Allein - Diakonie Dresden
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Demenz und Einsamkeit<br />
Wenn die Welt im Kopf verschwindet<br />
Der rüstige Senior, der noch weit jenseits der<br />
80 körperlich fit und geistig aktiv ist, kommt<br />
in der Fernsehwerbung oft vor, in der Realität<br />
aber ziemlich selten. Viel häufiger leben<br />
alte Menschen zurückgezogen in ihren Wohnungen,<br />
die sie kaum noch verlassen.<br />
Ursachen sind Verlust des Ehepartners, von<br />
Freunden und Verwandten oder Wegzug der<br />
Kinder. Das wirkt sich massiv auf die Gesundheit<br />
und geistige Aktivität aus.<br />
US-Forscher des Rush University Medical<br />
Center in Chicago haben herausgefunden,<br />
dass alte Menschen umso häufiger an einer<br />
Demenz erkranken, je einsamer sie sich<br />
fühlen. Bisher konnte nicht geklärt werden,<br />
wie Gefühle der Einsamkeit eine massive<br />
strukturelle Veränderung im Gehirn bewirken.<br />
Demenz stammt aus dem Lateinischen und<br />
bedeutet soviel wie „ohne Geist“, „des Verstandes<br />
beraubt“. Diese Bezeichnung wird<br />
aber dem Krankheitsbild nicht gerecht.<br />
Das Krankheitsbild einer Demenz ist unabhängig<br />
von der Ursache, stets durch<br />
Abnahme der Gedächtnisleistung und deutlicher<br />
Verminderung des Denkvermögens<br />
gekennzeichnet.<br />
Das Besondere liegt darin, dass sich beim<br />
Betroffenen Gedächtnis und Intelligenz immer<br />
mehr verschlechtern, obwohl vorher keine<br />
Einschränkungen vorhanden waren.<br />
Mit fortschreitender Demenz treten Schwierigkeiten<br />
auf, den tgl. Alltag zu meistern, das<br />
Leben unabhängig von Anderen zu gestalten.<br />
Es entsteht ein erheblicher Leidensdruck,<br />
der sich beim Einzelnen unterschiedlich ausdrückt.<br />
Bei einigen ist es der Rückzug aus der Gesellschaft,<br />
die Angst sich zu blamieren und beim<br />
Anderen kommt es zu Aggressionen.<br />
Besonders zu Beginn der Erkrankung unternehmen<br />
Betroffene alles, um ihre Irrtümer,<br />
Vergesslichkeiten und daraus entstehende<br />
Probleme zu verbergen. An der Demenz<br />
erkrankt im Grunde genommen nicht nur<br />
der Betroffene selbst, sondern die gesamte<br />
Familie.<br />
Ab einem bestimmten Lebenspunkt kann die<br />
Lebensführung nicht mehr ohne Hilfe bewältigt<br />
werden. Das Leben von Menschen mit<br />
Demenz ist mit vielen Verlusten und Ängsten<br />
verbunden, aber sie besitzen auch eine<br />
Vielzahl von Fähigkeiten, die sie als Person<br />
auszeichnen. Gefühle treten immer stärker in<br />
den Vordergrund und werden eine wichtige<br />
Ressource zur Verständigung. Persönliche<br />
Prägungen kommen zum Ausdruck wie Ordnungssinn,<br />
Freude an Musik, Singen oder<br />
Tanzen. Die Diagnose Demenz stellt für alle<br />
Betroffenen eine Herausforderung dar.<br />
Im günstigsten Fall leben Erkrankte und Angehörige<br />
bewusster, nehmen Möglichkeiten in<br />
Anspruch, die Zukunft zu planen, Hilfen zu<br />
organisieren, lange gehegte Wünsche umzu-<br />
11<br />
setzen, Dinge zu regeln. Die Diagnose stürzt<br />
aber auch viele in ein Gefühl der Verzweiflung,<br />
mit dem Gefühl einer nicht heilbaren<br />
Krankheit und in der Auseinandersetzung mit<br />
dem Tod.<br />
Für Betroffene ist es schmerzhaft, ihre Defizite<br />
zu erkennen und dass ihnen ihre unabhängige<br />
