Schmerztherapie 1/2010 - Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft ...
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© StK<br />
Interkulturelle Kommunikation und PTBS<br />
mit psychisch reaktiven Traumafolgeerkrankungen<br />
(PTBS) werden zu den vielfältigen<br />
Symptomen auch Somatisierungsstörungen<br />
beschrieben wie<br />
■ anhaltende somatoforme <strong>Schmerz</strong>störungen,<br />
z.B. als chronifizierte Rückenschmerzen,<br />
Schulter-Nacken-Verspannungen, Kopfschmerzen<br />
bzw. Migräne oder als wandernde Körperschmerzen<br />
(„meine linke Seite tut weh“). Frauen<br />
beschreiben häufig Unterbauchschmerzen<br />
und eine Neigung zu Menstruationsbeschwerden;<br />
■ wiederkehrende oder anhaltende Magenbeschwerden,<br />
z.B. Sodbrennen, Magenschmerzen,<br />
Gastritis bis hin zum Magengeschwür;<br />
■ funktionelle Darmbeschwerden (Colitis irrita-<br />
bile);<br />
■ funktionelle Hautbeschwerden mit diffusem<br />
Juckreiz und/oder kribbelnden Missempfindungen<br />
(Reichelt in Haenel et al., 2004) und<br />
zahlreiche weitere somatische Beschwerden.<br />
Im Rahmen von dissoziativen Episoden in Zusammenhang<br />
mit PTBS kann es außerdem zum<br />
„Wiedererleben“ von in der Vergangenheit erlebten<br />
<strong>Schmerz</strong>zuständen kommen. Überlebende<br />
schwerer Menschenrechtsverletzungen haben<br />
teilweise auch nach Jahren in Deutschland niemals<br />
über die erlittene Folter gesprochen. Ihre<br />
psychischen Symptome werden von ihnen und<br />
ihren Angehörigen als „verrückt sein“ interpretiert.<br />
Daher stehen beim Aufsuchen eines Arztes die<br />
körperlichen, meist chronifizierten Beschwerden<br />
im Mittelpunkt. Steht die Verdachtsdiagnose<br />
PTBS im Raum, empfiehlt sich die Kontaktaufnahme<br />
zur Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft<br />
der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und<br />
Folteropfer (BAfF) e.V. (Paulsenstr. 55–56, 12163<br />
Berlin, Tel. +49(0)30-31012463, Fax:+49(0)30-<br />
3248575, E-Mail: info@baff-zentren.org).<br />
Sprach- und Kulturmittlerin Jamila Bougrine im Einsatz.<br />
Migrationsspezifische Faktoren<br />
Der Migrationsprozess bildet für die meisten<br />
Migranten einen prägenden Abschnitt ihrer Biografie.<br />
Neben der emotionalen Bewältigung der<br />
Herausforderungen des Ankommens in der<br />
neuen <strong>Gesellschaft</strong> beinhaltet er auch eine<br />
immense Verlusterfahrung von Gewohntem<br />
und Vertrautem. Die damit verbundenen Entwurzelungsgefühle<br />
und der Trauerprozess beeinflussen<br />
ihre körperliche, seelische und<br />
emotionale Gesundheit. Hinzukommende Erfahrungen<br />
von sozialer Ungleichheit und Diskriminierung<br />
schränken Möglichkeiten zur gesellschaftlichen<br />
Partizipation und zur individuellen<br />
Lebensgestaltung ein.<br />
Zugewanderte Personen kommen in Kontakt<br />
mit einem Gesundheitssystem, das vielfach<br />
anders funktioniert, als sie es aus ihren Heimatländern<br />
kennen, mit der Konsequenz, dass<br />
sie Dienste des Gesundheitswesens seltener<br />
als die einheimische Bevölkerung in Anspruch<br />
nehmen. Besonders deutlich wird dies an der<br />
erhöhten Müttersterblichkeit bei Migrantinnen.<br />
Aus dem Bericht über die Lage der Ausländerinnen<br />
und Ausländer der Beauftragten der<br />
Bundesregierung (2005) geht hervor, dass<br />
insbesondere bei Vorsorgeuntersuchungen<br />
