04_Wagner_Heime
04_Wagner_Heime
04_Wagner_Heime
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
wurden unter Missachtung ihrer Bedürfnisse und ihres Willens zu<br />
bloßen Forschungsobjekten degradiert.<br />
9. Zusammenfassung<br />
In den Jahren von 1950 bis etwa 1975 fanden neben der Arzneimittelstudie<br />
im Heim Neu-Düsselthal, die laut Abschlussbericht des<br />
RTH die bislang einzig bekannte Studie ist, Studien in einem deutlich<br />
größeren Umfang an Kindern und Jugendlichen in <strong>Heime</strong>n in<br />
der BRD statt. Es kam unter anderem zur Prüfung von Impfstoffen,<br />
Psychopharmaka und die Libido hemmenden Präparaten.<br />
Zum Teil waren staatliche Behörden und Institutionen zumindest<br />
durch ihr Wissen um die Studien, durch ihre Zustimmung zu<br />
diesen (zum Beispiel Polioimpfung in Westberlin 1960, Chlorprothixen<br />
in Neu-Düsselthal 1966) und in einem Fall sogar durch eine<br />
Beauftragung durch das Bundesgesundheitsamt (Pockenschutzimpfung<br />
1954) mitverantwortlich für die Prüfungen. In nicht unerheblichen<br />
Maße handelte es sich bei den verantwortlichen Medizinern<br />
und Amtsträgern um ehemalig hohe NS-Funktionäre. Da in keinem<br />
Fall ein Hinweis auf Informierung oder Einwilligung der Betroffenen<br />
oder deren Eltern beziehungsweise der gesetzlichen VertreterInnen<br />
gefunden werden konnte, ist davon auszugehen, dass<br />
bei diesen Prüfungen gegen die Bestimmungen des Nürnberger Kodex<br />
beziehungsweise der Deklaration von Helsinki verstoßen worden<br />
ist. Einem häufig zweifelhaften Nutzen standen oftmals große<br />
Risiken gegenüber. In einigen Fällen sind tatsächlich eingetretene<br />
Schädigungen dokumentiert. Grobe Verstöße gegen die Forschungsethik<br />
können auch in anderen Ländern beobachtet werden. Mit den<br />
Heimkindern, die als Insassen einer „totalen Institution“ 187 keine<br />
Möglichkeit hatten, ihre Ansprüche nach außen hin zu vertreten<br />
oder vertreten zu lassen, wurde eine „vulnerable“ Gruppe zu den<br />
Prüfungen herangezogen. Dieses Kapitel der Geschichte der <strong>Heime</strong>rziehung,<br />
das einen weiteren Akt der Gewalt gegen Heimkinder<br />
187<br />
Goffman, Asyle (wie Anm. 6).<br />
106