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De:Bug 179

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<strong>179</strong><br />

ALBEN<br />

Jojo Hiroshige/Paal Nilssen -<br />

Love/Pika/Lasse Marhaug - Osaka Fortune<br />

[Premier Sang/PS007]<br />

Norwegen gegen Schweden im Noise-<strong>De</strong>athmatch. Jojo Hiroshige<br />

(von den Japanoise-Urviechern Hijokaidan) und Pika, Drummerin<br />

aus dem Acid-Mothers-Temple-Umfeld, haben sich mit den beiden<br />

Norwegern Paal Nilssen-Love (ebenso an der Schießbude) und Lasse<br />

Marhaug im titelgebenden Osaka getroffen und miteinander, gegeneinander,<br />

füreinander gespielt. Hier wird mit einem full on-approach<br />

Exzentrikern aus dem Free Improv-Lehrbuch wie Borbetomagus gehuldigt,<br />

ohne je zum bloßen, theoretischen Abklatsch zu werden – sei<br />

es nur Pikas Stimme, die hier und da aus dem Dickicht dringt, oder<br />

Marhaugs ultradreckige wall of sound, die wie eine statische Konvulsion<br />

über den anderen Musikern schwebt. Coltranes “Interstellar<br />

Space“ auf Meth statt Acid.<br />

tn<br />

Rain Dog - Two Words<br />

[Project Mooncircle/PMC125 - HHV]<br />

Eigentlich kann man es ja schon gar nicht mehr hören. Zu gleich und<br />

austauschbar klingt jene Musik, die aus den<br />

ganzen Schlafzimmern das Internet flutet: In<br />

Sachen Takt, scheint sich herumgesprochen<br />

zu haben, macht sich ein Grenzgang zwischen<br />

Garage und Rap wohl ganz gut, die<br />

Chords können gerne bei gefühlsduseligen<br />

R’n’B-Slowjams abgeguckt sein und die Vocals<br />

dürfen eigentlich überall herkommen.<br />

Diesem Geheimrezept einer ganzen Generation folgt auch Rain Dog<br />

auf seinem <strong>De</strong>büt "Two Words". Samuel Evans cuttet Gesangsspuren<br />

von Tom Waits, Joni Mitchel, Ella Fitzgerald und dem Portico Quartet<br />

und legt das Ganze auf schwere, endlose Melancholie. Garniert mit<br />

Samples aus Filmen und Serien, entsteht so eine wirklich schöne<br />

Moodmusik, die aber keine Offenbarung, sondern mehr ein solides<br />

Album aus einem weiteren Schlafzimmer ist. Nett.<br />

www.projectmooncircle.com<br />

jw<br />

Radial - Crux<br />

[Radial Records/RDL001]<br />

Sehr swingend und locker in den Beats, dann wieder massiv und mit<br />

einer dunklen Technogewalt, fast altmodisch<br />

in dem Beharren auf diese eine Sequenz,<br />

plötzlich voller weicher Töne und mit einer so<br />

sanften Geste, dass man den Boden unter<br />

den Füßen verschwimmen sieht, oder mit<br />

abstrakten Breaks, die fast nach HipHop<br />

klingen und eine Begleitung aus den besten<br />

Zeiten von Electronica bekommen. Wir sind<br />

uns nicht ganz sicher, was wir aus diesem Album machen sollen. Gerade<br />

die melodischeren Phasen sind grandios, die härteren manchmal<br />

etwas schroff, und erst gegen Ende finden beide perfekt zusammen.<br />

Vielleicht will es einen inneren Kampf darstellen, der sich am Ende erst<br />

löst? Wir müssen jetzt noch mal von vorne unter diesem Aspekt alles<br />

neu hören.<br />

bleed<br />

The Necks - Open<br />

[ReR Megacorp/ReRNECKS11]<br />

Mit "Open" kehren The Necks wieder zu ihrer bewährten Ein-Stückdas-sich-über-eine-Stunde-kontinuierlichweiterentwickelt-Form<br />

