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Italien (ca. 643 KB) - PINARD de PICARD

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Toskana<br />

Notizen nicht mehr viel mehr als Wortfetzen im Gedächtnis hatte. In <strong>de</strong>r Toskana angekommen, war <strong>de</strong>r „Tipp-Zettel” infolge<br />

<strong>de</strong>r unentwegten Weingutsbesuche und <strong>de</strong>r Terminhatz auch relativ schnell wie<strong>de</strong>r vergessen (ich hätte ja auch nur einmal<br />

bei einem meiner Freun<strong>de</strong> zurückrufen müssen), je<strong>de</strong>nfalls bis zu <strong>de</strong>m Zeitpunkt, als ich in einer Enote<strong>ca</strong> in Pienza einen<br />

Wein mit sehr traditionellem Etikett und <strong>de</strong>m Namen Baricci ent<strong>de</strong>ckte. Das war er! Das war <strong>de</strong>r Name, <strong>de</strong>r mehrfach unterstrichen<br />

auf meinem Zettel zuhause neben <strong>de</strong>m Telefon stand.<br />

Spontan beschloss ich, auf <strong>de</strong>m Rückweg zu meinem Hotel einen Umweg über Montalcino zu machen und das viel versprechen<strong>de</strong><br />

Weingut zu besuchen. Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Tankwart am Eingang von Montalcino mir <strong>de</strong>n Weg beschrieben hatte und mich<br />

ein kleines Hinweisschild zu einer Schotterstraße geleitet hatte, kam ich zu einem kleinen Gehöft auf <strong>de</strong>m im Nor<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Montalcinogebietes gelegenen Montosoli-Hügels, <strong>de</strong>r schon seit jeher wegen seiner Höhenlage und <strong>de</strong>n starken Unterschie<strong>de</strong>n<br />

zwischen warmen Tages- und relativ kühlen Nachttemperaturen als i<strong>de</strong>ales Anbaugebiet burgundisch inspirierter Weine<br />

voller Eleganz und Finesse berühmt ist und bei <strong>de</strong>m ein älterer Herr in kurzen Hosen und Unterhemd gemütlich in seinem<br />

Stuhle lehnte und sehr zufrie<strong>de</strong>n, so schien es, in die Welt hinaus schaute.<br />

Ich fragte ihn, ob er mir sagen könne, wo ich die Cantina Baricci fin<strong>de</strong>n könne. Ein warmes freundliches Lächeln erfüllte<br />

bei dieser Frage sein Gesicht und er entgegnete mir voller Stolz: „Io sono Baricci”. Und als ich schließlich fragte, ob es<br />

<strong>de</strong>nn möglich sei, auch ohne Voranmeldung heute seine Weine zu verkosten, lies er mich durch ein viel sagen<strong>de</strong>s Kopfnicken<br />

wissen, dass Nello Baricci (so sein vollständiger Name) sich mit offenem Herzen über je<strong>de</strong>n Besucher seines Weingutes<br />

freue, <strong>de</strong>r Interesse an seinen großen, traditionsreichen Weinen mitbringe. „Aber die Proben sind eine Sache <strong>de</strong>r Jüngeren,”<br />

flüsterte Nello mir zu und rief seinen Schwiegersohn Pietro, <strong>de</strong>r mich dann zum kleinen, aber feinen Weinkeller geleitete.<br />

Pietro erzählte mir dann von <strong>de</strong>r langen Geschichte <strong>de</strong>s Traditions-Weingutes, von <strong>de</strong>n 60er Jahren, als Nello Baricci mit<br />

einigen Winzern aus Montalcino das Brunello-Konsortium grün<strong>de</strong>te und davon, dass von diesen Gründungsmitglie<strong>de</strong>rn<br />

heute nur noch Nello Baricci lebe, von <strong>de</strong>n 10 Brunello Weingütern, die es damals gab und <strong>de</strong>n 250 heute existieren<strong>de</strong>n<br />

Weingütern, die oftmals einen Brunello produzieren, <strong>de</strong>r nach allem schmeckt, aber nur nicht nach <strong>de</strong>r wun<strong>de</strong>rbaren<br />

Rebsorte Sangiovese und seiner Heimat Montalcino. „Unsere Philosophie”, fährt er in Fahrt gekommen fort, „ist von<br />

Anfang an so einfach wie klar. Wir beobachten die Natur und ernten unsere Sangiovese-Trauben, wenn sie ihre optimale<br />

Reife haben. Die Gärung dauert durchschnittlich 15-18 Tage. Dann wer<strong>de</strong>n die Weine nach traditioneller Art, genau so wie<br />

früher, ohne irgen<strong>de</strong>ines <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Kellermittelchen einzusetzen, in großen Fässern über 3 Jahre ausgebaut. Nach einem<br />

