De:Bug 179
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<strong>179</strong><br />
zerlege, mach ich es doch nicht kaputt, sondern zu mehr<br />
als es vorher war!<br />
Digitale Geräte klingen bei dir analoger als vorher.<br />
Als ich angefangen hab, mich mit elektronischer Musik<br />
zu beschäftigen, konnte ich mir analog nicht leisten, also<br />
hab ich Digitalschrott genommen. Dann hab ich mich<br />
langsam wegbewegt von Instrumenten mit Keyboards.<br />
Das fand ich als Ansteuerung für Synthesizer immer<br />
irritierend. Ich spiele doch kein Klavier. Außerdem wehre<br />
ich mich gegen den verbreiteten Aberglauben, dass nur<br />
analog gut klingt. Die Hörgewohnheiten haben sich extrem<br />
entwickelt, die Leute sind mittlerweile an alle möglichen<br />
Aliasing-Sounds gewöhnt. Jeder hat schon einmal<br />
MP3s gehört. Wenn du analoge Wellenformen in digitale<br />
umrechnest, dann ist das natürlich nicht sauber. Jeder<br />
kennt die Komprimierungssounds, die sind mittlerweile<br />
Kulturgut, das jetzt auch zur Produktion verwendet wird.<br />
Ich setze das gezielt ein.<br />
Sound da nie bedient wird. Allein benutze ich meine Sachen<br />
derzeit hauptsächlich mit meiner Stimme und daraus kann<br />
ich von sphärischen Drones bis zu Gabbabeats eigentlich<br />
alles bauen.<br />
Kann außer Dir jemand <strong>De</strong>ine Instrumente spielen?<br />
Es braucht ein bisschen Übung, weil es keinen Speicher gibt<br />
und damit keine Presets. Wenn ich das jemandem in die<br />
Hand gebe, findet der sich aber schnell zurecht. Die Dinger<br />
sind recht klar gebaut, es gibt also verschiedene Sektionen:<br />
hier Pitch, da Feedback, hier Tonänderung etc. Wenn ein<br />
Loop läuft, dann wird der ziemlich krass verstärkt, also musst<br />
du am Mixer nachregeln. Ich möchte meine Instrumente<br />
von der Masse abheben, auch von der Masse der Bending-<br />
Instrumente. Sie sollen ein bestimmtes Element von<br />
Unvorhersehbarkeit haben - verknüpft mit der Möglichkeit,<br />
das Ding trotzdem musikalisch zu spielen.<br />
Auf der Oberfläche ist sichtbar, wie die Struktur<br />
funktioniert. Welche Rolle spielt dabei Ästhetik?<br />
Ich hab visuelle Kommunikation studiert, später Bildhauerei.<br />
Als freier Künstler hatte ich die Angewandten immer um<br />
mich herum, die haben immer ganz andere Fragen gestellt.<br />
Man kennt dieses klassische Vorurteil, dass du beim Bending<br />
hier und da irgendwas drückst und irgendwas passiert,<br />
aber keine Ahnung was. Die einfachste Interface-Lösung<br />
ist üblicherweise eine Patchbay. Das wird dann immer<br />
als dieses besondere quasi-analoge Ding angepriesen.<br />
Chinch-Buchsen kriegst du im Achterpack, die sind superfix<br />
eingebaut, sind aber unpraktisch und sehen scheiße aus.<br />
Darum hab ich mich auf Schalter reduziert, ich hab meine<br />
Spezialschalter gefunden, die sind klein, aber relativ robust.<br />
Es geht mir vor allem darum, dass man in Live-Situationen<br />
gut auf sie zugreifen kann, dass man sie expressiv spielen,<br />
also auch mal an ihnen herumreißen kann.<br />
Warum hast du beim WAOSS PAD dann die LEDs<br />
gewechselt? Das wäre doch nicht nötig gewesen!<br />
Doch, denn das sieht cool aus. Am Ende sollen das schon<br />
neue Dinger werden. Ich sehe die nicht als Skulpturen, aber<br />
sie haben skulpturale Anteile. Ich bin Bildhauer, die Idee vom<br />
Unikat ist wichtig. Es sind Einzelanfertigungen, aber keine<br />
Kunst, sondern Handwerk.<br />
»Alles funktioniert heute<br />
selbstverständlich, es weiß<br />
nur niemand, warum. Wir<br />
bedienen quasi magische<br />
Artefakte.«<br />
Sind deine Instrumente Second-Hand-Elektronik für die<br />
