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zds#37

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28 | gespräch<br />

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„Es ist ein<br />

Teufelskreis“<br />

Neben deutschen Obdachlosen und von Armut Betroffenen<br />

verkaufen auch einige Rumänen und Bulgaren die Zeitschrift<br />

der Straße. Bernd Buhrdorf, Migrationsberater der AWO,<br />

kennt ihre Situation<br />

Herr Buhrdorf, wie ist die rechtliche Lage von Rumänen<br />

und Bulgaren in Deutschland? Wir sind<br />

ja eigentlich ein vereinigtes Europa. Und in der<br />

EU haben alle Bürger das Recht, in einem anderen<br />

EU-Land nach Arbeit zu suchen und zu diesem<br />

Zweck auch dort zu wohnen. Das nennt sich<br />

Freizügigkeit. Bis Ende 2013 galt für Rumänien<br />

und Bulgarien aber eine eingeschränkte Freizügigkeit<br />

– für Kroatien sogar bis Juli 2015. Personen<br />

aus diesen Ländern mussten eine gesonderte<br />

Arbeitserlaubnis beantragen, Deutsche wurden<br />

in den meisten Fällen vorrangig eingestellt. Diese<br />

Einschränkungen lockern sich jedoch allmählich.<br />

Das klingt aufwendig. In der Zeit bis 2014 habe ich<br />

persönlich kaum Rumänen oder Bulgaren getroffen,<br />

die die Chance hatten, mit Arbeitserlaubnis in<br />

Arbeit zu kommen. Heute, wo sie keiner Arbeitserlaubnis<br />

mehr bedürfen, ist der Zugang zum ersten<br />

Arbeitsmarkt etwas erleichtert worden.<br />

Welche Schwierigkeiten haben diese Menschen<br />

auf dem Arbeitsmarkt? Zum einen natürlich die<br />

fehlenden Sprachkenntnisse. Dann haben viele<br />

der Leute zu Hause in Berufen gearbeitet, die zwar<br />

toll sind, die man hier aber nicht mehr braucht,<br />

etwa als Messerschleifer oder fahrende Landleute.<br />

Und zum dritten sind Rumänien und Bulgarien<br />

zwei Länder, aus denen viele Roma zu uns kommen<br />

– und diesem Personenkreis gegenüber haben<br />

Arbeitgeber sehr große Vorbehalte. Da gibt’s<br />

noch immer dieses Vorurteil: Wenn die Zigeuner<br />

kommen, dann müssen Sie die Wäsche in Sicherheit<br />

bringen.<br />

Was passiert, wenn Menschen aus anderen<br />

EU-Ländern bei uns sind und keine Arbeit finden?<br />

Erst einmal haben alle EU-Bürger sechs<br />

Monate Zeit, eine sozialversicherungspflichtige<br />

Arbeit zu finden. Wenn ihnen das nicht gelingt,<br />

müssen sie eigentlich zurückgeschickt werden.<br />

Aber das habe ich ehrlich gesagt noch nicht erlebt.<br />

Die Grenzen sind ja auch offen, die Leute können<br />

hin- und herpendeln.<br />

Haben die Menschen denn in dieser Zeit Anspruch<br />

auf staatliche Unterstützung? Nein. Um<br />

Ansprüche zu erwerben nach dem Sozialgesetzbuch,<br />

muss man mindestens einen Tag versicherungspflichtig<br />

tätig gewesen sein. Dann bekommt<br />

man maximal ein halbes Jahr SGB-2-Leistungen,<br />

also Hartz IV. Eine weitere Hürde ist, dass man,<br />

um Hartz IV zu bekommen, ein Wohnung haben<br />

und einen Mietvertag vorweisen muss.<br />

Aber eine Wohnung zu bekommen, wenn man<br />

keine Arbeit hat, ist schwer. Ja, das ist ein Teufelskreis.<br />

Ich kenne einige Rumänen und Bulgaren,<br />

die dann bei Freunden und Bekannten unterkommen,<br />

mit mehreren Leuten in einer kleinen Zweizimmerwohnung<br />

zum Beispiel. Die kriegen dann<br />

irgendwann vom Vermieter die Räumungsklage,<br />

und dann war es das wieder. Selbst Roma, die sozialversicherungspflichtig<br />

arbeiten, tun sich sehr<br />

schwer damit, eine Wohnung zu finden. Während<br />

es für Flüchtlinge zum Beispiel Wohnraum-Kontingente<br />

gibt und sogar manche Privatleute freiwillig<br />

