De:Bug 156
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digitale literatur und<br />
andere missverständnisse<br />
Die Digitalisierung mischt mit gehöriger<br />
Verspätung das Buch auf. Dabei geht es<br />
um weit mehr als den Formatwechsel vom<br />
Papier zum E-Book-Reader. Die Verhältnisse<br />
rund um das Buch verändern sich.<br />
Eine Neuerung ist dabei die Emanzipation des<br />
Autors vom etablierten System aus Verlagen,<br />
Feuilletonklüngel und Buchhandelsmechanismen<br />
durch die Möglichkeiten des E-Publishings:<br />
Hier feiern Autoren mit kleinen, schmutzig<br />
und schnell geschriebenen Geschichten Erfolge,<br />
aber auch Stephen King hat bereits auf die<br />
Entwicklung reagiert und ein E-Book mit dem<br />
vielsagenden Titel "UR" veröffentlicht, auf dessen<br />
Cover die beiden Buchstaben im vertrauten<br />
Underground-Resistance-Layout prangen<br />
(Seite 12). Eine weitere Facette der fortgesetzten<br />
Bibliothek zeigt sich im Gespräch mit<br />
dem Architekten Friedrich von Borries, dessen<br />
Mission es ist, Unterhaltung und fruchtbare<br />
Irritation zu verbreiten. In seinem Buch "1WTC"<br />
mixt er Action und Sex zu einer Groschenromanhandlung<br />
mit Glossar-Partikeln über<br />
digitale Kultur, Überwachung und Architektur<br />
im Wikipedia-Stil. Womit sich sein Machwerk<br />
in eine neue Berliner Erzählschule einreiht, die<br />
bewusst zwischen Sachbuch und Fiktion pendelt<br />
und dabei munter Widersprüche erzeugt (Seite<br />
16). Anlässlich seines Buch-und-CD-Projekts<br />
"Lookalikes" geht Thomas Meinecke unterdessen<br />
im Gespräch mit dem Klangforscher<br />
Holger Schulze auf Seite 20 der Frage nach, wie<br />
eine Literatur aussähe, die sich vom Pathos der<br />
Buchpublikation endlich verabschieden würde<br />
und popgemäß dandyistisch ganz in der Studioproduktion<br />
von Oberflächen aufginge. Dass der<br />
Einbruch des Digitalen in die Buchwelt keine<br />
Einbahnstraße ist, sondern eine wechselseitige<br />
Angelegenheit, zeigen unterdessen die unseligen<br />
"Nymwars", bei denen auf Google+ und Co. um die<br />
Verwendung von Klarnamen im Netz gestritten<br />
wird - dabei erübrigt diese sich nach einem Blick<br />
in die Pseudonymgeschichte von Buchautoren,<br />
die sich aber auch darüber hinaus als fruchtbar<br />
und lehrreich erweist (Seite 19). Dazu widmen<br />
sich die Fotocoallagen des Künstlers Martion<br />
Mlecko auf dieser und Seite 14/15 einem eindeutigen<br />
Verlierer der Buchdigitalisierung, dem<br />
Bücherregal. <strong>De</strong>nn E-Books und E-Book-Reader<br />
stellen die Tradition des privaten Bücherregals<br />
als Schaufenster und Archiv der Persönlichkeit<br />
natürlich akut in Frage: Bücher, die man als Dateien<br />
herunterlädt, kann man schließlich nach<br />
der Lektüre nicht ins Regal und damit in Bezug<br />
zu seinen Vorgängern stellen.<br />
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