juden-von-rothenfels
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26 Winfried Mogge<br />
fünf Jahre zuvor hatte sich bei einer Versteigerung unter<br />
den Augen der landesherrlichen Amtsleitung kein<br />
anderer Interessent gefunden. 114<br />
Die <strong>von</strong> der Abschaffung betroffenen Hirsch und<br />
Berl geben trotz des wohl kaum erträglichen öffentlichen<br />
Zornes nicht so schnell auf. Ihre Klage über den<br />
drohenden Verlust der Heimat und der wirtschaftlichen<br />
Existenz wurde einleitend zitiert. Sie berufen<br />
sich auf ihre legale Anwesenheit in Rothenfels – und<br />
sind damit zunächst erfolgreich. Die Beschlusslage ist<br />
verwirrend. Die Ausweisung hatte noch der am 9. Februar<br />
1749 verstorbene Fürstbischof Anselm Franz<br />
<strong>von</strong> Ingelheim verfügt. In der Vakanzzeit verhandeln<br />
die ungleichen Rothenfelser Streitparteien mit dem regierenden<br />
Domkapitel; das Gremium akzeptiert die<br />
Argumente <strong>von</strong> Hirsch und Berl und kippt den vorherigen<br />
Befehl. 115 Doch der am 14. April 1749 gewählte<br />
Karl Philipp <strong>von</strong> Greiffenclau, <strong>von</strong> den Stadtverordneten<br />
mit neuer Petition und fuesfälligsten Bitten traktiert,<br />
stellt die alte Ordnung wieder her und dekretiert:<br />
Rothenfels muss generell nicht mehr als zwei Judenhaushalte<br />
aufnehmen; die beiden überzähligen Juden<br />
sollen abgeschafft werden, Hirsch soll seine Wohnung<br />
nach Berg<strong>rothenfels</strong> verlegen, Berl in das nahegelegene<br />
Amtsdorf Karbach. 116<br />
Über den weiteren Verlauf des Verfahrens enthalten<br />
diese Akten nichts außer mehreren Anfragen der<br />
Würzburger Administration bei der Rothenfelser<br />
Amtsleitung nach dem Vollzug der Anordnungen. Tatsächlich<br />
verlassen die beiden Familien im Jahr 1750<br />
die Stadt und gehen nach Berg<strong>rothenfels</strong>, Berl erst<br />
später nach Karbach. 117<br />
Die <strong>von</strong> allen Beteiligten als dramatisch erlebte<br />
114 Vgl. unten S. 42.<br />
115 StAWt-R Rep. 65g Nr. 47 (unpaginiert; undatiert und 6. 3., 7.<br />
3., 5. 4. 1749). Der Amtskeller zu Rothenfels wird umgehend<br />
angewiesen, den Beschluss des Domkapitels umzusetzen.<br />
Hirsch und Berl wiederum beantragen, das Dekret des Domkapitels<br />
und nicht nur den zuvor <strong>von</strong> der Bürgerschaft erschlichenen<br />
Ausweisungsbeschluss in das Amtsprotokoll einzutragen<br />
und auf dem Rathaus ordentlich zu publizieren. Denn sie befürchten,<br />
es mögten nach einiger zeit die rottenfelser inwohnere<br />
die sach anwiederumb hervorsuchen und unß auf das neue allerhand<br />
tricas verursachen. – Der zitierte Beschluss des (ansonsten<br />
traditionell <strong>juden</strong>feindlichen) Domkapitels hat wahrscheinlich<br />
sehr handfeste finanzielle Gründe: Beim Tod eines<br />
Fürstbischofs werden alle Schutzbriefe der hochstiftischen Juden<br />
ungültig und routinemäßig <strong>von</strong> dem regierenden Gremium<br />
erneuert, das dafür ein besonderes Interregnumsgeld kassiert.<br />
Vgl. I. König, Judenverordnungen, S. 70 f.<br />
116 StAWt-R Rep. 65g Nr. 47 (unpaginiert; undatiert und 13. 6.<br />
1749); dazu StadtAR II 2/7 S. 371, 384. Die Ausweisung <strong>von</strong><br />
Hirsch und Berl wird in einer Bürgerversammlung am 9. 4.<br />
1749 diskutiert und befürwortet. Im Ratsprotokoll vom 24. 6.<br />
1749 ist notiert, dass der fürstbischöfliche Ausweisungsbeschluss<br />
der gesamten Bürgerschaft vorgelesen wurde und eine<br />
Kopie beim Amtsprotokoll verwahrt wird.<br />
117 StAWt-R Rep. 82l Nr. 473 (unpaginiert; Akten 1772/73); Stadt-<br />
AR III 11/3 (Bürgermeisterrechnung 1734/35) S. 8 und III 11/4<br />
(Bürgermeisterrechnung 1753) S. 46. Aus den <strong>von</strong> der Stadtkasse<br />
