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Schmerztherapie 1/2010 - Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft ...

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ISSN 1613-9968<br />

26. Jahrgang <strong>2010</strong> Ehemals StK<br />

Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong><br />

Versorgung in der Breite sichern<br />

1I <strong>2010</strong><br />

Editorial<br />

Versorgung in der Breite sichern! _______2<br />

Interkulturelle Kommunikation<br />

„Meine Leber brennt“ _________________3<br />

Integrierte Versorgung<br />

Zweitmeinungsverfahren vor operativen<br />

Eingriffen an der Wirbelsäule ___________6<br />

Palliativmedizin<br />

Spezialisierte ambulante Palliativ-<br />

versorgung ergänzt den Hospizdienst ___9<br />

Medizin und Recht<br />

Honorarreform 2009 –<br />

ein Abrechnungsdesaster? _____________11<br />

<strong>Deutsche</strong>r <strong>Schmerz</strong>- und<br />

Palliativtag <strong>2010</strong><br />

Versorgung in der Breite sichern ________12<br />

Migräne und Schlaganfall ______________14<br />

Triptane in der Aura gefährlich __________16<br />

Migräne bei Frauen ___________________17<br />

20 Jahre <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga ________19<br />

Kongresse<br />

<strong>Schmerz</strong>patienten zwischen Wunsch<br />

und trauriger Realität _________________21<br />

Medizin und Recht<br />

Gerichte schützen die ärztliche<br />

<strong>Therapie</strong>freiheit _______________________22<br />

Kongresse<br />

Das Innovationsforum der DGS ________23<br />

DGS-Veranstaltungen/Interna ________25<br />

Bücherecke _________________________26<br />

Kasuistik<br />

Metastasierendes Bronchialkarzinom ___27<br />

www.dgschmerztherapie.de


Editorial<br />

Versorgung in der<br />

Breite sichern!<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

„Versorgung in der Breite sichern!“ lautet das auf den ersten Blick provokante<br />

Leitthema des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtages 010. Kümmert sich nicht<br />

jeder Arzt in Deutschland um die <strong>Schmerz</strong>en seiner Patienten?<br />

Ohne jede Frage ist Leiden und <strong>Schmerz</strong>en zu lindern eine hohe ärztliche Heraus-<br />

forderung, die für die meisten von uns Motivation war, diesen Beruf zu ergreifen.<br />

Die Politik kennt keinen <strong>Schmerz</strong><br />

Trotzdem ist auch im 26. Jahr des Bestehens der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e. V. die Entstehung, Diagnostik<br />

und <strong>Therapie</strong> chronifizierter <strong>Schmerz</strong>en weiterhin kein<br />

obligates akademisches Lehr- und Prüffach.<br />

In seinem finalen gesetzgeberischen Akt hat der letzte<br />

<strong>Deutsche</strong> Bundestag die Einführung eines Pflichtfaches<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in die Approbationsordnung erneut verpasst.<br />

Für viele Parlamentarier ist auch heute noch die <strong>Therapie</strong><br />

chronischer <strong>Schmerz</strong>en gleichbedeutend mit Tumorschmerztherapie.<br />

Das große Heer der nicht tumorbedingten<br />

<strong>Schmerz</strong>en spielt in ihrer Wahrnehmung – weil überwiegend<br />

gesund – keine Rolle.<br />

Wie viele von Ihnen wissen, hatte ich nach der verpassten<br />

Abstimmung des <strong>Deutsche</strong>n Bundestages unmittelbar alle<br />

Bundestagsabgeordneten, Bundestagskandidaten für den<br />

neuen Bundestag, Ministerpräsidenten und Landessozial-<br />

und -gesundheitsminister angeschrieben und auf diesen<br />

schweren Mangel hingewiesen. Die zahlreichen positiven<br />

Antworten lassen hoffen, dass ein neuer Anlauf erfolgversprechender<br />

ausgeht.<br />

Koalition gegen den <strong>Schmerz</strong><br />

Die 2003 von der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>,<br />

der DGSS und der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga gebildete Koalition<br />

gegen den <strong>Schmerz</strong>, inzwischen erweitert um die <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> für Palliativmedizin, die IGOST und den BVSD,<br />

nimmt sich in einer gemeinsamen Anstrengung erneut dieses<br />

Themas an. Wenn Sie diese Zeilen lesen, hat bereits ein parlamentarisches<br />

Frühstück mit den neuen Mitgliedern des gesundheitspolitischen<br />

Ausschusses des Bundestages stattgefunden,<br />

das genau diese Thematik aufgreift: Implementierung<br />

der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in die Approbationsordnung als Pflichtfach<br />

als wichtige Voraussetzung einer Verbesserung der<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, Aufnahme des chronischen <strong>Schmerz</strong>es in<br />

die zuweisungsauslösenden Diagnosen des Morbi-RSA sowie<br />

den Wegfall der Austauschpflicht für stark wirksame Opioide in<br />

der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im Rahmen der Rabattgesetzgebung.<br />

Ziel dieser Bemühungen ist nicht die Monopolisierung der<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> für wenige Spezialisten, sondern die Implementierung<br />

einer abgestuften <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und eine<br />

Gerhard H. H. Müller-<br />

Schwefe, Göppingen<br />

Prävention chronischer <strong>Schmerz</strong>en, die bei jedem Hausarzt<br />

und Facharzt als erste Anlaufstelle stattfinden muss.<br />

Agenda 2020 der DGS<br />

Dieses Ziel findet sich auch in den Leitsätzen wieder, die der<br />

Vorstand der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im<br />

Rahmen einer Klausurtagung vom 4. bis 6. Februar <strong>2010</strong> formuliert<br />

hat:<br />

■ Die DGS versteht sich als primärer Ansprechpartner in allen<br />

Fragen der Versorgung von Patienten mit <strong>Schmerz</strong>en.<br />

■ Die DGS steht für eine flächendeckende und abgestufte Versorgung<br />

aller Patienten mit <strong>Schmerz</strong>en und als Interessenvertretung<br />

aller entsprechend aktiven Fachgruppen.<br />

■ Die DGS sieht den mündigen Patienten als Partner; sie unterstützt<br />

die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga als Patientenselbsthilfeorganisation<br />

und befürwortet partizipative Behandlungskonzepte.<br />

■ Die DGS verfolgt die Prävention der <strong>Schmerz</strong>chronifizierung<br />

als vorrangiges Ziel.<br />

■ Die DGS sieht <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Palliativmedizin als untrennbare<br />

Schwerpunkte ihrer Arbeit.<br />

All diese Leitsätze sind mit Maßnahmen hinterlegt, die das<br />

eine Ziel haben, Prävention und <strong>Therapie</strong> von chronischen<br />

<strong>Schmerz</strong>en für alle Patienten in Deutschland verfügbar zu<br />

machen.<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> braucht Zeit<br />

Zwischen geldgierig und ineffizient spielten sich die Kommentare<br />

ab, die die Analyse der Barmer GEK ausgelöst hatte, nach<br />

der Patienten in Deutschland im Durchschnitt 18-mal zum Arzt<br />

gehen – signifikant häufiger als in allen anderen Nationen.<br />

Ohne Frage spiegelt diese Zahl jedoch ein Dilemma wider,<br />

in das unser Gesundheitssystem Patienten und Ärzte gebracht<br />

hat: Die sorgfältige ausführliche Anamneseerhebung<br />

und Untersuchung wird nicht vergütet. Wer’s trotzdem macht,<br />

riskiert den eigenen Bankrott. Konsequenter Weise werden<br />

häufige Überweisungen zu bildgebenden Verfahren und Diagnostik<br />

in zahlreichen Gebieten für diesen Patienten typische<br />

Merkmale ihrer Karriere.<br />

Eine bessere Versorgung werden wir allerdings nur erzielen,<br />

wenn jeder Arzt gerüstet ist, Probleme der <strong>Schmerz</strong>chronifizierung<br />

frühzeitig zu identifizieren und mit ausreichend<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


vergüteter Zeit Anamnese und Basisdiagnostik zu erheben.<br />

Deshalb ist <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> wirklich eine Aufgabe für alle<br />

Ärzte in einem abgestuften Versorgungssystem.<br />

<strong>Deutsche</strong>r <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong><br />

Diesem Anliegen widmet sich intensiv der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>-<br />

und Palliativtag <strong>2010</strong>. Bereits der Eröffnungsvortrag von Klaus<br />

Kutzer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., mit<br />

dem Thema „Recht auf <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> versus ökonomische<br />

Zwänge – woran orientiert sich <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>?“ steckt den<br />

Rahmen für die kommenden Veranstaltungen ab.<br />

Sprengstoff birgt auch das erste Symposium im Rahmen<br />

des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>tages am 18. März <strong>2010</strong> mit dem<br />

Thema „LONTS Leitlinie (Langzeitopioidtherapie bei nicht<br />

Tumorschmerz) – das Ende der Opioidtherapie?“ Sicherlich<br />

kontrovers wird hier die Frage diskutiert werden, ob Opioide<br />

in der <strong>Therapie</strong> von nicht tumorbedingten <strong>Schmerz</strong>en den adäquaten<br />

Stellenwert haben, über- oder unterschätzt werden.<br />

Zahlreiche Hands-on-Workshops, Refresherkurse und<br />

Praktikerseminare spannen ein weites Feld von Hypnotherapie<br />

über Stoßwellen- und Hochtontherapie zu orthomole-<br />

„Meine Leber brennt“<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

Editorial<br />

kularer <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, Untersuchungstechniken, therapeutischer<br />

Lokalanästhesie, Palliativversorgung und auch<br />

zu Themen wie Borreliose, Hyperalgesie und anderen. Nicht<br />

zuletzt spielen Gesundheitsökonomie und Stammzellen in<br />

der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im Rahmen der großen Themenvielfalt<br />

eine Rolle.<br />

Zu all diesen Veranstaltungen lade ich Sie herzlich ein.<br />

Nützen Sie die Chance, sich für die <strong>Schmerz</strong>medizin des 21.<br />

Jahrhunderts zu rüsten. Ich freue mich auf die Begegnung<br />

mit Ihnen auf dem <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag in<br />

Frankfurt am Main und grüße Sie herzlich<br />

Ihr<br />

Dr. med. Gerhard H. H. Müller-Schwefe<br />

Präsident<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> e. V.<br />

Sprachbarrieren und ein ganzheitlicheres Krankheitsverständnis führen bei Migranten schnell zu Missverständnissen<br />

und gefährlichen Fehldiagnosen. Über die interkulturellen Aspekte bei der Kommunikation<br />

mit Migranten und die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) informiert Daniela Bröhl, Sachgebietsleiterin<br />

Integration, Migration und Flucht und Sozialarbeiterin, Diakonie in Düsseldorf.<br />

Frau Karam (Name geändert) aus Marokko<br />

krümmt sich vor <strong>Schmerz</strong>en und weint:<br />

„Meine Leber brennt, meine Leber brennt!“ Die<br />

Aufregung des Praxispersonals legt sich<br />

schnell. Frau Karam wird von Jamila Bougrine<br />

begleitet, die als Sprach- und Kulturmittlerin im<br />

Rahmen des EU-Projektes „Coach-Mi: Coaching<br />

für Chancengleichheit in der Gesundheitsversorgung<br />

für Migrantinnen“ Klientinnen<br />

zu Arztbesuchen begleitet. Sie erklärt der Ärztin,<br />

dass die Mutter der Patientin gestorben sei.<br />

Die Redewendung „meine Leber brennt“ sei<br />

der Ausdruck ihres <strong>Schmerz</strong>es. Die Sprachmittlerin<br />

unterstützt Frau Karam und die Ärztin<br />

dabei, kultursensibel miteinander umzugehen<br />

und möglichen Fehldiagnosen vorzubeugen.<br />

Verwirrende Organmetaphern<br />

Auch im <strong>Deutsche</strong>n gibt es Organmetaphern:<br />

die Laus, die über die Leber läuft, das Herz,<br />

das bricht, der Kummer, der auf den Magen<br />

schlägt. In anderen Kulturen gibt es andere<br />

Metaphern, die bei einer sprachlich schwie-<br />

rigen Verständigung für noch mehr Verwirrung<br />

sorgen.<br />

Für viele Arztpraxen ist die Behandlung von<br />

Menschen mit Migrationshintergrund Alltag.<br />

Dennoch kommt es immer wieder aufgrund<br />

kultureller und sprachlicher Missverständnisse<br />

zu Irritationen aufseiten von Ärzten und Patienten,<br />

die gravierende gesundheitliche Konsequenzen<br />

nach sich ziehen können.<br />

Wo sitzt der <strong>Schmerz</strong>?<br />

Der Arzt ist daran gewöhnt, dass der „deutsche“<br />

Patient versucht, den <strong>Schmerz</strong> genau zu lokalisieren<br />

und zu beschreiben. Er hält es in der Regel<br />

für möglich, dass „nur“ ein Teil seines Körpers<br />

erkrankt ist und trennt zwischen Körper und Psyche.<br />

Islamische und einige afrikanische Kulturkreise<br />

haben ein ganzheitlicheres Verständnis<br />

von Körper und Psyche. Der <strong>Schmerz</strong> ist überall.<br />

Eine genau lokalisierte Krankheit, die nicht die<br />

gesamte leiblich-seelische und soziale Befindlichkeit<br />

des Betroffenen in Mitleidenschaft zieht, ist<br />

unvorstellbar. Der ganze Mensch ist krank.<br />

<strong>Deutsche</strong>r <strong>Schmerz</strong>-<br />

und Palliativtag <strong>2010</strong><br />

in Frankfurt a. Main<br />

Daniela Bröhl,<br />

Düsseldorf<br />

Starke Somatisierung<br />

Gerade psychische Leiden werden mit organischen<br />

Beschwerden in Verbindung gebracht:<br />

„Mein Kopf ist erkältet“ bedeutet für den türkischen<br />

Patienten weder Kopfschmerzen noch<br />

eine Erkältung, sondern ist der Ausdruck einer<br />

angeschlagenen psychischen Verfassung, vergleichbar<br />

mit „ich werde verrückt“. Der „gebrochene<br />

Arm“ heißt, man fühlt sich ohne Halt, die<br />

„geplatzte Gallenblase“ verdeutlicht, über etwas<br />

sehr erschrocken zu sein. Diese Aufzählung<br />

lässt sich beliebig fortführen. Diese Art<br />

des Ausdrucks von <strong>Schmerz</strong>en, das <strong>Schmerz</strong>verhalten,<br />

aber auch der körperliche Ausdruck<br />

von aus unserer Sicht psychischen Problemen<br />

können auf Ablehnung und Unverständnis stoßen<br />

(Domenig in Machleidt, 2008).<br />

Somatisierte <strong>Schmerz</strong>en bei PTBS<br />

Ein Teil der zugewanderten Bevölkerung ist vor<br />

Kriegen, Folter und Verfolgung geflüchtet und<br />

leidet an teilweise unerkannten psychischen<br />

Traumata. Bei der Begutachtung von Menschen


© StK<br />

Interkulturelle Kommunikation und PTBS<br />

mit psychisch reaktiven Traumafolgeerkrankungen<br />

(PTBS) werden zu den vielfältigen<br />

Symptomen auch Somatisierungsstörungen<br />

beschrieben wie<br />

■ anhaltende somatoforme <strong>Schmerz</strong>störungen,<br />

z.B. als chronifizierte Rückenschmerzen,<br />

Schulter-Nacken-Verspannungen, Kopfschmerzen<br />

bzw. Migräne oder als wandernde Körperschmerzen<br />

(„meine linke Seite tut weh“). Frauen<br />

beschreiben häufig Unterbauchschmerzen<br />

und eine Neigung zu Menstruationsbeschwerden;<br />

■ wiederkehrende oder anhaltende Magenbeschwerden,<br />

z.B. Sodbrennen, Magenschmerzen,<br />

Gastritis bis hin zum Magengeschwür;<br />

■ funktionelle Darmbeschwerden (Colitis irrita-<br />

bile);<br />

■ funktionelle Hautbeschwerden mit diffusem<br />

Juckreiz und/oder kribbelnden Missempfindungen<br />

(Reichelt in Haenel et al., 2004) und<br />

zahlreiche weitere somatische Beschwerden.<br />

Im Rahmen von dissoziativen Episoden in Zusammenhang<br />

mit PTBS kann es außerdem zum<br />

„Wiedererleben“ von in der Vergangenheit erlebten<br />

<strong>Schmerz</strong>zuständen kommen. Überlebende<br />

schwerer Menschenrechtsverletzungen haben<br />

teilweise auch nach Jahren in Deutschland niemals<br />

über die erlittene Folter gesprochen. Ihre<br />

psychischen Symptome werden von ihnen und<br />

ihren Angehörigen als „verrückt sein“ interpretiert.<br />

Daher stehen beim Aufsuchen eines Arztes die<br />

körperlichen, meist chronifizierten Beschwerden<br />

im Mittelpunkt. Steht die Verdachtsdiagnose<br />

PTBS im Raum, empfiehlt sich die Kontaktaufnahme<br />

zur Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft<br />

der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und<br />

Folteropfer (BAfF) e.V. (Paulsenstr. 55–56, 12163<br />

Berlin, Tel. +49(0)30-31012463, Fax:+49(0)30-<br />

3248575, E-Mail: info@baff-zentren.org).<br />

Sprach- und Kulturmittlerin Jamila Bougrine im Einsatz.<br />

Migrationsspezifische Faktoren<br />

Der Migrationsprozess bildet für die meisten<br />

Migranten einen prägenden Abschnitt ihrer Biografie.<br />

Neben der emotionalen Bewältigung der<br />

Herausforderungen des Ankommens in der<br />

neuen <strong>Gesellschaft</strong> beinhaltet er auch eine<br />

immense Verlusterfahrung von Gewohntem<br />

und Vertrautem. Die damit verbundenen Entwurzelungsgefühle<br />

und der Trauerprozess beeinflussen<br />

ihre körperliche, seelische und<br />

emotionale Gesundheit. Hinzukommende Erfahrungen<br />

von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung<br />

schränken Möglichkeiten zur gesellschaftlichen<br />

Partizipation und zur individuellen<br />

Lebensgestaltung ein.<br />

Zugewanderte Personen kommen in Kontakt<br />

mit einem Gesundheitssystem, das vielfach<br />

anders funktioniert, als sie es aus ihren Heimatländern<br />

kennen, mit der Konsequenz, dass<br />

sie Dienste des Gesundheitswesens seltener<br />

als die einheimische Bevölkerung in Anspruch<br />

nehmen. Besonders deutlich wird dies an der<br />

erhöhten Müttersterblichkeit bei Migrantinnen.<br />

Aus dem Bericht über die Lage der Ausländerinnen<br />

und Ausländer der Beauftragten der<br />

Bundesregierung (2005) geht hervor, dass<br />

insbesondere bei Vorsorgeuntersuchungen<br />

Migrantinnen deutlich unterrepräsentiert sind.<br />

Ehrenamtliche ärztliche Versorgung<br />

Abhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status<br />

kann sogar der Zugang zu medizinischer Versorgung<br />

stark eingeschränkt sein. So steht<br />

Personen im laufenden Asylverfahren und mit<br />

einer sogenannten Duldung lediglich eine medizinische<br />

Versorgung bei akuten und lebensbedrohlichen<br />

Krankheiten zu. Menschen ohne<br />

legalen Aufenthalt haben gar keinen Zugang.<br />

Meist unbemerkt, in einigen Städten auch of-<br />

fensiv leisten engagierte Ärzte und Kliniken in<br />

Kooperation mit Migrationsdiensten ehrenamtliche<br />

Hilfe.<br />

Konzepte von Gesundheit und Krankheit<br />

Die ethnomedizinische Forschung hebt die kulturelle<br />

Bedingtheit von Gesundheits- bzw.<br />

Krankheitskonzepten hervor. Konzepte von Gesundheit<br />

und Krankheit entwickeln sich nach<br />

den in einer Kultur dominierenden Medizin- und<br />

Glaubensvorstellungen, Traditionen und kulturellen<br />

Praktiken. Jeder Mensch wird durch die<br />

soziale Gruppe, in die er hineingeboren wird,<br />

geprägt (Moro, 2006). Eine an der Herkunftskultur<br />

orientierte Sichtweise kann stark von der<br />

westlichen Sicht von Krankheit oder Behinderung<br />

abweichen. Das jeweilige Laienverständnis<br />

von Ursachen und Entstehung von Krankheiten,<br />

der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden<br />

und das Vorbeugen von Krankheiten hat einen<br />

wesentlichen Einfluss auf den Umgang mit Erkrankungen<br />

und auf das Gesundheitsverhalten.<br />

Diese Laientheorien werden durch kulturelle,<br />

soziologische sowie migrationsspezifische Aspekte<br />

mitbestimmt und beeinflussen die Inanspruchnahme<br />

und Wirksamkeit medizinischer<br />

Versorgung (Bermejo, 2009).<br />

Leiden, seine Symptomatik und seine Klassifizierung<br />

werden durch die ganz unterschiedlichen<br />

Kontexte der Patienten geprägt. Daher<br />

kann auch die Diagnose nicht „kulturneutral“<br />

sein (Lydia Handke in Golsabahi et al., 2008).<br />

Vier Dimensionen<br />

Es gilt, offen dafür zu sein, dass der oder die<br />

andere anders sein könnte, als man denkt. Die<br />

beschriebenen Unterschiede lassen sich jedoch<br />

nicht eindimensional mit der nationalen<br />

oder ethnischen Zugehörigkeit einer Person<br />

verbinden. Neben gegenseitigen stereotypen<br />

Erwartungen und Vorurteilen mit „fremden“<br />

Kommunikationspartnern bilden weitere Dimensionen<br />

eine entscheidende Rolle. Das Modell<br />

von Georg Auernheimer (2002) dient zur<br />

Identifikation möglicher Störfaktoren (Abb. 1).<br />

Es beschreibt vier Dimensionen, die in der interkulturellen<br />

Kommunikation wirksam werden:<br />

1. Machtasymmetrie, 2. Kollektiverfahrung, 3.<br />

Fremdbilder und 4. differente Kulturmuster.<br />

Für das Ärzte- und Pflegepersonal ist es hilfreich,<br />

sich darüber bewusst zu werden, welche<br />

Rollenzuschreibungen sie erfahren und welche<br />

meist unbewussten Mechanismen und Bilder<br />

beide Kommunikationspartner beeinflussen.<br />

Die vier Dimensionen wirken in der jeweiligen<br />

Situation auf Erwartungen und Deutungen innerhalb<br />

der ärztlichen Beratung und Behandlung<br />

ein. Dies gilt sowohl für die Erwartungen<br />

und Deutungen seitens der Patienten zu ihren<br />

Behandlern als auch für die Zuschreibungen<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


und Interpretationen der Ärzte gegenüber ihren<br />

Patienten. Diese vier Dimensionen wirken auf<br />

den Interaktionsverlauf und das Verständnis des<br />

Gesprächs ein und beeinflussen sowohl die Diagnosestellung<br />

als auch den <strong>Therapie</strong>erfolg.<br />

1. Machtasymmetrie: Interkulturelle Beziehungen<br />

sind in der Regel durch Machtasymmetrien<br />

wie Status- und Rechtsungleichheit<br />

gekennzeichnet. Daraus resultiert eine Überlegenheit<br />

an Handlungsmöglichkeiten wie z.B.<br />

Zugang zu Informationen, Sprachkenntnisse,<br />

materielle Ressourcen, aber auch eine Überlegenheit<br />

im institutionell vorgegebenen Beziehungsgefüge<br />

im Verhältnis zwischen Arzt und<br />

Patient.<br />

2. Kollektiverfahrungen: Im Hintergrund der<br />

Kommunikation wirken außer historischen Kollektiverfahrungen<br />

(z.B. die koloniale Vergangenheit<br />

einiger Zuwanderergruppen) auch Diskriminierungserfahrungen<br />

des Einzelnen oder der<br />

Gruppe auf die Beziehungsebene der Kommunikationspartner.<br />

Angehörige diskriminierter<br />

Gruppen bringen möglicherweise ein generalisiertes<br />

Misstrauen mit in die Sprechstunde, das<br />

die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses<br />

erschwert. Sie können mit Rückzugsverhalten,<br />

aber auch mit hohen Erwartungen an die Dominanzkultur<br />

einhergehen. Angehörige der Mehrheitskultur<br />

reagieren darauf häufig paternalistisch<br />

durch kontrollierendes, überfürsorgliches<br />

Verhalten. Die Migranten werden nach stereotypen<br />

Bildern ethnisiert oder auch idealisiert.<br />

Meist wird jedoch die Problemursache der Minderheit<br />

zugeschoben und deren „mangelnder<br />

Anpassungsbereitschaft“ zugeschrieben.<br />

3. Fremdbilder: Fremdbilder basieren auf Kollektiverfahrungen<br />

sowie gesellschaftlich, politisch<br />

oder medial geprägten Bildern, so wie es<br />

im Ausland auch das Bild „des <strong>Deutsche</strong>n“ gibt.<br />

Verschiedene Studien stellen fest, dass Fremdbilder<br />

aus Anlass von Konflikten mit medialer<br />

Unterstützung sehr rasch zu Feindbildern gemacht<br />

werden können. Die gegenseitige Erwartungshaltung<br />

kann die individuelle Beziehung<br />

von vornherein belasten. Im günstigen Fall, das<br />

heißt in nicht allzu asymmetrischen Konstellationen,<br />

wird „kulturelle Identität ausgehandelt“. Von<br />

beiden Seiten werden in diesem Fall kulturelle<br />

Merkmale zur Disposition gestellt, die Fremdbilder<br />

können korrigiert werden.<br />

4. Kulturdifferenzen: Differente Kulturmuster<br />

beschreiben die kulturellen Codes, nach denen<br />

unser Alltagsleben organisiert ist. Gerade die<br />

Unreflektiertheit dieser Alltagsmuster kann bei<br />

interkulturellen Kontakten zu Irritationen und<br />

Konflikten führen. Dies gilt auch für nonverbale<br />

Ausdrucksformen wie Mimik und Gestik, Körperhaltung<br />

und die räumliche Distanz zwischen<br />

den Kommunikationspartnern. Viele Kommunikationsregeln<br />

erschließen sich dem Kulturneu-<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

