br />
allem setzt sich die <strong>Schmerz</strong>liga dafür ein,<br />
dass ein Facharzt für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> geschaffen<br />
wird.<br />
Nach jahrelangem Tauziehen wurde dem<br />
Recht auf <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im Jahr 2005 von<br />
den politisch Verantwortlichen zwar erstmals<br />
Rechnung getragen: Seitdem haben alle gesetzlich<br />
Versicherten Anspruch auf eine qualifizierte<br />
<strong>Schmerz</strong>behandlung. Doch dies ändert<br />
nichts daran, dass <strong>Schmerz</strong>therapeuten fehlen<br />
und die wirtschaftliche Existenz bestehender<br />
Einrichtungen aufgrund gesundheitspolitischer<br />
Rahmenbedingungen gefährdet ist.<br />
<strong>Schmerz</strong>enswünsche<br />
Darum startete die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga im<br />
vergangenen Jahr die Aktion „<strong>Schmerz</strong>enswünsche“<br />
(siehe Kasten): „Unser Ziel war es,<br />
die Wünsche der <strong>Schmerz</strong>kranken in Worte zu<br />
fassen, ihren Leidensdruck zu dokumentieren<br />
und auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen«,<br />
erklärt Dr. Marianne Koch. Denn die<br />
zentrale Forderung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga<br />
bleibt: „Es gilt, den Millionen von <strong>Schmerz</strong>patienten<br />
in Deutschland zu ihrem Recht auf<br />
eine angemessene Behandlung zu verhelfen<br />
und die Chronifizierung von <strong>Schmerz</strong>en durch<br />
intelligente Versorgungskonzepte und eine<br />
frühzeitige Behandlung möglichst zu verhindern.“<br />
■<br />
20 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
<strong>Schmerz</strong>patienten zwischen<br />
Wunsch und trauriger Realität<br />
Mehr Lebensqualität durch eine bessere schmerztherapeutische Versorgung mit weniger<br />
<strong>Schmerz</strong>en, das ist der größte Wunsch von <strong>Schmerz</strong>kranken hierzulande. Nach<br />
wie vor wird europaweit an wirksamen und verträglichen <strong>Schmerz</strong>mitteln gespart,<br />
sodass die Betroffenen vielfach den Lebensmut verlieren und ihr Alltag zur Hölle<br />
wird. Einen erschütternden Einblick in die Situation <strong>Schmerz</strong>kranker schilderten die<br />
Experten* und forderten nachdrücklich, dass stark wirksame und gut verträgliche<br />
Analgetika, insbesondere die modernen Retardopioide der WHO-Stufe III, frühzeitiger<br />
zum Einsatz kommen müssten.<br />
PainStory deckt europaweit Defizite auf<br />
Eine europaweite Studie (Pain Study Tracking<br />
Ongoing Responses for a Year) in 13 europäischen<br />
Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland,<br />
Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Niederlande,<br />
Norwegen, Schweden, Schweiz,<br />
Spanien, Großbritannien), bei der die Lebensqualität<br />
von 294 <strong>Schmerz</strong>kranken über ein Jahr<br />
verfolgt wurde, bestätigt die verbesserungswürdige<br />
Situation von <strong>Schmerz</strong>kranken. Nach<br />
einem Jahr hatten trotz Behandlung 95% der<br />
Befragten mittelstarke bis starke <strong>Schmerz</strong>en,<br />
erklärte Dipl.-Psych. Christine Liebers vom<br />
Marktforschungsinstitut Ipsos, Hamburg. 19%<br />
beklagten sogar, dass ihre <strong>Schmerz</strong>en in dem<br />
Jahr zugenommen hätten. Trotz der massiven<br />
<strong>Schmerz</strong>en erhielten aber nur 12% starke Opioide.<br />
64% sind im Glauben, dass sie die bestmögliche<br />
<strong>Therapie</strong> erhielten. Jeder Fünfte<br />
nahm allerdings wegen Nebenwirkungen sein<br />
Analgetikum auch nicht so ein wie verordnet.<br />
Zudem gingen die Patienten nicht regelmäßig<br />
zum Arzt, zu Studienbeginn konsultierten noch<br />
83%, nach einem Jahr nur noch 70% ihren<br />
Arzt. Die Folge war, dass starke <strong>Schmerz</strong>en<br />
die Lebensqualität der Patienten weiterhin<br />
einschränkten, Alltagsarbeiten konnten kaum<br />
mehr verrichtet werden und der <strong>Schmerz</strong><br />
kontrollierte das Leben. Zwei Drittel leiden an<br />
Depressionen und Angstzuständen, schilderte<br />
Liebers. Tagebücher und Illustrationen zeigen,<br />
wie traurig das Leben dieser Patienten mit starken<br />
<strong>Schmerz</strong>en ist (Abb. 1), sie erleben es als<br />
* Pressegespräch „<strong>Schmerz</strong>patienten zwischen<br />
Wunsch und Wirklichkeit – Initiative <strong>Schmerz</strong><br />
messen zeigt Diskrepanzen“ am 10.11.2009 in<br />
Berlin. Veranstalter: „Initiative <strong>Schmerz</strong> messen“<br />
mit freundlicher Unterstützung der Mundipharma<br />
GmbH<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
„Gefängnis und Hölle“ und 28% würden phasenweise<br />
am liebsten sterben.<br />
Effektive Analgesie schafft<br />
Lebensqualität<br />
Lebensqualität muss auch bei starken <strong>Schmerz</strong>en<br />
kein Wunschdenken sein, sondern kann<br />
Realität werden, illustrierte Dr. med. Gerhard<br />
H.-H. Müller-Schwefe, Göppingen, anhand einer<br />
Patientin mit stärksten <strong>Schmerz</strong>en nach<br />
einer Radiustrümmerfraktur, die zu einem komplexen<br />
regionalen <strong>Schmerz</strong>syndrom geführt<br />
hatten. Seit 2002 litt die 53-Jährige, die mit<br />
einem schwachen Opioid der Stufe 2 versorgt<br />
wurde, unter stärksten <strong>Schmerz</strong>en. Das zu<br />
schwache Opioid linderte die <strong>Schmerz</strong>en nur<br />
unzureichend, löste aber aufgrund der hohen<br />
Dosen viele Nebenwirkungen aus: Die Patientin<br />
war benommen, apathisch und unkonzentriert<br />
und wandte sich schließlich an das<br />
<strong>Schmerz</strong>- und Palliativzentrum Göppingen.<br />
Durch die Umstellung auf ein verträgliches<br />
lang wirksames Opioid der Stufe III, retardiertes<br />
Oxycodon, das durch die Kombination<br />
mit Naloxon keine Obstipation auslöst, gewann<br />
