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De:Bug 156

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Miracle<br />

Fortress<br />

/<br />

Die Welle<br />

machen<br />

Text Jan Wehn<br />

Unter dem Pseudonym Miracle Fortress<br />

bringt der notorische Hansdampf Graham<br />

Van Pelt Madchester-Melancholie,<br />

Post-New-Wave und Surferpop-Attitüde<br />

in eine überraschend stimmige 2011er-<br />

Form, die hippe junge Menschen gerne als<br />

Smooth-Fi bezeichnen.<br />

Graham Van Pelt steht zwischen den Bücherkäfigen<br />

und Vintage-Sofas des Hotel Michelberger<br />

in Berlin-Friedrichshain vor einem Geräteturm,<br />

der mit allerlei Kabelage vernetzt ist, tippelt im<br />

Sekundentakt auf Pedalen zu seinen Füßen herum<br />

und korrigiert per Fingerdruck den gerade<br />

einsetzenden Loop. In Zeiten, in denen sich eine<br />

Horde Twentysomethings bei Performance-Performances<br />

und DJ-Sets auf ihre alugebürsteten<br />

MacBooks verlässt, ein eher ungewöhnliches<br />

Bild. <strong>De</strong>nn tatsächlich ist Miracle Fortress - von<br />

Drummerbuddy-Bären Greg Napier mal abgesehen<br />

- keine mehrköpfige Kumpelkapelle, sondern<br />

der beeindruckende Beweis dafür, wie man<br />

netten Smooth-Fi gut und gerne auch als Ein-<br />

Mann-Band auf die Bühne bringen kann: "Dieses<br />

Mich-Selbst-Loopen wurde irgendwann ein Hobby<br />

von mir: den Beat laufen lassen und schauen, wie<br />

man was zusammenspielen lassen kann, welches<br />

Sample oder welchen Break man wo einsetzen<br />

lässt", erzählt Graham nach dem Gig und ergänzt:<br />

"Ich versuche mich möglichst abzusichern, damit<br />

mir die Loop-Maschinen nicht ausfallen. Einer<br />

der Gründe, warum ich keinen Laptop mit auf die<br />

Bühne nehme."<br />

Wifebeater in Übergröße<br />

Grahams spindeldürre Beine stecken in einer<br />

knallengen Cheap-Monday-Plinte, die schlaksigen<br />

Ärmchen schauen aus einem dunkelblauen<br />

Wifebeater in Übergröße - zwischen all den<br />

Ponchoposern und Duttdamen auf der Achse<br />

Friedrichshain-Kreuzberg fällt der Bursche mit<br />

den raspelkurzen, roten Haaren nicht weiter auf.<br />

Warum auch? Mit "Was I The Wave?" hat der<br />

28-Jährige nämlich gerade ein sehr nettes und<br />

äußerst smartes Throwback-Album in Sachen<br />

70er und 80er Jahre herausgebracht. Post-New-<br />

Wave, der den Art Punk der Talking Heads, die<br />

Madchester-Melancholie von New Order und<br />

die Surferpop-Attitüde der Beach Boys gekonnt<br />

in eine 2011-Form gießt. Auch wenn die Retroparole<br />

vor allem Dank der Drum-Programmierung<br />

klar sein dürfte, schlägt "Was I The Wave?" immer<br />

wieder in alle erdenklichen Richtungen aus<br />

und entspricht so trotz ausdefinierter Schmalzschreibspur<br />

irgendwie doch dem iPod-Ekletzisimus<br />

der heutigen Generation. Aber selbst die<br />

soundtechnisch eher verwaschene Single "Miscalculations"<br />

bekommt durch peitschende Presets<br />

und ein leichtes Wehen untenherum noch<br />

den Retroschliff. "Spectre" ist mit den süßen<br />

Swells und Van Pelts wunderschönem Säusel-<br />

Singsang so etwas wie der heimliche Hit der Platte.<br />

Irgendwo schummelt sich da noch ein wunderbarer<br />

Foals-Kitschmoment unter und so ist "Was<br />

I The Wave?" im Endeffekt subtiler und smarter<br />

Synthpop, schön funkelnd und schillernd, der hin<br />

und wieder mal - mit ordentlich Hall auf dem Falsett<br />

- nach vorne sprintet und alles in allem total<br />

nett anzuhören ist.<br />

Unbestimmt bleiben<br />

Das Wave-Thema zieht sich nicht nur als referentieller<br />

Baustein durch die Songs. Die Kombination<br />

aus dem Albumtitel "Was I The Wave?" und den<br />

extraterrestrischen, kaum zu beschreibenden<br />

Blautönen des Covers gibt die Marschrichtung<br />

vor: "Es ist ein Negativ von einigen anderen, viel<br />

dunkleren Farben - deshalb sieht es so unnatürlich<br />

aus und erinnert gleichzeitig auch an Wasser oder<br />

Himmel und passt so wieder perfekt. Ich mag es,<br />

wenn das Album ein schönes Gesamtpaket ist." Es<br />

macht da schon mehr als Sinn, dass Graham Referenzen<br />

wie Aphex Twin, Brian Eno, David Bowie<br />

oder Peter Gabriel als Inspiration nennt. Allesamt<br />

Musiker, die vom Sound in diese Kerbe schlagen,<br />

gleichzeitig ihren musikalischen Horizont stetig<br />

neu ausloteten und sowohl Image als auch Künstlerpersona<br />

doppelt und dreifach überschrieben.<br />

Er mag diesen ästhetischen Ansatz hinter dem<br />

bloßen Sound. <strong>De</strong>shalb ist es wohl kaum verwunderlich,<br />

dass mit "Five Roses" vor vier Jahren sein<br />

erstes Album unter dem Namen Miracle Fortress<br />

erschien, welches ein ganzes Stück anders tönte.<br />

Nämlich deutlich verwilderter, dem Shoegaze<br />

der 90er-Jahre nicht ganz unähnlich. Noch interessanter<br />

wird es, wenn man weiß, dass Graham<br />

auch der Frontmann der nervigen Noisepopper<br />

Think About Life ist. Außerdem schraubt er hier<br />

und da gerne mal an HipHop-Remixen herum: "Es<br />

hat seine Vor- und Nachteile, sich nicht festlegen<br />

zu wollen. Wenn man einem bestimmten Stil treu<br />

bleibt, kann man ihn im Laufe der Zeit ausbauen<br />

und weiterentwickeln. Aber ich mag es, mir selbst<br />

Aufgaben zu stellen und daran zu wachsen."<br />

32 –<strong>156</strong><br />

Miracle Fortress, Was I The Wave,<br />

ist auf Secret City Records/<br />

Rough Trade erschienen.<br />

www.secretcityrecords.com

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