Sommer 2010 -´s Dorfblattl - Gemeinde Haiming - Land Tirol
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<strong>´s</strong> <strong>Dorfblattl</strong> - <strong>Sommer</strong> <strong>2010</strong><br />
LebeNsbiLDeR - iNGe PiCHLeR<br />
AUs AfGHANistAN NACH ÖtZtAL-bAHNHOf<br />
Heute lebt Inge Pichler gerne in <strong>Tirol</strong>.<br />
Auf die Frage, wo Inge Pichler<br />
bisher gelebt hat, kommt<br />
eine nicht alltägliche Antwort.<br />
Das Mädchen wurde in Oberösterreich<br />
geboren, übersiedelte<br />
mit drei Jahren nach Afghanistan<br />
um als junge Frau über Imst nach<br />
Ötztal-Bahnhof zu kommen. Eine<br />
spannende Lebensgeschichte,<br />
die sie dem <strong>Dorfblattl</strong> erzählt.<br />
1946 kam Inge im kleinen Ort<br />
Nöstlbach bei Linz zur Welt und<br />
fand in der Großfamilie mit Eltern,<br />
Großeltern und Urgroßeltern<br />
ein geborgenes Nest. Die<br />
Erinnerungen an das Leben in<br />
Oberösterreich sind spärlich,<br />
denn schon mit drei Jahren wanderte<br />
das kleine Mädchen nach<br />
Afghanistan aus.<br />
ABENTEUER AFGHANISTAN<br />
Ihr Opa bekam als Fachmann<br />
in der Textilbranche von der<br />
afghanischen Regierung das<br />
Angebot, in Kundus, nördlich<br />
von der Hauptstadt Kabul, eine<br />
Textilfabrik zu bauen. So kam es,<br />
dass die kleine Inge mit ihren Eltern,<br />
Oma und Opa über Zürich<br />
nach Teheran flog. Es folgte eine<br />
abenteuerliche Fahrt mit dem<br />
Bus quer durch den Iran bis nach<br />
Afghanistan.<br />
„Das Leben in der afghanischen<br />
Hauptstadt Kabul war einfach,<br />
es gab nicht sehr viel Auswahl<br />
bei den Lebensmitteln. Schweinefleisch<br />
gab es nicht, das Rindfleisch<br />
war hart und zäh, an Obst<br />
und Gemüse bekamen wir Tomaten<br />
und Weintrauben. Die Küche<br />
bestand großteils aus Getreide<br />
und Kartoffeln. Auch Butter und<br />
Milch waren schwer zu kriegen“<br />
erinnert sich Inge. Inge freundete<br />
sich schnell mit ihren Nachbarskindern<br />
an, sie spielten miteinander,<br />
wodurch das Mädchen ganz<br />
nebenbei fließend die <strong>Land</strong>essprache<br />
Farsi lernte. Es war eine<br />
schöne Kindheit. 1952 gingen die<br />
Großeltern zurück nach Österreich,<br />
Inges Familie blieb, der Vater<br />
wurde Leiter der Handelsdelegation<br />
und war zuständig für die<br />
Handelsbeziehungen zwischen<br />
Österreich und Afghanistan.<br />
Nach dem Krieg kamen viele<br />
Deutsche und auch einige Österreicher<br />
in das <strong>Land</strong>, um bei Bauprojekten,<br />
als Lehrer oder in der<br />
Entwicklungshilfe zu arbeiten. In<br />
der deutschen Schule sammelte<br />
sich der Nachwuchs und auch<br />
Inge begann hier ihre Schullaufbahn.<br />
„Wir haben viel Schönes<br />
dort erlebt, es gab <strong>Sommer</strong>feste<br />
und Krippenspiele, eine nette<br />
Gemeinschaft, es war eben eine<br />
schöne Zeit“ erzählt sie rückblickend.<br />
Bis zum Alter von 14 Jahren<br />
blieb sie dort, zwei Schuljahre<br />
verbrachte sie aber auf Wunsch<br />
ihrer Eltern bei den Großeltern<br />
in Österreich. Mit 14 Jahren trat<br />
Inge ihre erste Arbeitsstelle an.<br />
Zwei Jahre lang war sie Kindergärtnerin,<br />
ein Beruf, den sie mit<br />
viel Liebe und Freude ausübte.<br />
Dann wechselte sie ins Büro eines<br />
holzverarbeitenden Betriebes,<br />
auch das war eine Arbeit, die ihr<br />
gefiel.<br />
GROSSE LIEBE<br />
In der Nähe von Kabul wurde<br />
1965 über die Entwicklungshilfe<br />
ein Kraftwerk gebaut, an dem<br />
„jede Menge junge Männer“<br />
mitarbeitete, wie sie lachend erzählt.<br />
Inge traf „ihren Paul“, einen<br />
