De:Bug 156
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TEXT PHILIPP LAIER - BILD BEN DE BIEL<br />
In den Rezensionen zum neuen Album "Monkeytown" wird<br />
man sie oft hören, die Saga vom schwierigen dritten Album,<br />
an dem sich der Legende nach final zeigt, ob eine Band gekommen<br />
ist um zu bleiben. Meist werden in jenen Besprechungen<br />
noch einmal die beiden Vorgänger vor Gericht gezerrt<br />
und retrospektiv beurteilt. Das erste Album macht aus<br />
Newcomern jedermanns Liebling, die dann mit dem Nachfolger<br />
einen entsprechend schweren Stand haben und mit<br />
dem dritten Album entweder zu alter Stärke zurückfinden<br />
oder endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwinden -<br />
so lautet das Regelwerk der Pop-Maschinerie. Und das hat<br />
schon so manchem Act das Genick gebrochen.<br />
Aber als wir Gernot und Szary zum Interview in ihrem<br />
Studio treffen, sitzen ihre Köpfe erstaunlich aufrecht auf den<br />
Hälsen. Besonders Gernot erweist sich trotz Jetlag nach der<br />
gerade eben abgeschlossenen Mehrzweckhallen-Rave-Tour<br />
durch die USA als äußerst redefreudig, während ein sichtlich<br />
mitgenommener Szary mit braunen Strümpfen und schwarzem<br />
Overall fast schweigend in der Studio-Couch versinkt.<br />
Irgendwo zwischen dem umliegenden Chaos aus Kabeln,<br />
Kopfhörern, Mischpulten und Aschenbechern beginnt<br />
Gernot scheinbar vollkommen unbedarft und unprätentiös<br />
über die Entstehungsgeschichte des dritten Modedelektor-<br />
Albums zu plaudern.<br />
Gernot: Im Gegensatz zu den anderen Alben ist "Monkeytown"<br />
in einem Rutsch entstanden. Davor haben wir ein Jahr<br />
lang prokrastiniert und rumgejammert. "Jammern auf hohem<br />
Niveau" sagt mein Vater dazu immer. Plötzlich kam die<br />
<strong>De</strong>adline immer näher und näher, aber wir haben lieber das<br />
Studio noch einmal umgebaut, noch mal neue Speaker gekauft<br />
und immer einen neuen Grund gefunden, nichts zu machen.<br />
Am Ende haben wir das ganze Ding dann in ziemlich genau<br />
zehn Wochen aufgenommen. Die Platte ist schon allein wegen<br />
der Zeit, die wir am Ende nicht mehr hatten, total unverkopft<br />
entstanden.<br />
<strong>De</strong>bug: <strong>De</strong>nnoch klingt "Monkeytown" emotionaler.<br />
Könnt ihr mit diesem Begriff etwas anfangen?<br />
Gernot: Das ist wahrscheinlich ein anderes Wort für reifer<br />
und ich würde schon sagen, dass wir das geworden sind. Unser<br />
Image ging doch bisher eher so: Modeselektor kommen,<br />
machen alles platt und der Schweiß tropft von der <strong>De</strong>cke.<br />
Das wird sich wahrscheinlich auch nicht so schnell ändern.<br />
Was mich aber an der ganzen Bassmusik, vor allem an dieser<br />
ganzen Dubstep- und UK-Sache am meisten stört, ist, dass<br />
das so eine Jungs-Kiste ist. Dann gibt es plötzlich jemanden,<br />
der ein Mikro nimmt und anfängt zu singen und alle Mädels<br />
finden das auf einmal toll. Das ist doch total cool und schön!<br />
<strong>De</strong>bug: Wie hat sich denn diese veränderte Wahrnehmung<br />
auf die Produktion von "Monkeytown" ausgewirkt?<br />
Gernot: In Sachen Lautstärke und Bass sind wir wie immer<br />
ans Limit gegangen. Ich wüsste nicht, was ich da noch toppen<br />
könnte. Wir haben jetzt elf Songs auf dem Album, aber noch<br />
mindestens siebzig Song-Skizzen auf dem Rechner rumliegen.<br />
In das Live-Set werden wir sicher noch die eine oder<br />
andere bangige Nummer einbauen. Uns war es aber in erster<br />
Linie wichtig, ein hörbares Album zu machen, eine Platte, die<br />
in sich funktioniert, die stimmig ist, weil wir solche aneckenden<br />
Momente schon genug hatten. Wir haben ja schon wirklich<br />
viel an Blödsinn und weirdem Scheiß hinter uns. Jetzt<br />
wollten wir das einfach mal anders machen.<br />
<strong>De</strong>bug: Ihr könnt also problemlos umgehen mit eurem<br />