diese Frau erstmals wieder Mut und Lebensqualität.<br />
Mit dieser <strong>Therapie</strong> kann sie ihrem<br />
Hobby Schneidern wieder nachgehen, meistert<br />
ihren Alltag und hat ihr individuelles <strong>Therapie</strong>ziel<br />
erreicht. „Die richtige <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
ermöglicht eine annehmbare <strong>Schmerz</strong>linderung.<br />
Ich bin das beste Beispiel dafür. Kein<br />
Mensch mit chronischen <strong>Schmerz</strong>en muss sich<br />
mit seinem Schicksal abfinden“, appellierte die<br />
Patientin.<br />
<strong>Schmerz</strong>therapeutische Versorgung im<br />
Abseits<br />
Die Versorgung der <strong>Schmerz</strong>kranken ist auch<br />
aus der Sicht der Fachverbände und <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />
nach wie vor unzulänglich, kriti-<br />
© Mundipharma International Limited 2009<br />
Kongresse<br />
Abb. 1: Wenn <strong>Schmerz</strong>en ein Gesicht hätten:<br />
Viele <strong>Schmerz</strong>patienten empfinden eine große<br />
Traurigkeit, die sie in Form eines weinenden<br />
Gesichts darstellen.<br />
sierte Dr. med. Gerhard H.-H. Müller-Schwefe.<br />
Im Bereich der medikamentösen Behandlung<br />
werden die Substanzen der Stufe 1 (NSAR und<br />
Coxibe) trotz ihrer hohen Organtoxizität und<br />
die schwachen, nicht retardierten Opioide der<br />
Stufe 2 zu lange und unkritisch eingesetzt. Retardierte<br />
Opioide der Stufe 3 besitzen dagegen<br />
eine gleichbleibende Wirkung, fördern nicht die<br />
Abhängigkeit und sind auch in der Langzeittherapie<br />
sehr verträglich. Insbesondere die<br />
Fixkombination aus retardiertem Oxycodon<br />
und retardiertem Naloxon wird sehr gut vertragen,<br />
da sie die Darmfunktion nicht beeinträchtigt.<br />
Dies erhöht die Compliance und vereinfacht<br />
die <strong>Therapie</strong>, da keine Laxanzien zusätzlich<br />
erforderlich werden.<br />
Um die Versorgung der <strong>Schmerz</strong>kranken<br />
zu sichern, muss die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> endlich<br />
fester Bestandteil der Ausbildungsordnung und<br />
damit ein verpflichtendes Lehr- und Prüfungsfach<br />
für Medizinstudenten werden. Die chronische<br />
<strong>Schmerz</strong>krankheit sollte endlich in die<br />
Liste der 80 Krankheiten (Morbi-RSA), für die<br />
Krankenkassen eine erhöhte Zuweisung aus<br />
dem Gesundheitsfonds erhalten. Chronische<br />
<strong>Schmerz</strong>en müssen multimodal behandelt werden,<br />
zur medikamentösen <strong>Therapie</strong> gehören<br />
meist psychotherapeutische und physiotherapeutische<br />
Maßnahmen. Obwohl chronische<br />
<strong>Schmerz</strong>en zu den teuersten Erkrankungen<br />
des Gesundheitssystems gehören, sind sie in<br />
dieser Liste bislang nicht aufgeführt.<br />
StK ■<br />
21
Medizin und Recht<br />
Gerichte schützen die ärztliche <strong>Therapie</strong>freiheit<br />
Fibromyalgiesyndrom-Patienten werden von den privaten Krankenversicherungen<br />
oftmals als „teuer“ wahrgenommen. Über den Schlüsselbegriff der medizinischen<br />
Notwendigkeit versuchen die Assekuranzunternehmen, die Entscheidungskompetenz<br />
der <strong>Schmerz</strong>therapeuten zu beschneiden und durch eigene, meist preisgünstigere<br />
Behandlungsvorstellungen zu ersetzen. Die Gerichte halten die ärztliche<br />
<strong>Therapie</strong>freiheit und das ungestörte Arzt-Patienten-Verhältnis allen Unkenrufen zum<br />
Trotz für schützenswerte Güter und lassen dem Arzt durchaus einen Ermessensspielraum,<br />
erläutert Rechtsanwalt Emil Brodski, Fachanwalt für Medizinrecht und Sozius<br />
der Münchener Kanzlei Brodski und Lehner.<br />
D iese<br />
positive Erfahrung machte eine an<br />
Fibromyalgiesyndrom (FMS) erkrankte<br />
Patientin, die bis zum Berliner Kammergericht<br />
(KG) gegen ihre private Krankenversicherung<br />
vorgegangen ist: Auf Verordnung ihres Arztes<br />
hatte die Patientin im Jahr 2002 physiotherapeutische<br />
und physikalische Anwendungen in<br />
Anspruch genommen, außerdem wurde sie mit<br />
den Medikamenten Vioxx ® , Antra ® Mups und<br />
Valoron ® N Retard behandelt. Die Krankenversicherung<br />
verweigerte die Erstattung der Kosten<br />
und begründete dies damit, dass die Behandlung<br />
medizinisch nicht notwendig gewesen<br />
sei und sich die Patientin vielmehr einer<br />
psychotherapeutischen Behandlung hätte unterziehen<br />
müssen.<br />
Medizinisch notwendig?<br />
Dreh- und Angelpunkt der Frage, wer hier eigentlich<br />
Recht hat, ist der von den privaten<br />
Versicherungen oft bemühte Begriff der medizinischen<br />
Notwendigkeit. Denn nur Aufwendungen<br />
für medizinisch notwendige Heilbehandlungsmaßnahmen<br />
sind von den Privaten<br />
nach ihren Tarifbedingungen zu ersetzen. Indessen<br />
definiert die Rechtsprechung den Begriff<br />
der medizinischen Notwendigkeit weit:<br />
Entscheidend ist, ob es nach den objektiven<br />
medizinischen Befunden und Erkenntnissen<br />
zum Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung<br />
vertretbar war, die Behandlung als notwendig<br />
anzusehen.<br />
Obwohl die patienten- und ärztefreundliche<br />
Gleichsetzung der medizinischen Notwendigkeit<br />
mit der medizinischen Vertretbarkeit schon<br />
seit Jahren gefestigte Rechtsprechung deutscher<br />
Gerichte ist, wird sie von vielen privaten<br />
Krankenversicherungen bewusst ignoriert, um<br />
mit dem Argument der angeblich fehlenden<br />
medizinischen Notwendigkeit lästige Forderungen<br />
der Versicherungsnehmer abzulehnen.<br />
Nach der herrschenden Rechtsprechung kann<br />
die medizinische Notwendigkeit sogar dann zu<br />
bejahen sein, wenn der Erfolg der Behandlung<br />
nicht sicher vorhersehbar ist, kostengünstigere<br />
Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen<br />
oder lediglich die Verhinderung einer Verschlimmerung<br />
der Krankheit bewirkt werden kann.<br />