Nach Auernheimer 00<br />

ling nicht von alleine, wenn sie nicht explizit<br />

gehandhabt werden (Auernheimer, 2008).<br />

Zugangsbarrieren zum<br />

Gesundheitswesen<br />

Aufseiten der Migranten tragen fehlende Kontakte<br />

zu <strong>Deutsche</strong>n, Sprachprobleme und<br />

mangelnde Kenntnisse des Gesundheitssystems<br />

dazu bei, dass die Dienste der Gesundheitsversorgung<br />

nur wenig in Anspruch genommen<br />

werden. Es bestehen hohe Defizite im<br />

Wissensstand bezüglich der Behandlungsmöglichkeiten<br />

und präventiven Angebote.<br />

In Bezug auf die versorgungsspezifischen<br />

Faktoren existieren Zugangsbarrieren für die<br />

Migranten, da sich die Angebote des Gesundheitswesens<br />

aufgrund mangelnder interkultureller<br />

Kompetenz der Fachkräfte in der Regel<br />

an den Bedürfnissen der Mehrheitsgesellschaft<br />

orientieren. So erreichen die Informationen über<br />

die zahlreichen vorhandenen Angebote die Migranten<br />

häufig nicht. Sie kennen die Versorgungsstrukturen<br />

nicht oder nur in Ansätzen, was dazu<br />

führt, dass eine medizinische Behandlung nicht<br />

rechtzeitig oder nur unvollständig in Anspruch<br />

genommen wird. Dies führt zu einem erhöhten<br />

zeitlichen, finanziellen und personellen Ressourcenaufwand<br />

in Form von Fehl- und Endlosdiagnosen,<br />

Chronifizierungen, verstärktem Einsatz<br />

invasiver <strong>Therapie</strong>maßnahmen oder häufigeren<br />

stationären Einweisungen (vgl. Lauderdale,<br />

2006, nach Bermejo et al., 2009).<br />

Häufiger Umgang mit Kommunikationsproblemen<br />

Die derzeitigen kommunikativen Lösungsansätze<br />

basieren häufig auf Zufälligkeiten. Mitgebrachte<br />

Kinder – teilweise sogar Grundschulkinder<br />

–, Verwandte oder Nachbarn werden<br />

Interkulturelle Kommunikation und PTBS<br />

zum Übersetzen hinzugezogen. Die Patienten<br />

haben jedoch eine hohe Hemmschwelle, sich<br />

bei der Anamnese den Angehörigen oder Bekannten<br />

gegenüber ehrlich zu offenbaren. Die<br />

Erfahrung zeigt, dass auch gut Deutsch sprechende<br />

Gefälligkeitsdolmetscher überfordert<br />

sind, medizinische Fachausdrücke und -inhalte<br />

zu übersetzen. „Schlechte“ Diagnosen werden<br />

aus Höflichkeit nur mangelhaft vermittelt.<br />

Manche Kliniken behelfen sich mit Listen von<br />

Sprachkenntnissen der Mitarbeitenden vom medizinischen<br />

Fachpersonal bis zur Reinigungskraft,<br />

die im Bedarfsfall zum Übersetzen herangezogen<br />

werden. Es hängt vom Zufall ab, ob die Personen<br />

in der Lage sind, die jeweiligen Inhalte fachgerecht<br />

zu vermitteln. Der Einsatz professioneller<br />

Dolmetscher scheitert oft aus Kostengründen,<br />

zudem erfüllen nur wenige von ihnen die besonderen<br />

Anforderungen im medizinischen Bereich<br />

oder verfügen über hinreichende soziokulturelle<br />

Vermittlungskompetenzen.<br />

Diese für alle Parteien unbefriedigende Situation<br />

führt zu erheblichen Mehrkosten, da aufgrund<br />

des Nichtverstehens Ärzte immer wieder<br />

gewechselt werden und die Behandlung wiederholt<br />

wird. Es kommt zu Mehrfachuntersuchungen,<br />

aber auch zu verspäteten und unangemessenen<br />

<strong>Therapie</strong>n. Im Ergebnis wird das Gesundheitswesen<br />

durch kosten- und zeitintensiven Mehraufwand<br />

zusätzlich belastet, ohne jedoch eine<br />

Verbesserung bei der Versorgung zu erzielen.<br />

Studie aus Schleswig-Holstein<br />

400 leitende Krankenhausärzt(e)/-innen, 400<br />

niedergelassene Ärzt(e)/-innen sowie circa 100<br />

Teilnehmer/-innen einer Fachtagung, die die Ärztekammer<br />

im Sommer 2001 durchgeführt hat,<br />

wurden gebeten, zu den Problemen bei der Versorgung<br />

ihrer ausländischen Patient(en)/-innen<br />

Abb. 1: Vier Dimensionen prägen den interkulturellen Interaktionsverlauf<br />

Machtasymmetrien Kulturdifferenzen<br />

Kollektiverfahrungen Fremdbilder<br />

Situationsdefinition<br />

Erwartungen und Deutungen<br />

Interaktionsverlauf


Interkulturelle Kommunikation und PTBS<br />

Stellung zu nehmen. 20% aller Befragten sahen<br />

erhebliche Verständigungsprobleme mit den<br />

meisten ihrer ausländischen Patient(en)/-innen.<br />

Weitere 60% erlebten dies noch bei jedem/jeder<br />

dritten Patient(en)/-in mit Migrationshintergrund.<br />

Die Hälfte der Ärzt(e)/-innen sah die Diagnostizierung<br />

und Behandlung hierdurch besonders<br />

erschwert und mit erhöhtem Aufwand verbunden.<br />

40% der Ärzt(e)/-innen erkennen die Wünsche<br />

der Patient(en)/-innen nicht und wichtige,<br />

die Anamnese betreffende Fakten werden verspätet<br />

bekannt. Aufgrund dieser Unzufriedenheit<br />

wünschten sich 40% der Befragten, auf Dolmetscher/-innen<br />

zurückgreifen und 22% in Kooperationen<br />

zu spezialisierten Diensten treten zu<br />

können, um damit auch den bestehenden hohen<br />

Anteil des Laiendolmetschens (75% aller Gespräche)<br />

eindämmen zu können (Gesundheit<br />

Berlin e.V. et al., 2007).<br />

Lösungsansätze für Fachpersonal<br />

Wünschenswert ist es, wenn mehr Menschen<br />

mit Migrationserfahrung Berufe innerhalb des<br />

Gesundheitswesens ergreifen. An einigen Universitäten<br />

wird das Thema Migration und Gesundheit<br />

bereits im Rahmen der ärztlichen Ausbildung<br />

behandelt, beispielsweise an der Universität<br />

Gießen. Hier können angehende Ärzte<br />

das Fach „Interdisziplinäre Aspekte der medizinischen<br />

Versorgung von Patienten mit Migrationshintergrund“<br />

belegen. Interessante Fortbildungen<br />

zu interkultureller Kompetenz im Gesundheitswesen<br />

und zu Diversity werden in<br />

größeren Städten angeboten und teilweise be-<br />

punktet. Der Einsatz von geschulten Sprach-<br />

und Kulturmittlern kann gefördert und gefordert<br />

werden.<br />

Die Rolle von Sprach- und Kulturmittlern<br />

In Dänemark ist der Einsatz von Sprach- und<br />

Kulturmittlern im Sozial- und Gesundheitswesen<br />

eine Selbstverständlichkeit. Jede Person,<br />

die nicht ausreichend Dänisch spricht, wird von<br />

geschulten Sprachmittlern zur ärztlichen Untersuchung<br />

begleitet.<br />

Aufgrund des hohen Bedarfs haben sich Initiativen<br />

gebildet, Sprach- und Integrationsmittler<br />

auszubilden und als Berufsbild anerkennen<br />

zu lassen. In dem bundesweit durchgeführten<br />

Equal-Projekt wurden Personen mit Migrationsgeschichte<br />

speziell für das Sozial- und Gesundheitswesen<br />

ausgebildet. Sie fungieren nicht<br />

„nur“ als Dolmetscher, sondern verfügen über<br />

ein notwendiges Grundlagenwissen sowie Fachtermini<br />

und sind in Kommunikationstechniken<br />

und soziokulturellen Vermittlungskompetenzen<br />

geschult. So können sie bei kommunikativen<br />

und inhaltlichen Missverständnissen rechtzeitig<br />

intervenieren.<br />

Gesundheitsmediatoren<br />

Weitere Projekte sowohl auf kommunaler Ebene<br />

als auch aus Landes-, Bundes- und EU-Mitteln<br />

fördern die interkulturelle Verständigung, um die<br />

gesellschaftliche Inklusion und Partizipation der<br />

zugewanderten Bevölkerung zu unterstützen.<br />

Dreijährige Ausbildungsgänge zum Sprach-<br />

und Integrationsmittler werden aktuell durch<br />

Zweitmeinungsverfahren vor operativen<br />

Eingriffen an der Wirbelsäule<br />

Operative Interventionen bei Kreuz- und Rückenschmerzen sollten kritisch hinterfragt<br />

werden, da sie oftmals nur zum Failed-Back-Surgery-Syndrom führen. Dies<br />

ermöglicht das neue bundesweite Versorgungskonzept zum Thema „Zweitmeinung<br />

vor operativen Eingriffen an der Wirbelsäule“ (IVZ), das die Integrative Managed<br />

Care GmbH (IMC) zusammen mit der Techniker Krankenkasse (TK) entwickelt hat.<br />

Zum 1.1 . 009 wurde ein entsprechender Vertrag zur integrierten Versorgung nach<br />

§§ 1 0a ff. SGB V abgeschlossen. Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, DGS-Vizepräsident,<br />

Nürnberg, und Harry Kletzko, IMC Oberursel, stellen das Konzept vor.<br />

Kreuz- und Rückenschmerzen gehören<br />

volkswirtschaftlich zu den teuersten Gesundheitsstörungen<br />

in den Industrienationen<br />

der westlichen Welt. Aktuellen Zahlen aus dem<br />

Jahr 2008 entsprechend verursachen Rückenschmerzpatienten<br />

im Alter von 18 bis 75 Jahren<br />

(ICD-10: M45–M54) allein in Deutschland<br />

Gesamtkosten in Höhe von jährlich 48,9 Milli-<br />

Organisationen wie die Bikup gGmbH und die<br />

Diakonie Wuppertal angeboten. Das Ethno-<br />

Medizinische Zentrum in Hannover entwickelte<br />

das bundesweite Projekt „MiMi – Mit Migranten<br />

für Migranten“. Gut integrierte Zuwanderer<br />

aus zahlreichen Sprachgruppen werden zu<br />

Gesundheitsmediatoren geschult. Sie bieten<br />

muttersprachliche Informationsveranstaltungen<br />

zum deutschen Gesundheitssystem an oder<br />

übersetzen in Krankenhäusern und Arztpraxen.<br />

Diese Ansätze und weitere Projekte und Initiativen<br />

tragen zur Verständigung zwischen dem<br />

Personal des Gesundheitswesens und den Patienten<br />

mit Migrationshintergrund bei.<br />

Fazit<br />

Interkulturelle Kommunikation erfordert die Bereitschaft,<br />

sich mit sich selbst und seinen kulturellen<br />

und biografischen Prägungen auseinanderzusetzen.<br />

Die Achtsamkeit für die eigene<br />

soziokulturelle Eingebundenheit und Vorsicht<br />

mit zu schnellen Bewertungen erleichtern die<br />

gegenseitige Wertschätzung und das Interesse<br />

an den (Krankheits-)Konzepten und Vorstellungen<br />

des anderen. Die Kommunikation stellt<br />

im interkulturellen Kontext eine besonders sensible<br />

Herausforderung dar, um eine vertrauensvolle<br />

Arzt-Patient-Beziehung aufbauen zu<br />

können. Geschulte Sprach- und Kulturmittler<br />

können hierbei Hilfestellung leisten und eine<br />

„Verständigungsbrücke“ zwischen Arzt und Patienten<br />

bilden. ■<br />

Michael Überall,<br />

Nürnberg<br />

Daniela Bröhl, Düsseldorf<br />

Harry Kletzko,<br />

Oberursel<br />

arden Euro, von denen über zwei Drittel durch<br />

indirekte Kosten verloren gehen.<br />

Erschwerend kommt hinzu, dass alle bisher<br />

ergriffenen medizinischen und gesundheitspo-<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


litischen Maßnahmen zur „Eindämmung dieser<br />

volkswirtschaftlichen Seuche“ das Problem an<br />

sich eher gefördert, denn reduziert haben und<br />

die bislang etablierten Konzepte der Regelversorgung<br />

zu einem nicht unerheblichen Teil<br />

Mitverantwortung an diesem Dilemma tragen.<br />

So ist die medizinische Versorgung (d.h. der<br />

Komplex bestehend aus Vorbeugung, Diagnostik,<br />

Behandlung und Rehabilitation) der meist<br />

funktionell bedingten bzw. durch psychologische,<br />

sozioökonomische, sozialrechtliche<br />

oder berufsbezogene Faktoren sowie durch<br />

Angst-Vermeidungs-Konflikte beeinflussten<br />

Kreuz-/Rückenschmerzen in Deutschland – je<br />

nach Behandlungskonzept – durch ein komplexes<br />

Muster von Über-, Unter- und Fehlversorgung<br />

gekennzeichnet.<br />

Operative Interventionen im Vormarsch<br />

Eine besondere Rolle spielen dabei operative<br />

Interventionen. Diese haben durch ein schulmedizinisch<br />

tradiertes, primär strukturorientiertes<br />

Krankheitsverständnis in Deutschland seit einigen<br />

Jahren zahlenmäßig nicht nur bei akuten,<br />

sondern zunehmend auch bei subakuten und<br />

insbesondere bei chronischen Rückenschmerzen<br />

überproportional an Bedeutung gewonnen.<br />

Hintergrund sind die – dank moderner<br />

bildgebender Verfahren – immer häufiger nachgewiesenen<br />

strukturellen Bandscheibenveränderungen,<br />

die als kausale Ursache der Beschwerden<br />

fehlidentifiziert werden, obwohl sie in<br />

der weitaus überwiegenden Anzahl der Fälle (je<br />

nach Studie und Alter der Betroffenen 50–90%!)<br />

allenfalls koinzidenzieller Natur sind.<br />

Konterkariert werden derartige monomodale<br />

Bemühungen zur Linderung subakuter und<br />

chronischer Kreuz-/Rückenschmerzen darüber<br />

hinaus durch den Umstand, dass infolge der<br />

Vielzahl operativer Interventionen mittlerweile<br />

ein neues iatrogenes Krankheitsbild an Bedeutung<br />

gewinnt (und dies zunehmend auch volkswirtschaftlich,<br />

da es extrem kostenintensiv ist):<br />

das Failed-Back-Surgery-Syndrom.<br />

Letztendlich muss festgehalten werden,<br />

dass nur bei sehr wenigen Menschen mit<br />

Kreuz-/Rückenschmerzen eine Operation sinnvoll<br />

und dringend erforderlich ist.<br />

Das Zweitmeinungskonzept<br />

Angesichts der zunehmenden Zahl operativer<br />

Interventionen ohne entsprechende Verbesserung<br />

der Patientenversorgung hat die Integrative<br />

Managed Care GmbH (IMC) zusammen<br />

mit der Techniker Krankenkasse (TK) ein bundesweites<br />

Konzept zum Thema „Zweitmeinung<br />

vor operativen Eingriffen an der Wirbelsäule“<br />

entwickelt und zum 1.12.2009 einen entsprechenden<br />

Vertrag zur integrierten Versorgung<br />

nach §§ 140a ff. SGB V abgeschlossen.<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

Ausgehend von dem definierten Beschwerdebild<br />

Kreuz-/Rückenschmerz erfolgt durch<br />

den behandelnden Arzt die Formulierung einer<br />

operativen Behandlungsbedürftigkeit. Für<br />

den Fall einer elektiven OP-Indikation kann der<br />

Patient anschließend a) direkt oder b) nach<br />

Überweisung durch seinen behandelnden Arzt<br />

oder c) nach einem Gespräch mit qualifizierten<br />

Mitarbeitern der TK (sog. Fallmanagern) – vor<br />

der eigentlichen stationären Aufnahme – das<br />

Zweitmeinungsverfahren in Anspruch nehmen.<br />

Er erhält dann auf Antrag binnen zweier Werktage<br />

einen Termin in einem der bundesweit<br />

verfügbaren IMC-Kompetenzzentren.<br />

Mehrstündige Evaluation<br />

Zentrales Element des Zweitmeinungsverfahrens<br />

ist die diagnostische Aufarbeitung des individuellen<br />

Einzelfalles im Rahmen einer mehrstündigen<br />

Evaluation. Dabei werden nicht nur<br />

der Patient und seine biologischen Beschwerden,<br />

sondern darüber hinaus auch alle krankheitsrelevanten<br />

psychologischen, sozioökonomischen,<br />

sozialrechtlichen und berufsbezogenen<br />

Faktoren sowie mögliche Angst-Vermeidungs-Konflikte<br />

durch ein hoch qualifiziertes<br />

interdisziplinäres Team analysiert, unter Verwendung<br />

standardisierter Verfahren und Instrumente<br />

dokumentiert sowie ggf. – in Ergänzung<br />

der bereits vorhandenen bzw. durchgeführten<br />

Untersuchungen – weitere Befunde erhoben.<br />

Abschließend wird mit dem Patienten die aktuelle<br />

Situation besprochen und die bereits gestellte<br />

OP-Indikation entweder a) bestätigt oder<br />

b) (für den Fall, dass diese infrage gestellt wurde)<br />

gemeinsam mit dem Betroffenen ein alternatives,<br />

auf die jeweiligen Erfordernisse des Einzelfalles<br />

individuell maßgeschneidertes multimodales Behandlungskonzept<br />

entwickelt, über welches der<br />

einweisende Arzt ausführlich informiert wird und<br />

welches dann entweder a) im Rahmen der Regelversorgung<br />

oder b) im Rahmen spezieller (z.B.<br />

integrierter) Versorgungskonzepte realisiert wird.<br />

Der Prozessalgorithmus des<br />

Zweitmeinungsverfahrens<br />

Die im Rahmen des Zweitmeinungsverfahrens<br />

zu klärenden Fragen und Probleme sowie die<br />

© Andrea Schiffner/fotolia.com<br />

Integrierte Versorgung<br />

Kreuz- und Rückenschmerzen gelten als<br />

volkswirtschaftliche Seuche.<br />

zugehörigen Prozesse finden sich in Abbildung 1<br />

(S. 8) und werden nachfolgend kurz zusammengefasst:<br />

1. Bedarf der Patient zur Linderung seiner Beschwerden<br />

einer operativen Intervention? Klärung<br />

durch den behandelnden Arzt; wenn „Ja“,<br />

dann weiter mit Schritt 2; wenn „Nein“, dann<br />

Betreuung im Rahmen der Regelversorgung.<br />

2. Ist der stationäre Behandlungsbedarf „notfallartig“,<br />

d.h. verbietet sich aus medizinischen<br />

Gründen, z.B. aufgrund des Vorliegens von „red/<br />

orange flags“, jegliche zeitliche Verzögerung der<br />

stationären Aufnahme? Klärung durch den behandelnden<br />

Arzt; wenn „Ja“, dann unmittelbare<br />

stationäre Einweisung; wenn „Nein“, dann zeit-<br />

Rückenschmerz und Wirbelsäulenveränderung<br />

Untersuchungen an Personen ohne Rückenschmerzen ergaben, dass bei etwa 30% der 30-Jährigen und<br />

bei über 60% der Menschen, die älter als 50 Jahre sind, radiologisch „pathologische Veränderungen“<br />

im Wirbelsäulenbereich (z.B. degenerative Veränderungen der Bandscheiben sowie sog. Bandscheibenvorfälle)<br />

ohne entsprechendes klinisches Korrelat nachgewiesen werden können. Studien konnten mittlerweile<br />

nachweisen, dass die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens entsprechende Verschleißerscheinungen<br />

(teilweise mit Einengungen des Wirbelkanals, sog. Spinalstenosen) ohne begleitende<br />

<strong>Schmerz</strong>en entwickeln, während es umgekehrt zahlreiche Patienten mit heftigsten Kreuz-/Rückenschmerzen<br />

gibt, die keine strukturellen Veränderungen der Wirbelsäule aufweisen.


