De:Bug 179
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TEXT BIANCA HEUSER<br />
<strong>179</strong><br />
Jam Rostron veröffentlichte 26<br />
mit "Have It All" ihr erstes Album.<br />
Die feministische Agenda definiert<br />
seitdem ihren künstlerischen Output<br />
und ihr drittes Album "All Love’s Legal"<br />
auf dem eigenen Label Human Level<br />
fordert nun deutlicher denn je das Ende<br />
von Sexismus und Homophobie. Dies<br />
zum Anlass genommen, spielten sich<br />
Planningtorock und <strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>-Autorin<br />
Bianca Heuser gegenseitig Platten<br />
vor und sprachen über Beyoncés<br />
Feminismus, tolle Produzentinnen<br />
ohne Major-<strong>De</strong>al und den als ironisch<br />
deklarierten Sexismus von Odd Future.<br />
Burial – Come Down To Us<br />
(Hyperdub, 213)<br />
Bisher gab es zu dieser EP gemischtes<br />
Feedback, Auto-Tune scheint kein sonderlich<br />
beliebter Effekt zu sein. Ich spiele dir diesen<br />
Song aber vor, weil die Platte eine Anti-<br />
Bullying-EP sein soll. In einer kurzen<br />
Mitteilung erklärte Burial, dass die Musik<br />
denen helfen soll, die nicht an sich und ihr<br />
Potential glauben. Du selbst sagst auch,<br />
dass du gern nützliche Musik machen<br />
möchtest.<br />
Ja, das ist eine interessante Frage: Wie<br />
kann Musik das erreichen? Wenn die Tracks<br />
diese Gefühle tatsächlich in jemandem<br />
hervorrufen, finde ich das großartig. Es<br />
gibt keine Hierarchie zwischen guten und<br />
schlechten Sounds. Natürlich kann ein<br />
Geräusch irgendwann etwas erschöpft<br />
sein, aber jeder Effekt hat Potenzial und<br />
man darf benutzen was man möchte. <strong>De</strong>r<br />
emphatische Ansatz dieser EP ist auch<br />
wirklich viel interessanter. Und schöner.<br />
Als wäre es nicht genug, so unterhaltsame<br />
Musik zu machen, verleiht Burial ihr noch<br />
einen anderen Zweck.<br />
Beyoncé – Pretty Hurts<br />
(Columbia Records , 213)<br />
Die Diskriminierung schwarzer Frauen ist<br />
ein riesiges Problem und wird ständig<br />
übergangen. Wegen all dem halte ich<br />
sehr viel von ihr.<br />
Ich mag, wie simpel sie diese Probleme<br />
formuliert. Damit macht man es einem<br />
Publikum schließlich leichter, einen zu<br />
verstehen. Das machst du auf deinem<br />
neuen Album auch.<br />
Auf jeden Fall. "Patriarchy Over &<br />
Out", "Misogyny Drop <strong>De</strong>ad" – das ist die<br />
Message, viel simpler geht es gar nicht.<br />
Ich finde es toll, wie Beyoncé in "Flawless"<br />
singt: "I’m not just his little wife". Die Hetero-<br />
Ehe als soziale Norm gibt mir nichts. Und<br />
ich finde toll, dass auch Beyoncé sie in<br />
Frage stellt. Sie steht für sich selbst ein,<br />
das finde ich aufregend. Ich wünsche mir<br />
trotzdem, dass in Zukunft auch andere die<br />
Möglichkeit haben, einfach so ein Album<br />
herauszubringen, dem Aufmerksamkeit<br />
zuteil wird. Pursuit Grooves zum Beispiel<br />
ist nur eine von vielen Produzentinnen,<br />
die um ein Minimum an Aufmerksamkeit<br />
kämpfen müssen. Das bricht mir das Herz,<br />
aber das Monopol des Pops ist natürlich<br />
nicht Beyoncés Schuld.<br />