Wohnungen anbieten, liegt die Chance für die<br />

Roma nahezu bei Null. So werden viele obdachlos.<br />

Können die Menschen denn in Notunterkünften<br />

unterkommen? Kurzfristig ja. Aber wenn sie keine<br />

Ansprüche auf Hartz IV erworben haben, weil<br />

sie noch nicht sozialversicherungspflichtig gearbeitet<br />

haben, dürfen sie nicht länger in der Notunterkunft<br />

bleiben und müssen wieder auf die Straße.<br />

Ähnlich geht es diesen Menschen übrigens<br />

auch mit der Krankenversorgung.<br />

Wie ist die geregelt? Die Personen, die zu uns<br />

kommen, sind ja nicht über das Jobcenter krankenversichert.<br />

Und das heißt meist: Die sind dann<br />

gar nicht krankenversichert. Manche bringen<br />

zwar eine Reisekrankenversicherung mit, die<br />

greift aber in den seltensten Fällen. Im Gesundheitsamt<br />

gibt es eine humanitäre Sprechstunde,<br />

da werden die Menschen teilweise erstversorgt.<br />

Und um Krankenhilfen zu erhalten, etwa einen<br />

Zahnersatz, muss man erst mal ein Jahr lang hier<br />

sein und Gelder vom Amt für Soziale Dienste beziehungsweise<br />

vom Jobcenter bezogen haben – die<br />

man ja nur bekommt, wenn man schon mal sozialversicherungspflichtig<br />

gearbeitet hat.<br />

Text & Foto: Tanja Krämer<br />

Was sind denn dann die Optionen dieser Menschen<br />

bei uns? Manche finden Arbeit als Bauhelfer,<br />

andere als Putzkräfte. Oft nur für kurze Zeit.<br />

Einige machen sich auch selbstständig, etwa als<br />

Schrotthändler, die können dann aufstockende<br />

Leistungen nach dem sogenannten Hartz IV beantragen.<br />

Der Regelsatz bei Hartz IV liegt derzeit<br />

bei 404 Euro. Wenn also jemand durch die Selbstständigkeit<br />

Einnahmen von 300 Euro hat, werden<br />

nach Abzug eines Freibetrages in Höhe von 140<br />

Euro die verbleibenden 160 Euro als Einkommen<br />

gegengerechnet, so dass er nur noch einen Anspruch<br />

auf ergänzende Leistungen von 244 Euro<br />

hat – und zusätzlich die Miete bezahlt bekommt.<br />

Nicht wenige der Menschen kommen ja mit ihrer<br />

Familie. Haben sie denn Anspruch zum Beispiel<br />

auf Kindergeld? Kindergeld bekommen die Menschen,<br />

wenn die Kinder hier sind und sie nachweisen<br />

können, dass die Kinder zu Hause auch Kindergeldanspruch<br />

gehabt hätten. Leben die Kinder<br />

etwa in Rumänien bei den Großeltern, bekommen<br />

die Eltern, die hier arbeiten, nichts. Man muss<br />

auch bedenken: Alles, was die Leute zusätzlich<br />

bekommen, wird beim Jobcenter gegengerechnet.<br />

Das Kindergeld gilt dort nämlich als Einkommen.<br />

Damit wird man also nicht „reich“.<br />

Sie erwähnten als eine große Hürde mangelnde<br />

Deutschkenntnisse. Gibt es denn Möglichkeiten,<br />

entsprechende Kurse zu besuchen? Nein. Für diesen<br />

Personenkreis gibt es in Bremen derzeit keine<br />

Deutschkurse, es sei denn, sie sind in Arbeit und<br />

bekommen ergänzende Hilfen vom Jobcenter.<br />

Dann wird der Integrationskurs finanziert. Das<br />

war mal anders, aber derzeit hat Bremen einfach<br />

kein Geld für solche Kurse.<br />

Die Hürden sind also sehr hoch. Das kann man sagen.<br />

Die meisten laufen unter den Hürden durch.<br />

Viele, die ich kennengelernt habe, sammeln einfach<br />

Flaschen und leben von dem Pfand. Andere<br />

gehen schwarzarbeiten, wieder andere verkaufen<br />

zum Beispiel die Zeitschrift der Straße.<br />

Wobei der Verkauf der Zeitschrift der Straße laut einem<br />

aktuellen Bescheid der Rentenversicherung<br />

nicht als sozialversicherungspflichtiges Beschäf-

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