Integrierte Versorgung<br />

Abb. 1: Übersicht über die wesentlichen Entscheidungsschritte im Rahmen des<br />

Zweitmeinungsverfahrens IVZ<br />

1<br />

2<br />

Triage<br />

Operative<br />

<strong>Therapie</strong><br />

indiziert?<br />

J<br />

Notfallsituation?<br />

J<br />

Krankenhaus<br />

N<br />

N<br />

Patient<br />

mit<br />

Kreuz-/Rückenschmerzen<br />

Arzt<br />

Regel-<br />

versorgung<br />

Zweit-<br />

meinungs-<br />

verfahren<br />

nahe Vorstellung (binnen zwei Arbeitstagen)<br />

beim jeweils zuständigen IMC-Kompetenzzentrum.<br />

3. Bedarf der Patient zur Linderung seiner Beschwerden<br />

einer operativen Behandlung, oder<br />

bestehen sinnvolle konservative Versorgungsalternativen<br />

im Rahmen der Regelversorgung<br />

oder im Rahmen spezieller (z.B. integrierter)<br />

Versorgungskonzepte? Klärung durch das<br />

IMC-Kompetenzzentrum im Rahmen eines interdisziplinären<br />

Screenings unter Einbeziehung<br />

eines algesiologischen Expertenteams<br />

bestehend aus <strong>Schmerz</strong>-, Psycho- und Physiotherapeut;<br />

wenn „Ja“, dann unmittelbare stationäre<br />

Einweisung; wenn „Nein“, dann weiter<br />

mit Schritt 4.<br />

4. Können die Beschwerden des Patienten im<br />

Rahmen der Regelversorgung ausreichend<br />

behandelt werden? Klärung durch das IMC-<br />

Kompetenzzentrum; wenn „Ja“, dann Formulierung<br />

einer schriftlichen Behandlungsempfehlung<br />

für den behandelnden Arzt und Umsetzung<br />

der entsprechenden medizinischen Betreuung<br />

im Rahmen der Regelversorgung;<br />

wenn „Nein“, dann weiter mit Schritt 5.<br />

Behandlungs-<br />

empfehlung<br />

3<br />

Operative<br />

<strong>Therapie</strong><br />

indiziert?<br />

N<br />

J<br />

4<br />

Regelversorgung?<br />

N<br />

5<br />

Alternatives<br />

Behandlungskonzept<br />

N<br />

J<br />

verfügbar?<br />

J<br />

z.B. IVR/S<br />

J<br />

6<br />

Zustimmung<br />

der Kasse?<br />

5. Verfügt die Krankenkasse über ein geeignetes<br />

alternatives Behandlungskonzept (z.B.<br />

einen integrierten Versorgungsvertrag nach §§<br />

140a ff. SGB V)? Klärung durch IMC-Ärzte-<br />

Netz; wenn „Ja“, dann weiter mit Schritt 6;<br />

wenn „Nein“, dann ambulante/stationäre Betreuung<br />

des Patienten entsprechend der Regelversorgung.<br />

6. Stimmt die Krankenkasse einer Behandlung<br />

des Patienten im Rahmen eines bestehenden<br />

alternativen Behandlungskonzeptes zu? Klärung<br />

durch Case-Manager der Krankenkasse;<br />

wenn „Ja“, dann Zuweisung durch Fallmanager;<br />

wenn „Nein“, dann ambulante/stationäre<br />

Betreuung des Patienten entsprechend der<br />

Regelversorgung.<br />

Wesentliche Voraussetzung für die kontinuierliche<br />

Qualitätssicherung der Ergebnisqualität<br />

ist die Verwendung geeigneter, standardisierter<br />

Dokumentationsinstrumente sowie<br />

entsprechende Verfahren der dezentralen Datenerfassung<br />

und der zentralen Datenanalyse.<br />

Zentraler Baustein sind hier die validierten<br />

Dokumentationsinstrumente der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> (DGS) (der<br />

N<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>fragebogen und das <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Schmerz</strong>tagebuch), welche die Basis für<br />

eine patientengerechte und standardisierte<br />

Dokumentation aller verfahrensrelevanten Informationen<br />

erlauben.<br />

Durch die kontinuierliche Projektevaluation<br />

durch ein externes wissenschaftliches Institut<br />

(IQUISP), regelmäßige Verlaufskontrollen und<br />

Treffen entsprechender Projektgruppen wird<br />

ein Höchstmaß an Qualitätssicherung und<br />

Projekttransparenz gewährleistet.<br />

Langzeit-/Follow-up-Evaluationen – auch<br />

unter Einbeziehung kassenspezifischer Daten<br />

– sowie gruppenspezifische Vergleichsanalysen<br />

(z.B. von Patienten mit vergleichbaren<br />

Ausgangsbefunden, jedoch unterschiedlichen<br />

Behandlungsverläufen) bilden im Verlauf des<br />

Projektes die Grundlage regelmäßiger Effizienzanalysen.<br />

In welchem Maße das vorliegende Versorgungsangebot<br />

seitens der beteiligten Projektpartner<br />

– insbesondere der selbst betroffenen<br />

Patienten – genutzt wird, bleibt abzuwarten.<br />

Die aktuellen gesundheitspolitischen Entwicklungen<br />

und das sich langsam, jedoch beständig<br />

verändernde Rollenverständnis von Arzt<br />

und Patienten (weg von einer aufseiten der<br />

Patienten meist durch Passivität gekennzeichneten,<br />

primär paternalistischen Abhängigkeitsbeziehung<br />

hin zu einem partizipierenden Miteinander)<br />

sind die entscheidenden Perspektiven,<br />

auf denen dieses Konzept beruht.<br />

Umsetzbar bei 66%?<br />

Umfragen unter Betroffenen belegen, dass<br />

rund zwei Drittel aller gesetzlich Versicherten<br />

(z.B. im Fall eines anstehenden größeren operativen<br />

Eingriffs) durchaus bereit wären, eine<br />

kompetente Zweitmeinung einzuholen, auch<br />

wenn dadurch unter Umständen die Empfehlungen<br />

ihres primär zuständigen Haus-/Facharztes<br />

infrage gestellt werden. Somit spielen<br />

bei der Umsetzbarkeit des vorliegenden Konzeptes<br />

nicht nur die Patienten, sondern insbesondere<br />

auch das Rollenverständnis der beteiligten<br />

ärztlichen Akteure eine entscheidende<br />

Rolle. ■<br />

Michael Überall, Nürnberg<br />

Harry Kletzko, Oberursel<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


Spezialisierte ambulante Palliativ-<br />

versorgung ergänzt den Hospizdienst<br />

Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) ist die hoch qualifizierte Ergänzung zum ehrenamtlich<br />

getragenen Hospizdienst. Das SAPV bedeutet aber keineswegs den Tod des Ehrenamtes, erläutert<br />

Thomas Sitte, DGS-Leiter und Palliativmediziner aus Fulda.<br />

Auf Grundlagen besinnen<br />

In der Jesuitenzeitschrift „Stimmen der<br />

Zeit“ 6/2009 schreibt Prof. Lob-Hüdepohl<br />

im Artikel „Bedrohtes Sterben“ von<br />

der „maximaltherapeutischen Versorgung<br />

einer Höchstleistungsapparatemedizin,<br />

die den Körper des Sterbenden<br />

zum bloßen Reaktor technischer Artefakte<br />

degradiert“. Mit der SAPV haben wir<br />

die Chance, uns wieder auf die Grundlagen<br />

medizinischer Arbeit als Leib- und<br />

Seelsorger zu besinnen. Ich wünsche uns<br />

allen, dass wir nicht die Freude an der<br />

menschlichsten und vielleicht auch ärztlichsten<br />

aller Arbeiten verlieren, sondern<br />

dass es gelingt, die Palliativversorgung –<br />

sei es ambulant oder stationär, allgemein<br />

oder spezialisiert – als einen Beitrag<br />

zur „ars diminuendi, also Kunst der<br />

allmählichen Zurücknahme aus dem<br />

aktiven Leben“ (gleiche Quelle) für die<br />

Patienten zu praktizieren.<br />

Ü ber<br />

Jahrhunderte hinweg war es ärztliches<br />

Denken, sich von Patient und Angehörigen<br />

zurückzuziehen, wenn der Arzt glaubte,<br />

dass Heilung nicht mehr möglich, der Tod nahe<br />

sein könnte. Das heißt, die „Professionellen“<br />

überließen die Patienten – auch mit allen ihren<br />

körperlichen Beschwerden – der Nächstenliebe<br />

von Klöstern, Hospizen, Sterbehäusern.<br />

Diese Laienbewegung war entfernt vergleichbar<br />

mit der ehrenamtlichen Hospizbewegung<br />

von heute. Ein bekanntes Beispiel eines solchen<br />

tätigen „bürgerschaftlichen“ Engagements<br />

war zum Beispiel die später heilig gesprochene<br />

Elisabeth von Thüringen (*1207, † 1231), die in<br />

Erfurt und später in Marburg Ausgegrenzte und<br />

Schwerstkranke versorgte.<br />

Das änderte sich eingangs des 19. Jahrhunderts.<br />

Hufeland veröffentlichte damals<br />

seine breite Abhandlung über „Die Verhältnisse<br />

des Arztes“ 1806 im „Neuen Journal der<br />

Practischen Arzneikunde und Wundarzneiwis-<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

© Bildarchiv Urban & Vogel<br />

senschaft“: „Selbst im Tode soll der Arzt den<br />

Kranken nicht verlassen, noch da kann er sein<br />

großer Wohlthäter werden, und, wenn er ihn<br />

nicht retten kann, wenigstens sein Sterben erleichtern.“<br />

Ein lesenswertes Plädoyer für eine<br />

Medizin der Menschlichkeit, jenseits profitorientierter<br />

Technisierung, so könnte man heute<br />

sagen.<br />

Palliativmedizin<br />

Thomas Sitte,<br />

Fulda<br />

Ehrenamtliches Hospiz<br />

In den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts<br />

entstand neben dieser kleinen Zahl von Ärzten<br />

eine breiter werdende Bewegung mit engagierten<br />

Laien im Hospizdienst. Über Jahrzehnte<br />

haben sich Hausärzte und auch schmerztherapeutisch<br />

tätige Ärzte mehr neben als mit den<br />

ambulanten Hospizdiensten um die Versorgung<br />

Integrierung der SAPV in die Hospizarbeit<br />

Schritt 1: Informelles Gespräch der verschiedenen Leistungserbringer zum Kennenlernen und<br />

zum Austausch von Wünschen, Zielen usw.<br />

Schritt 2: Verbindliche Qualitätszirkel: Interdisziplinär angelegt sind sie die Grundlage der<br />

beginnenden Teamarbeit. Dort werden Haltungen besprochen, Sachfragen diskutiert, Patienten<br />

vorgestellt.<br />

Schritt 3: Informelle Kooperation am Patienten: In kleiner Anzahl können Patienten auch<br />

ohne (SAPV-)Verträge und Honorar auf hohem Niveau palliativ begleitet werden. Beide Seiten<br />

haben ohnehin Patienten in Betreuung. Wenn man sich kennt und schätzt, wird man sich<br />

auch einbinden.<br />

Schritt 4: Verbindliche, langfristige Kooperation und SAPV-Verträge: Wenn Leistungserbringer<br />

SAPV-Verträge abgeschlossen haben, müssen sie Hospizdienste verbindlich in die Versorgung<br />

integrieren. Allen Beteiligten erleichtert es die Arbeit, oft wird sie überhaupt erst dadurch<br />

stabil möglich.


Palliativmedizin<br />

SAPV-Verträge nach § 132d SGB V dürfen ambulante Hospizdienste<br />

nicht mitfinanzieren!<br />

Diese Zuwendungen werden wieder bei der öffentlichen Förderung des AHD abgezogen. Aber<br />

Spenden und ideelle Unterstützung sind natürlich möglich und haben eine große Bedeutung.<br />

Schwerstkranker und Sterbender gekümmert.<br />

Die Hospizler taten dies im Selbstverständnis<br />

des Ehrenamtes mit gewisser Unterstützung<br />

durch die öffentliche Hand und sehr unterschiedlichen<br />

finanziellen Möglichkeiten.<br />

Initial ehrenamtliche ärztliche Betreuung<br />

Aber auch die Ärzte arbeiteten quasi „ehrenamtlich<br />

hauptamtlich“. Sicher wird ein Kassenhonorar<br />

gezahlt. Das deckt aber in der Realität<br />

kaum die Fahrkosten ab. Warum engagieren<br />

sich so viele Menschen trotzdem in so großem<br />

Maße? Es gibt wohl nur wenige Tätigkeiten im<br />

heutigen „Gesundheitsbetrieb“, die letztlich für<br />

alle beteiligten Leistungserbringer ein so tiefes<br />

Gefühl an Zufriedenheit mit der Arbeit bringen<br />

können wie eine gute Begleitung zu Hause am<br />

Lebensende zusammen mit einem Team für<br />

den Sterbenden und seine Angehörigen. Uns<br />

allen gelang es gemeinsam auf diese Weise,<br />

ohne Geld Vieles zu bewegen, was allein nicht<br />

möglich gewesen wäre.<br />

SAPV schafft Geldregen<br />

Nun prasselt jedes Jahr ein (theoretischer)<br />

Hunderte-Millionen-Euro-Regen auf diese palliativ<br />

aktiven Ärzte und Pflegenden herab. Und<br />

was geschieht? Zunächst jahrelang nichts.<br />

Geld zerstört bürgerschaftliches Engagement!<br />

Ein interessantes Phänomen, das im Januar<br />

2008 unter dem Titel „Money and the Changing<br />

Culture of Medicine“ im New England Journal<br />

of Medicine beschrieben wurde. Dazu werden<br />

plötzlich die rein ehrenamtlich ausgerichteten<br />

Hospizdienste in der öffentlichen Wahrnehmung<br />

unwichtiger, obwohl deren Position doch<br />

eigentlich auch gestärkt werden sollte.<br />

Solange keine solide und finanziell langfristig<br />

abgesicherte Struktur geschaffen wurde, hielt<br />

sich meistenorts die Zahl der zu versorgenden<br />

Patienten in Grenzen. Nun zeichnet es sich<br />

mit großer Verzögerung doch deutschlandweit<br />

endlich ab, dass der Anspruch der Versicherten<br />

auf die Leistungen nach der Spezialisierten<br />

Ambulanten Palliativversorgung (SAPV) nach<br />

§ 132d SGB V allmählich vertraglich in voneinander<br />

sehr verschiedenen Modellen umgesetzt<br />

wird.<br />

SAPV wird Geschäftsmodell<br />

Dies hat unerwartete Folgen:<br />

■ Nach dem Verhandlungs- steigt der Verwaltungsaufwand<br />

immens an.<br />

■ Früher kooperierte man formlos, berufsübergreifend<br />

für die Patientenversorgung, jetzt<br />

benötigen wir neu zu verhandelnde Kooperationsverträge.<br />

■ Kooperationen müssen zeitaufwendig gepflegt<br />

werden.<br />

■ Die Patientenzahlen steigen stark an.<br />

■ Der Personalbedarf steigt entsprechend.<br />

■ Das notwendige Budget erreicht neue Hö-<br />

hen.<br />

■ SAPV wird von der mitmenschlichen Versorgung<br />

zum Geschäftsmodell.<br />

Für manche kleine, feine, fachlich hochkompetente<br />

Kooperation mag dies der Todesstoß<br />

sein. Das war sicher nie beabsichtigt, ist aber<br />

systemimmanent, da mit der Gesetzesgrundlage<br />

des GKV-WSG bewusst der Wettbewerb in<br />

der medizinischen Versorgung gefördert werden<br />

sollte. Leider wurde nicht bedacht, dass<br />

gerade die Palliativversorgung dazu denkbar<br />

ungeeignet ist.<br />

Welche Konsequenzen hat dies?<br />

Nötig ist der Aufbau ausreichend großer Strukturen,<br />

die sich in den angestrebten Patientenzahlen<br />

auch nicht übernehmen sollten. SAPV-<br />

Teams sind hauptamtlich und weit überwiegend<br />

in SAPV tätig, nicht nur nebenher. Die ambulanten<br />

Hospizdienste (AHD) müssen immer fest<br />

und kooperativ in die Versorgung von Patienten<br />

eingebunden sein. Dabei braucht nicht jeder<br />

SAPV-Patient den AHD, nicht jeder vom AHD<br />

betreute Patient benötigt SAPV. Es muss noch<br />

mehr Zeit ins Netz investiert werden. Dies bereitet<br />

immer mehr Mühe, je besser sich die<br />

Versorgungsqualität herumspricht und je mehr<br />

Patienten dadurch versorgt werden wollen.<br />

Das Fazit lautet: SAPV ohne Hospizdienst<br />

ist nicht möglich! Aber: Die Arbeit der ambulanten<br />

Hospizdienste muss weiterhin ehrenamtlich<br />

getragen bleiben. Sonst verlöre die<br />

Hospizarbeit die Grundlage der eigenen Haltung<br />

und es müsste letztlich die Berechtigung<br />

der Hospizarbeit hinterfragt werden. Denn<br />

dann ginge sie in der professionalisierten ambulanten<br />

Palliativversorgung auf. Wenn es aber<br />

zu einer gut eingespielten Kooperation kommt,<br />

dann gilt: SAPV ist die perfekte Ergänzung zur<br />

Hospizarbeit! ■<br />

Thomas Sitte, Fulda<br />

Impressum<br />

Organ der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

Herausgeber<br />

Gerhard H. H. Müller-Schwefe,<br />

Schillerplatz 8/1, D-73033<br />

Göppingen; Tel. 07161/976476, Fax 07161/976477<br />

E-Mail: gp@dgschmerztherapie.de<br />

Schriftleitung<br />

Thomas Cegla, Wuppertal; Oliver Emrich, Ludwigshafen; Klaus<br />

Johannes Horlemann, Kevelaer; Uwe Junker, Remscheid; Stephanie<br />

Kraus (verantw.), Stephanskirchen, Tel.: 08036/1031; Michael<br />

Überall, Nürnberg<br />

Beirat<br />

Christoph Baerwald, Leipzig; Wolfgang Bartel, Halberstadt; Heinz-<br />

Dieter Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus Borchert,<br />

Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Ingunde Fischer, Halle;<br />

Gideon Franck, Fulda; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut Göbel,<br />

Kiel; Olaf Günther, Magdeburg; Winfried Hoerster, Gießen; Stein<br />

Husebø, Bergen; Uwe Kern, Wiesbaden; Edwin Klaus, Würzburg;<br />

Eberhard Klaschik, Bonn; Lothar Klimpel, Speyer; Bruno Kniesel,<br />

Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann, Wangen;<br />

Michael Küster, Bad Godesberg-Bonn; Klaus Längler, Erkelenz;<br />

Peter Lotz, Bad Lippspringe; Eberhard A. Lux, Lünen; Christoph<br />

Müller-Busch, Berlin; Joachim Nadstawek, Bonn; Thomas Nolte,<br />

Wiesbaden; Robert Reining, Passau; Robert F. Schmidt, Würzburg;<br />

Günter Schütze, Iserlohn; Harald Schweim, Bonn; Hanne<br />

Seemann, Heidelberg; Ralph Spintge, Lüdenscheid; Birgit Steinhauer,<br />

Limburg; Roland Wörz, Bad Schönborn; Walter Zieglgänsberger,<br />

München; Manfred Zimmermann, Heidelberg<br />

In Zusammenarbeit mit: <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für Algesiologie<br />

– <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für <strong>Schmerz</strong>forschung und <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>;<br />

<strong>Deutsche</strong> Akademie für Algesiologie – Institut für<br />

schmerztherapeutische Fort- und Weiterbildung; <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> für interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.; <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Schmerz</strong>liga e.V. (DSL); <strong>Gesellschaft</strong> für algesiologische<br />

Fortbildung mbH (gaf mbH); Gesamtdeutsche <strong>Gesellschaft</strong> für<br />

Manuelle Medizin e.V. (GGMM); Institut für Qualitätssicherung<br />

in <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Palliativmedizin (IQUISP); Berufsverband<br />

der <strong>Schmerz</strong>therapeuten in Deutschland e.V. (BVSD).<br />

Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung erwirbt<br />

der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere das Recht der<br />

weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen Zwecken mithilfe<br />

fotomechanischer oder anderer Verfahren. Die Zeitschrift sowie<br />

alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind<br />

urheberrechtlich geschützt.<br />

Hinweis: Die in dieser Zeitschrift angegebenen Dosierungen<br />

– vor allem von Neuzulassungen – sollten in jedem Fall mit dem<br />

Beipackzettel der verwendeten Medikamente verglichen werden.<br />

Bezugspreis: Einzelheft 12,– Euro; Abonnement für 4 Ausgaben<br />

pro Jahr 40,– Euro (zzgl. Versand, inkl. MwSt.). Der Mitgliedsbeitrag<br />

der DGS schließt den Bezugspreis der Zeitschrift mit ein.<br />

Die Zeitschrift erscheint im 26. Jahrgang.<br />

Verlag: Springer Medizin © Urban & Vogel GmbH, München,<br />

März <strong>2010</strong><br />

Leitung Corporate Publishing: Dr. Ulrike Fortmüller<br />

(verantw.)<br />

Redaktion: Dr. Elke Thomazo<br />

Herstellung/Layout: Maren Krapp<br />

Druck: Stürtz GmbH, Würzburg<br />

Titelbild: © panthermedia.net/Monkeybusiness Images<br />

Inhaber- und Beteiligungsverhältnisse<br />

Die Urban & Vogel GmbH ist 100%ige Tochtergesellschaft<br />

der Springer Medizin-Verlag GmbH, Heidelberg. Die alleinige<br />

<strong>Gesellschaft</strong>erin der Springer Medizin Verlag GmbH ist die<br />

Springer-Verlag GmbH mit einer Beteiligung von 100%. Die<br />

Springer-Verlag GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft<br />

der Springer Science + Business Media Deutschland GmbH. Die<br />

alleinige <strong>Gesellschaft</strong>erin der Springer Science + Business Media<br />

Deutschland GmbH ist die Springer Science + Business Media<br />

Netherlands B.V., die 100% der Anteile hält. Die Springer Science<br />

+ Business Media Netherlands B.V. ist eine 100%ige Tochtergesellschaft<br />

der Springer Science + Business Media Finance<br />

S.àR.L. Die Springer Science+Business Media Finance S.àR.L. ist<br />

eine 100%ige Tochter der Springer Science+Business Media S.A.<br />

10 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


Honorarreform 2009 – ein Abrechnungsdesaster?<br />

Seit der Honorarreform 2009 und der damit verbundenen Einführung individueller<br />

Regelleistungsvolumina (vgl. <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> Nr. 4/2008, S. 3–4) sind vier Quartale<br />

vergangen. Die Befürchtungen haben sich bestätigt. Die individuellen Regelleistungsvolumina<br />

haben vielen Ärzten hohe finanzielle Einbußen gebracht. Dies ist für<br />

Dr. Ralf Clement, Rechtsanwälte Ratajczak & Partner, Sindelfingen, Anlass, einige<br />

der aufgetretenen Probleme näher zu beleuchten sowie auf die im Laufe des Jahres<br />

neu hinzugekommenen Regelungen hinzuweisen.<br />

V iele<br />

haben bereits im Vorfeld davor gewarnt<br />

und es kam wie befürchtet. Die<br />

Einführung der arztindividuellen Regelleistungsvolumina<br />

(RLV) hat zu Verwerfungen im<br />

System der vertragsärztlichen Versorgung geführt,<br />

die auch nach vier Quartalen noch nicht<br />

annähernd wieder bereinigt sind. Die Komplexität<br />

der vertragsärztlichen Honorarverteilung<br />

hat mit der Honorarreform 2009 ein Ausmaß<br />

erreicht, mit dem die Leistungsfähigkeit der<br />

Beteiligten weit über die Grenzen hinaus beansprucht<br />

wird.<br />

Den rechtlichen Rahmen für die Einführung<br />

der arztindividuellen Regelleistungsvolumina<br />

(RLV) setzt der Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses<br />

vom 27. und 28. August<br />

2008, der insbesondere durch den Beschluss<br />

vom 27.02.2009 zur Einführung der Konvergenzphase<br />

und den Beschluss vom 20.04.2009<br />

zur Änderung der Berechnung des RLV bei Berufsausübungsgemeinschaften<br />

ergänzt wurde.<br />

Die Umsetzung der maßgeblichen Beschlüsse<br />

des Bewertungsausschusses erfolgte durch<br />

die Partner der Gesamtverträge auf KV-Ebene,<br />

d.h. auf Länderebene im Rahmen der<br />

Honorarverteilungsverträge (HVV) mit zum<br />

Teil sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Der<br />

nachfolgende Beitrag greift einige allgemeine<br />

Problemstellungen heraus.<br />

Berechnung der RLV problematisch<br />

Es fing damit an, dass gemäß dem Beschluss<br />

des Erweiterten Bewertungsausschusses vom<br />

27. und 28. August 2008 bei der Berechnung der<br />

Regelleistungsvolumina (RLV) zunächst nicht<br />

auf die Zahl der Behandlungsfälle, sondern auf<br />

die Zahl der Arztfälle abgestellt wurde. Hierdurch<br />

erhielten Gemeinschaftspraxen zwei oder<br />

mehr Arztfälle, wenn mehr als ein Arzt an der<br />

Behandlung des Patienten beteiligt war. Der<br />

damit bedingte Anstieg der Arztfälle insgesamt<br />

musste zu einem Absinken der Fallwerte zulasten<br />

von Einzelpraxen führen. Bereits bei der<br />

Festlegung der RLV für das erste Quartal 2009<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