Migrantinnen deutlich unterrepräsentiert sind.<br />
Ehrenamtliche ärztliche Versorgung<br />
Abhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status<br />
kann sogar der Zugang zu medizinischer Versorgung<br />
stark eingeschränkt sein. So steht<br />
Personen im laufenden Asylverfahren und mit<br />
einer sogenannten Duldung lediglich eine medizinische<br />
Versorgung bei akuten und lebensbedrohlichen<br />
Krankheiten zu. Menschen ohne<br />
legalen Aufenthalt haben gar keinen Zugang.<br />
Meist unbemerkt, in einigen Städten auch of-<br />
fensiv leisten engagierte Ärzte und Kliniken in<br />
Kooperation mit Migrationsdiensten ehrenamtliche<br />
Hilfe.<br />
Konzepte von Gesundheit und Krankheit<br />
Die ethnomedizinische Forschung hebt die kulturelle<br />
Bedingtheit von Gesundheits- bzw.<br />
Krankheitskonzepten hervor. Konzepte von Gesundheit<br />
und Krankheit entwickeln sich nach<br />
den in einer Kultur dominierenden Medizin- und<br />
Glaubensvorstellungen, Traditionen und kulturellen<br />
Praktiken. Jeder Mensch wird durch die<br />
soziale Gruppe, in die er hineingeboren wird,<br />
geprägt (Moro, 2006). Eine an der Herkunftskultur<br />
orientierte Sichtweise kann stark von der<br />
westlichen Sicht von Krankheit oder Behinderung<br />
abweichen. Das jeweilige Laienverständnis<br />
von Ursachen und Entstehung von Krankheiten,<br />
der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden<br />
und das Vorbeugen von Krankheiten hat einen<br />
wesentlichen Einfluss auf den Umgang mit Erkrankungen<br />
und auf das Gesundheitsverhalten.<br />
Diese Laientheorien werden durch kulturelle,<br />
soziologische sowie migrationsspezifische Aspekte<br />
mitbestimmt und beeinflussen die Inanspruchnahme<br />
und Wirksamkeit medizinischer<br />
Versorgung (Bermejo, 2009).<br />
Leiden, seine Symptomatik und seine Klassifizierung<br />
werden durch die ganz unterschiedlichen<br />
Kontexte der Patienten geprägt. Daher<br />
kann auch die Diagnose nicht „kulturneutral“<br />
sein (Lydia Handke in Golsabahi et al., 2008).<br />
Vier Dimensionen<br />
Es gilt, offen dafür zu sein, dass der oder die<br />
andere anders sein könnte, als man denkt. Die<br />
beschriebenen Unterschiede lassen sich jedoch<br />
nicht eindimensional mit der nationalen<br />
oder ethnischen Zugehörigkeit einer Person<br />
verbinden. Neben gegenseitigen stereotypen<br />
Erwartungen und Vorurteilen mit „fremden“<br />
Kommunikationspartnern bilden weitere Dimensionen<br />
eine entscheidende Rolle. Das Modell<br />
von Georg Auernheimer (2002) dient zur<br />
Identifikation möglicher Störfaktoren (Abb. 1).<br />
Es beschreibt vier Dimensionen, die in der interkulturellen<br />
Kommunikation wirksam werden:<br />
1. Machtasymmetrie, 2. Kollektiverfahrung, 3.<br />
Fremdbilder und 4. differente Kulturmuster.<br />
Für das Ärzte- und Pflegepersonal ist es hilfreich,<br />
sich darüber bewusst zu werden, welche<br />
Rollenzuschreibungen sie erfahren und welche<br />
meist unbewussten Mechanismen und Bilder<br />
beide Kommunikationspartner beeinflussen.<br />
Die vier Dimensionen wirken in der jeweiligen<br />
Situation auf Erwartungen und Deutungen innerhalb<br />
der ärztlichen Beratung und Behandlung<br />
ein. Dies gilt sowohl für die Erwartungen<br />
und Deutungen seitens der Patienten zu ihren<br />
Behandlern als auch für die Zuschreibungen<br />
SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)