zurück. Programmatisch<br />

schon der Titel, dem Schlagzeuger<br />

Tony Buck, Pianist Chris Abrahams und<br />

Bassist Lloyd Swanton im Verlauf der 68 Minuten<br />

ihrer Improvisation mehr als gerecht<br />

werden. Angefangen mit den Monochord-<br />

Tönen Tony Bucks über die nach dem ersten<br />

Drittel einsetzenden Orgelakkorde bis hin zu den später hineingestreuten<br />

Gitarrenklängen, geht dieses Album durch die unterschiedlichsten<br />

Stadien hindurch. Im Vergleich zu früheren Beiträgen mag das Ergebnis<br />

diesmal weniger rigoros ausgefallen sein, doch The Necks wären<br />

nicht The Necks, wenn sie auch mit einer so bunten Palette an Einfällen<br />

nicht umzugehen wüssten. Eine Art Synthese ihrer Ästhetik.<br />

tcb<br />

Mogwai<br />

Rave Tapes<br />

[Rock Action/rockact80cd - Rough Trade]<br />

Diese Schotten waren zusammen mit Arab Strap vor 15 Jahren so<br />

ziemlich der sympathischste dunkle Weg zur<br />

Selbstreinigung auf der einen und zur Flucht<br />

aus ausgetretenen Alternative Rock- und<br />

Trainspotting-Pfaden auf der anderen Seite.<br />

<strong>De</strong>swegen wurde zumindest für Mogwai<br />

auch der Begriff Postrock mit geschaffen.<br />

Wo Tortoise oder UI eher jazzig-elektronisch<br />

wurden, waren Mogwai immer die brachiale<br />

und langsame Seite des Rocks nach dem Rock. Beeindruckend, majestätisch,<br />

mit den weicheren und hoffnungsvolleren Sigur Ròs zusammen<br />

die wohl erhabenste Resignation seit langem. Zwischendurch<br />

haben die Glasgower ein eigenes Label gegründet, viel getourt,<br />

Soundtracks geschrieben und sogar angefangen zu singen. Die "Rave<br />

Tapes” knüpfen nun an dem ebenso tollen Vorgänger "Hardcore Will<br />

Never Die But You Will“ aus 2012 an: Elegische, für Mogwai fast ruhige<br />

Klänge. Große Gelassenheit wie auf dem erstem Song "Heard About<br />

You Last Night“ strahlt Souveränität aus. Aber bitte nicht falsch verstehen,<br />

Mogwai sind weder selbstzufrieden noch heiter geworden. Nein,<br />

diese Band bleibt wunderbar in Moll und postkrautig. Köpfe erhaben<br />

senken und sich dann fallen lassen, das geht auch noch knapp eineinhalb<br />

<strong>De</strong>kaden nach "Come On Die Young“. Sehr tief. Sehr mitreißend.<br />

