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De:Bug 156

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ücher<br />

Man kennt die Geschichte ja: E-Books für den<br />

Kindle haben auf Amazon nach und nach erst<br />

die Hardcover-Verkäufe überrundet und dann<br />

auch die Taschenbuchabsätze überholt. Beides<br />

gilt natürlich zunächst nur für die USA, aber im<br />

Schatten dieser völlig verspäteten digitalen Revolution<br />

des Buches musste einfach mehr passieren.<br />

Es brodelte schon lange. <strong>De</strong>r Buchmarkt ist<br />

in vielen Ländern heilig. Immer noch. Buchpreisbindungen,<br />

eine in sich geschlossene Feuilleton-<br />

Maschine und die übereinflussreichen Buch-<br />

Charts einiger weniger Publikationen hatten bis<br />

vor kurzem noch zu einem Markt geführt, der<br />

höchst eigene, scheinbar in Stein gemeißelte Gesetze<br />

bis heute erfolgreich verteidigen konnte.<br />

Doch unabhängige Autoren haben ihre Chance<br />

schnell gesehen. Nicht nur von uns sehr geschätzte<br />

Digerati wie Cory Doctorow haben schon immer<br />

propagiert, dass auch ein "freies" Buch (im<br />

Sinne von Creative Commons, gerne auch umsonst)<br />

mehr Beachtung, manchmal auch Verkäufe,<br />

aber vor allem Verbreitung finden kann, als die<br />

klassische Platzierung im Laden. Auch zahllose<br />

Blogger und Indie-Autoren, vor allem in Fantasy-,<br />

Krimi-, Horror-Genres haben erkannt, dass ihre<br />

fast schon unter dem Ladentisch gehandelten<br />

Bücher eigentlich keine Verlage mehr brauchen.<br />

Die Rechnung ist einfach. Und das "Kindle Direct<br />

Publishing", 2007 als "Kindle Digital Text Platform"<br />

in Beta gestartet, liefert die Basis, um die<br />

Verlage zu umgehen. Und die Tools auch. Mittlerweile<br />

ist alles, was man braucht, um seinen Text<br />

zu einem E-Book für den Kindle zu wandeln,<br />

im schlimmsten Fall einfach Microsoft Word.<br />

HTML, PDF oder ePub schluckt und wandelt die<br />

Plattform aber genau so. Anmelden, hochladen,<br />

mitschreiben im größten Buchladen der Welt.<br />

<strong>De</strong>r Zugang zur Veröffentlichung könnte einfacher<br />

nicht sein, dagegen ist App-Entwicklung<br />

- selbst mit den einfachsten Zusammenklick-<br />

Tools - Rocket Science. Und dennoch sind unsere<br />

Vorstellungen vom globalen Buchmarkt immer<br />

noch vom Papier geprägt, dabei ist die Situation<br />

längst eine ganz andere.<br />

Gegen die Buchpreisbindung<br />

scheint selbst Chinas Finanzpolitik<br />

kuschelig.<br />

App-Preisbindung<br />

Auf der einen Seite ein explodierender neuer digitaler<br />

Markt wie der von Amazon und auf der<br />

anderen die Buchpreisbindung, oder zumindest<br />

die direkte Kopplung der Preise von E-Books an<br />

Hardware-Bücher. Dagegen scheint selbst Chinas<br />

Finanzpolitik kuschelig. Ein lächerlich kleines<br />

File soll genau so viel kosten wie 500 Gramm<br />

Horror auf Papier? Das kann nur klassischen<br />

Verlagen einleuchten. Und die gaben sich auf<br />

dem neuen Markt, den sie dank Musikindustrie,<br />

Filmindustrie und nicht zuletzt der App-Explosion<br />

wirklich hätten in- und auswendig kennen<br />

können, denkbar unflexibel und wiederholen<br />

einfach die gleichen Fehler noch einmal. Auf<br />

der anderen Seite stehen all die Frustrierten,<br />

die nie einen Fuß in die Verlagswelt bekommen,<br />

aber überall neue Möglichkeiten wittern, erst<br />

im Netz, auf eigenen Blogs, mit dem Potential<br />

viraler Verbreitung und etablierten Online-Geschäftsmodellen<br />

ähnlicher Art. Ein Buch darf<br />

nicht mehr kosten als eine App. Das war einer<br />

der ersten Schritte, die zum Erfolg führten. Bei<br />

Preisen ab 99 Cent nimmt man mal eben schnell<br />

einen Thriller für unterwegs mit (die japanische<br />

Handy-Romankultur mag auch ein Vorbild gewesen<br />

