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Starnberger Bote 11 Titelthema<br />
1. Das „Centrum“<br />
Es geschah vor diesem Gebäude. Frage<br />
einer desorientierten Besucherschar:<br />
„Wo geht´s denn hier zum Zentrum?“<br />
Oh Schreck lass nach! Ja wo denn? Zum<br />
Glück wurde nicht die Ortsmitte gesucht,<br />
sondern die „Einkaufsgalerie“ gleichen<br />
Namens. Hatte man irgendwo gelesen.<br />
Das Centrum mit Atrium und Tiefgarage<br />
liegt jenseits der vielbefahren Hauptstrasse<br />
am Treppenaufstieg zum Rathaus und<br />
steht seit Jahren fast völlig leer. Aber<br />
warum?<br />
Im Gebäudeinneren kann man sich<br />
immerhin mit einem gläsernen Lift nach<br />
oben transportieren. Ein Warenhaus-Ikone<br />
wie das berühmte „Printemps“ in Paris<br />
wird sicher nicht daraus. Potential für ein<br />
Dienstleistungszentrum ist aber durchaus<br />
da. Weil die Hoffnung zuletzt stirbt,<br />
wartet man/frau auf die Reduzierung<br />
des Verkehrs nach dem Tunnelbau, eine<br />
Belebung der Hauptstrasse und auf die<br />
Einsicht des Eigentümers.<br />
3. Die Restfläche<br />
Wo gibt´s denn so was? Hat die<br />
Wittelsbacher Strasse einen Baublock<br />
angesägt? Das ist nicht geplant, das „ist<br />
so geworden.“ Dummerweise wächst<br />
diese Restfläche mit dem arg verkehrsbelasteten<br />
Tutzinger-Hof-Platz zusammen.<br />
Auch der städtische Rahmenplan Nr. 10<br />
(Seite 94) kapituliert vor der Realität. Die<br />
Rückseiten der Gebäude mit Laubengänge<br />
und Balkons werden als Bauflucht definiert.<br />
Garagenbauten, Einfahrten zu private<br />
Stellflächen und Stadtgrün im Kübel<br />
tragen zur horrenden Erlebnisqualität<br />
bei. Dagegen ist auch das gegenüberliegende<br />
expressionistische Kleinod der AOK<br />
machtlos.<br />
Da wünscht man sich eine elegante<br />
Blockrandschließung herbei, wie die des<br />
schmalen Sterntorhauses in Bonn. Die<br />
würde der Wittelsbacherstrasse nach Art<br />
der Friseure „Facon“ geben und einen<br />
ruhigen Innenhof schaffen: hervorragend<br />
zum Eisschlecken!<br />
5. Das Ensemble<br />
Wendet man sich nach Süden, plötzlich<br />
ein überraschender Lichtblick. Der<br />
eindrucksvolle Durchblick zur evangelischen<br />
Friedenskirche verknüpft visuell<br />
die nördliche Maximilianstrasse mit<br />
der Kaiser-Wilhelm-Strasse. Besser<br />
geht´s auch woanders nicht, wenn man<br />
ein Gebäudeensemble schnüren will!<br />
Warum? Die architektonischen Schuster<br />
blieben bei ihren Leisten. Die historische<br />
Gebäudestruktur in einem Gebiet, das mit<br />
einem englischen Garten einst Keimzelle<br />
für die Starnberger Villenkultur war, wurde<br />
identitätsstiftend aufgenommen und<br />
variiert. Aus dem Spannungsverhältnis<br />
von Alt und Neu (mit Gartenhaus) wurde<br />
Nachahmenswertes geschaffen, so dass<br />
man Le Corbusier zitieren möchte. Für<br />
ihn war „Architektur das kluge, korrekte<br />
und herrliche Spiel vereinter Körper im<br />
Licht"… Städtebaulich nachahmenswerte<br />
Strategie, deshalb: Chapeau!<br />
7. Aus Alt mach Neu<br />
Weiter geht´s entlang der Maximilianstr.<br />
Durch die Geschwindigkeitsbeschränkung<br />
(25 km/h) und den fast perfekten städtischen<br />
Angebotsmix der Geschäfte<br />
wird man ungewollt zum flanierenden<br />
Konsumenten und übersieht fast das frisch<br />
sanierte L-förmige Gebäude. In dem befinden<br />
sich eine Drogerie sowie Arztpraxen<br />
und Rechtsanwaltskanzleien. Bis vor<br />
kurzem bestach das Objekt durch handwerkliche<br />
„Maler-Kunst.“ Mutwillig angehübschte<br />
Fassaden durch Umrandung<br />
von Fenstern und Geschossmarkierung<br />
ließen das Gebäude jedoch ziemlich alt<br />
aussehen. Jetzt ist der armselige Spuk<br />
vorbei. Deutlich akzentuiert durch dezente<br />
Farbgebung unterscheiden sich Vorderund<br />
Hinterhaus. Nachahmenswert<br />
auch für andere Gebäude in Starnberg<br />
mit unzeitgemäßer „Kriegsbemalung“,<br />
die unser Mitleid hervorrufen aber wenig<br />