S3-Leitlinien juristisch relevant<br />
Unter Heranziehung dieser gefestigten Definition<br />
der medizinischen Notwendigkeit und nach<br />
Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />
hat das KG in seinem Urteil vom 18.01.2008<br />
(6 U 72/05) die Krankenversicherung zur Zahlung<br />
an die FMS-Patientin verurteilt. Besonders<br />
informativ ist die Entscheidung angesichts der<br />
neuen S3-Leitlinie zum FMS. So hat das KG in<br />
seiner Entscheidung betont, dass die ärztlich<br />
empfohlenen Maßnahmen allein schon deshalb<br />
als medizinisch notwendig angesehen<br />
werden könnten, weil sie – bis auf den Einsatz<br />
von Valoron ® – zu den seinerzeit empfohlenen<br />
Behandlungsmaßnahmen der Arbeitsgemeinschaft<br />
der verschiedenen wissenschaftlichen<br />
medizinischen Fachgesellschaften zählten.<br />
Auch wenn sie dabei gleichberechtigt neben<br />
den von der privaten Krankenversicherung<br />
favorisierten psychotherapeutischen Behandlungsmethoden<br />
stand, so spreche dies gerade<br />
nicht gegen die medikamentöse Behandlung,<br />
sondern für sie, werde doch durch das Nebeneinander<br />
deutlich, dass beide Methoden vertretbar<br />
und damit als medizinisch indiziert angesehen<br />
werden können. Auf welche von mehreren<br />
vertretbaren Maßnahmen sich Arzt und Patient<br />
letztlich einigen, könne und dürfe von der Krankenversicherung<br />
nicht bestimmt werden.<br />
Alternativmethoden auch<br />
erstattungsfähig<br />
Im Umkehrschluss bedeutet dies erfreulicherweise<br />
nicht, dass nur leitlinienkonforme <strong>Therapie</strong>ansätze<br />
medizinisch vertretbar sind. Eine<br />
solche Gleichung würde zwangsläufig zu<br />
einem Stillstand der medizinischen Entwicklung<br />
führen, der gerade im Zusammenhang mit<br />
der verhältnismäßig „jungen“ Erforschung des<br />
FMS unvertretbar wäre.<br />
Und auch auf diese<br />
Frage, also wie mit<br />
neuen Behandlungsmethoden<br />
umzugehen<br />
ist, deren Wirksamkeit<br />
wissenschaftlich nicht<br />
bewiesen sind, die<br />
nicht in den Leitlinien<br />
berücksichtigt sind und<br />
denen die Krankenver-<br />
Emil Brodski,<br />
München<br />
sicherungen gern den Stempel „Alternativmedizin“<br />
aufdrücken, hat das KG in seinem Urteil<br />
(im Hinblick auf das nicht in den damaligen<br />
Leitlinien erwähnte Valoron ® ) eine Antwort gegeben:<br />
Da bei der FMS, die – gemessen an der<br />
Historie der Medizin – erst seit Kurzem bekannt<br />
sei, eine wissenschaftliche Forschung erst einsetze<br />
und die Entwicklung neuer Medikamente<br />
bislang unzureichend sei, müssten im Krankenversicherungsrecht<br />
auch „nur“ in der klinischen<br />
Praxis eingeführte Behandlungsmaßnahmen<br />
als medizinisch notwendige Heilbehandlung angesehen<br />
werden, selbst wenn sich der behandelnde<br />
Arzt für diese <strong>Therapie</strong>n nicht auf wissenschaftliche<br />
Evidenzen stützen könne.<br />
Fazit<br />
Die Gerichte nehmen die ärztliche <strong>Therapie</strong>freiheit<br />
ernst. Patienten und Ärzte sollten<br />
sich nicht ohne Weiteres von Versicherungen<br />
mit dem Einwand der angeblich fehlenden medizinischen<br />
Notwendigkeit abwimmeln oder<br />
unter Druck setzen lassen. Typischerweise<br />
werden im Rahmen der zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen<br />
zur Frage der medizinischen<br />
Notwendigkeit Sachverständigengutachten<br />
eingeholt. Da sich, wie dargestellt, der<br />
Begriff der medizinischen Notwendigkeit an<br />
der Vertretbarkeit einer Behandlung orientiert<br />
und damit weit zu verstehen ist, müsste ein<br />
Gutachter die Unvertretbarkeit einer Maßnahme<br />
attestieren, damit der Patient den Prozess<br />
gegen seine Krankenversicherung verliert.<br />
Wird jedoch eine schmerztherapeutische Maßnahme<br />
auf der Grundlage einer soliden Anamnese<br />
von vernünftigen Erwägungen getragen,<br />
wird ihre medizinische Vertretbarkeit meist<br />
bestätigt werden, auch wenn der Gutachter<br />
selbst möglicherweise einen anderen Weg gewählt<br />
hätte. Es lohnt sich auf jeden Fall, um die<br />
ärztliche <strong>Therapie</strong>freiheit zu kämpfen. ■<br />
Emil Brodski, München<br />
Mehr unter www.brodski-lehner.de<br />
22 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
© Wiesbaden Marketing GmbH<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
Das Innovationsforum<br />
der DGS<br />
Am 13. und 14. November 2009 fand in Wiesbaden das turnusmäßige Innovationsforum<br />
der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> statt. Welche neuen Daten<br />
und Fakten für die praktische <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> relevant sind, berichten Dr. med.<br />
Thomas Cegla, Wuppertal, und Dr. med. Oliver Emrich, Ludwigshafen, Vizepräsidenten<br />
der DGS.<br />
Neue Wirkstärken von<br />
Oxycodon/Naloxon<br />
Prof. Esther Pogatzki-Zahn, Münster, präsentierte<br />
zunächst klinische Studien zu neuen<br />
Wirkstärken der Fixkombination Oxycodon/<br />
Naloxon. Dieses Arzneimittel ist jetzt bis zu<br />
Tagesdosierungen von zweimal 40 mg Wirksubstanz<br />
Oxycodon zugelassen. Es vermindert<br />
auch in diesen und noch höheren Dosisbereichen<br />
signifikant die bedeutendste unerwünschte<br />
Opioidwirkung, die Obstipation, ohne<br />
durch den hohen Anteil von Naloxon an Wirksamkeit<br />
einzubüßen. Dies funktioniert auch in<br />
der täglichen Praxis außerhalb von Studien,<br />
bestätigte DGS Leiter Kai Herrmanns, Berlin.<br />
S3-Leitlinie LONTS umstritten<br />
Diskutiert wurde von Herrmanns die neue S3-<br />
Leitlinie LONTS (Langzeitanwendung von Opioiden<br />
bei nicht tumorbedingten <strong>Schmerz</strong>en).<br />
Diese Leitlinie bringe keine neuen Fakten und<br />
bestätige den hochverantwortlichen Umgang<br />
mit der <strong>Therapie</strong>option starker Opioide in der<br />