sein), oder den ersten Teil einer schier endlosen<br />

Vampir-Serie. Serien sind das zweite Modell,<br />

das hier besten funktioniert, Portionierung,<br />

Häppchen, Appetitanreger. Und da der Autor siebzig<br />

Prozent des Gewinns einstreicht und nicht<br />

zehn wie im klassischen Verlagsgeschäft (falls<br />

man überhaupt über die Druckkosten kommt), ist<br />

das schnell ein Modell, das sich lohnt.<br />

Selbst-Ertrag<br />

J.A. Konrath war einer der ersten, der mit seinen<br />

Büchern einen unerwarteten Erfolg via Kindle<br />

hatte. Terror und Humor sind seine Spezialitäten.<br />

Mehr noch aber Selbstvermarktung mit Anschlussfreudigkeit.<br />

Sein Blog "A Newbie's Guide<br />

To Publishing" wurde neben diversen Kindle-<br />

Mailinglisten und den Kindleboards (Amazons<br />

hauseigenes Forum) zu einem der Treffpunkte<br />

der neuen Autorenszene. Konrath ließ sich noch<br />

eine Weile lang als Sonderfall verstehen. Einer<br />

kann ja ein Hit werden. OK. Man versuchte<br />

die Szene unter den Teppich zu kehren, aber die<br />

Entwicklung wurde schnell unumkehrbar. Im<br />

Januar diesen Jahres machte Amanda Hocking<br />

die Runde. In nur einem Monat verkaufte sie<br />

450.000 Bücher. 99 Prozent E-Books. Ihr Verleger?<br />

Sie selbst. Ihr Alter? 27. Ihr Blog ist mittlerweile<br />

eine Anlaufstelle für junge Autoren,<br />

die alles selbst machen wollen. Ihre Bücher, die<br />

zwischen einem und viereinhalb Dollar kosten,<br />

haben sie vermutlich in kaum mehr als einem<br />

Jahr zur ersten Kindle-Millionärin gemacht, die<br />

es sich sogar leisten kann, langsam die Preise anzuziehen.<br />

Und sie will nie wieder zur klassischen<br />

Welt der Verleger zurück.<br />

Metaliteratur als Groschenroman<br />

Sieht man sich die Kindle-Bestsellerliste an,<br />

merkt man schnell, dass die erwähnten Autoren<br />

keine Einzelfälle sind, sondern ein kompletter<br />

Umbruch im Buchmarkt stattfindet, der weitaus<br />

entscheidender ist, als die Tatsache, dass jetzt<br />

plötzlich mehr E-Books verkauft werden als "reale"<br />

Bücher. Mehr als die Hälfte der Top 20 besteht<br />

aus genau dieser Szene unabhängiger Autoren.<br />

<strong>De</strong>r Groschenroman ist wiederauferstanden,<br />

mag man da denken. Trash für billig ist ja nicht<br />

gerade ein neues Phänomen für Leser. Für digitale<br />

Autoren aber ist es ein ganz anderes Zeichen.<br />

<strong>De</strong>nn auch wenn sich hier erst mal die beweglichsten<br />

Genres als Vorreiter platzieren, sind die<br />

Gewinne der Autoren auf einmal so hoch, dass sie<br />

in der obersten Liga mitspielen können. Und auch<br />

die versteht mittlerweile, dass die eigentliche Gefahr<br />

der digitalen Revolution die neuen Autoren<br />

und ihre Facebook-, Twitter- und Blog-Freunde<br />

sind. Stephen King hat genau zu dem Zeitpunkt,<br />

als klar wurde, dass plötzlich eine neue Bewegung<br />

auf seinem Turf unterwegs ist, sein erstes<br />

Buch exklusiv für den Kindle angekündigt. Und<br />

die Geschichte? Jemand kauft ein besonderes<br />

Buch für den Kindle, dass die Bücher lesbar<br />

macht, die Autoren in Paralleluniversen veröffentlich<br />

haben. <strong>De</strong>r Twist: Das Cover von "UR"<br />

sieht aus, als hätte jemand Underground Resistance<br />

mit Hello Kitty gekreuzt. Ein Thriller, der<br />

den neuen Mainstream des Undergrounds, den<br />

Kindle Trash eben, definitiv in eine Metapher zu<br />

pressen versucht, Meta-Literatur als Groschenroman.<br />

In den kommenden Jahren dürfte all das<br />

aber weit darüber hinaus wachsen und das Medium<br />

längst hinter sich selbst verschwunden sein,<br />

und vielleicht werden wir im nächsten Jahrzehnt<br />

die Nobelpreise im Kindle-Store wachsen sehen.<br />

www.jakonrath.blogspot.com<br />

www.amandahocking.blogspot.com<br />

www.kindleboards.com<br />

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