James K – Drunktrack<br />
(Self Release, 213)<br />
Auch die Amerikanerin Jamie Krasner, die<br />
Musik als eine Hälfte der Band Seth auf<br />
UNO NYC veröffentlicht, hatte mit ihrem<br />
Soloprojekt James K bisher wenig Erfolg,<br />
ein Label zu finden. Ihr erstes Release,<br />
die "Rum EP", hat sie schließlich selbst<br />
veröffentlicht.<br />
Das klingt toll! Siehst du, genau das ist<br />
das Problem: Diese Musik ist fantastisch,<br />
ich wusste nur einfach nichts von ihr. Pop<br />
überschattet einfach so viel tolle Musik.<br />
Beyoncé trägt daran aber, wie gesagt,<br />
wirklich keine Schuld. Sie bricht Normen.<br />
Seit sie ein Kind ist, musste sie sich ihren<br />
Platz erkämpfen, denn der ist einer Frau,<br />
und speziell einer schwarzen Frau, wirklich<br />
nie sicher. Toll finde ich, wie sie mit der<br />
Industrie spielt. und ich hoffe, das zahlt<br />
sich irgendwann für Künstlerinnen wie<br />
James K oder Pursuit Grooves aus.<br />
»Dass viele Leute sagen, HipHop<br />
sei sexistisch, finde ich übrigens unerhört.<br />
Musik ist generell sexistisch, wacht auf!«<br />
Paula Temple – Colonized<br />
(R&S, 213)<br />
Paula ist wirklich eine der besten<br />
Produzentinnen, die ich kenne. Ihre<br />
Musik ist so hart. Sie ist gerade nach<br />
Berlin gezogen und teilt sich ein Studio<br />
mit mir und rRoxymore. Eine Split-12“ von<br />
meinem Track "Patriarchy Over & Out" und<br />
ihrem "Wheel Of Fortune" war das erste<br />
Release meines Labels Human Level. Oh,<br />
und Mokadem ist auch toll, eine ganz junge<br />
Londoner Produzentin, die auch gerade an<br />
einem Remix für mich arbeitet.<br />
Lana <strong>De</strong>l Rey – Gods & Monsters<br />
(Mokadem Remix)<br />
Das ist der erste Lana-<strong>De</strong>l-Rey-Remix, der<br />
nicht nach ihren Vocals auf einem fremden<br />
Track klingt.<br />
Ja, das stimmt. <strong>De</strong>n meisten anderen<br />
fehlte es ein wenig an Sensibilität, das<br />
war zumindest mein Gefühl. Mokadem<br />
ist keine Sängerin, darum arbeitet sie viel<br />
mit fremden Vocals. Bei CREEP ist das ja<br />
ähnlich: Keine von beiden kann oder mag<br />
singen, darum arbeiten sie auch regelmäßig<br />
mit unterschiedlichen Sängerinnen.<br />
Frank Ocean – Thinkin Bout You<br />
(<strong>De</strong>f Jam, 212)<br />
Oder dass R. Kelly junge Mädchen<br />
missbraucht. Das finden alle okay. Ich folge<br />
vielen dieser Diskussionen auf Twitter und<br />
dachte mir: Wie sähe es aus, wenn diese<br />
Mädchen Weiße wären? Ich bin mir sicher,<br />
dass das eine ganz andere Situation wäre.<br />
Unklar ist mir auch, was Frank Ocean<br />
eigentlich mit den Odd-Future-Jungs<br />
verbindet. <strong>De</strong>ren Sexismus und Homophobie<br />
gibt sich ja als ironisch aus, aber das macht<br />
es nicht besser.<br />
Sexismus ist in unserer Gesellschaft<br />
wirklich noch viel zu allgegenwärtig um<br />
ihn ironisch in seine Arbeit einzubeziehen.<br />
Man könnte so viel mehr machen! Es gab<br />
ein besonders beunruhigendes Video, in<br />
dem Tyler, The Creator im Keller mit einer<br />
kopfüber aufgehängten ausblasbaren Puppe<br />
zu sehen ist. Ich frage mich: Für wen ist das<br />