Langzeit, den die Qualitätsnormen der <strong>Deutsche</strong>n<br />
<strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> sowie<br />
nationale und internationale Konsensusentscheidungen<br />
schon seit Jahren kennen und<br />
durchführen. Nicht nachvollziehen kann der<br />
Berliner Algesiologe aber die LONTS-Empfeh-<br />
Kurhaus Wiesbaden<br />
lung, nach drei Monaten einen Auslassversuch<br />
von Opioiden zu unternehmen. Dies gehe völlig<br />
an praktischen Erfordernissen vorbei.<br />
Minutiöse <strong>Schmerz</strong>diagnostik ein Muss<br />
Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen,<br />
forderte ein noch konsequenteres Assessment<br />
von chronischen <strong>Schmerz</strong>en, der „größten<br />
Seuche des 21. Jahrhunderts“: Jeder fünfte<br />
Bürger von Industrienationen hat ein Problem<br />
mit lang anhaltenden <strong>Schmerz</strong>en. Neben der<br />
Differenzierung nach <strong>Schmerz</strong>arten ist eine<br />
mechanismenorientierte <strong>Therapie</strong> gefragt, die<br />
die <strong>Schmerz</strong>kinetik sowie den zirkadianen Verlauf<br />
von <strong>Schmerz</strong>en unter besonderer Berücksichtigung<br />
von <strong>Schmerz</strong>spitzen beachtet.<br />
Dr. med. Thomas Tzschentke, Aachen, stellte<br />
mit Tapentadol eine neue Wirksubstanz vor,<br />
die ihre Zulassung nächstes Jahr in Deutschland<br />
erwartet. Tapentadol, in USA bereits auf<br />
dem Markt, vereint die μ-Rezeptor spezifischen<br />
prä- und postsynaptischen Wirkungen eines<br />
Opioids mit einer signifikanten Noradrenalin-<br />
Wiederaufnahmehemmung an Alpha-2-Rezeptoren<br />
des absteigenden <strong>Schmerz</strong>hemmsystems<br />
(MOR-NRI – μ-Opioidrezeptoragonist<br />
und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer).<br />
Nach den klinischen Daten von Priv.-Doz. Dr.<br />
Michael Überall, Nürnberg, war dieses Wirk-<br />
© Wiesbaden Marketing GmbH<br />
Neroberg<br />
Oliver Emmrich,<br />
Ludwigshafen<br />
Kongresse<br />
Thomas Cegla,<br />
Wuppertal<br />
prinzip gegenüber einem herkömmlichen Opioid<br />
in der Placebokontrolle wie auch im direkten<br />
Vergleich signifikant überlegen.<br />
Im Fokus Durchbruchschmerzen<br />
Einen besonderen Schwerpunkt bildeten<br />
Strategien zur <strong>Therapie</strong> von Durchbruchsschmerzen.<br />
Prof. Frank Elsner, Aachen, stellte<br />
die derzeit übliche Einteilung von Durchbruchsschmerzen<br />
in den differenzialtherapeutischen<br />
Zusammenhang. Vorhersagbare <strong>Schmerz</strong>spitzen<br />
(z.B. bei Lagerungsmanövern o.Ä.) sind<br />
prophylaktisch durch rechtzeitige Gaben von<br />
z.B. nicht retrardiertem Morphin, Oxycodon<br />
und Hydromorphon relativ gut beherrschbar.<br />
Spontane unvorhersehbare <strong>Schmerz</strong>durchbrüche<br />
auf dem Boden einer Basisschmerztherapie<br />
erfordern aber schnellere Optionen. Einer<br />
von drei Tumorschmerzpatienten hat solche<br />
Ereignisse aufgrund von z.B. Knochenmetastasen,<br />
Tangierung neuronaler Strukturen, Hyperkalzämie<br />
oder Leberkapselschmerz. Durchbruchsschmerzen<br />
erreichen nach drei Minuten<br />
ihr Maximum und die im Mittel vier Episoden<br />
pro Tag dauern ca. 30 Minuten. Hier kommen<br />
die Optionen für vorhersagbare <strong>Schmerz</strong>spitzen<br />
alle zu spät. Transmembranös gängige<br />
Zubereitungen von Fentanyl (transmukosal,<br />
buccal, nasal) sind hier eindeutig die derzeit zu<br />
23
Kongresse<br />
empfehlenden Substanzen. Doch Medikation<br />
ist nicht alles.<br />
Dass die <strong>Schmerz</strong>kontrolle mit z.B. nasalem<br />
Fentanyl in der Praxis sehr gut funktioniert,<br />
zeigte Dr. med. Thomas Nolte, Wiesbaden,<br />
anhand klinischer Daten. Diese Substanzen<br />
haben ihren Wirkbeginn nach fünf Minuten,<br />
das heißt dann, wenn sie wirken sollen, und<br />
die Dosis-Wirkungs-Beziehung ist linear bis<br />
in die erforderlichen Akutdosen von 100 bis<br />
zu 800 μg nasal appliziertem Fentanyl. Den<br />
genauen Wirkmechanismus erläuterte Mark<br />
Watling, Reading (UK). Das Fentanyl wird in<br />
Form eines Pectinsprays appliziert, das in<br />
einem feinen Film die nasale Oberfläche bedeckt<br />
und aufgrund seiner hohen Lipophilie<br />
das transmembranös gängige Fentanyl schnell<br />
innerhalb weniger Minuten freisetzt.<br />
Psychologische Strategien<br />
Dipl.-Psych. Martina Pestinger, Aachen, stellte<br />
die psychologischen Interventionsmöglichkeiten<br />
vor. Patienten mit Durchbruchsschmerzen<br />
würden „vom <strong>Schmerz</strong> überrollt“<br />
und leiden unter massivem Kontrollverlust, Panik,<br />
Ängsten und Schuldzuweisungen an die<br />
eigene Person. Hier wirken der behutsame<br />
Umgang mit der Gesamtbefindlichkeit des Patienten,<br />
Selbstwertstabilisierung, Wertschätzung<br />
und Defokussierung u.a. durch Imagination<br />
und Hypnotherapie. Der Patient dürfe keinesfalls<br />
nach seiner wirksamen Medikation<br />
„betteln müssen“.<br />
Bedarfsadaptiert behandeln<br />
Im Abendsymposium wurde von Dr. med. Gerhard<br />
H.-H. Müller-Schwefe, Göppingen, die<br />
Bedeutung einer am Bedarf orientierten Pharmakotherapie<br />
von <strong>Schmerz</strong>en betont. Striktes<br />
Befolgen des WHO-Stufenschemas ohne genaue<br />
<strong>Schmerz</strong>erfassung ist ebenso wenig<br />
sinnvoll wie Medikamente zu verordnen, deren<br />
Wirkeintritt erst nach Abklingen einer <strong>Schmerz</strong>attacke<br />
liegt. Besonders bei Durchbruchschmerzen<br />
hat bukkal appliziertes Fentanyl<br />
deutliche Vorteile in der bedarfsadaptierten<br />
Behandlung. Auf der sogenannten Stufe 1 des<br />
WHO-Stufenschemas sind diverse Pharmaka<br />
mit unterschiedlichem Risikoprofil zusammengefasst.<br />
Bei sorgfältiger Risikobewertung ist<br />
allenfalls das Flupirtin zu empfehlen. Priv.-Doz.<br />
