Schmerztherapie 1/2010 - Schmerz Therapie Deutsche Gesellschaft ...
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Kongresse<br />
empfehlenden Substanzen. Doch Medikation<br />
ist nicht alles.<br />
Dass die <strong>Schmerz</strong>kontrolle mit z.B. nasalem<br />
Fentanyl in der Praxis sehr gut funktioniert,<br />
zeigte Dr. med. Thomas Nolte, Wiesbaden,<br />
anhand klinischer Daten. Diese Substanzen<br />
haben ihren Wirkbeginn nach fünf Minuten,<br />
das heißt dann, wenn sie wirken sollen, und<br />
die Dosis-Wirkungs-Beziehung ist linear bis<br />
in die erforderlichen Akutdosen von 100 bis<br />
zu 800 μg nasal appliziertem Fentanyl. Den<br />
genauen Wirkmechanismus erläuterte Mark<br />
Watling, Reading (UK). Das Fentanyl wird in<br />
Form eines Pectinsprays appliziert, das in<br />
einem feinen Film die nasale Oberfläche bedeckt<br />
und aufgrund seiner hohen Lipophilie<br />
das transmembranös gängige Fentanyl schnell<br />
innerhalb weniger Minuten freisetzt.<br />
Psychologische Strategien<br />
Dipl.-Psych. Martina Pestinger, Aachen, stellte<br />
die psychologischen Interventionsmöglichkeiten<br />
vor. Patienten mit Durchbruchsschmerzen<br />
würden „vom <strong>Schmerz</strong> überrollt“<br />
und leiden unter massivem Kontrollverlust, Panik,<br />
Ängsten und Schuldzuweisungen an die<br />
eigene Person. Hier wirken der behutsame<br />
Umgang mit der Gesamtbefindlichkeit des Patienten,<br />
Selbstwertstabilisierung, Wertschätzung<br />
und Defokussierung u.a. durch Imagination<br />
und Hypnotherapie. Der Patient dürfe keinesfalls<br />
nach seiner wirksamen Medikation<br />
„betteln müssen“.<br />
Bedarfsadaptiert behandeln<br />
Im Abendsymposium wurde von Dr. med. Gerhard<br />
H.-H. Müller-Schwefe, Göppingen, die<br />
Bedeutung einer am Bedarf orientierten Pharmakotherapie<br />
von <strong>Schmerz</strong>en betont. Striktes<br />
Befolgen des WHO-Stufenschemas ohne genaue<br />
<strong>Schmerz</strong>erfassung ist ebenso wenig<br />
sinnvoll wie Medikamente zu verordnen, deren<br />
Wirkeintritt erst nach Abklingen einer <strong>Schmerz</strong>attacke<br />
liegt. Besonders bei Durchbruchschmerzen<br />
hat bukkal appliziertes Fentanyl<br />
deutliche Vorteile in der bedarfsadaptierten<br />
Behandlung. Auf der sogenannten Stufe 1 des<br />
WHO-Stufenschemas sind diverse Pharmaka<br />
mit unterschiedlichem Risikoprofil zusammengefasst.<br />
Bei sorgfältiger Risikobewertung ist<br />
allenfalls das Flupirtin zu empfehlen. Priv.-Doz.<br />
Dr. med. Michael Überall, Nürnberg, beleuchtete<br />
die Stufe-1-Analgetika kritisch. Acetylsalicylsäure<br />
auch als Prophylaxe führe vielfach<br />
häufiger zu kardiovaskulären Ereignissen als<br />
das vom Markt verschwundene Vioxx ® . Nach<br />
wie vor werden NSAR zu unkritisch eingesetzt,<br />
was zu ca. 3000 Todesfällen durch gastrointestinale<br />
Blutungen pro Jahr sowie diversen anderen<br />
Interaktionen führt.<br />
Nasales Fentanylspray<br />
Der zweite Tag befasste sich unter anderem<br />
mit innovativen Applikationsformen. PecSys ® ,<br />
ein nasales Fentany-Spray, stellt eine neue<br />
Pharmakotherapie bei Tumor-Durchbruchschmerz<br />
dar. Durchbruchschmerzen betreffen<br />
bis zu 95% aller Krebspatienten und sind durch<br />
unvorhersehbare, plötzlich einsetzende Episoden<br />
intensiver <strong>Schmerz</strong>en gekennzeichnet, die<br />
trotz einer Basisschmerzbehandlung auftreten.<br />
Die Galenik und Studiendaten der Substanz<br />
wurden von Mark Watling vorgestellt.<br />
In einer Studie der Phase III wurde Nasal-<br />
Fent ® mit sofort freigesetztem Morphinsulfat<br />
verglichen. Mit NasalFent ® behandelte Patienten<br />
erreichten eine statistisch signifikante<br />
Verbesserung der <strong>Schmerz</strong>intensitätsdifferenz<br />
innerhalb von 15 Minuten. Diese signifikante<br />
Verbesserung der <strong>Schmerz</strong>werte im Vergleich<br />