www.rock-action.co.uk<br />

cj<br />

Simon James Phillips - Chair<br />

[Room40/RM458 - A-Musik]<br />

Wenn man Simon James Phillips' "Chair" mit dem großartigen, leider<br />

bisher einzigen Pedal-Album vergleicht, das Phillips gemeinsam<br />

mit seinem Pianistenkollegen Chris Abrahams aufgenommen hat,<br />

bekommt man einen guten Eindruck davon, wie groß sein Anteil an<br />

der Musik von Pedal gewesen sein muss. Die dichten Akkord-Cluster,<br />

die er etwa im ausladenden ersten Stück "Set Ikon Set Remit" aufeinander<br />

türmt, klingen wie eine Fortsetzung von Pedal im Alleingang.<br />

Philips geht es bei dem Klang seines Instruments immer auch um<br />

die Resonanzen, also das, was der Raum von den gespielten Tönen<br />

zurückwirft, und so ist es nur konsequent, dass er "Chair" in der unter<br />

Pianisten sehr beliebten Berliner Grunewaldkirche aufgenommen hat.<br />

In einigen Stücken spürt er isolierten Tonkombinationen nach, ähnlich<br />

wie in den Klavierkompositionen Morton Feldmans, wobei auch hier<br />

der Raum ganz bewusst als Instrument mitgenutzt wird. Wunderbar.<br />

www.room40.org<br />

tcb<br />

Francis Harris - Minutes Of Sleep<br />

[Scissor & Thread]<br />

Schwellende Sphären, wabernde Synthesizer und lieblich schallende<br />

Vocals. Mal eine Trompete, mal ein Piano,<br />

mal ein Cello, die im Vordergrund dezente<br />

Akkorde spielen und sich dem rauschenden<br />

Bach an verborgenen Pads und Einflüssen<br />

verschiedener Musikgenres wie Blues oder<br />

Jazz anschmiegen. Störgeräusche, die mal<br />

kurz, mal lang einen Sog an mystischer<br />

Stimmung erzeugen. Ein wohl gewählter Albumtitel,<br />

der sich als roter Faden durch das Album zieht, jedoch durch<br />

die Abwechslung von Instrumenten und Beats im Laufe des Albums<br />

immer interessanter wird. "Minutes Of Sleep" ist voll von Mood-Miniaturen<br />

wie "Blues News", das durch seine träumerischen Vocals in die<br />

Tiefen der Meditation abtaucht bis hin zu "New Rain", das durch<br />

strukturiert-stetige Beats mit gedämpfter Percussion glänzt.<br />

rh<br />

Bus - Eagles<br />

[Shitkatapult/strike 146 - Alive]<br />

Es ist quasi 2014. Hier erklingen die späten Neunziger. Berlin. Dunkle<br />

Nacht. Dub. Klar, der Betke. Das WMF. Die<br />

Bunz. Und über, unter, neben und in allem:<br />

Basic Channel. Bus aka Tom Thiel und Daniel<br />

Meteo hat da ja auch seine Vergangenheiten.<br />

Wichtiger, das sind die Ursprünge, doch<br />

Sound und auch Visuals (Cover) sind im Hier<br />

und Jetzt. Man hört die Herkunft, und doch<br />

ist das mehr als eine zweite Chance für Zuspätgekommene<br />

oder ein nostalgischer Aufguss für Gestrige im Pop-<br />

Sinne. Nein, das alte Zeug wieder rauskramen, die phantastischen,<br />

lebensrettenden Alben von Pole oder Rhythm & Sound und mischen<br />

mit Bus, von mir aus auch deren alte Sachen. "Eagles" knallt schleichend,<br />

das muss laut sein, nix kleine Geräte, schlechte Boxen oder im<br />

Vorübergehen: Konzentrierter Bass, klare Aufforderung, diese Tracks<br />

wollen niemals nebenbei konsumiert werden, die wollen ins Hirn und<br />

in den Arsch treten und bewegen. So ist das. Wahnsinn.<br />

www.shitkatapult.com<br />

cj<br />

Neneh Cherry - Blank Project<br />

[Smalltown Supersound - WAS]<br />

Ein wenig absurd war das schon: Da gab es 2012 doch tatsächlich ein<br />

Video zu einem Remix einer Cover-Version eines alten Songs aus dem<br />

Jahr 1980. Schon klar, anything goes. Wäre der Remix nicht von Four<br />

Tet und Suicides "Dream Baby Dream" nicht von der Schwedin Neneh<br />

Cherry interpretiert gewesen, wäre das Stück wohl in den Weiten des<br />

Webs versunken. Doch es zeigte, Kieran Hebden hat Gefallen an der<br />

Stimme von Cherry gefunden, einen zweiten Remix später sitzt er in<br />

seinem Studio, um "Blank Project" zu produzieren. Fokus-Änderung:<br />

Die LP ist nämlich das erste Soloalbum seit 16 Jahren dieser in einem<br />

hoch kultivierten Umfeld aufgewachsenen Rapperin, Texterin und<br />

Poetin. In lediglich fünf Tagen mit dem Londoner Duo RocketNumberNine<br />

aufgenommen, sind die zehn Songs unglaublich direkt mit<br />

ihren minimalistischen Zutaten. <strong>De</strong>n Jam-Charakter hat Hebden nicht<br />