Dr. med. Michael Überall, Nürnberg, beleuchtete<br />
die Stufe-1-Analgetika kritisch. Acetylsalicylsäure<br />
auch als Prophylaxe führe vielfach<br />
häufiger zu kardiovaskulären Ereignissen als<br />
das vom Markt verschwundene Vioxx ® . Nach<br />
wie vor werden NSAR zu unkritisch eingesetzt,<br />
was zu ca. 3000 Todesfällen durch gastrointestinale<br />
Blutungen pro Jahr sowie diversen anderen<br />
Interaktionen führt.<br />
Nasales Fentanylspray<br />
Der zweite Tag befasste sich unter anderem<br />
mit innovativen Applikationsformen. PecSys ® ,<br />
ein nasales Fentany-Spray, stellt eine neue<br />
Pharmakotherapie bei Tumor-Durchbruchschmerz<br />
dar. Durchbruchschmerzen betreffen<br />
bis zu 95% aller Krebspatienten und sind durch<br />
unvorhersehbare, plötzlich einsetzende Episoden<br />
intensiver <strong>Schmerz</strong>en gekennzeichnet, die<br />
trotz einer Basisschmerzbehandlung auftreten.<br />
Die Galenik und Studiendaten der Substanz<br />
wurden von Mark Watling vorgestellt.<br />
In einer Studie der Phase III wurde Nasal-<br />
Fent ® mit sofort freigesetztem Morphinsulfat<br />
verglichen. Mit NasalFent ® behandelte Patienten<br />
erreichten eine statistisch signifikante<br />
Verbesserung der <strong>Schmerz</strong>intensitätsdifferenz<br />
innerhalb von 15 Minuten. Diese signifikante<br />
Verbesserung der <strong>Schmerz</strong>werte im Vergleich<br />
zum sofort freigesetzten Morphinsulfat hält an<br />
und besteht auch noch 60 Minuten nach der<br />
Verabreichung.<br />
Klinische Erfahrungen anhand von Patientenbeispielen<br />
beschrieb Prof. Dr. med. Eberhardt<br />
A. Lux, Lünen. Eine suffiziente Analgesie<br />
lässt sich durch PecSys ® nasales Fentanyl<br />
Spray als Ergänzung zur Basismedikation<br />
erreichen. Das Fentanylcitrat-Nasenspray hat<br />
eine niedrige Viskosität und kann in kleinen<br />
Dosen von 100 mcl mithilfe einer herkömmlichen<br />
Nasenspraypumpe verabreicht werden.<br />
Durch in der Nasenschleimhaut vorhandene<br />
Kalziumionen bildet das Pektin eine dünne<br />
Gelschicht. Durch diese Applikation wird eine<br />
schnelle Aufnahme in den systemischen Kreislauf<br />
und eine verlängerte Wirksamkeitsdauer<br />
gewährleistet.<br />
Topisches Lidocain<br />
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Überall stellte die<br />
Effizienz von topischem Lidocain bei der Behandlung<br />
von verschiedenen <strong>Schmerz</strong>syndromen<br />
vor. Eine deutlich hochsignifikante Wirksamkeit<br />
zeigt sich besonders auch über eine<br />
mehrwöchige Behandlung. In der Diskussion<br />
unter Beteiligung von Prof. Jürgen Sandkühler,<br />
Wien, wurde ein möglicher neuromodulativer<br />
Effekt durch systemische Wirkung diskutiert.<br />
Zentrale Sensibilisierung<br />
Prof. Jürgen Sandkühler erläuterte den augenblicklichen<br />
Stand der Grundlagenforschung.<br />
Der Sinn multimodaler differenzierter <strong>Therapie</strong>ansätze<br />
und einer möglichst frühzeitigen <strong>Therapie</strong><br />
wird durch die Forschungsergebnisse<br />
bestätigt. Während die periphere Sensibilisierung<br />
meist auf die Dauer der peripheren Schädigung<br />
begrenzt ist, kann die zentrale Sensibilisierung<br />
die primären <strong>Schmerz</strong>ursachen überdauern<br />
und zur Chronifizierung von <strong>Schmerz</strong>en<br />
beitragen. Ein ausgeprägter Kalziumanstieg in<br />
den Hinterhornneuronen führt zu einer Reihe<br />
von Signaltransduktionswegen und zu anhaltenden<br />
Veränderungen der Zelleigenschaften.<br />
Eine gestörte spinale Hemmung löst eine Reihe<br />
klinisch relevanter <strong>Schmerz</strong>symptome aus<br />
und stellt einen neuen Angriffspunkt für die<br />
Prävention und <strong>Therapie</strong> von <strong>Schmerz</strong>zuständen<br />
dar. Langzeitpotenzierung der synaptischen<br />
Übertragung (Long-Term-Potentiation,<br />
LTP) kann durch abruptes Absetzen verschiedener<br />
Opioide sowohl in vivo als auch in vitro<br />
ausgelöst werden. Mit der 2-Photonen-Laserscanning-Mikroskopie<br />
lässt sich sichtbar machen,<br />
dass die Ursache hierfür offenbar ein<br />
Anstieg der Konzentration von freien Kalziumionen<br />
in Nervenzellen des Rückenmarks ist.<br />
Moderne Opioide gefordert<br />
Dr. med. Gerhard H.-H. Müller-Schwefe stellte<br />
Morphin als Goldstandard in der Versorgung<br />
chronisch kranker <strong>Schmerz</strong>patienten infrage.<br />
Wird eine <strong>Therapie</strong> an den Bedarf des Patienten<br />
angepasst, muss sie <strong>Schmerz</strong>verlauf<br />
und Nebenwirkungen berücksichtigen. Moderne<br />
Opiate können dies leisten, wenngleich der<br />
Behandler bei deren sinnvollen Einsatz noch<br />
allzu oft von sinnlosen Sanktionen bedroht<br />
wird.<br />
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Überall<br />
schilderte die deutlichen Vorteile des Flupirtin<br />
im Vergleich zu unterschiedlichen Vormedikationen<br />
von Rückenschmerzen hinsichtlich<br />
Schlafqualität und Tagesfitness. Diese Parameter<br />
sind Indikatoren für die Lebensqualität<br />
und die Qualität der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. ■<br />
Hessischer Landtag<br />
Oliver Emrich, Ludwigshafen<br />
Thomas Cegla, Wuppertal<br />
24 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
© Wiesbaden Marketing GmbH
DGS-Veranstaltungen<br />
Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die<br />
Geschäftsstelle des DGS Oberursel: Tel.: 06171/286060,<br />
Fax: 06171/286069, E-Mail: info@dgschmerztherapie.de.<br />
Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den<br />
Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de<br />
mit der Möglichkeit der Onlineanmeldung.<br />
März <strong>2010</strong><br />
Neue Entwicklung in der Tumorschmerz-<br />
therapie<br />
10.03.<strong>2010</strong> in Thuine/Gartenstadt; Regionales<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Lingen<br />
