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zds#19

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suppe<br />

mit obst<br />

10<br />

Viermal die Woche rollen die Suppenengel<br />

durch Bremen und geben Essen aus:<br />

warme Suppe und Brot, dazu wärmenden<br />

Kaffee, ein Tüte voll Obst und manchmal<br />

etwas Gebäck. Der kleine Platz am Rand<br />

der Wallanlagen ist die zweite Ausgabestelle<br />

heute. Auf dem Bahnhofsplatz, ihrer<br />

ersten Station, bleiben sie nur 30 Minuten.<br />

Die Zeit reicht nicht, um alle Hungrigen<br />

dort zu versorgen. Wer nichts mehr abbekommt,<br />

wird freundlich, aber bestimmt<br />

gebeten, zum Wall nachzukommen.<br />

Eine warme<br />

Mahlzeit und<br />

’nen Kaffee –<br />

„so was macht<br />

eine Stadt<br />

liebenswert“<br />

„Alle müssen sich anstellen. Wer drängelt,<br />

bekommt was von mir zu hören“, sagt<br />

Reinhard und wiederholt es gern noch<br />

mal. Ab und zu hilft der 62-Jährige mit bei<br />

der Ausgabe der warmen Suppe. Er weiß<br />

aus eigener Erfahrung, wie es ist, wenn<br />

am Ende des Monats kein Geld mehr für<br />

Essen da ist. Eine warme Mahlzeit und<br />

’nen Kaffee – „so etwas macht eine Stadt<br />

liebenswert“, sagt Reinhard. Heute ist<br />

Kürbissuppe mit Kartoffeln und Fleisch in<br />

den 60-Liter-Töpfen, dazu gibt es Brote<br />

mit Wurst oder Käse, außerdem Obst,<br />

Kompott und auf Wunsch abgepackte<br />

Backwaren vom Vortag. „Das ist kein<br />

‚Parkhotel‘-Essen hier, aber das erwartet<br />

auch niemand“, sagt Reinhard. Ordnung<br />

ist ihm wichtig im Leben, er achtet auch<br />

hier streng darauf. „Es geht nicht, dass<br />

einfach jemand in der Obstkiste wühlt.<br />

Du bekommst, was da ist; wenn es dir<br />

nicht passt, dann kriegst du halt nichts!“<br />

Aufmerksam auf die Suppenengel ist er<br />

geworden, als er noch für eine Zeitarbeitsfirma<br />

gearbeitet hat. Eines Nachmittags<br />

sieht er eine schlicht gekleidete Frau mit<br />

Gummistiefeln an den Füßen auf dem Platz<br />

stehen und Suppe verteilen. „Das war die<br />

Zia, die Gründerin der Suppenengel“, erzählt<br />

er. „Ich war begeistert.“<br />

Sozialstunden<br />

am Herd<br />

Mehr als 15 Jahre ist es her, dass Zia<br />

Gabriele Hüttinger den ersten Topf Suppe<br />

für die Armen auf den Bremer Straßen<br />

aufgesetzt hat. Spontan und in ihrer eigenen<br />

elf Quadratmeter großen Küche. Die<br />

„Tagesschau“ hatte über einen Kältetoten<br />

in Bremen berichtet, die Öffentlichkeit<br />

diskutierte, ob nachts die Bahnhöfe für<br />

Obdachlose geöffnet werden sollten.<br />

Zia Gabriele Hüttinger gingen die Bilder<br />

nicht mehr aus dem Kopf. Sie wollte<br />

nicht weiterhin untätig sein. Also stellte<br />

sie sich an den Herd, packte die Suppe<br />

auf ihr Fahrrad und zog los, um sie an<br />

frierende Obdachlose zu verteilen. „Ich<br />

wollte mich nicht auf den Gedanken verlassen:<br />

‚Die öffentlichen Einrichtungen<br />

werden sich schon kümmern.‘“ Inzwischen<br />

sind die Suppenengel ein eingetragener<br />

Verein und eine feste Größe zwischen<br />

Hauptbahnhof und Domsheide.<br />

Hüttingers Konzept: Die Suppe kommt zu<br />

den Leuten und nicht andersrum. Deshalb<br />

sieht man die Fahrräder das ganze<br />