nur nicht geglättet, sondern domestiziert. Ein paar Drum-Rhythmen,<br />

pointierte Synthies und immer wieder diese Stimme von Cherry. Das<br />

großartige "Across The Water" beherbergt diese Vielfalt: Ob Spoken<br />

Word, Kreischen, Rock-Göre oder Soul-Wärme – die Tochter des Jazz-<br />

Musikers Don Cherry ist sowohl im Bereich der reduzierten Electronica<br />

als auch im Grunge-infizierten Rock-Metier ein Brett. Dank ihres<br />

Umgangs mit der Abhängigkeit in und nach Liebesbeziehungen, der<br />

Sucht nach Verletzung und Heilung, der menschlichen Imperfektion<br />

und all den gräulichen Schattierungen unseres Seins, darf "Blank<br />

Project" als modernes Quasi-Manifest der Beatnik-Generation betrachtet<br />

werden. Oder aber als beeindruckend vielseitiges und erstes<br />

LP-Highlight 2014. Your choice!<br />

www.smalltownsupersound.com<br />

Weiß<br />

Thug Entrancer - <strong>De</strong>ath After Life<br />

[Software Recordings]<br />

<strong>De</strong>r Musik von Thug Entracer ist mit Worten gar nicht so einfach beizukommen,<br />

schon gar nicht mit Schlagworten.<br />

Man kann es ja trotzdem mal versuchen:<br />

Juke, Footwork, House, Electronica, Minimal,<br />

Acid – das könnten so begriffliche Landmarken<br />

sein, die man in den musikalischen<br />

Landschaften von Ryan McRyhew errichten<br />

könnte, nur müsste man vor jeden von ihnen<br />

eine Kette aus Präpositionen wie Post-, oder<br />

Quasi- knüpfen. "<strong>De</strong>ath After Life", das aus acht einfach durchnummerierten<br />

Tracks besteht, wirkt gewissermaßen unfertig (was wohl mit<br />

dem sehr schmalen Equipment zu tun hat, das hier benutzt wurde),<br />

zugleich ist es ungemein kleinteilig und "ausproduziert". Die Tracks<br />

sind zu tanzbar und schlicht auch zu cool, als dass man sie als Klangstudien<br />

bezeichnen könnte. Gleichzeitig ist da eine zurückhaltende,<br />

bisweilen klinische Produktion, die spürbar macht, dass der Mann aus<br />

Chicago nicht einfach Tanzmusik machen will, sondern offensichtlich<br />

Gefallen daran findet, diese gleich noch unters Mikroskop zu legen.<br />

Würden DJ Rashad und Pole kollabieren, klängen sie vielleicht wie<br />

Thug Entracer. Würde RP Boo eine Platte für Raster-Noton machen,<br />

klänge die vielleicht wie Thug Entracer. Mit anderen Worten: Nichts<br />

klingt wie Thug Entracer, und das ist doch eine tolle Nachricht.<br />

blumberg<br />

R. Kelly - Black Panties [Sony - Sony]<br />

R. Kelly, Großmeister des subtilen Sex-Songwritings, ist zurück! Über<br />

die Musik müssen wir gar nicht weiter reden:<br />

kein mühsam zurechtkonstruierter Motown-<br />

Soul, sondern eine Rückbesinnung auf den<br />

käsigen Contemporary-R’n’B der Neunziger.<br />

Auf "Black Panties", der Name deutet es natürlich<br />

schon an, dreht sich eigentlich alles<br />

wie schon immer um Sex. Kelly als Krümelmonster<br />

an der Keksdose, Kelly als Exhibitionist<br />

auf dem Balkon, Kelly als Grimassenschneider vor dem Schlafzimmerspiegel,<br />

Kelly als Trainer beim Sex-Workout, Kelly auf Knien,<br />

während er einer Vagina den Antrag zur Vermählung macht. Das darf<br />

und kann nur R. Kelly. Totaler Quatsch. Aber: lustiger Quatsch.<br />

jw<br />

Steve Moore - Pangaea Ultima<br />

[Spectrum Spools/SP032 - Anost]<br />

Die Musik des Zombi-Keyboarders wird hier zum Ereignis durch eine<br />

besondere Qualität, die auch im Popformat<br />

seiner jüngsten Kollaboration auf Planet Mu<br />

mit Daniel O'Sullivan als "Miracle" durchscheint,<br />

solo aber erst wirklich zur Geltung<br />

kommt: ein verführerisches Understatement,<br />

das Treffsicherheit im Ausdruck über<br />

clevere Einfälle oder psychedelischen Glitzer<br />

stellt. Sein sparsam instrumentierter klassischer<br />

Synth-Sound aus Arpeggien, feinen rhythmischen Verschiebungen<br />

und glimmenden Bögen transformiert nämlich in der Tat die<br />

geologischen Referenzen in Album- und Tracktiteln, überhaupt den<br />

"kosmischen" Traditionszusammenhang seines Klangvokabulars in<br />

die virtuelle Leere illusionärer Minimal-Landschaften, die angedeutet<br />

aus sich perspektivisch verschiebenden Vektoren über einen Computerbildschirm<br />