Image der Berliner Techno-Clowns …<br />
Gernot (mit ernster Miene): Wir nehmen uns nach wie vor<br />
nicht besonders ernst, haben aber mittlerweile viel mehr Verantwortung.<br />
Unser Label spielt da eine große Rolle, wir sind<br />
nicht mehr "nur" Künstler. Rumgeblödelt haben wir lange<br />
genug. Das macht eine Menge Spaß und wird nicht aufhören,<br />
wir sind ja auch privat so.<br />
<strong>De</strong>bug: Eure Musik vermischt sich also mit dem Privatleben?<br />
Gernot: Unser erstes Album hieß "Hello Mom", darauf haben<br />
wir unseren Müttern quasi gesagt 'Mutti, guck' mal, ich<br />
bin jetzt unterwegs, habe Erfolg, bezahle mein Ticket nicht<br />
mehr selbst und bekomme alles nur weil ich Musik mache.<br />
Ätsch!‘ "Happy Birthday" war eine Hommage an unsere Kinder.<br />
Unsere Musik hat also immer unsere Lebensumstände<br />
beschrieben und "Monkeytown" heißt deswegen so, weil wir<br />
uns die letzten beiden Jahre intensiv damit befasst haben: eine<br />
eigene Crew und ein eigenes Camp zu gründen. Die Franzosen<br />
und Engländer machen das ja schon immer so, schließen<br />
sich zusammen und legen los. Das ist das, was wir eigentlich<br />
immer machen wollten.<br />
<strong>De</strong>bug: Könnte man die Crew auch eine erweiterte Familie<br />
nennen?<br />
Gernot: Das trifft es eigentlich noch viel besser. Was wir auf<br />
unserem Label haben, könnte ich nie machen. Ich bin nicht<br />
so gut wie die. Aber warum soll ich mich auch verbiegen und<br />
jemanden nachmachen? Ich versuche das zwar ab und zu, es<br />
klappt aber einfach nicht. <strong>De</strong>swegen arbeiten wir so gerne mit<br />
anderen Künstlern, weil dann deren Persönlichkeit ganz natürlich<br />
mit einfließt. Das ist auch der Grund, warum wir nur<br />
mit Leuten zusammenarbeiten, die wir mögen, die wir kennen,<br />
mit denen wir befreundet sind. Weil der Vibe stimmt.<br />
<strong>De</strong>bug: Trotzdem ist das neue Album ein klassisches<br />
Feature-Album.<br />
Gernot: Ich habe ehrlich erst nach dem Mastern festgestellt,<br />
dass da so viele Features drauf sind. So sehr war ich in diesem<br />
Ding drin. Da sieht man mal wie verpeilt wir eigentlich sind.<br />
<strong>De</strong>bug: Wie wirken die Features sich auf eure eigene<br />
Künstler-Identität aus?<br />
Gernot: Musikalisch ist es ja so, dass keiner der Künstler so<br />
eine Musik machen würden, wie sie mit uns machen. Da habe<br />
ich keine Sekunde Angst als der Beat-Lieferant abgestempelt<br />
zu werden. Thom Yorke ist zum Beispiel extra zu uns ins Studio<br />
gekommen. Mit dem haben wir die Songs richtig gemeinsam<br />
gemacht. Das war schon ein bisschen kunstmäßig, wie<br />
ein Bild malen, oder einen Film drehen.<br />
<strong>De</strong>bug: Also wie in einer klassischen Band, in der die Rollen<br />
klar verteilt sind?<br />
Gernot: Nö, es gibt keine Rollenverteilung! Es gibt aber immer<br />
einen Operator. Das ist wichtig. <strong>De</strong>r, der am schnellsten<br />
am Computer sitzt, also meistens ich. (Szary versucht sich<br />
einzumischen, gibt aber schnell auf, bevor beide lachen müssen).<br />
Manchmal geht Szary aufs Klo, kommt wieder und der<br />
Song ist 10 BPM schneller.<br />
<strong>De</strong>bug: Moderat war eure Band mit Apparat. Auf dem diesjährigen<br />
Melt seid ihr gemeinsam mit Marcel <strong>De</strong>ttmann und<br />
Shed als A.T.O.L. aufgetreten. Was steckt da dahinter?<br />
Gernot: Dieses A.T.O.L.-Ding ist eigentlich unser Jugendzimmer:<br />
Playstation, Bong, zwei Turntables, Techno - geil!<br />
Wir schließen einfach alles zusammen und sind wie vier kleine<br />
Jungs, die die Sau rauslassen. Wir proben auch nicht. Auf<br />
dem Melt, das war der Knaller. Wenn Shed mitten im Set zu<br />
dir rübergeschlurft kommt und sagt "Ey, ick komm' jetzt mit<br />
nem Breakbeat."<br />
<strong>156</strong>–25