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Der kulturlose Kontinent. Von der Persistenz eines deutschen Ressentiments<br />
Markus Wegewitz<br />
Zeugnisse vom amerikanischem Ungeist<br />
Der symbolischen Kraft des abgehörten Mobiltelefons der Bundeskanzlerin konnte sich im letzten<br />
Jahr wohl kaum ein Zeitungsleser, Fernsehzuschauer, Radiohörer oder Internetnutzer in der<br />
Bundesrepublik entziehen. Das Publik werden der Überwachung führender europäischer Politiker<br />
durch US-amerikanische Nachrichtendienste kann als Sinnbild für die Belastung der transatlantischen<br />
Beziehungen gelten, über die allenthalben berichtet wurde und wird. Aus der Vielfalt<br />
der Reaktionen auf diese Begebenheit soll an dieser Stelle nur eine Facette genauer betrachtet<br />
werden: Abseits der großen Tageszeitungen und unbeeinflusst von den Kontrollmechanismen<br />
des professionellen Journalismus veröffentlichte der PR-Berater und ehemalige Hochschullehrer<br />
Klaus Kocks Ende des Jahres 2013 einen Artikel mit dem Titel Der amerikanische<br />
Albtraum. Meine Hassliebe zu den USA. Kocks nutzt in seinem Text „Angies Handy“ als Exposition<br />
für eine Aneinanderreihung von Argumenten, in der die von ihm wahrgenommene<br />
Regierungskrise der Vereinigten Staaten nach und nach pauschalisiert und schließlich auf die<br />
Gesamtheit der amerikanischen Bevölkerung ausgedehnt wird. Zu Recht kann man Kocks eine<br />
Haltung unterstellen, die gemeinhin als Anti-Amerikanismus bekannt ist (Kocks 2013).<br />
Im Text von Kocks finden sich die Ingredienzien dieses Phänomens in geradezu exemplarischer<br />
Weise: Es ist die Rede von der „Fratze des Imperialismus“; vom Gegenbild des „demokratischen<br />
Europa“ als „Wunderwerk der Moderne“; von der „Zügellosigkeit des Erfolgsstrebens<br />
der Puritaner“ in Amerika und dem „Geld als Gnade Gottes“; schließlich auch von der<br />
Dichotomie zwischen „europäische[m] Geist“ und „amerikanische[m] Ungeist“ (Kocks 2013).<br />
Ähnliche Überlegungen brechen sich regelmäßig auch in anderen Öffentlichkeiten Bahn, sei es<br />
in den aktuellen Debatten über die Ratifizierung des transatlantischen Freihandelsabkommens<br />
TTIP, in der Suche nach den Ursachen der mittlerweile internationalisierten Krisen auf der<br />
Krim und in der Ostukraine oder (klassisch) in den vermeintlich „amerikanischen“ Kriegen im<br />
Nahen und Mittleren Osten. Es fällt dabei schwer, die pauschalisierte Kritik an den Vereinigten<br />
Staaten einer bestimmten politischen Strömung oder Ideologie zuzuordnen. Anti-Amerikanismus<br />
ist – freilich in unterschiedlichen Spielarten – ein gemeinsamer Nenner zwischen dem linken<br />
politischen Spektrum, dem sich als seriös gebärdenden rechtsradikalen Milieu und der mehr<br />
oder weniger bürgerlichen „Mitte der Gesellschaft“. Das Feindbild Amerika teilen sich das ehemalige<br />
APO-Mitglied, der völkisch orientierte Burschenschaftler und der Talkshow-Intellektuelle<br />
gleichermaßen.<br />
Daher lässt sich auch der Gedanke nur schwer von der Hand weisen, dass es sich bei antiamerikanischen<br />
Äußerungen in den deutschen Medien nicht um isolierte Meinungen einiger<br />
Journalisten und Funktionäre handelt. Es kann vielmehr unterstellt werden, dass der Klang des<br />
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