© Igor Zakowski/shutterstock.com<br />

wurde diese zu erwartende Entwicklung von<br />

einzelnen KVen prospektiv berücksichtigt bzw.<br />

kam es zu Fehlern bei der Berechnung der Fallwerte,<br />

sodass die Fallwerte teilweise erheblich<br />

zu niedrig ausfielen. Der Bewertungsausschuss<br />

hat die Regelungen zur Berechnung der RLV<br />

daraufhin mit Wirkung zum 01.07.2009 korrigiert;<br />

maßgeblich ist seit dem 01.07.2009 auch<br />

in Berufsausübungsgemeinschaften ausschließlich<br />

die Zahl der Behandlungsfälle. Dafür erhalten<br />

fach- und schwerpunktgleiche Berufsausübungsgemeinschaften<br />

einen Aufschlag in<br />

Höhe von 10% und fach- und schwerpunktübergreifende<br />

Berufsausübungsgemeinschaften in<br />

Höhe von 5% je Arztgruppe bzw. Schwerpunkt,<br />

maximal jedoch 40%, auf ihr RLV. Für die Quartale<br />

1 und 2/2009 lohnt sich ggf. eine Überprüfung,<br />

ob die KV Fehler bei der Berechnung der<br />

RLV bereits von sich aus korrigiert hat; andernfalls<br />

sollten die Betroffenen Fehler im Rahmen<br />

der Widerspruchsverfahren gegen die RLV-Bescheide<br />

klären lassen.<br />

Ralf Clement,<br />

Sindelfingen<br />

Medizin und Recht<br />

Ausnahme- und Konvergenzregelungen<br />

Zu erheblichen Honorarverwerfungen kam<br />

und kommt es auch zwischen den jeweiligen<br />

Fachgruppen und selbst innerhalb der Fachgruppen<br />

zwischen einzelnen Praxen; Honorarverluste<br />

bis zu 50% und mehr, aber auch entsprechende<br />

Honorarzuwächse sind dabei<br />

keine Einzelfälle. Die Vorgaben des Bewertungsausschusses<br />

zur Berechnung der arzt-<br />

und praxisbezogenen RLV sehen in Teil F<br />

selbst Kriterien für die arztindividuelle Anpassung<br />

der RLV vor, deren nähere Ausgestaltung<br />

in den HVVen erfolgt. Ausnahmeregelungen<br />

sind vorgesehen bei einer außergewöhnlich<br />

starken Erhöhung der Zahl der behandelten<br />

Versicherten bzw. einer unverschuldet außergewöhnlich<br />

niedrigen Fallzahl im Referenzquartal<br />

(Punkt 3.4), bei Praxisbesonderheiten,<br />

insbesondere bei einer für die Versorgung bedeutsamen<br />

fachlichen Spezialisierung (Punkt<br />

3.6) und zum Ausgleich überproportionaler<br />

Honorarverluste, insbesondere bei einem Ho-<br />

11


Medizin und Recht<br />

norarrückgang um mehr als 15% gegenüber<br />

dem Vorjahresquartal (Punkt 3.7). Zusätzlich<br />

hat der Erweiterte Bewertungsausschuss mit<br />

Beschluss vom 27.02.2009 den Partnern der<br />

Gesamtverträge auf KV-Ebene die Möglichkeit<br />

eingeräumt, zur Vermeidung von überproportionalen<br />

Honorarverlusten und zur Sicherung<br />

der flächendeckenden Versorgung mit vertragsärztlichen<br />

Leistungen – zunächst zeitlich<br />

begrenzt bis zum 31.12.<strong>2010</strong> – ein Verfahren<br />

zur schrittweisen Anpassung der RLV zu beschließen:<br />

die sogenannten Konvergenzregelungen.<br />

Bislang haben davon jedoch nur einige<br />

wenige KVen Gebrauch gemacht. In Baden-<br />

Württemberg z.B. werden die Honorare derzeit<br />

auf 95% des Vorjahresquartals gestützt; soweit<br />

im Rahmen der Konvergenzregelung<br />

gleichzeitig auch Honorarzuwächse begrenzt<br />

werden, bestehen allerdings Zweifel, ob dies<br />

von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist.<br />

Unabhängig davon, ob der eigene HVV eine<br />

Konvergenzregelung vorsieht oder nicht, lohnt<br />

es sich zu prüfen, ob nicht einer der praxisindividuellen<br />

Ausnahmetatbestände vorliegen<br />

könnte, der zu einem unmittelbaren Anspruch<br />

auf Erhöhung des RLV führt. Die Vorgehensweise<br />

z.B. der KV Baden-Württemberg, Anträge<br />

auf Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten<br />

bzw. Anhebung des RLV pauschal unter<br />

Hinweis auf die bestehende Konvergenzregelung<br />

zurückzuweisen, ist unzulässig.<br />

Fehlerhafte RLV-Bescheide<br />

Generell gilt, dass sowohl die RLV-Bescheide<br />

als auch die darauf basierenden Honorarbescheide<br />

eine sehr hohe Fehlerquote aufweisen.<br />

Es ist daher unbedingt notwendig, die der Be-<br />

rechnung zugrunde liegenden Zahlen, insbesondere<br />

die Fallzahlen und Fallwerte einschließlich<br />

etwaiger Zuschläge, genau zu<br />

überprüfen. Wir empfehlen zudem grundsätzlich<br />

gegen die RLV-Bescheide Widerspruch<br />

einzulegen, da hier aufgrund der zahlreichen<br />

anhängigen Verfahren mit nachträglichen<br />

Korrekturen der Fallwerte zu rechnen ist. Stellt<br />

sich im Rahmen der für das betreffende Quartal<br />

erstellten Honorarabrechnung heraus, dass<br />

es zu keiner regelleistungsvolumenbedingten<br />

Kürzung gekommen ist, können die Widersprüche<br />

jederzeit zurückgenommen werden.<br />

Fallzahlzuwachsmöglichkeiten<br />

Auch für das erste Quartal <strong>2010</strong> sieht der Beschluss<br />

des Bewertungsausschusses außer<br />

der allgemeinen Abstaffelungsregelung keine<br />

individuelle Fallzahlwachstumsbegrenzung vor,<br />

d.h. die für die Berechnung des RLV relevante<br />

Fallzahl ist derzeit bis zu einem Umfang von<br />

150% der durchschnittlichen RLV-Fallzahl der<br />

Arztgruppe steigerbar, ohne dass dies nachteilige<br />

Auswirkungen auf den Fallwert hat. Zudem<br />

müssen die Partner der Gesamtverträge im<br />

Rahmen der HVVe Anfangs- bzw. Übergangsregelungen<br />

für Neuzulassungen von Vertragsärzten,<br />

Praxen in der Aufbauphase und bei<br />

Umwandlungen der Kooperationsform treffen.<br />

Das SG Marburg hat zudem im Rahmen eines<br />

einstweiligen Verfügungsverfahrens (Beschluss<br />

vom 6.8.2009 – S 11 KA 430/09 ER) richtungsweisend<br />

entschieden, dass die jeweiligen Honorarverteilungsverträge<br />

Regelungen für das<br />

Wachstum unterdurchschnittlich abrechnender<br />

Praxen enthalten müssen, die es diesen ermöglichen,<br />

innerhalb eines Zeitraums von fünf<br />

Versorgung in der Breite sichern<br />

Jahren den durchschnittlichen Umsatz der<br />

Arztgruppe zu erreichen. Fehlen entsprechende<br />

Wachstumsmöglichkeiten im HVV, steht<br />

diesen Praxen nach Auffassung des SG Marburg<br />

unmittelbar ein RLV in Höhe des Durchschnitts<br />

der Fachgruppe zu. Die Entscheidung<br />

ist allerdings noch nicht rechtskräftig.<br />

Ausblick auf <strong>2010</strong><br />

Die Beschlüsse des Erweiterten Bewertungsausschusses<br />

vom 02.09.2009 und des Bewertungsausschusses<br />

vom 22.09.2009 sehen für<br />

das erste Quartal <strong>2010</strong> zunächst im Wesentlichen<br />

eine Fortführung der bisherigen Regelungen<br />

vor; der Orientierungspunktwert wurde<br />

auf 3,5048 Cent festgelegt. Eine Anschlussregelung<br />

für die Zeit ab dem 01.04.<strong>2010</strong> fehlt<br />

bislang noch. Neu ist, dass gemäß § 87 Abs.<br />

2e SGB V ab 01.01.<strong>2010</strong> die Vergütungen für<br />

vertragsärztliche Leistungen nach dem Versorgungsgrad<br />

zu differenzieren sind. Der Beschluss<br />

des Bewertungsausschusses sieht<br />

künftig bei Unterversorgung Zu- und bei Überversorgung<br />

Abschläge vom regelhaften Orientierungswert<br />

vor. Die Zuschläge variieren je<br />

nach dem Grad der Unterversorgung und der<br />

Fachgruppe zwischen 8% und 27%, die Abschläge<br />

zwischen 5,5% und 19%. Für die Abschläge<br />

gilt eine Konvergenzregel; sie finden in<br />

<strong>2010</strong> keine Anwendung und kommen bei bestehenden<br />

Praxen erst in 2017 und bei Praxen,<br />

die bis 31.12.2011 erworben werden, erst in<br />

2014 voll zum Tragen. ■<br />

Dr. Ralf Clement, Sindelfingen<br />

„Versorgung in der Breite sichern“ ist das Thema des diesjährigen <strong>Schmerz</strong>­ und Palliativkongresses.<br />

Politisch müssen vernünftige Grundlagen geschaffen werden, um die schmerz­ und palliativmedizinische<br />

Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Nur dann lassen sich moderne <strong>Therapie</strong>­ und Präventionskonzepte<br />

umsetzen. Nur dann profitiert der Patient von Erkenntnissen der Wissenschaft. Nur dann ist<br />

Gesundheitspolitik auch ökonomisch. Ein breites Angebot für Information, Weiterbildung und Diskussion<br />

steht interdisziplinär und fachgruppenübergreifend zur Verfügung, das Dr. med. Thomas Cegla, Vizepräsident<br />

der DGS, Wuppertal, an einigen Beispielen darstellt. Thomas Cegla,<br />

Wuppertal<br />

W orkshops<br />

dienen der intensiven Weiterbildung<br />

in Kleingruppen und bieten<br />

ausreichende Diskussionsmöglichkeiten. Sie<br />

bereichern das Gesamtprogramm.<br />

Sonografie und Kodierung in Workshops<br />

Eine Übersicht über eine vergütungsrelevante<br />

Kodierung von Diagnosen in Praxis und Klinik<br />

zeigt, wie wichtig die Dokumentation für die<br />

Wirtschaftlichkeit ist. Ein lernendes Vergütungssystem<br />

verlangt Lernen. Ein weiteres<br />

Workshopthema sind neue Methoden wie die<br />

Einführung der Sonografie für Blockadetech-<br />

12 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


© Prof. Dr. med. H. S. Füeßl, München<br />

niken in der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. Über die Anästhesie<br />

hat die Sonografie in den letzten Jahren<br />

einen deutlich höheren Stellenwert bei Punktionstechniken<br />

und Nervenblockaden erhalten.<br />

Sie ist eine Methode, die eine höhere Sicherheit<br />

für den Patienten bietet und auch für<br />

schmerztherapeutische Blockaden infrage<br />

kommt. Dies können zum einen Stellatumblockaden<br />

sein, aber auch Blockaden im Bereich<br />

des Plexus axillaris oder der das Bein<br />

versorgenden Nerven. Sonografisch lassen<br />

sich die Leitstrukturen darstellen und Gefäßverletzungen<br />

vermeiden. Zusätzlich sind in der<br />

Regel geringere Konzentrationen und Volumina<br />

der Arzneimittel notwendig, um den gewünschten<br />

Blockadeeffekt zu erreichen. Inwieweit<br />

sonografische Blockaden auch bei Punktionen<br />

im wirbelsäulennahen Bereich eine Hilfestellung<br />

sein können, wird sich in Zukunft<br />

zeigen.<br />

Neue <strong>Therapie</strong>optionen für die<br />

Zosterneuralgie<br />

Auch neue Behandlungsoptionen der postherpetischen<br />

Neuralgie sind ein Symposiumsthema.<br />

Eine Zosterneuralgie kann vom akuten<br />

über ein chronifiziertes subkutanes Neuralgiestadium<br />

nach einem Verlauf von ca. drei<br />

Monaten zu einer postzosterischen Neuralgie<br />

werden. Hier sind frühzeitige <strong>Therapie</strong>optionen<br />

zur Vermeidung der Chronifizierung besonders<br />

wichtig. Neben opioidhaltigen Analgetika wie<br />

z.B. Oxycodon/Naloxon können Antikonvulsiva<br />

wie Gabapentin/Pregabalin und Antidepressiva<br />

wie das Amitriptylin zum Einsatz kommen. Neben<br />

physikalischen Maßnahmen ist eine virostatische<br />

<strong>Therapie</strong> zu berücksichtigen. Bei<br />

einem chronifizierten Stadium können aber<br />

auch topische Substanzen wie das Lidocain-<br />

Gel in Pflasterform oder Capsaicin-Salbe zum<br />

Einsatz kommen. Eine innovative Applikationsart<br />

steht nun mit einem transdermalen System<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

zur Verfügung, über das Capsaicin appliziert<br />

werden kann.<br />

Aufklärung und Kommunikation im<br />

Fokus<br />

Ein weiteres Weiterbildungsthema des <strong>Schmerz</strong>tages<br />

ist die bessere Aufklärung und Kommunikation<br />

der Patienten. Insbesondere der mündige,<br />

kooperationsbereite Patient kann pharmakotherapeutische<br />

Konzepte anders nachvollziehen<br />

und gewissenhaft durchführen. Erst wenn ärztliche<br />

Aufklärung den Patienten mit einbezieht,<br />

kann ein gemeinsames therapeutisches Konzept<br />

sowie ein gemeinsam erfasstes individuelles<br />

Behandlungsziel im Team Arzt/Patient ein<br />

zufriedenstellendes Ergebnis erreichen.<br />

Leitlinen oder Leidlinien?<br />

Eine leidenschaftliche Diskussion ist zur Entwicklung<br />

von neuen Leitlinien zu erwarten. Im<br />

Augenblick ist noch nicht abzusehen, inwieweit<br />

die neue Leitlinie für neuromodulative Verfahren<br />

zum Zeitpunkt des Kongresses schon vorliegen<br />

wird. Insbesondere beim Failed-backsurgery-Patienten<br />

ist die Spinal-Cord-Stimulation<br />

eine bedeutende <strong>Therapie</strong>option, die noch<br />

zu wenig zum Einsatz kommt. Patientenauswahl<br />

und Selektion sind ebenfalls beim Einsatz<br />

neuer Substanzen wie dem Ziconotide grundlegend.<br />

Hier können Leitlinien deutliche Hilfestellungen<br />

geben.<br />

Umstritten: LONTS<br />

Ein weiteres Thema wird sicherlich die Leitlinie<br />

zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht<br />

tumorbedingten <strong>Schmerz</strong>en sein. Besonders<br />

hier ist zu fragen, inwieweit Leitlinien den Arzt<br />

wirklich in der <strong>Therapie</strong> leiten und ob sie halten,<br />

was sie versprechen, wenn sie sinnvolle,<br />

in der Praxis erprobte <strong>Therapie</strong>verfahren zeitlich<br />

befristen und keine Alternativen aufzeichnen.<br />

Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>­ und Palliativtag <strong>2010</strong><br />

Typisches Hautbild eines Herpes zoster. Eine entspannte Gesprächssituation schafft Vertrauen.<br />

© bilderbox/fotolia.com<br />

Fortbildung für Pfleger<br />

Fortbildungsangebote für Pflegekräfte und medizinische<br />

Assistenzberufe bestehen. Ein<br />

Workshop befasst sich mit dem Thema Wundmanagement.<br />

Dieses bietet eine aktive Möglichkeit<br />

zur direkten <strong>Schmerz</strong>linderung und<br />

-vermeidung durch eine professionelle Vorgehensweise.<br />

Weitere Themen werden die Betreuung von<br />

Patienten mit internen und externen Pumpen<br />

durch speziell weitergebildetes Personal sein<br />

sowie die verschiedenartigen Applikationsformen<br />

von Opiaten, u.a. auch in der Pflege<br />

palliativmedizinischer Patienten. Hier lässt sich<br />

im Team individuell für den jeweiligen Patienten,<br />

insbesondere mit einer Durchbruchschmerz-<br />

Symptomatik, das auf die individuelle Situation<br />

am besten angepasste <strong>Therapie</strong>schema entwickeln.<br />

Eine hervorragende Möglichkeit für einen<br />

Überblick über verschiedene Themen bietet die<br />

Posterausstellung und Diskussion. Auch in diesem<br />

Jahr wurde ein Posterpreis ausgelobt.<br />

Weiterbildung für den Nachwuchs<br />

Am letzten Tag des <strong>Schmerz</strong>tages werden<br />

auch Medizinstudenten die Möglichkeit haben,<br />

eine umfassende curriculare schmerztherapeutische<br />

Weiterbildung zu absolvieren. Hier<br />

bietet die DGS seit mehreren Jahren eine Veranstaltungsreihe,<br />

die es engagierten Medizinstudenten<br />

erlaubt, Kenntnisse in dem wichtigen<br />

Bereich der <strong>Schmerz</strong>- und Palliativmedizin zu<br />

erlangen, so wie sie leider im Studium immer<br />

noch nicht ausreichend angeboten werden.<br />

Schon diese begrenzte Themendarstellung<br />

zeigt die fachübergreifende und interdisziplinäre,<br />

aber auch gesundheitspolitische Bedeutung<br />

dieses Kongresses. ■<br />

Thomas Cegla, Wuppertal<br />

13


Uhrzeit Mittwoch 17.03.10 Donnerstag 18.03.10<br />

7:00<br />

8:00<br />

9:00<br />

10:00<br />

11:00<br />

12:00<br />

13:00<br />

14:00<br />

15:00<br />

16:00<br />

17:00<br />

18:00<br />

19:00<br />

Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong><br />

Migräne und Schlaganfall<br />

Triptane sind aus der Migränetherapie nicht mehr wegzudenken, allerdings sind sie<br />

bei Patienten mit Koronarerkrankungen oder Schlaganfall kontraindiziert. Welche<br />

Alternativen sich für diese Risikopatienten bieten, schildert Astrid Gendolla, DGS-<br />

Leiterin Essen. Astrid Gendolla,<br />

Essen<br />

D ie<br />

Sorge, ein erhöhtes Risiko für einen<br />

Schlaganfall zu haben oder gar einen zu<br />

erleiden, beschäftigt viele Migränepatienten,<br />

insbesondere wenn eine Aurasymptomatik besteht.<br />

Andererseits wird manchen Patienten<br />

eine wirkungsvolle <strong>Therapie</strong> sowohl in der Attackentherapie<br />

der Migräne mit Triptanen als<br />

auch bei der hormonellen Antikonzeption aus<br />

Sorge vor einem möglichen Schlaganfallrisiko<br />

vorenthalten.<br />

Frauen leiden im Verhältnis 3:1 häufiger an<br />

Migräne als Männer, während Männer statis­<br />

Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong>: 18.–20.3.<strong>2010</strong>, Congress Center Messe Frankfurt/Main<br />

IMC<br />

Ärztenetz-<br />

Meeting<br />

Fantasie<br />

1+2,<br />

14:00 –<br />

16:30<br />

HOW*<br />

Stoßwellentherapie<br />

Spektrum 1+2,<br />

14:00 – 15:30<br />

HOW*<br />

Komplementäre Herangehensweisen<br />

an das<br />

<strong>Schmerz</strong>problem<br />

Spektrum 1+2,<br />

15:45 – 17:15<br />

HOW*<br />

IGeL-Leistungen und<br />

Privatliquidation in der<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

Spektrum 1+2, 17:30 – 19:00<br />

Auftakt-<br />

Pressekonferenz<br />

Kontakt,<br />

11:00 – 13:00<br />

HOW*<br />

Hypnose in der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

Conclusio 1+2, 14:00 – 15:30<br />

HOW*<br />

Autosuggestion<br />

zur<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

Conclusio 1+2,<br />

15:45 – 17:15<br />

HOW*<br />

Vergütungs- und regressrelevante<br />

Codierung von<br />

Diagnosen<br />

Conclusio 1+2, 17:30 – 19:00<br />

*HOW = Hands-on-Workshop, begrenzte Teilnehmerzahl<br />

HOW*<br />

Funktionsstörungen des<br />

stomatognathen Systems<br />

Illusion 1+2, 14:00 – 15:30<br />

HOW*<br />

Kopfschmerzen –<br />

Diagnostik und <strong>Therapie</strong> bei<br />

Funktionsstörungen der HWS<br />

und Muskulatur<br />

Illusion 1+2, 15:45 – 17:15<br />

HOW*<br />

Survival für <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />

– wohin entwickelt<br />

sich die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>?<br />

Illusion 1+2, 17:30 – 19:00<br />

tisch signifikant häufiger an Schlaganfällen<br />

erkranken. Migräne hat ihren Erkrankungsgipfel<br />

vom 20.–40. Lebensjahr, zwei Drittel aller<br />

Schlaganfälle treten nach dem 65. Lebensjahr<br />

auf. Rein epidemiologisch betrachtet bestehen<br />

also wenige Überschneidungen zwischen beiden<br />

Erkrankungen.<br />

Klinisch ist die Differenzialdiagnose nicht<br />

immer leicht zu stellen. Sehstörungen und<br />

Kopfschmerzen können einer Migräne mit visueller<br />

Aura wie auch einem Schlaganfall im<br />

hinteren Stromgebiet entsprechen. Die Diffe­<br />

HOW*<br />

Hochtontherapie<br />

Illusion 3,<br />

14:00 – 15:30<br />

HOW*<br />

Untersuchung des<br />

Rückens und der<br />

Gelenke<br />

Illusion 3,<br />

15:45 – 17:15<br />

HOW*<br />

Sonografie/Stellatum-Blockaden<br />

Illusion 3,<br />

17:30 – 19:00<br />

Plenum<br />

Opioide bei Nichttumorschmerzen –<br />

Leitlinie versus<br />

Versorgungsrealität<br />

Pressekonferenz<br />

Kontakt,<br />

11:00 –<br />

13:00<br />

Juristische<br />

Beratung<br />

für<br />

DGS-Mitglieder<br />

VIP-Lounge,<br />

14:00 –<br />

17:00<br />

Freie Vorträge<br />

Session I<br />

Illusion 1+2, 07:00 – 07:50<br />

Harmonie, 08:45 – 10:15<br />

Plenum<br />

Epidemie Rückenschmerz<br />

360°: Relevanz –<br />

Diagnostik – <strong>Therapie</strong><br />

Harmonie, 10:45 – 12:15<br />

Lunchseminar<br />

Palliativversorgung – was<br />

für Patienten zählt<br />

Conclusio 1+2,<br />

12:30 – 13:50<br />

Plenum<br />

Palliativmedizin – nicht<br />

nur (Durchbruch-)<strong>Schmerz</strong><br />

Harmonie,<br />

14:15 – 15:45<br />

Plenum<br />

<strong>Therapie</strong>ziel: lückenlose<br />

<strong>Schmerz</strong>kontrolle in der<br />

Opioidtherapie<br />

Harmonie, 16:15 – 17:45<br />

Lunchseminar<br />

Effektive Gelenkschmerztherapie<br />

– von der Theorie<br />

zum individuellen Patienten<br />

Fantasie 1+2, 12:30 – 13:50<br />

Lunchseminar<br />

<strong>Schmerz</strong>en bei diabetischer<br />

Polyneuropathie: Lebensqualität<br />

– quo vadis?<br />

Illusion 1+2, 12:30 – 13:50<br />

HOW*<br />

Der schwierige Fall<br />

(interaktiver Workshop)<br />

Illusion 1+2,<br />

14:15 – 15:45<br />

Arbeit der<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>kommissionen<br />

Conclusio 1+2,<br />

16:15 – 17:45<br />

Lunchseminar<br />

Neuroborreliose oder<br />

Borrelienneurose?<br />

Illusion 3,<br />

12:30 – 13:50<br />

14 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

Freie Vorträge<br />

Session II<br />

Illusion 3, 07:00 – 07:50<br />

Auftaktvortrag: Recht auf <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> versus<br />

ökonomische Zwänge – woran orientiert sich <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>?<br />

