De:Bug 179
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FLYING LOTUS<br />
IDEAS+DRAFTS+LOOPS<br />
[NOT ON LABEL]<br />
www.flying-lotus.com<br />
BURIAL<br />
RIVAL DEALER EP<br />
[HYPERDUB]<br />
www.hyperdub.net<br />
ACHTERBAHN D'AMOUR<br />
ODD MOVEMENTS<br />
[ACID TEST]<br />
awww.absurdrecordings.com<br />
<strong>De</strong>r Titel macht’s schon klar: Flying Lotus hat aus einer<br />
Laune heraus mal eben seine Archive auf links gekrempelt<br />
und über Nacht eine ganze Reihe Leftovers, Outtakes und<br />
Skizzen für die Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Vielen<br />
Dank dafür. Zumal Steven Ellisons Resterampe über weite<br />
Strecken einfach zehnmal tighter klingt als ein Gros der<br />
derzeitigen Beatscience-Releases da draußen. Aber hören<br />
wir doch mal rein. Wie man es von Superbrain FlyLo gewohnt<br />
ist, tummelt sich auf "Ideas+drafts+loops" so ziemlich alles<br />
von flimmernden Freidrehern wie "Such A Square" und dem<br />
schwurbeligen "Tree Tunnels" bis hin zum Noise-Traktat<br />
"Osaka Trade". Unter den sage und schreibe 25 Tracks findet<br />
sich sogar eine radgy Captain-Murphy-Abfahrt "Between<br />
Villains" mit Victor Vaugh und Earl Sweatshirt. Und wo wir<br />
schon bei Features sind: Da hat’s sowohl stampfende Avant-<br />
Tracks mit Shabazz Palaces ("Hide Me"), glitchiger Wonky-<br />
Wahnsinn mit Baths ("Little Hours") oder eher klassisches<br />
Material für das sich FlyLo die beiden Underachievers-<br />
MCs in die Booth geladen hat ("Adventure Sound"). Als<br />
Bonus-Cut hat sich auch der ziemlich fluffig-puffige "Black<br />
Skinhead"-Thundercat-Rework von Kanye West in den Zip-<br />
Ordner geschlichen. Absolut empfehlenswert.<br />
JW<br />
CHILDISH GAMBINO<br />
BECAUSE THE INTERNET<br />
[GLASSNOTE]<br />
www.glassnotemusic.com<br />
Donald Glover hatte man als Rapper lange eher nicht auf dem<br />
Schirm. Wenn überhaupt als "Community“-Schauspieler<br />
und Comedian. Und wenn so jemand dann beschließt,<br />
jetzt auch mal Musik zu machen, kann das gehörig nach<br />
hinten losgehen. Drake hat bereits bewiesen, dass man als<br />
angehender Musiker mit Mattscheibenvergangenheit aber<br />
auch richtig was reißen kann. Das schafft auch Childish<br />
Gambino mit seinem neuen Album. <strong>De</strong>nn solche Platten<br />
sind dieser Tage selten. Was für ein geiler opti- als auch<br />
pessimistischer Titel das schon ist: "Because The Internet“.<br />
Klar, Childish Gambino fährt hier die Drake-Masche des<br />
melancholischen Millenials: jeder mit jedem und doch für<br />
sich allein. Dieses larmoyante Gefasel von Freundeskreisen in<br />
RL und VR und dem generellen Kontrollverlust hat man jetzt<br />
ja schon zu genüge durchgekaut. Aber Childish Gambino<br />
gibt dem Ganzen mit "Because The Internet“ einen neuen<br />
Dreh. Die 19 Songs und Skits erzählten auf unglaublich<br />
atmosphärische Weise vom täglichen Treiben im Netz.<br />
Jedoch nie analytisch oder gar besserwisserisch, sondern<br />
so naiv und sehnsüchtig, wie sich wohl ein Gros der User<br />
Tag für Tag durch den Stream klickt. Um den künstlerischen<br />
Anspruch eines Kanye West erweitert, liefert er zum richtigen<br />
Verständnis auch noch ein 73-seitiges Drehbuch mit. Groß.<br />
JW<br />
Produzentenenigma Burial hat, wie letztes Jahr pünktlich zu<br />
Weihnachten, eine neue EP in die hungrigen Ohrschluchten<br />
seiner Jünger geworfen. Erst mal semi-aufregend, doch<br />
Vorsicht: die Innovationen in der Emotionspalette seines<br />
Schaffens, die Burial durch das stark konzeptuelle “Rival <strong>De</strong>aler“<br />
einführt, sind groß, wahrscheinlich zu groß für viele Bewunderer<br />
des Südlondoners. Das knarzige "vinyl crackle" ist immer noch<br />
da, man fühlt sich zu Hause. “This is who I am“ proklamiert ein<br />
Sample, weißes Rauschen, dann ein gleißend heller Lichtstrahl,<br />
raus aus dem großstädtlerischen Selbstmitleid, rein in den<br />
Äther. "You try to find yourself. But you always run away." Die<br />
überbordende Euphorie wird einem entrissen, man findet sich<br />
kurz in einem klaustrophobischen Klangvakuum wieder, bevor<br />
alles nochmal tiefschwarz wird. Dann: “Now the sunlight's<br />
come“. Allerdings! Ab jetzt wird weder vor Sitar-Samples,<br />
turnhallengroßen 80s-Snares noch vor Auto-Tune halt gemacht.<br />
Wo der Opener wie bloßes Weiterspinnen einer Soundästhetik<br />
