Allein - Diakonie Dresden
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Gedanken zur Einsamkeit<br />
Einsamkeit hat mindestens<br />
zwei Gesichter. Sie zeigt ihr<br />
doppeltes Antlitz mehr oder<br />
weniger in folgenden Zitaten:<br />
„Einsamkeit ist Seelennahrung; in der Stille<br />
kommt dem Geiste rechte Geistesoffenbarung.“<br />
Friedrich Wilhelm Weber prägte<br />
diesen Spruch. Kurt Tucholsky meint dagegen:<br />
„Das ist schwer ein Leben zu zwei'n.<br />
Nur eins ist schwerer: einsam sein.“<br />
Die Geisteswissenschaften stimmen eher<br />
Friedrich Wilhelm Weber zu. Sehen ihre Vertreter<br />
doch vorrangig positive Aspekte, „ im<br />
Sinne einer geistigen Erholungsstrategie,<br />
die notwendig sein kann, um die Gedanken<br />
zu ordnen oder Kreativität zu entwickeln.“<br />
Einsamkeit als Kraftquelle für innere Stärkung,<br />
als Raum, in dem ich wieder zu mir<br />
selber finde.<br />
Jesus ist den Weg des <strong>Allein</strong>seins, der<br />
Einsamkeit gegangen, hat 40 Tage in der<br />
Wüste gebetet und gefastet, berichtet uns<br />
die Bibel. Die Mönche im vierten Jahrhundert<br />
taten es ihm gleich, zogen in die Wüste,<br />
um sich im Loslassen und der Einsamkeit<br />
zu üben. Dabei fühlten sie sich nicht allein<br />
gelassen, gar verlassen. Vielmehr spürten<br />
sie eine Verbundenheit mit allem, mit sich<br />
selbst, mit der Natur, mit Gott. Der griechische<br />
Mönch Ponticus, ein Vertreter dieser<br />
Zeit, schrieb:<br />
„Ein Mönch ist ein Mensch, der sich von<br />
allem getrennt hat und sich doch mit allem<br />
verbunden fühlt“.<br />
Einsamkeit als Mittel der Entschleunigung,<br />
als ein fremder, mitunter bedrohlicher Berg,<br />
der, aber einmal erklommen, völlig neue,<br />
auch ungeahnte Lebensperspektiven eröffnen<br />
kann. Nur muss man sich die Mühe<br />
machen, diesen Berg zu besteigen. Das ist<br />
nicht immer einfach, bisweilen beschwerlich.<br />
Kann es doch sein, dass ich diese Stille,<br />
dieses <strong>Allein</strong>sein nicht ertragen kann. Auch<br />
kann es sein, dass ich von da oben in manchen<br />
Abgrund meiner Seele schauen muss<br />
und mir dadurch selbst begegne. Wer hält<br />
dann meine Hand, schenkt Trost, trocknet<br />
meine Tränen? Und doch hört man es immer<br />
wieder von Menschen, die diesen „Aufstieg“<br />
gewagt haben, dem Anblick standhielten,<br />
dem <strong>Allein</strong>sein nicht auswichen.<br />
Innere Zerrissenheit wurde überwunden,<br />
das Ich-selbst-sein wurde neu entdeckt. Im<br />
<strong>Allein</strong>sein kam es zur Berührung mit dem<br />
Wesentlichen. Der Mönch Amseln Grün<br />
übersetzt dieses Wesentliche als Eins-Sein,<br />
was er wie folgt beschreibt:<br />
„In solchen Augenblicken fühle ich mich eins<br />
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mit mir, einverstanden mit meiner Lebensgeschichte,<br />
eins mit der Schöpfung, eins<br />
mit Gott und eins mit allen Menschen. Zeit<br />
und Ewigkeit fallen in solchen Momenten in<br />
eins.“<br />
Sollten Friedrich Wilhelm Weber und alle<br />
die, welche diesen Weg gegangen sind,<br />
recht behalten, kann Einsamkeit durchaus<br />
eine Chance für Menschen sein, dem eigenen<br />
Leben eine neue, lebendige Perspektive<br />
zu verleihen.<br />
Vertreter der Sozialwissenschaften erblicken<br />
dagegen ähnlich wie Kurt Tucholsky in<br />
der Einsamkeit einen Mangel, unter dem der<br />
Mensch leidet. „Es ist nicht gut, dass der<br />
Mensch allein sei …“ unterstreicht das Alte<br />
Testament eindringlich. Da mutet es schon<br />
