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Handbuch_Islam
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6. MUSLIME IN <strong>MEDIEN</strong><br />
6.1 darstellung von muslimen in deutschen medien<br />
liegen diese Werte noch einmal deutlich niedriger (3,9 beziehungsweise 12,2 Prozent).<br />
Menschen mit viel Kontakt zu Muslimen haben in der Regel ein deutlich<br />
besseres Bild vom Islam als Menschen mit wenig Kontakt. Vergleichbare Studien<br />
kommen seit vielen Jahren zu sehr ähnlichen Ergebnissen. 3 Wie sind also die<br />
negativen Einstellungen gegenüber Muslimen zu erklären, wenn große Teile der<br />
deutschen Bevölkerung überhaupt keine Muslime kennen?<br />
Medien bestimmen Meinungen nicht im Alleingang. Aber sie spielen bei der Entstehung<br />
und Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Einstellungen gegenüber sozialen<br />
Gruppen eine zentrale Rolle. Im Fall der Muslime in Deutschland ist es daher<br />
hochplausibel, dass negative Einstellungen zum Islam oft nicht auf „primäre<br />
Kontakte“ mit Muslimen, sondern auf sogenannte „sekundäre Medienkontakte“<br />
zurückzuführen sind. 4<br />
IST DIE DEUTSCHE BERICHTERSTATTUNG ISLAMFEINDLICH?<br />
Dazu ist zunächst festzuhalten, dass sich eindeutig negative Aussagen zum Islam<br />
(wie zum Beispiel: „Der Islam ist eine gefährliche Religion“) in Mainstream-Medien<br />
nur höchst selten finden lassen. 5 Vielmehr ist es so, dass Islamfeindlichkeit, wie<br />
sie etwa in der PEGIDA-Bewegung zum Ausdruck kommt, in Medien regelmäßig<br />
scharf kritisiert wird – und dies schon seit einiger Zeit. So berichteten beispielsweise<br />
die Tagesthemen schon 1985 kritisch über die Weigerung einiger deutscher<br />
Sozialämter, Muslimen eine ansonsten übliche Weihnachtsbeihilfe zu zahlen<br />
– damals mit der Begründung, die Muslime entstammten schließlich nicht dem<br />
„christlich-abendländischen Kulturkreis“. 1992 wurde ein im schwäbischen Bobingen<br />
verhängtes Minarettverbot zum Thema, welches ähnlich wie das Schweizer<br />
Minarettverbot von 2009 als Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit zurückgewiesen<br />
wurde. 6<br />
Es geht also bei der Kritik an den Medien nicht um den Vorwurf der Islamfeindlichkeit<br />
von Journalisten. Es geht vielmehr darum, dass durch die Berichterstattung<br />
3 Zu nennen wären etwa die häufig in der Islambildforschung angeführten Befunde aus den Studien Wilhelm<br />
Heitmeyers (vergleiche etwa Heitmeyer, W. (Hrsg.) (2011). Deutsche Zustände. Folge 10. Frankfurt am Main: Suhrkamp.)<br />
sowie die Informationen zum Projekt „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, verfügbar unter<br />
http://bit.ly/1WrXGNw<br />
4 Vergleiche den ausführlichen Forschungsüberblick bei Karis 2013, S. 20–25.<br />
5 Anders verhält es sich freilich jenseits des medialen Mainstreams, etwa auf offen islamfeindlichen Internetplattformen.<br />
Vergleiche dazu Schiffer, S. (2009). Grenzenloser Hass im Internet. Wie „islamkritische“ Aktivisten in<br />
Weblogs argumentieren. In T. Schneiders (Hrsg.), Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen<br />
(S. 341–362). Wiesbaden: Springer VS.<br />
6 Karis 2013, S. 288–289.<br />
und insbesondere durch die Verwendung bestimmter Klischees oder Stereotypen<br />
ein negatives Islambild erzeugt wird. Das geschieht oft unabsichtlich. Deshalb<br />
will ich einige wichtige Islamstereotype vorstellen. 7<br />
TERROR UND GEWALT<br />
Ein zentrales Islam-Stereotyp ist die Gewaltbereitschaft des Islams. Eine Reihe<br />
von Studien zeigt, dass es dieses Klischee schon seit Jahrhunderten gibt. 8 Mitunter<br />
erinnern die Medien an historische Ereignisse, beispielsweise an die Belagerungen<br />
Wiens durch das Osmanische Reich in der Frühen Neuzeit, die an die<br />
kollektive europäische Vorstellung von muslimischer Gewalt anknüpfen. Selbst<br />
die territorialen Eroberungen der ersten Muslime unter dem Propheten Mohammed<br />
werden teilweise ins Feld geführt. So hieß es in der Fernsehsendung Bericht<br />
aus Bonn am 10.11.1995:<br />
„Beim Kampf um die Macht beziehen sich die militanten Fundamentalisten [gemeint sind<br />
die Anhänger Chomeinis zur Zeit der Iranischen Revolution, Anm. T.K.] auf eine Praxis<br />
aus der Frühzeit des Islam. Genauer auf Methoden, die der Prophet Mohammed selbst<br />
gebrauchte, um seine bedrohte Autorität zu stärken. Mit Terror und Racheaktionen machte<br />
er seine Gegner zum Ziel des sogenannten ‚göttlichen Zorns‘, als er erkannte, dass die Predigt<br />
von Liebe und Gewaltlosigkeit ihm in Mekka nicht zur Macht verhelfen würde.“ 9<br />
Historische Ereignisse und religiöse Überlieferungen werden medial mit zeitgenössischen<br />
Ereignissen verknüpft. Zu denken ist neben der Iranischen Revolution<br />
etwa auch an die Anschläge des 11. Septembers oder die jüngsten Untaten des<br />
sogenannten Islamischen Staates (IS). Dadurch entsteht schnell der Eindruck,<br />
die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen bestätigten eine gewaltbejahende<br />
Grundeinstellung des Islams. Anstatt nach den komplexen, modernen Entstehungsbedingungen<br />
etwa des „IS“ zu fragen, wird auf diese Weise das Bild eines<br />
homogenen, historisch stabilen und aggressiven Islams erzeugt – eine Simplifizierung,<br />
die ironischerweise dem schlichten Islambild des „IS“ ziemlich genau<br />
entspricht. 10<br />
7 Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Verwendung der Begriffe „Stereotyp“ und „Klischee“ (zumal synonym) nicht<br />
ideal. Ich spreche daher an anderer Stelle (und anders akzentuiert) von Islam-Narrativen (vergleiche Karis 2013).<br />
8 Vergleiche exemplarisch die Beiträge bei Benz, W. (Hrsg.) (2010). Islambilder vom Mittelalter bis zum Ersten<br />
Weltkrieg. Traditionen der Abwehr, Romantisierung, Exotisierung. Sonderheft der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft<br />
58, 7–8.<br />
9 Vergleiche Karis 2013, S. 202–204.<br />
10 Vergleiche zu diesem Befund T. Bauer (Vortrag, 16. September 2010), verfügbar unter http://bit.ly/2987kUZ<br />
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