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28 Winfried Mogge<br />

ge Ausnahme ist die Überfahrt <strong>von</strong> Juden, die ein<br />

Cammer Zeichen – einen Passierschein für zugelassene<br />

Händler und Reisende – vorweisen können. 125<br />

Mit diesem Ratsbeschluss wird ein bitterernstes soziales<br />

Problem der Zeit angesprochen. Noch Jahrzehnte<br />

nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach Pogromen<br />

vor allem in osteuropäischen und habsburgischen Ländern<br />

leben im 18. Jahrhundert auch in Franken ungezählte<br />

heimatlose und verarmte Juden buchstäblich auf<br />

der Straße, ohne Chance, einen Schutzbrief zu erwerben<br />

oder Arbeit und Obdach zu bekommen. Sie vermehren<br />

das ungeordnete Heer des rechtlosen<br />

fahrenden Volkes. Ihre Stigmatisierung als Überträger<br />

ansteckender Krankheiten – vor allem der gefürchteten<br />

Pest – lässt auch im Hochstift Würzburg die Obrigkeiten<br />

nicht ruhen, alle möglichen Grenz- und<br />

Flusspassagen zu schließen. Nun wird in Rothenfels<br />

wie allerorts den ansässigen Juden sogar die <strong>von</strong> ihrem<br />

Glauben vorgeschriebene Beherbergung durchziehender<br />

Religionsgenossen verboten. 126<br />

Der Vorgang <strong>von</strong> 1750 ist kein Rothenfelser Einzelfall.<br />

Mit Grenzüberwachungen und Verboten, verkündet<br />

in einer kaum überschaubaren Menge <strong>von</strong><br />

Mandaten, versuchen die fränkischen Landesherrschaften<br />

und Städte mehr oder weniger erfolgreich,<br />

die Bettel<strong>juden</strong> <strong>von</strong> ihren Territorien fernzuhalten. Dabei<br />

wissen sie sich übrigens einig mit den Organisationen<br />

der ansässigen Juden, die einerseits mit der<br />

finanziellen Belastung durch die Versorgung der Armen<br />

überfordert sind, andererseits unter der diskriminierenden<br />

Gleichsetzung mit Schloderern und<br />

Schnorrern zu leiden haben. In jener Zeit bleibt es bei<br />

restriktiven Abwehrmaßnahmen; die Ursachen der<br />

massenhaften Verelendung <strong>von</strong> Juden werden erst <strong>von</strong><br />

