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De:Bug 156

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Text Eric Mandel<br />

Martyn<br />

/<br />

Welcome to<br />

the Afterfuture<br />

Martyn muss mit seinem zweiten Album niemandem mehr etwas beweisen.<br />

Er hat gerade "Retromania" von Simon Reynolds gelesen, aber seine<br />

Musik klingt bei allem Blick zurück so "2011" wie kaum noch etwas. Und<br />

das liegt nicht allein am Sound, sondern auch an der Musikerexistenz, die<br />

ihr zugrunde liegt. Zwischen <strong>De</strong>troit und Sounddesign spielt sich Martyn<br />

aus dem Dubstep-Schatten.<br />

An analog kiss, a digital glance / face painted impassive,<br />

a perfect mask / hold me, sing to me, kiss me on my spine<br />

/ a slow motion reflex, oblivious to time / paranoid humanoids,<br />

look beneath your sun / cause all human beings<br />

move closer to machines / They say that only humans<br />

can love the way they do / don’t you know that we are just<br />

extensions of you?<br />

So raunt der Dub-Poet Spaceape zur Eröffnung von<br />

Martyns neuem Album "Ghost People". Es ist der gute alte<br />

Blues von der Menschmaschine, der Traum von den elektrischen<br />

Schafen, und er passt zu den begleitenden Klängen<br />

wie die Hand in den Datenhandschuh: Synth-Drones hallen<br />

an unsichtbaren Glasfassaden wider, der erste einsetzende<br />

Bass klingt metallisch wie gebranntes Chrom, die Drums<br />

erzählen vom unbarmherzigen Rhythmus der Metropolen.<br />

Es ist ein Science-Fiction-Szenario, aber doch retro, die<br />

Stichworte kommen immer noch aus den selben Quellen:<br />

Alvin Toffler, Blade Runner und Neuromancer, den Gibson<br />

ja noch in eine mechanische Schreibmaschine hackte.<br />

Heute träumt der Taufpate des Cyberspace seine Romane<br />

bekanntlich im Präsens. Und auch jene Musik, die von ihre<br />

Geburt an dem Sci-Fi-Diskurs verbunden ist, sei es Techno,<br />

Drum and Bass oder Dubstep, scheint in einer ästhetischen<br />

Kreisbewegung gefangen: Je schneller die Entwicklung der<br />

Produktionsmittel voranschreitet, desto mehr füttern ihre<br />

Benutzer sie - wie Gibson in seiner legendären Dub-Sequenz<br />

ahnte - mit Archivdaten. Welcome to the Afterfuture!<br />

Retromania in Höchstform<br />

Für den seit einigen Jahren in der Nähe von Washington DC<br />

lebenden Niederländer Martijn <strong>De</strong>ykers ist diese Zeitfalle<br />

ein heißes Thema. Tatsächlich hat er sich jüngst, auf einem<br />

Transatlantikflug in die alte Heimat, Simon Reynolds' Buch<br />

zum Thema zu Gemüte geführt: "Kennst du 'Retromania'?",<br />

fragt er via Skype. "Es ist sehr gut geschrieben und spricht<br />

viele dieser Dinge an, von denen du redest. Speziell im House<br />

hörst du das, wo einige wirklich die Musik von 1987 machen:<br />

Acid House, den sie so alt wie möglich klingen lassen. Auf<br />

der anderen Seite hast du Musik, die auf ältere Stilistiken<br />

zurückgreift und dennoch futuristisch ist. Die Produktionsqualität<br />

ist besser und die Musiker schaffen neue Zusammenhänge<br />

für alte Ideen. Ich hoffe, dass ich in die zweite Kategorie<br />

gehöre. Zwar kannst du die alten Einflüsse hören - Drum and<br />

Bass, <strong>De</strong>troit Techno. Aber die Art und Weise, wie ich es mache,<br />

ist trotzdem sehr 2011. Das Buch war interessant in Bezug<br />

auf die Frage, wo anderer Leute Musik sich positioniert,<br />

und wie du dich selbst als Künstler positionierst. Es gibt auch<br />

ein Mini-Kapitel über Flying Lotus. Seine Musik sei sehr<br />

'Web 2.0', heißt es da, eine wirklich charmante Beschreibung."<br />

Es ist kein Zufall, dass Martyn das Wunderkind aus L.A. er-<br />

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