gedacht, was ist die Motivation dahinter,<br />
wo führt das hin und was ist die Message?<br />
Lyrics, Visuals und Musik sind sehr mächtige<br />
und einflussreiche Botschaftenträger. Man<br />
muss ja nicht übermäßig vorsichtig sein,<br />
aber man sollte schon wissen, wen seine<br />
Arbeit erreicht und was sie auslöst. Ist<br />
jetzt die Zeit mit den Symbolen dieser<br />
Diskriminierung zu spielen? Sich ein<br />
bestimmtes Vokabular zurückzuholen, ist<br />
ein interessanter Ansatz, aber dafür sind<br />
wir noch nicht bereit. Die Leute sehen ja<br />
noch nicht mal, wo das Problem liegt und<br />
bedienen sich völlig unbedacht desselben<br />
Vokabulars. Ich würde Tyler, The Creator<br />
gerne fragen: Was ist, wenn deine Zuhörer<br />
die Ironie nicht verstehen und für Schlechtes<br />
nutzen? Und: Worum geht es eigentlich?<br />
Auch Beyoncés Musik möchte ihren<br />
Zuhörern eine positive Message<br />
vermitteln. Für mich ist sie ein tolles<br />
feministisches Vorbild für Mädchen,<br />
die aus diversen Gründen entweder<br />
keinen Zugang oder kein Interesse an<br />
der Musik von tollen Frauen wie Kathleen<br />
Hanna, Kim Gordon oder dir haben. Im<br />
Gegensatz zu den meisten Popstars<br />
bezeichnet sie sich offen als Feministin<br />
und thematisiert Sexismus und darauf<br />
beruhende Diskriminierung sowohl in<br />
ihrer Musik als auch in Interviews.<br />
Ich fand toll, wie Beyoncé den Normen<br />
der Veröffentlichung eines Albums<br />
getrotzt hat. Sie hat dieses Album<br />
einfach auf den Markt geworfen, das<br />
fand ich sehr inspirierend. Dann ist sie<br />
noch eine Schwarze und damit von einer<br />
Diskriminierung betroffen, die wir beide<br />
Pursuit Grooves – <strong>De</strong>arest Nature<br />
(What rules, 213)<br />
Sie hat auch einen Remix für meinen Track<br />
"Misogyny Drop <strong>De</strong>ad" gemacht, aber das<br />
hier ist mein Lieblingstrack. Das ganze<br />
Album ist toll, aber das hier ist so fresh. Es<br />
bricht mir das Herz, sie so hadern zu sehen.<br />
Ich möchte nur, dass sie die Aufmerksamkeit<br />
bekommt, die ihr gebührt. Das ist mir<br />
besonders bei Produzentinnen wichtig.<br />
Fatima Al-Qadiri, Cooly G, Laurel Halo, das<br />
sind alles großartige Produzentinnen. Und<br />
Paula Temple übrigens auch:<br />
Ah, Frank! <strong>De</strong>r Moment, in dem Frank Ocean<br />
sich als schwul outete, war unglaublich.<br />
Leider hat er damit auch aufgezeigt, wie<br />
groß das Problem Homophonie noch ist.<br />
Ich konnte gar nicht glauben, dass ihm von<br />
all diesen sehr verschiedenen Menschen<br />
so viel Hass entgegenschlug! Gleichzeitig<br />
muss ich aber auch sagen, dass - obwohl<br />
das ein wichtiger Schritt war - immer noch<br />
viel zu wenig darüber reflektiert wird, wie<br />
über Frauen in Musik berichtet wird. Ich<br />
würde mich so gern mit Frank darüber<br />
unterhalten. Dass viele Leute sagen, HipHop<br />
sei so sexistisch, finde ich übrigens unerhört.<br />
Musik ist generell sexistisch, wacht auf!<br />
Es scheint allerdings auch niemanden zu<br />
stören, wenn Kendrick Lamars größter Hit<br />
das Wort "Bitch" im Titel trägt.<br />
nie erfahren werden, weil wir Weiße sind. 81