gleiten, als Kulissen für nichts als ihre eigene Machbarkeit,<br />

Entwurf der Ödnis einer konstruierten Zukunftswelt. Eine Art unterkühlte<br />

Vaporwave der frühen Achtziger, als elektronische Sounds<br />

noch aus Prinzip für kalt genommen wurden, weil als Ersatz. Steve<br />

Moore hat keine Angst vor Langeweile: Durch den Flirt mit ihr wird<br />

seine Musik unheimlich, spitzt man die Ohren in ihr subjektloses Dunkel.<br />

Sehr gut, und der Neuschlafstadt-Tiefgaragen-Lounge von "Logotone"<br />

nebenbei ein prima Einstieg für Liebhaber alter Source-Platten.<br />

www.spectrumspools.com<br />

multipara<br />

Max Eilbacher - Red Anxiety Tracers<br />

[Spectrum Spools/SP031 - Anost]<br />

Max Eilbacher, der im vergangenen Jahr unter anderem auf dem<br />

Matmos-Album "The Marriage Of True<br />

Minds" zu hören war, hat mit "Red Anxiety<br />

Tracers" seine <strong>De</strong>büt-LP vorgelegt. <strong>De</strong>r Musiker<br />

aus Baltimore hat die beiden Seiten<br />

dieser Platte zu zwei durchgehenden "Suiten"<br />

gemixt, in der die Übergänge von einem<br />

Stück zum nächsten kaum zu erkennen sind,<br />

so konstant ist der Fluss der Klänge, in dem<br />

Element um Element hinzugefügt, aufeinandergelegt und wieder<br />

weggenommen wird. Mit ruhigem Ambient hat das alles jedoch nur<br />

wenig zu tun. Eilbachers Mischung aus Störfrequenzen, modular erzeugten<br />

Tönen und Musique-Concrète-Anleihen lässt mehr an eine<br />

Zugfahrt durch sehr abwechslungsreiche Landschaften denken, als<br />

an losgelöstes Schweben im Irgendwo. Besonders schön ist, wie Eilbacher<br />

dabei durchgehend die Balance zwischen konkret und diffus zu<br />

halten versteht.<br />

tcb<br />

Family Fodder - Monkey Banana Kitchen<br />

[Staubgold/Staubgold 130 - Indigo]<br />

Die Neuausgabe des 1979er <strong>De</strong>butalbums von Family Fodder (mit<br />

zwei Singles und einer EP als Zugabe) führt<br />

einmal mehr vor, was für eine musikalisch<br />

unvergleichlich spannende, offene Zeit damals<br />

in England herrschte. Vielleicht hat es<br />

die Band um Multiinstrumentalist Alig<br />

Pearce, die all die Jahre im Verborgenen<br />

fortexistierte, deshalb nie ins große Rampenlicht<br />

geschafft, weil sie vor allem ein<br />

durch hunderte Line-Ups morphendes, spielerisches Studioprojekt<br />

geblieben ist, obgleich die Musik hier eigentlich wie für die Bühne geschaffen<br />