Jahr über, egal bei welchem Wetter,<br />

durch die Innenstadt fahren. Mithilfe von<br />

mehr als 30 Freiwilligen versorgen sie<br />

täglich bis zu 150 Menschen. „Nicht nur<br />

Obdachlose“, unterstreicht Hüttinger,<br />

„sondern viele Menschen, die an der Armutsgrenze<br />

leben.“ „Kunden“, nennen sie<br />

die Bedürftigen. Deren Zahl nimmt zu.<br />

Jeder Suppentag beginnt in der Gemeindeküche<br />

der St.-Jakobi-Kirche in der Neustadt.<br />

Während andere noch schlafen,<br />

geht pünktlich um acht das weiße Licht<br />

der Neonröhren an. Mit wenigen, geübten<br />

Handgriffen knöpft sich Gerd Fechner die<br />

Kochjacke zu und bindet sich die schwarzgraue<br />

Schürze um. Insgesamt sind sie heute<br />

zu siebt in der Küche. Fechner zeigt<br />

den beiden Neuen im Team ihre Aufgaben:<br />

Gemüse und Obst waschen und schnippeln.<br />

Eine leistet ihre Sozialstunden ab, die andere,<br />

Miriam, ist freiwillig hier. Sie hat<br />

studiert, eine Zeit lang in den USA gelebt<br />

und ist momentan arbeitslos. „Mir würde<br />

zu Hause die Decke auf den Kopf fallen“,<br />

sagt sie. Während ihr kleiner Sohn in der<br />

Kita ist, will sie mindestens einmal pro<br />

Woche morgens mithelfen. „Ich brauche<br />

für so etwas immer einen festen Termin,<br />

sonst kommt mir was dazwischen.“<br />

Jeder hier hat eine Aufgabe. Zwei sitzen an<br />

einem Tisch und schmieren Brote; knapp<br />

20 Laibe verarbeiten sie zwischen neun<br />

und zwölf. Außerdem dabei: Waltraut, ein<br />

echtes Bremer Urgestein. Eine kleine Frau<br />

Ende 70, kurzes graues Haar. Auch sie<br />

trägt die schwarzgraue Kittelschürze und<br />

schnibbelt den Kürbis in Würfel. 15 Jahre<br />

lang stand sie bei „Gosh“ in der Lloydpassage<br />

in der Küche. Kochte fünf Jahre lang<br />

im „Deutschen Haus“ und besaß auch<br />

schon ein eigenes Restaurant. Seit vier<br />

Jahren ist sie bei den Suppenengeln. Viermal<br />

in der Woche hilft sie mit, immer<br />

montags, dienstags, mittwochs und freitags.<br />

Seitdem ihr Mann gestorben ist, hat<br />

sie viel Zeit. Steht sie mal nicht für die<br />

Suppenengel in der Küche, hilft sie in der<br />

Kirchengemeinde oder kümmert sich um<br />

den eigenen Garten. Waltraud liebt Fisch<br />

über alles, die Suppe hingegen isst sie<br />

nicht. „Ich brauche viel Vitamine und die<br />

werden in der Suppe zu sehr verkocht“,<br />

begründet sie und schiebt sich dann ein<br />

großes Stück Kürbis in den Mund: Sie<br />

schwört auf Rohkost.<br />

Brot für den<br />

kranken Freund<br />

Für die Kürbissuppe ist Gerd verantwortlich.<br />

Kein gelernter Koch, aber<br />

ein Rezeptbuch braucht er auch nicht. Er<br />

könne sich auf sein Gefühl verlassen, versichert<br />

er. Die Suppe ist würzig, aber lecker.<br />

„Am Anfang hat sich der ein oder<br />

andere beschwert, dass es zu versalzen<br />

ist. Aber den meisten schmeckt es so.“ Irgendwann<br />

habe er selbst mal auf der Straße<br />

gesessen, erzählen andere. Gerd selbst<br />

erzählt nur, dass er im Knast saß, weil er<br />

versucht hatte aus der DDR, in den Westen<br />

zu flüchten. Fünf Jahre sollte er eigentlich<br />

hinter Gittern bleiben, dann kam<br />

die Wende. Von heute auf morgen war er<br />

wieder ein freier Mann.

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