Jahr <strong>de</strong>r Flaschenreife kommen die Weine schließlich in <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l. Jetzt ist gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Brunello 2002 im Verkauf”, schließt<br />

Pietro mit einem verschmitzten Gesicht seine Ausführungen „ein Wein aus einem ‚schlechten’ Jahrgang, wie immer gesagt<br />

wird. Ein Brunello, <strong>de</strong>r uns ungeheuer viel Arbeit und Tränen gekostet hat. Weniger als die Hälfte einer normalen Ernte<br />

konnten wir verwen<strong>de</strong>n.” Und dann schenkt Pietro äußerst liebevoll <strong>de</strong>n Brunello aus <strong>de</strong>m „Katastrophenjahr” 2002 in die<br />

Gläser.<br />

„Katastrophen schmecken eigentlich an<strong>de</strong>rs”, ist meine spontane Reaktion, <strong>de</strong>nn im Glas breitet sich ein wun<strong>de</strong>rvolles,<br />

klares Rubinrot aus und in <strong>de</strong>r Nase setzt sich diese spielerische Klarheit fort. Und ganz an<strong>de</strong>rs als die vielen<br />

Konzentrationsmonster „schleicht” sich dieser Wein eher durch die Sinne und betört durch burgundische Finesse und<br />

Eleganz. Auch im Mund setzt sich diese feine Klarheit <strong>de</strong>s Weines betörend fort und bleibt noch minutenlang am Gaumen<br />

haften, wenn das Glas schon lange geleert ist. Aus <strong>de</strong>m Augenwinkel genau beobachtend, ist es Pietro keineswegs entgangen,<br />

dass <strong>de</strong>r „Katastrophen-Brunello” mich zutiefst beeindruckt hat und bei <strong>de</strong>n Fassproben <strong>de</strong>r Brunelli aus <strong>de</strong>n<br />

Jahrgängen 2004 und 2005 wird mein Eindruck zur Gewissheit. Die extrem langlebigen Brunelli von Baricci sind große,<br />

unverwechselbare Sangiovese-Unikate. Es sind ungemein elegante Weine, die durch feinste Frucht, kraftvolle Klarheit, betören<strong>de</strong><br />

Eleganz und ein langes Finale <strong>de</strong>m Ruhm <strong>de</strong>s großen Brunello gerecht wer<strong>de</strong>n. Ein „Muss” für Liebhaber subtiler<br />

Genüsse, welche Kaschmir und Sei<strong>de</strong>, Finesse und Eleganz mehr schätzen als vorlautes Krachen im Glase o<strong>de</strong>r<br />

Holzorgien für Bibermäuler. Ein urtraditioneller Referenzwein für unbeirrt auf die Flasche umgesetzte Brunello-<br />

Authentizität!<br />

Mit <strong>de</strong>r Verkostung <strong>de</strong>s Rosso di Montalcino aus <strong>de</strong>m Jahrgang 2005 fin<strong>de</strong>t mein Besuch einen wun<strong>de</strong>rbaren Abschluss.<br />

Dieser Wein, <strong>de</strong>r in internen Verkostungen in Montalcino zum besten Rosso <strong>de</strong>s Jahrgangs gekürt wur<strong>de</strong> (!), besticht durch<br />

seine tolle Frucht und seine kraftvolle Konzentration. Ein Wein mit großer Struktur, gleichzeitig ungemein frisch und lebendig.<br />

Spontan beschließe ich, diesen Wein zu meinem abendlichen Absackerwein zu machen, wenn ich in meinem Hotelzimmer<br />

die täglichen Eindrücke auf <strong>de</strong>n Weingütern sortiere und nehme einige Kisten mit in <strong>de</strong>r Gewissheit, immer wie<strong>de</strong>r großen<br />

Weingenuss erleben zu dürfen. Beim Hinausgehen treffe ich dann wie<strong>de</strong>r auf Nello Baricci, ich schaue in sein immer noch<br />

sehr zufrie<strong>de</strong>nes Gesicht und er schaut offen in meine Augen, welche die Ehrfurcht vor seinen großen Weinen nicht verbergen<br />

wollen. Und dann stelle ich noch eine ganz dumme Frage: „Warum sind Ihre Weine eigentlich nicht in <strong>de</strong>n gängigen<br />

Weinführen bei Gambero Rosso und Robert Parker zu fin<strong>de</strong>n?” Er schaut mich mit seinem zufrie<strong>de</strong>nen Lächeln weiter an<br />

und sagt einfach nur achselzuckend „Perché?”.<br />

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