Urbanes vermitteln.<br />
2. Der Kirchplatz<br />
Starnbergs ungeliebtes Kind mit begehrlichem<br />
Draufhaupotential für jeden. Wie<br />
schön wäre in der Mitte eine barockiggeschwungene<br />
Kirche wie St. Blasius in<br />
Bellamont. Wäre das gut? Mitnichten!<br />
Dann würden erst recht die inhomogenen<br />
Platzwände stören. Die kommen teils<br />
banal, teils modern, oder an der Südseite<br />
mit einer Lücke daher. Starnbergs einziger<br />
Funktionsplatz - z.Zt. verregnet dort<br />
wieder die „Französische Woche“ - ist<br />
weniger gute Stube, als eine Art Korridor.<br />
Kein Wunder dass der Durchgangsraum<br />
zwischen zwei Strassen nicht geliebt wird.<br />
Wenigstens das banale Strickmuster des<br />
alten Platzbelages ist weg und das neue<br />
schafft optisch das, was ein Platz braucht:<br />
Fläche. Jetzt heißt es warten auf den<br />
geplanten Umbau von Haus Nr. 4, der die<br />
östliche Platzwand verbessern könnte und<br />
darauf, dass bald alle Brünnlein fließen.<br />
4. Der Markt<br />
Nicht besonders schön, aber äußerst nützlich!<br />
Der wuselige SMS-Markt, nach der<br />
Sparkasse das zweitgrößte Gebäude mit<br />
Atrium und Tiefgarage, liegt am Nordende<br />
der Innenstadt. Der Multifunktionsbau mit<br />
Supermarkt, Ärztezentrum, Dienstleistern<br />
und Geschäften bietet eine gute Balance zu<br />
den Angeboten in der Maximilianstrasse.<br />
Das langgestreckte Gebäude aus der<br />
Ära der Giebel-Manie (Großvolumiges<br />
sollte heimelig klein erscheinen) ist<br />
allerdings nicht mehr zeitgemäß. Die<br />
Südfassade als Point de Vue signalisiert<br />
mit Satellitenschüsseln, Wäsche<br />
auf der Leine und Taubenabwehrnetzen<br />
Handlungsbedarf. Wenigstens die<br />
Starnberg-typischen dunkelbraunen<br />
Fensterrahmen und das Düstere der<br />
Giebeldächer sollten weichen. Vielleicht<br />
reicht eine Verglasung der Loggien um<br />
optisch ein homogenes Ganzes zu schaffen,<br />
so wie beim Einkaufszentrum LIO<br />
in Berlin.<br />
6. Die 60er Jahre<br />
Ein paar Schritte weiter, an der<br />
Kreuzung von Maximilian- und<br />
Ludwigstrasse, holt uns der Charme<br />
einer Architekturhaltung ein, der man<br />
frönte als unsere Republik noch jung<br />
war. Pragmatischer Wohnungsbau, hier<br />
in Nord-Südausrichtung, ging vor Stil und<br />
Stadtgestalt. Stört der Gebäudeversatz, ist<br />
es die Fassade mit leichter Nierentisch-<br />
Anmutung, oder krankt es am kioskähnlichen<br />
Kuchen-Anbau im Erdgeschoss des<br />
Wohngebäudes?<br />
Noch schlimmer die uneindeutigen<br />
Baukörperversprünge auf der gegenüberliegenden<br />
Straßenseite. Nun wird aus der<br />
Ludwigstrasse kein Berliner Kuhdamm<br />
und aus der „Kaffeemühle“ kein Kranzler.<br />
Dennoch, wegen der zentralen Lage<br />
des Cafes nahe Buchhandlung und<br />
Baumstamm (beides gegenüberliegend,<br />
bzw. –stehend) sollte nach Stärkung der<br />
Eck-Identität geforscht werden. Manchmal<br />
macht auch architektonisches Kleinvieh<br />
Mist…<br />
8. Zum In-die-Luft-Gehen<br />
Wer in die Kaiser-Wilhelm-Strasse, im<br />
Osten der Innenstadt gelangt, ist platt.<br />
Die Baumallee wurde ausgedünnt und<br />
ein Gebäude musste weichen. Im Vakuum<br />
macht sich das BRK breit, mit viel Asphalt<br />
und einem großen H im Kreis. Das steht<br />
für Helikopter. Ob der hier landen muss?<br />
Das Gelände ähnelt mit dem Charme<br />
der automatischen Garagentore einer<br />
Industriebrache. Das BRK, so war zu lesen,<br />
wolle die Baulücke schließen. Macht Sinn.<br />
Ein modernes Gebäude mit Büros und<br />
Geschäften könnte die Riesenwunde „aus<br />
Liebe zum Menschen“ (BRK-Motto) heilen.<br />
Peter Riemann<br />
Der Autor, Architekt Stadtplaner und<br />
Mediator, war 1977 beteiligt an der<br />
Konzeption von „Die Stadt in der Stadt:<br />
Berlin, ein grünes Archipel“. Eine umfassende<br />
Rezension des Denkmodells der<br />
polyzentrischen Stadt erscheint demnächst<br />
bei Lars Müller Publishers GmbH,<br />
Zürich.