klingt. Als Nachgeborener rätselt man, ob da etwa neben Rip<br />

Rig + Panic oder Pigbag kein Platz mehr war. In den dichten, melodischen<br />

Arrangements, in denen noch die Siebziger nachhallen, brechen<br />

sich immer wieder Experimente Bahn (dass die Synths noch<br />

Keyboard heißen, führt in die Irre), ohne dass der kompakte Zusammenhalt<br />

als Pop-Band je verloren ginge. Und ihr spritziger Vorwärtsdrang<br />

macht Laune. Unter den insgesamt zehn Musikern finden sich<br />

alleine sieben mit Percussion, allen voran Charles Bullen (hier an den<br />

Drums, anders als bei This Heat, wo es offensichtlich einfach zu viel<br />

Talent auf einem Haufen gab); das Yéyé-Spirit-Residuum von Dominique<br />

Levillains mehrsprachigen Vocals (neben einer Hommage an<br />

Satie gibts auch eine an Schubert) verleiht dem Band-Sound ewige<br />

Jugend, und mit ihrem soliden Dub-Handwerk und dem Timbre Ian<br />

Halls können sie sogar schon mal auf halber Strecke zwischen Scientist<br />

und The Police landen ("Bass Adds Bass").<br />

www.staubgold.com<br />

multipara<br />

Bahru Kegne - In Memory Of [Terp]<br />

Bahru Kegne spielt die Masinko, ein einsaitiges Streichinstrument.<br />

Das von Terrie Ex betriebene niederländische Label Terp stellte jetzt<br />

mit "In Memory Of" eine Compilation mit bisher nur auf Kassette veröffentlichten<br />

Kompositionen des Äthiopiers aus den Jahren 1988 bis<br />

1996 zusammen. Minimale mantraartige Musik, unterstützt meist nur<br />

von einer Drumbox und loopartigen Keyboards, die die musikalische<br />

Repetition auf die Spitze treibt und dadurch eine unglaubliche meditative<br />

Kraft entwickelt.<br />

asb<br />

Chalachew Ashenafi - Fano [Terp]<br />

<strong>De</strong>r Masinkospieler Chalachew Ashenafi tourte viel mit der niederländischen<br />

Band The Ex und starb im letzten Jahr. "Fano“ versammelt<br />

die letzten Aufnahmen des Azmaris, eines politischen Kommentators<br />

der äthiopischen Lebensumstände. Seine Musik ist minimalistisch,<br />

sehr grooveorientiert und äußerst tanzbar, sodass sie auch ohne<br />

Sprachkentnisse wunderbar funktioniert.<br />

www.terprecords.nl/<br />

asb<br />

BJ Nilsen - Eye Of The Microphone<br />

[Touch - Cargo]<br />

BJ Nilsen sammelte für einen Lehrauftrag in London die verschiedensten<br />

Klänge der Metropole und arrangierte<br />

daraus ganz nebenbei ein geradezu klassisches<br />

Fieldrecording-Album. Mal steht der<br />

Hörer mitten im Chaos einer Innenstadtkreuzung,<br />

dann wieder eine halbe Stunde außerhalb<br />

in einer ruhigen und ländlichen Gegend<br />

an einem Weiher. Drei Kompositionen voller<br />

Wellenschlagen, Verkehrs- und Maschinengeräuschen,<br />

Möwengeschrei, Kirchenglocken und Telefonklingeln, die<br />

sich genießen lassen wie ein spannendes Hörspiel.<br />

www.touchmusic.org.uk<br />

asb<br />

Nostalgia 77 - A Journey too far<br />

[Truthoughts/TRU284 - Groove Attack]<br />

Mit dem fünften Album legen Nostalgia 77 noch mal einen drauf. Das<br />

Label Truthoughts aus Brighton hat von Anfang<br />

an festgehalten an diesem Projekt von<br />

Benedic Lamdin, mit der neuen Platte könnte<br />

nun endlich der Durchbruch gelingen. Immerhin<br />

wurde inzwischen auch schon bei<br />

der Produktion von Jamie Cullum mitgeholfen.<br />

Ob das jetzt zu mehr Reife geführt hat<br />

oder wie der erneute Qualitätssprung zum<br />

letzten Album zustande kommt, mag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls<br />

ist das neueste Werk sehr geschickt instrumentiert und kann einen<br />

wirklich berühren. <strong>De</strong>zent wurde hier schon immer vorgegangen,<br />

nun ist der folkige Aspekt noch etwas mehr in den Vordergrund gerückt.<br />

Vielleicht liegt es daran, dass Sängerin Josa Peit jetzt vollwertiges<br />

Mitglied geworden ist. Auf jeden Fall sind Kompositionen dabei<br />

heraus gekommen, die auch in paar Jahren noch Bestand haben<br />

werden. So darf es weitergehen.<br />

www.tru-thoughts.co.uk<br />

tobi<br />

Maile Colbert - Come Kingdom Come<br />

[Two Acorns/2A03 - A-Musik]<br />

Verpackt in Saurierillustrationen, entführt uns dieser Experimental-<br />

Opern-Soundtrack in die Tiefe eines staubkorngroßen<br />

Jahrtausends. Klingt nach Bombast,<br />

ist aber alles andere. Entlang der<br />

Offenbarung des Johannes entfaltet Maile<br />

Colbert, zwischen den USA und Portugal<br />

pendelnde Klang- und Videokünstlerin, ein<br />

zart und elegant, durchgängig wie in einer<br />

Flüssigkeit schwebendes, dabei auch immer<br />

wieder beinhart elektroakustisch durchsetztes Schattenspiel aus verzauberten<br />

