Seite - Lebendiges Niederkirchen
Seite - Lebendiges Niederkirchen
Seite - Lebendiges Niederkirchen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Der Zehnt im Wandel der Zeit<br />
In der Geschichte von <strong>Niederkirchen</strong> hat der<br />
Zehnt eine ganz bedeutende Rolle gespielt.<br />
Nur, was ist der Zehnt überhaupt? Wie ist er entstanden?<br />
Wofür wurde er verwendet? Was ist<br />
heute daraus geworden? Abgeleitet aus dem<br />
Mittelhochdeutschen bedeutet Zehnt: zehende,<br />
zende, zehent; aus dem Mittellateinischen: decima<br />
ecclesiastica, decima pars. Decimus ist der<br />
zehnte Teil des landwirtschaftlichen Ertrags.<br />
Der Naturalzehnt nach biblischem Vorbild war<br />
seit dem 5. Jh. eine empfohlene vorgeschriebene<br />
Naturalienabgabe an die Kirche (decima pars<br />
substantiae et laboris). Seit 732 diente sie als<br />
Ausgleich für die durch Karl Martell verfügte<br />
Beschlagnahmung von Kirchengut, welches<br />
damals zur Finanzierung der Abwehr der Araber<br />
verwendet wurde. Im Merowingerreich wurde<br />
sie verbindlich, seit Karl dem Großen ist sie im<br />
Frankenreich reichsgesetzlich. Ursprünglich<br />
sollte sie zur Armenfürsorge und zur Versorgung<br />
des Pfarrers dienen. Als Gegenleistung für überlassenes<br />
Land mussten die abhängigen Bauern<br />
der Grundherrschaft neben Frondiensten auch<br />
Abgaben erbringen. Ursprünglich Naturalabgaben,<br />
die aus pflanzlichen und tierischen Produkten<br />
bestanden, jedoch seit dem 13. Jahrhundert<br />
auch aus klingender Münze bestanden.<br />
Außer den Abgaben an die Grundherrschaft, die<br />
ungefähr ein Drittel des Ertrags ausmachten, verlangte<br />
die Kirche vom 6. Jh. an den zehnten Teil<br />
des Ertrags, also den Zehnt, ursprünglich zur<br />
Armenversorgung gedacht, später hauptsächlich<br />
zur Finanzierung der Pfarrsprengel verwendet.<br />
Der Name Sprengel für den Wirkungsbereich eines<br />
Pfarrers wurde später sowohl in der katholischen<br />
wie evangelischen Kirche zunächst durch<br />
diese bedeutungsgleichen Worte und schließlich<br />
durch die neu geprägten Begriffe Kirchengemeinde<br />
und Pfarrgemeinde ersetzt.<br />
Der vom 13. Jh. an in zunehmendem<br />
Maße aufkommende Geldzehnt floss<br />
aber auch in grundherrschaftliche, bischöfliche<br />
und päpstliche Kassen. Ursprünglich zur Entschädigung<br />
der Kirche für die Einziehung von<br />
Kirchenland zur Belehnung berittener Krieger<br />
eingeführt, wurde der Zehnt später als in Vergessenheit<br />
geratenes Gottesgesetz, als Gegenleistung<br />
für die Abhaltung von Gottesdiensten und<br />
für Sakramentsspendung hingestellt. Seine<br />
Einführung führte zum “Pfarrzwang”, d.h. nur<br />
diejenigen konnten in den Genuss der Leistungen<br />
einer Pfarrei kommen, die dieser zehntpflichtig<br />
waren. Grundsätzlich waren alle Landbesitzer<br />
im Pfarrsprengel zehntpflichtig, weltliche<br />
wie geistliche, so auch die Klöster. Klöster<br />
konnten sich jedoch häufig aus der Zehntpflicht<br />
<strong>Lebendiges</strong> <strong>Niederkirchen</strong> Nr.20 ................21<br />
befreien. Unter Exemtion versteht man auch die<br />
Herausnahme aus der Zehntpflicht oder die<br />
Befreiung von der ordentlichen Gerichtsbarkeit<br />
bei Zuerkennung eines besonderen Gerichtsstandes.<br />
Vom Kirchenzehnt befreit waren einzig<br />
die Benefizialgüter des zuständigen Pfarrers<br />
(Clericus clericum non decimat). Idealerweise<br />
sollte der Zehnt direkt an Pfarrer abgeliefert werden,<br />
doch bürgerte sich die Abgabe an den<br />
Grundherrn ein, da dieser bessere Möglichkeiten<br />
zur Einstufung des Ernteertrags und zur Einhebung<br />
hatte. Gegen den Widerstand Roms kamen<br />
im hohen Mittelalter Zehntrechte durch Verkauf<br />
oder Verpfändung als “Laienzehnt” auch in<br />
den Besitz von Laien. Eingehoben wurde der<br />
Großzehnt in Form von Getreide, Heu, Holz,<br />
Wein, Flachs und Feldfrüchten. Der Kleinzehnt<br />
umfasste die Erzeugnisse des Hausgartens (z.B.<br />
Obst, Gemüse), Kleintiere (z.B. Schweinen,<br />
Lämmern, Zicklein, Hühnern, Gänsen) und tierische<br />
Produkte (z.B. Wolle, Käse, Eier).<br />
Die Abgabenbelastung war nicht überall gleich,<br />
dürfte aber allgemein als drückend, mancherorts<br />
sogar als ausbeuterisch empfunden worden sein.<br />
Für die Zehntabgabenentrichtung gab es feste<br />
Termine, wie sie beispielsweise dem Sachsenspiegel<br />
entnommen werden können. f f<br />
1. Mai Walpurgistag (St.Walburgis), der Lämmerzehnt<br />
25. Mai Urbanstag, der Obst- und Weinzehnt<br />
24. Juni Johannistag (St.Johanni), der Fleischzehnt<br />
20. Juli Margaretentag, der Getreidezehnt<br />
15. August Mariae Himmelfahrt, der Gänsezehnt<br />
24. August Bartholomäustag, der Geldzins<br />
1. September St. Aegidius, der Gänsezehnt<br />
11. November Martinstag<br />
am Martinstag auch der traditionelle Tag des<br />
Zehnten. Die Steuern wurden früher wie erwähnt<br />
in Naturalien bezahlt, auch in Gänsen, da<br />
die bevorstehende Winterzeit das Durchfüttern<br />
der Tiere nur in einer eingeschränkten Zahl<br />
möglich machte. An diesem Tag begannen und<br />
endeten auch Dienstverhältnisse, Pacht-, Zinsund<br />
Besoldungsfristen. Landpachtverträge beziehen<br />
sich auch heute noch häufig auf<br />
“Martini” als Anfangs- und Endtermin, da der<br />
Zeitpunkt dem Anfang und Ende der natürlichen<br />
Bewirtschaftungsperiode entspricht. Der