zds#19
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aus<br />
zwängen<br />
befreien<br />
14<br />
arbeiten, wäre unseriös. Aber: In den letzten Jahren<br />
haben wir 30 bis 40 Frauen jährlich beraten.<br />
Die Dunkelziffer ist sicher nicht unerheblich.<br />
zds Melden sich betroffene Frauen selbst bei<br />
Ihnen und bitten um Hilfe?<br />
Kähler Nur die wenigsten. Viele sehen sich<br />
nicht als Opfer oder Betroffene einer Straftat.<br />
Ihre Situation im Heimatland war oftmals noch<br />
schlechter – selbst wenn sie nur 10 oder 20<br />
Euro am Tag behalten dürfen und den Rest an<br />
den Zuhälter abtreten müssen, sehen sie für<br />
ihre Lebenslage eine Verbesserung.<br />
zds Wie kommen Sie dann in Kontakt mit Ihnen?<br />
Kähler Etwa 75 Prozent kommen über die<br />
Polizei zu uns, weitere über andere Beratungsstellen<br />
oder Hilfsangebote. Viele haben in sogenannten<br />
Modellwohnungen gearbeitet, das sind<br />
im Prinzip Privatwohnungen, in denen Prostitution<br />
angeboten wird. Für das Hilfesystem sind<br />
die schwer erreichbar. Wenn wir erfahren, dass<br />
es eine Razzia gab und Frauen aufgegriffen wurden,<br />
die möglicherweise Opfer von Menschenhandel<br />
geworden sind, suchen wir sie auf oder<br />
laden sie hierher ein. Wir organisieren Dolmetscherinnen,<br />
erklären den Frauen ihre Rechte und<br />
stellen dar, welche Möglichkeiten sie haben. Je<br />
nachdem, wie sie sich entscheiden, beraten wir<br />
sie dann fortlaufend.<br />
zds Welche Möglichkeiten haben Betroffene?<br />
Kähler Sie haben das Recht, für sich zu reflektieren,<br />
ob sie eine Zeugenaussage machen möchten<br />
oder nicht. Für diese Zeit erhalten sie eine<br />
Aufenthaltserlaubnis und staatliche Transferleistungen.<br />
Gleiches gilt auch für den Zeitraum von<br />
einer Aussage bis zum Abschluss eines Gerichtsverfahrens,<br />
sofern sie sich hierzu entschieden<br />
haben.<br />
zds Was aber nicht alle tun?<br />
Kähler Einige möchten so schnell wie möglich<br />
wieder in ihr Heimatland zurück. Frauen, die hier<br />
ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben, betreuen<br />
wir hingegen manchmal über mehrere Jahre.<br />
Wenn es zu einer Gerichtsverhandlung kommt,<br />
unterstützen wir sie durch eine Vor- und Nachbereitung<br />
und durch eine persönliche Begleitung.<br />
Nach dem Prozess erarbeiten wir – sofern<br />
sie das wünschen und sie die Möglichkeit haben,<br />
ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen –<br />
auch neue Lebensperspektiven mit ihnen.<br />
zds Wovon hängt es ab, ob es zu einer Gerichtsverhandlung<br />
kommt?<br />
Kähler Hauptsächlich davon, inwieweit die Ermittlungsbehörden<br />
Beweise finden können. Im<br />
Falle von Menschenhandel sind das meist Zeugenaussagen<br />
– und die wiederum sind sehr oft<br />
abhängig von der individuellen Situation der Betroffenen:<br />
Eine Frau, die durch ihr persönliches<br />
Umfeld stark unter Druck steht, wird sich sehr<br />
gut überlegen, ob sie sich traut, eine offene Aussage<br />
zu machen. Oft kommen Täter und Opfer aus<br />
demselben Ort und stehen in Kontakt mit ihrer<br />
Familie im Heimatland. Dies kann dazu führen, dass<br />
sie sich entscheidet, keine Aussage zu machen, um<br />
ihre Familie nicht zu gefährden. Es gibt aber auch<br />
immer wieder Frauen, die sich aus den Zwängen<br />
befreien können. Im Schnitt haben wir in Bremen<br />
zwei bis drei Gerichtsverfahren im Jahr.<br />
zds Wann greift das Strafgesetzbuch überhaupt?<br />
Kähler Wenn Frauen in der Prostitution gegen<br />
ihren Willen oder ohne ihr Einverständnis bezüglich<br />
der Arbeitsbedingungen arbeiten müssen<br />
und dadurch zu Opfern werden. Das juristisch<br />
zu belegen, ist jedoch oft ein ganz schmaler Grat.<br />
Ganz klar fällt es unter Menschenhandel zum<br />
Zwecke der sexuellen Ausbeutung, wenn die Frau<br />
beispielsweise unter falschen Voraussetzungen<br />
ihr Heimatland verlassen hat, sie also getäuscht<br />
oder in einer Notlage ausgenutzt wurde. Natürlich<br />
ist es Zwang, wenn sie unter Gewaltanwendung<br />
zur Arbeit in der Prostitution gezwungen<br />
wird oder ihr Gewalt – sowohl psychischer als<br />
auch physischer Art – angedroht wird. Außerdem<br />
ist in diesem Zusammenhang die Möglichkeit zum<br />
selbstbestimmten Arbeiten ein wichtiger Faktor;<br />
das bedeutet konkret, dass sie selber entscheiden<br />
kann, welche Freier sie bedienen will, wo sie arbeitet,<br />
welche Dienstleistungen sie anbietet und<br />
vor allem auch, zu welchem Preis.<br />
zds Jede andere Arbeitnehmerin muss sich doch<br />
auch nach ihrem oder ihrer Vorgesetzten richten!<br />
Kähler Sie kann aber selbst entscheiden, ob<br />
sie dort überhaupt arbeiten will, ob sie mit den<br />
Arbeitsbedingungen einverstanden ist oder ob<br />
ihre persönlichen Grenzen überschritten sind.<br />
Und für die Arbeitgeber gibt es gesetzliche Vorgaben,<br />
an die sie sich halten müssen.<br />
zds Für Bordellbetreiber und Ähnliche nicht?<br />
Kähler Ein Arbeitsverhältnis in der Prostitution,<br />
auch wenn das eine der Intentionen des<br />
Prostitutionsgesetzes war, ist in den meisten Fällen<br />
nicht vergleichbar mit einem herkömmlichen<br />
Arbeitsverhältnis. Unsere Klientinnen jedenfalls<br />
zeigen uns deutlich durch ihre Erfahrungen und<br />
Erlebnisse, dass es ein großes Risiko gibt, wenn<br />
sie sich auf eine Tätigkeit in der Prostitution einlassen<br />
und die Rahmenbedingungen unsicher sind.<br />
zds Das Gesetz, in Kraft seit 2002, stellt Prostitution<br />
in rechtlicher Sicht in vielen Punkten gleich