Harmonie, 08:15 – 08:45<br />

Mitgliederversammlung DGS<br />

Fantasie 1+2, 18:30<br />

HOW*<br />

Internet für<br />

Praxen<br />

Illusion 1+2,<br />

10:45 – 12:15<br />

HOW*<br />

Integrierte Versorgung –<br />

Erfolgsmodelle der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

und Palliativmedizin<br />

Illusion 3, 10:45 – 12:15<br />

HOW*<br />

Standardisierte Dokumentation für Algesiologie:<br />

Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>fragebogen &<br />

elektronische Dokumentationssysteme<br />

Spektrum 1+2, 14:15 – 15:45<br />

HOW*<br />

Autosuggestion zur<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

Illusion 1+2,<br />

16:15 – 17:45<br />

renzialdiagnose richtet sich nach der genauen<br />

Anamnese, wobei im Zweifel die bildgebende<br />

Diagnostik und Ultraschalluntersuchung der<br />

hirnversorgenden extra­ und intrakraniellen<br />

Gefäße zeitnah durchgeführt werden sollte,<br />

um Klarheit zu schaffen.<br />

Rauchen und Pille gefährlich<br />

Risikofaktoren für Schlaganfall, v.a. lebensstilassoziierte<br />

wie Nikotin, sind bei Migränepatienten<br />

selten. Eine Subpopulation von Migränepatientinnen<br />

bedarf jedoch einer genaueren<br />

HOW*<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> bei<br />

Kindern<br />

Illusion 3,<br />

16:15 – 17:45<br />

Mitgliederversammlung<br />

GGMM<br />

Idee,<br />

16:30 – 17:15<br />

Internet-<br />

Café<br />

Spektrum<br />

1+2<br />

11:00 –<br />

18:00


Uhrzeit Freitag 19.03.10 Samstag 20.03.10<br />

7:00<br />

8:00<br />

9:00<br />

10:00<br />

11:00<br />

12:00<br />

13:00<br />

14:00<br />

15:00<br />

16:00<br />

17:00<br />

18:00<br />

19:00<br />

Aufklärung und Beratung hinsichtlich der <strong>Therapie</strong>.<br />

Patientinnen, die an Migräne mit Aura<br />

leiden, rauchen und eine hormonelle Antikonzeption<br />

einnehmen, haben ein geringfügig erhöhtes<br />

Risiko, an einem Schlaganfall zu erkranken,<br />

v.a. wenn andere koronare Risikofaktoren<br />

dazukommen. Orale Antikontrazeptiva<br />

haben einen variablen Einfluss auf Migräne; sie<br />

verbessern, verschlechtern oder lassen die<br />

Migräne unbeeinflusst. Zusammenfassend<br />

scheint der Missbrauch von Nikotin als Risikofaktor<br />

schwerer zu wiegen als die Einnahme<br />

einer hormonellen Antikonzeption. Bei jungen,<br />

übergewichtigen Frauen, die an einer Migräne<br />

mit Aura leiden, sollte je nach sozialer Situation<br />

abgewogen werden, welcher Risikofaktor am<br />

ehesten ausgeschaltet werden kann. Die Patientinnen<br />

sollten eher motiviert werden, auf<br />

Nikotin zu verzichten, als auf alternative – und<br />

damit aber unsichere – Verhütungsmethoden<br />

umzusteigen.<br />

Die Datenlage zum Einfluss hormoneller<br />

Antikonzeption oder Hormonsubstitution in<br />

Im Fokus: Versorgung in der Breite sichern!<br />

Special Lecture<br />

Update somatoforme <strong>Schmerz</strong>störung<br />

Fantasie 1+2, 07:00 – 07:50<br />

Plenum<br />

Morbidität und Mortalität: gastrointestinale<br />

Risiken unverändert unterschätzt! Fakten<br />

statt Fiktionen zu NSAR und Coxiben<br />

Harmonie, 08:00 – 09:30<br />

Plenum<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> am Puls<br />

der Zeit: von Grundlagen bis<br />

Wirtschaftlichkeit<br />

Harmonie, 10:00 – 11:30<br />

Lunchseminar<br />

Durchbruchschmerzen<br />

– auch<br />

ein Thema für SAPV?<br />

Illusion 1+2,<br />

12:00 – 13:20<br />

Juristische<br />

Beratung für<br />

DGS-Mitglieder<br />

VIP-Lounge,<br />

14:00 –<br />

17:00<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

Freie Vorträge Session III<br />

Illusion 1+2,<br />

07:00 – 07:50<br />

HOW*<br />

Einsatz von Biofeedback zur<br />

Behandlung von Kopfschmerzen/Migräne<br />

Illusion 1+2, 10:00 – 11:30<br />

Lunchseminar<br />

Lumbago, Spinalkanalstenose<br />

und Co. –<br />

was macht Sinn?<br />

Conclusio 1+2,<br />

12:00 – 13:20<br />

Plenum<br />

Lebensqualität bei<br />

<strong>Schmerz</strong>en des<br />

Bewegungssystems<br />

Harmonie,<br />

13:45 – 15:15<br />

Plenum<br />

Differenzierte <strong>Therapie</strong><br />

mit Opioiden – was ist<br />

die Rationale?<br />

Harmonie,<br />

15:45 – 17:15<br />

Plenum<br />

Neue <strong>Therapie</strong>optionen bei peripherer<br />

Neuropathie<br />

Harmonie,<br />

17:30 – 19:00<br />

Freie Vorträge Session IV<br />

Illusion 3,<br />

07:00 – 07:50<br />

HOW*<br />

Die <strong>Schmerz</strong>praxis: Bewertung, Ankauf,<br />

Verkauf und ökonomische Eckdaten der<br />

Leistungserbringung<br />

Illusion 1+2, 08:00 – 09:30<br />

HOW*<br />

Standardisierte<br />

Dokumentation für<br />

Algesiologie<br />

Spektrum 1+2,<br />

13:45 – 15:15<br />

HOW*<br />

Der schwierige Fall<br />

(interaktiver Workshop)<br />

Illusion 3,<br />

10:00 – 11:30<br />

Lunchseminar<br />

Handanlegen – mit der 5-<br />

Sinne-Diagnostik Störungen<br />

des Bewegungssystems<br />

erkennen und behandeln<br />

Fantasie 1+2, 12:00 – 13:20<br />

HOW*<br />

Dronabinol – Möglichkeiten<br />

und Grenzen in<br />

der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

Conclusio 1+2,<br />

15:45 – 17:15<br />

Abendsymposium<br />

Versorgung in der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> heute und morgen<br />

Marriott Hotel, 19:30<br />

HOW*<br />

Schlechte Nachrichten<br />

überbringen<br />

Illusion 3,<br />

08:00 – 09:30<br />

Pressekonferenz<br />

Kontakt, 11:00 – 13:00<br />

Lunchseminar<br />

Der „Schläfer“ im Körper:<br />

das Varizella-Zoster-Virus<br />

neu betrachtet<br />

Spektrum 1+2,<br />

12:00 – 13:20<br />

HOW*<br />

Survival für <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />

– wohin<br />

entwickelt sich die<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>?<br />

Illusion 3, 13:45 – 15:15<br />

HOW*<br />

Achtsamkeitstraining zur<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und<br />

Stressbewältigung<br />

Illusion 3,<br />

15:45 – 17:15<br />

der Menopause ist schwierig zu bewerten, da<br />

einzelne Studien wegen des unterschiedlichen<br />

Designs nicht miteinander verglichen werden<br />

können.<br />

Menopause und höheres Lebensalter<br />

Die Hormonsubstitution in der Menopause ist<br />

wegen eines erhöhten Karzinomrisikos kürzlich<br />

in der Fach­ und auch in der Laienpresse<br />

diskutiert worden. Transdermale Systeme<br />

sollten bevorzugt werden, da sie stabilere Hormonspiegel<br />

garantieren und tendenziell günstiger<br />

für die Migränesituation sind.<br />

Andere Faktoren<br />

Neben den Hormonen sind auch andere Erkrankungen<br />

zu diskutieren wie der echte<br />

migränöse Infarkt. Dies ist ein Schlaganfall,<br />

der sich aus der Symptomatik einer Migräne<br />

heraus entwickelt, bildgebend gesichert ist<br />

und keine anderen Ursachen hat. Darüber<br />

hinaus sind Dissektate der A. carotis interna<br />

und vertebralis ein Hauptgrund für Schlagan­<br />

HOW*<br />

Illusion 3,<br />

12:00 –<br />

13:20<br />

HOW*<br />

Ziconotid –<br />

Erfahrungen bis<br />

heute –<br />

Erkenntnisse<br />

für morgen<br />

Illusion 1+2,<br />

14:15 – 17:15<br />

Internet-<br />

Café<br />

Spektrum<br />

1+2<br />

Freitag<br />

10:00 bis<br />

18:00<br />

Samstag<br />

10.00 bis<br />

16.00<br />

Plenum<br />

Posterpräsentation und -diskussion<br />

Harmonie, 07:00 – 07:50<br />

Studenten-<br />

Workshop<br />

Von der<br />

Grundlagenforschung<br />

bis<br />

zur <strong>Therapie</strong><br />

Maritim I,<br />

08:45 – 17:30<br />

Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag <strong>2010</strong><br />

Plenum<br />

Durchbruchschmerzen – Phantom oder Problem?<br />

Harmonie, 08:00 – 09:30<br />

ALFA-HOW-Seminar<br />

Betreuung von Patienten mit internen<br />

und externen Pumpen<br />

Maritim Berlin/Köln, 09:00 – 10:00<br />

ALFA-HOW-Seminar<br />

Konservatives Wundmanagement<br />

Maritim Berlin/Köln, 10:15 – 11:15<br />

ALFA-HOW-Seminar<br />

Nasale und orale Applikationsformen<br />

Maritim Berlin/Köln, 11:30 – 12:30<br />

ALFA-HOW-Seminar<br />

Notfallworkshop<br />

Maritim Berlin/Köln, 13:00 – 14:00<br />

ALFA-HOW-Seminar<br />

Qualifikation für medizinische Studien<br />

Maritim Berlin/Köln, 14:15 – 15:15<br />

Gesundheitspolitisches Forum<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> nach der<br />

Bundestagswahl – was verändert sich?<br />

Round Table mit Gesundheitspolitikern<br />

Harmonie,<br />

15:30 – 17:30<br />

BVSD<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> zwischen Euro und Cent<br />

Fantasie 1+2,<br />

17:30 – 18:30<br />

fälle bei jungen Menschen. Weiterhin beschrieben<br />

ist, dass Infarkte eine migränöse<br />

Aura triggern können. Außerdem sind Erkrankungen<br />

wie Lupus erythematodes oder mitochondriale<br />

Erkrankungen prädisponierend<br />

für beide Erkrankungen – für Migräne und<br />

Schlaganfall.<br />

Absolute Kontraindikationen für Triptane<br />

Therapeutisch zu berücksichtigen ist, dass ein<br />

stattgehabter Schlaganfall oder eine TIA sowie<br />

kardiovaskuläre Risikofaktoren (wie z.B. eine<br />

schlecht eingestellte arterielle Hypertonie)<br />

Kontraindikationen für die Attackentherapie<br />

der Migräne mit Triptanen darstellen. Therapeutisch<br />

genutzt werden kann der Einsatz von<br />

ASS sowohl in der Migräneprophylaxe als auch<br />

in der Sekundärprophylaxe des Schlaganfalls.<br />

Eine <strong>Therapie</strong>option für arterielle Hypertonie<br />

und Migräne sind Betablocker oder ACE­Hemmer.<br />

■<br />

ALFA-<br />

Seminar<br />

Curriculum<br />

AlgesiologischeFachassistenz<br />

Maritim,<br />

10:00 –<br />

15:00<br />

HOW*<br />

Achtsamkeitsbasierte<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

Illusion 1+2,<br />

08:00 – 09:30<br />

Plenum<br />

<strong>Schmerz</strong>- und<br />

Palliativmedizin<br />

heute<br />

Harmonie,<br />

10:00 – 11:30<br />

Lunchseminar<br />

Kopfschmerzen<br />

und<br />

Lebensqualität<br />

Fantasie 1+2,<br />

12:00 – 13:20<br />

Plenum<br />

Durchbruchschmerz<br />

– eine<br />

ignorierte Entität<br />

Harmonie,<br />

13:45 – 15:15<br />

Astrid Gondolla, Essen<br />

HOW*<br />

Behandlung von<br />

Rückenschmerzen<br />

mit TLA<br />

Spektrum 1+2,<br />

10:00 – 11:30<br />

Lunchseminar<br />

Fibromyalgiesyndrom<br />

– was<br />

ist das wirklich?<br />

Conclusio 1+2,<br />

12:00 – 13:20<br />

HOW*<br />

Burnout bei<br />

Ärzten und<br />

Mitarbeitern<br />

Illusion 1+2,<br />

13:45 – 15:15<br />

HOW*<br />

Hypnose in der<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

Illusion 3,<br />

08:00 – 09:30<br />

HOW*<br />

Der schwierige<br />

Fall (interaktiver<br />

Workshop)<br />

Illusion 3,<br />

10:00 – 11:30<br />

Lunch-<br />

seminar<br />

Rheuma und<br />

<strong>Schmerz</strong><br />

Illusion 1+2,<br />

12:00 – 13:20<br />

HOW*<br />

<strong>Schmerz</strong><br />

therapie bei<br />

Alten<br />

Illusion 3,<br />

13:45 – 15:15<br />

15


Neurologie<br />

Triptane in der Aura gefährlich<br />

Triptane dürfen nicht schon präventiv in der Migräneaura<br />

eingenommen werden, sondern erst in der Kopfschmerzphase.<br />

Warum das richtige Timing beim Einsatz von<br />

Triptanen so wichtig ist, erläutern Dr. Katja Heinze-Kuhn,<br />

Dr. Axel Heinze und Prof. Dr. Hartmut Göbel, Neurologisch-verhaltensmedizinische<br />

<strong>Schmerz</strong>klinik Kiel.<br />

B ei<br />

ca. 15% der Betroffenen werden die<br />

Migräneattacken zumindest teilweise von<br />

Migräneauren eingeleitet. Bei den Auren handelt<br />

es sich um vorübergehende neurologische<br />

Symptome wie Seh-, Gefühls- oder Sprachstörungen,<br />

an die sich meistens innerhalb einer<br />

Stunde die eigentliche Kopfschmerzphase anschließt<br />

(Tab. 1).<br />

Eine generelle Regel besagt, dass Anfallsmedikamente<br />

gegen Migräne umso besser<br />

helfen, je früher sie im Anfall eingenommen<br />

werden. Nicht zuletzt gilt dies auch für die<br />

Triptane. Was liegt da näher, als ein Triptan<br />

schon in der Auraphase der Migräne einzunehmen,<br />

also noch bevor es überhaupt zu den<br />

quälenden Kopfschmerzen gekommen ist?<br />

So attraktiv diese Überlegung auch sein mag,<br />

empfehlenswert ist sie nicht. Die Begründung<br />

hierfür geben die Antworten auf die folgenden<br />

Fragen.<br />

Triptane sinnvoll in der Auraphase?<br />

Ist es sinnvoll, ein Triptan bereits in der Auraphase<br />

der Migräne einzusetzen? Sinnvoll wäre<br />

Tab. 1: Charakteristika der verschiedenen Auratypen<br />

Auratyp Charakteristika<br />

˘ Typische Aura<br />

˘ Hemiplegische Aura<br />

˘ Migräne vom Basilaristyp<br />

Katja Heinze-Kuhn,<br />

Kiel<br />

der Einsatz von Triptanen in der Aura dann,<br />

wenn es entweder gelänge, die Aura selbst<br />

abzukürzen oder aber das erwartete spätere<br />

Auftreten der Kopfschmerzphase zu verhindern.<br />

Beide Fragen wurden in placebokontrollierten<br />

Studien untersucht. In der ersten derartigen<br />

Studie wurde die Wirksamkeit des stärksten<br />

Triptans – Sumatriptan subkutan gespritzt<br />

– getestet (Bates et al. 1994, Neurology). In<br />

einer neueren zweiten Studie wurde Eletriptan<br />

in der höchsten erlaubten Einmaldosis von<br />

zweimal 40 mg untersucht (Olesen et al. 2004,<br />

European Journal of Neurology). Dabei zeigte<br />

sich in beiden Fällen, dass die jeweiligen Triptane<br />

die Auren im Vergleich zu Placebo nicht<br />

verkürzen konnten (Abb. 1). Dieses Ergebnis ist<br />

nicht verwunderlich, nimmt man doch unterschiedliche<br />

Entstehungsmechanismen für Migräneauren<br />

und Migränekopfschmerzen an.<br />

Letztlich nicht zu erklären ist jedoch die Beobachtung,<br />

dass auch das Auftreten von Kopfschmerzen<br />

durch die frühe Triptaneinnahme<br />

nicht verhindert werden konnte! Die Frage, ob<br />

der Einsatz von Triptanen bereits in der Aura<br />

■ Vorübergehende einseitige (homonyme) Sehstörung und/oder<br />

einseitige Gefühlsstörung und/oder Sprachstörung<br />

■ Symptome entwickeln sich langsam über mindestens 5 Minuten<br />

hinweg oder treten nacheinander auf<br />

■ Dauer der einzelnen Symptome liegt meist zwischen 5 und<br />

60 Minuten<br />

■ Innerhalb von 60 Minuten können typische Migränekopfschmerzen<br />

beginnen, müssen aber nicht (Migräneaura ohne Kopfschmerz)<br />

■ Wie typische Aura, jedoch zusätzlich vorübergehende motorische<br />

Schwäche<br />

■ Zeitlicher Ablauf wie typische Aura<br />

■ Gefühls- oder Sehstörungen jedoch beidseits simultan auftretend<br />

■ Zusätzlich Schwindel, Gleichgewichtsstörung, Tinnitus,<br />

Hörminderung oder Bewusstseinsstörung möglich<br />

Axel Heinze,<br />

Kiel<br />

Hartmut Göbel,<br />

Kiel<br />

sinnvoll ist, kann also eindeutig mit „nein“ beantwortet<br />

werden, da sie keinen positiven Effekt<br />

haben.<br />

Triptan in der Auraphase gefährlich?<br />

Untersuchungen zur regionalen Hirndurchblutung<br />

konnten zeigen, dass es während der<br />

Auraphase einer Migräne zu einer umschriebenen<br />

Minderdurchblutung derjenigen Hirnareale<br />

kommt, die für die jeweiligen neurologischen<br />

Phänomene verantwortlich sind (z.B.<br />

Sehstörung bei Minderdurchblutung im hinteren<br />

Hirnbereich, der sog. Sehrinde). In seltenen<br />

Fällen kann sich aus dieser Situation<br />

heraus auch eine bleibende Durchblutungsstörung<br />

entwickeln, die dann als migränöser Hirninfarkt<br />

bezeichnet wird. Tatsächlich besteht bei<br />

Frauen, die unter einer Migräne mit Aura leiden,<br />

ein um den Faktor 1,8 erhöhtes Risiko,<br />

einen Schlaganfall zu erleiden. Für die Altersgruppe<br />

45–54 Jahre zeigt sich sogar ein um<br />

den Faktor 2,6 erhöhtes Schlaganfallrisiko. Unabhängig<br />

vom Alter spielt auch die Häufigkeit<br />

von Migräneauren eine Rolle für das individu-<br />

16 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

© Bildarchiv Göbel<br />

Migräneattacken quälen<br />

vor allem Frauen.


elle Risiko. Bei Auftreten von mindestens einer<br />

Migräneaura/Woche erhöht sich bei Migränepatientinnen<br />

mit Aura das Schlaganfallrisiko<br />

um den Faktor 4,25 (Kurth et al. 2008, British<br />

Medical Journal; Kurth et al. 2009, Neurology).<br />

Hingegen weisen in allen Studien Frauen, die<br />

ausschließlich unter einer Migräne ohne Aura<br />

leiden, kein erhöhtes Schlaganfallrisiko auf.<br />

Dasselbe gilt auch für Männer, und zwar unabhängig<br />

davon, ob sie unter einer Migräne ohne<br />

oder mit Aura leiden.<br />

Vermittelt über einen bestimmten Serotoninrezeptor<br />

(5-HT1B-Subrezeptor) sind Triptane in<br />

der Lage, Hirnblutgefäße zu verengen. Unabhängig<br />

davon, ob dieser Mechanismus für die<br />

Wirkung gegen Migräne erwünscht ist, bedeutet<br />

die Einnahme eines Triptans in der Auraphase,<br />

dass möglicherweise auch Blutgefäße<br />

in einem Hirnareal verengt werden, das sowieso<br />

schon minderdurchblutet ist. Damit würde<br />

sich das Schlaganfallrisiko bei den Migränepatienten<br />

potenziell nochmals erhöhen. Aus diesem<br />

Grund gilt die Einnahme von Triptanen in<br />

der Auraphase der Migräne nicht nur als nicht<br />

wirksam, sondern auch als gefährlich.<br />

Einnahme eines Triptans in der<br />

Auraphase empfohlen?<br />

Sowohl in den Gebrauchsinformationen („Beipackzetteln“)<br />

als auch in den Fachinformationen<br />

wird als Indikation für den Einsatz von Triptanen<br />

die Kopfschmerzphase einer Migräne mit und<br />

ohne Aura angegeben. Zum Teil wird für diese<br />

Anwendungsempfehlung auch eine Begrün-<br />

Migräne bei Frauen<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

© Mod. nach Bates et al. 1994 und Olesen et al. 2004<br />

Abb. 1: Triptane verhindern auch bei früher Einnahme in der Auraphase<br />

Kopfschmerzen nicht<br />

Prozent (%)<br />

100<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Kein signifikanter Unterschied 100 Kein signifikanter Unterschied<br />

68 75<br />

80<br />

61 46<br />

Sumatriptan<br />

dung geliefert. In der Gebrauchsinformation des<br />

rezeptfrei erhältlichen Formigran ® (Wirkstoff<br />

Naratriptan) wird zum Beispiel explizit darauf<br />

hingewiesen, dass „die Sicherheit und Wirksamkeit<br />

zur Behandlung der möglicherweise<br />

vor dem Eintritt des Kopfschmerzes auftretenden<br />

Aurasymptomatik bisher nicht nachgewiesen<br />

wurde.“<br />

Da bei den meisten Migränepatienten die<br />

Auren abgeklungen sind, bevor die Kopfschmerzen<br />

beginnen, ist diese Beschränkung<br />

unproblematisch. Anders sieht es bei Betroffenen<br />

aus, die unter selteneren Auraformen<br />

leiden. Bei der hemiplegischen Migräne findet<br />

sich als Aurasymptom eine einseitige motorische<br />

Schwäche bis hin zu einer kompletten<br />

Lähmung einer Körperseite. Bei der Migräne<br />

Auftreten von Kopfschmerzen innerhalb von 6 Stunden<br />

nach Triptaneeinahme in der Auraphase<br />

Placebo<br />

Migräneattacken peinigen bevorzugt Frauen. Ein wichtiger Trigger dabei ist die<br />

Menstruation. Neben der symptomatischen Attackenbehandlung bieten sich bei der<br />