Signalen unserer Existenz, das Sonnensystem verlassend.<br />

Gabriela Crowes Gesangsstimme wandelt mit uns durch die Jahrhunderte,<br />

von Latein und Mittelalter bis zur Poesie von Colberts Bruder<br />

Ian, und in diesem feinen apokalyptischen Wirbel umstreicheln sich<br />

wie auf einen Vorhang projiziert Wind, Wasser, Fauna, Daumenklavier,<br />

Harmonica, Glocken, Orgel, VLF-Aufnahmen, Chöre, eine Drummachine<br />

und immer wieder sacht schreitende Streicher und Stimmen.<br />

Das atmet Frieden, auch eine gewisse erhabene Trauer, ekstatische<br />

Mystik und öffnet eine ganz andere endzeitliche Perspektive als etwa<br />

Messiaen. Das auf Celers jungem Label zu finden, ist natürlich extra<br />

spannend.<br />

multipara<br />

James Vincent McMorrow - Post Tropical<br />

[Vagrant Records - Alive]<br />

"Post Tropical" also, ja? Kurz nachgeschlagen. Das ist quasi das, was<br />

von einem tropischen Wirbelsturm übrig bleibt. Ein laues Lüftchen.<br />

Passt ziemlich gut, wenn man sich das neue Album von James Vincent<br />

McMorrow so anhört. Während das erste Album "Early In The<br />

Morning" noch ziemlich nach Weirdo-Beardo-Folk klang, tönt "Post<br />

Tropical" irgendwie ganz anders und tatsächlich auch einfach besser.<br />

Immer noch haucht Mc Morrow seine Gesangspassagen so fein<br />

daher, dass sie ob ihrer fragilen Gefühlshaftigkeit beinahe zu zerbrechen<br />

drohen. Aber statt Banjogeschrammel haucht er die Klagelieder<br />

über Harfen, Bläser und gedämpfte Gitarren. Das klingt manchmal<br />

nach dem Landflucht-Folk von Bon Iver, ist aber mit seinem Frickel-<br />

Selbstmacher-Charme irgendwie doch ganz anders. Und vor allem<br />

sympathisch unfertig.<br />

www.vagrant.com<br />

jw<br />

Man Is A Rope - Expensive Cuts<br />

[Variance New York/VNY-1]<br />

"Man Is A Rope" ist keine Band, sondern ein Projekt des in New York<br />

lebenden Künstlers und Produzenten Evan T.Q. Kreeger, welcher zusammen<br />

mit David Summer (Function/Sandwell District) Mitte der<br />

90er Jahre das Manhattaner Studio "Inanimate Objects" gründete.<br />

Aber erst 2011 entwickelte er nach einer Zusammenarbeit mit Karl<br />

O`Connor die Idee von "Man Is A Rope". O`Connor hat vor allem das<br />

Stück "Boy´s Weekend" beeinflusst. Indem Kreeger Elemente aus<br />

Birmingham-/<strong>De</strong>troit-Techno, No Wave und Filmmusik verwendet,<br />

bekommen die Stücke ihre einzigartige, dynamische und dunkle<br />

Atmosphäre, die komplex vermengt wirkt. Dadurch, dass er Live-Instrumental-<br />

und Vocal-Aufnahmen mit analogen Effekten vermischt,<br />

formt sich eine elektronische Hybridmusik fern von den normalen<br />

Loops und Samples. Die Stücke entstanden zudem parallel zu Videoarbeiten,<br />

weshalb die Konzeption der Musik auch stark mit eben jenen<br />

Arbeiten verwoben ist und eine intensiv symbiotische, synästhetische<br />

Seite aufweist. Die Stücke erzählen Geschichten. Dabei gilt: Das Ohr<br />

bedient das Auge.<br />

jonas<br />

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