vereinnahmten Beisassengeldzahlungen für Berg<strong>rothenfels</strong><br />
geht hervor, dass die Ausweisungen vollzogen wurden.<br />
Kontroverse <strong>von</strong> 1749 hat ein Nachspiel. Zwei Jahre<br />
später sehen sich Bürgermeister und Rat genötigt, ihren<br />
Protest gegen jede Aufstockung der ihnen zugewiesenen<br />
jüdischen Haushalte erneut vorzutragen. Der<br />
Anlass: Der in der Stadt verbliebene Moschel möchte<br />
seinen neunzehnjährigen Sohn Nathan in Rothenfels<br />
ansässig machen. Der junge Mann, bisher schon ausgestattet<br />
mit einem gültigen Schutzbrief, will die Witwe<br />
des in Karbach gesessenen und verstorbenen Jud<br />
Samuel heiraten und dem über 50 Jahre alten gehbehinderten<br />
Vater in Rothenfels beim Handelsgeschäft<br />
helfen. Der Fall wird vor dem Oberamtmann Joseph<br />
Christian Lochner <strong>von</strong> Hüttenbach (1749-1789) verhandelt<br />
und beschieden: Lässt man nun den Nathan in<br />
Rothenfels zu, dann werden bald weitere Judensöhne<br />
folgen und sich in dem armen Städtlein einnisten. Die<br />
vorgebliche Hülffleistung für den Vater kann Nathan<br />
ebenso gut <strong>von</strong> Karbach aus erbringen, zumal Moschel<br />
ein Mann beÿ seinen noch geruhsamen Jahren,<br />
wohlbemittelt und ohnehin mit einen Knecht versehen<br />
ist. So wird also Nathan in das benachbarte Amtsdorf<br />
eingewiesen, aus dem seine künftige Frau stammt. Das<br />
Verfahren entspricht, so der Oberamtmann, der bekannten<br />
Intention des Regenten, daß der dem gemeinen<br />
weesen jederzeit mehr schädlich als nützliche<br />
Juden Anwachsen vielmehr vergringeret alß vermehret<br />
werden solle. 118<br />
Nach diesen Aktionen in der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
spielt das Thema Ausweisungen in Rothenfels<br />
keine Rolle mehr. Innerhalb der Stadtmauern<br />
wohnen in eigenen Häusern jetzt nur noch der alt gewordene<br />
Moschel (Moyses Lazarus) und sein Sohn<br />
Mayer (Mayer Moyses), später der aus dem Dorf in<br />
die Stadt umgezogene Nathan Isack (Nathan Heil) und<br />
seine Erben. 119 Mit diesen Familien hat man sich offensichtlich<br />
abgefunden, auch wenn die alte Konkurrenzangst<br />
immer wieder geschürt wird.<br />
118 StAWt-R Rep. 65g Nr. 47 (unpaginiert; undatiert und 28. 1., 30.<br />
1. und 8. 2. 1751). – Der Vorgang zeigt die Möglichkeit des Erwerbs<br />
eines Schutzbriefes durch Verzicht eines bereits etablierten<br />
Schutzbriefinhabers. In diesem Fall tritt 1749 der relegirte<br />
Jud Löwelein (Löblein) aus Veitshöchheim sein auf Rothenfels<br />
umgeschriebenes Patent an Moschels Sohn Nathan ab. Auf dieselbe<br />
Weise macht 1825 Nathan Heil seinen Sohn Joseph in Rothenfels<br />
ansässig; vgl. S. 38.<br />
119 StadtAR II 7/2 S. 58; dazu auch StAWt-R Rep. 82l Nr. 473 (unpaginiert;<br />
Akten 1772/73). – Moschel wird 1751 als über 50<br />
Jahre alt bezeichnet. 1773 ist er 78 Jahre alt, also 1694/95 geboren.<br />
Von 1753 bis 1795 zahlt er bzw. sein Sohn Bede (Grundsteuer)<br />
für sein Haus (vgl. Anm. 242), <strong>von</strong> 1753 bis 1781<br />
Beisassengeld (StadtAR III 11/4 bis 11/26). Offensichtlich ist<br />
sein Sohn Mayer als Hausbesitzer, Geschäftsinhaber und Steuerzahler<br />
nachgefolgt, ohne dies im Grundsteuerbuch korrigieren<br />
zu lassen. Mayer wird als Zahler <strong>von</strong> Beisassengeld <strong>von</strong> 1769<br />
bis 1793 genannt (StadtAR III 11/18 bis 11/35), 1798 seine Witwe<br />
(StadtAR III 11/37, S. 23). 1799 tritt ein Isack Mayer –<br />
wahrscheinlich ein Sohn – bei einem Rechtsstreit auf (Stadt AR<br />
II 2/14, S. 21-29). Zur Familie Heil vgl. S. 35 f, 43, 45, 58 f. –<br />
Die Angaben in der Stadtchronik über die letzten Juden in Rothenfels<br />
sind unvollständig (StadtAR IV 3/3 S. 202; IV 3/5 S.<br />
18; IV 3/7 Bl. 10).