Sonderform der menstruationsbedingten Migräne auch hormonelle <strong>Therapie</strong>möglichkeiten<br />

an, beschreibt Dr. med. Astrid Gendolla, DGS-Leiterin Essen.<br />

M igräne<br />

ist weniger häufig bei Männern,<br />

ist zeitlich beschränkt auf die sexuell<br />

aktive Zeit des Lebens, tritt auf nach einer Akkumulation<br />

von internen und externen Reizen<br />

und ist charakterisiert durch eine Periodizität<br />

des Auftretens und resultiert aus einer komplexen<br />

Ätiologie heraus“ (Freud 1895).<br />

Migräne und Menstruation<br />

Mehr als 50% aller Frauen berichten, dass die<br />

Menstruation ein Migränetrigger sei. Für den<br />

größten Teil der Frauen ist diese Assoziation<br />

inkonsistent, und es bestehen unabhängig von<br />

der Menstruation mehrere Migräneattacken<br />

pro Monat. Für eine Gruppe von Patientinnen<br />

jedoch trifft die Diagnose der menstruellen<br />

Migräne (Migräne ein bis zwei Tage vor Einsetzen<br />

der Menstruation) und zu keinem anderen<br />

Zeitpunkt zu (Abb. 1 und Tab. 1 auf S. 18). Die<br />

Prävalenz ist unter 10%.<br />

Bisher sind noch keine biochemischen oder<br />

hormonellen Abnormalitäten für Frauen mit<br />

Prozent (%)<br />

60<br />

40<br />

20<br />

0<br />

Eletriptan Placebo<br />

Neurologie<br />

vom Basilaristyp treten die genannten typischen<br />

Aurasymptome (Seh- und/oder Gefühlsstörungen)<br />

gleichzeitig beidseitig auf.<br />

Hinzu kommen Symptome wie Schwindel,<br />

Tinnitus, Hörstörungen oder Bewusstseinsstörungen.<br />

Bei diesen Unterformen der Migräne<br />

mit Aura wird vom Einsatz von Triptanen grundsätzlich,<br />

also auch in der Kopfschmerzphase<br />

der Migräne nach Ende einer Aura, abgeraten.<br />

Bei dieser Anwendungsbeschränkung handelt<br />

es sich wieder um eine Sicherheitsmaßnahme,<br />

um ein möglicherweise erhöhtes Schlaganfallrisiko<br />

zu vermeiden. ■<br />

Dr. med. Katja Heinze-Kuhn, Dr. med. Axel<br />

Heinze und Prof. Dr. Hartmut Göbel, Kiel<br />

www.schmerzklinik.de<br />

Astrid Gendolla,<br />

Essen<br />

menstrueller Migräne identifiziert worden. Es werden<br />

jedoch mehrere Mechanismen diskutiert.<br />

Pathophysiologie<br />

So werden niedrige Progesteron- oder Östrogenspiegel<br />

als Ursache vermutet. Der wahrscheinlichste<br />

Mechanismus zur menstruellen<br />

Migräne ist der fallende Östrogenspiegel, der<br />

einer verlängerten Östrogenexposition nachfolgt.<br />

Östrogenentzug ist ein Trigger. Die Behandlung<br />

der menstruellen Migräne sollte zu-<br />

17


Nervenheilkunde 2003;22:531-670<br />

Neurologie<br />

nächst eine umfassende Beratung über die<br />

Attackenbehandlung und die prophylaktische<br />

<strong>Therapie</strong> beinhalten. Die folgenden Schritte<br />

bieten sich an.<br />

<strong>Therapie</strong> der menstruations-<br />

bedingten Migräne<br />

Bei der Attackenbehandlung sollte individuell<br />

auf die Schwere und Dauer der einzelnen Migräneattacke,<br />

die auch intraindividuell schwanken<br />

kann, geachtet werden. Die Patienten<br />

sollten angeleitet werden, sich migränespezifisch<br />

zu behandeln, sobald Vorbotensymptome<br />

entstehen und leichte Kopfschmerzen auftreten.<br />

Falls eine Behandlung fehlschlägt oder<br />

die Symptome zu Beginn der Erkrankung sehr<br />

heftig sind, ist es sinnvoll, sich mit migränespezifischen<br />

Medikamenten wie den Triptanen<br />

zu behandeln. Patienten, die sowohl auf Analgetika<br />

als auch auf Triptane nicht ausreichend<br />

ansprechen, bedürfen einer weitergehenden<br />

Diagnostik und Anamnese. Häufig ist auch das<br />

Nichtansprechen auf die Akuttherapie oder ein<br />

Nachlassen der Wirkung ein erster Hinweis<br />

auf einen beginnenden medikamenteninduzierten<br />

Dauerkopfschmerz (Medikamenteneinnahme<br />

mehr als die Hälfte aller Tage eines<br />

Monats).<br />

In der ersten Stufe der Migränebehandlung<br />

können freiverkäufliche <strong>Schmerz</strong>mittel wie<br />

Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Acetaminophen<br />

eingesetzt werden. Vorzugsweise sollten<br />

die Substanzen löslich oder als Zäpfchen zugeführt<br />

werden. Die Absorption kann möglicherweise<br />

durch Kombination mit prokinetischen<br />

Antiemetika wie Domperidon oder Metoclopramid<br />

verbessert werden. Entscheidend ist der<br />

frühe Einsatz dieser Medikation in ausreichend<br />

hoher Dosierung.<br />

Abb. 1: Charakteristisches <strong>Schmerz</strong>tagebuch<br />

bei menstruationsbedingter Migräne.<br />

Gemäß den Empfehlungen der <strong>Deutsche</strong>n<br />

Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft steht<br />

der Einsatz von Triptanen an zweiter Stelle der<br />

Migräne-Akutbehandlung. Für eine kleine Anzahl<br />

von Patientinnen ist die spezifische Prophylaxe<br />

als Kurzzeitprophylaxe mit NSAR oder<br />

transdermalem Östrogen sinnvoll.<br />

Eine kontinuierliche Hormongabe unterbindet<br />

die Ovulation und stellt relativ stabile Östrogenspiegel<br />

sicher. Somit kann durch eine kontinuierliche<br />

hormonelle Antikonzeption bei einigen<br />

Frauen die Migräne verbessert werden (Tab. 2).<br />

Migräne und Kontrazeption<br />

Kopfschmerzen sind eine häufige Nebenwirkung<br />

bei Einnahme von hormoneller Antikonzeption,<br />

bilden sich aber meistens nach längerer<br />

Einnahme zurück. Hinsichtlich der Migrä-<br />

Tab. 1: Klassifikation der mentruationsassoziierten und menstruellen Migräne<br />

Klassifikation<br />

Rein menstruelle Migräne ohne Aura<br />

Attacken treten ausschließlich am Tag 1±2 der Menstruation (d.h. Tag –2 bis + 3) in mindestens<br />

2 von 3 Zyklen auf<br />

Menstruationsassoziierte Migräne ohne Aura<br />

Attacken treten am Tag 1±2 der Menstruation (d.h. Tag –2 bis + 3) in mindestens 2 von<br />

3 Zyklen auf, zusätzlich aber auch zu anderen Zeiten des Zyklus<br />

Tab. 2: <strong>Therapie</strong>möglichkeiten der menstruellen Migräne mit Hormonen<br />

ZIEL: Minimierung von Hormonfluktuationen<br />

■ Östrogenergänzungstherapie perimenstruell (Gel, Pflaster)<br />

■ Modifizierung der Kontrazeptivatherapie (kontinuierliche Pilleneinnahme)<br />

■ Unterdrückung des Ovarialzyklus (Antiöstrogene, LHRH-Agonisten)<br />

ne haben hormonelle Antikonzeptiva folgende<br />

Wirkungen: keine Veränderung, Verbesserung<br />

der Migräne in der pillenfreien Phase, Verschlechterung,<br />

Beginn der Migräne de novo<br />

oder Aura de novo. Grundsätzlich bestehen<br />

keine Bedenken gegen die Verordnung einer<br />

hormonellen Antikonzeption bei Frauen mit<br />

Migräne. Das Schlaganfallrisiko ist jedoch bei<br />

Patientinnen, die übergewichtig sind und rauchen,<br />

erhöht. Patientinnen, die an einer Migräne<br />

mit Aura mit mehr als zwei kardiovaskulären<br />

Risikofaktoren leiden, sollten auf andere Kontrazeptiva<br />

ausweichen. Patientinnnen, die vor<br />

allen Dingen während der Pillenpause an Migräne<br />

leiden, können ein sogenanntes „Tricycling“<br />

praktizieren, d.h. drei Monate lang die<br />

Pille durchnehmen, dann eine Pillenpause herbeiführen.<br />

Natürlich besteht auch die Möglichkeit<br />

einer Depotinjektion. ■<br />

INFO-Telegramm<br />

Astrid Gendolla, Essen<br />

Schnelle <strong>Schmerz</strong>linderung nach<br />

Radiotherapie<br />

Eine Radiotherapie mit einer mittleren Gesamtdosis<br />

von 46 Gy bei Krebsschmerz lindert bei jedem<br />

zweiten Patienten den Krebsschmerz vollständig<br />

(bei 45 von 91 Patienten, 49%) und bei<br />

91% immerhin partiell um mehr als 50%, ergab<br />

eine japanische Studie von Nomiya T et al. Bereits<br />

innerhalb von 13 Tagen nahmen die<br />

<strong>Schmerz</strong>en um 50% ab und die vollständige<br />

<strong>Schmerz</strong>linderung trat durchschnittlich nach 24<br />

Tagen ein, sodass auch am Ende der Radiotherapie<br />

bei 44% die Analgetikaeinnahme reduziert<br />

werden konnte (Clin J Pain <strong>2010</strong>;26(1):38–42).<br />

Was leistet die Akupunktur bei<br />

Rückenschmerz?<br />

Nach wie vor fehlen große Studien, die die Effektivität<br />

der Akupunktur bei Rückenschmerz<br />

absichern könnten. Zu diesem Schluss kommen<br />

die amerikanischen Autoren K. Lewis und S.<br />

Abdi aus Miami aufgrund eines neuen Reviews<br />

über den Einsatz der Akupunktur bei Rückenschmerz<br />

und fordern weitere klinische Studien<br />

(Clin J Pain <strong>2010</strong>;26(1):60–9).<br />

Migräne und Depressionen genetisch<br />

verknüpft<br />

Migräne mit Aura ist bidirektional genetisch<br />

mit Depressionen verknüpft. Dies zeigt eine<br />

neue genetische Studie von A. H. Stam et al.<br />

an 151 Patienten mit beiden Erkrankungen,<br />

die nur durch gemeinsame genetische Faktoren<br />

erklärt werden kann (Neurology, <strong>2010</strong>,<br />

Epub ahead of print).<br />

18 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


20 Jahre Einsatz für Patienten<br />

mit chronischen <strong>Schmerz</strong>en<br />

Die Selbsthilfeorganisation <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga e.V. feiert in diesem Jahr ihr 20jähriges<br />

Jubiläum. Seit 1990 setzt sie sich dafür ein, dass Patientinnen und Patienten<br />

mit chronischen <strong>Schmerz</strong>en eine adäquate <strong>Therapie</strong> und Versorgung erhalten. Mehr<br />

als 5000 Mitglieder und 102 regionale Selbsthilfegruppen engagieren sich heute in<br />

der Patientenorganisation. „Dass chronischer <strong>Schmerz</strong> heute als eine behandelbare<br />

Krankheit und nicht als unbeeinflussbares Schicksal angesehen wird, ist unser größter<br />

Erfolg“, erklärt Dr. med. Marianne Koch, Präsidentin der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga.<br />

S ie<br />

waren Exoten in der medizinischen<br />

Landschaft – jene kleine Gruppe von<br />

<strong>Schmerz</strong>therapeuten um den Frankfurter Anästhesisten<br />

Dr. med. Thomas Flöter, die zusammen<br />

mit Patienten und deren Angehörigen<br />

im Januar 1990 in Frankfurt die <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Schmerz</strong>liga gründeten. Der chronische<br />

<strong>Schmerz</strong> war damals als eigenständiges<br />

Krankheitsbild bei Ärzten und in der <strong>Gesellschaft</strong><br />

unbekannt. Menschen, die über ständige<br />

<strong>Schmerz</strong>en klagten, galten als Simulanten<br />

und Drückeberger.<br />

„Damals musste ich mich gegenüber den<br />

Behörden rechtfertigen und meine Entscheidung<br />

durch die Vorlage wissenschaftlicher<br />

Studien begründen, weil ich Krebspatienten<br />

mit starken <strong>Schmerz</strong>mitteln behandelt habe“,<br />

Neuer Internet-Auftritt<br />

Freundlich und einladend präsentiert sich der neue<br />

Internet-Auftritt der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga (http://<br />

regionale-schmerzzentren-dgs.de/dsl/default.htm).<br />

Die Patientenorganisation hat ihr 20-jähriges Jubiläum<br />

als Anlass genommen, ihre Website gründlich<br />

zu überarbeiten und neu zu ordnen. Patientinnen<br />

und Patienten können sich mit ihrer Hilfe über die<br />

Arbeit, die Angebote und Veranstaltungen der Patientenorganisation<br />

informieren, finden Listen mit<br />

Selbsthilfegruppen, Hinweise auf die <strong>Schmerz</strong>zentren<br />

der DGS und das offene Forum zum Austausch. Ausgeweitet<br />

wurden die Informationen über verschiedene<br />

<strong>Schmerz</strong>formen und es gibt Tipps und Hilfen<br />

zum Selbstmanagement. Im nicht öffentlichen Bereich<br />

der Website, der ausschließlich den Mitgliedern<br />

der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga zugänglich ist, stehen<br />

weitere ausführliche Informationen zur Verfügung<br />

sowie alle Ausgaben des Patientenmagazins NOVA.<br />

Neu ist die Rubrik „Sie sind gefragt“. Die <strong>Schmerz</strong>liga<br />

wird dieses neue Modul für Umfragen bei<br />

<strong>Schmerz</strong>patienten nutzen.<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

erinnert sich Dr. Marianne Koch, seit 1997 Präsidentin<br />

der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga, an ihre<br />

Zeit als niedergelassene Internistin in München.<br />

„Es herrschte eine fast hysterische Angst<br />

vor Opioiden samt schikanöser Überwachung<br />

durch die Bundes-Opiumstelle. Dadurch war<br />

die Versorgung der Patienten schwierig und<br />

oft nicht ausreichend.“<br />

Keine Angst mehr vor Opioiden<br />

Dies hat sich inzwischen geändert. „Wir wissen,<br />

dass das Nervensystem den <strong>Schmerz</strong><br />

lernen kann“, erklärt Dr. Gerhard H. H. Müller-<br />

Schwefe, Vizepräsident der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Schmerz</strong>liga und Präsident der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. „Wir verstehen<br />

auch, wie komplex das Zusammenspiel von<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />

aktivierenden und hemmenden Mechanismen<br />

in der <strong>Schmerz</strong>matrix ist, deren Ungleichgewicht<br />

letztlich dazu führt, dass <strong>Schmerz</strong>en<br />

chronisch werden können.“ Die Umsetzung<br />

dieser Erkenntnisse aus der Forschung in<br />

praktische Medizin hat zu neuen rationalen<br />

und effektiven <strong>Therapie</strong>konzepten geführt. Müller-Schwefe:<br />

„Darum kann man ganz klar sagen,<br />

dass kein Mensch heute mehr unter chronischen<br />

<strong>Schmerz</strong>en leiden muss, die unerträglich<br />

sind. Lindern können wir chronische<br />

<strong>Schmerz</strong>en immer, oft sogar so erträglich machen,<br />

dass Menschen sehr gut damit wieder<br />

leben und arbeiten können.“<br />

Intensive Öffentlichkeitsarbeit<br />

Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga setzt sich dafür ein,<br />

dass dieses Wissen der modernen <strong>Schmerz</strong>medizin<br />

nicht auf einen kleinen Kreis von Experten<br />

beschränkt bleibt, sondern bei Ärzten,<br />

Politikern und in der Öffentlichkeit „ankommt“.<br />

So ist die Patientenorganisation beispielsweise<br />

seit ihrer Gründung Mitveranstalterin des <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Schmerz</strong>tages, der traditionell seit 1991<br />

in Frankfurt am Main stattfindet – inzwischen<br />

mit mehr als 2000 Teilnehmern. Mehr als 5000<br />

Patientinnen und Patienten sind heute Mitglied<br />

bei der <strong>Schmerz</strong>liga, unter deren Dach zurzeit<br />

102 regionale Selbsthilfegruppen zusammenarbeiten.<br />

Die Mitarbeiter in der Geschäftsstelle<br />

in Oberursel beantworten pro Jahr über 20.000<br />

Anfragen. Zusammen mit regionalen Selbsthilfegruppen<br />

organisiert das Team rund 25 Patientenforen,<br />

in denen die neuen Einsichten der<br />

Experten vermittelt werden.<br />

19


<strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga<br />

Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga vermittelt bei<br />

ihren umfangreichen Aktivitäten auch, wie<br />

wichtig für Patientinnen und Patienten die Mitarbeit<br />

in Selbsthilfegruppen ist: „Die Patienten<br />

müssen zum Spezialisten in eigener Sache<br />

und zum Manager ihrer Erkrankung werden“,<br />

betont Dr. Marianne Koch. „Denn dies macht<br />

sie zu kompetenten Partnern, die mit ihrem<br />

Arzt gut zusammenarbeiten können.“<br />

<strong>Schmerz</strong> messen ein Dauerbrenner<br />

Zu ihren erfolgreichsten Kampagnen gehört<br />

die Aktion „<strong>Schmerz</strong> messen“, die im Jahr 2002<br />

gestartet wurde und inzwischen – in verschiedenen<br />

Variationen – zu einem „Dauerbrenner“<br />

geworden ist. Dieser Aktion ist es mit zu verdanken,<br />

dass <strong>Schmerz</strong>en heute beispielsweise<br />

in einer steigenden Zahl von Kliniken wie andere<br />

Vitalzeichen – Blutdruck, Puls, Körper-<br />

<strong>Schmerz</strong>wünsche<br />

Die Aktion „<strong>Schmerz</strong>enswünsche“ war ein<br />

großer Erfolg. „Sie hat dem abstrakten Begriff<br />

„<strong>Schmerz</strong>“ Gesichter, Namen, Einzelschicksale<br />

zugeordnet und gezeigt, wie sehr chronischer<br />

<strong>Schmerz</strong> sich in das Leben von Betroffenen eingräbt“,<br />

sagt Dr. Marianne Koch, Präsidentin der<br />

<strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga. Zwischen März und September<br />

2009 trafen im Rahmen dieser Aktion<br />

3274 Wünsche bei der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga<br />

ein, 2670 davon stammten von <strong>Schmerz</strong>patienten.<br />

Das Limburger Pharmaunternehmen Mundipharma<br />

spendete pro eingesandtem Wunsch<br />

einen Euro an die Patientenorganisation. Die<br />

Auswertung der Wünsche belegt, dass <strong>Schmerz</strong>patienten<br />

sich vor allem mehr Lebensqualität<br />

wünschen sowie eine bessere schmerztherapeutische<br />

Versorgung – und natürlich weniger<br />

<strong>Schmerz</strong>en.<br />

„Ich möchte gerne, dass meine Mutter wieder<br />

schmerzfrei ist, damit sie wieder mehr an unserem<br />

Leben teilhaben kann und auch mehr von<br />

ihrem Enkelkind hat.“ (Angehörige, 38 Jahre)<br />

„<strong>Schmerz</strong>krankheit soll ernster genommen<br />

werden und ins öffentliche Bewusstsein<br />

gelangen.“ (Ärztin, 29 Jahre)<br />

„Mein <strong>Schmerz</strong>enswunsch ist: mehr Zeit für<br />

Gespräche mit Patienten und mehr Zeit für den<br />

Austausch im Behandlerteam.“<br />

(Pflegerin, 53 Jahre)<br />

„Ich wünsche mir, dass alle Ärzte mehr über<br />

chronische <strong>Schmerz</strong>en und ihre Behandlung<br />

lernen.“ (Patientin, 42 Jahre)<br />

© Initiative <strong>Schmerz</strong> messen Bildarchiv<br />

temperatur – erfasst und dokumentiert werden.<br />

Die Patientenorganisation steht auch im<br />

Dialog mit Politikern, Krankenkassen und<br />

Ärzteorganisationen, um sich für jene Rahmenbedingungen<br />

stark zu machen, die eine<br />

adäquate Versorgung von Patienten mit chronischen<br />

<strong>Schmerz</strong>en überhaupt ermöglichen:<br />

Denn noch immer sind <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />

Mangelware, stehen rund 600 spezialisierte<br />

Einrichtungen zur Verfügung, obwohl 2000<br />

erforderlich wären. Dies hat mit den gesundheitspolitischen<br />

Rahmenbedingungen zu tun,<br />

aber auch mit den Defiziten der Medizinerausbildung:<br />

„Weil die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> nach<br />

wie vor kein Pflichtprüfungsfach in der Approbationsordnung<br />

ist, ist die Ausbildung der<br />

Ärzte im Bereich der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> nicht<br />

ausreichend. Dies hat fatale Folgen für die<br />

Versorgung von <strong>Schmerz</strong>patienten“, kritisiert<br />

Marianne Koch. Es dauert noch immer in den<br />

meisten Fällen viele Jahre, bis Patienten zu<br />

einem Spezialisten kommen – dann, wenn<br />

Chronifizierungsprozesse bereits fortgeschritten<br />

sind.<br />

Gemeinsam gegen den <strong>Schmerz</strong><br />

So gehört die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga beispielsweise<br />

seit 2003 zur „Koalition gegen den<br />

<strong>Schmerz</strong>“, einem Bündnis, zu dem sich die<br />

großen <strong>Schmerz</strong>organisationen zusammengeschlossen<br />

haben. Allein oder in Kooperation<br />

mit anderen Organisationen machte die Pati-<br />

Marianne Koch und<br />

Gerhard Müller-<br />

Schwefe präsentieren<br />

die Ergebnisse der<br />

Aktion <strong>Schmerz</strong>enswunsch. <br />

entenorganisation immer wieder durch große<br />

Kampagnen und Unterschriftenaktionen auf<br />

die Versorgungsprobleme aufmerksam. Vor<br />

allem setzt sich die <strong>Schmerz</strong>liga dafür ein,<br />

dass ein Facharzt für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> geschaffen<br />

wird.<br />

Nach jahrelangem Tauziehen wurde dem<br />

Recht auf <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im Jahr 2005 von<br />

den politisch Verantwortlichen zwar erstmals<br />

Rechnung getragen: Seitdem haben alle gesetzlich<br />

Versicherten Anspruch auf eine qualifizierte<br />

<strong>Schmerz</strong>behandlung. Doch dies ändert<br />

nichts daran, dass <strong>Schmerz</strong>therapeuten fehlen<br />

und die wirtschaftliche Existenz bestehender<br />

Einrichtungen aufgrund gesundheitspolitischer<br />

Rahmenbedingungen gefährdet ist.<br />

<strong>Schmerz</strong>enswünsche<br />

Darum startete die <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>liga im<br />

vergangenen Jahr die Aktion „<strong>Schmerz</strong>enswünsche“<br />

(siehe Kasten): „Unser Ziel war es,<br />

die Wünsche der <strong>Schmerz</strong>kranken in Worte zu<br />

fassen, ihren Leidensdruck zu dokumentieren<br />

und auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen«,<br />

erklärt Dr. Marianne Koch. Denn die<br />

zentrale Forderung der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>liga<br />

bleibt: „Es gilt, den Millionen von <strong>Schmerz</strong>patienten<br />

in Deutschland zu ihrem Recht auf<br />

eine angemessene Behandlung zu verhelfen<br />

und die Chronifizierung von <strong>Schmerz</strong>en durch<br />

intelligente Versorgungskonzepte und eine<br />

frühzeitige Behandlung möglichst zu verhindern.“<br />

■<br />

20 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


<strong>Schmerz</strong>patienten zwischen<br />

Wunsch und trauriger Realität<br />

Mehr Lebensqualität durch eine bessere schmerztherapeutische Versorgung mit weniger<br />

<strong>Schmerz</strong>en, das ist der größte Wunsch von <strong>Schmerz</strong>kranken hierzulande. Nach<br />

wie vor wird europaweit an wirksamen und verträglichen <strong>Schmerz</strong>mitteln gespart,<br />

sodass die Betroffenen vielfach den Lebensmut verlieren und ihr Alltag zur Hölle<br />

wird. Einen erschütternden Einblick in die Situation <strong>Schmerz</strong>kranker schilderten die<br />

Experten* und forderten nachdrücklich, dass stark wirksame und gut verträgliche<br />