zum sofort freigesetzten Morphinsulfat hält an<br />
und besteht auch noch 60 Minuten nach der<br />
Verabreichung.<br />
Klinische Erfahrungen anhand von Patientenbeispielen<br />
beschrieb Prof. Dr. med. Eberhardt<br />
A. Lux, Lünen. Eine suffiziente Analgesie<br />
lässt sich durch PecSys ® nasales Fentanyl<br />
Spray als Ergänzung zur Basismedikation<br />
erreichen. Das Fentanylcitrat-Nasenspray hat<br />
eine niedrige Viskosität und kann in kleinen<br />
Dosen von 100 mcl mithilfe einer herkömmlichen<br />
Nasenspraypumpe verabreicht werden.<br />
Durch in der Nasenschleimhaut vorhandene<br />
Kalziumionen bildet das Pektin eine dünne<br />
Gelschicht. Durch diese Applikation wird eine<br />
schnelle Aufnahme in den systemischen Kreislauf<br />
und eine verlängerte Wirksamkeitsdauer<br />
gewährleistet.<br />
Topisches Lidocain<br />
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Überall stellte die<br />
Effizienz von topischem Lidocain bei der Behandlung<br />
von verschiedenen <strong>Schmerz</strong>syndromen<br />
vor. Eine deutlich hochsignifikante Wirksamkeit<br />
zeigt sich besonders auch über eine<br />
mehrwöchige Behandlung. In der Diskussion<br />
unter Beteiligung von Prof. Jürgen Sandkühler,<br />
Wien, wurde ein möglicher neuromodulativer<br />
Effekt durch systemische Wirkung diskutiert.<br />
Zentrale Sensibilisierung<br />
Prof. Jürgen Sandkühler erläuterte den augenblicklichen<br />
Stand der Grundlagenforschung.<br />
Der Sinn multimodaler differenzierter <strong>Therapie</strong>ansätze<br />
und einer möglichst frühzeitigen <strong>Therapie</strong><br />
wird durch die Forschungsergebnisse<br />
bestätigt. Während die periphere Sensibilisierung<br />
meist auf die Dauer der peripheren Schädigung<br />
begrenzt ist, kann die zentrale Sensibilisierung<br />
die primären <strong>Schmerz</strong>ursachen überdauern<br />
und zur Chronifizierung von <strong>Schmerz</strong>en<br />
beitragen. Ein ausgeprägter Kalziumanstieg in<br />
den Hinterhornneuronen führt zu einer Reihe<br />
von Signaltransduktionswegen und zu anhaltenden<br />
Veränderungen der Zelleigenschaften.<br />
Eine gestörte spinale Hemmung löst eine Reihe<br />
klinisch relevanter <strong>Schmerz</strong>symptome aus<br />
und stellt einen neuen Angriffspunkt für die<br />
Prävention und <strong>Therapie</strong> von <strong>Schmerz</strong>zuständen<br />
dar. Langzeitpotenzierung der synaptischen<br />
Übertragung (Long-Term-Potentiation,<br />
LTP) kann durch abruptes Absetzen verschiedener<br />
Opioide sowohl in vivo als auch in vitro<br />
ausgelöst werden. Mit der 2-Photonen-Laserscanning-Mikroskopie<br />
lässt sich sichtbar machen,<br />
dass die Ursache hierfür offenbar ein<br />
Anstieg der Konzentration von freien Kalziumionen<br />
in Nervenzellen des Rückenmarks ist.<br />
Moderne Opioide gefordert<br />
Dr. med. Gerhard H.-H. Müller-Schwefe stellte<br />
Morphin als Goldstandard in der Versorgung<br />
chronisch kranker <strong>Schmerz</strong>patienten infrage.<br />
Wird eine <strong>Therapie</strong> an den Bedarf des Patienten<br />
angepasst, muss sie <strong>Schmerz</strong>verlauf<br />
und Nebenwirkungen berücksichtigen. Moderne<br />
Opiate können dies leisten, wenngleich der<br />
Behandler bei deren sinnvollen Einsatz noch<br />
allzu oft von sinnlosen Sanktionen bedroht<br />
wird.<br />
Priv.-Doz. Dr. med. Michael Überall<br />
schilderte die deutlichen Vorteile des Flupirtin<br />
im Vergleich zu unterschiedlichen Vormedikationen<br />
von Rückenschmerzen hinsichtlich<br />
Schlafqualität und Tagesfitness. Diese Parameter<br />
sind Indikatoren für die Lebensqualität<br />
und die Qualität der <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong>. ■<br />
Hessischer Landtag<br />
Oliver Emrich, Ludwigshafen<br />
Thomas Cegla, Wuppertal<br />
24 SCHMERZTHERAPIE 1/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />
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