klang, mutet die EP spätestens jetzt an wie ein Psalmbuch,<br />
gar wie ein sonifizierter Götze, der dir mit unterschwelligen<br />
Botschaften zur Selbstfindung verhilft, wenn du gut und oft<br />
genug zuhörst. Es scheint, als wären die zahlreichen Samples<br />
beinahe das Herz der kleinen Platte, die Basis der Klangkörper,<br />
die zwischen den Zeilen agieren.<br />
TN<br />
NINA KRAVIZ & LUKE HESS<br />
MR. JONES EP<br />
[REKIDS]<br />
www.rekids.com<br />
Ehrlich gesagt, ich blick nicht ganz durch. 10 Tracks ist diese<br />
EP lang? 6 Tracks plus Remixe? Was haben die vor bei Rekids?<br />
"Remember" ist schon mal ganz groß. Zwei Stimmen im<br />
Zwiegespräch, dazu Grooves auf Hochspannung und immer<br />
tiefer in sich verschliffene Intensitäten, die irgendwann<br />
einfach alles mitreißen und doch von der ruhigen Stimme<br />
von Nina noch perfekt ihren stimmungsvollen Anfang<br />
bewahren. "Black & White" bleibt reduziert, aber dampft<br />
eher in seinen sphärisch weitläufigen Sounds und dem lässig<br />
aus dem Ärmel geschüttelten Swing der Grooves, die alle<br />
zusammen irgendwann auf einen Track hinauslaufen, der<br />
fast wie zu Weihnachten bimmelt. "<strong>De</strong>sire" ist einer dieser<br />
typischen Kraviz-Tracks, endlos und immer wieder mit kurzen<br />
Vocals angeheizt in einem Schwebezustand, der einfach nie<br />
zur Ruhe kommen will. "Mr Jones" stellt den Sprechgesang<br />
zu fast reduziert flüsternden Hintergrundgeräuschen und<br />
stapfigem Groove in den Vordergrund und zerstört sich<br />
dann selbst mit diesen leicht angegruselten Melodien und<br />
Sounds, die im "2008 Home Listening Mix" irgendwie am<br />
albernsten und damit auch besten wirken. Eine intensive, oft<br />
reduzierte, durch und durch perfekte EP, die irgendwie auch<br />
eine Antithese zu Nina Kraviz als DJ sein will, aber das hatten<br />
ihre EPs schon immer an sich.<br />
BLEED<br />
Ganz klar die Acidplatte des Monats. Mehr noch. Wie immer<br />
bei Acid Test. Achterbahn D'Amour lösen sich endgültig von<br />
der Nostalgie von Acid, konzentrieren sich aber gleichzeitig<br />
noch mehr auf Acid selbst. Was mag das bedeuten? Nicht<br />
die vielen Erinnerungen an die endlosen Wandlungen des<br />
Acidsounds hört man hier raus, sondern das Eintauchen<br />
in eine Welt aus dessen Fundamenten heraus ein Sound<br />
erfunden werden will, der unmissverständlich in Acid enden<br />
muss, aber dabei nicht die Idee, sondern die Konstellationen,<br />
die Versuchsanordnungen, die Musik, die aus der inneren<br />
Beschränkung heraus doch keine Grenzen kennt, ansteuert.<br />
Das Album ist keine Ode an die Oldschool. Die Strobegewitter,<br />
die Säure, die Härte, die hypnagogischen Zustände oder<br />
den trippigen Traum. Es ist - wenn überhaupt - eine Hymne<br />
auf die Methoden, die Mittel, die abgesteckten aber doch<br />
scheinbar endlosen Soundwelten der "typischen" Hardware.<br />
Hier schnarrt vom ersten Moment an alles so deep in den<br />
analogen Welten der Rolandsounds, klingt dabei aber doch<br />
immer so erfrischend und direkt, dass man bereit ist, Acid<br />
als die Lyrik des Jahres zu küren. Immer leicht angezerrt, aber<br />
doch elegisch, die Basslines untereinander verwoben mit den<br />
Flächen, die Sounds so rhythmisch und klar, so... Doch bevor<br />
wir hier ganz in Begeisterung aufgehen, und uns von den<br />
Tracks wegtreiben lassen in die Wälder aus pastellfarbenen<br />
Stroboskopen, einen Schritt zurück. Ein Acidalbum. Daran<br />
haben sich viele versucht. Oft klingt es wie Manual. Wenn alles<br />
gut geht, aber ist es so viel mehr. Ein Hinabsteigen in einen<br />
ganz eigenen Sound, der heute mehr als damals, nicht einfach<br />
nur das Entdecken eines Aufbruchs in eine Welt eigener Physis<br />
ist, sondern dort auch eine Menge alter Bekannter trifft. Wir<br />
sind nach den ersten Tracks von "Odd Movements" nicht nur<br />
gar nicht mehr aus diesem Universum herauszubekommen,<br />
sondern entdecken das große Kino hinter dem Genre, diese<br />
feinfühligen Momente in denen - egal wie stark die Verführung<br />
bei Acid auch sein mag - man sich konfrontiert sieht mit<br />
diesem Einzigartigen. Dieser unnachahmlich schönen Gewalt<br />
von Musik, die sich nicht einfangen lässt, egal ob die Wege<br />
vielleicht vertraut wirken. "Odd Movements" ist ein Monument.<br />
An Acid, in Acid und weit darüber hinaus.<br />
BLEED<br />
71