Wegwerfgesellschaft?<br />
Dahinter steht schon ein Recyclinggedanke. Alles funktioniert<br />
heute selbstverständlich, es weiß nur niemand, warum. Wir<br />
bedienen quasi magische Artefakte. Leute werfen ihre<br />
Rechner weg, wenn sich Windows aufhängt. Dabei sitzt das<br />
Problem oft vor der Maschine. Was die Geräte angeht, die<br />
uns umgeben, besteht einerseits ein unheimlicher Respekt:<br />
niemand will irgendwas kaputtmachen. Das schlägt am Ende<br />
ins Gegenteil um, denn andererseits werden die Sachen<br />
weggeschmissen, sobald es was Neues gibt oder irgendein<br />
kleiner Fehler auftaucht.<br />
Welche Rolle spielt da das Circuitbending?<br />
In Workshops ist es meist die Hauptaufgabe, den Leuten zu<br />
erklären, dass es ihre Sachen sind. Man muss den Leuten<br />
klarmachen, das eh schon alles Schrott ist, 'schraubt's doch<br />
mal auf, 12 Volt tun nicht weh, da kann nichts passieren!'<br />
Es gibt diese Schranke bei Leuten im Hirn, dass etwas nur<br />
so funktionieren darf, wie es vorgesehen ist. Circuitbending<br />
wird oft als Kaputtmachen wahrgenommen. Ich bin für<br />
einen Umgang der liebevollen Härte: Wenn ich ein Gerät<br />
Was bedeutet das genau?<br />
Ich gehe an diese Geräusche quasi wieder analog heran und<br />
orientiere mich an Synthesizern. Ein Gitarreneffekt wie das<br />
Zoom 55 klingt extrem digital, wenn du also einen vollen<br />
Gitarrensound haben willst, ist das Käse, die Wärme ist<br />
da nicht drin. Für elektronische Musik ist das wiederum<br />
recht cool. Im Moment ist der 56 mein Lieblingstierchen.<br />
<strong>De</strong>r ist für Bass gebaut, bringt also tiefere Frequenzen,<br />
da hab ich den Ausgang direkt wieder auf den Eingang<br />
gelegt wird, also quasi ein internes Feedback eingebaut.<br />
Feedbacks sind ja eine analoge Angelegenheit so wie No-<br />
Input-Mixer im Prinzip krude analoge Synthesizer sind. Da<br />
bekomme ich einen relativ klaren Sound, dazu kommen<br />
meine Schalterchen für Glitches, Ringmodulator- und<br />
Bitcrusher-Effekte.<br />
Du schraubst nicht nur Audio-, sondern auch Videoware,<br />
Telefone, Gameboys, und du hast das nPad erfunden.<br />
Mittlerweile hast Du dich vor allem auf Effektgeräte<br />
spezialisiert. Gibt es ein bestimmtes Vorgehen, das du<br />
bei Musikgeräten anwendest?<br />
Vor ein paar Jahren ist der LTC <strong>179</strong>9 aufgetaucht, der war<br />
ein Gamechanger für alles, was Circuitbending angeht.<br />
Alle digitalen Instrumente sind im Prinzip aufgebaut wie ein<br />
kleiner Computer und irgendwas muss für den Prozessor<br />
einen Takt liefern. In allen Geräten ist ein Quarzkristall<br />
verbaut, der für die Taktung zuständig ist. Wenn man den<br />
raus- und den LTC reinlötet, dann kann man sämtliche<br />
digitale Geräte runter- und hochpitchen. <strong>De</strong>n verwenden<br />
eigentlich alle, weil der einen extrem sauberen Takt liefert,<br />
den man stufenlos variieren kann.<br />
Weißt du, was du tust?<br />
Bei Circuitbending finde ich wichtig, das Amateurhafte<br />
sehr hochzustellen. Das bezieht sich auch aufs Digitale,<br />
bei Analogmodifikation wird eher gemoddet, da braucht<br />
es eigentlich mehr Expertise. Sicher hab ich ‘ne<br />
Menge über Elektronik gelernt, aber wenn ich etwas<br />
aufschraube, dann hocke ich auch erstmal wieder da,<br />
ich kann höchstens aus der Erfahrung beschreiben,<br />
was ich tue, aus dem Gefühl. Ich will gar nicht zu viel<br />
darüber lernen, ich möchte gern weiter auf Platinen im<br />
Unbekannten rumstochern. Es ist konstruktive Ignoranz:<br />
am Ende geht es ja doch ums Spielen.<br />
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