Manuelle Diagnostik und <strong>Therapie</strong> –<br />
die LBH-Region (Teil 1) mit praktischen Übungen<br />
10.03.<strong>2010</strong> in Bielefeld; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Bielefeld<br />
Update Wirbelsäulenchirurgie<br />
10.03.<strong>2010</strong> in Chemnitz; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Chemnitz<br />
Vernetzung ambulanter und stationärer<br />
Palliativversorgung<br />
10.03.<strong>2010</strong> in Haan; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Haan<br />
Palliativmedizin Modul 2<br />
10.03.–14.03.<strong>2010</strong> in Kevelaer;<br />
Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Geldern/Kreis<br />
Kleve<br />
Kopfschmerz – diagnostischer Algorithmus<br />
11.03.<strong>2010</strong> in Miltenberg; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Miltenberg<br />
LWS/ISG – manualtherapeutische Diagnostik und<br />
<strong>Therapie</strong><br />
12.03.–13.03.<strong>2010</strong> in Bonn-Bad Godesberg;<br />
Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Bonn-Bad<br />
Godesberg<br />
Curriculum Psychosomatische Grundversorgung<br />
DGS – Kurs 6 (Kursreihe 2009/<strong>2010</strong>)<br />
13.03.–14.03.<strong>2010</strong> in Bad Dürkheim; Regionales<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Ludwigshafen<br />
Curriculum Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, Block A<br />
14.03.–15.03.<strong>2010</strong> in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
Kopfschmerztherapie – ein Update <strong>2010</strong><br />
15.03.<strong>2010</strong> in Erkelenz; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Erkelenz<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
Curriculum Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>,<br />
Block B<br />
16.03.–17.03.<strong>2010</strong> in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
Botulinumtoxin in der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
17.03.<strong>2010</strong> in München; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – München<br />
Psychosomatik 3<br />
18.03.<strong>2010</strong> in Bad Säckingen: Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Bad Säckingen<br />
Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil<br />
1 Einführungsveranstaltung<br />
20.03.<strong>2010</strong> in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
<strong>Schmerz</strong>management durch Selbstbewusstsein:<br />
sicheres Auftreten mit der Wingwave-Methode<br />
20.03.<strong>2010</strong> in Düsseldorf; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Düsseldorf<br />
Opioidinduzierte Hyperalgesie – Mythos oder Wirklichkeit?<br />
24.03.<strong>2010</strong> Gießen-Kleinlinden; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Gießen<br />
Curriculum Chirotherapie – Osteopathie/Kinder<br />
(Kursreihe <strong>2010</strong>/2011)<br />
Laudatio Professor Günter Baust<br />
Am 25. November 2009 beging Professor<br />
Günter Baust seinen 80. Geburtstag. Nach<br />
dem Medizinstudium in Halle und Greifswald<br />
(1958) folgte die Facharztausbildung zunächst<br />
für Chirurgie, dann für Anaesthesiologie<br />
(1963) in Halle. Seine wissenschaftliche<br />
Laufbahn setzte sich 1969 mit der Habilitation,<br />
1970 mit einer Dozentur für Anaesthesiologie<br />
und 1973 mit der Berufung zum ordentlichen<br />
Professor für Anaesthesie und Intensivtherapie<br />
an der Martin-Luther-Universität<br />
Halle fort. Noch zu DDR-Zeiten, in den 80er-<br />
Jahren, widmete sich Professor Baust der<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Ethik in der Medizin. Er<br />
baute 1985 eine <strong>Schmerz</strong>ambulanz an der<br />
Martin-Luther-Universität auf. 1993 ging Professor<br />
Baust den Schritt in die eigene Niederlassung<br />
und eröffnete eine Praxis für<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Anaesthesiologie. 1995<br />
initiierte er die Gründung des schmerztherapeutischen<br />
Kollegiums der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />
für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in Halle, welches<br />
DGS Termine / Nachrichten<br />
26.03.–28.03.<strong>2010</strong> in Bad Dürkheim; Regionales<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Ludwigshafen<br />
Einleitung und Beantragung von Pflegeleistungen<br />
31.03.<strong>2010</strong> in Halle; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS<br />
– Halle (Saale)<br />
April <strong>2010</strong><br />
Multiprofessioneller Gesprächskreis – Qualitätszirkel<br />
– Palliativversorgung Siegen-Wittgenstein-<br />
Olpe<br />
07.04.<strong>2010</strong> in Siegen; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Siegen<br />
CRPS – Update<br />
08.04.<strong>2010</strong> in Tübingen; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Tübingen<br />
Ganzheitliche <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in der Frauenheilkunde<br />
09.04.–10.04.<strong>2010</strong> in Dresden;<br />
Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Dresden<br />
Posttherapeutische Neuropathie<br />
14.04.<strong>2010</strong> in Stade; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Stade<br />
Zervikogener Kopfschmerz<br />
15.04.<strong>2010</strong> in Miltenberg; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Miltenberg<br />
Psychosomatik 4<br />
15.04.<strong>2010</strong> in Bad Säckingen;<br />
Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS –<br />
Bad Säckingen<br />
Moderne und wirtschaftliche medikamentöse<br />
<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />
16.04.<strong>2010</strong> in Emden; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />
DGS – Emden<br />
er viele Jahre leitete.<br />
Während seiner beruflichen<br />
und wissenschaftlichen<br />
Tätigkeit<br />
lag ihm die Weitergabe<br />