Autoren und Obrigkeiten der späten Aufklärungszeit<br />

erkannt und thematisiert. 127<br />

Für die Rothenfelser Schutz<strong>juden</strong> wird die panische<br />

Angst der christlichen Bevölkerung vor den entwurzelten<br />

Fremden eine weitere Belastung des<br />

Verhältnisses zu den Nachbarn und verschärfte Ausgrenzung<br />

bedeutet haben. Ohnehin ist es schwer nachvollziehbar,<br />

wie sich das alltägliche Zusammenleben<br />

auf so engem Raum einer Kleinststadt erträglich gestalten<br />

ließ – bei so aggressiver Feindseligkeit, wie sie<br />

namentlich <strong>von</strong> den Bürgermeistern und Ratsherren<br />

als Repräsentanten der Bürgerinnen und Bürger vorgetragen<br />

wurde. Die wenigen jüdischen Familien, so<br />

scheint es, haben dies mit Anpassung und Unauffälligkeit<br />

versucht und mit unerschöpflicher Leidensfähigkeit<br />

geschafft.<br />

125 StadtAR II 2/7 S. 428 f. Mit der <strong>von</strong> der Würzburger Hofkammer<br />

organisierten Ausgabe <strong>von</strong> Kammerzeichen wird versucht,<br />

die zugelassenen Händler und Reisenden <strong>von</strong> den Massen der<br />

Bettler zu trennen. Vgl. dazu Anm. 150.<br />

126 Vgl. E. Schubert, Arme Leute, S. 156-158, 168-173; B. Rösch,<br />

Judenweg, S. 253-261.<br />

127 Vgl. E. Schubert, Arme Leute, S. 171-173; I. König, Judenverordnungen,<br />

S. 45 f, 181-184, 298 f.<br />

Ein Spiegelbild für Ausschnitte aus dem Alltagsleben<br />

sind die (ab 1531 erhaltenen) Ratsprotokolle. Da<br />

die Ratsherrenversammlung zugleich das für ortsinterne<br />

Vergehen und Streitfälle zuständige Stadtgericht<br />

bildet, lässt sich aus diesen Dokumenten auch ablesen,<br />

wie die Menschen miteinander umgehen. Das Bild ist<br />

freilich einseitig, weil diese Quellen nicht über das<br />

friedliche Zusammenleben berichten, sondern über die<br />

justiziablen Zwischenfälle. Und so stellt sich die<br />

kleinstädtische katholische Gesellschaft hier dar als<br />

eine höchst streit- und rauflustige Gruppe untereinander<br />

missgünstiger Nachbarn. An der Tagesordnung<br />

sind vor allem Beleidigungen und Verleumdungen,<br />

Schlägereien und Körperverletzungen, Diebstähle,<br />

Verkaufs- und Erbschaftsstreitigkeiten, Streit um Wasser-<br />

und Weidenutzungen. 128 Von der exzessiven Denunziationslust<br />

zur Zeit der Hexenprozesse unter den<br />

Fürstbischöfen Julius Echter <strong>von</strong> Mespelbrunn und<br />

Philipp Adolph <strong>von</strong> Ehrenberg soll hier ganz geschwiegen<br />

werden. 129 Im Vergleich zu ihren christlichen<br />

Nachbarn sind die Juden vor Gericht geradezu<br />

auffallend unauffällig, und das nicht nur wegen ihrer<br />

geringen Zahl.<br />

Man muss lange suchen, bis man ihnen in den Protokollbüchern<br />

als Frevlern begegnet. 1679 werden<br />

Perlein und Meierlein mit Geldstrafen wegen Verwendung<br />

falscher Gewichte belegt. 130 Das ist keine jüdische<br />

Spezialität, sondern eine häufige Übung auch<br />

christlicher Händler und Gegenstand permanenter obrigkeitlicher<br />

Überwachung und Ahndung. 131 Ansonsten<br />

kommen eher kuriose Straftaten vor. 1699 muss Jöstlein<br />

zwei Gulden zahlen, weil er einen Bürger als verlogenen<br />

gesellen gescholten hat, und er geht für zwei<br />

Stunden ins Gefängnis, weil er mit dem Hut auf dem<br />

Kopf die Ratsstube betrat. 132 1764 zahlt Jud Männleins<br />

Sohn vom Berg zwei Gulden Strafe, weil er aus<br />

einem Garten Birnen aufgelesen und die erboste Eigentümerin<br />

auch noch beleidigt hat. 133 Dieses Vergehen<br />

ist zeitlos: 1849 wird Benjamin Freudenberger<br />

angezeigt, nachdem er einen verbotenen Weg begangen<br />

und Äpfel aufgesammelt hat. 134 Männlein und Nathan<br />

machen sich 1771 strafbar, indem sie über einen<br />

Zaun des Pfarrers steigen oder durch die Centwiese<br />

laufen. 135<br />

Eine Ausnahme <strong>von</strong> der gepflegten Unauffälligkeit<br />

passiert in einer Winternacht des Jahres 1732, als Teil-<br />

128 Ausgewertet wurden die Ratsprotokolle StadtAR II 2/1 (1531-<br />

1553), II 2/6 (1642-1725), II 2/10 (1763-1770). Vgl. P. Kolb,<br />

Chronik, S. 75-79.<br />

129 Vgl. W. Mogge, Dies uralt Haus, S. 73-75.<br />

130 StadtAR IV 3/3 S. 202. Der Autor der Stadtchronik nennt keine<br />

Quellen; im Ratsprotokollbuch der Zeit (StadtAR II 2/6) findet<br />

sich dazu kein Vorgang.<br />

131 StadtAR II 1/1 S. 3-6, 9 f; IV 3/3 S. 173-178), IV 3/4 S. 74 f<br />

(Vorschriften für Maße, Gewichte und Preise).<br />

132 StadtAR II 2/6 S. 539; vgl. IV 3/3 S. 298.<br />

133 StadtAR II 2/10 S. 238-243; vgl. IV 3/5 S. 23.<br />

134 StadtAR II 1/4 (unpaginiert), 3. 9. 1849.<br />

135 StadtAR II 2/11 S. 128, 131.

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