Lebensführung verloren geht.<br />
Mit der Zeit, wenn der Mensch vergisst, dass<br />
er vergisst, entsteht für ihn eine gewisse Entlastung,<br />
aber für Angehörige wird es immer<br />
belastender. Die Betreuung und Sorge um<br />
den geliebten Menschen bescheren ihnen<br />
einen „36-Stunden“ Tag. Sie arbeiten häufig<br />
bis an die Grenzen der Belastbarkeit und<br />
leiden oftmals unter Schuldgefühlen bei<br />
Inanspruchnahme professioneller Pflege und<br />
Betreuung. Angehörige plagen Selbstvorwürfe,<br />
die Versorgung des Erkrankten nicht<br />
mehr allein schaffen zu können.<br />
Beim Umzug in stationäre Einrichtungen<br />
nehmen diese Schuldgefühle meist noch<br />
zu. Deshalb benötigen auch Angehörige viel<br />
Verständnis und Hilfe. Jeder Veränderung<br />
geht ein schwieriger Entscheidungsprozess<br />
für Betroffene, Angehörige, Helfer und Institutionen<br />
voraus. Fallbesprechungen dienen<br />
dazu, eine tragfähige Lösung für alle zu<br />
finden. Nach einem Einzug ins Heim endet<br />
die professionelle Angehörigenbetreuung<br />
nicht. So gehört eine Angehörigenarbeit zur<br />
professionellen Versorgung Demenzkranker.<br />
Möglichkeiten dazu sind Hausbesuche vor<br />
dem Einzug, um Umfeld und Lebensumstände<br />
kennen zu lernen, Integration der<br />
Angehörigen in den Heimalltag, Aufnahmegespräche,<br />
Angehörigencafés, Angehörige<br />
zu Pflegevisiten und Fallbesprechungen einzuladen,<br />
gemeinsame Biografiearbeit, Unterstützung<br />
bei der Zimmergestaltung.<br />
Demente Menschen erkennen oft Angehörige<br />
nicht mehr. Sie vergessen, wer sie selbst<br />
�Titel<br />
Thema<br />
sind, was sie waren, was sie im täglichen<br />
Alltag brauchen. Aber sie leben,<br />
haben Bedürfnisse, Gefühle und Wünsche.<br />
Sie wollen Freude erfahren, nicht<br />
nur am Rande stehen. Gerade in dieser<br />
Lebensphase benötigen diese Menschen<br />
Zuwendung und Verständnis.<br />
Deshalb ist in den Häusern der Stadtmission<br />
ein Konzept zur Betreuung<br />
Demenzkranker integriert. Hier finden<br />
sie Begleitung auf dem jetzigen Lebensweg,<br />
Verständnis und Achtung.<br />
Die Gesamtkonzeption umfasst eine<br />
individuelle, biografieorientierte und<br />
aktivierende Pflege am aktuellen Stand<br />
der Kenntnis.<br />
Wir versuchen, die Selbstständigkeit<br />
mit Hinblick auf vorhandene Ressourcen<br />
so lange wie möglich zu erhaltenen.<br />
Einen wichtigen Punkt stellt die<br />
Biografiearbeit dar, um jede individuelle<br />
Lebensgeschichte in den Pflegeprozess<br />
einzubeziehen.<br />
Die Bezugs- bzw. Gruppenpflege<br />
nimmt einen wichtigen Stellenplatz<br />
in unserer täglichen Arbeit ein. Dem<br />
Bewohner wird dadurch das Gefühl der<br />
Vertrautheit, Geborgenheit vermittelt.<br />
Auf auftretende Veränderungen oder<br />
Besonderheiten kann somit schnell<br />
reagiert werden. Der Verlust der Häuslichkeit<br />
stellt für die Bewohner meist<br />
das größte Problem dar, deshalb fördern<br />
wir den Kontakt zu Angehörigen.<br />
Die Integration jedes Einzelnen<br />
in Beschäftigungsangebote fördert die<br />
vorhandenen Ressourcen und steigert<br />
die Lebensqualität. Das Leben mit<br />
dementen Menschen ist eine der größten<br />
Herausforderungen für alle Mitarbeitenden<br />
unserer Einrichtungen.<br />
Kerstin Lattermann