18.04.2016 Aufrufe

oneX magazin 03.2016

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

POSTKUTSCHEN<br />

Zweispännige<br />

Chaisenpost in<br />

Wangen an der<br />

Aare um 1900<br />

Bern–Zürich:<br />

27 Stunden<br />

Die ruhig dahinrollende Postkutsche ist<br />

das Sinnbild der guten alten Zeit. 1916, also<br />

vor genau 100 Jahren sind die letzten<br />

Pferdekutschen-Verbindungen im Oberaargau<br />

eingestellt worden.<br />

Posthorn<br />

aus der Postkutschenherrlichkeit<br />

TEXT: KLAUS ZAUGG<br />

Kaum mehr vorstellbar: Wer reist,<br />

nimmt die Postkutsche. Aber so<br />

war es vor dem Zeitalter der<br />

Eisen bahn und der Postautos. Bis<br />

vor 100 Jahren, bis 1916, rumpelten<br />

täglich und bei jeder Witterung die Postkutschen<br />

durch den Oberaargau.<br />

Der erste Postkurs, also die erste nach<br />

einem regelmässigen Fahrplan verkehrende<br />

Postkutsche in der Schweiz, führt von Bern<br />

nach Zürich durch unsere Gegend: über<br />

Burgdorf, Langenthal und Aarau. Das Berner<br />

Postunternehmen Fischer (eine angesehene<br />

Patrizierfamilie) eröffnet diese Strecke im<br />

Jahre 1735 zusammen mit dem Fuhrhalter<br />

(heute: Transportunternehmer) Hofmeister<br />

aus Zürich. Die von vier Pferden gezogene<br />

Kutsche kann vier Personen und zehn Zentner<br />

Ware mitführen. Sie verkehrt wöchentlich<br />

einmal und die Fahrzeit hin und zurück<br />

beträgt sechs Tage. Die Kutschen sind mit<br />

Stahlfedern ausgerüstet und bieten auf den<br />

in den Jahren zwischen 1706 bis 1711 erstellten<br />

bernischen Staatsstrassen einen erträglichen<br />

Fahrkomfort. Bremsen sind aber<br />

noch keine vorhanden. Bei den Distanzen<br />

rechnet man mit einer Reisegeschwindigkeit<br />

von 4,8 km/h.<br />

Im Jahre 1738 erfolgt die Eröffnung des<br />

zweiten wichtigen Kurses: Von Bern nach<br />

Balsthal und über den oberen Hauenstein<br />

nach Basel (25 Stunden Fahrzeit). In den<br />

Jahren 1789/90 kommen die Postlinien von<br />

Bern nach Luzern über Solothurn, Attiswil,<br />

Niederbipp, Langenthal und Zofingen sowie<br />

von Bern nach Luzern über Burgdorf, Sumiswald<br />

und Huttwil dazu.<br />

Pferdeumspannstationen gibt es im<br />

Oberaargau in Bützberg, Murgenthal und<br />

Dürrmühle bei Niederbipp. Eine besonders<br />

wichtige Haltestation ist Murgenthal, wo<br />

neben dem Pferdewechsel in der Regel auch<br />

genächtigt und gezecht wird.<br />

VIELE GRENZEN - VIELE ZÖLLE<br />

Grosse Reiseverzögerungen entstehen durch<br />

die Erledigung der vielen Zollformalitäten<br />

an den Kantonsgrenzen und bei Brücken. Im<br />

Oberaargau liegen die Hauptzollstätten in<br />

Wangen und Aarwangen, in Langenthal und<br />

Herzogenbuchsee.<br />

Die kantonalen Zölle entfallen erst mit<br />

der Gründung der neuen Schweiz 1848. Der<br />

Bundesstaat macht die Schweiz zum einheitlichen<br />

Wirtschaftsraum mit einer Einheitswährung.<br />

Die letzten Brückengelder werden<br />

den Reisenden für die Benützung der Berner<br />

Nydeggbrücke bis 1853 und der Hängebrücke<br />

Aarburg abgeknöpft.<br />

Ab 1780 werden die schwerfälligen und<br />

wenig Komfort bietenden Landkutschen<br />

oder «Coches» allmählich durch leichtere<br />

und schnellere fünfplätzige Postchaisen und<br />

Diligencen ersetzt. Als Vorzugsplätze bei<br />

grossen Wagen gelten die Coupé-Plätze auf<br />

den Aussensitzen vorn und Bankette-Plätze<br />

im erhöhten Hinterteil der Wagen.<br />

Im Laufe des 19. Jahrhunderts gibt es<br />

Tageseilkurse von Solothurn über Huttwil<br />

nach Luzern (17 Wegstunden), von Bern<br />

über Solothurn, Attiswil, Niederbipp nach<br />

Basel (20 Wegstunden) und von Bern über<br />

Langenthal–Aarau nach Zürich (27 Wegstunden).<br />

Beliebt sind bei den Reisenden die<br />

Nacht-Eilkurse.<br />

Die grossen Extrakutschen (Sonderfahrten<br />

mit Prominenz und Royals) bringen buntes<br />

Leben in den Strassenbetrieb. So reisen<br />

viele königliche Hoheiten, Staatsmänner,<br />

Geschäftsleute, Dichter aus Russland, England,<br />

Frankreich, Deutschland u. a. m. mit<br />

grossem Gefolge durch den Oberaargau. Im<br />

Juni 1857 kommt z. B. die Kaiserinmutter<br />

Friederieke Luise Charlotte Wilhelmine von<br />

Russland mit ihrem Gefolge. Sie reist mit 18<br />

Wagen, gezogen von 86 Pferden und fährt<br />

von Solothurn über Niederbipp nach Basel.<br />

Vornehme Leute bestellen sich eine Extrapost,<br />

um nicht mit einfachen Zeitgenossen<br />

reisen zu müssen. Wieder andere Reisende<br />

besorgen sich einen privaten Lohnkutscher.<br />

Das Reisen zu jener Zeit ist allerdings<br />

teurer als heute das Fliegen. Nur wenige<br />

Fotos: Adolf Roth, PTT-Museum Bern / ZVG<br />

26 one X 3 / 2016

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!