Analgetika, insbesondere die modernen Retardopioide der WHO-Stufe III, frühzeitiger<br />

zum Einsatz kommen müssten.<br />

PainStory deckt europaweit Defizite auf<br />

Eine europaweite Studie (Pain Study Tracking<br />

Ongoing Responses for a Year) in 13 europäischen<br />

Ländern (Belgien, Dänemark, Deutschland,<br />

Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Niederlande,<br />

Norwegen, Schweden, Schweiz,<br />

Spanien, Großbritannien), bei der die Lebensqualität<br />

von 294 <strong>Schmerz</strong>kranken über ein Jahr<br />

verfolgt wurde, bestätigt die verbesserungswürdige<br />

Situation von <strong>Schmerz</strong>kranken. Nach<br />

einem Jahr hatten trotz Behandlung 95% der<br />

Befragten mittelstarke bis starke <strong>Schmerz</strong>en,<br />

erklärte Dipl.-Psych. Christine Liebers vom<br />

Marktforschungsinstitut Ipsos, Hamburg. 19%<br />

beklagten sogar, dass ihre <strong>Schmerz</strong>en in dem<br />

Jahr zugenommen hätten. Trotz der massiven<br />

<strong>Schmerz</strong>en erhielten aber nur 12% starke Opioide.<br />

64% sind im Glauben, dass sie die bestmögliche<br />

<strong>Therapie</strong> erhielten. Jeder Fünfte<br />

nahm allerdings wegen Nebenwirkungen sein<br />

Analgetikum auch nicht so ein wie verordnet.<br />

Zudem gingen die Patienten nicht regelmäßig<br />

zum Arzt, zu Studienbeginn konsultierten noch<br />

83%, nach einem Jahr nur noch 70% ihren<br />

Arzt. Die Folge war, dass starke <strong>Schmerz</strong>en<br />

die Lebensqualität der Patienten weiterhin<br />

einschränkten, Alltagsarbeiten konnten kaum<br />

mehr verrichtet werden und der <strong>Schmerz</strong><br />

kontrollierte das Leben. Zwei Drittel leiden an<br />

Depressionen und Angstzuständen, schilderte<br />

Liebers. Tagebücher und Illustrationen zeigen,<br />

wie traurig das Leben dieser Patienten mit starken<br />

<strong>Schmerz</strong>en ist (Abb. 1), sie erleben es als<br />

* Pressegespräch „<strong>Schmerz</strong>patienten zwischen<br />

Wunsch und Wirklichkeit – Initiative <strong>Schmerz</strong><br />

messen zeigt Diskrepanzen“ am 10.11.2009 in<br />

Berlin. Veranstalter: „Initiative <strong>Schmerz</strong> messen“<br />

mit freundlicher Unterstützung der Mundipharma<br />

GmbH<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

„Gefängnis und Hölle“ und 28% würden phasenweise<br />

am liebsten sterben.<br />

Effektive Analgesie schafft<br />

Lebensqualität<br />

Lebensqualität muss auch bei starken <strong>Schmerz</strong>en<br />

kein Wunschdenken sein, sondern kann<br />

Realität werden, illustrierte Dr. med. Gerhard<br />

H.-H. Müller-Schwefe, Göppingen, anhand einer<br />

Patientin mit stärksten <strong>Schmerz</strong>en nach<br />

einer Radiustrümmerfraktur, die zu einem komplexen<br />

regionalen <strong>Schmerz</strong>syndrom geführt<br />

hatten. Seit 2002 litt die 53-Jährige, die mit<br />

einem schwachen Opioid der Stufe 2 versorgt<br />

wurde, unter stärksten <strong>Schmerz</strong>en. Das zu<br />

schwache Opioid linderte die <strong>Schmerz</strong>en nur<br />

unzureichend, löste aber aufgrund der hohen<br />

Dosen viele Nebenwirkungen aus: Die Patientin<br />

war benommen, apathisch und unkonzentriert<br />

und wandte sich schließlich an das<br />

<strong>Schmerz</strong>- und Palliativzentrum Göppingen.<br />

Durch die Umstellung auf ein verträgliches<br />

lang wirksames Opioid der Stufe III, retardiertes<br />

Oxycodon, das durch die Kombination<br />

mit Naloxon keine Obstipation auslöst, gewann<br />

diese Frau erstmals wieder Mut und Lebensqualität.<br />

Mit dieser <strong>Therapie</strong> kann sie ihrem<br />

Hobby Schneidern wieder nachgehen, meistert<br />

ihren Alltag und hat ihr individuelles <strong>Therapie</strong>ziel<br />

erreicht. „Die richtige <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

ermöglicht eine annehmbare <strong>Schmerz</strong>linderung.<br />

Ich bin das beste Beispiel dafür. Kein<br />

Mensch mit chronischen <strong>Schmerz</strong>en muss sich<br />

mit seinem Schicksal abfinden“, appellierte die<br />

Patientin.<br />

<strong>Schmerz</strong>therapeutische Versorgung im<br />

Abseits<br />

Die Versorgung der <strong>Schmerz</strong>kranken ist auch<br />

aus der Sicht der Fachverbände und <strong>Schmerz</strong>therapeuten<br />

nach wie vor unzulänglich, kriti-<br />

© Mundipharma International Limited 2009<br />

Kongresse<br />

Abb. 1: Wenn <strong>Schmerz</strong>en ein Gesicht hätten:<br />

Viele <strong>Schmerz</strong>patienten empfinden eine große<br />

Traurigkeit, die sie in Form eines weinenden<br />

Gesichts darstellen.<br />

sierte Dr. med. Gerhard H.-H. Müller-Schwefe.<br />

Im Bereich der medikamentösen Behandlung<br />

werden die Substanzen der Stufe 1 (NSAR und<br />

Coxibe) trotz ihrer hohen Organtoxizität und<br />

die schwachen, nicht retardierten Opioide der<br />

Stufe 2 zu lange und unkritisch eingesetzt. Retardierte<br />

Opioide der Stufe 3 besitzen dagegen<br />

eine gleichbleibende Wirkung, fördern nicht die<br />

Abhängigkeit und sind auch in der Langzeittherapie<br />

sehr verträglich. Insbesondere die<br />

Fixkombination aus retardiertem Oxycodon<br />

und retardiertem Naloxon wird sehr gut vertragen,<br />

da sie die Darmfunktion nicht beeinträchtigt.<br />

Dies erhöht die Compliance und vereinfacht<br />

die <strong>Therapie</strong>, da keine Laxanzien zusätzlich<br />

erforderlich werden.<br />

Um die Versorgung der <strong>Schmerz</strong>kranken<br />

zu sichern, muss die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> endlich<br />

fester Bestandteil der Ausbildungsordnung und<br />

damit ein verpflichtendes Lehr- und Prüfungsfach<br />

für Medizinstudenten werden. Die chronische<br />

<strong>Schmerz</strong>krankheit sollte endlich in die<br />

Liste der 80 Krankheiten (Morbi-RSA), für die<br />

Krankenkassen eine erhöhte Zuweisung aus<br />

dem Gesundheitsfonds erhalten. Chronische<br />

<strong>Schmerz</strong>en müssen multimodal behandelt werden,<br />

zur medikamentösen <strong>Therapie</strong> gehören<br />

meist psychotherapeutische und physiotherapeutische<br />

Maßnahmen. Obwohl chronische<br />

<strong>Schmerz</strong>en zu den teuersten Erkrankungen<br />

des Gesundheitssystems gehören, sind sie in<br />

dieser Liste bislang nicht aufgeführt.<br />

StK ■<br />

21


Medizin und Recht<br />

Gerichte schützen die ärztliche <strong>Therapie</strong>freiheit<br />

Fibromyalgiesyndrom-Patienten werden von den privaten Krankenversicherungen<br />

oftmals als „teuer“ wahrgenommen. Über den Schlüsselbegriff der medizinischen<br />

Notwendigkeit versuchen die Assekuranzunternehmen, die Entscheidungskompetenz<br />

der <strong>Schmerz</strong>therapeuten zu beschneiden und durch eigene, meist preisgünstigere<br />

Behandlungsvorstellungen zu ersetzen. Die Gerichte halten die ärztliche<br />

<strong>Therapie</strong>freiheit und das ungestörte Arzt-Patienten-Verhältnis allen Unkenrufen zum<br />

Trotz für schützenswerte Güter und lassen dem Arzt durchaus einen Ermessensspielraum,<br />

erläutert Rechtsanwalt Emil Brodski, Fachanwalt für Medizinrecht und Sozius<br />

der Münchener Kanzlei Brodski und Lehner.<br />

D iese<br />

positive Erfahrung machte eine an<br />

Fibromyalgiesyndrom (FMS) erkrankte<br />

Patientin, die bis zum Berliner Kammergericht<br />

(KG) gegen ihre private Krankenversicherung<br />

vorgegangen ist: Auf Verordnung ihres Arztes<br />

hatte die Patientin im Jahr 2002 physiotherapeutische<br />

und physikalische Anwendungen in<br />

Anspruch genommen, außerdem wurde sie mit<br />

den Medikamenten Vioxx ® , Antra ® Mups und<br />

Valoron ® N Retard behandelt. Die Krankenversicherung<br />

verweigerte die Erstattung der Kosten<br />

und begründete dies damit, dass die Behandlung<br />

medizinisch nicht notwendig gewesen<br />

sei und sich die Patientin vielmehr einer<br />

psychotherapeutischen Behandlung hätte unterziehen<br />

müssen.<br />

Medizinisch notwendig?<br />

Dreh- und Angelpunkt der Frage, wer hier eigentlich<br />

Recht hat, ist der von den privaten<br />

Versicherungen oft bemühte Begriff der medizinischen<br />

Notwendigkeit. Denn nur Aufwendungen<br />

für medizinisch notwendige Heilbehandlungsmaßnahmen<br />

sind von den Privaten<br />

nach ihren Tarifbedingungen zu ersetzen. Indessen<br />

definiert die Rechtsprechung den Begriff<br />

der medizinischen Notwendigkeit weit:<br />

Entscheidend ist, ob es nach den objektiven<br />

medizinischen Befunden und Erkenntnissen<br />

zum Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung<br />

vertretbar war, die Behandlung als notwendig<br />

anzusehen.<br />

Obwohl die patienten- und ärztefreundliche<br />

Gleichsetzung der medizinischen Notwendigkeit<br />

mit der medizinischen Vertretbarkeit schon<br />

seit Jahren gefestigte Rechtsprechung deutscher<br />

Gerichte ist, wird sie von vielen privaten<br />

Krankenversicherungen bewusst ignoriert, um<br />

mit dem Argument der angeblich fehlenden<br />

medizinischen Notwendigkeit lästige Forderungen<br />

der Versicherungsnehmer abzulehnen.<br />

Nach der herrschenden Rechtsprechung kann<br />

die medizinische Notwendigkeit sogar dann zu<br />

bejahen sein, wenn der Erfolg der Behandlung<br />

nicht sicher vorhersehbar ist, kostengünstigere<br />

Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen<br />

oder lediglich die Verhinderung einer Verschlimmerung<br />

der Krankheit bewirkt werden kann.<br />

S3-Leitlinien juristisch relevant<br />

Unter Heranziehung dieser gefestigten Definition<br />

der medizinischen Notwendigkeit und nach<br />

Einholung eines Sachverständigengutachtens<br />

hat das KG in seinem Urteil vom 18.01.2008<br />

(6 U 72/05) die Krankenversicherung zur Zahlung<br />

an die FMS-Patientin verurteilt. Besonders<br />

informativ ist die Entscheidung angesichts der<br />

neuen S3-Leitlinie zum FMS. So hat das KG in<br />

seiner Entscheidung betont, dass die ärztlich<br />

empfohlenen Maßnahmen allein schon deshalb<br />

als medizinisch notwendig angesehen<br />

werden könnten, weil sie – bis auf den Einsatz<br />

von Valoron ® – zu den seinerzeit empfohlenen<br />

Behandlungsmaßnahmen der Arbeitsgemeinschaft<br />

der verschiedenen wissenschaftlichen<br />

medizinischen Fachgesellschaften zählten.<br />

Auch wenn sie dabei gleichberechtigt neben<br />

den von der privaten Krankenversicherung<br />

favorisierten psychotherapeutischen Behandlungsmethoden<br />

stand, so spreche dies gerade<br />

nicht gegen die medikamentöse Behandlung,<br />

sondern für sie, werde doch durch das Nebeneinander<br />

deutlich, dass beide Methoden vertretbar<br />

und damit als medizinisch indiziert angesehen<br />

werden können. Auf welche von mehreren<br />

vertretbaren Maßnahmen sich Arzt und Patient<br />

letztlich einigen, könne und dürfe von der Krankenversicherung<br />

nicht bestimmt werden.<br />

Alternativmethoden auch<br />

erstattungsfähig<br />

Im Umkehrschluss bedeutet dies erfreulicherweise<br />

nicht, dass nur leitlinienkonforme <strong>Therapie</strong>ansätze<br />

medizinisch vertretbar sind. Eine<br />

solche Gleichung würde zwangsläufig zu<br />

einem Stillstand der medizinischen Entwicklung<br />

führen, der gerade im Zusammenhang mit<br />

der verhältnismäßig „jungen“ Erforschung des<br />

FMS unvertretbar wäre.<br />

Und auch auf diese<br />

Frage, also wie mit<br />

neuen Behandlungsmethoden<br />

umzugehen<br />

ist, deren Wirksamkeit<br />

wissenschaftlich nicht<br />

bewiesen sind, die<br />

nicht in den Leitlinien<br />

berücksichtigt sind und<br />

denen die Krankenver-<br />

Emil Brodski,<br />

München<br />

sicherungen gern den Stempel „Alternativmedizin“<br />

aufdrücken, hat das KG in seinem Urteil<br />

(im Hinblick auf das nicht in den damaligen<br />

Leitlinien erwähnte Valoron ® ) eine Antwort gegeben:<br />

Da bei der FMS, die – gemessen an der<br />

Historie der Medizin – erst seit Kurzem bekannt<br />

sei, eine wissenschaftliche Forschung erst einsetze<br />

und die Entwicklung neuer Medikamente<br />

bislang unzureichend sei, müssten im Krankenversicherungsrecht<br />

auch „nur“ in der klinischen<br />

Praxis eingeführte Behandlungsmaßnahmen<br />

als medizinisch notwendige Heilbehandlung angesehen<br />

werden, selbst wenn sich der behandelnde<br />

Arzt für diese <strong>Therapie</strong>n nicht auf wissenschaftliche<br />

Evidenzen stützen könne.<br />

Fazit<br />

Die Gerichte nehmen die ärztliche <strong>Therapie</strong>freiheit<br />

ernst. Patienten und Ärzte sollten<br />

sich nicht ohne Weiteres von Versicherungen<br />

mit dem Einwand der angeblich fehlenden medizinischen<br />

Notwendigkeit abwimmeln oder<br />

unter Druck setzen lassen. Typischerweise<br />

werden im Rahmen der zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen<br />

zur Frage der medizinischen<br />

Notwendigkeit Sachverständigengutachten<br />

eingeholt. Da sich, wie dargestellt, der<br />

Begriff der medizinischen Notwendigkeit an<br />

der Vertretbarkeit einer Behandlung orientiert<br />

und damit weit zu verstehen ist, müsste ein<br />

Gutachter die Unvertretbarkeit einer Maßnahme<br />

attestieren, damit der Patient den Prozess<br />

gegen seine Krankenversicherung verliert.<br />

Wird jedoch eine schmerztherapeutische Maßnahme<br />

auf der Grundlage einer soliden Anamnese<br />

von vernünftigen Erwägungen getragen,<br />

wird ihre medizinische Vertretbarkeit meist<br />

bestätigt werden, auch wenn der Gutachter<br />

selbst möglicherweise einen anderen Weg gewählt<br />

hätte. Es lohnt sich auf jeden Fall, um die<br />

ärztliche <strong>Therapie</strong>freiheit zu kämpfen. ■<br />

Emil Brodski, München<br />

Mehr unter www.brodski-lehner.de<br />

22 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


© Wiesbaden Marketing GmbH<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

Das Innovationsforum<br />

der DGS<br />

Am 13. und 14. November 2009 fand in Wiesbaden das turnusmäßige Innovationsforum<br />

der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> statt. Welche neuen Daten<br />

und Fakten für die praktische <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> relevant sind, berichten Dr. med.<br />

Thomas Cegla, Wuppertal, und Dr. med. Oliver Emrich, Ludwigshafen, Vizepräsidenten<br />

der DGS.<br />

Neue Wirkstärken von<br />

Oxycodon/Naloxon<br />

Prof. Esther Pogatzki-Zahn, Münster, präsentierte<br />

zunächst klinische Studien zu neuen<br />

Wirkstärken der Fixkombination Oxycodon/<br />

Naloxon. Dieses Arzneimittel ist jetzt bis zu<br />

Tagesdosierungen von zweimal 40 mg Wirksubstanz<br />

Oxycodon zugelassen. Es vermindert<br />

auch in diesen und noch höheren Dosisbereichen<br />

signifikant die bedeutendste unerwünschte<br />

Opioidwirkung, die Obstipation, ohne<br />

durch den hohen Anteil von Naloxon an Wirksamkeit<br />

einzubüßen. Dies funktioniert auch in<br />

der täglichen Praxis außerhalb von Studien,<br />

bestätigte DGS Leiter Kai Herrmanns, Berlin.<br />

S3-Leitlinie LONTS umstritten<br />

Diskutiert wurde von Herrmanns die neue S3-<br />

Leitlinie LONTS (Langzeitanwendung von Opioiden<br />

bei nicht tumorbedingten <strong>Schmerz</strong>en).<br />

Diese Leitlinie bringe keine neuen Fakten und<br />

bestätige den hochverantwortlichen Umgang<br />

mit der <strong>Therapie</strong>option starker Opioide in der<br />

Langzeit, den die Qualitätsnormen der <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> sowie<br />

nationale und internationale Konsensusentscheidungen<br />

schon seit Jahren kennen und<br />

durchführen. Nicht nachvollziehen kann der<br />

Berliner Algesiologe aber die LONTS-Empfeh-<br />

Kurhaus Wiesbaden<br />

lung, nach drei Monaten einen Auslassversuch<br />

von Opioiden zu unternehmen. Dies gehe völlig<br />

an praktischen Erfordernissen vorbei.<br />

Minutiöse <strong>Schmerz</strong>diagnostik ein Muss<br />

Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen,<br />

forderte ein noch konsequenteres Assessment<br />

von chronischen <strong>Schmerz</strong>en, der „größten<br />

Seuche des 21. Jahrhunderts“: Jeder fünfte<br />

Bürger von Industrienationen hat ein Problem<br />

mit lang anhaltenden <strong>Schmerz</strong>en. Neben der<br />

Differenzierung nach <strong>Schmerz</strong>arten ist eine<br />

mechanismenorientierte <strong>Therapie</strong> gefragt, die<br />

die <strong>Schmerz</strong>kinetik sowie den zirkadianen Verlauf<br />

von <strong>Schmerz</strong>en unter besonderer Berücksichtigung<br />

von <strong>Schmerz</strong>spitzen beachtet.<br />

Dr. med. Thomas Tzschentke, Aachen, stellte<br />

mit Tapentadol eine neue Wirksubstanz vor,<br />

die ihre Zulassung nächstes Jahr in Deutschland<br />

erwartet. Tapentadol, in USA bereits auf<br />

dem Markt, vereint die μ-Rezeptor spezifischen<br />

prä- und postsynaptischen Wirkungen eines<br />

Opioids mit einer signifikanten Noradrenalin-<br />

Wiederaufnahmehemmung an Alpha-2-Rezeptoren<br />

des absteigenden <strong>Schmerz</strong>hemmsystems<br />

(MOR-NRI – μ-Opioidrezeptoragonist<br />

und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer).<br />

Nach den klinischen Daten von Priv.-Doz. Dr.<br />

Michael Überall, Nürnberg, war dieses Wirk-<br />

© Wiesbaden Marketing GmbH<br />

Neroberg<br />

Oliver Emmrich,<br />

Ludwigshafen<br />

Kongresse<br />

Thomas Cegla,<br />

Wuppertal<br />

prinzip gegenüber einem herkömmlichen Opioid<br />

in der Placebokontrolle wie auch im direkten<br />

Vergleich signifikant überlegen.<br />

Im Fokus Durchbruchschmerzen<br />

Einen besonderen Schwerpunkt bildeten<br />

Strategien zur <strong>Therapie</strong> von Durchbruchsschmerzen.<br />

Prof. Frank Elsner, Aachen, stellte<br />

die derzeit übliche Einteilung von Durchbruchsschmerzen<br />

in den differenzialtherapeutischen<br />

Zusammenhang. Vorhersagbare <strong>Schmerz</strong>spitzen<br />

(z.B. bei Lagerungsmanövern o.Ä.) sind<br />

prophylaktisch durch rechtzeitige Gaben von<br />

z.B. nicht retrardiertem Morphin, Oxycodon<br />

und Hydromorphon relativ gut beherrschbar.<br />

Spontane unvorhersehbare <strong>Schmerz</strong>durchbrüche<br />

auf dem Boden einer Basisschmerztherapie<br />

erfordern aber schnellere Optionen. Einer<br />

von drei Tumorschmerzpatienten hat solche<br />

Ereignisse aufgrund von z.B. Knochenmetastasen,<br />

Tangierung neuronaler Strukturen, Hyperkalzämie<br />

oder Leberkapselschmerz. Durchbruchsschmerzen<br />

erreichen nach drei Minuten<br />

ihr Maximum und die im Mittel vier Episoden<br />

pro Tag dauern ca. 30 Minuten. Hier kommen<br />

die Optionen für vorhersagbare <strong>Schmerz</strong>spitzen<br />

alle zu spät. Transmembranös gängige<br />

Zubereitungen von Fentanyl (transmukosal,<br />

buccal, nasal) sind hier eindeutig die derzeit zu<br />

23


Kongresse<br />

empfehlenden Substanzen. Doch Medikation<br />

ist nicht alles.<br />

Dass die <strong>Schmerz</strong>kontrolle mit z.B. nasalem<br />

Fentanyl in der Praxis sehr gut funktioniert,<br />

zeigte Dr. med. Thomas Nolte, Wiesbaden,<br />

anhand klinischer Daten. Diese Substanzen<br />

haben ihren Wirkbeginn nach fünf Minuten,<br />

das heißt dann, wenn sie wirken sollen, und<br />

die Dosis-Wirkungs-Beziehung ist linear bis<br />

in die erforderlichen Akutdosen von 100 bis<br />

zu 800 μg nasal appliziertem Fentanyl. Den<br />

genauen Wirkmechanismus erläuterte Mark<br />

Watling, Reading (UK). Das Fentanyl wird in<br />

Form eines Pectinsprays appliziert, das in<br />

einem feinen Film die nasale Oberfläche bedeckt<br />

und aufgrund seiner hohen Lipophilie<br />

das transmembranös gängige Fentanyl schnell<br />

innerhalb weniger Minuten freisetzt.<br />

Psychologische Strategien<br />

Dipl.-Psych. Martina Pestinger, Aachen, stellte<br />

die psychologischen Interventionsmöglichkeiten<br />

vor. Patienten mit Durchbruchsschmerzen<br />

würden „vom <strong>Schmerz</strong> überrollt“<br />

und leiden unter massivem Kontrollverlust, Panik,<br />

Ängsten und Schuldzuweisungen an die<br />

eigene Person. Hier wirken der behutsame<br />

Umgang mit der Gesamtbefindlichkeit des Patienten,<br />

Selbstwertstabilisierung, Wertschätzung<br />

und Defokussierung u.a. durch Imagination<br />

und Hypnotherapie. Der Patient dürfe keinesfalls<br />

nach seiner wirksamen Medikation<br />

„betteln müssen“.<br />

Bedarfsadaptiert behandeln<br />

Im Abendsymposium wurde von Dr. med. Gerhard<br />

H.-H. Müller-Schwefe, Göppingen, die<br />

Bedeutung einer am Bedarf orientierten Pharmakotherapie<br />

von <strong>Schmerz</strong>en betont. Striktes<br />

Befolgen des WHO-Stufenschemas ohne genaue<br />

<strong>Schmerz</strong>erfassung ist ebenso wenig<br />

sinnvoll wie Medikamente zu verordnen, deren<br />

Wirkeintritt erst nach Abklingen einer <strong>Schmerz</strong>attacke<br />

liegt. Besonders bei Durchbruchschmerzen<br />

hat bukkal appliziertes Fentanyl<br />

deutliche Vorteile in der bedarfsadaptierten<br />

Behandlung. Auf der sogenannten Stufe 1 des<br />

WHO-Stufenschemas sind diverse Pharmaka<br />

mit unterschiedlichem Risikoprofil zusammengefasst.<br />

Bei sorgfältiger Risikobewertung ist<br />

allenfalls das Flupirtin zu empfehlen. Priv.-Doz.<br />

Dr. med. Michael Überall, Nürnberg, beleuchtete<br />

die Stufe-1-Analgetika kritisch. Acetylsalicylsäure<br />

auch als Prophylaxe führe vielfach<br />

häufiger zu kardiovaskulären Ereignissen als<br />

das vom Markt verschwundene Vioxx ® . Nach<br />

wie vor werden NSAR zu unkritisch eingesetzt,<br />

was zu ca. 3000 Todesfällen durch gastrointestinale<br />

Blutungen pro Jahr sowie diversen anderen<br />

Interaktionen führt.<br />

Nasales Fentanylspray<br />

Der zweite Tag befasste sich unter anderem<br />

mit innovativen Applikationsformen. PecSys ® ,<br />

ein nasales Fentany-Spray, stellt eine neue<br />

Pharmakotherapie bei Tumor-Durchbruchschmerz<br />

dar. Durchbruchschmerzen betreffen<br />

bis zu 95% aller Krebspatienten und sind durch<br />

unvorhersehbare, plötzlich einsetzende Episoden<br />

intensiver <strong>Schmerz</strong>en gekennzeichnet, die<br />

trotz einer Basisschmerzbehandlung auftreten.<br />

Die Galenik und Studiendaten der Substanz<br />

wurden von Mark Watling vorgestellt.<br />

In einer Studie der Phase III wurde Nasal-<br />

Fent ® mit sofort freigesetztem Morphinsulfat<br />

verglichen. Mit NasalFent ® behandelte Patienten<br />

erreichten eine statistisch signifikante<br />

Verbesserung der <strong>Schmerz</strong>intensitätsdifferenz<br />

innerhalb von 15 Minuten. Diese signifikante<br />

Verbesserung der <strong>Schmerz</strong>werte im Vergleich<br />

zum sofort freigesetzten Morphinsulfat hält an<br />

und besteht auch noch 60 Minuten nach der<br />

Verabreichung.<br />

Klinische Erfahrungen anhand von Patientenbeispielen<br />

beschrieb Prof. Dr. med. Eberhardt<br />

A. Lux, Lünen. Eine suffiziente Analgesie<br />

lässt sich durch PecSys ® nasales Fentanyl<br />

Spray als Ergänzung zur Basismedikation<br />

erreichen. Das Fentanylcitrat-Nasenspray hat<br />

eine niedrige Viskosität und kann in kleinen<br />

Dosen von 100 mcl mithilfe einer herkömmlichen<br />

Nasenspraypumpe verabreicht werden.<br />

Durch in der Nasenschleimhaut vorhandene<br />

Kalziumionen bildet das Pektin eine dünne<br />

Gelschicht. Durch diese Applikation wird eine<br />

schnelle Aufnahme in den systemischen Kreislauf<br />

und eine verlängerte Wirksamkeitsdauer<br />

gewährleistet.<br />

Topisches Lidocain<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Michael Überall stellte die<br />

