De:Bug 179
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<strong>179</strong> — MUSIKTECHNIK TEXT THOMAS LINDEMANN<br />
68<br />
Aufpreis: ca. 2000 Euro<br />
YAMAHA<br />
SILENT PIANO<br />
KLIMPERN<br />
GEGEN DEN<br />
STRICH<br />
Die Yamaha-Silent-Pianos der<br />
Reihe "SH" sind echte Klaviere, die<br />
sich stumm stellen lassen und dann<br />
ein Modul mit digitalen Sounds<br />
ansteuern. Mehr noch: Sie setzen<br />
die Idee der Silent- und Midi-Pianos<br />
zum ersten Mal auch wirklich gut<br />
um. Jetzt kann die Musikszene<br />
kommen, die darauf aufbaut.<br />
Das Klavier führt, etwas überraschend, in der Szene von<br />
Bastlern, elektronischer Musik und Avantgarde immer nur<br />
ein Schattendasein. John Cage steckte in den Vierzigern<br />
Radiergummis, Schrauben und anderes nach einem selbst<br />
erfundenen Muster zwischen die Saiten eines Flügels und<br />
schuf so die Klangidee "Prepared Piano", die seitdem immer<br />
wieder mal irgendwo aufscheint; Volker Bertelmann alias<br />
Hauschka etwa benutzt es bis heute als sein Markenzeichen<br />
und verwendet zum Beispiel Tischtennisbälle, die auf<br />
den Saiten herumtanzen. Zuletzt haben auch Sven<br />
Weisemann, Brandt Brauer Frick und Nils Frahm mit Piano-<br />
Improvisationen und -Präparationen den auratischen Klang<br />
des Klaviers in den Techno geholt.<br />
Mit der Präparation aber hat es sich auch mit dem<br />
kreativen Verändern des Klavierklangs getan. Wenn der<br />
Konzertpianist Francesco Tristano, der auch ein fantastischer<br />
DJ ist, im Berliner Watergate seine Koffer aufmacht um<br />
eine Nacht lang einzuheizen, hat er auch ausschließlich<br />
Instrumente wie eine Motif XF8 Workstation dabei. Andere,<br />
die als Pianisten auffallen, spielen meist nicht-elektronisch,<br />
ganz klassisch. Wie der schon genannte Nils Frahm, auf<br />
dessen neuem Livealbum "Spaces" zwar Effekte zu hören<br />
sind, im Kern aber: gut gespieltes Klavier.<br />
Dabei tut sich im Moment eine neue Möglichkeit auf,<br />
das Klavier als quasi-elektronisches Instrument zu benutzen.<br />
<strong>De</strong>rzeit ist noch gar nicht absehbar, wohin all das führen<br />
kann. Ein Grund dafür ist, dass die Silent-Technologie, um<br />
die es hier geht, aus höchst bürgerlichen Gründen erfunden<br />
wurde. Man stört niemanden, wenn man sie verwendet. Bei<br />
den 21 Pianos und Flügeln von Yamaha, die mit dem "Silent<br />
SH" ausgestattet werden (von dem 2,3 Meter langen C7X<br />
für rund 5. Euro bis zu dem Klavier P116, etwa 7<br />
Euro) schiebt sich auf Knopf- beziehungsweise Pedaldruck<br />
eine Leiste vor die Hämmer, so dass diese die Saiten knapp<br />
nicht mehr erreichen können. Am Spielgefühl ändert das<br />
nichts. Digitalisiert wird der Anschlag optisch, Plättchen<br />
mit Grauverläufen werden mit rotem Licht durchmessen.<br />
Das funktioniert so gut, dass selbst Profis praktisch keinen<br />
Unterschied wahrnehmen. Die Konzertpianistin Martina<br />
Filjak etwa, gelobt von der New York Times, bekennt sich<br />
offen dazu, an einem Yamaha Silent-Flügel zu studieren. Sie<br />
lebt nun einmal in einer Mietwohnung.<br />
Es gab auf dem seltsamen kleinen Markt der Silent-<br />
Pianos in den letzten Jahren einen kleinen Kampf der<br />
Giganten: Kawai gegen Yamaha, zwischendurch gestört<br />
von unbekannteren Unternehmen wie Pianodisc. Unter<br />
Pianisten war Yamahas Technologie immer die am besten<br />
akzeptierte, weil fast einwandfrei spielbar. Leider waren die<br />
Sound-Module klanglich enorm rückständig. Ein Aufpreis<br />
von circa 2 Euro (verglichen mit dem Klavier ohne Silent-<br />
Funktion) war bisher für ein eigentlich minderes Klangmodul<br />
fällig. (Sehr ärgerlich: Yamaha will kein Upgrade für ältere<br />
Silent-Pianos anbieten.) <strong>De</strong>nnoch muss man den Japanern<br />
lassen: Da nun im neuen Silent-System "SH" endlich auch<br />
der Klang stimmt, dürfte dieses System für einige Zeit<br />
konkurrenzlos sein. Eigentlich ist es gerade zum ersten Mal<br />
überhaupt erst soweit, dass Silent-Pianos wirklich ernst zu<br />
nehmen sind. Dazu, dass man so etwas heute überhaupt<br />
sagen kann, tragen auch die Samples des CFX bei, die im<br />
Silent-System "SH" verwendet werden – Aufnahmen des<br />
neuen 2,75 Meter langen großen Yamaha-Flügels. Alle<br />
88 Töne wurden einzeln aufgenommen mit binauralem<br />
Mikrofon, also per Kunstkopf, so dass sich ein besonders<br />
bestechendes Gefühl ergibt, vor dem Flügel zu sitzen. (Wobei<br />
es um Mikrofonierung – und somit auch die Frage, ob das<br />
derzeit modische binaurale Aufnehmen sinnvoll ist oder nicht<br />
- unter Soundfreaks freilich eine ausufernde <strong>De</strong>batte gibt.)<br />
In Tests und Werbung wird normalerweise immer nur<br />
das biedere Argument "Man stört die Nachbarn nicht"<br />
angeführt. Aus dieser Tiefe des bürgerlichen <strong>De</strong>nkens fällt<br />
es erst einmal schwer, in die Sphären echter Avantgarde<br />
zurückzukommen. Das sollte man aber. <strong>De</strong>nn es ist<br />
durchaus aufregend, erstmals mit einer vollwertigen (und<br />
hervorragenden) Klaviertastatur alles spielen zu können, was<br />
Midi zulässt. Und die 19 guten, eingebauten Sounds ohnehin<br />
– auch wenn die meisten sich nur für das Piano interessieren<br />
werden, Fender Rhodes gibt es anderswo bessere, und man<br />
hat ja Midi eingebaut. Die Klänge passen übrigens auf nur<br />
256 MB, was etwas überrascht – das Luxus-Piano "Alicias<br />
Keys" von Native Instruments etwa ist 17 Gigabyte groß.<br />
Trotzdem klingt "SH" tatsächlich gut (und es sei daran<br />
erinnert, dass auch Clavia Nord bis heute erschütternd<br />
kleine Speicherchips verwendet). Das digitalisierte Piano<br />
CFX besitzt die für Yamaha typische Klarheit und Prägnanz,<br />
der Bass ist wuchtig, schmiert aber nicht, der Diskant<br />
perlt fein und genau. Die Mitten könnten etwas mehr Kraft<br />
vertragen, das ist aber nun schon Mäkelei auf sehr hohem