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De:Bug 179

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<strong>179</strong><br />

KRAFTWERK-BIOGRAFIE<br />

DER SYNTHESIZER ALS VOLKSWAGEN<br />

Sie leben noch! Nur sprechen, dass tun sie schon lange<br />

nicht mehr. Obwohl, Ralf Hütter, der alte Gralshüter,<br />

tourt das immer noch glänzende Kraftwerk seit kurzem<br />

ja ohne Florian Schneider (ab 29 komplett von Bord)<br />

durch die Kunstwelt. Und redet dabei schon gelegentlich<br />

mit Journalisten. Aber nicht mit David Buckley. So<br />

geistern vornehmlich Sekundärzitate über die immerhin<br />

knapp 4 Seiten, die der renommierte britische Autor,<br />

der seit langem Lehrbeauftragter für Popkultur an der<br />

Ludwig-Maximilian-Universität in München ist, zusammengetragen<br />

hat zu einem Buch, dass wie ein V-Kragen-Pullover<br />

aussehen möchte. Warum eigentlich wie<br />

ein V-Neck? Das ist nicht ganz falsch, soll es doch wohl<br />

die zackige Zugeknöpftheit und den Formalitätszwang<br />

der Musikarbeiter suggerieren. Doch sah man sie je in<br />

einem V-Neck? Und steht dieser im Kabinett der Moderegeln<br />

nicht auch für Merino-wollige Weichheit? Fehlt<br />

da nicht rotschwarzer Schlips und Kragen? Es ist eben,<br />

wie so vieles auf der Welt und auch einiges in dem<br />

Buch, leider nur halb richtig. Und wenn der Wälzer dann<br />

im Untertitel reißerisch zur "unautorisierten Biografie"<br />

wird, dann heisst das trotz dieses Wendungsversuchs<br />

eben doch nur: die wollten nicht mit ihm sprechen. Und<br />

Ralf und Florian, die beiden genialen Starköpfe, sie<br />

fehlen. Neben alten deutschen Weggefährten (fast alle<br />

stinksauer) sprach Buckley dafür mit Fans und Beeinflussten,<br />

zum Beispiel: Peter Saville, Moby, John Foxx,<br />

Andy McCluskey (OMD). Was dem Buch wiederum eine<br />

schöne Wendung gibt, kommt doch so die Entstehung<br />

des anglo-germanische Komplexes der jüngeren Musikgeschichte<br />

ans Licht. Im Spiegel von Stimmen aus<br />

UK entsteht die deutsche Stimmung der 6er und 7er,<br />

aus der Kraftwerk sich entwickelte: Sich, und diese<br />

"Volksmusik der Fabriken", die sie in in verschiedenen<br />

Formationen im schnieken D-Dorf aus dem Kraut<br />

schälten und, an Beuys genauso wie an Stockhausen<br />

geschult, die Idee der Musik dieser Welt für immer verändern<br />

sollte. Oft wirkt das Buch leider zu wenig am<br />

verrückten <strong>De</strong>tail interessiert, die Übersetzung etwas<br />

hingeschludert, Sätze und Absätze fad. Nun muss ich<br />

allerdings selbst einräumen: Ich habe das Buch exakt<br />

nur halb lesen können, die <strong>De</strong>adline ließ mir leider kaum<br />

Zeit, aber das reicht ja auch. Für viele Hörer hört das<br />

Kapitel Kraftwerk eh nach "Radio-Activity" auf. Und allein<br />

bis dato lässt sich von tollen Dingen lesen. Weil es<br />

auch eine so tolle Geschichte ist. Etwa die Beziehung<br />

des Stücks "Autobahn" zum amerikanischen Genre des<br />

Road Song, die Liebe von Ralf Hüter zu den Beach Boys,<br />

die fiese Geschäftstüchtigkeit der Düssi-Boys. Und<br />

ihre Ästhetik, die auf einer Begeisterung fürs Reisen<br />

genauso fusse wie auf der Anbetung der freien Natur<br />

(ihr Studio nennen sie "elektronischen Garten"), die oft<br />

und durch Kraftwerk nochmals schön abgeordnet als<br />

Facette der immergleichen deutschen Psyche behandelt<br />

wird. Was für einen befreiten Umgang die Beatles<br />

der elektronischen Musik selbst mit ihrer Identität<br />

pflegten, wie uneindeutig verspielt deutschtümelnd<br />

sie durch die USA hüpften, als <strong>De</strong>utschland noch voller<br />

originaler Nachnazis war und sich in ihrer Stiffness<br />

nicht festnageln ließen, das kommt in dem Buch gut<br />

zusammen. Dazu gehört auch die Art, wie die beiden<br />

schnöseligen Buben (Probleme mit Frauen sollen sie<br />

auch gehabt haben, auf jeden Fall Ralf!) die Ablehnung<br />

zu einer strukturellen Leitidee machten. Schön, wie der<br />

"Ehemalige" Wolfgang Flür dafür tief in die Sprachgeschichtswunderkammer<br />

greift: "Sie wollen absolut für<br />

sich sein. Keine Vermischung mir feindlichen Kulturen;<br />

nicht 'feindlich', sondern fremden Kulturen." Sowas<br />

gefällt den Briten halt. Toll auch, wie Kraftwerk einmal<br />

vor den Jackson 5 im Ami-TV spielten, und es ihnen,<br />

logischerweise, überhaupt nicht zusagte. Wie ihnen<br />

die USA eben grundsätzlich so gar nicht zusagten. Und<br />

Geld hatten sie, immer schon: "Ich erinnere mich, dass<br />

mein erster Synthesizer so viel kostete wie mein Volkswagen",<br />

wird Ralf Hütter 23 (ohne Quellenangabe)<br />

zitiert. Vom Riesenbenz Florians wird nicht geschwiegen.<br />

Aber auch nicht von der Mulitmedialität, die sie<br />

in der Happening-Szene der 6er gelernt hatten und<br />

damit die Rockmusikbühnen durcheinanderbrachten,<br />

dem DIY-Credo, das sie dem Punk vorwegnahmen. Am<br />

besten ist das Buch aber dann, wenn vom gemeinsamen<br />

Fußballspiel erzählt wird, oder der parallel zu Kraftwerks<br />

Aufstieg vonstatten gehende Erfolg ihres alten<br />

Düsseldorfer Friseurs Herr Rindlaub aufgedeckt wird.<br />

Doch bei dem Auffinden genau solcher Geschichten, so<br />

bildet man sich ein, wäre noch Luft nach oben gewesen.<br />

Aber das kann ja im zweiten Teil noch kommen. tbc.<br />

TIMO FELDHAUS<br />

Kraftwerk, Die unautorisierte Biografie,<br />

ist im Metrolit Verlag erschienen.<br />

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