Effizienz von topischem Lidocain bei der Behandlung<br />

von verschiedenen <strong>Schmerz</strong>syndromen<br />

vor. Eine deutlich hochsignifikante Wirksamkeit<br />

zeigt sich besonders auch über eine<br />

mehrwöchige Behandlung. In der Diskussion<br />

unter Beteiligung von Prof. Jürgen Sandkühler,<br />

Wien, wurde ein möglicher neuromodulativer<br />

Effekt durch systemische Wirkung diskutiert.<br />

Zentrale Sensibilisierung<br />

Prof. Jürgen Sandkühler erläuterte den augenblicklichen<br />

Stand der Grundlagenforschung.<br />

Der Sinn multimodaler differenzierter <strong>Therapie</strong>ansätze<br />

und einer möglichst frühzeitigen <strong>Therapie</strong><br />

wird durch die Forschungsergebnisse<br />

bestätigt. Während die periphere Sensibilisierung<br />

meist auf die Dauer der peripheren Schädigung<br />

begrenzt ist, kann die zentrale Sensibilisierung<br />

die primären <strong>Schmerz</strong>ursachen überdauern<br />

und zur Chronifizierung von <strong>Schmerz</strong>en<br />

beitragen. Ein ausgeprägter Kalziumanstieg in<br />

den Hinterhornneuronen führt zu einer Reihe<br />

von Signaltransduktionswegen und zu anhaltenden<br />

Veränderungen der Zelleigenschaften.<br />

Eine gestörte spinale Hemmung löst eine Reihe<br />

klinisch relevanter <strong>Schmerz</strong>symptome aus<br />

und stellt einen neuen Angriffspunkt für die<br />

Prävention und <strong>Therapie</strong> von <strong>Schmerz</strong>zuständen<br />

dar. Langzeitpotenzierung der synaptischen<br />

Übertragung (Long-Term-Potentiation,<br />

LTP) kann durch abruptes Absetzen verschiedener<br />

Opioide sowohl in vivo als auch in vitro<br />

ausgelöst werden. Mit der 2-Photonen-Laserscanning-Mikroskopie<br />

lässt sich sichtbar machen,<br />

dass die Ursache hierfür offenbar ein<br />

Anstieg der Konzentration von freien Kalziumionen<br />

in Nervenzellen des Rückenmarks ist.<br />

Moderne Opioide gefordert<br />

Dr. med. Gerhard H.-H. Müller-Schwefe stellte<br />

Morphin als Goldstandard in der Versorgung<br />

chronisch kranker <strong>Schmerz</strong>patienten infrage.<br />

Wird eine <strong>Therapie</strong> an den Bedarf des Patienten<br />

angepasst, muss sie <strong>Schmerz</strong>verlauf<br />

und Nebenwirkungen berücksichtigen. Moderne<br />

Opiate können dies leisten, wenngleich der<br />

Behandler bei deren sinnvollen Einsatz noch<br />

allzu oft von sinnlosen Sanktionen bedroht<br />

wird.<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Michael Überall<br />

schilderte die deutlichen Vorteile des Flupirtin<br />

im Vergleich zu unterschiedlichen Vormedikationen<br />

von Rückenschmerzen hinsichtlich<br />

Schlafqualität und Tagesfitness. Diese Parameter<br />

sind Indikatoren für die Lebensqualität<br />

und die Qualität der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. ■<br />

Hessischer Landtag<br />

Oliver Emrich, Ludwigshafen<br />

Thomas Cegla, Wuppertal<br />

24 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

© Wiesbaden Marketing GmbH


DGS-Veranstaltungen<br />

Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die<br />

Geschäftsstelle des DGS Oberursel: Tel.: 06171/286060,<br />

Fax: 06171/286069, E-Mail: info@dgschmerztherapie.de.<br />

Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den<br />

Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de<br />

mit der Möglichkeit der Onlineanmeldung.<br />

März <strong>2010</strong><br />

Neue Entwicklung in der Tumorschmerz-<br />

therapie<br />

10.03.<strong>2010</strong> in Thuine/Gartenstadt; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Lingen<br />

Manuelle Diagnostik und <strong>Therapie</strong> –<br />

die LBH-Region (Teil 1) mit praktischen Übungen<br />

10.03.<strong>2010</strong> in Bielefeld; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Bielefeld<br />

Update Wirbelsäulenchirurgie<br />

10.03.<strong>2010</strong> in Chemnitz; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Chemnitz<br />

Vernetzung ambulanter und stationärer<br />

Palliativversorgung<br />

10.03.<strong>2010</strong> in Haan; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Haan<br />

Palliativmedizin Modul 2<br />

10.03.–14.03.<strong>2010</strong> in Kevelaer;<br />

Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Geldern/Kreis<br />

Kleve<br />

Kopfschmerz – diagnostischer Algorithmus<br />

11.03.<strong>2010</strong> in Miltenberg; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Miltenberg<br />

LWS/ISG – manualtherapeutische Diagnostik und<br />

<strong>Therapie</strong><br />

12.03.–13.03.<strong>2010</strong> in Bonn-Bad Godesberg;<br />

Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Bonn-Bad<br />

Godesberg<br />

Curriculum Psychosomatische Grundversorgung<br />

DGS – Kurs 6 (Kursreihe 2009/<strong>2010</strong>)<br />

13.03.–14.03.<strong>2010</strong> in Bad Dürkheim; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Ludwigshafen<br />

Curriculum Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>, Block A<br />

14.03.–15.03.<strong>2010</strong> in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle<br />

DGS<br />

Kopfschmerztherapie – ein Update <strong>2010</strong><br />

15.03.<strong>2010</strong> in Erkelenz; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Erkelenz<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

Curriculum Spezielle <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>,<br />

Block B<br />

16.03.–17.03.<strong>2010</strong> in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle<br />

DGS<br />

Botulinumtoxin in der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

17.03.<strong>2010</strong> in München; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – München<br />

Psychosomatik 3<br />

18.03.<strong>2010</strong> in Bad Säckingen: Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Bad Säckingen<br />

Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil<br />

1 Einführungsveranstaltung<br />

20.03.<strong>2010</strong> in Frankfurt am Main; Geschäftsstelle<br />

DGS<br />

<strong>Schmerz</strong>management durch Selbstbewusstsein:<br />

sicheres Auftreten mit der Wingwave-Methode<br />

20.03.<strong>2010</strong> in Düsseldorf; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Düsseldorf<br />

Opioidinduzierte Hyperalgesie – Mythos oder Wirklichkeit?<br />

24.03.<strong>2010</strong> Gießen-Kleinlinden; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Gießen<br />

Curriculum Chirotherapie – Osteopathie/Kinder<br />

(Kursreihe <strong>2010</strong>/2011)<br />

Laudatio Professor Günter Baust<br />

Am 25. November 2009 beging Professor<br />

Günter Baust seinen 80. Geburtstag. Nach<br />

dem Medizinstudium in Halle und Greifswald<br />

(1958) folgte die Facharztausbildung zunächst<br />

für Chirurgie, dann für Anaesthesiologie<br />

(1963) in Halle. Seine wissenschaftliche<br />

Laufbahn setzte sich 1969 mit der Habilitation,<br />

1970 mit einer Dozentur für Anaesthesiologie<br />

und 1973 mit der Berufung zum ordentlichen<br />

Professor für Anaesthesie und Intensivtherapie<br />

an der Martin-Luther-Universität<br />

Halle fort. Noch zu DDR-Zeiten, in den 80er-<br />

Jahren, widmete sich Professor Baust der<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Ethik in der Medizin. Er<br />

baute 1985 eine <strong>Schmerz</strong>ambulanz an der<br />

Martin-Luther-Universität auf. 1993 ging Professor<br />

Baust den Schritt in die eigene Niederlassung<br />

und eröffnete eine Praxis für<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und Anaesthesiologie. 1995<br />

initiierte er die Gründung des schmerztherapeutischen<br />

Kollegiums der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in Halle, welches<br />

DGS Termine / Nachrichten<br />

26.03.–28.03.<strong>2010</strong> in Bad Dürkheim; Regionales<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Ludwigshafen<br />

Einleitung und Beantragung von Pflegeleistungen<br />

31.03.<strong>2010</strong> in Halle; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS<br />

– Halle (Saale)<br />

April <strong>2010</strong><br />

Multiprofessioneller Gesprächskreis – Qualitätszirkel<br />

– Palliativversorgung Siegen-Wittgenstein-<br />

Olpe<br />

07.04.<strong>2010</strong> in Siegen; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Siegen<br />

CRPS – Update<br />

08.04.<strong>2010</strong> in Tübingen; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Tübingen<br />

Ganzheitliche <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in der Frauenheilkunde<br />

09.04.–10.04.<strong>2010</strong> in Dresden;<br />

Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS – Dresden<br />

Posttherapeutische Neuropathie<br />

14.04.<strong>2010</strong> in Stade; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Stade<br />

Zervikogener Kopfschmerz<br />

15.04.<strong>2010</strong> in Miltenberg; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Miltenberg<br />

Psychosomatik 4<br />

15.04.<strong>2010</strong> in Bad Säckingen;<br />

Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum DGS –<br />

Bad Säckingen<br />

Moderne und wirtschaftliche medikamentöse<br />

<strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

16.04.<strong>2010</strong> in Emden; Regionales <strong>Schmerz</strong>zentrum<br />

DGS – Emden<br />

er viele Jahre leitete.<br />

Während seiner beruflichen<br />

und wissenschaftlichen<br />

Tätigkeit<br />

lag ihm die Weitergabe<br />

seines Wissens an<br />

Studenten und jüngere<br />

Kollegen immer am<br />

Herzen. Neben seiner<br />

Lehrtätigkeit veröf-<br />

Günter Baust,<br />

Halle<br />

fentlichte er Bücher, entwickelte Patente und<br />

hielt viele wissenschaftliche Vorträge im In-<br />

und Ausland. Auch jetzt noch im 80. Lebensjahr<br />

engagiert sich Professor Baust für<br />

ethische Fragen in der <strong>Schmerz</strong>- und Palliativmedizin,<br />

bezieht klar Stellung und ist uns jüngeren<br />

Kollegen stets ein kompetenter Ansprechpartner.<br />

Wir Mitglieder des regionalen<br />

<strong>Schmerz</strong>zentrums Halle wünschen<br />

ihm Gesundheit und Vitalität.<br />

Ingunde Fischer,<br />

Leiterin des regionalen <strong>Schmerz</strong>zentrum Halle<br />

25


26<br />

Bücherecke<br />

Anästhesie für die Praxis<br />

û Das kompakte und praxisnahe Buch ergänzt den Klassiker „Larsen –<br />

Anästhesie“ und bietet eine evidenzbasierte Anleitung zur praktischen Umsetzung<br />

der Anästhesiologie für alle operativen Fächer. Ausgehend von den<br />

pharmakologischen und physiologischen Grundlagen werden im zweiten<br />

Teil die klinische Anästhesie u.a. mit präoperativer Einschätzung, Vorgehen<br />

bei Begleiterkrankungen, präoperativer Dauermedikation, Prämedikation,<br />

Narkosesysteme, die verschiedenen Anästhesieverfahren, Lagerung, Überwachung,<br />

perioperative Flüssigkeitstherapie, ambulante Anästhesie in eigenen<br />

Kapiteln dargestellt. Im dritten Teil werden die verschiedenen Fachgebiete<br />

separat mit praxisnahen Hinweisen zu den EbM-Leitlinien in der<br />

Anästhesie dargestellt. Ein praktisches Anwenderbuch für Assistenzärzte in der Weiterbildung, als Prüfungsliteratur<br />

und auch für erfahrene Anästhesisten zur Aktualisierung ihres Wissens. StK<br />

Reinhard Larsen: Praxisbuch Anästhesie. 2009, 1008 Seiten, 66 farb. Abb., kartoniert, EUR 79,95. ISBN: 978-<br />

3-437-24760-6. Elsevier/Urban & Fischer, Verlag, München.<br />

Psychologische <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> in der Gruppe<br />

û Gemeinsam gegen den <strong>Schmerz</strong>, diesem Prinzip folgt dieses praxiserprobte<br />

Programm, das Betroffenen Hilfe zur Selbsthilfe vermittelt. Es<br />

besteht aus verschiedenen Sitzungen, in denen das Wissen und die Techniken<br />

zur <strong>Schmerz</strong>kontrolle vermittelt werden. Die Gruppensitzungen sind<br />

mit Entspannungsübungen, Fantasiereisen und Literaturtipps für den Kursleiter<br />

so aufbereitet, dass man sie direkt einsetzen kann. Sie eignen sich für<br />

Kurse, offene Gruppen, Selbsthilfegruppen oder bieten auch Grundlage für<br />

Einzelgespräche. Mit eigenen Arbeitsblättern werden Patienten zum Führen<br />

eines <strong>Schmerz</strong>tagebuches animiert. Wer die psychologische Gruppentherapie<br />

in der <strong>Schmerz</strong>praxis umsetzen möchte, kann in dem Buch der Berliner<br />

Entspannungstherapeutin sicherlich viele Ideen und Anregungen bekommen. StK<br />

Helena Harms: Psychologische <strong>Schmerz</strong>bewältigung. Ein pragmatisches Konzept für die Gruppenarbeit.<br />

2009, 128 S., kt, EUR 16,90. ISBN 978-3-497-02101-7. Ernst Reinhardt Verlag, München.<br />

Leitlinie Unterbauchschmerzen<br />

û Fast jede achte Frau leidet an chronischen Unterleibsschmerzen. Fehldiagnosen<br />

und Übertherapien sind bei diesem Volksleiden an der Tagesordnung.<br />

Daher ist es höchste Zeit, dass für dieses Krankheitsbild von kompetenter<br />

Seite (nämlich der <strong>Gesellschaft</strong> für Psychosomatische Frauenheilkunde<br />

in Zusammenarbeit mit der DGSS und der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

für Urologie) eine aktuelle Leitlinie erarbeitet wurde. Dieses Büchlein gibt<br />

einen exzellenten Überblick über sinnvolle Maßnahmen in Diagnostik und<br />

<strong>Therapie</strong>. Für den Praktiker genügt die Kurzfassung auf 32 Seiten, während<br />

Interessierte das gesamte Buch mit Quellentext und Langfassung durcharbeiten<br />

werden. StK<br />

<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe: Chronischer Unterbauchschmerz<br />

der Frau. 2009, 128 S., EUR 29,90. ISBN 9-783941-130012. Verlag S. Kramarz, Berlin.<br />

Musik in der Palliativmedizin<br />

û Schwerstkranke im Hospiz und auf der Palliativstation leiden oft unter<br />

der nüchternen medizinischen Technik. Musik kann in dieser Situation Trost<br />

spenden und die Lebensqualität verbessern. Mit anschaulichen Fallbeispielen<br />

illustrieren die beiden Heidelberger Musiktherapeutinnen, wie<br />

Musiktherapie Entspannung und die Aufarbeitung von Lebenserfahrungen<br />

unterstützend begleiten kann. StK<br />

Martina Baumann/Dorothea Bünemann: Musiktherapie in Hospizarbeit und<br />

Palliative Care. 2009, 136 S., kt, EUR 19,90. ISBN 978-3-497-02107-9. Ernst<br />

Reinhardt Verlag, München.<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)


Metastasierendes Bronchialkarzinom<br />

Die Gratwanderung zwischen Lebensqualität, effektiver <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> und<br />

Nebenwirkungen stellt oft eine große Herausforderung in der Behandlung von Tumorschmerzen<br />

dar, schildert Dr. Gerhard H.H. Müller-Schwefe, leitender Arzt des<br />

<strong>Schmerz</strong>- und Palliativzentrums Göppingen am Beispiel einer Patientin mit metastasierendem<br />

Bronchialkarzinom.<br />

Der Praxisfall<br />

Die 62­jährige Patientin stellte sich im <strong>Schmerz</strong>­<br />

und Palliativzentrum Göppingen mit Atemnot<br />

und Thorakalschmerzen vor. Sowohl die Angehörigen<br />

als auch der behandelnde Hausarzt<br />

gehen davon aus, dass die Dyspnoe Ausdruck<br />

des zentralen Primärtumors im Rahmen der<br />

Terminalphase ist. Allein die <strong>Schmerz</strong>en beeinträchtigen<br />

die Lebensqualität so sehr, dass<br />

eine medikamentöse Neueinstellung erforderlich<br />

scheint.<br />

Die Vorgeschichte<br />

Vor fünf Monaten wurde bei einem Gewichtsverlust<br />

von 10 kg innerhalb von vier Monaten<br />

und zunehmender Dyspnoe die Diagnose<br />

eines zentralen Bronchialkarzinoms mit zahlreichen<br />

intrapulmonalen Metastasen gestellt.<br />

Das Plattenepithelkarzinom war der palliativen<br />

Strahlentherapie und Chemotherapie nur sehr<br />

mäßig zugänglich. Über drei Monate nahm der<br />

Primärtumor nicht zu, dann war eine weitere,<br />

rasche Größenzunahme des zentralen Tumors<br />

wie auch der Metastasen zu verzeichnen. In<br />

dieser Zeit entwickelten sich zudem atemabhängige<br />

<strong>Schmerz</strong>en im dritten und vierten Interkostalraum<br />

rechts und auch brennende<br />

<strong>Schmerz</strong>en in der Brustwand, die als Nebenwirkung<br />

der Chemotherapie interpretiert wurden.<br />

Die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> bestand aus Fentanyl<br />

transdermal 50 µg/h sowie bei Bedarf 50<br />

Tropfen Metamizol. Hierunter ging die <strong>Schmerz</strong>intensität<br />

von VAS 90 auf VAS 55 zurück, das<br />

Erträglichkeitsniveau war VAS 20. Neben anhaltenden<br />

intestinalen Spasmen und einer<br />

Obstipation trotz regelmäßiger Laxanzieneinnahme<br />

(Lactulose und Bisacodyl) quälten die<br />

Patientin vor allem brennende <strong>Schmerz</strong>en in<br />

der rechten Thoraxwand. Daneben klagte sie<br />

über eine ausgeprägte Ruhedyspnoe, sodass<br />

Schlafen nur noch in aufrechter Position möglich<br />

war.<br />

Befund<br />

Bei der Erstuntersuchung fiel neben der Dyspnoe<br />

röntgenologisch eine Verschattung der<br />

gesamten rechten Lunge sowie der linken Lun­<br />

SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

ge basal auf. Zudem waren periphere Metastasen<br />

sowie Pleurametastasen in Höhe der dritten<br />

und vierten Rippe rechts zu sehen. In dieser<br />

Höhe lagen in der gesamten rechten Thoraxwand<br />

brennende <strong>Schmerz</strong>en mit ausgeprägter<br />

dynamischer Allodynie vor. Die massive<br />

Atemnot wurde durch einen ausgeprägten<br />

Zwerchfellhochstand bei geblähtem und aufgetriebenem<br />

Abdomen noch verstärkt, Darmgeräusche<br />

konnten nur spärlich registriert werden.<br />

Neben der Dyspnoe wurden die Abdominalschmerzen<br />

und Krämpfe von der Patientin<br />

als mindestens ebenso belastend eingestuft<br />

wie die Thorakalschmerzen.<br />

<strong>Therapie</strong> und Verlauf<br />

Unter der Annahme einer tumorassoziierten<br />

Pneumonie wurde zunächst eine antibiotische<br />

<strong>Therapie</strong> eingeleitet. Die brennenden <strong>Schmerz</strong>en<br />

wurden – da streng lokalisiert – eher auf<br />

die Infiltration der Interkostalnerven 3 und 4<br />

durch Pleurametastasen zurückgeführt als auf<br />

die Chemotherapie. Deshalb wurde gleichzeitig<br />

die bestehende Opioidtherapie um Pregabalin<br />

zweimal 75 mg, dann zweimal 150 mg ergänzt.<br />

Unter der antibiotischen <strong>Therapie</strong> besserte<br />

sich die Dyspnoe zusehends, sodass die Patientin<br />

nach zwölf Tagen wieder im Liegen schlafen<br />

konnte. Auch die neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en<br />

waren deutlich gebessert. Allerdings nahmen<br />

die gastrointestinalen Beschwerden dermaßen<br />

zu, sodass trotz aller laxativen Maßnahmen<br />

inklusive Einlauf die Stuhlfrequenz auf einmal<br />

in zehn Tagen reduziert war. Zudem wurde die<br />

Defäkation bei knochentrockenen und harten<br />

Stühlen als außerordentlich schmerzhaft und<br />

unvollständig geschildert.<br />

Trotz der häufig tradierten Auffassung, dass<br />

transdermale Opioide geringere Auswirkungen<br />

auf die gastrointestinale Motilität haben, entschieden<br />

wir uns in dieser Situation zum Wechsel<br />

von Fentanyl TTS auf Oxycodon/Naloxon<br />

(Targin ® ) zweimal täglich 40/20 mg, da für<br />

Oxycodon in zahlreichen Studien eine gute<br />

Wirksamkeit bei neuropathischen <strong>Schmerz</strong>en<br />

nachgewiesen wurde. Pregabalin konnte abgesetzt<br />

werden.<br />

© Sebastian Kaulitzki/fotolia.com<br />

Der <strong>Schmerz</strong>fall aus der Praxis<br />

Hinter starken <strong>Schmerz</strong>en bei Lungenkrebs<br />

kann auch eine Pneumonie stecken.<br />

Unter dieser Medikation konnten die<br />

<strong>Schmerz</strong>en, insbesondere auch die neuropathische<br />

Komponente, so gut beherrscht werden,<br />

dass die Patientin jetzt eine maximale<br />

<strong>Schmerz</strong>intensität von VAS 25 bei einem individuellen<br />

Behandlungsziel von VAS 20 angab.<br />

Innerhalb von zehn Tagen normalisierte sich<br />

die Darmaktivität auf tägliche Stuhlgänge.<br />

Zusammenfassung<br />

Dyspnoe und <strong>Schmerz</strong>en sind bei Tumorpatienten<br />

häufig gemeinsam auftretende Symptome.<br />

Wie der <strong>Therapie</strong>verlauf unserer Patientin<br />

zeigt, lohnt es sich, nicht alle Symptome<br />

automatisch auf das Tumorgeschehen zurückzuführen,<br />

sondern die verschiedenen Mechanismen<br />

sorgfältig zu analysieren. Neben neuropathischen<br />

<strong>Schmerz</strong>en durch die Tumorinfiltration<br />

von Nerven, war die pneumoniebedingte<br />

Dyspnoe, verstärkt durch gastrointestinale Nebenwirkungen<br />

von transdermalem Fentanyl,<br />

für unsere Patientin die gravierendste Belastung.<br />

In dieser Situation war die antibiotische<br />

<strong>Therapie</strong> für eine effektive Symptomkontrolle<br />

von entscheidender Bedeutung.<br />

Die Umstellung auf Targin ® führte nicht nur<br />

zu einer besseren <strong>Schmerz</strong>kontrolle sowohl der<br />

nozizeptiven <strong>Schmerz</strong>en als auch der neuropathischen<br />

Komponenten, sondern gleichzeitig<br />

auch zu einer deutlich besseren Verträglichkeit<br />

und damit zu einer zusätzlichen Entlastung der<br />

Patientin. ■<br />

Gerhard H. H. Müller-Schwefe<br />

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