etwas paradox an, wenn in den Millionenstädten<br />
unserer Erde immer mehr Menschen<br />
über Einsamkeit klagen, welche schwer auf<br />
der Seele lastet. Tür an Tür lebend, in einer<br />
hochmodernen Welt, mit noch nie dagewesenen<br />
Kommunikationsmöglichkeiten,<br />
trotzdem einsam. Dieses zweite Gesicht der<br />
Einsamkeit ist nicht selbst gewählt, sondern<br />
es zieht ungeniert seine Grimassen auf des<br />
Menschen Weg in die Vereinzelung, in die<br />
Verlassenheit, manchmal bis hin in die totale<br />
soziale Isolation. „Während in früheren Jahrhunderten<br />
die Einbindung des Einzelnen in<br />
die Gemeinschaft eine Selbstverständlichkeit<br />
war, hat sich dieser Automatismus im<br />
Zuge der Industrialisierung teilweise aufgelöst.“<br />
Dem Gang in die soziale Isolation und<br />
Verlassenheit geht der Prozess der Individualisierung<br />
voran, den in seiner radikalen<br />
Form vorwiegend die westlichen Industriegesellschaften<br />
durchlaufen haben. Wie weit<br />
hier Grenzen überschritten wurden, davon<br />
künden all die Verstorbenen, deren Ableben<br />
in der eigenen Wohnung in Stadt X oder Y<br />
erst nach Wochen oder Monaten bemerkt<br />
wurde. Auch die Tatsache, dass Verlassenheit<br />
bzw. Vereinzelung nicht nur aus sozialpsychologischer<br />
Betrachtung als Vorstufe,<br />
gar Auslöser von Volkskrankheiten wie<br />
Depression oder Alkoholismus gelten, sollte<br />
Anlass zur Nachdenklichkeit sein.<br />
In Anbetracht des Geschriebenen erscheint<br />
Einsamkeit mit ihren beiden Gesichtern als<br />
Segen und Fluch zugleich. Friedrich Wilhelm<br />
Weber und Kurt Tucholsky haben zwei<br />
Wahrheiten über ein Phänomen aus ihrer<br />
jeweiligen Perspektive beschrieben, welches<br />
die Menschheit seit Urzeiten begleitet.<br />
Wie wir mit diesen Erkenntnissen umgehen,<br />
kann durchaus unsere eigene Lebensqualität<br />
beeinflussen. Aber auch die Lebensqualität<br />
der Menschen, für die wir Verantwortung<br />
tragen, die uns anvertraut sind und für die<br />
wir als Christen Licht in dieser Welt sein<br />
sollen.<br />
Andreas Kratzsch<br />
Nahender Winter<br />
Dagmar Zimmermann<br />
Draußen fallen gelbe Blätter<br />
und der Wind weht sie davon.<br />
Ach, was ist das für ein Wetter!<br />
Und dich, Winter, riech’ ich schon.<br />
Gibst dem Herbst die ersten Fröste,<br />
machst die Wiesen morgens weiß.<br />
Und ich sammle mir und röste<br />
Esskastanien mit Eis.<br />
Stehst am Eingang noch und wartest<br />
auf den Schritt über die Schwelle.<br />
Den Sommer über du verharrtest<br />
Gott sei Dank an andrer Stelle.<br />
Dort sind sie froh, dass du jetzt gehst.<br />
Geh, mit schnellem Schritt und Füßen!<br />
Doch so, wie du jetzt vor mir stehst,<br />
mag ich dich noch nicht begrüßen.<br />
Nistest dich in meine Kleider<br />
ein und lässt mich richtig frieren.<br />
Frühling, Sommer, Herbst sind leider<br />
schon am Geh’n und Abmarschieren.<br />
Ach, könnt’ ich sie doch nur halten,<br />
die Besucher, warm und sacht.<br />
Du jagst sie fort mit der geballten<br />
Faust, mit Kälte und mit Macht.<br />
Nein, sie kommen nicht mehr wieder.<br />
Oh, ich werde sie vermissen!<br />
Und du? Du fährst mir in die Glieder<br />
und hast sie einfach rausgeschmissen<br />
aus dem Jahr, das nun bald endet<br />
und vor dir jetzt stramme steht .<br />
Hast die Blätter dir gewendet<br />
die vorhin noch bunt geweht.<br />
Bringst mir nun die ersten Flocken<br />
für all das, was du genommen.<br />
Damit willst du mich jetzt locken?<br />
Einverstanden. Sei willkommen!<br />
Foto: D. Zimmermann