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Meinung Ich kaufe, also bin ich? Die Rolle von <strong>Marke</strong>n als Mittel menschlicher Identitätskonstitution Von Dr. Gerhard Schwarz In Gesellschaften mit marktwirtschaftlich organisierten Ökonomien gewinnen <strong>Marke</strong>n zunehmend an Bedeutung als Mittel menschlicher Identitätskonstitution. Über ihre Produkte und Leistungen, über ihre Kommunikation, insbesondere Werbung und andere Formen der Präsentation, sind <strong>Marke</strong>n im lebensweltlichen Alltag der Menschen allgegenwärtig. Vielfach liefern sie Handlungs-, Rollen- und Lebensstilmodelle, geben damit umfassende Sinnund Werteorientierungen und beeinflussen so das Handeln, Wollen, Wünschen, Fühlen und Denken der Menschen. Indem sie als kognitiv-emotionale Modelle der Wahrnehmung, Reflexion, Aneignung und Gestaltung von Welt und Selbst dienen, prägen sie das menschliche In-der-Welt- und Selbstsein. Indem sie als Medien der Selbstpräsentation und Selbstdeklaration die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen und Wertegemeinschaften bewerkstelligen, übernehmen sie zudem soziale Identifizierungs- und Differenzierungsfunktionen. Das Werte- und Sinnangebot von <strong>Marke</strong>n kann dabei bis zu weltanschaulichen und quasi-religiösen Identifikationsbildungen reichen und ist damit letztlich auch gesellschafts- und kulturprägend. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist ein wachsender Einfluss auf die Persönlichkeitsund Sozialitätsentwicklung zu verzeichnen. Der Umgang mit <strong>Marke</strong>n kann dabei so intim und für den einzelnen so bedeutsam sein, dass sie zu Lebens(abschnitts)gefährten, Freunden und libidinös besetzten Partnern werden, die den Heranwachsenden im Durchleben von Entwicklungskonflikten und im Meistern von Krisen unterstützen und begleiten. Auf diese Weise werden <strong>Marke</strong>n zu integralen Bestandteilen und strukturierenden Elementen menschlicher Identität. Der ökonomische Blick auf die <strong>Marke</strong> Bemerkenswerter Weise spielen die hier skizzierten Aspekte in einer rein ökonomisch geprägten Verständnisperspektive so <strong>gut</strong> wie keine Rolle. In betriebswirtschaftswissenschaftlicher Betrachtung erscheinen <strong>Marke</strong>n mit Blick auf das am Markt agierende Unternehmen vor allem als marketingtechnisch interessante Instrumente, etwa der Produkteinführung, Produktdifferenzierung, Absatzsteigerung, Preisgestaltung, Kundenbindung etc. und sollen letztlich vor allem der Umsatz- und Gewinnsicherung bzw. -steigerung dienen. Mit Blick auf den Konsumenten treten weitere, technischpraktische Nutzenfunktionen in den Vordergrund: Für den primär an der Befriedigung seiner individuellen Bedürfnisse interessierten Konsumenten erhöhen <strong>Marke</strong>n die Überschaubarkeit komplexer Produkt- und Dienstleistungsmärkte, verringern den Aufwand in der Suche und der Auswahl entsprechender Angebote und fungieren in sachlich intransparenten Kaufsituationen als risikoreduzierende Erfahrungs- und Vertrauensanker. Das Problematische an einem derart reduzierten Blick auf die <strong>Marke</strong> wird daran sichtbar, dass sich in ihm eine Reihe von Problemen und Gefahrenpotenzialen nicht abbilden lassen, die in der realen <strong>Marke</strong>nkultur gleichwohl anzutreffen sind. Beispielsweise machen <strong>Marke</strong>n nicht nur freundliche Orientierungsangebote, die Menschen nach Belieben annehmen oder ablehnen könnten. Junge und auch ältere Konsumenten werden stattdessen nicht selten von <strong>Marke</strong>nimperativen maltretiert und sind oft genug Opfer eines <strong>Marke</strong>nterrors, der sich in Abhängigkeit und <strong>Marke</strong>nsucht niederschlägt. Anders als es die Idee des Marktes als Gemeinschaft freier Marktteilnehmer suggeriert, sind Konsumenten oft Spielball der Macht der <strong>Marke</strong>n, die über psychosoziale und gesellschaftliche Zwangsdynamiken die Masse der Konsumenten beherrschen. Zudem erscheint die Überantwortung von Kernstrukturen psychischen und sozialen Lebens an marktwirtschaftlich vermittelte Leistungen prinzipiell problematisch, da diese hierdurch an öko- Umweltdialog.de 29