seines Wissens an<br />
Studenten und jüngere<br />
Kollegen immer am<br />
Herzen. Neben seiner<br />
Lehrtätigkeit veröf-<br />
Günter Baust,<br />
Halle<br />
fentlichte er Bücher, entwickelte Patente und<br />
hielt viele wissenschaftliche Vorträge im In-<br />
und Ausland. Auch jetzt noch im 80. Lebensjahr<br />
engagiert sich Professor Baust für<br />
ethische Fragen in der <strong>Schmerz</strong>- und Palliativmedizin,<br />
bezieht klar Stellung und ist uns jüngeren<br />
Kollegen stets ein kompetenter Ansprechpartner.<br />
Wir Mitglieder des regionalen<br />
<strong>Schmerz</strong>zentrums Halle wünschen<br />
ihm Gesundheit und Vitalität.<br />
Ingunde Fischer,<br />
Leiterin des regionalen <strong>Schmerz</strong>zentrum Halle<br />
25
26<br />
Bücherecke<br />
Anästhesie für die Praxis<br />
û Das kompakte und praxisnahe Buch ergänzt den Klassiker „Larsen –<br />
Anästhesie“ und bietet eine evidenzbasierte Anleitung zur praktischen Umsetzung<br />
der Anästhesiologie für alle operativen Fächer. Ausgehend von den<br />
pharmakologischen und physiologischen Grundlagen werden im zweiten<br />
Teil die klinische Anästhesie u.a. mit präoperativer Einschätzung, Vorgehen<br />
bei Begleiterkrankungen, präoperativer Dauermedikation, Prämedikation,<br />
Narkosesysteme, die verschiedenen Anästhesieverfahren, Lagerung, Überwachung,<br />
perioperative Flüssigkeitstherapie, ambulante Anästhesie in eigenen<br />
Kapiteln dargestellt. Im dritten Teil werden die verschiedenen Fachgebiete<br />
separat mit praxisnahen Hinweisen zu den EbM-Leitlinien in der<br />
Anästhesie dargestellt. Ein praktisches Anwenderbuch für Assistenzärzte in der Weiterbildung, als Prüfungsliteratur<br />
und auch für erfahrene Anästhesisten zur Aktualisierung ihres Wissens. StK<br />
Reinhard Larsen: Praxisbuch Anästhesie. 2009, 1008 Seiten, 66 farb. Abb., kartoniert, EUR 79,95. ISBN: 978-<br />
3-437-24760-6. Elsevier/Urban & Fischer, Verlag, München.<br />
Psychologische <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in der Gruppe<br />
û Gemeinsam gegen den <strong>Schmerz</strong>, diesem Prinzip folgt dieses praxiserprobte<br />
Programm, das Betroffenen Hilfe zur Selbsthilfe vermittelt. Es<br />
besteht aus verschiedenen Sitzungen, in denen das Wissen und die Techniken<br />
zur <strong>Schmerz</strong>kontrolle vermittelt werden. Die Gruppensitzungen sind<br />
mit Entspannungsübungen, Fantasiereisen und Literaturtipps für den Kursleiter<br />
so aufbereitet, dass man sie direkt einsetzen kann. Sie eignen sich für<br />
Kurse, offene Gruppen, Selbsthilfegruppen oder bieten auch Grundlage für<br />
Einzelgespräche. Mit eigenen Arbeitsblättern werden Patienten zum Führen<br />
eines <strong>Schmerz</strong>tagebuches animiert. Wer die psychologische Gruppentherapie<br />
in der <strong>Schmerz</strong>praxis umsetzen möchte, kann in dem Buch der Berliner<br />
Entspannungstherapeutin sicherlich viele Ideen und Anregungen bekommen. StK<br />
Helena Harms: Psychologische <strong>Schmerz</strong>bewältigung. Ein pragmatisches Konzept für die Gruppenarbeit.<br />
2009, 128 S., kt, EUR 16,90. ISBN 978-3-497-02101-7. Ernst Reinhardt Verlag, München.<br />
Leitlinie Unterbauchschmerzen<br />
û Fast jede achte Frau leidet an chronischen Unterleibsschmerzen. Fehldiagnosen<br />
und Übertherapien sind bei diesem Volksleiden an der Tagesordnung.<br />
Daher ist es höchste Zeit, dass für dieses Krankheitsbild von kompetenter<br />
Seite (nämlich der <strong>Gesellschaft</strong> für Psychosomatische Frauenheilkunde<br />
in Zusammenarbeit mit der DGSS und der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />
für Urologie) eine aktuelle Leitlinie erarbeitet wurde. Dieses Büchlein gibt<br />
einen exzellenten Überblick über sinnvolle Maßnahmen in Diagnostik und<br />
<strong>Therapie</strong>. Für den Praktiker genügt die Kurzfassung auf 32 Seiten, während<br />
Interessierte das gesamte Buch mit Quellentext und Langfassung durcharbeiten<br />
werden. StK<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe: Chronischer Unterbauchschmerz<br />
der Frau. 2009, 128 S., EUR 29,90. ISBN 9-783941-130012. Verlag S. Kramarz, Berlin.<br />
Musik in der Palliativmedizin<br />
û Schwerstkranke im Hospiz und auf der Palliativstation leiden oft unter<br />
der nüchternen medizinischen Technik. Musik kann in dieser Situation Trost<br />
spenden und die Lebensqualität verbessern. Mit anschaulichen Fallbeispielen<br />
illustrieren die beiden Heidelberger Musiktherapeutinnen, wie<br />
Musiktherapie Entspannung und die Aufarbeitung von Lebenserfahrungen<br />
unterstützend begleiten kann. StK<br />
Martina Baumann/Dorothea Bünemann: Musiktherapie in Hospizarbeit und<br />
Palliative Care. 2009, 136 S., kt, EUR 19,90. ISBN 978-3-497-02107-9. Ernst<br />
Reinhardt Verlag, München.<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)
Metastasierendes Bronchialkarzinom<br />
Die Gratwanderung zwischen Lebensqualität, effektiver <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und<br />
Nebenwirkungen stellt oft eine große Herausforderung in der Behandlung von Tumorschmerzen<br />
dar, schildert Dr. Gerhard H.H. Müller-Schwefe, leitender Arzt des<br />
<strong>Schmerz</strong>- und Palliativzentrums Göppingen am Beispiel einer Patientin mit metastasierendem<br />
Bronchialkarzinom.<br />
Der Praxisfall<br />
Die 62jährige Patientin stellte sich im <strong>Schmerz</strong><br />
und Palliativzentrum Göppingen mit Atemnot<br />
und Thorakalschmerzen vor. Sowohl die Angehörigen<br />
als auch der behandelnde Hausarzt<br />
gehen davon aus, dass die Dyspnoe Ausdruck<br />
des zentralen Primärtumors im Rahmen der<br />
Terminalphase ist. Allein die <strong>Schmerz</strong>en beeinträchtigen<br />
die Lebensqualität so sehr, dass<br />
eine medikamentöse Neueinstellung erforderlich<br />
scheint.<br />
Die Vorgeschichte<br />
