04_Wagner_Heime

gelmäßige, medizinisch nicht indizierte Gabe von Psychopharmaka
zum Zwecke der Ruhigstellung im Wittekindshof, einer diakonischen
Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung. 8 Frings schildert
neben der Verordnung von Medikamenten zur Ruhigstellung
von „Zöglingen“ des „Franz-Sales-Hauses“, einer katholischen Einrichtung
für Menschen mit Behinderung, auch die Verabreichung
sogenannter „Kotz-“ und „Betonspritzen“ durch den Heimarzt Dr.
Strehl, die zu Erbrechen beziehungsweise vorübergehender Bewegungsunfähigkeit
führten und offenbar der Bestrafung dienten. 9
Noch weniger Literatur als zum medizinisch nicht indizierten Einsatz
von Medikamenten findet sich zu Arzneimittelstudien, die in
den Einrichtungen durchgeführt wurden. Bekannt ist vor allem die
von Uwe Kaminsky beschriebene Studie mit Chlorprothixen aus
dem Jahr 1966 in dem Heim Neu-Düsselthal, die zum vermehrten
Einsatz von Neuroleptika in der Einrichtung führten. 10 Kaminsky
kommt zu dem Ergebnis: „Der Versuch blieb im Bereich der rheinischen
öffentlichen Erziehung offenbar einmalig. Folgeprojekte sind
nicht überliefert“. 11 Auch im Abschlussbericht des Runden Tisches
Heimerziehung wird erwähnt, dass mit dieser einen Ausnahme keine
konkreten Hinweise für weitere Versuchsreihen nachgewiesen
werden konnten. 12 Es stellt sich die Frage, mit welcher Sorgfalt und
mit welchen Methoden im Rahmen des RTH geprüft wurde und ob
es weitere Versuchsreihen gegeben hat. Ebenso stellt sich die Frage,
warum es der RTH abgelehnt hat, sich mit diesem Thema näher zu
befassen.
Bereits 1969 hatte Asmus Finzen auf sieben „Versuchsreihen an
Heimkindern und an hospitalisierten Kindern“ hingewiesen, bei
8
Hans-Walter Schmuhl / Ulrike Winkler, Als wären wir zur Strafe hier, Bielefeld
2011, S. 17 f.
9
Bernhard Frings, Heimerziehung im Essener Franz-Sales-Haus 1945–1979, Münster
2012, S. 92 ff.
10
Kaminsky, Verbreiterung (wie Anm. 1).
11
Ebd.
12
Vgl. Abschlussbericht RTH (wie Anm. 2), hier S. 20.
64