Kärntner, schon 7 Monate später<br />
wurde geheiratet.<br />
„Standesamt gab es keines“, so<br />
Inge, „der Mullah und der Bezirksrichter<br />
haben uns getraut.<br />
Die kirchliche Trauung übernahm<br />
der italienische Kulturattaché, ein<br />
Bischof, der dem Paar in der Kapelle<br />
der italienischen Botschaft<br />
das Ehesakrament spendete.<br />
Das Paar machte eine Hochzeitsreise<br />
durch Afghanistan und<br />
wohnte dann einige Monate bei<br />
Seite 22 Aus der Chronik<br />
Inges Eltern in Kabul. Im Herbst<br />
1966 kam der Abschied von diesem<br />
<strong>Land</strong>. Der Kraftwerksbau<br />
war abgeschlossen und das junge<br />
Ehepaar fuhr im Auto über die<br />
Türkei, Griechenland und Jugoslawien<br />
nach <strong>Tirol</strong>.<br />
Für Inge war es eine schmerzhafte<br />
Zeit, zwei Jahre lang hatte<br />
sie Heimweh nach Afghanistan<br />
und sehnte sich zurück. Als eine<br />
Rückkehr durch ein Stellenangebot<br />
für Paul in Aussicht war, marschierten<br />
die Russen in Afghanistan<br />
ein, wodurch der Traum<br />
wie Sand in den Fingern zerrann.<br />
NEUE HEIMAT<br />
Kurze Zeit wohnten die beiden<br />
in Imst, dann wurde Paul Schaltmeister<br />
beim Verbund in Ötztal-<br />
Bahnhof. Inge wurde – ebenfalls<br />
beim Verbund – Sekretärin, die<br />
beiden bezogen ein Dienstzimmer,<br />
später eine Zweizimmerwohnung<br />
in der Verbundsiedlung.<br />
1971 kamen die Zwillinge<br />
Gabi und Thomas zur Welt, eine<br />
große Freude und Erfüllung für<br />
das Ehepaar. 1995 stand ein geeignetes<br />
Haus zum Verkauf und<br />
Inge zog mit ihrer Familie in die<br />
Waldstraße ins Eigenheim. Im<br />
Jahr 2000 ging sie in Pension<br />
und stellte überrascht fest, dass<br />
ihr die Arbeit im Büro gar nicht<br />
fehlte.<br />
PENSION<br />
Das mag auch daran liegen, dass<br />
ihr in der Pension alles andere<br />
als langweilig war. Das Haus und<br />
Garten sind zu versorgen und seitens<br />
der Pfarre entdeckte man,<br />
Inge und Paul Pichler in der Nähe von Kabul um Winter 1965.<br />
dass eine Mitarbeit von Inge Pichler<br />
eine wahre Bereicherung sein<br />
würde. 2002 begann Inge ihre Tätigkeit<br />
im Pfarrgemeinderat, dazu<br />
kamen die Vinzenzgemeinschaft<br />
und die jährlichen Caritassammlungen.<br />
Auch die Blumen der<br />
Pfarre gediehen prächtig unter<br />
ihrer Pflege und die freundliche<br />
Art wurde bald geschätzt. „Ich tu<br />
es gern“, sagt Inge, „es ist einfach<br />
ein gutes Gefühl, mitzuhelfen. Es<br />
muss Leute geben, die etwas für<br />
die Gemeinschaft beitragen. Und<br />
wenn man einmal angefangen<br />
hat, dann kommt man sowieso<br />
nicht mehr los!“<br />
Und doch liegt es auf der Hand,<br />
was die wirkliche Lieblingsbeschäftigung<br />
von Inge ist. Ihre Kinder<br />
haben tolle Partner geheiratet<br />
und Nachwuchs bekommen.<br />
Es sind die vier Enkelkinder Jakob<br />
(10), Simon (8), Heidi (4) und Philip<br />
(7 Monate), die das herzlichste<br />
Lachen auf das Gesicht der glücklichen<br />
Oma zaubern. „Mit den<br />
Kleinen zu spielen, zu reden,<br />
etwas zu bauen, auf sie aufzupassen,<br />
das ist die größte Freude<br />
für mich“ so Inge. „Ich kann die<br />
Enkelkinder richtig genießen und<br />
habe das Glück, dass alle ganz in<br />
der Nähe wohnen.“<br />
In das geschundene Afghanistan<br />
möchte Inge nicht mehr fahren,<br />
sie behält es in Erinnerung, wie<br />
sie es damals erlebt hat. Mit ihrem<br />
Mann Paul reist sie gerne,<br />
waren es letzthin Amerika, Kanada,<br />
Schottland und das Baltikum<br />
freuen sich die beiden heuer auf<br />
ihre Urlaubsreise nach Norwegen.<br />
(Text: Chris, Fotos: privat)