Vor fünf Monaten wurde bei einem Gewichtsverlust<br />
von 10 kg innerhalb von vier Monaten<br />
und zunehmender Dyspnoe die Diagnose<br />
eines zentralen Bronchialkarzinoms mit zahlreichen<br />
intrapulmonalen Metastasen gestellt.<br />
Das Plattenepithelkarzinom war der palliativen<br />
Strahlentherapie und Chemotherapie nur sehr<br />
mäßig zugänglich. Über drei Monate nahm der<br />
Primärtumor nicht zu, dann war eine weitere,<br />
rasche Größenzunahme des zentralen Tumors<br />
wie auch der Metastasen zu verzeichnen. In<br />
dieser Zeit entwickelten sich zudem atemabhängige<br />
<strong>Schmerz</strong>en im dritten und vierten Interkostalraum<br />
rechts und auch brennende<br />
<strong>Schmerz</strong>en in der Brustwand, die als Nebenwirkung<br />
der Chemotherapie interpretiert wurden.<br />
Die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> bestand aus Fentanyl<br />
transdermal 50 µg/h sowie bei Bedarf 50<br />
Tropfen Metamizol. Hierunter ging die <strong>Schmerz</strong>intensität<br />
von VAS 90 auf VAS 55 zurück, das<br />
Erträglichkeitsniveau war VAS 20. Neben anhaltenden<br />
intestinalen Spasmen und einer<br />
Obstipation trotz regelmäßiger Laxanzieneinnahme<br />
(Lactulose und Bisacodyl) quälten die<br />
Patientin vor allem brennende <strong>Schmerz</strong>en in<br />
der rechten Thoraxwand. Daneben klagte sie<br />
über eine ausgeprägte Ruhedyspnoe, sodass<br />
Schlafen nur noch in aufrechter Position möglich<br />
war.<br />
Befund<br />
Bei der Erstuntersuchung fiel neben der Dyspnoe<br />
röntgenologisch eine Verschattung der<br />
gesamten rechten Lunge sowie der linken Lun<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
ge basal auf. Zudem waren periphere Metastasen<br />
sowie Pleurametastasen in Höhe der dritten<br />
und vierten Rippe rechts zu sehen. In dieser<br />
Höhe lagen in der gesamten rechten Thoraxwand<br />
brennende <strong>Schmerz</strong>en mit ausgeprägter<br />
dynamischer Allodynie vor. Die massive<br />
Atemnot wurde durch einen ausgeprägten<br />
Zwerchfellhochstand bei geblähtem und aufgetriebenem<br />
Abdomen noch verstärkt, Darmgeräusche<br />
konnten nur spärlich registriert werden.<br />
Neben der Dyspnoe wurden die Abdominalschmerzen<br />
und Krämpfe von der Patientin<br />
als mindestens ebenso belastend eingestuft<br />
wie die Thorakalschmerzen.<br />
<strong>Therapie</strong> und Verlauf<br />
Unter der Annahme einer tumorassoziierten<br />
Pneumonie wurde zunächst eine antibiotische<br />
<strong>Therapie</strong> eingeleitet. Die brennenden <strong>Schmerz</strong>en<br />
wurden – da streng lokalisiert – eher auf<br />
die Infiltration der Interkostalnerven 3 und 4<br />
durch Pleurametastasen zurückgeführt als auf<br />
die Chemotherapie. Deshalb wurde gleichzeitig<br />
die bestehende Opioidtherapie um Pregabalin<br />
zweimal 75 mg, dann zweimal 150 mg ergänzt.<br />
Unter der antibiotischen <strong>Therapie</strong> besserte<br />
sich die Dyspnoe zusehends, sodass die Patientin<br />
nach zwölf Tagen wieder im Liegen schlafen<br />
konnte. Auch die neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en<br />
waren deutlich gebessert. Allerdings nahmen<br />
die gastrointestinalen Beschwerden dermaßen<br />
zu, sodass trotz aller laxativen Maßnahmen<br />
inklusive Einlauf die Stuhlfrequenz auf einmal<br />
in zehn Tagen reduziert war. Zudem wurde die<br />
Defäkation bei knochentrockenen und harten<br />
Stühlen als außerordentlich schmerzhaft und<br />
unvollständig geschildert.<br />
Trotz der häufig tradierten Auffassung, dass<br />
transdermale Opioide geringere Auswirkungen<br />
auf die gastrointestinale Motilität haben, entschieden<br />
wir uns in dieser Situation zum Wechsel<br />
von Fentanyl TTS auf Oxycodon/Naloxon<br />
(Targin ® ) zweimal täglich 40/20 mg, da für<br />
Oxycodon in zahlreichen Studien eine gute<br />
Wirksamkeit bei neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en<br />
nachgewiesen wurde. Pregabalin konnte abgesetzt<br />
werden.<br />
© Sebastian Kaulitzki/fotolia.com<br />
Der <strong>Schmerz</strong>fall aus der Praxis<br />
Hinter starken <strong>Schmerz</strong>en bei Lungenkrebs<br />
kann auch eine Pneumonie stecken.<br />
Unter dieser Medikation konnten die<br />
<strong>Schmerz</strong>en, insbesondere auch die neuropathische<br />
Komponente, so gut beherrscht werden,<br />
dass die Patientin jetzt eine maximale<br />
<strong>Schmerz</strong>intensität von VAS 25 bei einem individuellen<br />
Behandlungsziel von VAS 20 angab.<br />
Innerhalb von zehn Tagen normalisierte sich<br />
die Darmaktivität auf tägliche Stuhlgänge.<br />
Zusammenfassung<br />
Dyspnoe und <strong>Schmerz</strong>en sind bei Tumorpatienten<br />
häufig gemeinsam auftretende Symptome.<br />
Wie der <strong>Therapie</strong>verlauf unserer Patientin<br />
zeigt, lohnt es sich, nicht alle Symptome<br />
automatisch auf das Tumorgeschehen zurückzuführen,<br />
sondern die verschiedenen Mechanismen<br />
sorgfältig zu analysieren. Neben neuropathischen<br />
<strong>Schmerz</strong>en durch die Tumorinfiltration<br />
von Nerven, war die pneumoniebedingte<br />
Dyspnoe, verstärkt durch gastrointestinale Nebenwirkungen<br />
von transdermalem Fentanyl,<br />
für unsere Patientin die gravierendste Belastung.<br />
In dieser Situation war die antibiotische<br />
<strong>Therapie</strong> für eine effektive Symptomkontrolle<br />
von entscheidender Bedeutung.<br />
Die Umstellung auf Targin ® führte nicht nur<br />
zu einer besseren <strong>Schmerz</strong>kontrolle sowohl der<br />
nozizeptiven <strong>Schmerz</strong>en als auch der neuropathischen<br />
Komponenten, sondern gleichzeitig<br />
auch zu einer deutlich besseren Verträglichkeit<br />
und damit zu einer zusätzlichen Entlastung der<br />
Patientin. ■<br />
Gerhard H. H. Müller-Schwefe<br />
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