zds#19
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am wall<br />
18.19 Uhr<br />
Am Wall, Ecke Herdentor<br />
Einer liegt da in einer wasserabweisenden<br />
Jacke, darin ein schepperndes<br />
Kofferradio. Der Mann<br />
schläft, vom Takt der Bahnen einzig<br />
durch etwas Buschwerk getrennt,<br />
auf dem Boden, im Regen. Die<br />
Baumhasel neben ihm kriegt mehr<br />
Stütze als er.<br />
18.19 Uhr<br />
Am Wall 161<br />
Eine Frau geht sehr langsam,<br />
als fiele ihr das Gehen mit Absätzen<br />
schwer. Jeder Schritt, als würde<br />
sie von Kippe zu Kippe staksen. Vom<br />
Dach ruft eine Krähe: „Harm.“<br />
18.42 Uhr<br />
Am Wall 200, Polizeirevier<br />
Die Situation ist angespannt. Zur Auflockerung<br />
– und weil ja nichts<br />
Schlimmes passiert ist – sage ich:<br />
„Sieht anders aus hier als im<br />
Bremer ‚Tatort‘.“ „Ich bin kein großer<br />
Freund vom Tatort“, sagt der Beamte.<br />
Seine Kollegin kommt auf mich zu<br />
und fordert mich auf, ihr zu folgen.<br />
prosa<br />
27<br />
Das ist die Reiterstatue, Marek hat dem Typen ’ne riesige Lanze in die<br />
Hand gezeichnet. Und? Cool, sag ich, der Kerl schielt und hat ’n Penis<br />
mit Vorhautverengung, aber sonst … Marek schnappt mir den Block<br />
weg. Frauen wollen, dass man zu ihnen ehrlich ist: Wenn sie dich für<br />
’nen Schurken halten, dann sei auch einer!<br />
Wir sitzen auf ’ner Bank – das ist der Ort in den Wallanlagen,<br />
an dessen Namen ich mich nich’ erinnern will – da kommt ein älterer<br />
Herr und stellt sein Fahrrad hinter uns ab. Er tritt ans Geländer, lässt<br />
die Hosen runter und pisst gleich vor uns ins Wasser. Dorthin, wo es<br />
ganz flach ist. Marek nimmt Papier und Stift. Lass dich von der Natur<br />
anwehen!, ruft er, und der Mann, der sehr groß und hager ist, zieht<br />
sehr umständlich und staksend alles wieder hoch, putzt sich die Nase<br />
mit ’nem Stofftaschentuch, das hat an seinem Rand Stickereien. Wir<br />
sind also alle Helden? Und Marek: Wir sind alle Superhelden, und<br />
Superschurken sind wir auch.<br />
Da seh ich die Frau aus der Kunsthalle wieder. Ich stoß<br />
Marek die Mütze vom Kopf, renn ihr nach, zwischen Autos und Straßenbahnen,<br />
und an der Mühle dann so lässig die Hände in die Jackentaschen.<br />
Sie aber is’ nirgends mehr zu sehen. Hab nur meinen Füller<br />
in der Tasche, mit dem ich nervös spiele. Superhelden können Bilder<br />
einfach so mit Laserstrahlen aus den Augen vernichten, hat Marek gesagt.<br />
Und bäm! ist da ein Rattern und Schleifen und blaues Lachen<br />
überall. Und ich bin ausgerechnet jetzt ausgerechnet hier. Nun also<br />
sehen wir uns wieder!, sag ich. Die Mechanik im Innern, die sich mit<br />
präzisen Bewegungen gegen das Rosten wehrt. Ich nehme Aufstellung,<br />
halte mir die Feder vors Auge, bis die Mühle dahinter verschwindet.<br />
Das ist mein Supermove! Nur die Flügel ragen noch hervor. Dann<br />
geht’s Schlag auf Schlag. Schon hebt es mich in die Luft, ich steig hoch<br />
wie aufm Freimarkt, spür den Wind. Unter mir die Wallanlagen, die<br />
Innenstadt, immer weiter kann ich sehen. Und da is’ auch Marek: Er<br />
kämpft aufm Domplatz gegen Halunken.<br />
Und als ich laute Rufe hör, lass ich los, flieg dicht über den<br />
Dächern. Überall Menschen mit großen Augen. Die Wolken reißen<br />
auf. Den Rest kann man sich ausmalen.